Als die französische Bank 5 Milliarden Euro „verspielt“ hatte – und dafür einem ihrer Angestellten die Schuld gab, lachte die halbe Branche – über diese alberne Alleinschuld-These.
Bei Siemens passierte und passiert aber genau das selbe: dass man einzelnen Mitarbeitern vorwirft, sie hätten sich korrupt verhalten bei der Jagd nach lukrativen Aufträgen für Siemens. Langsam mischen sich jedoch auch andere Meinungen in den Chor der Kommentatoren, die sich über Siemens auslassen. So z.B. nach der Siemens-Hauptversammlung in der Süddeutschen Zeitung am 25. Januar: Auf Seite 4 fordert da Heribert Prantl, „nicht nur einzelne Personen, sondern auch Konzerne (juristische Personen) gehören bestraft“ (was das deutsche Strafrecht jedoch noch nicht hergibt).
Auf Seite 19 der SZ meint Karl-Heinz Büschemann „Siemens hat mehr zu bewältigen als eine Korruptionskrise“, denn – an die Adresse des neuen Siemenschef Peter Löscher – „einen Konzern wie Siemens in kurzer Zeit neu zu organisieren und ihm auch noch eine neue Kultur im Umgang mit den Verlockungen der Korruption zu vermitteln, geht sicher nicht ohne internen Widerstand vor sich…Tapfer behauptet er, Löscher, es sei kein Gegensatz, gute Zahlen zu erwirtschaften und gleichzeitig auf höchstem ethischen Niveau zu handeln. Das sehen mit Sicherheit nicht alle so bei Siemens.“
Das sah jedoch Löschers Vorvorgänger Heinrich von Pierer angeblich auch schon so – in seinem 2003 veröffentlichten Buch „Zwischen Profit und Moral“, das in der steilen These gipfelte: Wer die Moral vernachlässige, schade der Profitabilität. Der Rezensent dieses Buches in der FAZ vom 23.1., E.W. Händler, meint, dass Pierer von den „aufgedeckten Korruptions-Praktiken“ und der ebenfalls rechtswidrigen Finanzierung einer Anti-IG-Metallgewerkschaft nichts gewußt haben will, „erscheint kaum vorstellbar“. Sein Buch ist also nicht das Papier wert, auf dem es gedruckt wurde.
Obwohl sich also hier und da im bürgerlichen Feuilleton der Wunsch regt, statt Geständnisse und Enthüllungen von „Whistleblowern“ fortwährend anklägerisch auszubreiten, mehr und gründlicher über das „System Siemens“ nachzudenken, bleibt es dabei, dass Einzelne für schuldig erklärt und entlassen werden. Und dazu nun nicht mehr, wie es sich für „Diebe im Gesetz“ gehört, mit großzügigen Abfindungen und neuen Beraterjobs wie früher, sondern mit Schimpf und Schande.
Unterm Strich ist also bei diesem „größten deutschen Korruptionsskandal“ (Die Welt) nicht mehr herausgekommen, als dass der Konzern einige besonders engagierte Mitarbeiter weggebissen hat – unter dem Druck der Öffentlichkeit. Es war sogar von einer „Bande“ die Rede, die sich da in den Konzern eingeschlichen hätte, um ihm zu schaden. Das ist alles so beschämend Deutsch, dass man hoffen muß, Löscher scheitert über kurz oder lang ebenfalls an dieser undankbaren Aufgabe der „Selbstreinigung“, die an die Niederschlagung des bloß behaupteten Rhöm-Putsches erinnert.
Noch mal: Aufklärung über die Geschäftspraktiken bei Siemens – das kann nur heißen: das internationale Elektrokartell, in dem Siemens führend war und das u.a. die gesamte brasilianische Elektrobranche versenkte, von seinen Anfängen bis zum angeblichen Ende im September 1989 aufzuarbeiten, um sodann auf das veränderte „System“ der externen Berater und Geheimkonten, wie sie zum Teil bis heute noch bestehen, zu sprechen zu kommen.
Zuletzt, das heißt vor einigen Tagen, geriet auch noch Siemens-Österreich in den „Korruptionsstrudel“ sowie noch einmal und zur Gänze die Siemens-Sparte Medizintechnik – über 130 „schwarze Konten“ sollen dort mehr als 140 Mio Euro Bestechungsgelder geflossen sein.
Wie das „Handelsblatt“ unter Berufung auf ein dem Blatt vorliegendes Schreiben berichtet, kann ein ehemaliger Vertriebsleiter belegen, dass er bereits im Juni 2004 den Spartenvorstand Erich Reinhardt und den damaligen Vorstandsvorsitzenden Heinrich von Pierer schriftlich über «Schwarzgeldgeschäfte» und dubiose Bargeldübergaben unterrichtet hat.
Heise.de berichtet derweil:
„Die mit der Aufklärung des Korruptionsskandals beauftragen US-Anwälte hatten dem Aufsichtsrat berichtet, Führungskräfte zahlreicher Landesgesellschaften blockierten die Ermittlungen. Unter zahlreichen Beispiele aus der ganzen Welt führten die Ermittler auch die europäischen Dependancen in Belgien, Griechenland und Österreich an. Über Österreich sollen vom Konzernbereich Telekommunikation (Com) sogenannte „Provisionszahlungen“ abgewickelt worden sein, habe ein Beschuldigter gegenüber der ebenfalls ermittelnden Staatsanwaltschaft erklärt.“
ein ganz guter artikel