vonHelmut Höge 05.11.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Unser Blogwart und Verschwörungstheoretiker Mathias Broeckers wurde gerade in dieser Doppelfunktion in dem wunderbaren Buch von Eva Horn “Der geheime Krieg – Verrat, Spionage und moderne Fiktion” gewürdigt. In dem ebenso neuen aber völlig bescheuerten Buch “Agenten des Bösen. Verschwörungstheorien von Luther bis heute” von Wolfgang Wippermann wird er jedoch in seiner vermeintlichen Doppelfunktion als Satanist und Antisemit schwer angegriffen. Meine Beschäftigung mit Eva Horns Geheimdienstbuch hält noch an. Hier erst einmal eine Rezension des Wippermann-Buches – aus der heutigen Jungen Welt von Markus Klöckner sowie ein Text über den FU-Professor Wippermann von Günter Langer (SDS-Website). Außerdem ein Text über den HU-Professor Herfried Münkler, der sich ebenfalls mit Krieg, Geheimdiensten und Verschwörungen beschäftigt und auch immer bescheuertere Bücher schreibt – als Möchtergen-Regierungsberater und -TV-Experte. Dort angehängt ein weiterer JW-Artikel von Thomas Wagner über ihn – als “Kopflanger der Herrschenden”. Nebenbeibemerkt: Ich arbeite eher daran, ein brauchbarer “Kopflanger der Herrscherin” zu sein.
Sehr schlicht (von Markus Klöckner)

Manch einer ist so überzeugt, daß er gar nicht weiß, wovon. Den Eindruck erhält, wer das Buch »Agenten des Bösen. Verschwörungstheorien von Luther bis heute« des Historikers und Professors an der Freien Universität Berlin Wolfgang Wippermann liest. Der Band soll eine Art Generalabrechnung mit verschwörungstheoretischen Denkansätzen sein. Prinzipiell erhebt Wippermann den Anspruch, eine allgemeingültige Erklärung für das Phänomen der Verschwörungstheorien zu liefern. Dabei zeigt seine Arbeit dem Leser in erster Linie, wie er, Wippermann, gedanklich das Problem erfaßt: nämlich ungeschickterweise genau in der Art, die er Verschwörungstheoretikern vorwirft – komplexitätsreduzierend. In der Welt seines Buches gibt es keine realen Verschwörungen, gibt es keine Geheimdienste, die verdeckte Operationen ausführen, gibt es keine Strategie der Spannung, keinen verschwörerischen Staatsterror, keinen Terrorismus unter falscher Flagge, hat es eine kriminelle Freimaurerloge wie P2, die in Italien den Staat unterwanderte, nie gegeben, gibt es überhaupt keine verschwörerisch agierenden Macht­eliten, kurz: in der »Sinnprovinz« des Bandes ist die Wirklichkeit ein eindimensionales Gedankengebäude. Das Ergebnis steht von vornherein ziemlich fest. Wo Wirklichkeit so zu einem normativen, wenig reflektierten Glaubensbekenntnis wird, da fristen auch Verschwörungstheorien ein Dasein in der Sphäre der Mythen. Akzeptiert der Leser allerdings solche Entdifferenzierung der Wirklichkeit, wird alles möglich.

Wippermanns schlichte Erkenntnis lautet: Alles verschwörungstheoretische Denken ist letztlich auf Teufelsglauben, auf eine uralte Sündenbockmentalität der Menschheit zurückzuführen. Nach Ansicht des Autors können Menschen das »brutal Böse«, wie es seit Beginn der menschlichen Geschichte immer wieder auftritt, nicht ertragen und übertragen die mit ihm auftauchenden Emotionen auf einen irrealen Dritten, den Teufel. Der werde gedanklich aus einem diffusen, unrealen »Etwas« personifiziert, wodurch das Böse faßbar, rational erklärbar und somit auch emotionale Entlastung ermöglicht werde. Diese eher psychologische Konstruktion verhilft Wipperman zu einem Erklärungsansatz, mit dem er sämtlichen Verschwörungstheorien beikommen will.

Bereits an dieser Stelle ist ein fundamentaler Einwand zu erheben: Kann man Wippermann noch zustimmen, wenn er beschreibt, wie immer wieder Verschwörungstheorien konstruiert wurden, um politische Gegner und unliebsame Gruppierungen zu diffamieren und zu schädigen, muß man ihn für seine Ignoranz gegenüber realen Verschwörungen (und der deshalb folglich nicht generell zu stigmatisierenden Verschwörungstheorien) kritisieren, die sich nicht durch einen nai­ven Teufelsglauben in das Reich der Mythen verweisen lassen. Besonders problematisch wird Wippermanns Werk aber an der Stelle, wo er den Fokus von historisch gut dokumentierten Verschwörungstheorien, die zum Aufbau eines Feindbildes benötigt wurden (»Judenverschwörung«), auf historisch hochstrittige Ereignisse aus der jüngsten Vergangenheit richtet. Stichwort 11.September. In einem Kapitel zu den »Verschwörungsideologien über den 11.September« werkelt Wippermann einen Bezug zwischen den Personen, die Zweifel an der offiziellen Darstellung der Ereignissen von 9/11 zum Ausdruck bringen, und einer antijüdischen Grundhaltung zusammen. Auf diese Weise soll eine weitere Kernthese seines Buches gestützt werden, die da lautet: »Das Urbild von der ›jüdischen Verschwörung‹ läßt sich von den Schriften Martin Luthers bis hin zu heutigen Verschwörungstheorien nachverfolgen…« In Einzelfällen läßt sich Wippermann, was diesen Bezug angeht, zwar zustimmen, doch gerade seine Interpretationen bestimmter Äußerungen von bekannten 9/11-Skeptikern, die er in seinem Buch aufgreift und aus ihnen Antisemitismus ablesen will, lassen eher auf eine fragwürdige Interpretationsmethode schließen, die dem Buch zugrunde liegt.

An einem Artikel, den Mathias Bröckers, einer der bekanntesten deutschen 9/11-Skeptiker, geschrieben hat, will Wippermann seine Sicht verdeutlichen. Bröckers erwähnt einen vermutlichen Spionagefall zwischen den USA und Israel im Kontext der Anschläge, was Wippermann zu dem Kommentar veranlaßt, der Artikel sei »in ganz eindeutiger Weise antisemitisch«. Flott schreibt Wippermann, daß es für Bröckers anscheinend auch das »internationale Judentum« gebe, Bröckers »die Juden generell« als Hauptprofiteure der Anschläge betrachte, Bröckers ein »antisemitscher Täter« sei und Larry Silverstein (der Besitzer des WTC) in den Augen der 9/11-Skeptiker sowieso als »jüdischer Wucherer« gelten würde. Problematisch ist nur: In dem besagten Artikel verwendet Bröckers weder die Worte »internationales Judentum« noch »die Juden generell« oder »jüdischer Wucherer«. Und so geht es munter weiter. Aber das macht offenbar nichts, Komplexitätsreduktion hat ihren Preis. Wer das Buch als »Gesamtkunstwerk« würdigt, dem wird klar: Wippermanns Buch folgt dem herrschenden Zeitgeist in den Wissenschaften. Historische Ereignisse werden tendenziell als das Produkt einer komplexen Wechselwirkung von kaum zu beeinflussenden Eigendynamiken betrachtet, in der das Subjekt als handelnde, struktursetzende Kraft ausgeklammert wird. Es ist eine Wissenschaft, die auf bequeme Art einer tatsächlich kritischen Forschung den Rücken kehrt. Es ist nur konsequent, daß eine Frage wie »cui bono?«, also »wem nützt es?«, die Wippermannn immer wieder in seinem Buch erwähnt und negativ als »verschwörungsideologisch« besetzt sehen möchte, unter diesem Vorzeichen zu einem Tabu wird. So wird Wissenschaft quadratisch, praktisch, einfach, nämlich als Kataster für verbotene Wörter wie Autobahn, Führerschein, Eva Herman und Verschwörungen.


Die Politik der Ausgrenzung (von Günter Langer) 

Spätestens seit 1969 wurde es Mode, auf “die 68iger” einzuprügeln. Und auch vorher entsprach es dem Mainstream, an Dutschke, Kunzelmann und Konsorten kein gutes Haar zu lassen: “Verrückte”, “Chaoten”, “Anarchisten” etc. tönte es aus den Medien. Nach 68 waren sie schlicht “Kleinbürger”, so zumindest in der Sprachregelung der diversen K-Gruppen (so auch damals schon im ML-Duktus der jetzige Neu-Rechte Rabehl), wenn  über diejenigen, die es erstmals gewagt hatten, den gesellschaftlichen Konsens der Adenauer-Republik in Frage zu stellen, geurteilt wurde. Heute “entdeckt” man den “nationalrevolutionären” Charakter der damaligen Bewegung. Einige mißverstandene Zitate werden, aus dem Zusammenhang gerissen, als Beweis für diese aberwitzige These herbeigekramt.

Wenn dieses Vorgehen durch Leute geschieht, wie Rabehl oder Mahler, die beide ein politisches Anliegen verfolgen, kann man das zwar nicht entschuldigen, aber dennoch in Grenzen verstehen. Anders sieht es aus, wenn Historiker, heißen sie nun Wolfgang Kraushaar (bezüglich seiner Interpretation Dutschkes) oder Wolfgang Wippermann (in seiner Auseinandersetzung mit der “Forschungsgruppe SED-Staat”), sich derselben Methode bedienen. Dann fragt man sich natürlich, wo bleibt da ihre Wissenschaftlichkeit und weshalb machen die das?

Die Antworten auf diese Fragen sind, so meine ich, leicht zu finden. Kraushaar scheint einer Art “Buchgläubigkeit” verfallen zu sein. Ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Begebenheiten, d.h. den historischen Rahmenbedingungen, analysiert er einzelne Sätze und überlegt, was sie heute bedeuten würden. Er fragt nicht etwa, was ihre Autoren damals mit diesen Sätzen gemeint hatten bzw. mit ihnen erreichen wollten und wie etwa ihre damaligen Rezipienten sie verstanden hatten. Das Mißverstehen der Geschichte ist so methodisch bereits angelegt. (Mahler und Rabehl stehen ihm hierin, allerdings aus anderen Gründen, in nichts nach.) Also: Falsche Methode = falsches Ergebnis.

Bei Wippermann ist das anders. Wippermann nutzt seinen akademischen Titel, um billige Agitation zu betreiben. Beispiel: Das “APO-Archiv” an der FU ist ihm eine “private Flugblattsammlung” Siegward Lönnendonkers. Lönnendonker ist nicht nur der Verantwortliche für das APO-Archiv, sondern arbeitet auch in o. g. Forschungsgruppe mit. Weil Wippermann seinem politischen Gegner an der FU die Wissenschaftlichkeit streitig machen will, muß er gleichzeitig das bedeutendste Archiv der 68iger Revolte in Berlin zu einer “privaten Flugblattsammlung” degradieren. Überhaupt 68. Mit diesem Jahr hat er nichts am Hut. Seine universitären Gegner berufen sich teilweise eben auf die Bewegung dieser für die Nachkriegszeit so bedeutsamen Epoche. Da er diese Gegner heute für rechts hält, kann 68 auch nicht links gewesen sein. Die 68iger Bewegung insgesamt kann für ihn schon deshalb nicht links gewesen sein, weil der Kern der damaligen Revolteure seinerzeit heftige Kritik an der SU, der DDR, der KPdSU, der SED/SEW/DKP, also am kommunistisch-sozialistischen Lager geübt hatte. Denn, so weiß der Professor heute, wer dies tut, “relativiert Auschwitz”. Geflissentlich übersieht er dabei sogar, daß gerade seine von ihm in Schutz genommene DDR wenig über Auschwitz aufklärte und viele sozialistische “Bruderstaaten” den “Kosmopolitismus”, eine Umschreibung für Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft, bekämpften. Köpfe rollten sowohl in der SU, als auch in der CSSR, in Bulgarien und in Polen. In der DDR ging es glimpflicher ab. Aber der einst führende SED-Genosse Paul Merker mußte deshalb immerhin für viele Jahre hinter Gitter.

Wenn die o. g. Forschungsgruppe die DDR kritisch analysiert, kann sie das nach Wippermanns Auffassung nur tun, wenn sie sich auf die Totalitarismustheorie in seiner krudesten Form (rot = braun) beruft. Das Ergebnis sei eine “Dämonisierung der DDR”. Als Beweis führt Wippermann auf einer öffentlichen Veranstaltung im Kreuzberger Mehringhof die Kritik Jochen Staadts (eines SED-Staats-Forschers) an den Professoren Peter Steinbach (TU) und Jürgen Kocka (FU) an. Beide sind Historiker und beschäftigen sich ebenfalls mit der kommunistischen Vergangenheit in Deutschland. So absurd diese “Beweisführung” auch ist, wird sie aber dennoch von Wippermann im Laufe seines Vortrages in Kreuzberg übertroffen. Die SED-Staats-Forscher hätten ihm zufolge einen böswilligen Plan, sie dämonisierten die DDR deshalb, weil sie “Auschwitz relativieren”, “Auschwitz und Intershop”, so wörtlich, “in eins setzen” wollen. Für Wippermann stehen Staadt, Lönnendonker, Martin Jander, Klaus Schröder und Co. in der unseligen Tradition des McCarthyismus, der antikommunistischen Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) und der Notgemeinschaft für eine Freie Universität (NOFU). Sie würden alle “Linken” diskreditieren, eine Wende nach rechts erzwingen wollen. Wippermann bestreitet, daß die DDR totalitär war, “links” sei sie gewesen. Eine Totalitarismustheorie “von links” habe es seiner Meinung nach nie gegeben. “Linke” könnten so etwas nicht vertreten. Damit macht er Anarchisten, Rätekommunisten und viele andere Sozialisten bzw. Sozialdemokraten zu “Nicht-Linken”.

Wenn ein deutscher Professor politisch Amok läuft, mag das ein Problem für die akademische Community sein, es fragt sich aber, warum ein Teil der Berliner Linken Gefallen an solchen Thesen findet. Diese Frage ist schwerer zu beantworten. Zu viele Faktoren fließen hier ein. Ein Hauptfaktor läßt sich aus einem Vergleich herausdestillieren.  Dafür müssen wir auf unseren Ausgangspunkt zurückkommen. Die 68iger Bewegung war zeitweilig unbestreitbar deshalb so erfolgreich, weil sie eine Politik des Einschlusses darstellte, d. h. jede Person, ob jung oder alt, ob weiblich oder männlich, ob deutsch oder nicht-deutsch, ob religiös oder nicht-religiös, ob Student oder Arbeiter, ob Lehrling oder Schüler, ob Hippie oder Rocker, war willkommen. Unterschiede spielten einfach keine Rolle, jede und jeder war angesprochen, mitzumachen. Und viele fühlten sich in der Tat angesprochen. Niemand wurde ausgeschlossen, nicht mal Spitzel. Rudi Dutschke gelang es später sogar, mit seinem Attentäter zu kommunizieren. Als bolschewistische Ideologien und Organisationsmodelle von einzelnen Gruppen in die Bewegung getragen wurden, begann der Anfang vom Ende. Man grenzte sich selbst ab von allen anderen und verlor so den Zusammenhang, der vorher für die Stärke der Revolte gesorgt hatte. Am Ende wurden selbst die Haschrebellen und der “Blues” von dieser Manie erfaßt und verschwanden im Orkus der Geschichte.

Heute verfolgt die Linke im Gegensatz zu 68 wieder bzw. immer noch eine Politik des Ausschlusses.  Sie wird dabei immer unattraktiver. Diese Negativ-Politik hat selbst die SPD erfaßt. Als Oskar Lafontaine sein Buch “Das Herz schlägt links” herausbrachte, wollten ihn viele seiner Genossen am liebsten aus der Partei ausschließen. In der linksradikalen Szene wird ständig Jagd auf Abweichler gemacht. So kann es beispielsweise dazu kommen, daß Leute eine “Vokü” nicht mehr betreten dürfen, weil sie Redakteure einer mißliebigen Zeitschrift sind. Ein Typ wurde während einer Fete von zwei Frauen aus dem Ex rausgeschmissen, weil er zu Hause Pornobilder “archivierte”, ein Besucher des Mehringhof-Theaters wurde krankenhausreif geschlagen, weil er ortsunkundig seine Nase in die falsche Versammlung steckte usw. usf.  

Es stellt sich auch hier die Frage, warum machen die das? Offensichtlich sind sie verängstigt und haben weder Vertrauen zu sich selbst noch in die Zukunft. Die gegenwärtigen Verhältnisse sind ihnen ein Greuel und alternative Visionen von einer besseren Welt sind ihnen abhanden gekommen. Hierin gleichen sie den hirnlosen Rechten, deren Politik ohnehin eine Politik des Ausschlusses ist.  Die Rechten machen Jagd auf alles “andere”, auf “Ausländer”, “Fremde”, “Linke”, “Punker” etc.  Der Neu-Rechte Horst Mahler konnte dieses Politikmodell noch aus seiner RAF-Zeit beibehalten. Gestern kannte er nur “Mensch oder Schwein”, heute kennt er nur “Volks-Deutsche oder Ausländer”. “Schweine”, wie seinerzeit Ulrike Meinhofs Freund Peter Homann, so meinte er seinerzeit im Palästinenser-Lager, gehörten umgebracht, “Ausländer”, so meint er heute gemeinsam mit Rabehl, gehören ins “Ausland”. Innerhalb der Berliner radikalen Linken wird zur Zeit von einer Sauberkeitsgruppe namens “Venceremos”, in der unser szenebekannter Porno-“Archivar” kurioserweise mitwirkt, verlangt, daß oben genannter Jochen Staadt den Mehringhof nicht mehr betreten dürfe. Zu diesem Zweck hatte sie sich Schützenhilfe von dem Nolte-Schüler Wippermann erhofft und erhalten. (Nolte: “Der Faschismus ist entstanden als eine Reaktion auf die Oktober-Revolution”.) Wippermann soll Mitglied der SPD sein. Eine seltsame Allianz..

“Die neuen Kriege” (aus “WPP – Wölfe Partisanen Prostituierte”)

Der Autor ist seit einigen Jahren Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität, davor war er Assistent des Frankfurter Marxforschers Iring Fetscher. Davon merkt man aber nichts mehr. Seitdem er den Gipfel deutscher Wissenschaftlichkeit erreicht hat, veröffentlicht er fast wöchentlich irgendwo einen Text. Seit dem Anschlag auf das World-Trade-Center kommt diesen eine gewisse Aktualität zu, insofern sie meistens Terrorismus, Partisanentum, Bürgerkriege und Staatenkriege thematisieren. Sein neuestes Buch greift all dies noch einmal auf und konzentriert es auf die These, daß “low intensity Konflikte” – wie etwa die in Afghanistan, im Kongo und in Angola – nicht nur Rückfälle in Barbarei und in gleichsam vormoderne Kriegsführung bedeuten, sondern im Gegenteil auch bereits auf die zukünftig wieder mehr enthegten Kriege neuen Typs hinweisen.

Der deutsche Philosophieprofessor an der Humboldtuniversität analysiert aber die einzelnen “Konfliktherde” nicht, auch zieht es ihn nicht nach Kabul oder Bosnien – also vor Ort, geschweige denn daß er sich Filmmaterial von dort ansieht oder Beteiligte interviewt. Er studiert vor allem die angesagte Literatur seiner Kollegen aus der Kriegs- bzw. Terrorismusforschung, bucht diesbezügliche Kongresse und verfolgt das Weltgeschehen ansonsten unaufgeregt über die Tagespresse. Das, was er anschließend daraus an eigenen Texten macht, könnte man neubürgerliche Politikwissenschaft nennen. Es ist der alte Versuch, gegenüber den an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten aufeinanderstoßenden Konfliktparteien und ihren Interpretationen des Geschehens und der Gegner so etwas wie eine dritte Position zu gewinnen – mittels eines Apparates aus scheinbar neutralen Begrifflichkeiten – wie etwa: “Asymmetrisierung”, “postheroische Gesellschaften” und die “Hervorbringung eines zu interessierenden Dritten”. Dabei hebt Münkler immer wieder gerne bei Clausewitz und Carl Schmitt an. Wie sie strebt er eine Politikberatung an, für die er mit seiner Kurztext-Streuung – bis in den “Merkur – der deutschen Zeitschrift für europäisches Denken” hinein – wirbt. Seine Position ist dabei etwa die eines stets sachlich bleibenden Bellizisten.  Der jetzt gegenüber den sich seit dem Zerfall der Sowjetunion privatisierenden Kriegern wieder mehr die Verteidigungsminister ins Spiel bringen möchte, Vorbild dafür sind ihm anscheinend die “Kabinettskriege”. Münklers Bücher sind mithin staatstragende Werke. Sein letztes endet mit dem tiefsinnigen Gedanken: “Bei symmetrischen Konfliktkonstallationen…sind die Chancen von Lernen und Lernverweigerung tendenziell gleichmäßig verteilt; asymmetrische Konstellationen hingegen bringen Ungleichheiten bei Lernvermögen und Lernblockaden mit sich.”

Kurz davor ist auch noch von “Kreativität” die Rede. Es ist dennoch keine Pisa-Studie (über Krisengebiete), sondern einfach der neueste Output eines Professors – aus dem Politikzentrum Deutschlands, in  der Mitte Berlins. Genau so einen Stuß finden wir im alljährlichen Buch des New Yorker Globalisierungskritikers Richard Sennett oder in den Poemen des Charlottenburger Transformationsforschers Karl Schlögel – auf den gekalkten Seiten der Samstags-FAZ. Ohne Sinn und Verstand wird hier von einer höheren Warte aus abgewogen die postsowjetische Welt interpretiert. Der Verfall von Respekt, der osteuropäische Ameisenhandel, die blutigsten Hotspots. Was schert diese abgesicherten Akademiker die Gefahr, daß es immer schon zu viel Deutung gibt und nie genug Fakten – und daß die Akte durch Deutung am gefährlichsten für die Freiheit sind?! Sennett war sogar einmal ein Mitarbeiter und Liebhaber von Michel Foucault. Während Schlögel sich von links nach rechts fortfaselt: vom  Maoisten bis zum Sänger der Marktwirtschaft. Münkler schreibt: “Im asymmetrischen Krieg sind die Medien selbst zu einem Mittel der Kriegsführung geworden”. An diesem Punkt wird dann bei den Medienforschern der Humboldtuniversität nebenan weiter gedacht, wo man von Homer bis Paul Virilio alles mitbedenkt (“Terrorismus ist Guerillakrieg im Zeitalter der Medien”). Das ganze ist eine Art Ping-Pong-Spiel über Banden. Wobei sich dann aus Talkshows und Expertenrunden immer mal wieder ein “Highfligher in Science” performatorisch herausmendelt. Aus mir spricht die Enttäuschung – darüber, daß nur wenig mehr dabei herauskommt. Münkler hat diesmal seinen Text sogar noch mit – völlig überflüssigen, geradezu bescheuerten – Photos angereichert. Er schreibt: “Warlords und Warlordfigurationen” galten lange Zeit als typisch für stecken gebliebene Modernisierungsprozesse, bei denen der Staat (noch) nicht zum Monopolisten der legitimen physischen Gewalt avanciert ist”, aber jetzt haben “die Warlords ihrerseits einen Modernisierungsprozeß durchlaufen”. In diesem Zusammenhang erwähnt er die Guerillera Kolumbiens, wobei der Gedanke, daß in diesem Land die “Warlords und Warlordfigurationen” sich aus dem Regierungspersonal, den Killerkommandos der Grundbesitzer und den US-Beratern rekrutieren, bei ihm nicht einmal am Rande aufscheint. Das meinte ich mit “scheinbar neutraler” Darstellung. Der deutsche Professor ist, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, ein Wendehals und seine Publikationen legen Zeugnis von seiner Anpassung an den jeweiligen Diskurs-Mainstream ab, auf etwas vornehmere Art als der Springertiefelverlag, der seinen Mitarbeitern seit dem “11.9.” eine Demutsadresse gegenüber dem Bündnis mit den Amis abverlangt. Wir gehen “in ausgesprochen unruhige und bewegte Zeiten hinein”, so lautet der allerletzte Satz in Münklers Buch “Die neuen Kriege”, d.h. die “Kriegsunternehmer” sind wieder unterwegs, und die “Freiwilligen” kämpfen “in vielen Fällen aus wirtschaftlichen Gründen”. Dies bezieht sich bei ihm konkret auf die serbischen “Tschetniks”, Münkler berichtet jedoch von keinem einzigen Fall – und so schreibt er sich von Krise zu Krise fort, holt mal hier bis zum 30jährigen Krieg aus und zählt dort mal eben alle Söldnerfirmen mit Sitz in London auf. Sind es wirklich nur sechs? wem gehören sie eigentlich? und haben einige vielleicht schon fusioniert? Der Leser erfährt nur: “In Schwarzfafrika ist (darüber) die Meinung verbreitet…” Dann geht es hastig weiter zu den “Netzwerken der Mudschaheddin”, die ihre Kämpfer ebenfalls sehr “hastig” rekrutieren. Manchmal hat es den Anschein, als wüßten unsere Terrorismusforscher bald nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht – weil ihr Gegenstand, die Terroristen, auch nicht mehr alle Tassen im Schrank haben…

P.S.: Wie jüngst wieder die “feinkritischen” Terroristen Alexander Brener und Barbara Schurz in einem in St.Petersburg geschriebenen Flugblatt – an den tschetschenischen Anführer der Geiselaktion im Moskauer Musical “Nord-Ost” Movsar Baraev feststellten. Ihr auf Deutsch im “telegraph” erschienener kleiner Text hat den Titel: “Hey, Movsar”.

Kopflanger der Herrschenden (von Thomas Wagner)

Wenn es darum geht, die Bevölkerung der BRD auf die kommenden Kriege einzustimmen, liefert ein hochangesehener Professor der Humboldt-Universität zu Berlin seit Jahren eifrig die politologischen Begriffe und Denkfiguren dazu. Mit Hilfe von Herfried Münklers Konzept des »asymmetrischen Krieges« ließen sich auch ohne weiteres die Verteidigungspolitischen Richtlinien des Bundesverteidigungsministers (21.5.2003) begründen, die die Aufrüstung der Bundeswehr zur international einsetzbaren Interventionsstreitmacht vorsehen. Münkler betreibt somit jene Form von ideologischer Politikberatung, die der Politologe Ekkehart Krippendorff einmal auf den Begriff der »Herrschaftswissenschaft« gebracht hat: »›Herrschaftswissenschaft‹ verleiht der Herrschaft Sprache – Sprache auch und nicht zuletzt gegenüber dem Volk, vermittelt über eine Vielfalt von Medien und Mediatoren.«1

Mit seinem neuen Buch »Imperien. Die Logik der Weltherrschaft – vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten« (Berlin 2005) hat Münkler nun eine Studie vorgelegt, die Marx’ kategorischen Imperativ aus der »Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie« einmal mehr in sein Gegenteil verkehrt. Statt »alle Verhältnisse umzuwerfen«, in denen der Mensch als »ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen« (MEW 1, S. 385) erscheint, verharmlost Münkler die globalen Herrschaftsverhältnisse ungleichen kapitalistischen Tauschs als wohlstandsfördernde Marktbeziehungen, die von den USA militärisch verteidigt und zu imperialen »Wohlstandszonen« ausgedehnt würden. Wer käme daher auf die Idee, daß Münkler als Vorstandsmitglied der Internationalen Marx-Engels-Stiftung (Amsterdam) und Mitherausgeber des Marx-Engels-Jahrbuchs mit der Bewahrung des Marxschen Erbes betraut ist?2 Der Europäischen Union empfiehlt Münkler, die USA im Osten und Südosten der EU als Sub-Imperium zu entlasten, sprich: »Zusammenbrüche und Kriege zu verhindern« (Imperien, S. 247) – auch mit militärischen Mitteln.

Das Feuilleton klatscht Beifall

Staatsfromm verkündet Münkler schon in der Einleitung seiner jüngsten Buchveröffentlichung: »Der Blick auf die Geschichte zeigt, daß sich die Modelle politischer Ordnung letzten Endes doch zwischen Staat und Imperium erschöpft haben.« (Imperien, S. 10) Alles andere sei bloßes Wunschdenken. Kein Wunder, daß der Machiavelli-Forscher und Experte für neue Kriege regelmäßig militärische Forschungs- und Führungsakademien beraten darf und sein Imperien-Buch auf einem Internet-Portal der Konrad-Adenauer-Stiftung als Lektüre zur Neugestaltung der transatlantischen Beziehungen empfohlen wird (vgl. www.transatlantik-netz.de). Erschreckend ist jedoch das Ausmaß, in dem Münklers herrschaftsverliebte Thesen vom bürgerlichen Feuilleton aufgegriffen und unterstützt werden. Da heißt es, »ohne Anleihen beim Ordnungsmodell der Imperien« gäbe es »keine Zukunft für die EU«(Die Zeit). In »kühlen, historisch geläuterten Begriffen« (FAZ) befestige Münkler »seine herausragende Stellung innerhalb der deutschen Wissenschaft« (Rheinischer Merkur). Er weise uns den Weg in der »unwillkommenen neuen Unordnung (…) nach dem Dahinscheiden der Sowjetunion« (Deutschlandradio Kultur). Was die Frankfurter Rundschau als »unverzichtbare« neue Perspektive lobt, ist jedoch weder progressiv noch innovativ. Münkler selbst macht gar keinen Hehl daraus, daß er die zunehmend herrschaftskonforme Deformation der Politikwissenschaft begrüßt: »Sie (die Politikwissenschaft, TW) hatte eine gewisse Hypertrophie in Richtung Kassandra zu Zeiten, in denen es schick war, Politikwissenschaft nur als kritische Wissenschaft zu begreifen, die der Politik die moralisch lange Nase dreht und Abstand hält.«3

Münkler fällt es nicht schwer, eine Reihe von Verlautbarungen der US-Außenpolitik ganz offen als kühl kalkulierte Kriegslügen zu benennen: »Vom sogenannten Tongking-Zwischenfall, mit dem der Beginn der Luftbombardements gegen Nordvietnam begründet wurde, über die angebliche Tötung kuwaitischer Brutkastenbabys durch irakische Soldaten, die ein amerikanisches Eingreifen am Golf in den Jahren 1990/91 motivieren sollte, bis zu der vorgeblichen Bedrohung der freien Welt durch die Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins durchzieht die amerikanischen Interventionsbegründungen eine breite Spur von Täuschungen und Lügen.« (Imperien, S. 238) Doch gleich im Anschluß an diese Textpassage legitimiert Münkler die gerade entlarvten Kriegslügen als vermeintlich notwendigen Sachzwang der US-Außenpolitik. Die Täuschungen gingen zurück auf einen »strukturelle(n) Zwang zur Inszenierung von Bedrohungen, um die demokratische Öffentlichkeit zur Übernahme imperialer Verpflichtungen zu motivieren. Die Politik der Inszenierungen und Täuschungen dient dazu, die Lücke zwischen Demokratie und Imperium zu schließen.« (ebd.) Münkler zählt die »moralische Glaubwürdigkeit« zwar zu den Ressourcen imperialer Herrschaft, weist aber den Gedanken entschieden zurück, sie könne jemals ein vernünftiger Maßstab der Politik sein. Obwohl er dem »anspruchsvolle(n) Ideologiekonzept der Marxschen Theorie« (ebd.) seinen Respekt nicht verwehrt, verzichtet Münkler programmatisch und plakativ auf jede Ideologiekritik, verharmlost imperiale Herrschaft zynisch als »Form von Problembearbeitung« (a.a.O., S. 10) und degradiert handelnde Menschen zumindest metaphorisch auf die Rolle von bloßen Erfüllungsgehilfen einer imperialen Herrschaftslogik.

Perspektive der Herrschenden

Einfache Menschen, die unter den Zumutungen der Machthaber leiden oder sich zusammenschließen, um sich von ihnen zu befreien, kommen selten in den herrschaftsnahen Blick des Politikanalytikers. Die von Münkler gewählte Perspektive von oben verzerrt die Wahrnehmung sozialer Bewegungen. Ihre Befreiungsperspektive und Friedensfähigkeit wird herausgefiltert, politischer Widerstand lediglich als Störungspotential der Ordnung wahrgenommen. Als einzig erfolgversprechender Friedensgarant erscheint die simple, pure Gewaltherrschaft: »Was in aktiver Friedenspolitik ins Spiel gebracht wird, ist der Dritte. Ein Dritter, der so stark ist, daß er die Gewaltoption der miteinander im Krieg oder im latenten Krieg befindlichen Seiten unterbinden, unterdrücken kann.«4 Münkler erklärt Herrschaft zum universalgeschichtlichen Friedensprinzip. Unzulässigerweise vergleicht er immer wieder die reale Grausamkeit der sogenannten neuen Kriege mit der normativen Vorstellung von einem konventionellen Staatenkrieg, der durch bestimmte humanitäre Ideen reguliert werde. Die irregulären Schrecken der neuen Kriege entfalten sich vor der Folie eines scheinbar halbwegs humanen, zumindest eingehegten und kontrollierbaren Kriegs, den es so allerdings nie gegeben hat. »Der Krieg wurde nach Regeln erklärt, und nach ebensolchen Regeln wurde er auch wieder beendet. Dementsprechend war er zeitlich präzise begrenzt: An seinem Anfang stand die Kriegserklärung und an seinem Ende der Friedensschluß. (…) Er ist ein Kampf zwischen Soldaten, der nach Regeln, die als Kriegsrecht kodifiziert sind, ausgetragen wird.« (Neue Kriege, S. 24)

Nun hat Münkler wohl recht damit, daß all dies in den sogenannten neuen Kriegen nicht der Fall sei. Doch wie steht es wirklich mit den alten Staatenkriegen? Macht es für die sich gegenseitig mordenden Soldaten, für die vergewaltigten Frauen, die um ihr Hab und Gut gebrachten einfachen Leute, die verwaisten Kinder einen Unterschied, aus welcher Richtung die Bomben fielen, ob sie von staatlichen oder irregulären Granaten zerfetzt wurden? Die Theorie vom regulären Staatenkrieg erwächst nicht aus der Perspektive der Hauptbetroffenen, der potentiellen Opfer. Sie kommt vielmehr jenen entgegen, die über Menschen als Kanonenfutter verfügen wollen. Münkler selbst nennt in seinem Buch »Die Neuen Kriege« (Hamburg 2004) so viele Ausnahmen und Einschränkungen, daß eines klar wird: Hier ist nicht das reale Kriegsgeschehen gemeint, sondern ein Idealbild, das »im wesentlichen unsere Vorstellung vom Krieg bis heute geprägt« hat (ebd., S. 24). Wie unscharf Münkler selbst die Grenze zwischen alten und neuen Kriegen zieht, zeigt das folgende Zitat: Man könne darüber streiten, ob das »auf Symmetrien der militärischen Strategie, der politischen Rationalität und der völkerrechtlichen Legitimität errichtete System bereits im Ersten Weltkrieg, im Verlauf des Zweiten Weltkrieges oder erst mit dem Niedergang der Sowjetunion und dem Aufstieg der USA zur allein dominierenden Macht zerbrochen ist«. (a.a.O., S. 122)

Bei näherer Betrachtung entpuppt sich der vorgebliche Realismus des Kriegstheoretikers Münkler also als die konservative Spielart eines gefährlich naiven Wunschdenkens, das die staatsförmige Konzentration militärischer Gewalt zur universalen Voraussetzung friedlichen Konfliktaustrags macht. Alternativlos sei solche Herrschaftsgewalt schon deshalb, weil auch die vorstaatlichen Gesellschaften der griechischen Antike und der mittelalterlichen Feudalwelt nicht ohne permanente Gewaltbereitschaft hätten auskommen können. Da diese »Belligerenz« aber »erheblich unterhalb der Schwelle dessen lag, was seit der Entstehung der Staatlichkeit Krieg heißt«5, erklärt Münkler den Staat in einer eigentümlichen Verzerrung der historischen Fakten zum alleinigen »Schöpfer von Krieg und Frieden.«6

Die Logik der Macht

In dem merkwürdig statisch wirkenden Bild der Weltgeschichte, das Münkler in seinem Imperien-Buch skizziert, gibt es vor der Herrschaftslogik der Imperien daher kein Entrinnen. Im Rückgriff auf antikes und spätmittelalterliches Denken verknüpft er das Schicksal jedes Gemeinwesens unauflöslich mit der Fähigkeit der Herrschenden, ihre Handlungen optimal den Zwängen scheinbar natürlicher Ablaufgesetze einer »politischen Physik« (Imperien, S. 70) der Macht einzupassen: »Danach durchlaufen politische Gemeinschaften in ihrer Geschichte mehrere Zyklen, in denen sie auf- und absteigen, und sowohl die Anzahl der Zyklen als auch die Verweildauer im oberen Zyklensegment hängt wesentlich vom Geschick und von der Weitsicht ihrer führenden Politiker ab.« (a.a.O., S. 110) Frieden schafft nur, wer Macht hat. Wer lange herrscht, kann umso langfristiger Frieden schaffen. Aber nur, wer weiß, wie man mit Hilfe politischen Kalküls den Zeitpunkt des notwendigen Abstiegs hinauszögert, kann lange herrschen. Ist die Logik der Macht einmal erkannt, kann sie auf historisch konkrete Situationen übertragen und den Herrschenden von der sozialwissenschaftlichen Politikberatung als vermeintlich vernünftige Handlungsoption empfohlen werden.

Ekkehart Krippendorff hat eindrücklich beschrieben, wie eine potentiell kritik- und innovationsfähige Wissenschaft sich damit selbst immer mehr auf die Produktion von bloßem Herrschaftswissen reduziert: »Herrschaftswissen erklärt den Regierenden ihre eigne Tätigkeit, unterfüttert sie mit Strategien, deren diese sich in der Regel gar nicht bewußt sind oder die sie nicht selbst zu reflektieren und artikulieren vermögen.«7 Münkler versteht sich mit eitlem Stolz ausdrücklich als ein solcher Berater der politischen und militärischen Herrschaftseliten. »Ich lerne selber viel, wenn ich mich mit Generälen und Politikern über meine Theorien unterhalte«, bekannte er in einem Interview für die Wochenzeitung Die Zeit (30.10.2003). »Was ich denen zu verkünden habe, hören sie zwar meist nicht gern, aber sie wissen, daß sie umlernen müssen.« Daß er von dem Journalisten Jörg Lau als ein wandelnder »Ein-Mann-Think-Tank« bezeichnet wurde, kann den »Stichwortgeber für den Generalstab der Bundeswehr, den Planungsstab im Auswärtigen Amt und auch für humanitär engagierte NGOs« (Zeit) nur geschmeichelt haben. Schenkt man Münklers eigenen Aussagen Glauben, dann gehen seine herrschaftsfrohen Visionen selbst gestandenen Soldaten zu weit: Im Generalstabslehrgang der Bundeswehr habe er erklärt, inwiefern das Militär in den neuen Konflikten immer mehr Polizei- und Geheimdienstfunktionen werde übernehmen müssen. »Ein General sagte mir dann, in einer Armee, wie ich sie skizziert hatte, würde er nicht mehr dienen wollen.« (ebd.)

»Imperiale Mission«

Auf die Frage der taz, ob er ein ein Imperialist sei, antwortete Münkler: »Nein, dazu ist der Begriff zu negativ besetzt.«8 Da das Wort nicht gefällt, schreibt Münkler die Sache schön. Für die imperiale Handlungsweise lägen gute Gründe vor, die eher im Gemeinwohl als in den Interessen der ökonomisch und politisch Mächtigen zu suchen seien. Die angeblich »gute Sache« imperialer Herrschaft ist nichts anderes als die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Warentauschs. Bei der US-Besetzung des Irak sei es nicht um die unmittelbare Aneignung des Öls gegangen: »Das liegt überhaupt nicht in der Logik der imperialen Ordnung. Das wäre das Modell von Nazideutschland, das Ressourcenkontrolle mit militärischen Mitteln betrieben hat. Dagegen stellt das amerikanische Imperium nur sicher, daß die Ressourcen zu Marktbedingungen gehandelt werden. So wird sichergestellt, daß um strategische Ressourcen keine Kriege geführt werden müssen, man kann sie kaufen.« (Neue Kriege, S. 13)

Münkler reduziert die Dynamik der auf komplexe Weise miteinander verwobenen ökonomischen, politischen und ideologischen Stränge weitgehend auf eine, nämlich die politische Herrschaftslogik. Daher diagnostiziert er auch nicht die systematische Erzeugung sozialer Ungleichheit durch gewaltgestützte Ausbeutung, sondern den nicht zuletzt durch Befreiungsbewegungen beförderten Zerfall von Imperien als die gefährlichste Friedensbedrohung. »Nahezu alle Kriege, die in den letzten zehn bis zwanzig Jahren unsere Aufmerksamkeit für kurze oder längere Zeit in Anspruch genommen haben, entwickelten sich an den Rändern und Bruchstellen der einstigen Imperien, die bis zu Beginn des vorigen Jahrhunderts die Welt beherrscht und unter sich aufgeteilt hatten.«9 Das angeblich Gute imperialer Herrschaft entdeckt Münkler in seinem Imperien-Buch in den »selbstbindenden Aspekten« jeder »imperialen Mission« (a.a.O., S. 146). Damit ist gemeint, daß Imperien sich gewöhnlich selbst dazu verpflichteten, langdauernde zivilisatorische Aufgaben zu übernehmen. Im Falle der USA wäre das heute z.B. die weltweite Verbreitung der liberalen Demokratie. Dadurch rückten ihre kurzfristigen materiellen Interessen zwangsläufig in den Hintergrund, und Intellektuelle unterstützten die imperiale Macht durch ihre Perspektiven und Visionen. Demokratie und Medien sorgten heute dafür, daß die »Wahlbevölkerung im imperialen Zentrum« (ebd.) in den Ausgleich von Mission und Interessendurchsetzung einbezogen sei und selbst »die Bevölkerung der Peripherie« die »Geltung der imperialen Mission gegen die tatsächliche Politik des Empire« (ebd.) einfordern könne. Im übrigen weist Münkler die (verkürzt dargestellten) Annahmen und Analysen marxistischer Imperialismustheorien zurück, nach denen die Bevölkerung der Peripherie vor allem ausgebeutet würde. Vielmehr garantierten Imperien auch ihrer Peripherie den Frieden, stellten kollektive Güter bereit und investierten direkt in den von ihnen beherrschten Raum. Auf diese Weise profitierten auch die Bewohner der Peripherie von der prosperierenden Wirtschaft des Zentrums und gelangten in die Nähe des dort erreichten zivilisatorischen Niveaus. Schließlich lüden die Regierungen peripherer Staaten das Imperium zuweilen regelrecht dazu ein, sie militärisch zu schützen oder ihren Interessen Nachdruck zu verleihen. Die Herrschaft des Imperiums erscheint somit als von der Peripherie selbst gewollt.

Sub-Imperium Europa?

In einer Weltökonomie fortschreitender Ungleichheitsproduktion ist für Münkler nicht mehr das Modell formal gleichberechtigter Staaten, sondern allein das von vorneherein auf die Durchsetzung politischer und ökonomischer Ungleichheit zielende Weltreich ein vielversprechender und politisch vernünftiger Ordnungsgarant. Der Hauptkandidat für die postulierte Weltherrschaft sind für ihn nach wie vor die USA. Das hindert ihn jedoch nicht daran, auch den Politikern der Europäischen Union Anleihen bei der Herrschaftslogik der Imperien zu empfehlen. Die EU könne dann in die Rolle eines Sub-Imperiums der USA hineinwachsen: »Sub-Imperium bedeutet, daß sich die imperiale Superstruktur von regionalen Ordnungsaufgaben entlastet.«9 Wolle die EU jedoch in Münklers Sinn imperiale Politik betreiben, müsse sie zunächst allerdings das politische Binnenverhältnis der EU-Staaten von demokratischem Ballast befreien: »Ohne eine stärkere Hierarchie der EU-Staaten wird es keine gemeinsame Handlungsfähigkeit der Europäer nach außen geben.« (Imperien, S. 249) Nur indem eine EU imperial gestufter Einflußzonen sich in die Lage versetze, vor ihrer eigenen Haustür mit koordinierten militärischen Mitteln Ordnung zu schaffen, könne Europa gegenüber den USA handlungsfähig werden. Leander Scholz hat das Imperien-Buch daher im Deutschlandfunk als »Appell zur imperialen Machtergreifung Europas« bezeichnet. Wie sagte Münkler so schön: »Mit Kassandren ist kein Staat zu machen.«10 Mit Herfried Münkler dagegen sogar die Weltherrschaft.

1 Vgl. Krippendorff, Ekkehart, Kritik der Außenpolitik. Frankfurt a.M. 2000, S. 91

2 Vgl. Uwe-Jens Heuer, Die Umbewertung des Marxschen Denkens, in jW, 13.10.2004:

3 IABLIS Jahrbuch für europäische Prozesse 2005: »Ein netter intellektueller Schachzug«, Herfried Münkler im Gespräch mit Renate Solbach (www.iablis.de)

4 a.a.O.

5 Münkler, Herfried, Gewalt und Ordnung. Frankfurt a.M. 1992

6 Vgl. Münkler, Herfried, Staat, Krieg und Frieden, Die verwechselte Wechselbeziehung, in: Steinweg, Reiner (Redaktion): Kriegsursachen, Frankfurt a.M. 1987, S. 144

7 Vgl. Krippendorff, Ekkehart, a.a.O., ebd.

8 »Keine Angst vor dem Imperium«, taz, 1.8.2005, Interview Ralph Bollmann

9 »Keine Angst vor dem Imperium«, a.a.O.

10 IABLIS Jahrbuch für europäische Prozesse 2005, ebd.

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Hier abschließend noch einige Zitate aus Wikipedia über Wippermann und Münkler:

Wippermann studierte Geschichte, Germanistik und Politikwissenschaft in Göttingen und Marburg. 1975 wurde er mit der Arbeit „Der Ordensstaat als Ideologie“ bei Professor Ernst Nolte (sic) promoviert. 1978 habilitierte er sich mit der Schrift „Die Bonapartismustheorie von Marx und Engels“.
Wippermann ist Mitglied im Corps Hildeso-Guestphalia Göttingen und im Corps Vandalia Rostock im Kösener Senioren Convents-Verband (KSCV).

Münkler promovierte 1981 zum Thema Geschichtsphilosophie und politisches Handeln. Nicollo Machiavellis Antworten auf den Zusammenbruch der christlichen Geschichtsphilosophie und die Krise der Republik Florenz und habilitierte sich 1987 mit einer Arbeit Staatsraison. Ein Leitbegriff der Frühen Neuzeit jeweils im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Frankfurter Unversität. Sein Machiavellibuch gilt noch immer als Standardwerk.
In seiner Jugend war Münkler Mitglied der Jungsozialisten.

 

 

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/11/05/elitaere-quatschkoepfe-2/

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kommentare

  • Hier eine aktuelle Anmerkung von Knoxx (BBB – Ber Brazil Bremen):

    Hi Aushilfshausmeister, einfach nur Bescheid sagen…..
    Kämpfe hier inzwischen weiterhin wie ein Löwe gegen das
    bescheuerte Nichtraucherschutzgesetz für kleine
    Einraumkneipen. Keiner dieser be….Nichtraucher
    besucht unsere Bars & Kneipen, allerhöchsten mal auf
    einen Apfelsaft an heissen Nachmittagen…sie sollen
    sich verpissen oder mal für etwas sinnvolleres
    kämpfen, wie “Legalize it!” Ach ja, der Werner PIeper
    hat doch ein nettes BUch über die 60-er gemacht,
    ..da fehlst Du ganz eindeutig!
    -Im letzten Spiegel 44
    über die 68-er sind typischerweise wieder solche
    Arrivierten,diesmal Bremer, die schon 71, 72 bei KBW,
    DKP oder Juso-Hochschulgruppe untergekrochen waren,die
    sind somit für die ganze kulturrevolutionäre Bewegung
    etwa genauso repräsentativ wie diese Uschi
    Obermaier…Hugh!!!…
    bis später KNOXX

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