vonHelmut Höge 23.08.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Aufgeschnappt:

Eine Nachbarin klagt: Bei ihr gegenüber sei 2005 ein Mitarbeiter von Schäuble eingezogen, ein Computerspezialist, der nie verreise, dafür jedoch die härtesten SM-Spiele veranstalte. Durch die dünne Wand höre sie jede Nacht lautes Geschrei, Stöhnen, Geheul, Bellen, Kettenklirren…Auf die Dauer sei das nicht auszuhalten. Dann würden noch die Drogendealer den Keller neuerdings als Waren-Depot benutzen und der Hausverwalter, der dagegen einschreiten müsse, tue nichts anderes als im Internet zu surfen und zu hacken, auch in ihren Computer habe er sich schon reingehackt. Seitdem habe sie einen zweiten – ohne Internetanschluß, den sie für ihre privaten Aufzeichnungen benutze.

Nach der Wende wurde eine ganze Reihe von NVA-Offizieren in die Bundeswehr übernommen. Einigen ist das jedoch nicht gut bekommen: Im Benjamin-Franklin-Krankenhaus müssen sie sich nun psychiatrisch behandeln lassen. Ihnen war nach 1990 die schwerste Aufgabe zugefallen: Sie mußten die einstigen „Gegner“ plötzlich als Vorgesetzte, „Partner“ und Kameraden akzeptieren – und zwar aus vollem Herzen. Das gelang nicht allen. Einer erholte sich jedoch nach einigen Wochen im Krankenhaus – und absolviert jetzt eine Umschulung zum Versicherungsvertreter. 1986 schrieb er – als Marineoffizier – seine Doktorarbeit über „Die Eroberung Schleswig-Holsteins“, sie war so gut, dass die Bundeswehr sie noch immer unter Verschluß hält.

Rudolf Stoert berichtete in der Zeitschrift „Gegner“, dass und wie auf der Berliner U-Bahnlinie 8 einige junge Fixer verschwanden. Sie waren plötzlich einfach nicht mehr da. Und niemand suchte nach ihnen oder schien sie zu vermissen.

Hinter dem Bahnhof Zoo befindet sich der Wirtschaftshof des Zoos. Fast täglich finden sich dort Mütter ein – mit einem Karton oder einem kleinen Käfig in der Hand. Darin befinden sich junge, oft gerade erst geborene Meerschweinchen, weisse Mäuse, Ratten oder Zwergkaninchen. Der Zoo nimmt sie gerne – um sie an seine Raubtiere zu verfüttern. Die Mütter haben zwar ein schlechtes Gewissen dabei, aber ihre Wohnsituation erlaubt es nicht, dass sich die Spieltiere ihrer Kinder derart „unkontrolliert vermehren“ – und die Kinderbauernhöfe nehmen schon lange keinen Nager-Nachwuchs mehr an – sie sind voll: „Also was soll man machen?!“

Da staunte der Stromableser in einem Hochhaus auf der Fischerinsel: Das junge Ehepaar mit zwei Kindern im Alter von drei und sechs Jahren, bei der er geklingelt hatte, ließ ihn zwar rein, beachtete ihn jedoch nicht, sondern suchte verzweifelt irgendetwas in und unter ihrer Couchgarnitur und auf dem Teppich. Schließlich gaben sie resigniert auf: „Scheiße, der Kleine hat schon wieder die ganze Tüte Exstacy geschluckt,“ erklärte der Kindsvater dem Stromableser.

Am U-Bahnhof Krumme Lanke steht ein junger Mann und hat eine blutige Nase. Auf Nachfrage erklärt er, dass er Chemiker sei – und sich auf „Partydrogen“ spezialisiert habe, damit beliefere er regelmäßig an der Krummen Lanke seine Freunde. Aber fast ebenso regelmäßig würden sie ihnen dort von den „Türkenjungs“ gewaltsam wieder abgenommen werden. Dieses Mal habe er sich eingemischt – und dabei eins auf die Fresse bekommen.

Ein Mann geht nachts am Mariannenplatz vorbei, drei rumänisch redende Männer lösen sich aus dem Schatten der Kirche, einer überholt den Mann, ein zweiter bleibt zurück, der dritte holt den Mann von hinten ein und zieht einen Totschläger. Er will ihm damit gerade den Kopf zerschmettern, da springt der Mann zur Seite und läuft weg, aber der vorausgegangene junge Rumäne holt ihn ein, schreit „Geld, Geld, Geld!“. Der Mann gibt ihm noch im Laufen seine Brieftasche. Es befinden sich nur 5 Euro darin. Für neue Ausweise muß der Mann dann jedoch mehrere hundert Euro zahlen. Die Postbank kündigt ihm sein Konto, weil er seine Scheckkarte „Dritten“ überlassen habe. Und die Staatsanwaltschaft stellt wenig später das „Verfahren“ ein.

Am U-Bahnhof Görlitzer Straße hält sich regelmäßig eine junge Kroatin auf – um zu betteln. Irgendwann lernt sie einen älteren Türken kennen. Dieser macht sie mit zwei Freunden bekannt, sie nehmen die Kroatin mit in ihre Wohnung, wo sie sie einsperren. Gegen Bezahlung dürfen alle ihre Bekannten sie vergewaltigen. Die Kroatin wird immer apathischer und fertiger. Irgendwann ist sie verschwunden. Man sagt, dass die zwei Wohnungsbesitzer sie nächtens im Görlitzer Park „entsorgt“ hätten, aber das ist hoffentlich nur ein Gerücht.

Eine Berliner Zeitung listete gestern alle Mafiagruppen auf, die in Deutschland ihr Unwesen treiben: Bis auf die Rocker nur Ausländer! Und was ist mit der Westberliner Immobilienmafia (Kudamm), den schwäbischen Gentrifizierern (im Prenzlauer Berg), den sogenannten Unternehmensberatern (aus Bremen), den ganzen Neonazigruppen in Lichtenberg, Hohenschönhausen, Oberschöneweide etc., den Altnazis in Wilmersdorf – um nur einige deutsche Verbrecherbanden zu nennen?

Auch die ganzen Presseberichte, Romane, Spiegel-TV-Reportagen und -Features über soziale Brennpunkte und Problembezirke (Wedding, Neukölln, Kreuzberg, Oberschöneweide) strotzen nur so vor Ausländer- bzw. Ostler-Feindlichkeit, vor Übertreibungen und Lügen. Einige seien erwähnt:

Oberschweineöde

Diese Verballhornung des Köpenicker Stadtteils Oberschöneweide hatte es dem Autor Karsten Otte besonders angetan in der B.Z.-Serie „Mein Kiez-Tagebuch“. Sein Text ist ähnlich schweinös wie die Kreuzberg-Berichte der FAZ und der Neukölln- Report des Spiegel, den das Montagsmagazin nun gar mit einem Wedding-Artikel toppte. In Oberschöneweide debattierte jüngst der dortige Unternehmerstammtisch den B.Z.-Artikel über ihren „Problembezirk“: „Alles erstunken und erlogen!“ so das Resümee.

Im einzelnen. „Die gesamte Tendenz des Autors lautet: ,Dort lebt nur Abschaum‘ – das ist menschenverachtend! So weit, daß unter einem Foto von einem Krüppel, das noch nicht einmal im Kiez aufgenommen wurde, steht: ,Aufbruch-Stimmung in Oberschöneweide‘.“ Über das Stammpublikum des neben dem Wilhelminenhofstraßen-Puff gelegenen Nachtcafés „Hollywood“ schreibt der Autor: „Die Gäste sehen (dort) zwar auch nicht besser aus als die der ,Stumpfen Ecke‘, doch der Barkeeper grinst verheißungsvoll seine Kunden an…“ Im „Hollywood“ gibt es überhaupt keinen „Barkeeper“, dort arbeiten ausschließlich „Blondinen“.

Über die pleitegegangene Kneipe „Sportlerklause“ weiß der Westjournalist: Dort „verkehrten früher die Vorarbeiter!“ Solche gab es in der DDR überhaupt nicht, und sowieso war die „Sportlerklause“ eher eine Schläger- und Kleinkriminellen-Kneipe. Diese „Knastis“ sollen dagegen laut B.Z. im „sagenumwobenen Haus der tausend Biere“ gezecht haben. Eine Kneipe dieses Namens hat es im biersortenarmen Osten Berlins nie gegeben. Die Kneipe selbst gibt es dagegen noch immer – sie war nie „sagenumwoben“: Zu DDR- Zeiten hieß sie „Zur Wuhlheide“, nach der Wende „Haus der hundert Biere“ und jetzt „Kolbico“.

Die wenigen noch lebenden „Werktätigen“ Oberschöneweides – angeblich Nachwende-„Nachbarn“ des Autors – gingen stets in die „Stumpfe Ecke“, „um dort die Reste ihres Menschseins mit Wodka endgültig zu liquidieren“. Hierzu merkte der Oberschöneweider Unternehmerstammtisch an: „Dort hat noch niemand Wodka getrunken, den gibt es in der Stumpfen Ecke schon seit 1961 nicht mehr!“

Als die Queen das von den Engländern übernommene Kabelwerk besuchte, standen laut B.Z. extra „die Bewohner der angrenzenden Westbezirke“ Spalier in der Wilhelminenhofstraße, „um fleißig mit der britischen Fahne zu winken“ – damit die Queen auf keine Osteinheimischen stoße: „finstere Gestalten“ allesamt! Wahr ist zwar, daß die britische Kabelfirma, die das Werk schändlicherweise nur übernahm, um Fördergelder zu kassieren und dann die Produktion einzustellen, sich nicht entblödete, einige Jubel-Westler an den Straßenrand zu stellen. Aber weder sie noch die Anwohner bekamen etwas von der Queen mit, da diese auf der Spree mit einem Schiff ans Werk fuhr.

Auch daß der Autor meint, es gäbe in Oberschöneweide Tote, die so lange in ihren Wohnungen lägen, daß die Maden sie bereits verlassen und in die Nachbarwohnungen zu noch lebenden Oberschweineödern gezogen seien, hält der am Unternehmerstammtisch anwesende Ex-MdB H.P. Hartmann für mindestens so übertrieben, wie daß der „ehemalige Arbeiterbezirk eine ,postgrufte Atmosphäre'“ ausstrahle, die „nach Feierabend einem ,atomar verseuchten Gebiet'“ gleiche.

Besonders erbost hat den im Problembezirk aufgewachsenen Hartmann der Satz: „Landete der gewöhnliche Oberschöneweider doch mal im Ehebett statt in der Gosse, ging es der Frau, dem Kind und der Wohnungseinrichtung an den Kragen.“

Der Wedding

Die Oberschöneweider Empörung über den o.e. B.Z.-Artikel von Karsten Otte, dessen neuestes Buch ich gerade lesen und rezensieren sollte, was ich natürlich ablehnte, ging dann so weiter: Nachdem die B.Z. sich geweigert hatte, Leserbriefe zu ihrem „Mein Kiez“-Artikel von Karsten Otte abzudrucken, weil sie angeblich „zu aggressiv“ waren, wurde in der ehemaligen AEG- Transformatorenfabrik eine Protestveranstaltung organisiert. Das Schändliche des Otte-Artikels wurde dort vor allem unter dem Aspekt des Vergraulens von Investoren im Problembezirk gesehen. Ein Unternehmer witterte gar „politische Absicht“. Ein Lehrer bezeichnete den Artikel als „faschistisch“, was jedoch vom anwesenden B.Z.-Lokalchef – ein bis zur Ausdruckslosigkeit glatter Elitelutscher – abgestreift wurde.

Vier Tage später fand in der Nachbarschaftsetage der Weddinger Projekte-Fabrik Osloer Straße ebenfalls eine Protestveranstaltung statt. Hier ging es um eine „Spiegel-TV“-Reportage und einen Spiegel-Artikel über den Wedding. Der Autor beider Beiträge, Thomas Heise, war ebenfalls anwesend. In immer neuen Anläufen versuchten Lehrer, Streetworker, Arbeitslose und Leute, die im Film mitgespielt hatten, zu beweisen, daß sein Machwerk exakt der faschistischen Verunglimpfung der Juden nachfolge: Wanderratten – Schnitt – Zigeuner – Schnitt – Kakerlaken – Schnitt – junge Türken – Schnitt – Müll – Schnitt – Polizeirazzia – Schnitt – Pistole – Schnitt usw. Er wollte damit bloß eine Studie von Professor Häußermann über die drohende „Verslumung“ ganzer Stadtteile illustrieren, verteidigte sich der „linke“ Autor. Eher hatte er jedoch die schändliche „Ratten“-Äußerung des Berliner CDU-Vordenkers Landowsky bebildert. Einer der mitwirkenden Jugendlichen, Ibo, erzählte: „Drei Tage hat er bei uns gedreht, und dann nur das Schlechteste genommen, uns sogar noch betrogen, indem er sagte, die Kamera sei aus, in Wirklichkeit filmte er aber weiter. Dabei gab es auch Positives. Zum Beispiel all die Mädchen aus Steglitz, die sagten, hier im Wedding sei es besser als bei ihnen, auch die Jungs wären besser.“ Der Streetworker aus dem Boxclub Astoria entschuldigte sich bei den Anwesenden, weil er derart naiv auf Heise hereingefallen war. Nicht nur dem Autor, sondern auch den anwesenden Behördenvertretern erklärte sodann eine „Mutter“: „Systematisch werden im Wedding die alternativen Einrichtungen zerstört – von den Politikern, und dafür bekommt man nun gesagt: Die Ausländer sind schuld an eurer Misere. So läuft hier das Spiel.“

„Daß die Zahl der Ratten zugenommen hat, dafür kann ich doch nichts, ich habe nur gefilmt, was ist“, wiederholte Thomas Heise. Ein Fernsehmann aus dem Osten, inzwischen Bambi-Preisträger, sprang ihm zur Seite: „Wenn hinterher alle gemeckert haben, war ich zufrieden mit meiner Arbeit!“ Ein Assistent von Professor Häußermann äußerte sich über den Spiegel-Artikel von Heise: „Ich war früher Lokaljournalist, für solch einen Text hätten sie mich damals rausgeworfen!“ Das waren noch Zeiten! Dann kam aber die Wende, die FAZ-Statthalterin bei der Neuen Zeit meinte sogleich: „Das ist auch ein Problem Berlins: Zu viele Journalisten schauen auf – nichts!“

Kreuzberg

Ständig geht es in den Massenmedien um die Türken, die Islamisten, um Grill- sowie Kopftuchverbot und die Integration der Ausländer…Von Kreuzberg aus ist das nicht nach zu vollziehen – hier sind die Deutschen eher das Problem: Gäbe es hier nicht die vielen Türken, wäre dieser Bezirk schon längst ein Alptraum, denn sie bilden das einzig stabilisierende Element: Mit ihren ersten proletarischen Festanstellungen, den nachgeschleppten bäuerlichen Familien- und Sippenzusammenhängen, den kommunistischen Organisationen, den Sportvereinen, Läden und schließlich den islamischen Gemeinden… Während die deutschen Arbeiter in Kreuzberg ab 1945 meist nach Westdeutschland wegzogen – und nur die Fußkranken zurück blieben, d.h. Kleinkriminelle, Alkoholiker und Verwirrte. Deren Reihen lichteten sich schnell, wiederaufgefüllt wurden sie dann von der Nachkriegsboheme, aber diese Kunsttrinker und Gerechtigkeitsschlingel konnte man auch nicht gerade als stabilisierendes Element eines Bezirks bezeichnen.

„Die feuchten Keller und die alten Sofas sind wieder gefragt, die Ofenrohre, die Ratten. Dazu muß man sich die Haare lang wachsen lassen, muß herumziehen, muß herumschreien, muß predigen, muß betrunken sein und die alten Leute verschrecken. Man muß immer allein und zu vielen sein, mehrere mitziehen, von einem Glauben zum andern. Die neue Religion kommt aus Kreuzberg, die Evangelienbärte und die Befehle, die Revolte gegen die subventionierte Agonie. Es müssen alle aus dem gleichen Blechgeschirr essen, eine ganz dünne Berliner Brühe, dazu dunkles Brot, danach wird der schärfste Schnaps befohlen, und immer mehr Schnaps, für die längsten Nächte. Die Trödler verkaufen nicht mehr ganz so billig, weil der Bezirk im Kommen ist, die Prediger und die Jünger lassen sich bestaunen am Abend und spucken den Neugierigen auf die Currywurst. An einem Haustor, irgendeinem, wird gerüttelt, ein Laternenpfahl umgestürzt, einigen Vorübergehenden über die Köpfe gehauen. Nach Mitternacht sind alle Bars überfüllt.“ Das sagte Ingeborg Bachmann – in ihrer Dankesrede zur Verleihung des Georg-Büchner-Preises 1964!

Bald danach wurden die ersten Studenten in den „Problembezirk“ abgetrieben – aus Charlottenburg, wo sie die leerstehenden großen Wohnungen belegt hatten. Als die Hausbesitzer sich einige Jahre nach dem Mauerbau wieder zurücktrauten, drängten sie die Studenten nach Kreuzberg ab, wo zur gleichen Zeit die Türken aus ihren Wohnheimen hinzogen. Und schon machten ihnen die Deutschen dort das Leben schwer: „Türken raus aus Kreuzberg – warum nicht?!“ titelte z.B. die Zitty. Und die Bezirksverwaltung drangsalierte sie mit „Zuzugsperren“ – damit sie nicht ihre Familien nachholten. Immerhin lautete dann die berühmteste Kreuzberger Parole, an der Brandmauer der ersten (palästinensischen) Pizzeria „Samira“: „Rheinländer raus – Ausländer rein!“ Und in der Tat, diese ganze freiheitlich-beschwipste schwäbisch-rheinländische Juvenilität, die sich dort ausbreitete, war eine schwere Belastung für den Bezirk: Sie gaben sich großkotzig, laut, drogensüchtig, pißten überall „Punk rules OK“ hin und sprachen von „unserem Kiez“. Es ist geradezu bewunderungswürdig, wie tolerant die Türken auf diese ganzen westdeutschen Kotzbrocken reagierten. Deren Beitrag zum friedlichen Zusammenleben war jedenfalls weniger als Null. Dafür sprachen sie jedoch von „unserem Kiez, den wir uns mühsam aufgebaut haben“. Und eifrig kreierten sie dafür jede Menge neue Moden, die von den Galeristen im Verein mit den Massenmedien sofort zum „Mythos Kreuzberg“ hochgejubelt wurden.

„Wir erst haben Berlin an den Weltkunstmarkt angeschlossen,“ so trompetete z.B. der Moritzboy-Maler Lüpertz und die Modemacherin Claudia Skoda meinte 1979: „Kreuzberg ist unerhört vielfältig!“ Aber gleich nach dem Mauerfall gestand sie dem Tip: „Nie wieder Kreuzberg!“ – und zog ab nach Mitte, wo auch der CDU-Ekelprotz Landowsky sofort „die interessante Szene“ ausmachte, während in Kreuzberg seiner Meinung nach nur „Junkies, Gewalt und Ausländer zurück blieben“. Genau das Gegenteil war der Fall: Dass es diese ganzen jungdeutschen „Kreativen“ sofort in die angesagten Ostbezirke trieb – nach 89, hat Kreuzberg außerordentlich gut getan. Und wenn der letzte deutsche Wirrschopf den Bezirk verlassen hat, könnte es glatt gemütlich werden, wenn auch noch die Polizei verschwände, die Nacht für Nacht junge Schwarzköpfe an die Wand stellt – noch, um sie nur zu „kontrollieren“. Selbst für die Sozialhilfe sind hier die Türken zuständig – und nicht die Sozialämter, von denen sich alleinerziehende Türkinnen bisweilen sagen lassen müssen: „Das Geld ist nur für Deutsche!“ Dagegen versorgen z.B. die türkischen Gewerbetreibenden allein in der Wienerstraße drei dort auf der Straße lebende Durchgeknallte (zwei Deutsche und einen Afrikaner).

In Summa muß man inzwischen sagen: Der Exodus der Deutschen (Trendhechler) aus Kreuzberg in den Osten hat dem Bezirk außerordentlich gut getan! Ganz anders sieht das natürlich der CDU-Ekelprotz Landowsky: „Die interessante Szene“ hat sich nach Mitte verlagert, trötete er im Tagesspiegel, während in SO 36 nur „Junkies, Gewalt und Ausländer zurückblieben“.

Neukölln

Neben den unlängst in einer Ausstellung des Neuköllner Heimatmuseums gewürdigten prominenten „Verlierern“ Christiane F., Anarcho-Kramer, Thomas Kapielski und Arno „Dagobert“ Funke wäre als weiterer gescheiterter Neuköllner noch der „Staatsfeind“ Till Meyer zu ehren gewesen. Zwar meint der heute 53jährige Exterrorist, Ex-taz-Reporter, Ex-Stasizuträger und jetzige „Spiegel-TV“-Mitarbeiter, daß er als Kriegshalbwaise und jüngstes von sechs Kindern immer „chancenlos“ gewesen sei, dennoch begann seine Laufbahn relativ furios: „Till ist ein aufgeweckter Schüler, mit eigener Meinung, der gut denken kann“, bescheinigte man ihm im Abschlußzeugnis der achten Klasse. Wie der andere berühmte Neuköllner Sitzenbleiber „Dagobert“ wollte er daraufhin Seemann werden: „Das garantierte Abenteuer.“ Und er schaffte es auch tatsächlich, auf der „MS Merkur“ anzuheuern, zur Feier des Tages lud ihn die Mutter in ein Hamburger Chinarestaurant. Till hielt die „Schinderei an Bord“ jedoch nur drei Monate aus (ich schaffte es seinerzeit auf der „MS Riederstein“ nur zwei, stamme aber auch nicht aus Neukölln!). Danach meldete ihn die Mutter auf einer Privatschule in Wilmersdorf an, wo er jedoch meistens den Unterricht schwänzte und am „simplen Dreisatz“ scheiterte. Drei Monate später fing er als Hilfsarbeiter in einer glastechnischen Werkstatt in Schöneberg an. Von seinem ersten selbstverdienten Geld leistete sich Till ein Moped sowie eine Levis-Jeans und eine James-Dean-Jacke. Dazu einen schwarzen Seidenblouson mit feuerrotem Futter und schwarzweiße Schuhen.

Seine Rocker-Clique traf sich im „Tutti-Frutti-Schuppen“. Von da aus ging es zum Vögeln an den Wannsee oder Grunewaldsee. Immer wieder gab es Ärger mit den „Kalkmützen“ (der Polizei). Gelegentlich besuchte Till seinen Onkel in Ost-Berlin, der ihn mit antifaschistischer Literatur versorgte und sich über seine Elvis- Frisur lustig machte. Von einem Untermieter seiner Mutter, einem FU-Germanistikstudenten, bekam er dann weitere Lebenshilfe, während er sein Geld bei einem „Sklavenhändler“ in Wilmersdorf verdiente, wo man ihn wegen seiner Ausdrucksweise bald „Student“ nannte. Der Mauerbau 1961 überraschte ihn im Osten, wo er sich inzwischen in die Tochter seines Patenonkels verliebt hatte. Erst 17 Jahre später kam er wieder dorthin: „Diesmal als Fliehender von West nach Ost – als Staatsfeind Nummer eins gejagt.“

Zur Nummer eins hatte es bis dahin noch kein Neuköllner Staatsfeind gebracht. Erst einmal mußte Till aber 1961 für drei Wochen in die Neuköllner Jugendarrestanstalt Schönstedtstraße: wegen Verstoßes gegen die Schulpflicht. Anschließend spendierte ihm seine Mutter eine Paris-Reise. Auf dem Weg dorthin blieb Till jedoch in Trier hängen, wo er sich verliebte. Jetzt wohnt er übrigens wieder dort. Dazwischen liegen die allseits bekannten Stationen der „Politisierung“: APO, Kinderladen, Haschrebellen, Stadtguerilla, Knast, Ausbruch, Prozeß, Urteil, Hungerstreik, Isolationsfolter usw.

Neulich lud der Dichter Droste den Topterroristen in sein Benno-Ohnesorg-Theater, wo Till Meyer das Kapitel „Lorenz-Entführung“ aus seinen „Erinnerungen“ las: „Die Sprache der Guerilla ist die Aktion.“ Ich notierte: „Die durchgeladene Pump-Action auf Hüfthöhe im Anschlag“, „gib Gas“, „wir haben ihn“, „ich, die Kalaschnikow im Anschlag“, „Fragen stellen nur wir“, „In Berlin und Bonn traten die Krisenstäbe zusammen“ usw. Da war er wieder: der Neuköllner Rocker, statt Elvis-Tolle jetzt zwar schütteres Haar, aber ungebrochen. Deswegen will Stefan Aust ihn auch unbedingt halten: zwischen all den jungen, langbeinigen, blonden Pöselsdorf-Töchtern von öffentlich-rechtlichen Topjournalisten, die bei „Spiegel TV“ arbeiten und keine anderen Probleme haben als die Eigenarten ihrer polnischen Putzfrauen. Äußerst kritisch äußert sich dagegen Till Meyers ehemalige Kampfgefährtin Inge Viett über ihn und einige andere männliche Genossen in ihrer Biographie: Gerade ihre Cowboy- oder Rocker-Attitüden hätten so manche Aktion gefährdet. Sie standen sich damit gewissermaßen selbst im Weg. Dadurch dass der Bezirk jetzt von vielen Arabern bewohnt wird, haben diese männlichen Attitüden auch wieder Konjunktur in Neukölln.

Noch mal Neukölln

„Wir sind 16 Fäuste, / gegen dein ganzen Clan! / Das Ghetto kriegt fame, / wenn die Sekte, / Stress macht!“ (Die Sekte, Ansage Nr. 3)

Das vielbesungene „Ghetto“ – einst selbstverwaltetes Stadtviertel der Schwarzen als industrielle Reservearmee – hat sich, folgt man ihrem Erforscher Lois Wacquant, zu einem „Hyperghetto“ – für die „Überflüssigen“ – gewandelt und ist global geworden. Damit einher ging seine Inslamisierung und der Aufstieg des Hiphop bzw. Gangsta-Raps.

Für Wacquant sind die französischen „Banlieues“ jedoch keine Hyperghettos, sondern Armenviertel, in denen Franzosen, Araber und Afrikaner leben. Erst recht gilt dies z.B. für die Berliner Bezirke Kreuzberg, Neukölln, Wedding und Märkisches Viertel. Ausgehend von studentisch-parodistischen Kopien des pornographischen US-Gangsta-Rap in Hamburg und Stuttgart etablierte sich in Berlin ein „echter“ – weil „authentisch orientalischer – Gangsta-Rap, der bald alle anderen „Kunstformen“ an die Wand spielte. Ihm vorausgegangen war hier eine Medienkampagne, die gegen die drohende „Ghettoisierung“ in den o.e. Bezirken der neuen Hauptstadt berichterstattete. In ihren Songs nun präsentieren sich die Berliner Rapper, die inzwischen bei großen US-Musikkonzernen unter Vertrag stehen, als rauhe „Ghetto-Kids“, die die „Realität“ kennen – und voll rüberbringen: Knasterfahrung, Gang-Bangs, Arschficken, Schwulen-Bashing, Koks und Kunz.. Unter den Berliner Rappern gibt es allerdings Auseinandersetzungen darüber, wer von ihnen „authentischer“ ist, bzw. wer sich bloß „authentisch in Szene setzt“. Selbst der schwäbische Geschäftsführer ihres Kreuzberger Indenpendent-Labels besteht darauf, dass er nach einem Bruch in seinem Leben bzw. mit seinem Elternhaus nunmehr „authentisch lebt“. Dazu gehört auch das Prahlen mit vielen Sexualkontakten und großen Schwänzen, was feministisch gestimmte Musikkritiker regelmäßig als „spätpubertär“ abtun – wenn nicht gar in ihren „versautesten“ bzw. menschenverachtendsten Song-Varianten verbieten wollen.

Andere Kritiker verweisen dagegen auf einen ulkigen Widerspruch: Einerseits singt z.B. der „Hardcore-Rapper“ Bushido, der aus Tempelhof stammt und darauf besteht, aus der Unterschicht zu kommen, dass er derjenige sei, „der dich fickt, wenn die Sonne nicht mehr scheint, der pervers ist und Nutten vögelt…Und der euch alle tötet.“ Andererseits trit er dann beim Bravo-Open-Air „Schau nicht weg – Gegen Gewalt in der Schule“ auf. Seine Fans, die meist aus der „weißen Mittelschicht“ stammen, mögen darüber irritiert sein, nicht so MdB Omid Nouripour: Der Sprecher der Grünen Bundesarbeitsgemeinschaft MigrantInnen und Flüchtlinge begrüßte es ausdrücklich, „dass die Zeitschrift ‚Bravo‘ auf ihrem Antigewaltkonzert Bushido auftreten läßt, der in seinen Texten Gewalt verherrlicht.“ Und das nicht etwa um der Dialektik willen, sondern weil der Sänger nur so „seine Reime vom Anspruch der ‚Realness‘ entfremdet.“ Das sich selbst Entfremden als positiven Entwicklungsschritt, weil der aus der „Ghettorealität“ rausführt – in sagen wir harmlosere mitteleuropäische Mittelschichtvergnügungen rein. Bei Wikipedia gibt es für solch ein Fading-Away der „Realness“ den Übergangs-Begriff der „authentischen Inauthentizität“.

Demnach stünde der Berliner „Schwarzkopp-Macho-Hiphop“ derzeit auf der Kippe: Schmiert sich da ein folgsames Räderwerk ein oder bereitet sich eine Höllenmaschine vor? Der Spiegel recherchierte dazu bereits auf dem „Ghaza-Streifen“ – der Neuköllner Sonnenallee im Abschnitt zwischen Hermannplatz und Fuldastraße, die vor allem von Palästinensern bewirtschaftet und belebt wird. Dort wird nun angeblich „das Geschäft der Straße mit den Mittel der Straße geführt“. Der Spiegel-Reporter will sogar rausgefunden haben, dass der Gangsta-Rapper Bushido da seine Schutztruppe aus den Kreisen einer „Araber-Familie“ rekrutiert, die mit einem anderen „Clan“ dort verfeindet ist, der dem Gangsta-Rapper Massiv die Body-Guards stellt. Dann ließ seine Plattenfirma Sony BMG auch noch verlauten, Massivs Texte seien „authentischer als die von Bushido“ . Und „bei der letzten ‚Echo‘-Verleihung trafen sie aufeinander. Beide eskortiert von ihren Clans,“ schreibt der Spiegel. Gehört auch das noch mit zum Sich Entfremden vom Anspruch der ‚Realness‘ durch Anerkennung? Oder passiert da umgekehrt das, was der taz-Kritiker Martin Reichert beobachtete: „Man wanzt sich habituell an die Umgangsformen der niederen Stände heran, um Authentizität vorzutäuschen“?

Der Spiegel weiß jedoch: „Die Echo-Verleihung ging ausgesprochen friedlich ab, und doch ist die Veranstaltung in den Akten des LKA verzeichnet, als ein besonderes Vorkommnis.“ Nicht nur die Polizei hat die „Schwarzköpfe“ auf den „sozialen Brennpunkten“, ob sie nun rappen oder nicht, im Visier, auch die Presse diskutiert das „Phänomen“ geradezu herbei: „Ganz verliebt ins Ghetto-Klischee“, nannte taz-Autor Murat Güngör diese geballte mediale, polizeiliche und politische Aufmerksamkeit, die seiner Meinung nach nur bewirke, dass die Armut, die Arbeitslosigkeit und die fehlenden Bildungschancen in den „Einwanderervierteln“ ignoriert werden. Dem widerspricht der Spiegelreporter: Für ihn sind z.B. die „Hits“ des Gangsta-Rappers Sido „schockierende Bulletins“ aus der „Realität im Märkischen Viertel“. Und was ist „authentischer“ als ein Bulletin? Der taz gegenüber erklärte Sido, die Randale, die Spannungen im Kiez, das sei „kein Produkt von Hiphop, sondern Hiphop ist nur das Produkt der Verhältnisse“. Also gibt es im MV Elend und Unruhen?

„In seinen Texten beschreibt Sido eine Welt aus Gewalt und Drogen, schnellem Sex und schnelleren Autos,“ so faßt taz-Kritiker Thomas Winkler Sidos „Bulletins aus dem Märkischen Viertel“ zusammen. Zwar meint er damit nicht, dass es dort wirklich so abgeht, aber er attestiert Sido und den anderen Berlinern, ihre „Kombination aus Straßen-Authentizität, Party-Raps und harten Reimen“ komme den „originalen Vorstellungen“ des sozialkritischen amerikanischen „Conscious-Rap“ noch am nächsten. Die orientalischen Berliner Hiphopper kopieren den US-Rap also am perfektesten – und zwar den sozialkritischen. Ihr Kreuzberger Label „Aggro Berlin“ legt demgegenüber jedoch Wert auf die Feststellung, dass ihre „Musik die Realität hier schildere“. Das sieht auch der Spiegel so: „Wer Sidos Songs hört, merkt schnell: Es sind weniger die schmutzigen Wörter, die iritieren, sondern es ist der Blick auf eine brutale Wirklichkeit“.

So führt der maskierte Rapper in einem Stück auf dem Album „Maske“ seine „Zuhörer wie ein Fremdenführer durch seinen ehemaligen Wohnblock im Märkischen Viertel, dem berüchtigten Trabantenviertel im Norden Berlins: Der Hausmeister im 1. Stock ist ein Ex-Sträfling und bessert sich sein Geld mit Pornofotos auf. Im Stockwerk 12 wird mit Falschgeld hantiert. Auf der 4. Etage lebt ein Drogenwrack. Und ganz oben riecht es streng – denn da hängt ein Toter.“ Wers glaubt wird selig. Unter Realität wird im Allgemeinen die Gesamtheit des Realen gefasst, wobei real das ist, was auch außerhalb des Denkens existiert. Sehen wir einmal von so radikalen Konstruktivisten wie Heinz von Foerster ab, der sich auf einem Dahlemer Symposium zu der Behauptung verstieg: „Es gibt keine Realität!“ Wenn man jedoch mitbekommt, wie die Bürgerpresse ihre Berliner Ghettoreportagen zusammenhaut und gleichzeitig den Rapsongs der Berliner Hiphopper über Drogen, Gewalt, schnelle Ficks und noch schneller Autos – beinharte „Realness“ attestiert, möchte man dem Konstruktivisten glatt zustimmen. So oder so kann man damit aber eine Existenz begründen, die aus der Klammheit herausführt, deswegen sollte man die Berliner „Realität“ und wie sie besungen wird, vielleicht als „wishfull thinking“ begreifen, was auch die ewigen fordernden „Berlin-Berlin“-Rufe des Publikums auf den Rapveranstaltungen erklären würde.

Das Kreuzberger Prinzenbad

Die taz-Autorin Antonia Herrscher hat kürzlich einige “Pressestimmen” über das Prinzenbad aufgegriffen:

Arschbomben mit Migrationshintergrund

Die Zeitungen berichteten die ganze Woche von Rüpeleien im Prinzenbad. Dem Sommerloch geschuldet, hängte man sich an einen Artikel im Berliner Kurier vom 7. August ran, in dem von „Sex-Anmachen übelster Sorte“ und schwerer Randale die Rede war: „Es ist immer das Gleiche. Den Ärger haben wir mit den Türken und Arabern.“, wurde der Badebetriebsleiter zitiert. Am 8. hieß es: Die ersten Politiker fordern, das Bad trocken zu legen. Der Innen- und Sicherheitsexperte der CDU Kurt Wansner glaubt, dass könne „bei den Machos einen Denkrozess anregen“. Der Kreuzberger CDU-Chef Wolfgang Wehrl kennt sich auch im Prinzenbad gut aus und sagt: „Das Maß ist voll!“, er behauptet: „Frauen trauen sich da kaum noch hin.“ Im Tagesspiegel nimmt der Autor des Buches “Prinzenbad – 50 Jahre Eintauchen in Kreuzberg” Matthias Oloew seine rosa Brille ab: „Das Bad droht zu entgleiten“, die Stammschwimmer würden aufgrund der Rüpeleien von „Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ zum schicken Badeschiff nach Treptow abwandern. Auf der Namensliste für Hausverbote, fänden sich 83 Personen, davon 81 mit „türkischen oder arabischen Migrationshintergrund“. Wen wundert das in Kreuzberg? Die Berliner Zeitung titelt am 9. August: „Planschen, pöbeln und prügeln. Im Kreuzberger Prinzenbad sorgen Jugendliche für Ärger“ und halten so das Thema warm.

Heute Morgen nun sitze ich mit meinem Istanbuler Freund Doruk am Beckenrand in der Sonne und wir wundern uns. Im Bad befinden sich mehr Journalisten als Badegäste und zusätzlich Polizisten in Badehose, „um sich ein Bild zu machen“. Im schmeichelhaften Licht der Nachmittagssonne wird der Badeleiter fotografiert. Dem Schwimmmeister an unserem Becken folgt eine Jungjournalistin mit Riesensonnenbrille während sich ihre Kollegin mit einem Monsterobjektiv auf die Suche nach Arschbomben mit Migrationshintergrund macht. Ein weiterer Journalist mit Kamera strebt zielbewußt dem Aussichtspunkt am großen Becken entgegen. Mittlerweile hat sich das Bad mit den „Spätschwimmern“ gefüllt. Hier, wo „junge Frauen keinen Schritt tun können, ohne dumm angequatscht zu werden“ (Tagesspiegel), bevölkern nun vor allem Oben-Ohne-Sonnenanbeterinnen die Terasse am Kaltbecken. Die Jugendlichen nehmen davon wenig Notiz. Nur hin und wieder springt der Bademeister für die Jounalistin auf, um etwa einen Jungen zu schelten, der mit seiner klatschnassen Badehose über die anderen Gäste hüpft.

Ich versuche mich krampfhaft zu erinnern, ob ich jemals eine „Vollverschleierte“ baden gesehen habe, was hier laut „politikforen.de“ an der Tagesordnung ist, kann mich aber nicht erinnern. Neben uns versammeln sich immer mehr „Schwarzköpfe“ im Alter zwischen 8 und 12 vor zwei Handtüchern und tropfen dabei auf meine Tasche. Ich fühle mich irgendwie bedroht. Habe aber beruhigenderweise einen wehrhaften Osmanen dabei.
„Ich finde es ja selber doof.“, sagt Doruk „Selbst in unserem eigenen Land fühlen wir uns wie die weiße Minderheit unter einer Mehrheit von Negern. Die schlimmsten Probleme haben wir aber mit den Arabern. Sie verstehen unsere Kultur nicht.“

Ich erinnere mich daran, dass im Sommer 2004 die Kopftuchträgerinnen und das Grillen im Park, ganz besonders bekopftuchtes Grillen im Park, das Sommerloch in Berlin füllte. Als ich im Jahr darauf nach Istanbul kam, bestimmten das Kopftuchverbot und das Grillen im Park auch dort die Schlagzeilen. Das alte Bürgertum und die neue Mittelschicht der Stadt sahen sich einer Flut von Migranten mit bäuerlichem Hintergrund gegenüber, die immer selbstbewußter die öffentlichen Räume der Stadt besetzte. Als im Sommer 2005 nach einer Unterbrechung (aus Umweltgründen) von mehreren Jahrzehnten die Strände İstanbuls wieder eröffnet wurden, geschah genau das, was ein Stadtverwalter einmal mit folgenden Worten auf den Punkt brachte: „Das Volk erstürmte die Strände, die Bürger konnten nicht baden“. Auf der einen Seite die Bürger, auf der anderen das lästige Volk, das, was Doruk als Neger bezeichnete.

Wann immer in der deutschen Presse von Straftaten oder auch nur Ordnungswidrigkeiten berichtet wird, darf der Hinweis auf die Herkunft nicht fehlen. In politisch korrekter Weise wird dann von Migrationshintergrund gesprochen. Laut dem Stadtforscher Tom Hayden hat sich in den USA der Begriff „Kriminelle“ als Codewort für Rasse durchgesetzt. „Das Rassenproblem, dass einst viele Sympathien der Mittelschicht erhielt, ist nun rhetorisch in ein Kriminalitätsproblem verwandelt worden“ (Süddeutsche Zeitung). Kreuzberg ist ein Migrationsbezirk. Das ist er seit seiner Gründung in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts, als die Stadt aufgrund des Zuzugs dringend benötigter Arbeitskräfte, Wohnraum zur Verfügung stellen mußte. Armut, Arbeitslosigkeit, häusliche Enge und geringes Bildungsniveau haben hier Tradition.

Wenn Politiker immer wieder auf die ausländische Herkunft sozialer Probleme in der Stadt hinweisen, ist dies vor allem als ein Spaltungsversuch zu verstehen. Da ist das Volk ohne (Frühschwimmer-) Kultur und hier sind wir Bürger und können nicht baden. Die Presse, die sich als Sprachrohr der Mittelschicht versteht, schreibt diesen Äußerungen hinterher. Und ist erst eine Unwahrheit niedergeschrieben, wird zitiert. An den sozialen Problemen der angesprochenen Jugendlichen, zeigt sie sich gänzlich desinteressiert.

Gleichzeitig ziehen immer mehr „Besser-Verdienende“ in den Bezirk und tragen zu einer Umstrukturierung des öffentlichen Raumes bei, wie sie etwa am Oranienplatz in Kreuzberg zu beobachten ist. Auf der Webseite des überengagierten Bürgervereins Luiesenstadt e.V. ist zu lesen, dass man sich wünscht, endlich wieder deutsche Rentner auf dem Platz anzutreffen. Die finden die sanierte Variante übrigens wirklich prima. Die mit türkischem Migrationshintergrund bevölkern zahlreich die Bänke entlang der Hauptachse. Etwas schattiger mögen es die Biertrinker ohne Migrationshintergrund unter den Bäumen.

Das Prinzenbad mit seinen großzügigen Schwimmbecken und Wiesenflächen ist aus heutiger stadtplanerischer Sicht purer Luxus. Zudem zahlt ein Großteil der Gäste nur das Sozialticket. Die Kosten für den Betrieb kommen nicht ausreichend wieder rein. Als die Anlage in den 50er Jahren geplant wurde, sollte sie ganz praktische Probleme lösen: 80 Prozent der Kreuzberger Bevölkerung lebte in beengten Verhältnissen ohne eigenes Bad. Bis 1975 unterstanden die Bäderbetriebe als Einrichtungen der Volkshygiene dem Gesundheitsamt, danach der Sportverwaltung.
Heute sieht der Bezirk sich vor allem ökonomischen Problemen gegenüber. Viele Familien sind von Armut und sozialem Abstieg bedroht.

„Bei den Kindern arabischer Herkunft ist es am schlimmsten.“ erklärt mir Hadi (Migrationshintergrund, iranisch), der zu den Stammschwimmern des Prinzenbades zählt. „Zuhause hören sie ständig die Eltern von Abschiebung reden, dann kommen sie hierher und können sich nicht einmal ein Eis leisten. Natürlich sind die frustriert. In den Herren-Duschen gibt es oft Ärger. Viele haben keine Ausbildung, und in unserer Gesellschaft keine Persepektive. Nun will man sie auch hier abschieben. Aber das Problem ist damit nicht gelöst. Es ist dann vor der Tür. Und was ist das für eine Gemeinheit mit dem „Migrationshintergrund“? Das sind doch Kreuzberger Bürger.
Manchmal glaube ich, die wollen die große Wiese abteilen, und dort vielleicht einen Mini-Golf-Platz einrichten oder so. Deshalb wird jetz so ein Wind gemacht. Das kommt denen gerade recht. Was soll denn aus uns allen werden, wenn die das hier dicht machen? Es gibt ein islamisches Sprichwort: Wegen eines Alkoholikers macht man nicht gleich die ganze Moschee zu.“

Im Juni berichtete die Berliner Zeitung, dass die Bäderbetriebe hier für Touristen Schlafboxen aufstellen wollen. 5 Boxen wurden bereits produziert: „Wenn alles klappt, sollen die Boxen noch in diesem Jahr aufgestellt werden. Das wünscht sich jedenfalls Bäderchef Klaus Lipinsky. Er hat bei verschiedenen Bezirken angefragt, in Friedrichshain-Kreuzberg war die Resonanz positiv. Deshalb soll das Projekt zuerst im Prinzenbad verwirklicht werden. “Das ist ideal, denn es ist das einzige Freibad mit U-Bahn-Anschluss und hat Kultstatus”, freut sich Lehner. Er versucht zusammen mit den Bäderbetrieben jetzt beim Bezirk eine Genehmigung zu bekommen – was nicht ganz einfach ist. Bäder sind im Flächennutzungsplan als Sportflächen ausgewiesen und eine Bebauung deshalb nicht möglich. “Man muss das irgendwie geschickt beantragen”, so Lipinsky.“
Marzahn

Einmal befanden sich die Jugendlichen des Freizeit-Clubs „Wurzel“ in Marzahn-West auf Fahrradtour nach Stralsund. Unterwegs erfuhr Ost-Mitarbeiter Ralph aus der Zeitung, daß sein angeblich schon seit längerem geschlossener Club nunmehr einem „Skin-Projekt“ zur Verfügung gestellt worden war, unter der Leitung des Westberliner Sozialpädagogen Michael Wieczorek. Dieser hatte zuvor als „Streetworker“ im benachbarten Falkenberg ein „Videoprojekt mit Skins“ geleitet, das dann, seiner Meinung nach durch einen diffamierenden RTL-Bericht, gestorben war. In Marzahn hat die PDS 3.000 Mitglieder, etliche machten sich auch einen Kopf über die Verrohung der Sitten unter den dortigen Jugendlichen. Ihnen verriet Wieczorek: „Ich will in die ,Wurzel‘, die ist sowieso immer geschlossen“ (außerdem lief seine ABM-Stelle gerade aus!).

Er schaffte es dann über einen SPD-Überläufer, der zur Belohnung Jugendamts-Direktor in Marzahn geworden war. Dessen Frau hatte sich zur gleichen Zeit mit einer sozialpädagogischen Fortbildungsstätte selbständig gemacht, wo u.a. auch der Ehemann Kurse abhielt. Diesem „Projekt“ half der Verband für sozialkulturelle Arbeit, verzahnt mit dem in Marzahn sehr aktiven Westberliner Sozialpädagogischen Institut (SPI) der Arbeiterwohlfahrt.

Der Jugendamts-Direktor gab dafür dem SPI die „Wurzel“, die dann Streetworker Michael reinholte, dazu noch eine weitere feste Stelle sowie fünf Honorarkräfte, zwei Kleinbusse und 100.000 DM Sachmittel jährlich – zur Betreuung von 15 Skinheads. Finanziert wurde und wird der ganze Spaß drei Jahre lang vom Familienministeriums-„Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt“, kurz „Gewalt-Topf“ genannt. Das funktioniert überall so in der Ex-DDR: Wenn man nach oben duckt und nach unten tritt – Ausländerheime abfackelt, Punks zusammenschlägt, zum Baseball-Schläger greift… bekommt man qualifizierte Betreuung, Clubhäuser, Videoanlagen, fette Sachmittel, Reisen in die Sahara und die USA und dann auch noch eine gute Presse. In einigen Orten, in Eisenach z.B., gibt es nur noch Clubs und Gelder für Neonazis, für normale und linke Jugendliche gar nichts! Wenn letztere, wie in Kreuzberg, sich jedoch zusammenreißen und anfangen, nach oben, gegen Entmieter z.B., zu treten, dann organisiert und finanziert der Innensenator höchstselbst eine Bürgerabwehr-Truppe, die er auch noch ironisch „Solidarpakt der Opfer“ nennt.

Wurzel-Sepp Wieczorek, der sich erst, als West-„Linker“, an die Ost-Linken im Bezirksamt ranschleimte, macht jetzt, nach finanzieller Absicherung seines „Projekts“, ebenfalls Front gegen Punks und Antifas – und scheut dabei nicht vor dreisten Lügen zurück. In seinem „Praxisbericht“ für SPD-Jugendsenator Krüger schreibt er z.B. über eine Kreuzberger „Kampfdemo“ in Marzahn: „Die etwa 350 türkischen, ,autonomen‘ Jugendlichen waren mit Äxten, Schlagwerkzeugen und Pistolen gerüstet.“ Da stimmt nix: Ich war selber dort, es wurde nichts „zerstört“ und niemand „verängstigt“.

Seine Kurzzeit-Streetworker- Hilfskraft Inge setzte später in der FR noch einen drauf: „Die PDS organisiert Demos gegen die Wurzel.“ Das ist nun schier infam, denn ausgerechnet die PDS- Abgeordnete Bettina Pech half und hilft immer wieder Marzahner Skins, und auch die PDS- Stadträtin Margrit Barth unterstützt diesen Neonazi-Resozialisierungs-Luxusmuff geradezu selbstlos. Dabei hat sich an diesem Punkt mit der Wende nichts geändert: Wie Heiner Müller neulich ausführte, „wurden die Skinheads früher von der Stasi hofiert und gegen die Punks benutzt“. Diese Strategie wird jetzt von der hier herrschenden SPD- Sozialmafia bloß verfeinert.

befanden sich die Jugendlichen des Freizeit-Clubs „Wurzel“ in Marzahn-West auf Fahrradtour nach Stralsund. Unterwegs erfuhr Mitarbeiter Ralph aus der Zeitung, daß sein angeblich schon seit längerem geschlossener Club nunmehr einem „Skin-Projekt“ zur Verfügung gestellt worden war, unter der Leitung des Westberliner Sozialpädagogen Michael Wieczorek. Dieser hatte zuvor als „Streetworker“ im benachbarten Falkenberg ein „Videoprojekt mit Skins“ geleitet, das dann, seiner Meinung nach durch einen diffamierenden RTL-Bericht, gestorben war. In Marzahn hat die PDS 3.000 Mitglieder, etliche machten sich auch einen Kopf über die Verrohung der Sitten unter den dortigen Jugendlichen. Ihnen verriet Wieczorek: „Ich will in die ,Wurzel‘, die ist sowieso immer geschlossen“ (außerdem lief seine ABM-Stelle gerade aus!).

Er schaffte es dann über einen SPD-Überläufer, der zur Belohnung Jugendamts-Direktor in Marzahn geworden war. Dessen Frau hatte sich zur gleichen Zeit mit einer sozialpädagogischen Fortbildungsstätte selbständig gemacht, wo u.a. auch der Ehemann Kurse abhielt. Diesem „Projekt“ half der Verband für sozialkulturelle Arbeit, verzahnt mit dem in Marzahn sehr aktiven Sozialpädagogischen Institut (SPI) der Arbeiterwohlfahrt.

Der Jugendamts-Direktor gab dafür dem SPI die „Wurzel“, die dann Streetworker Michael reinholte, dazu noch eine weitere feste Stelle sowie fünf Honorarkräfte, zwei Kleinbusse und 100.000 DM Sachmittel jährlich – zur Betreuung von 15 Skinheads. Finanziert wurde und wird der ganze Spaß drei Jahre lang vom Familienministeriums-„Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt“, kurz „Gewalt-Topf“ genannt. Das funktioniert überall so in der Ex-DDR: Wenn man nach oben duckt und nach unten tritt – Ausländerheime abfackelt, Punks zusammenschlägt, zum Baseball-Schläger greift… bekommt man qualifizierte Betreuung, Clubhäuser, Videoanlagen, fette Sachmittel, Reisen in die Sahara und die USA und dann auch noch eine gute Presse. In einigen Orten, in Eisenach z.B., gibt es nur noch Clubs und Gelder für Neonazis, für normale und linke Jugendliche gar nichts! Wenn letztere, wie in Kreuzberg, sich jedoch zusammenreißen und anfangen, nach oben, gegen Entmieter z.B., zu treten, dann organisiert und finanziert der Innensenator höchstselbst eine Bürgerabwehr-Truppe, die er auch noch ironisch „Solidarpakt der Opfer“ nennt.

Wurzel-Sepp Wieczorek, der sich erst, als West-„Linker“, an die Ost-Linken im Bezirksamt ranschleimte, macht jetzt, nach finanzieller Absicherung seines „Projekts“, ebenfalls Front gegen Punks und Antifas – und scheut dabei nicht vor dreisten Lügen zurück. In seinem „Praxisbericht“ für SPD-Jugendsenator Krüger schreibt er z.B. über eine Kreuzberger „Kampfdemo“ in Marzahn: „Die etwa 350 türkischen, ,autonomen‘ Jugendlichen waren mit Äxten, Schlagwerkzeugen und Pistolen gerüstet.“ Da stimmt nix: Ich war selber dort, es wurde nichts „zerstört“ und niemand „verängstigt“.

Seine Kurzzeit-Streetworker- Hilfskraft Inge setzte später in der FR noch einen drauf: „Die PDS organisiert Demos gegen die Wurzel.“ Das ist nun schier infam, denn ausgerechnet die PDS- Abgeordnete Bettina Pech half und hilft immer wieder Marzahner Skins, und auch die PDS- Stadträtin Margrit Barth unterstützt diesen Neonazi-Resozialisierungs-Luxusmuff geradezu selbstlos. Dabei hat sich an diesem Punkt mit der Wende nichts geändert: Wie Heiner Müller neulich ausführte, „wurden die Skinheads früher von der Stasi hofiert und gegen die Punks benutzt“. Diese Strategie wird jetzt von der hier herrschenden SPD- Sozialmafia bloß verfeinert.

Aber wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch

Nachdem Nationalsozialismus und Krieg den „Roten Wedding“ nahezu platt gemacht hatten, entstand in den Siebzigerjahren mit Thaibordellen und Bumstourismus ein „Gelber Wedding“. Beide siechten zuletzt fast gemütlich vor sich hin – bis die wende- und globalisierungsbedingte Verarmung auch noch die Reste davon vertrieb. Eine Zeit lang geisterte der Bezirk, namentlich der Kiez nördlich der Bornholmer, als neuer „Slum“ durch die Presse. Aber auch hier, wie überall im Wedding, und das nicht erst seit gestern, gibt es viele unspektakuläre, dafür aber umso wirkungsvollere Basisinitiativen.

Die neueste stammt von Jens Hettwer, einem Hörgeräteakustikmeister, der 1980 in der Holländerstraße am Schäfersee sein erstes Fachgeschäft eröffnete. Hettwer ist in zweiter Ehe mit der türkischstämmigen Fatma verheiratet. Er hat zwei erwachsene Söhne aus erster Ehe und sie zwei fast erwachsene Töchter. Nachdem die beiden sich zusammengetan hatten, wurde die türkische Sprache für Herrn Hettwer langsam zur zweiten Heimatsprache.

Vor einem Jahr eröffnete er überdies in der Stettiner Straße ein zweites Hörgerätegeschäft speziell für türkische Kunden. Teile der Einrichtung kamen aus Istanbul, und es wurden zwei türkischsprachige Mitarbeiter eingestellt. Fast könnte man bei Jens Hettwer von einer umgekehrten Integration sprechen, seine neun Angestellten würden dies bestätigen.

Von einem befreundeten Schweizer Lehrer erfuhr das Ehepaar unlängst von einer Tagesschule für körperlich und geistig Behinderte in der Türkei – in Anamur -, dem die Schließung drohte, weil die Schüler dort mit Bussen aus den Dörfern abgeholt werden und es dabei Transportprobleme gab: nämlich aus Geldmangel nicht genug Sprit. Um diesen Mangel zu beheben, eröffneten die Hettwers ein Spendenkonto und initiierten eine „Deutsch-Türkische Festwoche“ – mit einer großen Tombola, deren Gewinne türkische und deutsche Geschäftsleute spendeten: ein Reisebüro z. B. eine Flugreise nach Istanbul – was dann der 1. Preis wurde (die insgesamt 50 Sponsoren rückten 100 Gewinne raus, es gab keine Nieten!). Dazu kamen dann noch Werbemaßnahmen – wie Plakate, Fähnchen für die Sonnenblumenkerne kauenden Kinder auf der Straße, ein türkisches Musiktrio, eine Bauchtänzerin aus Reinickendorf, „Hörtest-Aktionstage mit kostenlosem Hörgeräte-Check“, ein Fass „Eschenbräu“, hergestellt vom Weddinger Braumeister Martin Eschenbrenner, und ein üppiges Buffet, für das allein Frau Hettwer drei Tage lang Essen zubereitete.

Die Verlosung fand am letzten Tag in und vor dem Geschäft in der Stettiner Straße statt – inmitten eines gelungenen türkisch-deutschen Mix, wobei die Deutschen großenteils aus Altweddingern mit Hörproblemen bestanden, was sie jedoch nicht daran hinderte, laufend schnoddrige Bemerkungen zu machen. „Mutter, da kannste jets mittanzen!“, rief einer, als die Bauchtänzerin Daniela dran war. Die Zahnarztassistentin tanzt übrigens normalerweise nur im Winter, weil sie im Sommer Hochseejachten von der Ägäis in den Atlantik überführt.

Dann gab es da noch „Den Debattierer“, einen Kfz-Schlosser, der auf Ferraris spezialisiert ist – und nur reden, aber kein Los kaufen wollte. Ferner einen dicken Tombolagewinner, der mir erklärte: „Ich hab mir och so ’ne Lauscher hier jekooft. Aber ick vertrach se nich. Is war, weil meene Olle imma gesacht hat: ,Mensch, musste den Fernseher so laut machen?!‘ “

Von Herrn Hettwer erfuhr ich dann noch, dass die Hörprobleme zunähmen – aufgrund der vielen Alten. 14 Millionen Hörgeschädigte gebe es bereits in Deutschland, „aber nur 1,5 Millionen tragen bisher ein Hörgerät“. Somit gebe es also noch viel zu tun für ihn, wären die Weddinger nicht „durch ständig neue Reformankündigungen aus der Politik so verunsichert, dass sie ihr Geld lieber in der Tasche lassen“.

Auch seine „Alman-Türk-Senligi Haftasi“ könnte sich zu einer regelmäßigen Einrichtung entwickeln, zumal er im nächsten Jahr sowieso 25-jähriges Geschäftsjubiläum feiert. Das Ehepaar Hettwer will jedoch erst mal die nachbarlichen Reaktionen abwarten (etwa per E-Mail an berlinakustik@aol.com) – und sich ansonsten von dem Stress erholen (siehe: www.fatma.biz).


Mein Laden

Der berüchtigste unter den berüchtigten sozialen Brennpunkten ist die Gegend um die Soldiner Straße im Wedding – glaubt man der bürgerlichen deutschen Schweinepresse. Die ukrainische taz-Autorin Lilli Brand hat eine zeitlang dort gearbeitet – und kürzlich ihre Erfahrungen aufgeschrieben:

Die Soldiner Straße im Wedding wird seit einigen Jahren immer wieder in den Medien erwähnt, da die Gegend laut Wikipedia „den Ruf hat, ‚kriminell‘ und ‚unzähmbar‘ zu sein“. Sie bekam dann ein „Quartiers-Management“ und eine Quartiersschreiberin verpaßt, außerdem erschien ein Buch über die Soldinerstraße. Ich bekam 2006 von meinem Freund Ali das Angebot, mit ihm zusammen bei seinem arabischen „Bruder“ Mahmut in dessen Lebensmittelladen in der Soldiner Straße einzuspringen. Dort war zuletzt einiges schief gelaufen, u.a. hatte der türkische Angestellte angeblich arg in die eigene Tasche gewirtschaftet und den Laden immer mehr vernachlässigt. Als Ali und ich an einem Montag um 7 Uhr früh anrückten, kamen wir nicht rein: Jemand hatte das Schloß ausgewechselt. Während ich erst einmal eine rauchte, ging Ali ins Internetcafé nach nebenan, um mit dem Besitzer zu telefonieren. Plötzlich umringten mich drei türkische Frauen und zwei Männer und redeten wild auf mich ein. Die älteste hielt mir ein paar Zettel vor die Nase. Ich verstand nicht genug Türkisch, so dass eine der jüngeren Frauen für mich übersetzen mußte: Es ging darum, dass der Laden sowie auch die Strom- und Wasserversorgung auf ihren Namen angemeldet waren und sie jetzt hochverschuldet dastand. Sie hieß Fatimah und war die Frau des Angestellten – Ömer. Er sei ein fauler Hund und ein Nichtsnutz, schimpfte sie, liege die ganze Zeit im Bett und trinke Bier. Sie war es auch gewesen, die das Schloß ausgewechselt hatte. Der Besitzer des Ladens sollte nun ihre Schulden bezahlen, sonst würde sie alle Verträge kündigen.

Ali hatte den Besitzer nicht erreicht, nur seinen Neffen, und der brauchte eine Weile, um vorbeikommen. Während wir noch vor dem Laden standen und beratschlagten, kam plötzlich Ömer an, der Angestellte, der noch gar nicht wußte, dass er dort nicht mehr arbeiten sollte. Wir stürzten uns alle auf ihn. Seine Frau, Fatimah, schlug mit ihrer Tasche auf ihn ein, die beiden jüngeren Frauen wurden von den Männern zurückgehalten. Ali bat Fatimah, den Laden aufzuschließen, um alles weitere drinnen zu besprechen.

Das Geschäft machte einen guten Eindruck: Es hatte einen großen Verkaufsraum mit großteils türkischen und arabischen Produkten, mehrere Kühlregale für Fleisch- und Milchprodukte, die jedoch fast leer waren, ein sonniges Büro, zwei Toiletten und einen geräumigen Keller mit Kühlraum. Alle Aggregate liefen auf vollen Touren, so dass es im Laden trotz der sommerlichen Hitze draußen angenehm kühl war. Dennoch erhitzten sich die Gemüter drinnen nur noch mehr – als der Neffe endlich kam. Er wußte jedoch von nichts und verwies immer wieder auf seinen Onkel Mahmut, der ihm nur gesagt hatte, dass Ömer entlassen sei und weil er so viel unterschlagen habe, kein Geld mehr bekomme, auch für die Schulden von Fatimah würde sein Onkel nicht aufkommen. Ömer verteidigte sich: Er sei immer ehrlich gewesen, aber weil die meisten Kunden so arm waren, hätte er ihnen ständig Kredit einräumen müssen. Den Neffen ließ das alles kalt. Ömers Frau trat schließlich den Rückzug an – mit den Worten „Wir sehen uns vor Gericht wieder!“ Gegen Mittag wurde der Strom abgestellt. Während wir noch unschlüssig im Laden herumsaßen und rauchten, kam Mahmut in seinem BMW vorgefahren. Er gab sich gelassen. Nachdem mein Freund ihm auf Arabisch alles geschildert hatte, bat er mich auf Deutsch,ihm zu helfen, den Strom auf den Namen seines Neffen anzumelden, wozu ich mich auch bereit erklärte. Weil ich keine Papiere dabei hatte, lieh er mir sein schickes Auto, damit ich sie zusammen mit seinem Neffen zu Hause abholte. Danach fuhren wir zu einer Vattenfall-Geschäftsstelle, wo der Neffe einen Vertrag unterschrieb. Mahmut hatte in der Zwischenzeit das Schloß erneut austauschen lassen.

Am nächsten Morgen machte ich mich zusammen mit meinem Freund Ali erst mal mit dem Warenangebot vertraut, gegen Mittag wurde auch der Strom wieder angestellt. Aber bereits am Nachmittag erklärte Ali mir, er langeweile sich im Laden und ich würde das auch alleine schaffen. Kurz vor Feierabend erschien Ömer, um seine persönlichen Sachen und Papiere abzuholen. Wir stritten uns noch mal kurz.

Zunächst kamen nur wenig Kunden, sie schauten sich im Laden um und gingen wieder raus – es war ihnen zu teuer. Das brachte mich auf die Idee, ein Plakat ins Schaufenster zu hängen: „Zur Neueröffnung 50% Rabatt auf Reis“. Das interessierte die Leute in der Soldiner Strasse. Einige kauften gleich mehrere 5-Kilosäcke: Ich nahm an dem Tag über 800 Euro ein. Im Nu war der Reis ausverkauft. Ich dachte mir daraufhin was Neues aus: „Beim Kauf von vier Packungen Halwa – zu 1 Euro 50 – eine Packung umsonst“. Auch das funktionierte gut. Bei einigen Dosen war das Verfallsdatum längst überschritten, so dass ich sie ebenfalls im Preis herabsetzte. Die Gewürze, Oliven und Tees, die mir zu teuer schienen, setzte ich mit dem Auspreiser runter. Schon bald wollten die Kunden alles zu einem niedrigeren Preis haben. Ich erklärte ihnen, dass es immer nur einige wenige Waren billiger gäbe – auf diese Weise mußten sie täglich – nach Sonderangeboten – vorbeischauen. Nach zwei Wochen fing ich bei einigen Kunden ebenfalls an, ihnen Kredit zu geben. U.a. bei einer Jugoslawin, die täglich vorbeikam. Sie war außerdem eine Art Ladenbotschafterin: Viele Leute saßen bei dem warmen Sommerwetter draußen in der Soldiner Strasse, tranken Tee und unterhielten sich. Die Jugoslawin ging – aus dem Laden kommend – immer von einer Gruppe zur anderen und erzählte allen, was es nun wieder „bei der Russin“ Neues gäbe. Manchmal schleppte sie sogar eine ganzen Gruppe von Frauen an, die alle bei mir einkauften. Dafür bat sie mich, anschreiben zu dürfen, außerdem bekam sie Süßigkeiten und Fladenbrote für ihre Kinder geschenkt. Die Brote wurden täglich angeliefert. Zwar hatte Ömer aus Rache alle Telefonnummern von den Lieferanten mitgenommen, aber diese meldeten sich nach und nach auch unaufgefordert – und lieferten mir soundsoviel Joghurts, Milchpackungen, Butter, türkischen Käse und Wurst etc..

Der Laden hatte draußen vor den Schaufenstern zwei Gemüseregale. Weil der Gemüselieferant noch Geld vom Ladenbesitzer zu bekommen hatte, wollte er mir keine neue Ware liefern. Mahmut, der mich im übrigen lobte – für meine Ideen, hatte mir gesagt, ich sollte keine Außenstände begleichen, sondern alle Lieferanten an den entlassenen Ömer verweisen. Beim Gemüse behalf ich mich deswegen damit, dass ich selber welches einkaufte – bei einem türkischen Gemüsehändler um die Ecke, das ich dann in „meinem“ Laden etwas teurer wieder verkaufte.

Neben dem Ein- und Verkauf mußte ich auch noch die Buchhaltung und die Kassenabrechnung machen. Wenn viele Kunden auf einmal im Laden waren, verlor ich manchmal den Überblick, zumal viele Frauen ihre Kinder mitbrachten, die mich mit ihren Süßigkeitswünschen durcheinander brachten, während die mit großen weiten Gewändern angetanen Mütter irgendetwas einsteckten. Ich muß hinzufügen, dass auch ich mich großzügig – aus der Kasse – bediente. Niemand kontrollierte mich und die „Bücher“. Meine Einahmen beliefen sich auf etwa 300 Euro am Tag. Das Geld gab ich abends meinem Freund Ali, der sich natürlich auch noch was davon abzwackte. Mahmut kam nur selten im Laden vorbei, und wenn, dann verschwand er gleich in seinem Büro, wo er manchmal auch schlief. Einmal kam er mit seiner Frau und seinen drei Kindern – und veranstaltete ein kleines Kinderfest vor dem Laden, d.h. er verteilte großzügig Süßigkeiten an alle Kinder in der Soldiner Strasse . Auch die Erwachsenen gingen nicht leer aus.

Zu meinen Stammkundinnen gehörte die Tochter eines Mullahs, die ihren Einkaufswagen immer mit Erfrischungsgetränken vollpackte – und dafür von mir Mengenrabatt bekam. Sie war nicht die einzige, die mich zum Übertritt in den Islam zu überreden versuchte, dazu arrangierte sie für mich ein Treffen mit ihrem Vater, der sehr angesehen war im Soldiner Kiez. Das war mir aber für den Anfang zu dicke, stattdessen begleitete ich jedoch meine jugoslawische Dauerkundin Mara, die mir inzwischen ans Herz gewachsen war und sogar Diebstähle im Laden verhinderte, an einem Freitag in die Moschee, die sich gleich nebenan befand. Weil ich dafür keine passende Bekleidung besaß, lieh sie mir ein grün-goldenes Kopftuch und dazu ein langes dunkelgrünes Kleid mit arabischem Strickmuster. Mir war anfangs etwas bange. Mara beruhigte mich: „Tu einfach alles, was auch die anderen Frauen machen, ich bin bei dir.“ Der Gottesdienst dauerte fast zwei Stunden, aber ich war – im Gegensatz zu den alten Frauen um mich herum – schon nach einer halben Stunden so fertig vom vielen Niederknien, dass ich nicht mehr hochkam. Und am nächsten Tag hatte ich einen derartigen Muskelkater, dass ich nicht zur Arbeit gehen konnte und das Geschäft zublieb.

Im Laden stand gleich hinter der Tür das Modell einer Moschee, von Kindern aus Holz hergestellt, in das man Spenden für den Bau einer neuen Moschee reintun sollte. Kaum einer der Kunden drückte sich, manche steckten sogar Geldscheine in den Schlitz, auch ich warf täglich ein paar Münzen rein. Einmal in der Woche kam ein Geistlicher und leerte die Spendenkasse.

Neben Mara freundete ich mich auch noch mit drei anderen Kundinnen an: Es waren Araberinnen, die stets ohne Kopftuch, stark geschminkt und körperbetont gekleidet waren. Sie genossen es, anders herumzulaufen als die meisten Soldinerinnen. Einmal luden sie mich zu sich nach Hause ein. Wir rauchten, tranken Tee und plauderten über die Religion sowie über den Kiez und die vielen, vernachlässigt wirkenden Kinder, die auf der Straße herumhingen und oft Unsinn im Kopf hatten. Daneben gaben die drei Frauen mir noch Tips, wie ich mehr Kunden in den Laden locken könnte.

Eines der Kinder kam oft zu mir: Er, Kemal, wollte unbedingt an die Kasse. Als ich es ihm einmal erlaubte, stellte sich heraus, dass er sie perfekt bedienen konnte und außerdem, wenn seine Freunde in den Laden kamen, dass er ihre Einkäufe noch genauer abkassierte als ich. Abends half er mir gelegentlich, die schweren Gemüsekisten reinzutragen und den Laden abzuschließen. Ein paar Mal begleitete ich seine Mutter zu seiner Schule, um ihr beizustehen und zu dolmetschen: Es ging darum, dass Kemal manchmal den Unterricht schwänzte – z.B. wenn seine Oma zu Besuch da war.

Das meiste, was ich verkaufte, war Reis, arabische und türkische Fladenbrote sowie stilles Wasser in Flaschen aus der Türkei. Selbst den ärmsten Soldinern war das deutsche Wasser aus der Leitung nicht rein genug, deswegen kauften sie täglich mindestens einen Sechserpack. Einer meiner Wasser-Großkunden, ein älterer Kurde, erzählte mir, dass der Laden vor Mahmut dem berühmt-berüchtigten Mahmout al-Zein gehört hatte. Seiner Meinung nach war al-Zein ein strenggläubiger, großzügiger und bescheiden auftretender Mensch. Einige andere widerum meinten, dass der Laden, als er noch in seinem Besitz war, einen schlechten Ruf hatte, weil dort angeblich jede Menge krumme Geschäfte gemacht wurden. Und daneben soll seine Familie noch Sozialhilfe kassiert haben. Nachdem man ihn verhaftet hatte – wegen Schutzgelderpressung, Drogenhandel und Körperverletzung, übernahm Mahmut seinen Laden in der Soldiner Strasse. Als ich dort anfing, gab es noch immer einige Waren – Puderzucker, Reisstärke etc.- mit dem Namen „Al-Zein“ drauf. Obwohl das Geschäft immer besser lief und ich immer öfter überfordert war, rentierte es sich kaum, so dass Mahmut den Laden verkaufen wollte, er fand nur keinen Interessenten bzw. nur solche, die auf bestimmte Einrichtungsgegenstände scharf waren. So wurde z.B. eines Tages der Fleischwolf und die Kühltruhe abgeholt.

Ich hatte noch eine weitere Jugoslawin als Kundin. Sie kam regelmäßig – meistens mit ihrer Tochter, die mir oft half: beim Saubermachen und Waren einräumen. Sie und ihr Mann besaßen ein Restaurant. Nachdem sie mitbekommen hatte, wie gut ich mit den Leuten im Laden klar kam, versuchte sie mich für ihr Lokal abzuwerben – als Kellnerin. Zwar fühlte ich mich auf der Soldiner Strasse wohl und es war auch eine gute Erfahrung, dort so ein Lebensmittelgeschäft zu schmeißen, aber nachdem Mahmut auch noch sämtliche Kühlregale auseinandergenommen und abtransportiert hatte, meldete ich mich – ebenfalls an einem Montag – im „Adria-Grill“ zu einem Vorstellungsgespräch. Vorher veranstaltete ich noch eine Art Ausverkauf: Es kamen sogar Kunden aus der Pank- und Osloer Strasse.

Was ist überhaupt eine „Mafia“ – und wie kommt sie z.B. bei den Russen zustande?

Zu Anfang war es nur ein Witz: Ira, Physikerin und Kinderbuchautorin aus Krasnojarsk, mit einem Kind, das aufs Jüdische Gymnasium geht, kam nicht mehr mit der Sozialhilfe hin und liebäugelte mit kleinen Geschäften nebenbei. Sie dachte dabei an eine Art Import-Export-Vermittlung. Als ihr Partner bot sich ein Schwager von der unteren Wolga an. Schon bald gingen ganze Lkw-Ladungen von Mahlsdorf nach Russland: „Na ja, zwei!“ Immer neue Großhändler, bis hinter den Ural, baten sie um Zusammenarbeit.

Einmal schaltete sie mich ein: „Recherchier das doch mal für mich – da kostet ein Putzmittel aus Bochum 2 Mark der halbe Liter, lass dir ein Angebot geben für eine größere Stückzahl.“ Auch und erst recht bei einem Freundschaftsdienst wollte ich gründlich sein und diskutierte zunächst mit einem abgewickelten Detergenzienforscher der DDR-Akademie der Wissenschaft die Waschkraft – das Preis-Leistungs-Verhältnis quasi. Über ihn gelangte ich an einen Köpenicker Neuunternehmer, der Reinigungsmittel auf Naturölbasis produzierte und große Mengen Sonnenblumenöl brauchte. Ira machte ihm daraufhin prompt ein interessantes Angebot von einer Ölmühle bei Saratow – frei Haus. Der Köpenicker beschäftigte einen Russlanddeutschen, dessen Frau gelegentlich den durchgehenden Zug Berlin – Saratow benutzte. Beim nächsten Mal baten wir sie, Ölproben aus der dortigen Mühle mitzubringen. Danach hing auch sie mit in Iras Geschäft drin. Es ging dabei stets um Prozente und Subprozente – um die Vermittlungsprovision.

Plötzlich bekam Ira einen Anruf aus Weißrussland: Sie sollte einem Kommunalbeamten beim Kauf von Parkuhren helfen. Wieder musste ich recherchieren. Ira wurde unterdes schriftlich zur Regierungsbeauftragten erklärt: „Allein kann ich das besser machen, dem Beamten geht es sowieso nur um seine Provision.“ „Bestechung?“ „Wie auch immer, findest du das unmoralisch?“ „Vom Beamten schon“. „Das ist in etwa auch die Linie des Bonner Wirtschaftsministeriums.“ Ich erschrak. Ira kam auf ihr Thema zurück: „Das Problem bei diesem Geschäft ist, wir brauchen erst einen Kredit von hier, um die Parkuhren zu bezahlen.“ „Ich bin nicht mehr kreditwürdig“. „Es geht um Millionen!“ „Wer ist wir?“ „Weißrussland!“ Ich fand tatsächlich einen japanischen Parkuhrenhersteller – er gehörte zu einem Konzern mit einer eigenen Bank für Kundenkredite. Und Ira fand einen russischen Emigranten, der perfekt Japanisch konnte.

Beim Türken in der Bismarckstraße trafen wir uns zu einem ersten Arbeitsgespräch. Wir waren zu sechst. Nach einigen Raki setzte sich der Wirt zu uns an den Tisch. Er erzählte, sein Bruder habe drei unverkäufliche Eigentumswohnungen in Treptow. Könnte man die nicht – möbliert – als Pension für durchreisende russische Geschäftsleute nutzen: 30 Mark pro Übernachtung? Ira wurde wieder nüchtern: „Wir sind im Geschäft, Mehmet!“

Um es kurz zu machen: Obwohl uns Mehmet einen Freundschaftspreis machte, mussten wir unser letztes Geld zusammenlegen, um die Zeche zahlen zu können. Einmal lieh ich Ira sogar noch 300 Mark für einen Leihwagen. Und laufend verschickten wir vom Einwohnermeldeamt für teures Geld abgestempelte Einladungen an potenzielle russische Geschäftspartner. Währenddessen verfolgte jeder für sich ruckartig alle andiskutierten Geschäfte weiter. Immer wieder kamen neue Anfragen dazu: Holz aus Karelien, Düngemittel aus St. Petersburg, Baustahl aus Perm…. Regelmäßig trafen wir uns bei Mehmet und auf dem Schmachtenhagener Bauernmarkt. Dann – aus Kostengründen – in Iras Kochnische, wo sich ihr neuer Freund aus Kiew, Fotograf und Zollexperte, gelegentlich dazusetzte. Nach einigen Wodka wurde dort aus unserem Euro-Pidgin langsam Küchenrussisch. Die Russlanddeutsche, Vera, sagte: „Meine Towarisch, Partner in Saratow, brauchen Getränkeabfüllanlagen für kleinen Likörflaschen, es muss aber schnell gehen, die Saison beginnt bald.“ Ira brauchte mich bloß noch anzugucken. Ich notierte es mir sofort. Mehmet hatte an jenem Abend seine Frau mitgebracht, eine Georgierin, die er gegen den Willen seiner Familie geheiratet hatte: Sie wollte endlich mal seine „Russen-Mafia“ kennenlernen – wir waren ihr „nicht ganz koscher“. Ira beruhigte sie: „Noch sind wir nicht so weit, erst muss ein Geschäft richtig unter Dach und Fach sein. Und die Provision auf unserem Konto.“ Alle nickten, auch die Georgierin: eine geborene Geschäftsfrau, wie sich dann herausstellte …

Aber dann kam der Sommer 98 und mit ihm die russische Wirtschaftskrise und der Rubelverfall. Alle Geschäfte verliefen im Sande. Die meisten Großhändler zogen sich zurück. Ich tröstete Ira: „Damit kommt vielleicht die einheimische Produktion langsam wieder auf die Beine. Es ist doch nicht normal, dass die selbst Butter und Joghurt aus Deutschland haben wollten.“ Aber Ira war untröstlich. Sie fuhr an die Ostsee mit ihrer Tochter. Als wir uns danach trafen, hatte sie sich wieder einigermaßen gefangen: Man hatte ihr eine ABM-Stelle gegeben. Genaugenommen war es eine HZA (Hilfe zur Arbeit), früher LKZ (Lohnkostenzuschuss) genannt. Sie hatte in dem „Kulturprojekt“ bereits einige nette Kolleginnen kennengelernt. Ihnen hatte man allen IDA-, also Integration-durch-Arbeit-Stellen verpasst, da sie meistens schwänzten, hießen diese Integrationsmaßnahmen auch NIDA. „Man endet doch immer wieder im Sozialismus“, meinte Ira lachend. Ich machte daraus später – für 330 Mark – eine Geschichte: „Die lachende Sibirierin“.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/08/23/zonen-der-barbarei/

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kommentare

  • Hier die Schilderung der Gerichtsverhandlung gegen Markus Mohr – von taz-Autor Christoph Villinger:

    Viel zu lachen gab es gestern im Amtsgericht Tiergarten. Eine Staatsanwältin warf dem Autoschlosser und Doktor der Politologie Markus M. (43) schweren Landfriedensbruch vor, weil er am 6. Juli 2002 gemeinsam „mit etwa 20 weiteren Personen“ das Prinzenbad in Kreuzberg „ohne zu bezahlen“ gestürmt habe. Über 200 Menschen hatten vor dem Bad gegen die Erhöhung der Eintrittspreise protestiert.

    Den Vorwürfen von „Gewalt aus einer Menschenmenge heraus“, „Wasserbomben“ und einem „Megafon als Waffe“ hielt der Angeklagte lange Ausführungen zur Geschichte und sozialen Bedeutung dieses „multikulturellsten Bades der Welt“ entgegen. Am Ende stellte Richter Frigge im Einvernehmen mit allen Verfahrensbeteiligten das Verfahren ein. Einzige Auflage: Markus M. muss der Forschungsgesellschaft für Flucht und Migration 600 Euro zahlen. Außerdem verzichtete M. auf Entschädigung für 13 Tage Untersuchungshaft seit Ende April.

    Die gestrige Verhandlung war bereits der dritte Anlauf zum Prozess. Der erste Versuch Anfang März scheiterte, weil sich viele Zuschauer ebenfalls angeklagt fühlten und auf die Anklagebank drängten. Richter Frigge ließ den Saal räumen. Damit war allerdings auch der Angeklagte entschwunden.

    Um eine Wiederholung zu verhindern, setzte das Landgericht M. Ende April per Haftbefehl in der JVA Moabit fest. Und Richter Frigge hatte beim zweiten Anlauf am Mittwoch letzter Woche die praktische Idee, alle Zuschauerplätze mit einer Schulklasse zu besetzen. M.s Verteidiger Sven Lindemann stellte einen Befangenheitsantrag wegen dieser „gezielte Manipulation der Öffentlichkeit“. Der Angeklagte nutzte eine Sitzungspause, um 22 Neuntklässlern aus Wittenau seine Sicht der Welt zu schildern, während seine ausgesperrten Freunde „1, 2, 3, lasst die Klasse frei“ forderten. Richter Frigge verschob den Prozess um eine weitere Woche.

    Gestern nun konnte der Angeklagte endlich nach seinen Personalien gefragt werden. Vielleicht heiße er Michael Wildenhain oder Sven Regener, orakelte der Angeklagte und erging sich in langen Ausführungen zur Bedeutung des Prinzenbads in den Romanen der beiden Schriftsteller. Am Ende outete er sich als Markus M., „1962 kurz nach der großen Sturmflut an der Nordseeküste geboren“, Inhaber des „Jugendschwimmers“. „Statt mitzuschwimmen und abzusaufen, gilt es gegen den Strom zu schwimmen und damit sich frei zu schwimmen“, sagte M. und ließ unter Szenenapplaus des Publikums die Geschichte des Prinzenbads seit seiner Eröffnung 1953 Revue passieren. Auch der Richter und die Staatsanwältin konnten oft ein Schmunzeln nicht verbergen. Entschieden wandte sich der absichtlich in seiner blauen Gefängniskluft vor Gericht erschienene Angeklagte gegen die üblichen Ausreden, „nur zufällig vorbeigekommen, reingerissen worden usw.“. Warum solle er sich dafür schämen, umsonst in das Prinzenbad zu wollen. An diesem Tag griffen Leute „mit Wasserbomben und Wasserpistolen“ den Kassenbereich an, „völlig egal, ob ich nun als konkrete Person dabei war oder nicht“.

    Diese Frage interessierte mehr den Richter und die Staatsanwältin, aber auch in der anschließenden Beweisaufnahme konnte sie nicht geklärt werden. Wirklich gesehen hatte der einzige Belastungszeuge, ein 50-jähriger Badebetriebsleiter, wenig. Zwei ebenfalls als Zeugen geladene Polizisten stellten den „Sturm aufs Prinzenbad“ in einem realistischen Rahmen dar. Dagegen hatte der Badebetriebsleiter richtig erkannt, „die wollten alles, BVG, Strom, Freibad, alles umsonst, bloß nicht arbeiten“.

  • Unser Lieblingsautonomer Markus Mohr, nunmehr leider nicht mehr in Berlin, sondern in Hamburg lehrend, wurde gebeten, ebenfalls etwas über das Kreuzberger Prinzenbad zu schreiben, er wollte aber erst einmal darüber diskutieren – schickte jedoch vorab schon mal seine „Prozeßerklärung“, die er einst vor dem Moabiter Gericht abgab, wo er sich wegen einer Aktion von Prinzenbadbesuchern gegen eine Eintrittsgelderhöhung verantworten mußte.

    Hier seine Erklärung:

    „Im Prinzenbad spielt die Musik, hier muss man sich blicken lassen.“

    Was lehrt uns der derzeitige ganz offenkundig völlig ungerechte und unfreie Lauf der ganzen Welt?

    Mitschwimmen? Untergehen? Absaufen? Ach was!
    Dagegen schwimmen! Frei schwimmen! Nicht dumm werden! Glücklich sein!
    Ach, lass´ uns baden gehen / In Menschmengen zwängen, / in der Schlange stehen /
    Uns auf engen Hängen drängen / und den Himmel sehen! / Ach was, komm` mit, lass´ uns baden gehen!

    Die Strafverhandlung hier vor dem Amtsgericht soll nun herausfinden, ob es sich bei mir – d.h. den Delinquenten – um einen gewieften, heimtückischen vielleicht sogar zu stumpfer zutiefst menschenverachtender Gewalt fähigen Straftäter handelt. Wohl an: „War er´s denn nun oder nicht?“, lautet hier die alles entscheidende Frage. Ziemlich dumm der oder die, die auch noch bereit sind sich solchen einfallslosen, ja geradezu trostlosen Fragen in Form einer Antwort zu stellen.

    „Herr Vorsitzender, Herr Staatsanwalt: ich bin ganz bestimmt unschuldig, glauben sie mir! Ich war`s nicht, ich hab´ mich am 6. Juli des Jahres 2002 am frühen Nachmittag irgendwie in`s Prinzenbad verlaufen. Ich weiß jetzt auch nicht mehr, wie ich dort hereingekommen bin. Im Eingangsbereich gab es plötzlichen einen riesen Kuddelmudel und da hab´ ich dann auch nicht mehr weiter gewusst und bin stante pede ins bad gelaufen, wobei mir ein Wachtmeister – ich weiß auch nicht warum – hinterhergelaufen ist. Ich wollte dann noch dem festnehmenden Wachtmeister gerne meine Eintrittskarte vorzeigen, als er gerade dabei war, mir auf offener Bühne im Badebereich anlässlich meiner Festnahme fast das Genick zu brechen. Ich weiß heute auch nicht mehr, was damals schief gelaufen ist?“

    Ach Gott das Leben ist manchmal ziemlich erbärmlich, wohl wahr und dann erzählt man solche traurige Geschichten wie gerade eben. Es gibt aber nicht den geringsten Grund sich darin auch noch intellektuell einzurichten. Hohn und Spott für alle Einfaltspinsel und Piefkes mit ihren dummen Fragen.

    Über was reden wir hier denn nun genau? Wir reden über das Prinzenbad, 1953 für die Bevölkerung dieser Stadt geöffnet, also reden wir nicht über Straftaten sondern über die, die da herumhängen, und die aus der ganzen Welt kommen.
    Die sich in Menschmengen zwängen,
    in der Schlange stehen
    sich auf engen Hängen drängen
    und den Himmel sehen!

    Reden wir auch am Beispiel des Prinzenbades nicht über Stradadadadaaftaten, sondern einfach über die ganze Welt.

    Die Berliner Zeitung vom 2.7.1994 vermeldet, das für das Wochenende Traumwetter angekündigt sei. Zitat: „Wie hier unter dem „Wasserpilz“ im Kreuzberger Prinzenbad, werden Zehntausende eine Abkühlung suchen. Die mehr als 30 Frei- und Sommerbäder in den Berliner Bezirken sowie Brandenburgs Seen sind auf den Ansturm vorbereitet.“ Hier können wir uns schon gleich mal den instruktiven Begriff „Ansturm“ merken.
    Es gibt sogar einen ganzen Kinofilm mit dem Titel Prinzenbad, der allerdings nicht in Kreuzberg, sondern im Gellertbad in Budapest spielt . Glaubt man der Berliner Zeitung, so fängt die Kamera hier einen „schwer zu ertragenden Männerkult zwischen Wasserbecken, Massageräumen und Café ein. Und dazwischen gibt es Geplänkel über Geschäfte, eine kleine Krimi-Einlage und eine Eifersuchtsstory. Und über allem wacht kein geringerer als Bernhard Wikki als Gottvater Bademeister. „Gottvater Bademeister“: Ein instruktive Bezeichnung, die hier in diesem Prozess auch noch eine Rolle spielen wird.

    Ende Juli 1995 reagierten Berliner Freibadbesucher auch im Prinzenbad „gelassen“ auf eine nicht auszuschließende Krebsgefahr im Badewasser. „Unbeeindruckt von den Meldungen über mögliche Krebsgefahr bei gechlortem Wasser gehen die Berliner ihren Badefreuden nach“ schreibt hier die Berliner Zeitung, nicht ohne den Hinweis zu rapportieren: „Zur Bildung der von Wissenschaftlern als krebserregend eingestuften Trihalogenmethanen komme es, wenn freies Chlor auf Schmutzpartikel wie Hautschuppen, Haare, aber auch Schweiß und Urin treffe. Der Rat der Senatsverwaltung: Badegäste sollen sich vor dem Sprung ins Wasser gründlich reinigen.“ Und mit einem Mal kommt hier jemand ins Spiel, der in diesem Gerichtsverfahren noch an prominenter Stelle auftauchen wird. Die Rede ist vom Bademeister des Prinzenbades Erhard Kratz und der lässt uns mit einem direkten Pressezitat wissen: „Das Gesundheitsamt war hier und hat das Wasser untersucht“ (…) Mit 44,5 Mikrogramm liegen wir im Mittelbereich.“

    Worin? Wie bitte? Genau: wahrscheinlich sprach Herr Kraatz über die Trihalogenmethan-Bösewichter. Doch davon ist wenig später in der gleichen Zeitung nicht mehr die Rede, als sechzig Jugendliche aus vier Ländern im Prinzenbad ein als multikulturell bezeichnetes Theaterprojekt aufführen. „Mit Tanz, Akrobatik, Musik und Graffiti wollen sie dem Rassismus auf kreative Art begegnen und ihn bekämpfen. (…) Das Projekt behandelt Intoleranz und Ausgrenzung auf abstrakte, konkrete und symbolische Art. Die Geschichte beruht auf der klassischen Situation von zwei Liebenden, deren Liebe durch ihre unterschiedliche Herkunft unmöglich scheint.“ Wohl an: Intoleranz und Ausgrenzung im Prinzenbad? Darüber kann ich auch etwas erzählen, auch das wird uns ist hier Teil dieses Strafverfahrens.

    Am 6.Mai 1996 taucht wieder unser Bademeister auf. Anlässlich des Saisonstarts im Prinzenbad, soll es dort „bei zwölf Grad Lufttemperatur (…) im geheizten Becken fast mollig“ gewesen sein. „An diesem Tag sind immer Badegäste da, weiß Betriebsleiter Erhard Kraatz. „Selbst bei Schnee kommen die Leute zur Saisoneröffnung.“ Das glaub´ ich nicht, das die Leute so beknackt sind, wie Herr Kraatz sich das so vorstellt.

    Am Juni 1996 berichtet dann die Berliner Zeitung von einem Problem das auch ein ganz zentraler Gegenstand dieses Strafprozesses ist: Sie wirft in ihrem Bericht die nicht ganz frei von Rhetorik gestellte Frage auf: „Wie kriegt man Tausende von Badelustigen durch das Nadelöhr Kasse? Beim Prinzenbad in Kreuzberg läuft das so: Der Kassierer sitzt in einem Glaskasten und ist per Mikrofon mit der Außenwelt verbunden. Davor steht ein Mitarbeiter, der die Bestellung der Kunden entgegennimmt und sie dem Kassierer zuruft. „Zwei Erwachsene, ein Kind.“ (…) Der Außenposten nennt dem Kunden den Betrag. Der Kassierer nimmt den Geldschein entgegen und gibt Wechselgeld und Eintrittskarten raus. Während der Kunde das Wechselgeld nimmt, krallt sich der Außenposten die Eintrittskarten, um sie sofort an Ort und Stelle zu zerreißen und in einen Papierkorb zu werfen. Der Papierkorb ist schon fast voll. Es gibt übrigens noch einen zweiten Außenposten, der in das Geschehen gar nicht eingreift. Er wirft nur hin und wieder einen kurzen Blick auf Dauerkarten, wenn Besitzer derselben sich an den Wartenden vorbeizwängen. Denn viele Badegäste warten hier in der Schlange. Die andere Kasse ist nämlich zu. Personalmangel.“

    Der Inhalt dieses Berichts ist nicht ganz frei von Rätseln. Wir ahnen es bereits: Sie sollen später sogar die Ordnungsbehörden beschäftigen.

    Die Zeichen der Misere mehren sich. Am 12. September 96 meldet die Berliner Zeitung nicht ohne Hinweis darauf, das in dieser Badesaison im Prinzenbad mit 260.000 Besuchern die meisten Besucherinnen aller Bäder in Berlin gezählt worden seien: „Bäder-Betriebe bleiben ein Krisenfall / Ausgaben trotz Preiserhöhungen und Schließungen nicht gedeckt / Mehr Geld gefordert“ Rund acht Millionen Mark fehlen den BBB nach ersten Schätzungen in den Kassen, die diese ehrenwerte Gesellschaft von Senatens wieder zurück haben wollte. Und das alles, obwohl von 1995 bis in das Jahr 1996 der Preis für eine Saisonkarte für den Besuch in einem Sommer- oder Freibad Ostteil von 50 Mark auf geschlagene 140 Mark, und in West-Berlin der Preis von 65 Mark auf 165 Mark geklettert war. In nur einem Jahr eine glatte Verdreifachung nicht der Arbeitslosen- oder Sozialhilfe. Sondern der Badepreise. Was für ein großer Mist!

    Doch leider hält auch das eine der damals politisch Verantwortlichen Mitte April des Jahres 1997 nicht davon ab, die Freibadsaison im Prinzenbad mit dem traditionellen „Anbaden“ zu eröffnen. Ihr Name ist vielleicht etwas bekannter geworden, als sie sich einmal beim Bratwurstessen verschluckt hat: Es handelt sich um die damalige SPD-Sportsenatorin Ingrid Stahmer.

    Ein Vierteljahr später stirbt der gerade vier Jahre alt gewordene Knirps Patricio S., der Sohn einer Peruanerin und eines Polen, im Nichtschwimmerbecken des Prinzenbades. Zwei Stunden lang kämpften Ärzte um das Leben des aus Charlottenburg stammenden Jungen. Vergeblich. Denn selbst Herzdruckmassage, Beatmung und Adrenalinspritzen für die Wiederbelebung halfen nicht. Um 19.25 Uhr gaben die Notärzte auf.“
    Derweil warben die Berliner Bäder Betriebe noch in gleichem Jahr mit dem doppeldeutigen Slogan „Da geh`·ich baden“ Damit wollten sie deutlich mehr Besucher als vergangenes Jahr in die 33 Frei- und Strandbäder der Stadt locken. Doch erst mal gehen die ehrgeizigen Ziele von Vorstandschef Kube, so der Berliner Zeitung unmissverständlich „baden“. „Wir haben sogar weniger Gäste als 1996“, meint der Kassierer im Prinzenbad. Nur am Wetter kann die Flaute allerdings nicht liegen, hat dem hingegen die Berliner Zeitung recherchiert.

    Die Badesaison im Jahre 1998, schreibt Claudia Fuchs Anfang April dieses Jahres, geht normalerweise „erst am 1. Mai (…) überall so richtig los.“ Nicht so aber das Prinzenbad in Kreuzberg, das – so Frau Fuchs in wunderschöner Formulierung – „in jedem Frühjahr (ein) magischer Anziehungspunkt für jene (sei), die unter freiem Himmel gern in wärmerem Wasser schwimmen. Im 50 Meter langen Mehrzweckbecken herrschen wohlige 25 Grad das Bassin wird nämlich beheizt.“ Da geht man doch zum baden gerne hin.

    Doch Mitte Juli 1998 ereilt die aufmerksamen Leser der Berliner Zeitung ein Schock: „Prinzenbad: Mitarbeiter wirtschafteten in die eigene Tasche / Mehrere hunderttausend Mark veruntreut / Erstes Geständnis.“ Pardauz! Stories über Sex, Politik, Gewalt Sport und Kriminalität gehen immer! Und so lesen wir in der Berliner, das in dem „bisher größten Betrugsskandal in Berliner Bädern (…) zwölf Angestellte offenbar mehrere hunderttausend Mark in die eigene Tasche gewirtschaftet (haben) (…) Am Dienstag abend hatten Beamte des Landeskriminalamtes die Wohnungen von acht Männern und vier Frauen im Alter von 33 bis 57 Jahren und das Prinzenbad durchsucht. Beweismaterial, darunter eine gefälschte Dauerkarte, wurde sichergestellt.“ Wau! Eine gefälschte Dauerkarte ist und bleibt eine gefälschte Dauerkarte ist und bleibt eine in menschenverachtender Weise gefälschte Dauerkarte, oder etwa nicht? Jedenfalls ermittelte die Polizei, – so steht es in dem Bericht weiter zu lesen –„daß Badegästen nicht entwertete Eintrittskarten von den Kontrolleuren nach dem Verlassen des Bades abgenommen worden waren, und danach wieder verkauft wurden. Es sei auch vorgekommen, daß Besucher keine Tickets bekamen, obwohl sie Eintritt bezahlt hatten. Die Kassierer sollen auch gefälschte Halbjahres- und Jahreskarten verkauft und das Geld eingesteckt haben.“ Wo doch überall auf der Welt die Kriminalität nistet. Da kann es aus der Perspektive der Berliner Bäder-Betriebe nur noch ein Mittel dagegen geben: Die unnachsichtige Verschärfung aller Kontrollen, z.B. durch „Drehkreuze“.

    Ende November 1998 geht dann der in diesem Zusammenhang fristlos gekündigte 49 jährige Kassierer Herbert S., der sieben lange Jahre lang damit beschäftigt war im Prinzenbad die Eintrittskarten abzureißen, – man kann sich wirklich eine schönere Tätigkeit vorstellen – vor das Arbeitsgericht. Und siehe da: „Für Herbert S. endete der gestrige Termin mit einem Vergleich. Er wird von den Bäderbetrieben bis Ende Juli 1998 bezahlt und bekommt einmalig 3 500 Mark Überbrückungsgeld. Anlass für den Vergleich waren Bedenken der Richterin. „Es fehlte für eine fristlose Kündigung an einem ausreichenden Tatverdacht“, sagte sie. Was für eine tolle Richterin, doch leider habe ich ihren Namen für diese Verhandlung nicht mehr herausbekommen. Denn auch möchte hier nicht fristlos von den herrschenden Verhältnissen gekündigt werden und darüber hinaus gibt es doch auch gegen mich nicht den geringsten Tatverdacht, oder täusche ich mich da?

    Ende Juli 1999 lesen wir dann einen Hintergrundbericht von einer als prominent beschriebenen Fernsehmoderatorin mit Namen Mo Asumang. Ich kannte die vorher zwar auch nicht, aber sie sollen allen Ernstes in Kreuzberg leben. Daran gefalle ihr einerseits, das die Leute hier immer so „offen über Sex“ reden. weswegen sie auch nicht wegziehen wolle. Auf der anderen Seite beklagte sich jedoch die das Pro 7-Erotikmagazin „Liebe Sünde“ moderierende Frau Moderatorin, dass sie aber nicht mehr bereit sei, „ins Prinzenbad“ zu gehen: Denn so Frau Asumang: „Da werde ich ständig angegafft.“

    Am 4. Juli 1999 hatte die Berliner für einen Bericht in dem hier zur Verhandlung stehenden Zusammenhang zwei wesentliche Fakten recherchiert: Erstens das am Sonntag Lufttemperaturen bis zu 32 Grad in Berlin geherrscht haben sollen, und Zweitens: Das die, die sich ins Prinzenbad aufgemacht hatten, doch glatt „mindestens 30 Minuten vor der Kasse anstehen“ mussten. Nun, das kann ich von unserer Aktion am 6. Juli 2002 beim Prinzenbad nicht sagen. Frei nach der Parole von Dario Fo: Bezahlt wird nicht! sind wir alle da viel schneller hereingekommen.

    Ende April 2000 reagieren die Berliner Bäder-Betriebe „flexibel auf die sommerlichen Temperaturen und eröffnen die Saison nun in mehreren Bädern früher als geplant.“ Planmäßig soll das Prinzenbad am Freitag öffnen. Und wer springt als erster mittenmang hinein? Man glaubt es kaum, aber es ist ein alter Wehrmachtssoldat, der in jungen Jahren in Russland die Russen bekämpfte, was ihn in diesem Land wohl auch für den Job eines leibhaftigen Bundespräsidenten qualifizierte: Richard von Weizsäcker sein Name, der sein Badeverhalten damit begründete das er sagte: „Im Beruf habe ich viel gesessen – da braucht man einen Ausgleich.“

    Schön und wahr dann, das sich daraufhin Frau Christa Cupp, aus Berlin als direkte Reaktion auf diesen Artikel in einem kleinen aber feinen Leserbrief zu Wort meldete. Sie schreibt: „Als 1953 das Prinzenbad eröffnet wurde, war ich mit elf Jahren eines der ersten Kinder, die da reinsprangen und habe über die Jahre gute Erinnerungen daran. Wenn ich Berlin im Sommer besuchte, ging ich hin und als ich mit meinem kleinen Sohn nach Berlin flog, nahm ich ihn immer mit. Gute Erinnerungen, besonders in den 50er-Jahren! Mann, bin ich alt!“ Schön, das es so etwas noch gibt.

    Mitte Juni des Jahres 2000 meldetet sich wieder die eifrige Journalistin Claudia Fuchs von der Berliner Zeitung zu Wort und rapportiert über die Errichtung eines „Zaunes und Wachschutz für die Nackten“. 1998 sei der errichtet worden und – so heißt es wörtlich in dem Bericht – „seither haben die Nudisten im Prinzenbad einen Platz für sich – (fast) unbehelligt von lästigen Spannern. „So ist es viel angenehmer“, sagt eine Frau, die mit ihrem Kind im FKK-Bereich spielt. Früher sei das Geglotze ganz extrem gewesen. „Manche haben sich sogar angezogen zwischen die Nackten gelegt und dann gestarrt.“ Da soll doch glatt der von den Berliner Bäder Betrieben aufgestellte Zaun „dankbar angenommen worden“ und sogar der Wachschutz spielt zumindest in diesem Pressebericht eine ungewöhnlich positive Rolle, denn auch der „schaut hin und wieder (…) vorbei.“

    Das es aber noch ganz andere Probleme auf der Welt gibt die auf ihre Weise im Prinzenbad ihren Platz finden, als die der Nudisten von Angezogenen angestarrt zu werden, zeigt ein Bericht Anfang August über die türkischstämmige Familie Özbek aus dem brandenburgischen Mahlow. Anstatt zu dem nahegelegen See (…) schwimmen zu gehen, geht diese Familie mit ihren vier Kindern viel lieber ins (…) Prinzenbad. Denn in der Gemeinde Mahlow „gehören rassistische Beleidigungen zum Alltag der Familie. (…) Beschimpfungen wie „Dönerfresser“, „Kanake“, „Memme“ müssen die Özbeks sich anhören, wenn Angehörige der Mahlower rechten Szene sich vor der S-Bahn-Station versammeln.“ Ganz ausgezeichnet, das sich Familie Özbek so einen widerwärtigen Dreck zumindest im Prinzenbad nicht anhören muss – es sei denn sie fällt nicht dem amtierenden Bademeister Erhard Kraatz in die Hände.

    Ungefähr ein Jahr später, im Juni 2001 formuliert Susanne Lenz in einem Artikel eine lange Hymne auf das Prinzenbad: Es sei „das multikulturellste Bad“ das es gäbe. „So wie hier müsste es überall sein auf der Welt“ steht dort zu lesen. Schon am U-Bahn-Ausgang rieche man das Chlor, eine Menschenschlange winde sich vom Gehweg hoch zur Kasse. „Bepackte Großfamilien, bleiche Studentinnen, schwule Paare, aufgeregte Jungscliquen und alte Frauen mit herausgewachsener Dauerwelle. Alle, die sonst getrennt voneinander in Szenekneipen, türkischen Männercafés, Müttertreffs oder Rentnerwohnungen ihre Zeit verbringen, vereinen sich im Prinzenbad. (…) Das Prinzenbad ist der melting pot Kreuzbergs. Seine Besucher geben preis, was unter ihren Kleidern verborgen liegt und sie tun manches, was ihnen draußen nicht in den Sinn käme. Im Prinzenbad schämt sich niemand.“ Wohlan: Dieser Beschreibung kann ich juchzend und vollen Herzens zustimmen: Warum soll ich mich hier vor den Schranken des Amtsgerichtes Tiergarten dafür schämen, das ich zusammen mit einem Batzen Leute umsonst zu diesen tollen Leuten ins Prinzenbad wollte? Dafür gibt es doch wirklich nicht den geringsten Grund!

    Es spricht für die Qualität des Berichtes von Frau Lenz das sie sich nicht davor scheut, auch die Gefahren anzudeuten, die einem bei zu unkontrollierten Bewegungen wie Begegnungen im Prinzenbad drohen. Und die sind ganz präzise – so das Zitat – bei dem „Mann oben auf dem Schwimmmeisterturm“ zu verorten, der als Bademeister vorgestellt wird. Der habe zwar einerseits „fast drei Jahre gelernt für seinen Beruf, der eigentlich „Fachangestellter für Bäderbetriebe“ heißt: Anatomie, Durchströmungsrechnen, Wasseraufbereitung, Reanimation. Aber im Prinzenbad brauche er an erster Stelle etwas Anderes: Durchsetzungsvermögen. Und dann lautet das für unseren Zusammenhang alles entscheidende Zitat: „Wenn man die Ordnung nicht aufrechterhält, würde hier das Chaos regieren.“ Was für Quatsch auch. Seit wann bricht den an vielfrequentierten Badeseen gleich das Chaos aus, und an vielen Orten wo Chaos herrscht, kratzt es keinen. So gilt: Mindestens an einem Ende einer schlechten repressiven Ordnung auf der Welt steht doch immer der Beginn eines anderen, eines glücklichen Lebens. Warum ist dieser schlichte Gedanke heute nur so schwer auszusprechen?

    Doch wechseln wieder das Thema. Mitte August 2001 bedroht dann doch allen Ernstes der amtierende Berliner Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes die Leser der Berliner Zeitung damit, dass er für sein Anliegen „in den Betrieben (…) über die Zukunft der Stadt“ diskutieren zu wollen, notfalls sogar dazu bereit sei, „vom Turm im (…) Prinzenbad“ zu springen. Und der machte diese Zusage, ohne sich vorher darüber zu vergewissern, ob da überhaupt Wasser drin ist. Wenn man nicht davon ausgehen mag, dass der Berliner DGB-Chef damit seinen Selbstmord öffentlich ankündigen wollte, dann ist das Beste was man ihm noch bescheinigen kann, das er nicht weiß was er sagt und er demzufolge ein ahnungsloser Geselle ist.

    Mitte April des Jahres 2002 kündigt sich dann im Zusammenhang mit dem Prinzenbad ein anderes Kreuzberger Großereignis mit weltweiter Bedeutung an: Die Polizei sucht ihrem gesetzlichen Auftrag nachzukommen, die alljährliche revolutionäre 1. Mai-Demonstration – wie auch immer – aus der Welt zu schaffen. Dafür erteilte der Berliner Zeitung dem 39 Jahre alten Polizeihauptkommissar Andreas Hanel aus der Direktion 5 in Neukölln direkt das Wort. Und der scheint seine Aufgabe darin gesehen zu haben, unschuldige Jugendliche in Schulen mit Gedanken wie diesen zu bequatschen: O-Ton Polizeihauptkommissar Andreas Hanel. „Wisst ihr, ihr könnt von mir aus gegen die politischen Verhältnisse in Nepal demonstrieren, gegen Sparmaßnahmen an Schulen oder den Schweinestaat schlechthin, aber ihr müsst wissen, dass ihr dabei bestimmte Regeln einhalten müsst.“ Die gebe das Grundgesetz nun einmal vor.“ Zitat Ende. Mit Verlaub: Was redet der mitteilungssüchtige Polizeihauptkommissar denn da? Will dieser uniformierte Staatsbeamte möglicherweise unser schönes demokratisches Gemeinwesen als einen „Schweinestaat“ diffamieren, den man mit bestimmten Regeln aus dem Grundgesetz bekämpfen soll? Wie soll das denn gehen? Das finde ich überhaupt nicht richtig! Das lehne ich vollkommen ab. Diese Empörung über so einen gefährlichen Schwachsinn – mit dem Grundgesetz gegen den „Schweinestaat“ – wo kommen wir denn dahin ? – war für mich schließlich ein Grund dafür, mich am revolutionären 1. Mai des Jahres 2002 gerade nicht im Prinzenbad ab 10 Uhr zum „Anbaden mit der Polizei“, sondern gleich zu der Demonstration zu begeben.

    Die revolutionäre 1. Mai – Demonstration hat sicher viele sehr verschiedene Ziele und wendet sich gegen alle möglichen Ungerechtigkeiten auf der ganzen Welt. Hätte man unter ihren TeilnehmerInnen eine diesbezügliche Umfrage unternommen – ich bin mir sicher – auch sie hätten mit großen Unwillen auf eine Meldung der Berliner Zeitung reagiert, die davon berichtete, das die Geschäftsleitung der Berliner Bäder Betriebe zum Saisonstart 2002 eine heillose „Verwirrung um (die) Eintrittspreise“ stifteten. Denn mit einem Male stellte sich mit der Euro-Einführung, die zu einer Tarifänderung führten heraus – das „vorher gekaufte Eintrittskarten nur vier Monate gültig“ waren, und danach ohne Entschädigung verfielen. Und diese heimtückische Praxis wurde zurecht von vielen Badegästen heftig kritisiert: „Ich sehe das gar nicht ein“, sagt Uwe Bauer aus Friedrichshain. Als er seine Zehnerkarte im Dezember für 50 Mark gekauft habe, sei ihm erklärt worden, dass es keine Probleme geben würde. Nun aber seien die acht verbleibenden Eintrittskarten schon verfallen. Sein Angebot, die Differenz zu den neuen Eintrittspreisen zu entrichten, hätten die Berliner Bäder Betriebe abgelehnt. „Ich finde das ungerecht“, sagt Bauer. „Das ist kein Service.“ Von Kulanz könne keine Rede sein.“

    Angesichts dieser Situation von „Beschwerden ohne Ende“ wusste der Sprecher der BBB Radermacher zunächst „Verständnis für den Unmut“ zu bekunden, um anderseits genau diese Abzockpraxis von Berliner Badegästen zu rechtfertigen. „Was für ein verschlagener Hund!“, kann man da auch heute nur noch kopfschüttelnd feststellen.
    Aber das sollte Dorothee Wenner in einem kurz darauf publizierten Bericht nicht davon abhalten, das Prinzenbad als „das Sylt von Berlin“ zu bezeichnen. Nun ja, ich komme ja aus Schleswig-Holstein und kenne mich dort ein weg aus, so ganz kann ich diesen Eindruck dann doch nicht bestätigen. Denn bei Sylt tummeln sich doch immer die Schweinswale, nette Zausel, die ich im Prinzenbad leider noch nie gesehen habe. Anyway. Aber gefallen hat mir ihr geradezu enthusiastischer Ton in dem die Autorin herausstellt, das „wenn es Luftbildaufnahmen gäbe, auf denen sich die Berliner Kreativitätskonzentration in einer Art Infrarot-Verfahren verschiedenfarbig darstellen ließe: das Kreuzberger Prinzenbad (dann) die blutrote Höchststufe“ beanspruchen könnte.

    Gerade hier sei ein „Ort der kreativen Reproduktion – und Produktion“, wo man beweisen könne, dass man , so schreibt sie in ihrem Bericht „keine Angst vor extremen Erfahrungen“ habe. Und schließlich findet sich darin eine Aussage die gewissermaßen als eine Art fulminantes programmatisches Bekenntnis auch der heutigen Veranstaltung verstanden werden kann: „Im Prinzenbad spielt die Musik, hier muss man sich blicken lassen.“ Voilà: So etwas lässt man sich doch nicht zweimal sagen. Diese Einladung haben wir mit unserer Demonstration am 6. Juli des Jahres 2002 außerordentlich gerne angenommen, denn da „wo die Musik spielt“; da wollen ich und alle meine Freunde gerne sein. Umso größer muss dann die Enttäuschung sein, wenn einem die Aussicht auf die schöne Musik im Prinzenbad durch ein neues schweinisches Tarifsystem verhagelt zu werden droht.

    Vielleicht dachte auch der Leserbriefschreiber Paul Bisping, aus Berlin-Kreuzberg in einem ähnlichen Sinne als er Ende Mai beklagte, das es sich „für viele Schwimmerinnen und Schwimmer“ mit Saisonbeginn ausgeschwommen habe. Denn, so der Leserbriefschreiber weiter: „Mit der Einführung des neuen Tarifsystems können sich viele begeisterte Schwimmer diesen Volkssport weder als Ausgleich, Freizeit, Spaß, oder Vergnügen noch als gesundheitspräventives und -förderndes Element in ihrem Leben leisten.“ Für ihn habe ein Aushang in Kreuzberg mit der Überschrift: „Im Prinzenbad ist es leer geworden! Oder?“ auf die fatale Lage Vieler aufmerksam gemacht, die nun auf den Sommerbad-Besuch verzichten werden. Und dafür führte er auch gleich ein Beispiel zu der von ihm als „Tarifgeschehen“ bezeichneten Lage an: „Die Einzelkarte wird von 3 auf 4 Euro pro Besuch teurer.“ Für Herrn Bispinck waren das nicht nur „Ohrfeigen in die Gesichter aller betroffenen Besucher“ sondern darüber hinaus auch für alle – man glaubt seinen Augen kaum, aber es steht wirklich so in diesem Leserbrief – „ernst zu nehmenden Gesundheitsreformer“. Und diesen überraschenden Gedanken fügte dieser eifrige Leserbriefguerillero noch die umständliche Formulierung hinzu, in der er die – so die lange Begriffsbildung – „sträfliche Verletzung von Prinzipien der Förderung und Vorsorge im Gesundheitswesen“ beklagte. Buff, buff , auf solche Gedanken und vor allem Formulierungen muss man wirklich erst einmal kommen.

    Egal: Ob nun mit oder ohne „Verletzung von Prinzipien der Förderung und Vorsorge im Gesundheitswesen“, Ende Juni protestierten dann allein im Prinzenbad mehrere Tausend Badegäste mit ihrer Unterschrift gegen die Tariferhöhungen in Höhe von rabiaten 25 und 33 Prozent. Und davon waren besonders stark jene betroffen, die bislang Saisonkarten nutzten, von denen die Drei- und Sechs-Monats-Karten ersatzlos gestrichen wurden. Ein wahrlich grober Klotz der Berliner Bäder Betriebe, der allemal den groben Keil des energischen Widerspruches verdient hat.

    Und wer weiß, das er mit seinen Argumenten über so einen starken Rückhalt in der Bevölkerung verfügt, der fängt an, sich bei weiteren Protestaktivitäten über seine Bewaffnung Gedanken zu machen. Und der rüstet sich aus, und der greift auch an. Mit Wasserbomben und Wasserpistolen. Gegen die ungeschützten Polizisten. Und das alles kann man nachlesen. In der Berliner Zeitung vom 8. Juli 2002. Und da steht dann auch, das das Sommerbad etwa eine Stunden lang für Besucher gesperrt war, und um 16.20 Uhr die Demonstration für beendet erklärt worden war. „Gegen einen friedlichen Protest habe er nichts einzuwenden“, erklärte danach der Vorstandschef der Berliner Bäder Betriebe Klaus Lipinsky um sich dann auch noch mit der Bemerkung: „Aber sobald Gewalt mit ins Spiel kommt, habe ich dafür kein Verständnis mehr“ direkt zitieren zulassen. Was wollte Lipinsky damit wohl zum Ausdruck bringen? Ob er wohl damit auf die bei meiner auf offener Bühne im Badebereich exekutierte Festnahme durch den Polizeibeamten Rottmeier anspielen wollte, der darauf und dran war, mir auch dann noch das Genick brechen zu wollen, als er mich bereits auf den Boden geschleudert hatte und ich auf dem Bauch lag?

    Ich glaube nicht, das Herr Lipinsky auf diese für einen kurzen traumatischen Moment folterähnliche Form von Polizeigewalt anspielen wollte. Bei der unnachsichtigen Verteidigung dessen was nicht als ein öffentliches Gut, sondern dreisterweise als Privateigentum verstanden wird, ist die herrschende Ordnung überraschend schnell mit der ihr zur Verfügung stehenden Polizeigewalt dazu bereit, auf Leben und Tod zu kämpfen. Wahrlich: Das ist eine Binse. So ist der Charaktermaske Lipinsky wohl im besten Fall nur zu unterstellen, das sie wahrscheinlich nur das sagt, was sie weiß, ohne eigentlich zu wissen, was sie da sagt: Denn natürlich wollte sie mit ihrem verlogenen Geblubber doch nur zum Ausdruck bringen, daß ihr Proteste nur dann am Arsch vorbei gehen, so lange sie wirkungslos bleiben. Das ist doch die schlichte Logik der herrschenden ungerechten Verhältnisse, die sich ihrerseits nun wirklich einen feuchten Kehricht um „Friedlichkeit“ scheren.

    Ach, bevor es vergessen wird zu erwähnen: Die ganz famosen Protestanten und ProtestantInnen des Prinzenbades standen an jenem gloriosen 6. Juli 2002 nicht allein auf verlorenen Posten, denn ist es auch heute noch in der Berliner Zeitung nachzulesen:„Proteste gegen das Vorgehen der Bäder-Betriebe gab es am Sonnabend auch in Tiergarten. Der Verein „Billige Prachtstraße – Lehrter Straße“ hatte zu einem Marsch vom Tiergartener Poststadion zum Kinderbad Monbijou in Mitte aufgerufen. Motto der Wanderung: „Gemeinsames Baden in kuscheliger Enge“. (…) Die Marschierer erklärten sich mit dem Protest in Kreuzberg solidarisch und forderten eine Sanierung ihres Sommerbades.“ Sehr sympathisch, sehr sympathisch.

    Trotz der Hohen Preise verzeichneten die Berliner Bäderbetriebe (BBB) im darauffolgenden Jahr 2003 „einen Ansturm auf die Frei- und Sommerbäder. Verglichen mit Juli 2002 stieg die Zahl der Besucher um etwa 25 Prozent auf 710 000“ Besonders gut besucht war wieder mal das Prinzenbad und das Strandbad Wannsee. Doch wie es die Verhältnisse so mit sich bringen, besorgen auch die vielen Besucher keine Kostendeckung des Unternehmens. „Mehr Besucher hätten auch höhere Ausgaben zur Folge, sagt (da der Chef der Berliner Bäder Betriebe) Lipinsky. Pro Badegast müssten am Tag 50 Liter Chlorwasser ausgetauscht werden, hinzu kämen erhöhte Kosten für das Duschen und für den Sicherheitsdienst.

    „Die Security ist nötig“, sagt Lipinsky. „Sind die Bäder voll, nimmt bei einigen Besuchern auch die Aggression zu.“ Mit diesen Bemerkungen hat der Chef der Berliner Bäder Betriebe vielleicht sogar in einem Sinne Recht, den er aber leider ganz und gar unfähig ist selbst zu denken. Denn natürlich ist es völlig richtig, ziemlich aggressiv auf die aberwitzig hohen Preise der Berliner Bäder Betriebe zu reagieren, und darüber hinaus auch auf das strohdumme Gesabbel eines hochbezahlten Betriebsmanagers aggressiv dann zu reagieren, wenn er die Öffentlichkeit glaubt mit seinen Kontrollobsessionen von Menschenmengen belästigen zu müssen.

    Das die Dummheit in diesem Falle endemisch ist, zeigt sich auch in dem nächsten Bericht der Berliner Zeitung im Oktober des Jahres 2003, in dem die Einführung eines sogenannten „flexiblen Preissystems“ unter der neoliberalen Idiotenslogan „Wer schneller schwimmt, zahlt künftig weniger“ annonciert wird.
    Für die Badesaison 2004 kostete schließlich eine Saisonskarte im Prinzenbad ab 1. Mai schlappe 220 Euro, ermäßigt 137,50. Auf den entgeisterten Einwurf von Frau Fuchs von der Berliner Zeitung, das doch ziemlich teuer sei, antwortete Meister Lippinsky wie in einer schlechten Yankee-Kriminalserie trocken: „Es wird ja niemand gezwungen, eine Saisonkarte zu kaufen.“

    Die letzte Meldung, die man noch in der Berliner Zeitung zum Prinzenbad findet, ist die einfühlsam geschriebene Story über die „Letzte Reise“ des als Korrektor in der Druckerei des Senats von Berlin arbeitenden Neuköllners Günther Neumann. Der fuhr Ende des Jahres 2004 nach Khao Lak in Thailand. Und das bringt den Reporter der Berliner Zeitung dazu dessen ganzes langweiliges Leben zu rekapitulieren: „Neumann (…) heiratete am 25. Mai 1964. Zwei Jahre später wurde die Ehe geschieden. Seine Frau wollte Kinder, er wollte reisen. Danach kamen neue Frauen, aber sie gingen auch bald wieder. Er war zu unruhig, und zu dickköpfig, zu stur. Es war schwierig mit ihm zu leben, wenn man nicht so leben wollte wie er. Seit den sechziger Jahren wohnte er in einem Mietshaus in Neukölln. Er zog nur einmal um, in eine Einzimmer-Wohnung im selben Haus, er brauchte nicht viel Platz. Neumann machte nie einen Führerschein und besaß nie ein Auto. Er hatte eine Dauerkarte im Kreuzberger Prinzenbad, er ging sechs Mal in der Woche schwimmen, er fuhr mit dem Rad und mit der Bahn. Er kaufte sich irgendwann ein Motorboot, und verkaufte es bald wieder, weil er es langweilig fand, stundenlang auf einem See zu sitzen. (…) Er redete schnell und laut, er diskutierte gern.“ Und so weiter und so fort. Am 26. Dezember 2004 soll nun Günther Neuman trotz seiner Dauerkarte im Prinzenbad im pazifischen Ozean in Thailand ertrunken sein. Das muss uns allen – so finde ich – zu denken geben.

    Was sind nun die zentralen Begriffe, die uns auf unserer kleinen Revue quer durch die Texte der Berliner Zeitung zu dem Prinzenbad begegnet sind?
    Tanz, Akrobatik, Musik und Graffiti, Glaskasten und Wechselgeld, auf dem Trockenen sitzen, Polizei, 1. Mai, Tod und Betrugsskandal, Chlor, Thailand, Sex, flexibles Preissystem, magischer Anziehungspunkt, sträfliche Verletzung von Prinzipien der Förderung und Vorsorge im Gesundheitswesen, Sylt von Berlin, Durchsetzungsvermögen, Dönerfesser, Bundespräsident, Kanake Ordnung, Chaos, Security, Gottvater Bademeister, Ansturm, Traumwetter, gefälschte Dauerkarten, Sozialsenatorin, Türkei, Nackte, melting pot, Arbeitsgericht, Urin, Hautschuppen, Schweinestaat. Landeskriminalamt und Trihalogenmethane. Kurz: Wer über das Prinzenbad redet, der muss über die ganze Welt reden: Und wer über die ganze Welt redetet, der kommt nun mal auch um die Autonomen nicht herum. Und die landen zuweilen auch mal in einem Gerichtssaal und müssen dort unter den obwaltenden Umständen im Zweifel immer auf der Anklagebank und nicht auf dem Richterstuhl sitzen. „Da wollen wir doch mal ganz klar sehen“, um hier keine Geringere als Barbara Agnoli zu zitieren.

  • Die Darstellung von „Problembezirken“ (nebst BewohnerInnen)sowohl in der Boulevardgazetten wie auch in den sogenannten „seriösen“ Blättern – gar nicht zu reden von Freak-Show-artigen TV-Beiträgen ist wirklich unerträglich geworden. Sie strotzt von Borniertheit, Halbwahrheiten und schlichtweg Erlogenem.

    Selbst Soziologieprofessor Klaus Schmals (FU Berlin) ist sich nicht zu schade, im Zusammenhang mit seiner jüngsten, in engster Kooperation mit der medial omnipräsenten „ARCHE“ in Berlin-Hellersdorf entstandenen Armuts-Langzeitstudie in einem Zeitungsinterview von „menschenunwürdigen Wohnbedingungen“ resp. Wohnumfeld zu tönen. War der Mann mit seinen Studenten dort jemals außerhalb der „ARCHE“ unterwegs? Leidet er an Tunnelblick? Kriegt er Geld, Gratisflüge o.ä. für seine Statements?

    Klar ist es für sehr viele Leute sehr schwierig, heute ohne Arbeit halbwegs über die Runden zu kommen. Klar gibt es Armut in Größenordnungen. Aber die scheinbar unumstößliche, weil in so gut wie allen Medien unisono transportierte Etikettierung von Hartz-IV-Empfängern (dumm, faul, kriminell)und ganzen Stadtteilen (Ghetto, Slum, No-go-Area) führt wozu?

    Zum Beispiel bei vielen zu einer passiv-resignierten „Ich-kann-ja-sowieso-nix-ändern?“-Stimmung. Oder: Weil das Fremdbild zunehmend zum Selbstbild wird, oft auch zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeihung. Verbunden dann auch – damit man sich überhaupt noch irgendwie identifizieren kann – mit „Ghetto-Stolz“.

    Ich habe größtes Verständnis für die Arbeitsbedingungen, unter denen Journalisten heute arbeiten müssen (Verwertungsdruck, Zeitknappheit etc.) Da bleibt wahrscheinlich überhaupt keine Luft für eine tief gehende Recherche. Und dass bad news eigentlich good news sind, davon hat man ja auch schon mal was gehört.

    Was mich aber wirklich wütend macht, ist der faschistoide Unterton, der durch derlei Veröffentlichungen und ihren Kontext durchschimmert. Selbstverständlich würden die Schreiber einen solchen Vorwurf empört zurückweisen. Aber die unausgesprochene Forderung nach Arbeitsdienst, diszipliniertem Morgenappell und „ethnischer Sauberkeit“ schwingt eben doch mit …

  • Schön alles, aber du scheinst ja alle Ausländer „türkesiert“ zu haben. Nicht jeder ist ein Türke, der schwarze Harre hat :).
    Mahmut Al Zein und die Kommunisten in Berlin sind alles samt Kurdischer Abstammung.

    Ich glaub sogar der Typ bei dem du im Laden arbeitest ist auch Kurde..frag mal bitte nach.

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