vonHelmut Höge 08.11.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Merkwürdig, es passieren so viele schreckliche Überfälle, Morde, Verbrechen jeden Tag, das Soziale erodiert rapide – und gleichzeitig sind alle “Zusammenhänge”, Netzwerke, der Linken seit der “Wende” (Egon Krentz)  in Ost und West erst mal zerrissen. Mühsam  versuchen Arbeitslosen-Initiativen, Volxküchen,  Grundeinkommen-Aktivisten, Genossenschaftsverfechter, Privatisierungsgegner,  Genkritiker  etc.  sich wieder zusammen zu finden.  In bezug auf die Linke  kreist die öffentliche Auseinandersetzung jedoch  seit geraumer Zeit  albernerweise um die RAF und die geheime der Staatsschützer um die “mg”. Michael Sontheimer meint, letztere versuchen damit krampfhaft  ihre  Stellen zu verteidigen  – um nicht mangels  “Gegner” (Feind)  abgewickelt zu werden.

Tatsächlich ist es beim jetzigen Stand der Linken wohl ziemlich überflüssig, Luxuskarossen abzufackeln, statt die Arbeit am Begriff und an der (Ver)Sammlung zu forcieren. Kommt noch von außen in Form von Nachrichten hinzu, dass die so genannte “Weltlage” derzeit anscheinend zu einem regelrechten Weltkrieg tendiert – Irak, Iran, Israel, Libanon, Georgien, Afghanistan, Pakistan, Tschetschenien, Kolumbien, Sri Lanka, Türkei: überall dräut ein Bürgerkrieg und in den EU-Staaten formieren sich die Neonazis, verfolgen Ausländer, Zigeuner, Obdachlose. Die Gewalt gegen Frauen, Vergewaltigungen, nehmen  immer mehr zu. Desgleichen die Kindesverwahrlosung – bis hin zum Kindesmißbrauch. Und dann noch diese trüben Novembertage  obendrein.
Fast regt man sich schon nicht mehr auf, wenn man eine Mail wie die folgende bekommt:
Pressemitteilungen

Journalisten und Tageszeitung im Visier (Nr. 186)
Berliner Journalisten und Tageszeitungen im Visier

08.11.2007

Nach Informationen der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union
(dju) in ver.di Berlin-Brandenburg hat das Bundeskriminalamt vom 18. bis 22.
Mai 2007 die Post an die Berliner Zeitung, die Berliner Morgenpost, die BZ
und den Tagesspiegel im zuständigen Postverteilzentrum „gefilzt“.
„Dieses Vorgehen der Ermittlungsbehörden hebelt den Informantenschutz
komplett aus“, kritisiert Andreas Köhn, stellvertretender
ver.di-Landesbezirksleiter die Aktion. „Wenn die Redaktionen nicht einmal
darüber informiert werden, wie sollen Informanten sich dann noch sicher
sein, wenn sie mit einer Redaktion in Kontakt treten. Sie müssen jederzeit
davon ausgehen, dass Post abgefangen wird.“ Dies erinnere an Methoden, die
zu anderer Zeit in diesem Land schon einmal üblich waren.
Nach einem Beschluss des Bundesgerichtshofs wurde die Durchsicht und
Beschlagnahme sämtlicher an die Verlage gerichteter Postsendungen gestattet.
Zwei Briefe an die Berliner Morgenpost und die BZ wurden beschlagnahmt,
kopiert und ausgewechselt.
Die Aktion des Bundeskriminalamtes stand im Zusammenhang mit Ermittlungen
gegen die so genannte „Militante Gruppe“. Die Fahnder wollten so
„Bekennerschreiben“ abfangen.
„Das Vorgehen der Ermittler macht deutlich, was bereits heute rechtlich
möglich ist“, betonte Köhn. „Wenn der Bundestag am Freitag die
Vorratsdatenspeicherung beschließt, wird endgültig der Informantenschutz in
Deutschland beerdigt. Wir fordern alle Bundestagsabgeordneten auf, zum
Schutz der Demokratie und Pressefreiheit nicht dem Sicherheitswahn zu
erliegen und gegen den Antrag von Bundesinnenminister Schäuble zu stimmen.“
*Anmerkung für das BKA: Wir werden unsere Quellen nicht offen legen.


Pressestelle des Landesbezirks der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft
(ver.di)
Andreas Köhn – stellv. Landesbeirksleiter Berlin-Brandenburg (Tel.: 030/
8866 – 4106)

Herausgeber:

Pressestelle des Landesbezirks Berlin-Brandenburg
der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)
Andreas Splanemann – Pressesprecher
(Tel: 030/ 8866 – 4111)

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/11/08/staatsschutz-vs-mg/

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kommentare

  • Aus der Praxis der Geheimdienste (mail von heute):

    Spatzen im Winter

    Ach, es war so schön – nach der Entscheidung des BGH, dass ein Haftbefehl für Andrej definitiv nicht die richtige rechtstaatliche Maßnahme sei, wurde es ruhig. Kein Knacken im Telefon, kein Krisseln im Fernseher, keine Nichtstuer auf der Straße (nur ein paar kaputte Computer). Nun pfeifen alle Spatzen, die noch nicht erfroren sind, von den Dächern, dass die nächste BGH-Entscheidung ansteht, und zack – da sind sie wieder. Ob das in einem kausalen Zusammenhang steht, lässt sich wie immer schwer sagen.

    [Update: Der BGH gibt die Entscheidung morgen, Mittwoch, gegen 12 Uhr bekannt.]

    Und so begab sich also folgendes:

    Auf dem Weg zur Kita, um mit unserer Tochter zum Eltern-Kind-Turnen zu gehen, unternahm Andrej noch einen kurzen Abstecher zum Büro der telegraph-Redaktion. Die Straßenbahnfahrt hatte (durch den Abstecher) eine etwas chaotische Streckenführung. Auf dem Rückweg vom telegraph begegnete er nach dem Umsteigen in die Tramline 8 (Greifswalder/Mollstraße) einem jungen Mann zum zweiten Mal, der ihn knapp eine halbe Stunde zuvor schon in der Tramline 4 Richtung Weißensee, auf dem Hinweg, begleitet hatte. Für alle NichtberlinerInnen: um aus dieser Fahrtrichtung in die besagte Linie 8 zu wechseln, hätte er mindestens dreimal umgesteigen müssen – in einer halben Stunde nur sehr sportlich zu schaffen. Der ungeschickt zugestiegene mutmaßliche Beamte war aber nicht der einzige mit eher offensiver Vorstellung vom Überwachen. Ein anderer, der ebenfalls in der Straßenbahn saß und Andrej begleitete, hatte Kopfhörer auf und murmelte beim Aussteigen den Namen der Haltestelle in seinen Kragen “Rosa-Luxemburg-Platz”. Kein Wort vorher und keins hinterher – für eine normale Telefonkommunikation ziemlich einsilbig. Mal angenommen, dass es Teil einer ordnungsgemäßen Observation ist, dass die jeweiligen Beamten ab und an ihren Standort an die Zentrale oder die KollegInnen durchgeben, kann ich mir nicht vorstellen, dass im Handbuch vorgesehen ist, dass das in der Bahn neben der Zielperson stattfindet, und nicht etwa beim Aussteigen?

    Gerade heute abend habe ich mich bei der Vorbereitung der Veranstaltung in der NGBK morgen wieder darüber unterhalten, ob es Absicht oder Trotteligkeit ist, wenn Überwachung spürbar wird. Wir waren uns einig, dass es wahrscheinlich nicht eindeutig zu entscheiden ist – manchmal sollst du es mitkriegen, manchmal war die Methode technisch noch nicht ganz ausgereift, manchmal waren die Azubis am Werk, oder zuwenig Beamte im Einsatz, weil die jetzt immer alle zur Abteilung für islamistischen Terror abgezogen werden (Hallo GdP). Neuerdings müssen sie wahrscheinlich alle im Ringelreihen um die Atomkraftwerke fliegen.

    Auch eher aus der Kategorie ‘putzig’ eine Begebenheit der letzten Woche:

    Nach einem Telefonat eines Beschuldigten mit einem Journalisten, in dem es u.a. um BKA-Chef Zierckes Rede bei der BKA-Tagung zum Thema ‘Tatort Internet’ ging und die sichtlich schlechte Laune, die er nach einer Frage zum mg-Verfahren entwickelte, fand noch ein weiteres Telefonat statt. Und nach diesem klingelte nochmal das Handy: die vorher Angerufene meldete sich: “Ja, warum rufst du nochmal an?”. Bei ihr hatte es auch geklingelt.

  • Und hier noch eine Mail von heute:

    Gericht ordnet Ermittlungen wegen Volksverhetzung beim Erwerbslosen Forum Deutschland an

    Staatsanwaltschaft Aachen setzt absurde Forderungen nach Datenherausgabe gerichtlich durch – Bekannter Kölner Strafverteidiger mit der Wahrnehmung der Interessen und Durchsetzung des Datenschutzes beauftragt
    Aachen/Bonn – Nach einem Beschluss des Amtsgerichts Aachen, soll das Erwerbslosen Forum Deutschland Daten von einzelnen Mitgliedern an die Staatsanwaltschaft herausgeben, die wegen völlig absurden und überzogenen Verdächtigungen wegen Volksverhetzung, Verdachts der Belohnung und Billigung von Straftaten ermittelt. Hintergrund sind Leserbeiträge von Mitgliedern, die nach einer versuchten Geiselnahme (5. September) in der Aachener ARGE einer offensichtlich zum Tatzeitpunkt verwirrten Person, ein gewisses Verständnis für derartige Vorfälle äußerten. Unter anderem wurden die häufig auftretenden willkürlichen Sanktionen und Leistungseinstellungen der Hartz IV-Behörden für derartige Vorfälle verantwortlich gemacht. Das Erwerbslosen Forum Deutschland hat nun einen bekannten Kölner Strafverteidiger eingeschaltet, damit dieser «Irrsinn» sofort gestoppt wird.
    Vor vier Wochen hatte das Erwerbslosen Forum Deutschland es abgelehnt, dem Aachener Staatsschutz Daten heraus zugeben und auf fehlende rechtliche Grundlagen und die völlig überzogenen Verdächtigungen verwiesen. (siehe auch Pressemeldung vom 18. Oktober http://www.erwerbslosenforum.de/nachrichten/18_182007181018_226.htm ) Mit der jetzigen gerichtlichen Verfügung ist nach Ansicht der bundesweiten Erwerbsloseninitiative die zuständige Richterin offensichtlich ohne weitere Prüfung dem Antrag der Staatsanwaltschaft mit seinen «maßlos übertriebenen» Verdächtigungen gefolgt. «Wir haben einen Strafverteidiger eingeschaltet um unsere Mitglieder vor derart überzogenen Verdächtigungen zu schützen. Der Staatsanwaltschaft so ohne weiteres nach zugeben würde bedeuten, dass sich viele Menschen bei uns nicht mehr sicher fühlen, die sich mit sehr vertraulichen Problemen an uns wenden. Es muss auch gestattet sein, dass man ein gewisses Verständnis für Menschen äußert, die offensichtlich unter Druck stehen und derartige Taten begehen. Das bedeutet aber keineswegs, dass damit Straftaten belohnt oder gebilligt werden», so Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland.

    Auf völliges Unverständnis trifft der Verdacht der Volksverhetzung bei der Initiative. «Wir betrachten eine derart ungeheuerliche Verdächtigung als den Versuch, die erfolgreiche – für Behörden oft unbequeme – Arbeit und Meinungsfreiheit des Erwerbslosen Forum Deutschland einzuschränken. Wir weisen darauf hin, dass es keine gesetzliche Vorschrift gibt, wonach wir zur Speicherung von Internetdaten verpflichtet wären. Deshalb sind wir auch nicht im Besitz von Daten, die auf die Identität von Beitragsschreibern zurückführen könnte», so Behrsing in Bonn.

    Das Erwerbslosen Forum Deutschland bedankt sich gleichzeitig bei den zahlreichen Menschen, die Gelder für die Beauftragung eines Rechtsanwaltes gespendet hatten, damit der Datenschutz auch weiterhin Vorrang bei Selbsthilfeorganisationen hat, die nicht immer bequem für Behörden sind.

    Reaktionen und Meinungen
    http://www.elo-forum.org/showthread.php?t=18465
    NULLSPAM.redaktion@erwerbslosenforum.de

  • Vom Ostbüro (Teschner) bekam ich zuletzt folgenden Text geschickt:

    Gebildet, unauffällig, verdächtig

    Seit Jahren ermittelt die Bundesanwaltschaft mit aller Härte gegen vermeintliche linke Terroristen. Nun kritisiert der Bundesgerichtshof die Praxis in ungewöhnlicher Schärfe.

    Im Kosmos jener Wissenschaftler, die über das Leben in Städten forschen, gilt Matthias B. als angesehener Fachmann. Vor kurzem trat der Leipziger Politologe bei einem Kongress im kanadischen Vancouver auf und referierte über Infrastrukturprobleme in Metropolen. Doch die anschließende Diskussion driftete schnell ins Persönliche: Was da los sei in Deutschland, wollten die Kollegen wissen, mit “dieser Sache”.

    Matthias B., 37, trägt eine schmalrandige Brille und einen Dreitagebart. Er sitzt in Leipzig in einem Cafe und versucht, “diese Sache” zu erklären, aber es fällt ihm schwer. Unter den Augen hat er dunkle Ringe. “In so einer Lage”, sagt er, “schläft man unruhig und nicht viel.”

    Der Akademiker gilt der Bundesanwaltschaft seit gut einem Jahr als Terrorverdächtiger; die Ermittier sind überzeugt, ihn als intellektuellen Hintermann der militanten linken Szene ausgemacht zu haben.

    Seit September 2006 befindet sich B. im Visier des Bundeskriminalamts (BKA). Anlass waren, so heißt es in einem vertraulichen BKA-Auswertebericht, “Internet-Recherchen”. Die Ermittier waren via Google auf einen Aufsatz über das Kosovo gestoßen, den Matthias B. 1998 in der Ostberliner Zeitschrift “Telegraph” veröffentlicht hatte. Darin kamen Wörter vor, die auch in Texten einer linksradikalen Truppe namens “militante gruppe” (,.mg”) auftauchten, die sich seit 2001 zu 25 Anschlägen bekannt hat, darunter gegen Fahrzeuge von Polizei und Bundeswehr. Beim Textvergleich erschienen BKA-Beamten Wörter wie “drakonisch”, .,implodiert” und “Propaganda der Tat” verdächtig.

    Weil der promovierte Politikwissenschaftler zudem einen weiteren Beschuldigten persönlich kennt. wurde sein Telefon abgehört. Das Landeskriminalamt kontrollierte seine E-Mails. überwachte den Eingang seines Wohnhauses in Leipzig mit einer Videokamera und sandte einmal pro Stunde heimlich eine SMS aufs Handy um herauszufinden, wo er sich gerade aufhielt. Ende Juli, als B. in Litauen Urlaub machte, drangen Polizisten in seine Wohnung ein und durchsuchten sie.

    Der Akademiker bekennt offen, “auch Leute in der autonomen Szene zu kennen”. Der Bundesanwaltschaft scheint das Anlass genug, gegen ihn wie gegen mehr als 30 weitere Linke zu ermitteln – wegen des Verdachts des Terrorismus.

    In einem seit den Terrorjahren der Roten Armee Fraktion (RAF) bei Linksradikalen nicht gekannten Ausmaß durchleuchten Fahnder derzeit das amorphe Milieu von Globalisierungskritikern, Autonomen und außerparlamentarischen Aktivisten. Manche Staatsschützer vermuten hier noch immer die subversivsten aller Staatsfeinde.

    Allein in der Hauptstadt hat die Kripo an rund 20 Orten Videokameras installiert, darunter vor einer Bäckerei, in der zwei Verdächtige allmorgendlich Brötchen backen. Mehr als 2000 Personen tauchen in den Akten als Kontaktleute auf, in den Netzen der Fahnder haben sich auch Journalisten von Zeitungen und SPIEGEL ONLINE verfangen, deren Telefonate mit Beschuldigten mitgeschnitten wurden.

    Doch was in den Amtszimmern der Ermittler begann, als sei der Staat in seinen Grundfesten bedroht, endet womöglich wie eine Farce, verglichen mit jenen Zeiten, in denen die RAF die westdeutsche Republik tatsächlich an den Rand des Staatsnotstands brachte. In den kommenden Tagen wird der Bundesgerichtshof (BGH) am Beispiel der “militanten gruppe” darüber befinden, ob die Staatsschützer übers Ziel hinausgeschossen sind – und mit Kanonen auf Spatzen gefeuert haben. Im Zentrum steht die Frage, ob im Zeitalter islamistischer Massenmörder Sabotage gegen den G-8-Gipfel oder Brandanschläge mit Sachschaden als Terrorismus zu werten sind oder als schlichter krimineller Akt.

    Viel spricht dafür, dass der 3. Strafsenat des BGH unter Vorsitz von Klaus Tolksdorf zu einer zeitgemäßen Auslegung des Gesetzestextes neigt. Nach den bisherigen Beratungen. so ließen die Richter Ende Oktober Generalbundesanwältin Monika Harms in einem Schreiben wissen, sehe der Senat derzeit “nicht den dringenden Verdacht begründet”, dass es sich bei der “militanten gruppe” um eine Terrorvereinigung handle. Man könne die Gruppe eher als “kriminelle Vereinigung” betrachten – und entsprechend verfolgen. Ein ähnlich skeptisches Schreiben verfassten die BGH-Richter auch im Verfahren gegen Globalisierungskritiker, mit dem Harms vor dem G-8-Gipfel Anfang Mai Furore machte.

    Die Richter beziehen sich auf eine grundlegende Reform des Anti-Terror-Paragrafen 129a im Strafgesetzbuch. Die damalige rot-grüne Bundesregierung hatte 2003 dafür gesorgt, dass etwa Brandanschläge künftig nur noch dann als Terrorismus gelten, wenn sie dazu bestimmt sind, “die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern” oder auch die “Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen”.

    “Kleinere Sachen”, so die grüne Fraktionschefin Renate Künast, sollten nicht mehr automatisch als Terrorismus verfolgt werden. “Rein untergeordnete Folgen” eines Anschlags “ohne deutlich spürbare Auswirkungen”, kommentiert der am aktuellen Verfahren beteiligte Bundesrichter, Klaus Miebach, genügten jedenfalls nicht. Das Gesetz von 2003 habe “die Latte höhergelegt” , sagt Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), “und das war absolut sinnvoll” – nur sprach es sich offenbar nicht bis nach Karlsruhe zur Bundesanwaltschaft herum.

    Denn die obersten Ermittler der Republik machten weiter, als hätte es die Gesetzesreform nie gegeben. Mit den Razzien vor dem G-8-Gipfel in Heiligendamm verschärfte die seit 2006 amtierende Behördenchefin Harms noch den Kurs. Sie begründete die Durchsuchungen in gleich sechs Bundesländern damit, dass eine Art Zentralkomitee der autonomen Szene bundesweit für mehr als ein Dutzend Anschläge verantwortlich sei, darunter einen Brandsatz vor dem Haus von Bundesfinanzstaatssekretär Thomas Mirow in Hamburg. Man könne zwar nicht sagen, wer die Anschläge begangen habe, aber man glaube, die Drahtzieher benennen zu können: altbekannte Veteranen der Autonomenszene wie Armin Meyer, 66, aus dem brandenburgischen Niederfinow oder Fritz Storim, 68, aus Hamburg.

    Von Storim, der seit den siebziger Jahren in der Anti-Atom-Bewegung aktiv ist, drei weiteren Hamburgern sowie einem Bremer nahm die Bundesanwaltschaft Geruchsproben wie weiland Erich Mielkes Stasi in der DDR. Die angeblichen Terroristen mussten jeweils elf Metallstäbe eine Minute in der Hand halten. Später beschnüffelten die Diensthunde “Branca”, “Pepper”, “Sunny” und “Zoey” zunächst Bekennerschreiben zu Anschlägen im norddeutschen Raum, dann die Stäbe. Enttäuscht notierte der für die Schnüffelversuche verantwortliche Hauptkommissar jedoch, dass keiner der Spürhunde ein Röhrchen der Beschuldigten angezeigt habe.

    Weil die Fahnder während der Razzia Zugang zu den Unterkünften der notorisch misstrauischen Linken hatten, nutzten sie die Gelegenheit und bauten in einer der Wohnungen gleich noch eine Wanze ein. Per Lauschangriff wurde vieles aufgezeichnet, Verfahrensrelevantes war offenbar wenig dabei – nach fünf Wochen wurde das Mikrofon wieder demontiert.

    Fritz Storims Freund Armin Meyer, einen pensionierten Politologen, suchten die Ermittler in dessen brandenburgischem Wohnort nahe der polnischen Grenze auf. Meyer war SPD-Mitglied, bevor er sich den Autonomen anschloss. Aus seiner systemkritischen Haltung macht er bis heute keinen Hehl: “Ich versuche weiterhin, gegen die herrschenden Verhältnisse zu kämpfen.” In einem geheimen Dossier hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz Meyer im März 2006 als strategischen Kopf der Szene beschrieben, weil der Linksausleger sich zusammen mit seinem Sohn Stephan, genannt “Mao”, und drei weiteren Ex-Autonomen in einem Buch indirekt zu Anschlägen im Jahr 1988 bekannt hatte. Aufgrund des Dossiers begann das BKA zu ermitteln.

    Beamte versteckten in Meyers Auto eine Wanze und einen Peilsender, hörten über 3000 Telefonate und rund 1300 Gespräche im Wagen ab. An eine direkte Beteiligung an Anschlägen des dreifachen Großvaters glauben allerdings nicht mal die Bundesanwälte: Aufgrund des “recht vorgerückten Lebensalters” bestünde nicht der Verdacht, dass er selbst gezündelt hätte, wohl aber, dass “jüngere Personen” aus der Szene dafür “rekrutiert worden sind”, angeblich auch durch Meyer.

    Welch groteske Resultate die zum Teil seit sechs Jahren andauernden Verfahren produzieren, zeigt ein Blick in die Ermittlungsergebnisse, die die Bundesanwaltschaft jetzt vorgelegt hat. So erzählte ein beschuldigter Globalisierungsgegner einem anderen am Telefon: “Ich war gestern bei Ute Zicklein essen.” Die Ermittier suchten daraufhin nach einer Ute Zicklein. In Wirklichkeit hatte der Beschuldigte mit seiner Bekannten das Fleisch einer jungen Ziege verspeist.

    Dass der BGH nun die prinzipielle Frage stellt, was heutzutage als Terrorismus verfolgt werden darf, haben sich die Ermittler, die nach dem Gesetz nicht nur be-, sondern auch entlastendes Material sammeln sollen, selbst zuzuschreiben. Zu exzessiv und einseitig wandten sie den Anti-Terror-Paragrafen in letzter Zeit an.

    Am 31. Juli zum Beispiel stürmten Polizisten morgens um sieben Uhr mit gezogener Pistole die Wohnung des Berliner Soziologen Andrej Holm, in der auch dessen zweijährige Tochter und sein fünfjähriger Sohn schliefen. Die Beamten warfen Holm, 37, auf den Boden, fesselten seine Hände auf dem Rücken; dann spürte er einen Polizeistiefel im Nacken. In der Nacht zuvor waren drei Männer aus Berlin bei dem Versuch festgenommen worden, in Brandenburg Bundeswehrlastwagen anzuzünden – die Bundesanwaltschaft rechnet die Täter der “militanten gruppe” zu.

    Die Ermittler argumentieren, dass Holm, der sich als “der autonomen Szene nahestehend” bezeichnet, im Februar und im April konspirativ mit einem der später Festgenommenen zusammentraf.

    Der Soziologe saß 23 Tage in Untersuchungshaft, dann wurde der Haftbefehl vom Bundesgerichtshof aufgehoben – einen “dringenden Tatverdacht” konnten die Rotroben nicht erkennen. Die Richter belehrten die Generalbundesanwältin, aber auch den eilfertigen Ermittlungsrichter über eine Selbstverständlichkeit: Für einen Haftbefehl benötige man Tatsachen, “bloße Vermutungen genügen dagegen nicht”.

    Der Beschluss sei eine “ziemliche Backpfeife” für die Generalbundesanwältin, sagt der Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer, Axel Filges. Der Vizevorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses und beurlaubte BGH-Richter, Wolfgang Neskovic (Die Linke), nennt die Entscheidung “fast die Höchststrafe” für Harms.

    Sollten die Richter bei ihrer bevorstehenden Entscheidung über zwei weitere Haftbefehle im “mg” -Verfahren ihre Kritik erneuern, steht generell die künftige Anwendung des Paragrafen 129a in Frage. Mit seinem hohen Strafrahmen von einem bis zehn Jahren Freiheitsstrafe, betont Anwaltskammerpräsident Filges, stelle er “die weitreichendsten Ermittlungskompetenzen bereit”.

    Umso mehr müsse man “bei der konkreten Anwendung im Einzelfall den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hochhalten”. Wenn – wie im Fall der “militanten gruppe” oder der Globalisierungskritiker – kein Menschenleben gefährdet wurde, sei der Terrorismusvorwurf “ein zu hoher Aufhänger”. Wenn man “jahrelang ermittelt und nichts findet”, rügt der Standesvertreter zudem, “dann bekommt das Ermittlungsverfahren selbst schon Strafcharakter” .

    Was ein BGH-Monitum bedeuten könnte, schwant mittlerweile auch der Bundesanwaltschaft. Der Terror-Paragraf wäre in der Praxis künftig “kaum mehr anwendbar”, warnt die Behörde in einem Schreiben an den Bundesgerichtshof; bereits im Mai hatte Harms insistiert, dass “Leute, die aus politischen Gründen den Staat in organisierter Weise mit Gewalt überziehen”, für sie sehr wohl Terroristen seien.

    Dem Leipziger Wissenschaftler Matthias hat der Disput zwischen Bundesanwaltschaft und BGH bislang freilich nicht geholfen. Obwohl sich die Vorwürfe gegen ihn durch Ermittlungen nicht erhärten ließen, wird der Wissenschaftler weiter überwacht. Seine Post bekommt er mit ein paar Tagen Verzögerung, seine Bank hat ihm das Konto gekündigt, ohne Begründung.

    Das BKA hat ein “Personenraster” möglicher “mg”-Mitglieder entworfen. Verdächtig ist danach, wer der Polizei bislang nicht aufgefallen ist, sich an “Basisstrukturen” beteiligt, “kein klassischer Autonomer” ist und die Fähigkeit hat, “wissenschaftlich / analytisch zu arbeiten und komplexe Texte zu erstellen”. Ein Profil, das “auf jeden linken Intellektuellen” zutrifft, wie Matthias B. reklamiert. “Meine größte Angst ist”, sagt der Politologe, “dass das deshalb noch Jahre so weitergeht.”

    DIETMAR HIPP, CAROLINE SCHMIDT, MICHAEL SONTHEIMER

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