vonHelmut Höge 21.05.2008

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

Mehr über diesen Blog

1. Vor Bonn:

*/Aktionsbündnis COP 9/ gegründet — Aufruf zur kritischen Begleitung
der CBD-Vertragsstaatenkonferenzen*

Umweltdiplomatie steht hoch im Kurs — in zwei Wochen beginnen in Bonn
die UN-Verhandlungen zum Biosafetyabkommen sowie zur
Biodiversitätskonvention. Doch es gibt nichts zu feiern: Im Namen des
Umweltschutzes werden Menschenrechte verletzt, Agrotreibstoffe angebaut,
Pflanzen patentiert und gentechnisch veränderte Bäume gezüchtet.

/“Die Verhandlungen sind Schritte in die falsche Richtung/“, so Anne
Schweigler, Vertreterin der BUKO Kampagne gegen Biopiraterie im neu
gegründeten */Aktionsbündnis COP 9/*. /“Transnationale Unternehmen
werben für Wundertechnologien wie die Gentechnik, die aber in
Wirklichkeit nur deren Kontrolle über die natürlichen Ressourcen
steigern. Daher kommen Landwirte aus der ganzen Welt nach Bonn, um die
Vielfalt ihrer Kulturen und kollektiven Rechte an den natürlichen
Ressourcen zu verteidigen“/ ergänzt Guy Kastler vom weltweiten
BäuerInnennetzwerk Via Campesina.

/“Wir werden die Konferenzen kritisch begleiten und uns in das
öffentliche Leben einmischen“,/ versprechen die InitiatorInnen des
Bündnisses. Mehr als ein halbes Dutzend Initiativen haben sich hierin
zusammen getan, um gemeinsam die Schwachstellen der Diplomatie offen zu
legen und zu Protesten zu ermuntern.

Weitere Informationen erhalten Sie unter den angegebenen Telefonnummern
oder auf unserer Website.

*/Aktionsbündnis COP 9: /*Aktionsnetzwerk globale Landwirtschaft, ASEED
Europe, Bonner AK gegen Gentechnologie, BUKO Kampagne gegen
Biopiraterie, Corporate Europe Observer, Grüne Jugend, Netzwerk Freies
Wissen, Via Campesina

*Presse Kontakte
*Flip Vonk (ASEED Europe) +31-6-17836486 (engl/niederl.)

Gregor Kaiser (BUKO) +49-151-18187950 (deu/engl.)

Anne Schweigler (BUKO) +49-162-5137237 (deu/engl)

Morgan Ody (Via Campesina) 0032 4 86888845 (engl)

2. Aus Bonn

*/Agrotreibstoffe verschärfen die Klimakrise/*

„Biosprit“ ist das Modewort zur Lösung der Klimakrise, die Palmöl und
Soja-Produktion boomt weltweit. Seitens der Politiker wird versprochen,
damit sowohl Entwicklungschancen für die Länder der Dritten Welt zu
eröffnen als auch zur CO2-Reduktion beizutragen.

/“Agrotreibstoffe sind weder ökologisch sinnvoll, noch ergeben sich
Entwicklungschancen für die benachteiligten Menschen in Brasilien oder
anderen Dritt-Welt-Ländern“,/ so Flip Vonk von ASEED Europe. /“Bauern
und Bäuerinnen werden von ihrem Land vertrieben, Regenwald wird
abgeholzt, mehr Pestizide und Düngemittel werden ausgebraucht und der
ressourcenintensive Lebensstil in Europa und den USA wird mit einem
grünen Label überzogen. So kann es nicht weitergehen“/, ergänzt Vonk.

Agrotreibstoffe stehen auch in Bonn auf der Tagesordnung/. „Die
Industrie und Regierungen wie Brasilen wollen verhindern, dass
Agrotreibstoffe und ihre Auswirkungen auf die biologische Vielfalt Thema
der COP werden. Schlimmer noch, Deutschland und Brasilien haben gerade
ein Abkommen über Ethanolhandel unterzeichnet. Das ist ein Skandal und
führte bereits zum Rücktritt der brasilianischen Umweltministerin
Silva“/, so Nina Holland von CEO.

Das Aktionsbündnis COP9 wird am kommenden Wochenende zwei Aktionen
durchführen: Am Samstag protestieren wir in Leverkusen vor den Toren des
Bayer-Konzerns gegen die massive Zerstörung der biologischen Vielfalt
des Konzerns, u.a. durch extrem giftige Pestizide und den Anbau von
Jatropa als Energiepflanze in Indien (11 Uhr S-Bahn Bayerwerke) und am
Sonntag in Bonn an mehreren Tankstellen gegen die Produktion von
Agrotreibstoffen (10 Uhr Romerohaus).

3. Ausfallschritt Leverkusen:

Bayer – großer Zerstörer biologischer Vielfalt!

100 Menschen aus allen Teilen der Welt demonstrierten heute Morgen gegen die biodiversitäts- und menschenfeindliche Politik und Geschäftspraktiken des Bayer-Konzerns. Mit Straßentheater und Spruchbändern protestierten sie gegen Patente auf Leben, Terminatortechnologie sowie die Produktion von umwelt-verschmutzenden Pestiziden und Düngemittel. Die gestrige Entscheidung des Bundesamts für Verbraucherschutz zum Verbot aller Pestizide mit dem Wirkstoff Clothianidin zeigt, wie wichtig es ist, die miesen Geschäftspraktiken des Konzerns anzuprangern. Agrogifte und gentechnisch veränderte Pflanzen, die von Bayer über die Welt gebracht werde, zerstören die lokalen Gemeinschaften, die seit Jahrhunderten Biodiversität geschaffen haben. Wenn wir Biodiversität erhalten wollen, müssen wir Bayer und ähnliche Firmen stoppen“, so José Oviedo von Via Campesina, „Auch die Forderung von Bayer, stärkere Patentrechte einzuführen und somit die Privatisierung genetischer Ressourcen voranzutreiben, muss gestoppt werden“, ergänzt Anne Schweigler von der BUKO Kampagne gegen Biopiraterie.

„Bayer ist einer der weltgrößten Zerstörer biologischer Vielfalt. Besonders perfide ist die Forschung an sterilem Saatgut, den sogenannten Terminatortechnologie. Hieran sieht man: es geht nur ums Geld und nicht um Unterstützung der Menschen zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse,“ so Petra Buhr vom Netzwerk Freies Wissen. „Wir fordern: Freie Saat statt tote Ernte,“ ergänzt Buhr.

Die Demonstranten überreichten einen Offenen Brief durch den Bayer von einem Dutzend Organisationen aufgefordert wird, Verantwortung für die Umweltschäden zu übernehmen und Entschädigungen an die Menschen weltweit zu zahlen.

4. Demo in Bonn:

*Veranstalter:* Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“ (AbL),
die internationale Kleinbauernbewegung „La Via Campesina“, das
„internationale Notkomitee zur Erhaltung der Weizenvielfalt ohne
Gentechnik“, die deutsche „BUKO-Kampagne gegen Biopiraterie“, das
Aktionsbündnis COP 9
*Ort: *Bonn, Münsterplatz

Kleinbauern fordern freien Zugang zu Saatgut und die
Anerkennung ihrer züchterischen Leistung

532 Patente auf Pflanzenmerkmale haben die größten Saatgutkonzerne der
Welt: BASF, Monsanto, Bayer, Syngenta, Dupont und ihre Biotech-Partner
jüngst angemeldet und erteilt bekommen, wegen angeblich neuer
Pflanzenmerkmale wie Trockenheits-, Flut- oder Hitzeresistenz.

Gegen dieses Ansinnen, mit der Begründung des Klimawandels sich in
großem Umfang per Patentrecht die Pflanzen aneignen zu wollen, die die
Ernährungsgrundlage der Menschheit bilden, protestieren am Montag, den
19.5. nachmittags von 15.00 Uhr bis 18 Uhr die deutsche
„Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“ (AbL), die
internationale Kleinbauernbewegung „La Via Campesina“, das
„internationale Notkomitee zur Erhaltung der Weizenvielfalt ohne
Gentechnik“, die deutsche „BUKO-Kampagne gegen Biopiraterie“ und andere
Gruppen in Bonn.

Vom Bonner Münsterplatz, wo derzeit ein Saatgutmarkt stattfindet, wird
sich um 15 Uhr ein Demonstrationszug zum Haus des Bundes deutscher
Pflanzenzüchter bewegen, um dort eine Zwischenkundgebung zu halten. Hier
werden Vertreter der ersten drei Gruppen zur nationalen und
internationalen Politik des BDP sprechen. Nach einer weiteren Station
beim Botanischen Garten Bonn und der dortigen Thematisierung der
Geschichte von Biopiraterie wird der Zug zum Münsterplatz zurückgehen,
wo gegen 17.00 Uhr in einer feierlichen Aktion Vertretern aus südlichen
Ländern symbolisch Informationen über die in Deutschland eingelagerten
und für die industrielle Züchtung verfügbar gehaltenen Sorten aus ihren
Ländern Informationen übergeben werden.

Zum Hintergrund:

Schätzungsweise 7.000 neue landwirtschaftliche Sorten hat die
industrielle Züchtung in den letzten 50 Jahren hervorgebracht — dem
stehen geschätzt 2 Millionen neuer Sorten, die Kleinbauern jährlich neu
züchten. Die Sorten der Kleinbauern sind regional und lokal angepasst,
während die industriellen Hochertragssorten („High Yield Varieties“)
unter Bauern in aller Welt vor allem als „High Input Varieties“ bekannt
und berüchtigt sind: ohne massiven Einsatz von Bewässerung, Düngung und
Pestiziden gedeihen sie nicht — mit allen negativen Folgen für Umwelt
und die Bauern.

Saatgutkonzerne versuchen derzeit, den Rechtsschutz für Pflanzensorten
immer weiter auszudehnen und dem Patentrecht ähnlicher werden zu lassen:
uralte bäuerliche Rechte wie das auf Wiederaussaat aus der eigenen Ernte
und freie Weiterzucht mit vorgefundenen Sorten werden zu Ausnahmen
erklärt, mit der Tendenz, sie ganz zu verbieten. So werden Bauern in
aller Welt immer stärker von der Saatgutindustrie abhängig gemacht.

Gegen diese Politik, die mit verschiedenen Begründungen weißgewaschen
wird, wird Widerspruch erhoben.

5. Nach der Bonn-Demo:
Aktionsbündnis COP 9: Aktionsnetzwerk globale Landwirtschaft
ASEED Europe Bonner AK gegen Gentechnologie BUKO Kampagne gegen
Biopiraterie Corporate Europe Observatory Grüne Jugend Netzwerk Freies
Wissen Via Campesina Kontakt: Info-Phone: 0151-51806945
http://biotech.indymedia.org Press Contacts: Flip Vonk (ASEED)
+49-15120 6419176 Gregor Kaiser (BUKO) +49-151-18187950 Anne
Schweigler (BUKO) +49-162-5237137 Morgan Ody (Via Campesina)
+49-151-53630102 c/o Oscar Romero Haus Heerstr. 205 53111 BonnPress
Release — Presseinformation

Bonn, 19. Mai 2008

*/Aktionsbündnis klagt deutsche Pflanzenzüchter an/*

Rund 50 Demonstranten zogen am Montag Nachmittag in einem bunten Zug vom
Münsterplatz zum Sitz des Bundesverbandes Deutscher Pflanzenzüchter in
Bonn, in dem auch die großen Saatgutkonzerne wie Bayer, Syngenta und
Monsanto vertreten sind. Sie kritisierten dessen Propagierung der
Gentechnologie, die Forderung nach mehr und strengerem Sorten- und
Patentschutz sowie die Praxis des BDP und der angegliederten
Saatguttreuhand, Landwirte auszuforschen und Nachbaugebühren
einzutreiben. Träger der Demo waren die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche
Landwirtschaft (AbL), das Aktionsbündnis COP 9 und das Internationale
Notkomitee zur Rettung des Weizen.

*Gerhard Portz* von der AbL kritisiert die Propagierung von geistigen
Eigentumsrechten auf Pflanzen durch den BDP. /“Die Politik des BDP ist
unmoralisch und vernichtet bäuerliche Existenzen weltweit. Wir brauchen
die Nutzung lokaler Sorten und nicht eine globale Monokultur.“/

Im Anschluss an die Demo übergaben VertreterInnen des Internationalen
Weizen Notkomitees Saatgut aus der Genbank Gatersleben an BäuerInnen aus
vielen Teilen der Welt. Die ursprünglichen BesitzerInnen des Saatguts
sollten so wieder in den Besitz der geraubten Saat kommen. Dazu *Jürgen
Holzapfel* vom Weizennotkomitee: /“Die Vielfalt gehört in die Hände der
BäuerInnen, nur dort kann sie erhalten und weiterentwickelt werden. Eine
Genbank, die Gentechnik anwendet, ist eine Gefahr für die weltweite
Weizenvielfalt.“/

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2008/05/21/infos-von-der-diversitaetsfront/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Bericht vom Kongreß „Planet Diversity“ in Bonn:

    Heute ist der Tag der Abschlusserklärungen. Vier Tage, in denen intensiv diskutiert und beraten wurde, liegen hinter den erschöpften, aber doch zufriedenen 700 TeilnehmerInnen aus über 100 Ländern. Es gibt noch viel zu tun und die Forderungen sind klar:
    Als erstes braucht man unbedingt ein weltweites Moratorium für die Produktion von Agrar-Sprit und den Gentechnik-Anbau. Es muss eine Revolution der Landwirtschaft, die sich am Überleben und dem Respekt vor allen Menschen, Tieren und Pflanzen des Planeten orientiert, geben. Angesichts der Klima- und Biodiversitäts-Katastrophe bedarf es eines gemeinsamen, radikalen Paradigmenwechsels bei Bauern, Verbrauchern, Wissenschaftlern und Regierungen. Die aktuelle Nahrungsmittelkrise trotz landwirtschaftlichen Überflusses ist eine politische Schande, so die einhellige Meinung.

    Ziel des bei „Planet Diversity“ entstandenen weltweiten Netzwerks ist die Besinnung auf gemeinsame Werte und ein ganzheitliche Revolution in der Landwirtschaft und beim Lebensmittelverbrauch. Die „mittelalterliche Technologiegläubigkeit“ vieler Politiker und Unternehmen soll durch kritischen, und vorsorgenden, praktischen Fortschritt überwunden werden.

    Enttäuscht zeigten sich die TeilnehmerInnen von den Ergebnissen bei den Verhandlungen über ein internationales Haftungsrecht für Gentechnikschäden im Rahmen des Biosicherheits-Abkommens. Es zeige, wie wenig die Gentechnik-Unternehmen selbst deren Sicherheit trauen. Angela von Beesten vom ökologischen Ärztebund, die einen Workshop zu Gesundheitsrisiken der Gentechnik leitete, wies darauf hin, dass unabhängige Forschung und Gesundheitsbewertung durch Geheimhaltung praktisch unmöglich sei.

    „Vielfalt statt Monokulturen“ steht für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von „Planet Diversity“ auch für eine ethische Neubesinnung: „Wir sind ein Teil und nicht die Herren der Natur“, heißt es in ihrem Bonner Manifest.
    Hier einige Stimmen zum Abschluss des Kongresses:

    Benedikt Haerlin, Mit-Organisator: „Die Monokulturen der vergangenen Jahrzehnte dienen nicht mehr der Produktion von mehr und besserer Nahrung. Sie ernähren nicht die Armen dieser Welt, sondern füttern die Fleischfabriken und Autos der Reichen. Sie schaden dem Klima, laugen die Böden aus, brennen die Wälder nieder, verschwenden und vergiften unser knappes Wasser und vertreiben Kleinbauern und Indigene von ihrem Land. Industrielle Landwirtschaft ist ein Fossil der Vergangenheit, das unsere natürliche und kulturelle Vielfalt und damit unsere Überlebensfähigkeit zu vernichten droht.“

    Hans Herren, Ko-Präsident des Weltagrarrates (IAASTD): „Business as usual ist schlicht keine Option mehr. Die Mittel und Technologien zur Überwindung des Hungers stehen zur Verfügung. Was fehlt ist einzig der politische Wille, sie klug und systematisch einzusetzen.“

    Vandana Shiva, indische Saatgut-Aktivistin: „Der Alarmruf des Weltagrarrates darf nicht wie der erste Bericht des Welt-Klimarates (IPCC) jahrelang ignoriert werden.“

    Mamadou Goita, Bauernführer aus Mali: „Wir Bauern können genügend Lebensmittel für die Bevölkerung von heute und von morgen produzieren, wenn wir nicht in die Abhängigkeit von multinationalen Handels-, Chemie- und Gentechnikkonzernen getrieben und unserer natürlichen Produktionsmittel beraubt werden.Saatgut, die Grundlage aller Landwirtschaft, ist kein Privatbesitz von Monsanto, Syngenta und Bayer, sondern das gemeinsame Erbe der Menschheit.“

    Guy Kastler vom französischen Netzwerk für bäuerliches Saatgut: „Das Recht auf Austausch, Nachbau, gemeinsame Fortentwicklung und Verkauf von Saatgut steht am Anfang einer Landwirtschaft im Dienste der Menschen statt des Profits. Hunger und Klimawandel können nur überwunden werden, wenn wir die Vielfalt wieder auf die Äcker bringen statt sie in Gen-Banken einzusperren.“

  • Hier sei noch ein Beitrag über die Anti-Diversivitätsfront nachgereicht – von Ramona Siclair (JW 19.5.). Dabei geht es um eine Bilanz der EU-Osterweiterung, die im Wesentlichen eine Expansion des Kapitals aus dem Westen in den Osten war – und dort im Wesentlichen nichts weiter bewirkte als die regionale Vielfalt zu liquidieren:

    Die Europäische Union expandiert zunehmend nach Osten. Am 1. Mai 2004 traten zusammen mit Malta und Zypern acht osteuropäische Staaten der EU bei; am 1. Januar 2007 folgten mit Rumänien und Bulgarien zwei weitere Staaten aus dem ehemaligen sowjetischen Einflußgebiet.

    Der österreichische Historiker Hannes Hofbauer hat mit seinem im Jahre 2003 erschienenen Buch »Osterweiterung – Vom Drang nach Osten zur peripheren EU-Integration« vor den politischen, ökonomischen und sozia­len Folgen dieses Prozesses gewarnt. Nach Hofbauer diente die militärische Zerschlagung Jugoslawiens durch Bürgerkrieg und NATO-Intervention nicht zuletzt als Exempel, um widerspenstige Regierungen Osteuropas dazu zu bewegen, auf eigenständige volkswirtschaftliche Konsolidierungskonzepte zu verzichten und ihr Land schutzlos der Expansion des anlagehungrigen westeuropäischen Kapitals auszuliefern.

    In seinem jetzt erschienenen Buch zur EU-Osterweiterung zieht Hofbauer auf Grundlage der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung in den neuen Mitgliedsländern eine vorläufige, düstere Bilanz: Nirgendwo habe ein osteuropäischer Arbeitsmarkt von dem EU-Beitritt profitieren können.

    Nach dem Zusammenbruch des osteuropäischen Modernisierungsprojektes in den achtziger Jahren mutierten florierende Industriegebiete blitzschnell zu Billiglohnregionen. Die politischen Eliten – ob Nationalkonservative oder neoliberal gewendete Kommunisten – verkauften die ehemals in Volkseigentum befindlichen Betriebe meist für ein Spottgeld an die westeuropäische Konkurrenz. Diese legte zahlreiche Produktionsstandorte still, funktionierte andere zu verlängerten Werkbänken der westeuropäischen Kernunternehmen um. Die Volkswirtschaften der neuen EU-Mitgliedsländer verharren auch jetzt noch ausnahmslos im Status von Zulieferern für westeuropäische Großunternehmen. Nur ein einziges osteuropäisches Land – Slowenien, das als entwickelte Industrieregion von der Abkopplung vom unterentwickelten Süden Jugoslawiens profitierte – habe wirtschaftlich den Stand des Zusammenbruchsjahres 1990 wieder erreichen können.

    Der weitgehende Zusammenbruch von Industriezentren ging einher mit einem Sterben landwirtschaftlicher Betriebe. Deren Produkte werden durch die massenhafte Einfuhr hochsubventionierter Agrarprodukte aus Westeuropa zunehmend vom Markt verdrängt. Dies änderte sich auch nach dem EU-Beitritt der osteuropäischen Länder kaum. Bei der Verteilung von Agrarsubventionen in Brüssel erhält ein dort ansässiger Bauer derzeit nur ein Viertel des Betrages, der seinem westeuropäischen Kollegen zugestanden wird.

    Hofbauer hat zahlreiche Regionen Osteuropas bereist, mit vielen Leuten gesprochen, sich vor Ort selbst ein Bild gemacht. Erschreckend ist seine Schilderung der sozialen Lage in der Slowakei: »Wir sind Opfer des Dritten Weltkrieges, der ein ökonomischer Krieg ist«, zitiert Hofbauer das Resümee eines slowakischen Gewerkschaftsführers aus dem Jahre 2003. Das neoliberale Sparprogram der damaligen Regierung verursachte kurz danach eine verzweifelte Hungerrevolte der slowakischen Roma. Bei den nächsten Parlamentswahlen siegte in Bratislava zwar die Opposition. Die neue Regierung verfüge aber – wie Hofbauer schreibt – nach der Privatisierungsorgie der abgewählten Machthaber über fast keinen sozialpolitischen Spielraum mehr.

    Massenhafte Armut fand Hofbauer in Rumänien und Bulgarien vor. Über die Hälfte der Rumänen gelten nach offiziellen Angaben als arm, in Bulgarien sollen es 80 Prozent der Bevölkerung sein. In beiden Ländern nimmt statistisch nachweisbar die Landbevölkerung zu – die Hungernden fliehen aus der Stadt und fristen notgedrungen ein ärmliches Dasein als Subsistenzbauern.

    Die soziale Polarisierung in Osteuropa nimmt immer weiter zu – eine Minderheit bereichert sich, während die Bevölkerungsmehrheit verarmt. Das Sozialgefälle ist beispielsweise in Ungarn fünfmal so hoch wie derzeit in Deutschland. Die Verarmung geht einher mit einem rapiden Absinken des Bildungsniveaus – den Betroffenen fehlt das Geld für die Schule.

    Eine Entwicklungshilfe für Osteuropa gibt es nicht. Statt dessen fließen enorme Kapitalmengen von Ost nach West – als Gewinntransfer in »Mutterfirmen«, durch Verzinsung der enormen Staatsverschuldung oder als Fluchtkapital einheimischer Eliten, die ihr Geld in die vermeintliche Sicherheit westeuropäische Banktresore transferieren.

    Die Bevölkerung der verarmten Regionen Osteuropas nimmt ständig ab – infolge einer nachweislich erhöhten Sterbe- und sinkenden Geburtenrate sowie durch Abwanderung. Immer mehr Menschen flüchten in Richtung Westen. Hofbauer berichtet aber auch über Widerstand gegen die neoliberale Ausplünderung, über Bauernproteste, Revolten von Arbeitern, die sich gegen die Schließung ihrer Betriebe wehren, über Hungeraufstände der Allerärmsten. Die neu gebildete »EU-Eingreiftruppe« und die geplante Osterweiterung der NATO haben wohl die Niederschlagung weiterer zu erwartender Sozialrevolten der Verarmten zum Hintergrund.

    Hannes Hofbauer: EU-Osterweiterung – Historische Basis, ökonomische Triebkräfte, soziale Folgen. Promedia Verlag, Wien 2007, 319 Seiten, 19,90 Euro

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