vonHelmut Höge 31.01.2008

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Der Dichter Ezra Pound, der nach der Niederlage des Faschismus in die Irrenanstalt kam (und dort dann sinnigerweise von einem Dr. Kavka behandelt wurde!), schrieb 1942 als Mussolini-Berater – an die Adresse der seiner Meinung nach hoffnungslos verjudeten US-Elite: Eure  „Melting-Pot-Theorie“ ist im Arsch, das „Experiment“ ist gescheitert, jetzt gehöre der „Züchtung von Reinrassigen“ (und die Liquidierung der rassisch  Minderwertigen) die Zukunft. Klingt das nicht ganz aktuell? – „Eure Multikulti-Idee war ein Irrtum, Nun geht es um anpasslerische Integration, notfalls mit militärischem Zwang – oder um Ausweisung!“

Der Faschismusforscher Klaus Theweleit gibt angesichts einer solchen „Retro“ jedoch zu bedenken: „Die faschistische Moderne“ will eine Welt, in der alles unterm „männlich/technischen Zeugungsprinzip untergeordnet bleibt“,  während „die zivilisatorische Moderne  eine künstliche Welt unter Einschluß und Beteiligung der Frauen, der Künste und der Technologien will“. Der US-Ökonom Richard Florida hält darüberhinaus zur „Messung des Kreativ-Potentials von Großstädten“ im Standortwettbewerb sogar einen „Boheme- und Schwulenindex“ für sinnvoll. Andere US-Wissenschaftler begrüßen  gleich die Entstehung einer ganz neuen „Kreativen Klasse“. Gemeint ist damit meist ein heterogen zusammenaddierter Teil der Mittelschicht, der von den Segnungen der Elektronik, der so genannten „3. Industriellen Revolution“, profitiert.  Der Rest (seine alte Klasse) diffundiert laut einer Prognose des ehemaligen US-Arbeitsministers Robert Reiche in die Unterschicht. Damit zählt er  zu den Verlierern, die sich global bis zu 3/5 der Bevölkerung aufsummieren.

In den Achtzigerjahren verfaßte der heutige Trendforscher Mathias Horx sein erstes „Zukunftsszenario“: Im Vogelsberg lebend, das im Falle eines plötzlich heiß werdenden Kalten Krieges laut   NATO-Verteidigungskonzept  als „Fulda Gap“ ausgewiesen und somit Teil der „Ground Zero“-Zone geworden war (um den Kommunismus wenn schon nicht zu stoppen, wenigstens auszubremsen) ließ er gerade dort für seine „Social Fiction“ den Zerfall der Gesellschaft in Banden und  „Tribes“ stattfinden, die um das Überleben kämpften – nach dem in Oberhessen erfolgten Atom-Selbstangriff. Mit diesem mitunter fast „völkisch“ halluzinierten Opfer-GAU in einer deutschen Mittelgebirgsregion und dem „Was Danach Kommt“  haben sich vor 1989 mehrere dort lebende Schriftsteller beschäftigt, u.a. auch eine Kinderbuchautorin. Und der ebenfalls damals dort lebende März-Verleger Jörg Schröder schrieb wiederum ein ganzes Buch über diese Scene – unter dem Titel „Cosmic“ (so heißt die höchste Geheimhaltungsstufe der NATO). Die Europa-Korrespondentin des „New Yorker“ veröffentlichte sodann einen langen Bericht über die im oberhessischen Schlitz sich damals verdichtende  Friedensbewegung: „Die Schlacht am Eisenberg“ – so der Titel der  deutschen Version, die H.M. Enzensberger dann in der „Transatlantik“ abdruckte.

Im Zuge der gesellschaftlichen Durchsetzung von Elektronik (Genetik) hat nun der Popexperte Dietrich Diederichsen davon gesprochen, dass es zu einer „Tribalisierung“ der Leute durch die Medien komme. Er dachte dabei an die Stämme der Jazz-, Soul-, Punk-, Hip-Hop- usw. -Angehörigen. „Full Metal-Village“ so heißt z.B. der neueste Film – über den  Wacken-Tribe Heavy-Metal, als eine Invasion von Barbaren. „Die Zonen der Barbarei herrschen längst nicht mehr nur an der Peripherie, sondern ziehen sich durch die kapitalistischen Metropolen selbst,“ schreibt Robert Kurz.

Neulich las ich den schönen Regionalroman „Ortsgespräch“ des Popliteraten und -theoretikers Florian Illies. Er handelt von Schlitz, wo Illies auf- und heranwuchs – bis er nach Berlin zog. Vor Ort erforschte sein Vater das dortige Flüsschen „Breitenbach“ – als Leiter einer staatlichen limnologischen Station. Über „Die Schlacht am Eisenberg“ verlor Illies kein Wort. Während diese Zeit z.B. für den jüngeren Autor Rocko Schamoni, der in Schleswig-Holstein aufwuchs, gerade die wichtigste war. Er beschrieb sie in seinem Roman „Dorfpunk“. Ich verstand das so: Die Atombombe war ja nun ausgeblieben – und damit die Niederlage so ganz anders ausgefallen als man – d.h. im Kern nahezu die gesamte Bevölkerung des Schlitzer Landes – es befürchtet hatte: Jedenfalls weitestgehend ohne Leichen, „Verbrennungen dritten Grades“ und Ähnlichem. Man sprach deswegen mitunter auch von einer unblutigen oder sogar samtenen Revolution. Mit dem Titel   „Ortsgespräch“ deutet der Handy-Autor Illies bereits an, dass es sich bei seinem Buch über Schlitz um eine nostalgische Rückblick auf eine Idylle handelt.

Gleichzeitig scheint sich  jedoch jetzt überall das bemerkbar zu machen, was Klaus Theweleit aus seiner Kenntnis der Radiokunst seit ihren Anfängen bereits zum „Gesetz“ erhob: „Neue Medien, wo sie zu einer medialen Dominanz gelangen, heben überall für die Zeit ihrer Einführung und Durchsetzung den Pegel der offenen, gesellschaftlichen Gewalt.“ Man hat deswegen Illies‘ Schlitz-Rückblick auch als unzeitgemäße Betrachtung abgetan. Sie reiht sich jedoch ein in eine ganze Serie von Büchern über die „Provinz“, die damit seit der erneuten Hauptstadt-Werdung Berlins wieder geradezu antiförderalistisch an Konturen gewinnt.

Erwähnt seien:

„Vogelsberg“, Agentur Standart Text, Berlin 1984

„Wie komme ich hier raus? Aufwachen in der Provinz“, Kolja Mensing, Kiepenheuer & Witsch 2002

„Die Wahrheit über Island,“ Wolfgang Müller, Suhrkamp-Verlag 2007

Als hochgelobter Provinz-Schriftsteller gilt hierzulande der hessische Autor Peter Kurzeck – mit ihm sprach unlängst Jan Süsselbeck am Telefon (entnommen  Jungle World 9/06):

Meine Freunde in Marburg sind leider schon alle tot«, sagt Peter Kurzeck am Telefon. Fast so, als wolle er sich entschuldigen. Er hat sich aus Uzès in Südfrankreich gemeldet, wo er, u.a. Träger des Alfred-Döblin-Preises (1991) und des Preises der Literaturhäuser (2004), mittlerweile seit vielen Jahren wohnt; daneben hält er sich regelmäßig in Frankfurt am Main auf. Er will sich vergewissern, ob unsere vereinbarte Lesung in Marburg auch wie geplant stattfinden wird.  Das alles kommt mir, während ich gerade noch meinen letzten Frühstücksbissen herunterschlucke, bekannt vor. Habe ich doch soeben Kurzecks letzten Roman »Ein Kirschkern im März« (2004) gelesen, in dem an einer Stelle auch von einem solchen organisatorischen Telefonat die Rede ist. Die Geschichte spielt im Schaltjahr 1984: »Tucholsky-Buchhandlung, Offenbach. Eine Lesung am 28.März. Noch von der Abstellkammer aus den Termin. Im Januar. Telefonisch. Dann noch zweimal angerufen, ob es auch dabei bleibt. Zum Glück Ortstarif«.  Vor seinem Auftritt begibt sich der Erzähler des Romans, der als erfolgloser Schriftsteller mit großen finanziellen Engpässen kämpft und als Gast in einer Dachkammer bei einem befreundeten Frankfurter Ehepaar vorerst glücklich untergekommen ist, in die Offenbacher Innenstadt. Er flaniert umher, auf der Suche nach Erinnerungen an einen Ausflug, den er mit Sibylle, der Mutter seiner Tochter Carina, unternommen hat, von der er neuerdings getrennt lebt — für ihn der bittere Beginn einer ganz neuen Zeitrechnung.

Aus wehmütigen Erinnerungen an diese Beziehung und aus der Beschreibung der Alltagserlebnisse mit der Tochter besteht, durchsetzt mit den verschiedensten autobiografischen Reminiszenzen bis zurück in die unmittelbare Nachkriegszeit, der mäandernde Erzählfluss des Buchs. Der Erzähler plant, irgendwann einmal nach Südfrankreich auszuwandern.  Und nun also das déja vu. Er wolle schon nachmittags anreisen, um allein die Marburger Innenstadt zu durchwandern, sagt Kurzeck unvermittelt in den Hörer. Er wolle sich an seine Jugendtage in den fünfziger Jahren erinnern, als er noch gern und oft von seinem Geburtsort Staufenberg bei Gießen zu Fuß nach Marburg an der Lahn lief, um auf dem Marktplatz billigen Wein zu trinken und Blues-Konzerte in der Oberstadt zu besuchen.  »Auf dem Fußweg konnte man stundenlang mit sich und seinen Gedanken allein sein«, schwärmt Kurzeck, jetzt immer redseliger werdend. »Ich hatte schon versucht, Sie unter Ihrer Dienstnummer zu erreichen, aber da nahm leider niemand ab. Ich hoffe, ich störe Sie nicht?« Tatsächlich: Auch diese Bemerkung erscheint jetzt plötzlich wie die Veranschaulichung eines im Roman »Ein Kirschkern im März« wiederkehrenden Motivs: der mangels eines Privatanschlusses mühseligen Telefonzellenanrufe des Erzählers. Dieser versucht nämlich immer wieder verzweifelt, Lesungen zu vereinbaren, seinen Verleger KD Wolff zu erreichen oder namenlose Mäzene für kommende Veröffentlichungen aufzutun: »Erst besetzt, lang besetzt und dann frei und dann hebt keiner ab — was für Geschichten soll man sich ausdenken als Erklärung?« Und dann heißt es dort, wie ein gedruckter, telegrammartiger Kommentar zu dem jetzigen Gespräch, an das ich mich nun verblüfft erinnere: »Wie sollst Du einem Menschen, der dich nicht kennt (den Du nie gesehen hast), erklären warum du ihn anrufst, ohne ihm gleich dein ganzes Leben — auch wenn er es eilig hat und von nix eine Ahnung. Wie sollst du ihm dein Leben, dein ganzes Leben, wenn du ihm nicht auch dein neues Buch erzählst«.

Das ist es, was diesen Schriftsteller umtreibt: der ständige, zum Scheitern verurteilte und doch immer wieder neu unternommene Versuch, sein Leben wiederzugeben, begreiflich zu machen. Und so geht auch in unserem Telefongespräch der aktuelle autobiografische Roman, gehen überhaupt die letzten Bücher Kurzecks, die ich zur Vorbereitung der Lesung durchstöbert habe, hier offenbar fernmündlich weiter — diesmal allerdings leider nicht zum Ortstarif: »Und in Marburg konnte man damals anders als in Gießen schon problemlos öffentlich Alkohol trinken, ohne dass die Polizei kam oder dass einen wütende Passanten beschimpften«, erzählt Kurzeck begeistert, »das war damals ja noch eine ganz andere Zeit.« Und dann eben dieser verlegene Satz: »Aber meine Marburger Freunde sind leider schon alle tot.«  »Das erinnert mich an die Stelle in >Ein Kirschkern im MärzDu weißt doch, wie wir gelebt haben. Wenn es mit rechten Dingen zuginge, wären wir beide längst tot. Sogar mehrfach jeder.

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