vonHelmut Höge 24.01.2008

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

Mehr über diesen Blog

Eben kam ich an den ganzen vom Kreuzberger Arbeitsamt ausgelagerten Job-Centern, -Beratungen etc. vorbei, gegenüber der Springerstiefelpresse: Es gibt bald keine deprimierendere Meile mehr in Berlin. Und dazu herrscht dort wegen des falsch konstruierten Öko-Hochhauses der amerikanisierten Wohnungsbaugesellschaft GSW auch noch ständig ein scharfer Wind.

In einem JW-Bericht über die USA heißt es heute:

US-amerikanische Städte gehen in jüngster Zeit entschieden gegen Symptome der um sich greifenden Verelendung breiter Bevölkerungsschichten vor. Wie die Los Angeles Times (LAT) am Sonntag berichtete, häufen sich die drastischen Verordnungen gegen alle möglichen Arten von Straßenverkauf, die viele Stadtverwaltungen erlassen. Von »Boston bis Honolulu« hätten die Kommunen ihre Verordnungen gegen Betteln verschärft und deren »entschlossenen Durchsetzung« durch die Sicherheitskräfte forciert. Als besonders rabiat tat sich die Stadtverwaltung von Tacoma im Bundesstaat Washington im Nordwesten der USA hervor. Deren neuesten Vorschriften drohen für das Betteln in bestimmten öffentlichen Bereichen Gefängnisstrafen von bis zu 90 Tagen an.

Betroffen sind oftmals Menschen, die sich mit Straßenverkäufen oder dem Verkauf von Obdachlosenzeitungen über Wasser zu halten versuchen. So berichtete Timothy Harris von der progressiven Obdachlosenzeitung Real Change gegenüber der LAT, wie Polizisten in Tacoma und Auburn die Verkäufer dieser in Seattle ansässigen Zeitschrift aufforderten, deren Verkauf einzustellen. Tulin Ozdeger von der Betroffenenorganisation National Law Center on Homelessness & Poverty in Washington sieht generell Bestrebungen, die Obdachlosigkeit zu kriminalisieren. Die Antibettlergesetze seien Teil dieser Tendenz, so Ozdeger gegenüber der LAT.

Tatsächlich ist die Rezession, vor der sich nun auch die US-Oligarchie fürchtet, für viele Bürger längst Realität. Die meisten Mitglieder der erodierenden Mittelschicht haben in den zurückliegenden Dekaden Einkommensverluste hinnehmen müssen und ihren Lebensstandard nur durch Verschuldung, Mehrarbeit und die Aufnahme von Hypotheken auf ihre Immobilien halten können. Inzwischen verdient ein dreißigjährigen Arbeiter inflationsbereinigt zwölf Prozent weniger als vor 30 Jahren. Dabei arbeitet ein US-Lohnabhängiger im Schnitt jährlich 350 Stunden länger als ein Europäer. Wie sehr Arbeiter und Angestellte inzwischen finanziell unter Druck stehen, wird allein aus der Tatsache ersichtlich, das 27 Millionen Haushalte sich im letzten Winter Geld leihen mußten, um ihre Heizkosten begleichen zu können.

Die Middle Class ist nach Dekaden fallender Löhne, absurder Steuergeschenke für die Superreichen und steigender Kosten im Bildungs- und Gesundheitswesen faktisch am Ende. Eine tiefe soziale Kluft kennzeichnet das »moderne Amerika«: Das reichste Prozent der US-Bevölkerung besitzt 34,3 Prozent des Vermögens. Die obersten zehn Prozent halten davon sogar 71 Prozent in ihren Händen, während auf die untersten 40 Prozent gerade einmal 0,2 Prozent des Reichtums entfallen. Ähnlich sieht es bei den Einkommen aus: Die obersten zehn Prozent der USA erhalten 42,2 Prozent der gesamten Lohnsumme, auf die ärmsten 40 Prozent entfallen nur 10,1 Prozent. Besonders dramatisch gestaltet sich diese soziale Spaltung, wenn das gerade rasant schrumpfende Immobilienvermögen nicht berücksichtigt wird. Dann besitzen die reichsten zehn Prozent der US-Bürger 80 Prozent des Vermögens, die unteren 80 nur noch 7,5 Prozent.

Sollte es in den USA keinen fundamentalen Politikwechsel geben, dürfte die Immobilienkrise den sozialen Abstieg der US-Mittelklasse beschleunigen und eine stark polarisierte So­zialstruktur verfestigen. Im Durchschnitt sollen Medienberichten zufolge im Verlauf der Krise die Hauspreise um etwa 25 Prozent fallen. Fast zwei Millionen US-Haushalte sollen in den kommenden zwei Jahren von Zwangsvollstreckungen betroffen sein. Millionen drohten schwerste finanzielle Belastungen.

Schon jetzt sind die Verwüstungen, die der Kollaps des Immobilienmarktes hinterlassen hat, in vielen Städten offensichtlich. In Detroit erinnern etliche Stadtteile an Bürgerkriegsgebiete. Bis zu 60 Prozent der Häuser können in einigen Blocks von Zwangsvollstreckungen betroffen sein, oftmals auch deswegen, weil deren Bewohner die Grundstückssteuern nicht zahlen können, auf die viele Städte zur Finanzierung der Infrastruktur angewiesen sind. Die leeren Häuser werden von verarmten Menschen »ausgeweidet«, alle nur verwertbaren Materialien – wie Metallteile oder Kabel – werden herausgerissen und weiterverkauft. Die Infrastruktur verfällt.

Auch mehren sich die Zeichen so­zialer Desintegration. Vor allem die Verbrechensrate schießt wieder in die Höhe. In Cleveland/Ohio – ebenfalls stark von der Immobilienkrise betroffen – ist die Mordrate inzwischen auf dem höchsten Stand seit 18 Jahren. Inzwischen sind an die 7000 Häuser in der eine halbe Million Einwohner zählenden Stadt zwangsversteigert worden, wobei die eigentliche Welle an Vollstreckungen erst im Verlauf dieses Jahres zu erwarten ist. Denn dann werden die Zinsen der variablen Subprime-Hypotheken für Hunderttausende klammer Schuldner angehoben.

Wie das Endstadium einer solchen Krise aussieht, schilderte die Washington Times in einem Bericht aus dem Rust Belt, dem Rostgürtel der USA, der sich von den Großen Seen mit Chicago und Detroit über Boston und New York bis nach Washington zieht. In dieser einstmals industriell geprägten Region ist der »Strukturwandel« gescheitert, der nach der Verlagerung der Fertigung in Billiglohnländer eigentlich einsetzen sollte. Neben verrosteten Industrieruinen werden nun Drogen gehandelt und Gangkriege ausgefochten. »Die Banden füllen die Arbeitsplatzlücke im Rostgürtel«, die nach dem Auszug der Stahlindustrie entstand, so die Washington Times über die soziale Zerrütung in den ehemaligen Industriestädten, die in den letzten Jahren bis zur die Hälfte ihrer Einwohnerschaft verloren.

In der Jungle World antwortete der slowenische Philosoph Rastko Mocnik auf die Frage:
Was hat sich in der slowenischen Gesellschaft seit der Unabhängigkeit 1991 verändert?

Die Entwicklung der slowenischen Gesellschaft beweist, dass der Kapitalismus nicht in der Lage ist, eine soziale Realität zu produzieren, die mit dem jugoslawischen Sozialismus konkurrieren könnte. Die sichtbarste Veränderung ist das Auftreten von Armut. Obdachlose gehören mittlerweile zur alltäglichen Normalität. Etwa 14 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Soziale Unterschiede werden immer größer. Prekäre Arbeitsverhältnisse bereiten vor allem jungen Leuten enorme Schwierigkeiten. Die intellektuelle Atmosphäre ist engstirnig, primitiv und trivial. Das Ergebnis der Unabhängigkeit ist allgemeine Provinzialisierung.

Warum wird Slowenien trotzdem gerne als politisches und ökonomisches Erfolgsmodell präsentiert?

Das Bild, das man sich in der EU und im eigenen Land macht, ist das Ergebnis historischer Amnesie. Denn der Grund für den so genannten Erfolg Sloweniens liegt fast ausschließlich in seiner sozialistischen Vergangenheit. Nach wie vor herrscht ein vergleichsweise hohes Maß an sozialer und geschlechtlicher Gleichheit, es gibt gute öffentliche Bildungseinrichtungen, soziale Dienste und ein gutes Gesundheitssystem. .

Die Regierung von Janez Jansa will aber diese Grundlagen abbauen. Wie lange wird das soziale Erbe noch Bestand haben?

In Slowenien existiert immer noch eine politische Klasse, die, obwohl sie zum Liberalismus konvertierte, die Regierung daran hindert, radikale Maßnahmen durchzusetzen. Am 17. November demonstrierten 70 000 Leute in Ljubljana für bessere Löhne und gegen die Privatisierung des Gesundheits- und Bildungssystems. Am nächs­ten Tag erklärten die Arbeitgeber, dass sie zu Verhandlungen bereit seien, von denen sie bis dahin ein halbes Jahr lang nichts hatten wissen wollen. Bereits vor zwei Jahren hatte eine ähnliche Demonstration dazu geführt, dass die von der Regierung geplanten Reformen, wie Wohnungssteuer, Privatisierung von Gesundheits- und Bildungssystem, Begrenzung der Rechte der Arbeiter, nicht weiter verfolgt wurden. Jan?a war sogar dazu genötigt, drei Minister zu entlassen, die trotz der offiziell geänderten Maßgabe weiter an neoliberalen Reformen festhalten wollten.

Die Demonstrationen wurden von allen großen Gewerkschaften organisiert und zeigen, dass diese die wichtigste politische Kraft im Land sind. Die Gewerkschaften übernehmen Aufgaben, die über den klassischen Syndikalismus hinausreichen, weil es in Slowenien keine linke politische Partei gibt, die alternative Ideen in das politische Establishment tragen könnte.

Zu Zeiten des sozialistischen Jugoslawien hatte aber gerade Slowenien eine prominente Alternativkultur mit Gruppen wie der Neuen Slowenischen Kunst, aus der die Band Laibach hervorging. Ist von dieser dissidenten Kultur nichts übrig geblieben?

Die Wochenzeitung Mladina und Radio Student, beide zu jugoslawischen Zeiten gegründet, bestehen noch heute und sind die progressivsten Medien in diesem Land. Aber beachten Sie den Unterschied zwischen dissidenter und alternativer Kultur, der in Jugoslawien sehr wichtig war. Die dissidente Kultur war mit den großen Institutionen der nationalen Kultur, Bildungseinrichtungen, große Verlage oder Museen, verbunden. Die alternative Kultur entstand aus der Studentenbewegung der sechziger Jahre, bestand aus den neuen sozialen Bewegungen, war pazifistisch, feministisch, ökologisch, schwul-lesbisch und war gleichermaßen mit der Massen- wie mit der Subkultur verbunden. Die dissidente Kultur war von Anfang an nationalistisch und folkloristisch und produzierte Ideologie. Während die Alternativ­kultur jugoslawisch war, materialistische Theorie produzierte und Avantgardemusik spielte.

Die dissidente Kultur wurde zum Juniorpartner der politischen Machthaber. Ihr Nationalismus wurde hegemonial und führte zu den bekannten Ergebnissen. Die ehemaligen Dissidenten sind heute die Verfechter des postmortalen Antikommunismus, der nicht dazu dient, die Geschichte aufzuarbeiten, sondern jede Form von Widerstand zu blockieren, insbesondere jenen aus der Alternativkultur.

Es gibt also noch eine alternative Kultur, in der materialistische Theorie produziert wird?

Selbstverständlich. In Slowenien bildet die »Arbeiter- und Punker-Universität Metelkova« in Ljubljana ein wichtiges Zentrum für solide kritische Theorie, die materialistisch orientiert ist.

Dabei werden politische und ideologische Fragen debattiert, wie der Antifaschismus und das sozialistische Vermächtnis zu verteidigen sind, wie eine produktive Kritik am jugoslawischen Modell der Arbeiterselbstverwaltung aussehen kann oder wie die Arbeiter in ihrem Kampf für mehr Lohn zu unterstützen sind, ohne dabei die fordistische Form des Kapitalismus oder das liberale Projekt der schlanken Regierung zu verteidigen.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2008/01/24/verarmung/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • […] Im vergangen Sommer platzt die Blase: das Angebot an Immobilien überholt die Nachfrage und so beginnen die Immobilienpreise zu sinken, während gleichzeitig die Zinsen steigen. Das führt dazu, dass viele Hausbesitzer ihre Raten für die aufgenommenen Hypothekendarlehen nicht mehr zahlen können und es kommt zu vielen Zwangsvollstreckungen und geplatzten Krediten (aktuelle Zahlen dazu finden interessierte Leser in unserem Beitrag „Pfändungen und Zwangsvollstreckungen 2007 in den USA“ sowie im Blog der TAZ unter „Verarmung“). Amerika befindet sich inmitten der so genannten Subprime-Krise. […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert