vonHelmut Höge 28.11.2007

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Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Offener Brief

Bürgerinitiative Keine Erdgasverdichteranlage in Groß Köris und im Naturpark Dahme-Heideseen

Offener Brief

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Offener Brief

Offener Brief

Offener BriefAn den Minister für

Infrastruktur und Raumordnung

des Landes Brandenburg

Reinhold Dellmann

und

An die Staatssekretärin des

Ministeriums für Infrastruktur und Raumordnung

des Landes Brandenburg

Dorette König

Henning-von-Tresckow-Str. 2-8

14467 Potsdam

Betreff: Das schwebende Raumordnungsverfahren zu der von der Wingas Gmbh beantragten Erdgastransportleitung OPAL, Abschnitt Brandenburg Süd, und einer Gasdruckerhöhungsanlage („Erdgasverdichterstation“) bei Groß-Köris/Naturpark Dahme-Heideseen.

Sehr geehrte Frau König, sehr geehrter Herr Dellmann !

In großer Sorge wenden wir uns an Sie mit der Bitte um Prüfung einer Angelegenheit, die das Wohl einer ganzen Region des Landes Brandenburg angeht.

Vier Gründe haben uns bewogen, den ungewöhnlichen Weg zu gehen und uns nach Ausschöpfung aller im Raumordnungsverfahren vorgesehenen Möglichkeiten mit diesem offenen Brief direkt an Sie zu wenden:

die dramatische Dimension der in diesen Wochen anstehenden Entscheidungen;

Ihre Rahmenkompetenz als Ministerium für Infrastruktur und Raumplanung in dem noch schwebenden Raumordnungsverfahren;

die große öffentliche Aufmerksamkeit, die die Angelegenheit in den letzten Wochen gefunden hat und

das unübersehbare Votum einer zunehmenden Anzahl betroffener Menschen.

Die in diesem Verfahren auf dem Spiel stehenden Dimensionen können nicht allein Sache der Verwaltungsbehörden sein. Wir glauben, daß hier das Eingreifen der Politik nötig und auch möglich ist.

Das schwebende Raumordnungsverfahren betrifft die Pläne des Unternehmens Wingas GmbH, durch das Land Brandenburg von Norden bis Süden über eine Strecke von 270 Kilometern eine Erdgas-Fernleitung zu legen. Sie soll die für 2010 geplante Ostseepipeline Nord Stream ab Greifswald/Lubmin an das westdeutsche und europäische Gasleitungsnetz anbinden und bis zur tschechischen Grenze führen. Die Trassenführung und die Planung damit zusammenhängender technischer Anlagen wird nach dem derzeitigen Stand in besonderem Maße einen Raum im Süden Berlins berühren: den Naturpark Dahme-Heideseen, vor allem die Gegend um die Gemeinden Groß Köris, Bestensee, Schwerin, Motzen, Teupitz.

Eben dort würden sich bei Realisierung der Pläne der Wingas Trassen und technische Anlagen in einem Ausmaß verdichten, das auf der ganzen Strecke von Greifswald bis zur tschechischen Grenze nicht seinesgleichen hat. Denn an diesem Ort in Brandenburg befinde sich, nach Argumentation der Betreiberin, eine jener Stellen, an denen sich kleinere, bereits bestehende Gasleitungen kreuzen. (Ähnliche, z.T. besser geeignete Kreuzungspunkte gibt es auch an anderen technisch in Betracht kommenden und weniger kritischen Stellen, etwa im Bereich Kienbaum, nordöstlich von Berlin, oder bei Baruth, weiter südlich von Berlin). Dazu käme die jetzt zur Diskussion stehende größte Leitung OPAL, mit einem bislang in Deutschland noch nie erprobten Durchmesser von 1,40 Metern mit 100 bar Gasdruck. In genau dieser Gegend des Naturparks Dahme-Heideseen würde sich nach den vorgelegten Plänen auch die auf der gesamten Strecke von der Ostsee bis zur tschechischen Grenze einzige und darum in ihren Dimensionen hinsichtlich Ausmaß und Emissionen gewaltige Anlage zur Gas-Verdichtung, also Druckerhöhung des zu transportierenden Gases befinden (40.000 m2 Fläche und 15.000 m2 Montage- und Lagerfläche).

Nach gründlichem Studium der oft schwierigen und mühsam zu erarbeitenden Raumplanungsunterlagen haben wir die feste Überzeugung gewonnen, daß mit diesem riesigen Bauvorhaben für eine ganze Region des Landes Brandenburg überstürzt und unter großem Zeitdruck eine historische Entscheidung gefällt wird, die Los des Gebiets und Lebensräume gegenwärtiger und künftiger Generationen auf unabsehbare Zeit bestimmt.

Wenngleich wir vom ökonomischen und ökologischen Nutzen des Zukunfts-Energieträgers Erdgas überzeugt sind und wissen, daß jede Infrastruktur der Gasversorgung grundsätzlich Raum beansprucht, glauben wir, daß

die jetzt vorgelegten Pläne bestimmte Lebens- und Naturräume Brandenburgs in unverhältnismäßigem, rechtlich und politisch bedenklichem Ausmaß vernutzen, ja bedrohen;

die vorgelegten Pläne nicht von den optimalen Varianten ausgehen: es existieren realistische, teilweise sogar schon genehmigte, andere Varianten mit weit geringerer Belastung für Mensch und Natur;

der Bedarf des projektierten petroindustriellen Großprojekts ungeklärt ist und darüber hinaus in diesem Verfahren

die zuständigen Verwaltungsbehörden Brandenburgs von der Antragstellerin bemüht werden, obwohl der übergeordnete rechtliche und politische Rahmen des ganzen Projekts, auf voller Länge von der Ostsee bis zur tschechischen Grenze noch ungesichert ist (die Entscheidung der Bundesnetzagentur über die kartellrechtliche Zulässigkeit wird erst in den kommenden Wochen fallen; die Genehmigung dieses Nordabschnitts neben einer in diesem Raum bereits genehmigten Trasse ist extrem zweifelhaft).

Die vorgelegten Pläne stehen im Widerspruch zu Inhalt und rechtlichem Verfahren des Raumordnungsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Sie verstoßen gegen das Gebot von Schutz und Weiterentwicklung sowohl natürlicher wie kulturell-ökonomischer Lebensräume. Sie würden Institution und Verfahren der Raumordnung als solche unterminieren.

Stil des bisherigen Verfahrens

Das ganze Verfahren wird unter allergrößtem Zeitdruck durchgeführt. Denn Ziel der Planungen ist es, ab 2010 das in Greifswald anlandende Gas durch die den gesamten Osten Deutschlands von Norden nach Süden durchquerende neue Leitung ableiten zu können. Zu diesem Zweck wird das in Brandenburg nötige Raumordnungsverfahren so sehr beschleunigt, daß es offenbar in das folgende Planfeststellungsverfahren hineingeschoben ist. (Es wurden beispielsweise schon vor Monaten zur Einholung fachlicher Stellungnahmen Unterlagen mit dem Titel „Planfestellung“ verschickt.)

Es entsteht der deutliche Eindruck, daß hier unter Umgehung wichtiger politischer und raumordnerischer Grundsatzfragen ein Planungsrahmen durchgesetzt werden soll, der im folgenden Planfeststellungsverfahren jede Frage nach grundsätzlichen Alternativen bereits ausgeschlossen hat.

Wir möchten Sie deshalb auffordern:

Geben Sie den raumordnerischen Fragen in dem noch nicht entschiedenen Verfahren einen wirklichen Spielraum und drängen Sie auf deren Beantwortung !

Stoßrichtung und Folgen der eingereichten Raumordnungspläne

Die der Raumordnungsbehörde vorgelegten Pläne der Wingas haben vor allem eine unübersehbare Wirkung:

Sie entwerten einen wertvollen Lebensraum, Kulturraum und Naturraum Brandenburgs zum bloßen Transit-Raum.

Die Zukunft eines wertvollen und hoch frequentierten Naherholungsgebiets im Großraum Berlin steht hier auf dem Spiel: das zum Naturpark Dahme-Heideseen gehörende Gebiet der Köriser Heideseen. Die Situation eines solchen Naturparks – intakte Naturräume in nächster Nähe einer Metropole – ist in Europa sehr selten geworden.

Nicht zuletzt darum hat ein eindeutiger raumordnerischer und politischer Wille diesen Verbund mehrerer Natur- und Landschaftsschutzgebiete (zu dem eben auch das NSG Pätzer Hintersee, FFH Leue-Wilder See, Groß Köriser Heideseen, Teupitz Köriser Seengebiet, etc. gehören) in den Status eines Naturparks erhoben.

Daraus folgend beginnt sich in den letzten Jahren der schon zu DDR-Zeiten in der gesamten Gegend prosperierende Tourismus zu restrukturieren und neu zu entwickeln. Die touristische Erschließung der Region befindet sich im Aufbau.

Schon aus diesen Gründen allein müßte alles, was an die Grundlagen dieser für die nähere und die weitere Region so essentiellen Lebensräume rührt, allergrößte Priorität haben – zumal dann, wenn es realistische Alternativen gibt.

Mit der neuen, auf über 30 Meter Arbeits-Schneise veranschlagten Erdgas-Fernleitungstrasse OPAL steht aber jetzt ein infrastrukturelles Großprojekt zur Debatte, dessen riesenhafte Dimensionen auf ganzer Länge der geplanten Leitung genau diese Grundlagen bedrohen. Den stärksten Begriff davon dürfte die geplante

Errichtung einer 40.000 Quadratmeter großen Anlage zur Gasdruckerhöhung (100 bar) geben, einem petroindustriellen Areal mit u.a. vier Turbinen von je 95 Megawatt Heizwärmeleistung, vier Schlöten von 22 Metern Höhe und 118 Dezibel permanentem Lärmausstoß: all das mitten in einem bewohnten ortsnahen Wald und unmittelbar in einem geschützten Biotopverbund; dazu kommt die

Führung einer Trasse für die geplante Leitung gegen Geographie, Siedlungsstruktur, Flora, Fauna und bestehende Infrastruktur, das heißt: gegen eine schon existierende Trassenführung (JAGAL). Es soll eine ganz neue Trasse gelegt werden, die Feuchtbiotope und Gewässer unterquert und geradewegs durch das Ortsgebiet der Gemeinde Groß-Köris führt. Jeder Umweg im Interesse der Bewohner und ihres Lebensraums kommt teurer und scheidet vor allem darum für die Betreiberin als Alternative aus.

All das spricht, wie uns scheint, von einer grundsätzlichen Fehlorientierung der jetzt vorgelegten Planungen.

Sie stellen eine massive Beeinträchtigung des Naturparks Dahme-Heideseen und des Lebensraums der Gemeinde Groß Köris dar. Sie

beinhalten die Gefahr einer drastischen Aushöhlung von Schutzgebieten und bestehenden Biotop-Verbünden;

würden ein Signal und ein genehmigungstechnischer Dammbruch für weitere derartig große Anlagen sein;

widersprechen damit dem klaren politischen Willen, der in der Erklärung des Gebiets zum Naturpark zum Ausdruck kommt;

bedrohen die realen Erwerbsgrundlagen der Bevölkerung, deren Nutzung gerade eben begonnen hat, und gefährden Existenzen, die sich in den letzten Jahren auf der Grundlage des Tourismus in der Gegend gegründet haben.

Zur Begründung für die Errichtung einer Verdichterstation in einem wertvollen Biotopverbund, für die Führung einer Trasse mitten durch Feuchtbiotope und einen bewohnten Ort werden von der Betreiberin sogenannte „Zwangspunkte“ angegeben. Sie sollen nur eine einzige Variante als die objektiv sinnvollste erscheinen lassen.

Wir glauben aber, daß die von der Betreiberin angegebenen Zwänge konstruiert sind. Schon die behauptete „Variantenprüfung“ scheint uns vorgeschützt und nicht ernsthaft: sie hat, was etwa die Gasdruckerhöhungsanlage betrifft, nur innerhalb eines sehr begrenzten Areals von 200 bis 800 Metern stattgefunden. Die behaupteten Zwänge bestehen, auch und gerade in größerem Zusammenhang gesehen, nicht. Im Hintergrund stehen vielmehr Entscheidungen privatwirtschaftlichen und politischen Ursprungs.

Völlig ungeklärte nationale und internationale Voraussetzungen der Pläne

Wir wissen sehr wohl um die Schlüsselrolle, die der Energieträger Erdgas für die künftige Struktur der europäischen Energieversorgung hat. Und wir wissen um die schwierigen politischen Balancen, die für Europa hinter der Versorgungssicherheit mit Erdgas stecken.

Trotzdem glauben wir, daß auch unter dramatischen ökonomisch-diplomatischen Bedingungen die hohen Güter

• natürlicher und sozialer Lebensräume in den dicht besiedelten Räumen Europas und

• rechtlicher und politisch-demokratischer Verfahren wie der Raumordnung

nicht leichtsinnig aufs Spiel gesetzt werden dürfen. Beides aber sehen wir im vorliegenden Fall in hohem Maße gefährdet.

So wurde im gesamten bisherigen Verfahren ein entscheidender, raumordnerischer Gesichtspunkt kein einziges Mal auch nur angesprochen: Die eingereichten Pläne einer Erdgastrasse für Brandenburg Nord und Brandenburg Süd sind nur zu beurteilen, wenn die anderen Teilstrecken der Leitung, also

• die Leitung von Lubmin bis zur Grenze Brandenburgs,

• die 270 Kilometer durch Brandenburg Nord und Brandenburg Süd und

die geplante Anschlußleitung jenseits der tschechischen Grenze hinter dem Ort Olbernhau

nicht isoliert voneinander gesehen werden. Die geplante Gasleitung OPAL muß als ein einziges Projekt einer einzigen Betreiberin beurteilt werden. Denn der übergeordnete Rahmen der hier vorgelegten Pläne läßt ihren Inhalt und ihre behauptete Alternativlosigkeit in gänzlich anderem Licht erscheinen.

1. Das gesamte Projekt der geplanten Leitung OPAL steht auf kartellrechtlich prekären Füßen. Erst in den kommenden Wochen oder Tagen wird die Bundesnetzagentur ihre Entscheidung über eine Ausnahmegenehmigung bekannt geben, die die Wingas GmbH beantragt hat. Sie betrifft das Projekt als Ganzes, das, wie der Presse zu entnehmen ist (siehe Anlage 1), dem Grundsatz der Diversität von Energieanbietern und von Eigentümern der Infrastruktur der Energieverteilung widerspricht.

2. Die behauptete technische Anbindung der Leitung an dem Grenzort Olbernhau an eine tschechische Leitung ist bislang ungesichert. Es sind derzeit keine Anschlußleitungen bekannt. Von entsprechenden Projekten oder Genehmigungsverfahren ist in den Raumordnungsunterlagen nirgends die Rede. Es steht zu befürchten, daß die Leitung OPAL lange Jahre als Sackgasse an der tschechischen Grenze endet. Darum ist dringend geboten, dem laufenden Verfahren eine länderübergreifende Raumordnungs-Abstimmung mit Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen und eine staatenübergreifende Raumordnungs-Abstimmung mit den Nachbarstaaten Tschechien und Polen zu Grunde zu legen.

3. Die Genehmigung des gesamten Nord-Abschnitts der Leitung OPAL, von Lubmin bis nördlich von Berlin, ist rechtlich ungesichert. Es gibt, wie wir feststellen mußten, in diesem Bereich bereits eine geplante und genehmigte Gasleitungstrasse namens NORDAL. Die Genehmigung einer zweiten, parallelen Trasse ist, wie ebenfalls der Presse zu entnehmen ist (vgl. Anlage 1), unter dieser Voraussetzung eher unwahrscheinlich (etwa wegen der zweimaligen Durchleitung einer Trasse durch das NSG Peenetal). Diese bereits genehmigte Trasse aber folgt einer ganz anderen infrastrukturellen Logik, von der die Beurteilung der geplanten Gasleitung OPAL durch das Land Brandenburg unmittelbar abhängt (vgl. Anlage 2).

Erst auf diesem Hintergrund ist die fundamentale Frage des Bedarfs an einer Leitung OPAL, der Triftigkeit der Zwänge und angegebenen „Zwangspunkte“ und die Frage nach real bestehenden Alternativen zu beantworten.

4. Unter dem Gesichtspunkt dieser ungesicherten Rahmenbedingungen gibt es aber für das Verfahren der Raumordnung im Land Brandenburg nicht nur andere inhaltliche Ausgangspunkte, sondern auch andere Zeitspielräume. Die engen Zeitmargen der Betreiberin sind Konstrukte. Bevor nicht verschiedenste gesetzliche Widerstände überwunden sind (Bundesnetzagentur), bevor nicht das Gas des Nord Stream durch alle politischen Widerstände der Anrainerstaaten hindurch an der deutschen Ostseeküste anlandet (kaum jemand wird mehr glauben, daß das bis 2010 der Fall ist), sind alle Reden über Zeitdruck wenig glaubhaft.

Es entsteht somit der Eindruck, daß im vorliegenden Raumordnungsverfahren die brandenburgische Raumordnungsbehörde angerufen wurde, obwohl der übergeordnete rechtliche und politische Rahmen des ganzen Projekts noch weitgehend ungesichert ist.

Abgesehen von einer rechtlich bedenklichen „Vorratsplanung“ dieser Art, ist in diesem größeren Kontext

1. die generelle Bedarfsbegründung für das ganze Projekt OPAL neu zu diskutieren; denn es hängen von diesem Kontext

2. unmittelbar wesentliche Teile der jetzt vorgelegten Pläne für die Teilstrecke Brandenburg Nord und Teilstrecke Brandenburg Süd ab.

Wir fordern Sie dringend auf, zu diesen hier nur andeutungsweise skizzierbaren Zusammenhängen, die den Kern des gesamten in der Schwebe befindlichen Raumordnungsverfahrens betreffen, der Öffentlichkeit Brandenburgs die politische Position ihres Ministeriums, ihrer Behörde darzulegen !

Denn es ist unsere tiefe Sorge, daß aus dem Spiel um die Monopolisierung der Gasleitungs-Infrastruktur in Deutschland, die hier in allem der leitende Gesichtspunkt der Aktivitäten ist (vgl. Anlage 2), das Land Brandenburg und einige seiner wertvollsten Natur-Regionen als Verlierer hervorgehen werden. Die Interessen einer Region, eines Bundeslandes und nationale wie internationale Interessen dürfen nicht dazu gezwungen werden, gegeneinander anzutreten.

Kaum positive Rückwirkung des Projekts auf die Regionen Brandenburgs

Es scheint demgegenüber kaum relevante, postive Rückwirkungen des Projekts auf die als Transitraum vernutzten Regionen Brandenburgs zu geben.

Infrastruktur-Anlagen für Erdgas sind kein Gewerbe im eigentlichen, wirtschaftlichen Sinn und sie befördern auch nicht die Ansiedlung von Gewerbe (wie etwa Bahnanschluß, Strom, Wasser oder Autobahn). Die in Rede stehenden petroindustriellen Anlagen, Leitung und Verdichterstation, werden nicht in nennenswertem Ausmaß neue Arbeitsplätze schaffen, in einer Region, die diese in den vergangenen Jahren so dringend nötig gehabt hätte. Vielmehr werden die Anlagen

das derzeit größte wirtschaftliche Potenzial der regionalen Wirtschaft bedrohen: Naherholung und Tourismus, Zelt- und Badeplätze, usw.;

werden die damit geschaffenen Fakten Tür und Tor für die Errichtung weiterer denkbarer Anlagen auf einem so entstehenden Industrieareal öffnen, von denen, wie in der Petroindustrie üblich, die meisten zunehmends vollautomatisch betrieben werden können.

Sehr geehrte Frau König, sehr geehrter Herr Dellmann,

Wir kennen Ihre Haltung zu diesen so dringenden Fragen nicht. Wir lesen nur die äußeren Zeichen des Verfahrensstils. Unter Umständen teilen Sie die hier geäußterten Bedenken schon lange vor Erhalt dieses Briefes und wir eilen damit nur Ihrem Einverständnis voraus.

Wir erhoffen von der raumplanenden Behörde, daß sie gerade den hier skizzierten grundsätzlichen Orientierungen, die den Rahmen für die in allernächster Zeit einsetzenden konkreten Vorhabenpläne stellen, eine andere Grundrichtung gibt. Dies scheint uns auch nach dem Willen des Gesetzgebers dringend geboten (siehe Anlage 3).

Die Akten des Raumordnungsverfahrens sprechen an vielen Stellen von dem zu berücksichtigenden „Raumwiderstand“ eines infrastrukturellen Projekts (geographische Hindernisse, Biotope, Siedlungsstrukturen). Von den Menschen, die gegen eine Gefährdung ihrer Lebensumgebung Maßnahmen des Widerstands ergreifen, sprechen sie sehr wenig. Seien Sie, sehr geehrter Herr Minister, sehr geehrte Frau Staatssekretärin, versichert, dieser Widerstand wird hoch sein.

Den ausführenden Behörden wurden zwei Unterschriftenlisten mit jeweils über 500 Unterschriften vorgelegt; zwei Bürgerinitiativen haben sich gegründet; bewegte öffentliche Sitzungen in diversen Gemeinderäten haben stattgefunden; der Gemeinderat Groß-Köris hat sich in einer öffentlichen Sitzung am 11.9.2007 – im Beisein von sieben Vertretern der Wingas und ihrer Planungsbüros – mit einstimmigem Beschluß gegen den von der Betreiberin bevorzugten Standort der Verdichteranlage und gegen die „Hauptvariante“ der Trasse durch das Ortsgebiet ausgesprochen; im Rahmen des Raumordnungsverfahrens wurden unzählige Einwendungen eingereicht und aufgrund der publik werdenden Informationen haben die Bewohner längst begonnen, ihre Lage zu erkennen.

Wir bitten Sie nachdrücklich:

Nehmen Sie Stellung zu den von uns aufgeworfenen Fragen !

Intervenieren Sie und schaffen Sie zeitliche und institutionelle Spielräume für eine wirkliche Diskussion über diese für das Land Brandenburg so wichtigen raumordnerischen Entscheidungen !

Geben Sie politischen Raum für die entscheidenden Fragen der Raum-Ordnung in diesem Verfahren (Standort einer Verdichteranlage, Alternativenprüfung, Trassenführung, Bedarfsklärung für die geplante Leitung) !

Im Einzelnen bitten wir Sie um die Beantwortung der folgenden Fragen:

  • Welche großräumige Prüfung von Standortvarianten und Standortalternativen für die Druckerhöhungsanlage wurde vorgenommen?

  • Welche solcher Prüfungen wurden dargelegt?

  • Wurden sie bilanziert dargelegt?

  • Wem wurden sie dargelegt?

  • Für welchen der technisch infragekommenden Streckenabschnitte wurde geprüft?

  • Warum wurden Varianten wie Kienbaum oder Baruth nicht geprüft und deren Prüfung dargelegt?

  • Gibt es eine bundesländerübergreifende Abstimmung zur Raumordnung?

  • Wer ist für eine solche der verantwortliche Ansprechpartner?

  • Gibt es eine staatenübergreifende Abstimmung zur Raumordnung, insbesondere mit Tschechien und Polen?

  • Wer ist für eine solche der verantwortliche Ansprechpartner?

Hochachtungsvoll und mit freundlichen Grüßen,

Groß Köris, den 22.November 2007

Bürgerinitiative „Keine Erdgasverdichteranlage in Groß Köris und im Naturpark

Dahme-Heideseen“

Wolfgang Georgsdorf

(Künstler, Autor und Filmschaffender, Groß-Köris / Berlin)

Dr. Peter Berz

(Kulturwissenschaftler am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung in

Berlin, Groß-Köris / Berlin)

Eva Mattes

(Schauspielerin, Groß-Köris / Berlin)

Prof. Rhys Martin

(Fachbereich Tanz der UdK zu Berlin, Groß-Köris)

Mag. Jessica Ebert

(Buchhändlerin in Berlin, Groß- Köris)

Dr. Gisela Deckert

(Biologin, Vorsitzende des Naturschutzbundes Dahmeland, Kallinchen)

Kultur- und Forschungsvereinigung Lichtung, Groß Köris

Kulturstiftung Mamier

(Stiftung z. Förderung d. interkulturellen Verständigung, Gisela und Fritz Mamier, Bad Camberg / Groß Köris)

Fontane-Klinik Motzen, Geschäftsführung

(Psychosomatische Fachklinik, Motzen im Dahme-Spreewald-Kreis)

Andreas Horstmann

(Leiter der Abteilung für psychosomatische Erkrankungen, Fontane-Klinik, Motzen)

Jutta Spigalski, Peter Grünewald

(Vorsitzender Schenkenland-Tourist e.V. / Groß Köris)

Anlagen:

Anlage 1: Ausgewählte Presse-Quellen und Internetseiten

Anlage 2: Eine alternative infrastrukturelle Logik

Anlage 3: Unvereinbarkeiten der Raumordnungspläne mit dem

Raumordnungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland

Anlage 4: Liste der Adressaten des Offenen Briefs

ANLAGE 1: Ausgewählte Presse-Quellen und Internetseiten

NDR Info, 31. 7. 2007 „Streit um Anschlussleitung an Ostsee-Gaspipeline“:

http://www1.ndr.de/wirtschaft/pipelines2.html

Reuters, 24.10. 2007 „Projektpartner sehen Ostsee-Pipiline im Plan“:

http://de.today.reuters.com/news/newsArticle.aspx?type=companiesNews&storyID=2007-10-24T174756Z_01_FRO464061_RTRDEOC_0_DEUTSCHLAND-ENERGIE-OSTSEEPIPELINE-ZF.xml&archived=False

Netzeitung.de, 24. 4. 2006, „Gasprom drängt auf den deutschen Markt““:

http://www.netzeitung.de/wirtschaft/unternehmen/394175.html

Für die Position der Bürgerinitiative „Keine Verdichteranlage bei Groß-Köris und im Naturpark Dahme-Heideseen“ und weitere Pressequellen:

http://opalsonicht.de

http://opalsonicht.de/presse

http://opalsonicht.de/links/

ANLAGE 2: Eine alternative infrastrukturelle Logik

Die im Nordabschnitt der OPAL bereits genehmigte Erdgasfernleitung eines zweiten Netzbetreibers eröffnet den Blick auf andere infrastrukturelle Logiken. Sie betreffen unmittelbar Bedarf und Ausgestaltung der geplanten Gasleitung OPAL auf dem Abschnitt durch das Land Brandenburg, sowie die Frage nach Alternativen zu den vorgelegten Plänen. Das heißt im Einzelnen:

1. Die Lage des Punkts, an dem die geplante Leitung OPAL auf schon bestehende Leitungen trifft, verändert sich. Ohne den Nordabschnitt der OPAL, also bei Benutzung der schon genehmigten Leitung durch Mecklenburg-Vorpommern von Greifswald bis nördlich von Berlin, liegt dieser Punkt bei Börnicke. Mit dem geplanten Nordabschnitt der Opal liegt der Punkt nahe dem Ort Kienbaum im Nordosten Berlins. Bei jedem der beiden Punkte träfen dann mindestens drei Fernleitungen zusammen. Mit Kienbaum läge der Punkt tatsächlich in der Mitte der Gesamtstrecke zwischen Greifswald und Olbernhau.

2. Damit wird die Argumentation hinfällig, daß der zentrale Punkt der gesamten Fernleitung der sogenannte „Zwangspunkt“ Groß-Köris sein muß. Denn dieser Punkt ist nicht der einzige, an dem sich innerhalb der infragekommenden Streckenabschnitte mehrere Leitungen treffen, und somit entfallen die wichtigsten Gründe, gerade hier die 40.000 m² große Verdichteranlage zu situieren, das heißt, wie skizziert, hochproblematisch innerhalb des Naturparks Dahme-Heideseen. Die Orte Kienbaum oder Börnicke dagegen liegen nicht innerhalb eines Naturparks.

3. Damit, sowie mit der noch völlig prekären raumordnerischen Anbindung der Leitung jenseits der tschechischen Grenze, stehen aber auch alle Argumentationen zur Diskussion, die schon aus kleineren Abweichungen in der Länge der Leitung Zwänge für die Führung einer Trasse und für den Standort einer Verdichteranlage konstruieren.

4. Schließlich wäre von den Punkten Kienbaum bzw. Börnicke aus die Einbindung weiterer Netzanbieter und Netzbetreiber technisch und logistisch möglich, so wie es der ausdrückliche Wille der Bundesnetzagentur ist.

Im Umkehrschluß darf mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermutet werden, daß die OPAL-Pläne der Wingas ein wichtiges privatwirtschaftliches Ziel von zweifelhaftem öffentlichem Interesse haben: die Hauptversorgungsleitungen der Gas-Infrastruktur Deutschlands in einer einzigen Hand zu bündeln, der gleichen Hand nämlich, die auch Hauptlieferantin des Gases ist.

Um dieses Ziel zu erreichen und eine bestimmte wirtschaftliche Position zu sichern, sollen ganze Regionen des Landes Brandenburg als Rohstoff dienen. Man denkt hier planerisch – wie es die geographische Herkunft der zweiten Teilhaberin der Betreiberfirma Wingas nahe legt – von der Raumstruktur eines extensiv genutzten Flächenlandes her, nicht von den intensiv genutzten Räumen Westeuropas.

ANLAGE 3: Unvereinbarkeiten der in Rede stehenden Pläne mit dem Raumordnungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland

Das Raumordnungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland, auf dessen Grundlage das Raumordnungs-Verfahren eröffnet wurde, bestimmt in §1 (2) 2 bis 5 und 7 unter

Punkt 2: die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln

Punkt 3: die Standortvoraussetzungen für wirtschaftliche Entwicklung zu schaffen

Punkt 4: die Gestaltungsmöglichkeiten der Raumnutzung offen zu halten

Punkt 5: die prägende Vielfalt der Teilräume zu stärken

Punkt 7: räumliche und strukturelle Ungleichgewichte zwischen neuen und

alten Bundesländern auszugleichen

Als oberstes Prinzip (im Gesetz als „Gegenstromprinzip“ angesprochen) soll gelten, daß sich die Gegebenbeiten und Erfordernisse des Gesamtraums und der Teilräume wechselseitig ineinander fügen.

Die jetzt vorgelegten Pläne stehen in massivem Widerspruch zu eben diesen Punkten.

ad Punkt 2: Trasse und Verdichteranlage sind in einem wertvollen „Biotop-Verbund“ von Naturschutz- und Landschaftsschutz-Zonen geplant (zum Begriff „Biotop-Verbund“ vgl. ROG § 2 (2) 8) . Vor wenigen Jahren wurde die Gegend der Dahme-Heideseen zum Naturpark erklärt. Die Auswirkungen von Lärm, Nachtbeleuchtung, Erschütterung und Kohlenmonoxid-Emission scheinen trotz aller bisherigen Gutachten gewaltig.

ad Punkt 3: Die Verdichteranlage wird, wie beschrieben, kaum Voraussetzungen für wirtschaftliche Entwicklung beinhalten Sie ist kein Gewerbe im eigentlichen, wirtschaftlichen Sinn, sie schafft also keine Arbeitsplätze oder wäre Ausgangspunkt von Gewerbe. Sie zerstört vielmehr das weitaus größte Potenzial der regionalen Wirtschaft: den Fremdenverkehr. Die Anlage benützt als petroindustrielles Areal nur einen bestimmten Raum – und sie verbraucht ihn.

ad Punkt 4: Die geplante Trassenausführung („Hauptvariante“) geradewegs durch Ortsgebiet ist für die weitere Entwicklung des Dorfes Groß-Köris ein Hindernis. Sowohl topographisch, weil die Trasse einen ganzen Teil des Ortes in eine zu sichernde Schneise verwandeln wird; als auch wirtschaftlich, weil sie Naturräume als wichtigste Wirtschaftsbasis der Gemeinde aushöhlen wird.

ad Punkt 5: Schließlich aber bedroht sie eine Gegend und deren Eigenart in ihren „prägenden Merkmalen“ und ihren „Kultur- und Naturdenkmälern“ (vgl. ROG § 2(2) 13). Die prägenden Merkmale der in Rede stehenden Gegend sind eben ihre Naturräume und Naturdenkmäler wie das in allernächster Nähe zur geplanten Verdichteranlage gelegene Naturdenkmal und Verlandungsmoor „Bursee“; wie die in nächster Nähe der Anlage gelegenen Seen „Güldensee“ und „Roßkartsee“ mit ihren öffentlichen Badestellen; wie der hoch frequentierte Badesee und Ausflugsort „Karbuschsee“, der sich im Bereich der Lärmemission der Anlage befindet; oder wie das Naturschutzgebiet „Pätzer Hintersee“, das gerade einmal 700 Meter vom geplanten Standort der Anlage entfernt läge.

ad Punkt 7: Es macht den unbefangenen Betrachter stutzig, dass – nur teilweise aus geographischen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten heraus – die gesamte Anlage der Gastrasse OPAL durch die neuen Bundesländer führt: Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen. Derartige Anlagen werden vor allem auch den alten Bundesländern und ihrer Gas-Infrastruktur zu gute kommen. Eines der wertvollsten Kapitalien der Neuen Bundesländer aber, ihre im Vergleich zu den alten Ländern wesentlich unberührteren Naturräume, wird gerade durch Projekte wie OPAL vernutzt, ohne auch nur die Idee eines wirtschaftlich tragfähigen Ausgleichs zu schaffen.

Anlage 4: Liste der Adressaten des Offenen Briefs (Auswahl)

Ministerpräsident des Landes Brandenburg, Matthias Platzek

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel

Gemeinsame Landesplanungsabteilung Berlin-Brandenburg, Referat GL 6

Gemeinsame Landesplanungsabteilung Berlin-Brandenburg, Referat GL7

Gemeinsame Landesplanungsabteilung Berlin-Brandenburg, Referat GL9

Naturparkverwaltung des Naturparks Dahme-Heideseen

Bundesnetzagentur

Naturschutzbehörden

Ministerium für Verkehr, Bau- u. Landesentwicklung Mecklenburg-Vorpommern

Ministerium für Raumordnung Sachsen

Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz Brandenburg

Senatorin für Stadtentwicklung Berlin

Bundestagsbgeordnete des Wahlkreises Dahme-Spreewald

Umweltsprecher der Landes- und Bundestagsfraktionen

Bürgermeister und Gemeinderäte von Groß Köris und Nachbargemeinden

Amtsleiter des Amtes Schenkenländchen

Betroffene Tourismusverbände

BUND

NABU

Landesbüro der anerkannten Naturschutzverbände

Spiegel

Focus

Stern

Die Zeit

Tagesspiegel

Berliner Zeitung

FAZ

TAZ

Süddeutsche

DPA

Reuter

RBB – Redaktionen für Politik, Umwelt, Wirtschaft

ARD – Redaktionen für Politik, Umwelt, Wirtschaft

ZDF – Redaktionen für Politik, Umwelt, Wirtschaft

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/11/28/buergerinitiativ-nachrichten/

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kommentare

  • Auch die Unterstützer der im Zusammenhang der „militanten Gruppe“ (mg) verhafteten drei Ostler und vier Westler sind fast so etwas wie eine Bürgerinitiative – zur Verteidigung des Rechtsstaats. Dazu gehört vor allem die redaktion des „telegraph“, deren neueste Ausgabe sich zur Gänze mit den obigen „Fällen“ befaßt. Hier eine neue Nachrichted aus ihrem Ostbüro:

    Bundesgerichtshof
    Mitteilung der Pressestelle

    Nr. 181/2007

    Haftbefehle gegen mutmaßliche Mitglieder der „militanten gruppe“ außer Vollzug gesetzt

    Der Generalbundesanwalt führt gegen drei Beschuldigte ein
    Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts, sie hätten als Mitglieder der
    linksextremistischen, gewaltbereiten Organisation „militante gruppe“ in der
    Nacht des 31. Juli 2007 versucht, in Brandenburg/Havel drei Lkw der
    Bundeswehr in Brand zu setzen. Die Beschuldigten waren durch observierende
    Polizeikräfte in unmittelbarer Tatortnähe festgenommen worden; die an den
    Fahrzeugen angebrachten Zündvorrichtungen hatten noch rechtzeitig entfernt
    werden können. Wegen dieses Verdachts hat der Ermittlungsrichter des
    Bundesgerichtshofs auf Antrag des Generalbundesanwalts gegen die
    Beschuldigten Haftbefehle erlassen. Diese sind rechtlich auf den Vorwurf der
    Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, der versuchten
    Brandstiftung und der versuchten Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel
    gestützt.

    Auf die Beschwerden der Beschuldigten hat der für Staatsschutzsachen
    zuständige 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Haftbefehle abgeändert
    und gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt. Die Beschuldigten sind zwar der
    Tat vom 31. Juli 2007 und auch der Zugehörigkeit zur „militanten Gruppe“
    dringend verdächtig. Dies begründet jedoch in rechtlicher Hinsicht nicht
    den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 129
    a StGB), sondern nur denjenigen der Mitgliedschaft in einer kriminellen
    Vereinigung (§ 129 StGB). Obwohl die Tätigkeit der „militanten gruppe“
    darauf ausgerichtet ist, Brandanschläge namentlich gegen Gebäude und
    Fahrzeuge staatlicher Institutionen sowie privatwirtschaftlicher Unternehmen
    und sonstiger Einrichtungen zu begehen, kann die Gruppierung nicht als
    terroristische Vereinigung eingestuft werden. Zwar handelt es sich bei
    derartigen Taten um potentiell terroristische Delikte aus dem Katalog des §
    129 a Abs. 2 Nr. 2 StGB. Seit der Neufassung der Vorschrift im Jahr 2003 ist
    die Beteiligung an einer Organisation, die auf die Begehung derartiger
    Straftaten ausgerichtet ist, indes als Betätigung in einer terroristischen
    Vereinigung nur noch dann strafbar, wenn die Taten dazu bestimmt sind, im
    Einzelnen aufgezählte – staatsgefährdende – Ziele zu erreichen und
    darüber hinaus „durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen
    Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen“ können.
    Mit der Einfügung dieser allerdings wenig bestimmten zusätzlichen Merkmale
    hat der Gesetzgeber die Strafbarkeit nach § 129 a Abs. 2 StGB nach
    ausführlicher Erörterung im Gesetzgebungsverfahren bewusst deutlich
    eingeschränkt. Dies führt im Fall der „militanten gruppe“ dazu, dass sie
    lediglich als kriminelle Vereinigung angesehen werden kann; denn die von ihr
    bereits begangenen und beabsichtigten Taten sind nach der Art ihrer Begehung
    – auch unter Berücksichtigung ihrer Frequenz und Folgen – nicht geeignet,
    die Bundesrepublik Deutschland im Sinne des Gesetzes erheblich zu
    schädigen.

    Da durch die abweichende rechtliche Bewertung der ursprünglich in erster
    Linie angenommene Haftgrund der Schuldschwere (§ 112 Abs. 3 StPO) entfällt
    und die bei den Beschuldigten bestehende Fluchtgefahr durch geeignete
    Auflagen hinreichend eingedämmt werden kann, hat der 3. Strafsenat die
    geänderten Haftbefehle außer Vollzug gesetzt.

    Beschluss vom 28. November 2007 – StB 43/07

    Karlsruhe, den 28. November 2007

    Die in Rede stehenden Vorschriften lauten, soweit hier relevant:

    StGB § 129Bildung krimineller Vereinigungen

    (1) Wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf
    gerichtet sind, Straftaten zu begehen, oder wer sich an einer solchen
    Vereinigung als Mitglied beteiligt, für sie um Mitglieder oder
    Unterstützer wirbt oder sie unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu
    fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

    ….

    StGB § 129aBildung terroristischer Vereinigungen (alte Fassung)

    (1) Wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf
    gerichtet sind,

    1.Mord, Totschlag oder Völkermord (§§ 211, 212 oder 220a)

    2.Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder
    des § 239b oder

    3. Straftaten nach § 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen
    der §§ 306 bis 308 ….

    zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied
    beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren
    bestraft.

    (2) – (7) …

    StGB § 129aBildung terroristischer Vereinigungen (neue, seit 2003 geltende
    Fassung)

    (1) Wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf
    gerichtet sind,

    1.Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des
    Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des
    Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12
    des Völkerstrafgesetzbuches) oder

    2.Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder
    des § 239b

    zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied
    beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren
    bestraft.

    (2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder
    deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

    1.…

    2.Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche
    Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des
    § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315
    Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3
    oder des § 317 Abs. 1,

    3.-5. …

    zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied
    beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt
    ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde
    oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch
    Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen,
    wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer
    internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu
    beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen
    einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

    (2) – (9) …

    StPO § 112Voraussetzungen der Untersuchungshaft; Haftgründe

    ….

    (2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen

    1….

    2.bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, dass der
    Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder

    3. ….

    (3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach …. § 129a Abs. 1
    oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, …. dringend
    verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein
    Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.

    Pressestelle des Bundesgerichtshofs
    76125 Karlsruhe
    Telefon (0721) 159-5013
    Telefax (0721) 159-5501

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