vonHelmut Höge 21.05.2008

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Die Gendreck-Weg-Aktivisten sind derart aktiv, auch mit ihren E-Mitteilungen, dass ich nicht weiß, bis zu welcher ich sie bisher eingeblogt habe…deswegen fahre ich hier fort mit der Mitteilung vom 10.4.:

* Feldbesetzung endet mit großem Erfolg
* FH Nürtingen verkündet das Ende der Genmaisversuche

Großer Jubel brach gestern auf dem besetzten Versuchsfeld
bei Oberboihingen im Landkreis Esslingen aus.
Am späten Nachmittag gab die Fachhochschule bekannt, auf
die Fortführung des Genmaisversuches verzichten zu wollen.
Laut der Pressemitteilung der FH kommt der Versuchsleiter
Professor Schier „der dringenden Empfehlung der Hochschulleitung
und des Hochschulrates nach, das Forschungsprojekt mit
gentechnisch veränderten Maispflanzen einzustellen.“

Jochen Fritz von der Feldbesetzungsgruppe sagte: „Das ist
ein Riesenerfolg! Wir haben Sturm und Schnee getrotzt – und
täglich mehr Zuspruch aus der Bevölkerung erfahren. In dieser
Situation hat die Hochschulleitung eine längst überfällige,
richtige Entscheidung gefällt. Die aufregenden letzten Tage
haben gezeigt, dass wir gemeinsam der Gentechnik Einhalt
gebieten können. Oberboihingen steht ab sofort für den Mut
und die Möglichkeiten kritischer Bürgerinnen und Bürger,
die eine gentechnikfreie Zukunft erstreiten können.“

Ab heute wird auf dem matschigen Feld gefeiert. Am Freitag
abend findet eine Feuershow dort statt, für Musik ist
gesorgt, erst am Sonntag wird das Lager auf dem ehemaligen
Versuchsfeld abgebaut. Die Besetzerinnen und Besetzer
freuen sich über Besuch – mit und ohne Gummistiefel.

Jochen Fritz: „Auf diesem Feld wird nach unserer Besetzungswoche
gift- und gentechnikfreies Grün wachsen können. Seit Jahren
standen diese Versuche unter heftiger Kritik der Bevölkerung
und sie waren auch an der Hochschule immer umstritten. Über
die negativen Auswirkungen von Monsantos Mon810 ist längst
genug bekannt, um ihn konsequent zu verbieten. In Frankreich
und in Polen, in der Schweiz, in Österreich und Griechenland
ist das schon geschehen. Jetzt muss Deutschland folgen und
wir brauchen ein europaweites Verbot des Genmaises!“

12.4.08

* Genrüben-Acker bei Northeim besetzt
* Gentechnikgegner fordern Ende des Versuchs mit giftresistenten Rüben

In den frühen Morgenstunden dieses Samstages besetzte
eine Gruppe von 15 Personen einen Acker bei Northeim,
auf dem der Anbau von gentechnisch veränderten
Zuckerrüben vorgesehen ist. Verantwortlich für diesen Versuchsanbau ist
die KWS Saat AG mit Sitz in Einbeck.

„Wir wollen durch unsere Besetzung verhindern, dass hier Gen-Rüben
angebaut werden,“ erkläte Robin Brand, Gemüsegärter und einer der Besetzer.
„Schon 1998 konnte durch die Besetzung eines KWS-Versuchsfeldes
die Aussaat von Gen-Pflanzen verhindert werden. Und auch der ganz
aktuelle Fall in Oberboihingen zeigt, dass Besetzungen Erfolg haben
können.“
Dort hatte am 4.4 eine Feldbesetzung eines Versuchsackers der FH
Nürtingen begonnen. Die Hochschule erklärte nach knapp einer Woche,
auf die Fortführung des Versuches zu verzichten. „Wir hoffen, dass auch die KWS einsieht, dass ihre
Gentec-Experimente ein Ende haben müssen. Es gibt einfach zu viele
ungeklärte Risiken“, so Christian Pratz, der in Witzenhausen
Landwirtschaft studiert. „Wenn Firmen wie die KWS trotz der Ablehnung in
der Bevölkerung Gentechnik-Versuche durchführen, müssen sie mit Protest
rechnen. Wir glauben den falschen Versprechungen der
Gentechnik-Industrie nicht mehr und wir wollen es nicht länger
hinnehmen, dass unumkehrbare Tatsachen geschaffen werden.“

Am 27.11.2007 gab die KWS Saat AG bekannt, u.a. auf dem jetzt
besetzten Feld bei Northeim gentechnisch veränderte Zuckerrüben
freisetzen zu wollen. Diese so genannte „Roundup Ready“-Zuckerrübe
entwickelte die KWS gemeinsam mit dem US-Saatgutkonzern Monsanto.
Beim Einsatz des Monsanto-Giftes „Round up“ werden alle Pflanzen abgetötet bis
auf jene gentechnisch manipulierten Zuckerrüben.

Mit ihrer Kritik an der Freisetzung dieser Rüben sind die BesetzerInnen
nicht allein: Kurz nach der Bekanntgabe des Vorhabens wurde im Stadtrat
von Northeim im Dezember 2007 eine Resolution gegen die geplanten
Freisetzungsversuche verabschiedet.
„Besetzungen sind eine Art gegen Gentechnik zu protestieren“, stellte
Gärtner Brand fest. „Es gibt aber noch viele andere
Möglichkeiten. JedeR, der oder die Saatgut kauft, kann darauf achten,
dass es gentechnikfrei ist. Am Besten ist natürlich Bio-Saatgut.“
Vom Kauf des Bio-Saatgutes der KWS Saatgut AG rät er allerdings ab:
„Natürlich garantiert das Bio-Siegel, dass das bezeichnete Saatgut
gentechnikfrei ist. Doch eine Firma, die sowohl gentechnisches als auch
biologisches Saatgut anbietet, ist für mich nicht glaubwürdig.“

Die BesetzerInnen freuen sich über Besuch und über Unterstützung aus der
Bevölkerung. Willkommen sind Lebensmittel- und Geldspenden, sowie alles,
was den Aufenthalt bequemer macht.

Das Feld befindet sich an der neuen B3 in Richtung Göttingen, nahe des
Ortsausgangs Northeim.

18.4.08

* Genrübenfeld bei Northeim weiter besetzt
* Volles Programm auf dem Acker – Die KWS drückt sich um öffentliche Diskussion

Die Zelte auf dem Versuchsfeld südlich von Northeim stehen weiterhin.
Gentechnikgegnerinnen und -gegner halten seit vergangenen Samstag die Fläche
besetzt, auf der der Saatgutkonzern KWS einen Versuch mit gentechnisch
veränderten Zuckerrüben durchführen will. Ein Turm ist in den letzten Tagen
hinzu gekommen. In luftiger Höhe ist eine Aussichts- und Schlafplattform
rund um die Uhr bewohnt.

Für die nächsten Tage kündigen die BesetzerInnen ein volles Programm an: Am
Freitag, den 18.4, findet ab 13.30 Uhr eine öffentliche Vorlesung zum Thema
Nachhaltigkeit durch einen Dozenten der GhK Kassel auf dem Feld statt.
Der Samstag beginnt mit einem Infostand während des Marktes in Northeim
und geht weiter mit einem Fußballspiel ab 14.00 auf dem Acker.
Am Sonntag, den 20.4, wird es ab 10.00 ein gentechnikfreies Frühstück
auf dem Feld geben.
Darüber hinaus lädt die Gruppe zu einer öffentlichen Podiumsdiskussion
am Montag, den 21.4.08, um 19.30 in die Stadthalle Northeim ein. Schon
um 18.00 Uhr wird der Film „Leben außer Kontrolle“ in der Halle gezeigt.
Die KWS hatte anfänglich ihre Bereitschaft signalisiert, an der
Abendveranstaltung teilzunehmen, sagte dann aber doch ab. Dazu Benjamin
Volz, Landwirtschaftsstudent und einer der Besetzer: „Obwohl wir der
Forderung der KWS nach einem Gespräch auf neutralem Grund nachgekommen
sind, sagen sie uns nun ab. Trotzdem werden wir die Veranstaltung
durchführen, denn uns geht es auch um die Diskussion mit und in der
Öffentlichkeit.“ Er berichtet von einer breiten Unterstützung aus der
Bevölkerung, deren Spenden und tatkräftige Hilfe die Gruppe an einen
möglichen Erfolg der Besetzung glauben lässt und die Abendveranstaltung
mit mehreren Experten erst ermöglichte.

„Mit unserem bunten Programm wollen wir mit der Bevölkerung und den
MitarbeiterInnen der KWS ins Gespräch kommen. Wir sind dialogbereit,
halten aber an unserem Ziel fest: Wir bleiben so lange auf dem Acker,
bis wir eine schriftliche Zusage der KWS haben, von ihren Versuchen
zurückzutreten.
Wir fordern die KWS auf, ihre Gentechnik-Forschung einzustellen und
ihr Potential zur Erforschung und Erhaltung alter und angepasster
Nutzpflanzensorten einzusetzen.“, so Mirjam Anschütz, Feldbesetzerin
und Studierende an der GfK Kassel.

Der Acker befindet sich an der neuen B3 Richtung Göttingen kurz
hinter Northeim.

Rückfragen:
auf dem Feld: Benjamin Volz, 0174 – 85 86 25 6

21. April 2008

* Zur Rettung der Saatgutbank – Genweizen unschädlich gemacht
* In Gatersleben beendet Feldbefreiung skandalösen Gentechnik-Versuch

In der Morgendämmerung des 21. April befreiten sechs Menschen das
Genweizenfeld in Gatersleben, um der massiven Bedrohung
eines einzigartigen Schatzes an Pflanzensorten ein Ende zu setzen. Mit Hacken
konnten sie die Weizenpflanzen auf dem Versuchsfeld zu Fall
bringen, bevor die Polizei das Feld erreichte. Außerdem platzierten die
Gentechnikgegner ein übergroßes Weizenbrot auf dem Boden des Feldes –
es trug die gebackene Aufschrift „Unser tägliches Brot – ohne Gentechnik!“

Susanne Mähne ist Gemüsegärtnerin und wurde in der vergangenen Nacht
als Feldbefreierin aktiv: „In Gatersleben fand einer der skandalösesten
Freilandversuche im Lande statt. Horst Seehofer ist dafür verantwortlich,
dass gentechnisch veränderter Weizen unter freiem Himmel in direkter
Nachbarschaft der Genbank Gatersleben wuchs. Mit der Blüte hätte der
Gentechweizen einen wahren Schatz an landwirtschaftlicher Vielfalt
vernichten können.“

In der öffentlichen Genbank werden alte und neuere, seltene und
häufige Pflanzensorten aufbewahrt. Züchter und Bauern können ebenso
wie Forschungseinrichtungen, Entwicklungshilfe-Projekte oder
Privatpersonen dort Saatgutproben erhalten.
Um die Pflanzensorten dauerhaft zu erhalten, betreibt die Genbank
eine „Erhaltungszucht“ und muss die eingelagerten Sorten regelmäßig
zum Keimen, Wachsen und Blühen bringen und kann dann keimfähiges
neues Saatgut wieder aufheben. In unmittelbarer Nähe dieser
Erhaltungs-Felder wuchs der Genweizen.

Auch Lea Tanja Hinze arbeitete ruhig, bis die Polizei sie schließlich
unterbrach. Da waren zwei Drittel des Feldes unschädlich gemacht: „Ich bin Mutter eines
kleinen Jungen. Auch die Generation unserer Kinder muss die
Möglichkeit haben, auf das vielfältige Erbe der bäuerlichen
Landwirtschaft zurück zu greifen. Ich fühle mich verpflichtet,
den verantwortungslosen Genweizenversuch zu stoppen.“

Die Landwirtschafts-Studentin Mirjam Anschütz weiß ebenfalls
genau, warum sie an der Aktion teilgenommen hat und blickt den
Konsequenzen entschlossen entgegen: „Wenn wir für diese
Feldbefreiung angeklagt werden, sitzen nicht die richtigen
Menschen auf der Anklagebank. Wir wollen in den nächsten Monaten
an vielen Orten über unsere Aktion und unsere Hintergründe berichten.
Über 80% der Menschen in der Bundesrepublik sind gegen Gentechnik
in der Landwirtschaft. Schon 2006 hatten 30.000 Menschen auf einen
Aufruf des Münchener Umweltinstitutes hin gegen den Weizenversuch
protestiert. Unsere Aktion ist ein deutliches Zeichen, für das
wir viele Unterstützerinnen und Unterstützer haben.“

Mehr über die Aktion und die Motivation der Feldbefreierinnen
auf www.gendreck-weg.de

Für Rückfragen:
beim Feld: Christiana Schuler 0163 / 53 79 03 5
im Büro: Jutta Sundermann 0175 / 86 66 76 9

22. April 2008

* Welternährung braucht bäuerliche Landwirtschaft ohne Gentechnik
* Freiwillige Feldbefreierinnen schützen Weizenvielfalt in Gatersleben

Die Befreiung des Gentechnik-Feldes in Gatersleben durch Aktivisten
von der Initiative „Gendreck-Weg“ ist ein wichtiger Schritt für den Erhalt
einer bäuerlichen Landwirtschaft. Lea Tanja Hinze, eine der Feldbefreierinnen,
erklärte: „Bäuerliche Landwirtschaft braucht freien Zugang zu Boden, Wasser
und gentechnik- und patentfreiem Saatgut. Der Gen-Weizenversuch in Gatersleben
bedrohte dieses frei verfügbare Saatgut, einen Schatz, den Bauern und
Bäuerinnen über Jahrtausende gezüchtet haben. Wenn Herr Seehofer sich für
eine bäuerliche Landwirtschaft stark macht, muss er zuerst die Verantwortung
für die sofortige und endgültige Beseitigung des Gen-Weizen-Versuchs in
Gatersleben übernehmen.“

„Es reicht nicht, Bedenken zu äußern, wie es der Landwirtschaftsminister in
den letzten Tagen tat“, so der Berater für Landwirtschaft und Vermarktung
Jochen Fritz von der Initiative, „Horst Seehofer muss sämtliche Versuche mit
gentechnisch manipulierten Pflanzen in Gatersleben unterbinden. Auch Länder
wie Kanada und die USA, in denen gentechnisch veränderte Pflanzen schon Einzug
gehalten haben, haben den Gen-Weizenanbau gestoppt.“

Der Weltagrarrat hatte erst kürzlich erklärt, dass Gentechnik nicht zur
Sicherung der Welternährung beiträgt und ein Umsteuern der Agrarpolitik
notwendig sei. Dazu ergänzte Landwirtschafts-Berater Fritz: „Wir fordern
Horst Seehofer auf, die 23,5 Mio. Euro aus Bundes und Ländermittel für
das Leibnitz Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK)
in Gatersleben auch dazu zu verwenden, dass die in Gatersleben aufbewahrten
Saaten Entwicklungsländern zur Weiterzucht zur Verfügung stehen.“ Durch die
Weiterzucht von Proteinpflanzen wie z.B. Erbsen, Ackerbohnen, Lupinen, Linsen,
könne man viel besser zur Proteinversorgung der Menschheit beitragen, als
durch höchst gefährliche Gen-Weizen-Versuche, die am Proteingehalt von
Futterweizen herumdokterten.

Fritz: „Wir brauchen Menschen wie die Alternativen Nobelpreisträger Vandana
Shiva und Percy Schmeiser und wie die Feldbefreierinnen und Feldbefreier
in Gatersleben, die für die Zukunft der gentechnikfreien und bäuerlichen
Landwirtschaft weltweit streiten.“

Unser entschlossener Protest geht weiter und wir laden alle Interessierte zu
unserem Gentechnik-freiem Wochenende von 26.-29. Juni in die Nähe von
Würzburg ein.

Pressemitteilung der unabhängigen Gruppe
Groß-Gerau am 25. April 2008:

* Wird Hessen gentechnikfrei?
* Das einzig verbliebene Genversuchsfeld ist besetzt
!

Vier Genversuchsfelder sollte es dieses Jahr in Hessen geben. Doch
drei wurden bereits verhindert:
– BürgerInneninitiativen in Niedermöllrich (bei Wabern) und
Rauischholzhausen (Ebsdorfergrund) stoppten den Anbau gentechnisch
veränderter Pflanzen von Monsanto und der Uni Gießen.
– Eine spektakuläre Feldbesetzung vom 30. März bis 18. April brachte
dem Gengerstenversuch in Gießen ein jähes Ende.

Damit bleibt nur noch die Versuchsstation der Uni Gießen am
Woogsdammweg in Groß-Gerau (nördlicher Stadtrand an der B 44). Zwei
Versuchsfelder sollen dort zusammengelegt werden – trotz einer
eindeutigen Aufforderung des Landkreises Groß-Gerau an die
Universität, auf den Versuch zu verzichten. Nun ist diese Fäche
besetzt, die Aussaat damit zunächst be- oder verhindert. Eine
Räumung dürfte aufwendig werden, denn die BesetzerInnen sind gut
gesichert: An einem hohem Turm und ein Betonblock plus Erdanker
können sie sich blitzschnell festketten.

Rund um das Feld soll es bereits ab heute vielfältige Aktionen
geben. Dazu verteilen UnterstützerInnen Flugblätter in den
angrenzenden Wohnsiedlungen und in der Innenstadt von Groß-Gerau.
Gäste und Mitwirkende sind gern gesehen. Nähere Informationen können
(soweit möglich) vom Feld aus oder von UnterstützerInnen auf der
Seite www.gentech-weg.de.vu untergebracht werden.

Für Rückfragen:
Aktionshandy 01522-9990199
www.gentech-weg.de.vu

Letzte Meldung (vom 18.5.):


Demo: Für sauberes Saatgut und ein Europa ohne Gentechnik

Gerichtsverhandlung gegen Gentechnikgegner am 21. Mai 2008

Landgericht München

Am Mittwoch, 21. Mai findet um 11.00 Uhr am Odeonsplatz in München eine Demonstration „Für sauberes Saatgut und ein Europa ohne Gentechnik“ statt. Anlass der Demo ist eine Gerichtsverhandlung gegen drei Gentechnikgegner, die im Frühjahr 2006 auf dem Staatsgut Grub eine Informationsveranstaltung zum Thema Gentechnik organisierten und eine Feldbefreiung durchführen wollten, die von den Organisatoren jedoch kurzfristig abgesagt wurde. Die Verhandlung vor dem Landgericht wurde bereits zweimal verschoben. Beim ersten Mal war der Richter, bei zweiten Mal der Hauptbelastungszeuge vom bayerischen Staatsschutz erkrankt.

Das Verfahren ist insoweit aufsehen erregend, dass die Gentechnikgegner Rainer Kuhbach, selbst Milchviehbauer aus dem Hohenlohischen und Tanja Hinze, Zimmerin und Mutter aus Thüringen die geplante Feldbefreiung gar nicht durchgeführt hatten, und jetzt die Frage im Raum steht, ob sie wegen ihrer kritischen Gesinnung verurteilt werden. Jürgen Binder, als Imker direkt vom Gentechnikanbau betroffen, war für die Informationsveranstaltung am sogenannten „Gentechnikfreien Wochenende“ verantwortlich und soll nun wegen der Durchführung von Informationsveranstaltungen zum Thema Gentechnik verurteilt werden – ihm drohen bis zu 90 Tagessätze. Binder: „Wenn unsere Demokratie so heruntergekommen ist, dass friedliche Bürger allein wegen ihrer Meinungsäußerung verurteilt werden, dann bin ich auch bereit, ins Gefängnis zu gehen, um auf dieses Unrecht aufmerksam zu machen. Eine Verurteilung wäre ein Skandal für Bayern“. Binder stellt fest, dass durch den Anbau von Gentechnikpflanzen die Eigentumsrechte der Imker und benachbarten Landwirte verletzt werden.

Die Gentechnikgegner bekommen internationale Unterstützung von Jeffrey Smith aus den USA, Autor des Bestsellers „Trojanische Saaten“ sowie den zwei Bauernvertretern Edenia Salgado Montaño und Mauricio García, beide aus Kolumbien. Demoredner sind ferner Manfred Hederer, Präsident des Deutschen Berufsimkerbundes, Max Weichenrieder vom Bayerischen Bauernverband und Max Reis vom Bund deutscher Milchviehhalter. Mit besonderer Spannung wird die Rede von Weichenrieder erwartet, der sich bei der namentlichen Abstimmung zum Dringlichkeitsantrag am 16.04.08 „Anbau von Genmais MON 810 in Bayern sofort beenden“ enthalten hat, obwohl sich die Obmänner des bayerischen Bauernverbands einstimmig gegen den Anbau von X-AntiVirus: checked by AntiVir MailGuard (Version: 8.0.0.18; AVE: 8.1.0.46; VDF: 7.0.4.54) Genpflanzen in Bayern ausgesprochen haben.

Presseinfos: Jürgen Binder 0170-185 74 24

Gentechnikfreies Europa e.V.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2008/05/21/weitere-genkritiker-aktivitaeten/

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kommentare

  • Während die Gendreck-weg-Aktivisten hier gegen Monsanto kämpfen – und umgekehrt, geht in der Schweiz Attac gegen den Nestlé-Konzern vor – und umgekehrt. Dazu berichtete die Zürcher WOZ am 7.8.08:

    Nestlégate
    Was Sara alles wusste
    Von Helen Brügger

    Die von Nestlé beauftragte Spionin «Sara Meylan» hat Fichen über Attac-Mitglieder angelegt. Jetzt liegen zumindest einige der Akten den Betroffenen vor.

    Demnächst spricht sich die Waadtländer Justiz erstmals zu «Nestlégate» aus, zur Infiltrierung der globalisierungskritischen Organisation Attac durch eine Securitas-Spionin im Dienst der Firma Nestlé. Das Westschweizer Fernsehen TSR hatte die Affäre im Juni aufgedeckt, Attac reichte Klage ein, und am 23. Juli fand die erste Anhörung vor dem Bezirksgericht Lausanne statt. Der Entscheid, ob die Polizei, wie Attac verlangt, bei Nestlé und Securitas eine Hausdurchsuchung durchführen muss, wird in den nächsten Tagen erwartet.

    Am 10. Februar 2004 notiert «Sara Meylan», die Securitas-Spionin von Attac: «Anwesend: 17 Personen, darunter (…)» – es folgen Namen, Alter, Herkunft, politisches Profil, detaillierte Personenbeschreibung, Informationen über die Intensität des Engagements oder den Arbeitsort verschiedener Mitglieder. Rund sechzig Seiten solcher «Berichte» legten die Anwälte von Nestlé und Securitas am 23. Juli der Justiz vor. Die Informationen gehen weit über die physische Beschreibung der Anwesenden hinaus. So wird erwähnt, bei welchem Professor ein Politologiestudent studiert, oder festgehalten, ein anwesender Kolumbianer, der «seit drei Jahren in der Schweiz» sei und ein «zerdrücktes Gesicht» habe, wolle eine Solidaritätsorganisation mit kolumbianischen ArbeiterInnen auf die Beine stellen.

    «Das sind keine Berichte, das sind wah­re Fichen», sagt Attac-Anwalt Jean-­­Michel Dolivo. Fichen, die die Persön­lichkeit der Ausspionierten verletzen und Attac-Mitglieder, besonders in Kolumbien, in Gefahr bringen könnten: «Sogar Privatadressen wurden notiert.» Und Dolivo ist überzeugt, dass die Beklagten nicht alle Dossiers vorgelegt hätten. So fehlen Berichte über ein Attac-Forum zu Nestlé im Juni 2004, an dessen Organisation die Spitzelin teilgenommen habe und das die Auftraggeber­Innen mit Sicherheit interessiert hätte. Dolivo verlangt deshalb eine einstweilige Verfügung, die erlaubt, allfällige weitere Dokumente zu beschlagnahmen. Die Anwälte von Nestlé und Securitas beteuerten hingegen vor Gericht, die vorgelegten Dokumente, die den Zeitraum zwischen September 2003 und Mai 2004 betreffen, seien alles, was sie «gefunden» hätten. Bisher hatte sich Nestlé immer damit verteidigt, die Beob­achtung von Attac sei im aufgeheizten Klima des G8-Gipfels im Juni 2003 in Evian gerechtfertigt gewesen.

    Trotz der auffälligen zeitlichen Lücken in den Fichen zeigt sich Jean-­Michel Dolivo wenig optimistisch, was die Durchsetzung einer Hausdurchsuchung betrifft: «Wir befürchten, dass sich der Richter mit den von Nestlé vorgelegten Dokumenten zufriedengibt.» Doch wie auch immer der demnächst erwartete Entscheid ausfällt, es handelt sich nur um die Vorstufe zum eigentlichen Zivilprozess. Attac will, dass die beiden Firmen wegen Persönlichkeitsverletzung ihrer Mitglieder zu einer Wiedergutmachung in Höhe von 27 000 Franken verurteilt werden. Parallel dazu hat sie eine Strafklage wegen illegaler Beschaffung von Informatio­nen und Verletzung der Privatsphäre ihrer Mitglieder einge­reicht sowie beim eidgenössischen Datenschutzbeauftragten wegen Ver­letzung des Datenschutzgesetzes geklagt.

    Dolivo bedauert, nur sehr «magere juristische Mittel» in der Hand zu haben: «Die eigentliche Debatte muss politisch sein.» Er ist überzeugt, dass man mit Nestlégate lediglich einen kleinen Zipfel eines Netzes von privater Bespitzelung gelüftet habe. Für ihn das Schockierendste sei jedoch, dass die Waadtländer Kantonspolizei auf dem Laufenden war und Securitas so etwas wie «Zulieferdienste» für die Polizei geleis­tet habe. Ob dem wirklich so war, soll eine von der zuständigen Staatsrätin eingesetzte Untersuchungskommission klären. Derweil spricht sich der Neuenburger SP-Regierungsrat Jean Studer als Präsident der Westschweizer Justiz- und Polizeidirektorenkonferenz dafür aus, die gesetzlichen Rahmenbedingungen für private Überwachungs- und Sicherheitsfirmen zu verschärfen.

  • Zu dem Pflanzenforschungsinstitut in Gatersleben – IPK – fügt die taz noch hinzu:

    Das Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) ist eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung. Es beherbergt eine der umfangreichsten und nach eigenen Angaben die nach Arten komplexeste Sammlung pflanzengenetischer Ressourcen weltweit. Seit Ende der 1990er-Jahre siedeln sich auf dem Gelände verstärkt Biotechnologie-Firmen an. Hier führen das IPK sowie der Gentechnik-Konzern BASF Freisetzungen von gentechnisch veränderten Organismen durch. Das Institut zählt sich zu den renommiertesten Forschungseinrichtungen auf dem Gebiet der Kulturpflanzenforschung und beschäftigt 460 Mitarbeiter. Mehr Infos: http://www.ipk-gatersleben.de

    Über die nationalsozialistische und neodarwinistische Geschichte des Gaterslebener Institut, das heute IPK heißt, findet man Näheres in der von Susanne Heim herausgegebenen Aufsatzsammlung „Autarkie und Ostexpansion“.

    Gleich im ersten Beitrag – von Jonathan Harwood – ist dabei von „Politischer Ökonomie“ die Rede: im Zusammenhang der Saatgutverbesserung und -vereinheitlichung und den daran anknüpfenden deutschen Züchtungsforschungen bis 1933. Vier Jahre später spricht der Züchtungsforscher Wilhelm Rudorf angesichts der bevorstehenden rassistischen Osterweiterung von den „politischen Aufgaben der deutschen Pflanzenzüchtung“.

    So heißt dann auch der Beitrag des Wissenschaftshistorikers Thomas Wieland, in dem er nach „den Ursachen für die auffallende Bereitschaft der akademischen Pflanzenzüchter, ihre Forschung an nationalsozialistischen Zielen auszurichten“ fragt. Nach den Erfahrungen des verlorenen Ersten Weltkriegs ging es darum, die „Ernährungsfreiheit“ des deutschen Volkes sicherzustellen, was im Kontext der deutschen Expansionspolitik ab 1941 bedeutete, dass gleichzeitig Millionen von Menschen im Osten dem Hungertod ausgeliefert wurden, weil sie nun als „unnütze Esser“ galten. Für die Pflanzenforscher tat sich dabei jedoch ein Eldorado auf, denn ihnen fielen dutzende polnische und sowjetische Agrarinstitute sowie Versuchsgüter in die Hände, gleichzeitig wurden – u. a. vom späteren DDR-Genetikpapst Hans Stubbe – „Sammelkommandos“ durchgeführt, „um Wild- und Kulturpflanzensortimente in den besetzten Gebieten zu rauben“.

    Die Sowjetunion hatte zunächst einen Vorsprung in der Saatgutverbesserung – und in der genetischen Grundlagenforschung. Dann war sie jedoch ab 1932 von „jeglicher Verbindung biologischen Gedankenguts mit sozialplanerischen Konzepten“ abgerückt. Nicht nur wurde die Eugenik als faschistisch kritisiert, die sowjetische Genetik wurde faktisch liquidiert, und einige Genetiker kamen sogar in Arbeitslager. Während die bürgerliche Forschung bis heute eher auf die Hochzüchtung erworbener Eigenschaften setzt, ging der Lyssenkoismus umgekehrt von der Möglichkeit der „Umerziehung“ sogar von Pflanzen aus: Keimlingen wurde Intelligenz attestiert und Setzlingen solidarisches Verhalten. Einer der sowjetischen Genetiker, Timofejew-Ressowsky, konnte sich diesem revolutionären „Wahn“ entziehen, ging nach Berlin und brachte es sogar zum bedeutendsten Genetiker des „Dritten Reiches“, seine Forschungsergebnisse veröffentlichte er u. a. in Der Erbarzt.

    Tatsächlich kann man sagen, dass die deutsche Pflanzenforschung direkt in Auschwitz kulminierte: Es gab dort eine Anlage zur Kautschukpflanzenzüchtung. Die Wissenschaftler trugen nicht selten SS-Uniformen, auf der anderen Seite betrieb die SS selbst ein eigenes Pflanzenforschungsinstitut. Im Sammelband von Susanne Heim befasst sich nun Michael Flitner mit dem damaligen „genetischen Diskurs“ im internationalen Vergleich – unter dem Aspekt der „agrarischen Modernisierung“. Sowohl in Russland als auch in den USA und in Deutschland ging es zunächst um die Verbesserung der Erträge von Nutzpflanzen, um die Versorgung ihrer Bevölkerungen zu gewährleisten, in Deutschland noch forciert durch die Erfahrung der „Hungerwinter“ des Ersten Weltkriegs. Hier entwickelt sich daraus eine zunehmende Affinität zwischen Nationalsozialismus und Eugenik bzw. Rassenhygiene, die als „antiindividualistische Genpool-Orientierung“ bezeichnet wird. Während man in den USA ab Ende der Zwanzigerjahre mehr und mehr von der Eugenik abrückt, wird in der UdSSR mit der Genetik auch gleich die gesamte bürgerliche Biologie verworfen.

  • Porträt einer Gendreck-weg-Aktivistin – von Anke Lübbert:

    Am frühen Morgen des 21. April 2008 klettert Lea Hinze in Gatersleben, Sachsen-Anhalt, durch den aufgeschnittenen Zaun. Am Himmel steht noch ein voller Mond, der Boden unter ihren Füßen ist fest und feucht vom Tau. Unter Gentechnikgegnern gibt es nicht allzu viele, die bereit sind, für den Kampf gegen die Grüne Gentechnik ihre Zukunft aufs Spiel zu setzen. In dieser Nacht sind es genau sechs. Lea Hinze ist nicht nervös. Was nun passiert, hat sie nächtelang geplant und vorbereitet, diskutiert und durchgespielt. Trotzdem wird sie sich später vor allem an das Adrenalin erinnern, die Aufregung und den Schreck, als der Schäferhund zu bellen beginnt. Auf dem Feld hebt sie wie die fünf anderen ihre Rübenhacke und trennt noch nicht ausgereifte Weizenähren von den Halmen, Reihe für Reihe.

    Dreißig Minuten später dämmert es und Lea Hinze sitzt in einem Polizeibus auf dem Weg zur Polizeiwache in Aschersleben. Sie gibt ihren Personalausweis ab und verweigert die Aussage. Sie ist zufrieden. Das Feld des Forschungszentrums IPK, auf dem gentechnisch modifizierter Winterweizen angebaut wurde, ist verwüstet, der Versuch nicht auswertbar. Sie hat eine Straftat begangen und gegen eine Reihe von Gesetzen verstoßen. Sechs Jahre Forschungsarbeit sind vergebens und Lea Hinze, 28 Jahre alt, wird vermutlich die nächsten dreißig Jahre von einem Existenzminimum leben müssen – das erwartbare Ergebnis eines Straf- und eines Zivilprozesses mit Schadenersatzklagen im sechsstelligen Bereich und einer langen Kette aus Offenbarungseiden.

    Die Kampagne „Gendreck weg“, zu der Lea Hinze gehört, organisiert im Voraus angekündigte, öffentliche „Feldbefreiungen“. Routinemäßig erwartet die Aktivistengruppe dann auf dem Feld eine etwa gleich große Gruppe von Polizisten. Die Aktion in Gatersleben war nicht angekündigt und geschah in der Nacht. Anders als bei den bisherigen Aktionen gab es keine große Gruppe, sondern nur sechs Aktivisten, die sich wochenlang auf diesen Tag vorbereitet hatten. Diesmal war der Erfolg wichtiger als die Ankündigung.

    Lea Hinze, sowieso schon sehr schlank, wirkt in ihrem knöchellangen blauen Baumwollkleid elfenhaft zerbrechlich. Die Kulisse ihres Alltags ist ein Schloss aus dem 19. Jahrhundert mit abbröckelnder Farbe an den Wänden und einer Vielzahl an Baustellen. Sie lebt mit ihrem zweijährigen Sohn und 55 anderen Menschen auf Schloss Tonndorf, einer Kommune in Thüringen. Hier arbeitet sie als Bäckerin, Kräutergärtnerin und Zimmerin.

    Auf dem Schloss ist Lea Hinze Gleiche unter Gleichen, eine Art Vorsitzende eines Ältestenrates – nur dass sie erst 28 ist. Lea kennt sich aus, sie ist pragmatisch, ihr Rat und ihre Hilfe sind gefragt. Bevor sie auf eine Frage antwortet, vergeht ein Augenblick. Dann spricht sie langsam, sehr klar und ohne die winzigste Hoffnung auf Unsicherheit aufkommen zu lassen. Würde sie vielleicht morgen beim Kinderprogramm ihre Kräuter vorstellen? Weiß sie, wo die Holzreste hingekommen sind? Kann sie bis morgen bitte noch den Versammlungsraum zum zweiten Mal streichen? Sie kann.

    Lea Hinze tunkt die Malerrolle in die Farbe. Ihre Aktivistinnenkarriere begann harmlos mit einem Greenteam in der Schule. „Wir haben, wie alle anderen, Eingaben geschrieben und gewartet und gehofft, und wenn nichts passiert ist, haben wir brav die nächste Eingabe geschrieben.“ Irgendwann auf dem Weg zwischen Greenteam und Genacker muss Lea Hinze beschlossen haben, mit dem Bravsein aufzuhören. Sie machte eine Lehre als Zimmerin und ging drei Jahre als Gesellin auf Wanderschaft. Mittlerweile kann sie mit Motorsäge, Hammer und Axt umgehen, backt jede Woche vierzig Brote und redet vor vollen Sälen über Grüne Gentechnik. Gibt es etwas, womit sie Schwierigkeiten hat? Lea überlegt. Sie steht über den Farbeimer gebeugt, regungslos, die Farbe tropft von der Rolle in den Eimer. Irgendwann sagt sie: „Mir fällt gerade nichts ein.“

    Winterweizen, ein Sammelbegriff für Arten der Gattung Triticum L., ist nach Mais das meistangebaute Getreide der Welt. Seit sechs Jahren arbeitet die Biologin Winfriede Weschke im IPK Gatersleben, dem Leibnitz Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung daran, den Eiweißgehalt von Weizen gentechnisch zu erhöhen. Den Laborversuchen folgte vergangenes Jahr ein erster Freilandversuch. Der dieses Jahr zum zweiten Mal angebaute Weizen hätte den „Proof of Concept“ geliefert, den Beweis dafür, dass der Proteingehalt des Weizens gentechnisch gesteigert werden konnte. Die diesjährige Ernte wäre ein Meilenstein auf dem Weg zur Zulassung gewesen.

    Winfriede Weschkes Forschungen gelten als erfolgreich – und umstritten. Denn das Feld, auf dem der genetisch veränderte Winterweizen angebaut wurde, liegt nur 500 Meter entfernt von Europas größter Datenbank für Kulturpflanzen. Eine Auskreuzung der genetisch veränderten Pflanzen, die zusätzlich zu den erwünschten Merkmalen teilweise mit einer Antibiotika- und Totalherbizidresistenz ausgestattet wurde, wird von Mitarbeitern des IPK ausgeschlossen, gilt unter Gentechnikgegnern aber als möglich. Ende 2006, kurz vor der ersten Aussaat, sammelten Mitarbeiter des Umweltinstituts München über 30.000 Unterschriften gegen den Freilandversuch und schickten sie an die Genehmigungsbehörde. Die Eingaben sorgten für Furore im Ministerium. Bundesumweltminister Seehofer setzte sich schließlich persönlich für den Versuch ein, schlug jedoch vor, die Versuchsfläche um ein paar Kilometer zu verlegen.

    Seit der ersten Feldbegehung, am Vormittag des 21. April, dem trostlosen Anblick der zertrampelten Reihen und abgeschnittenen Halme, fühlt man im IPK tiefe Bitterkeit. 162.000 Euro Drittmittel seien im vergangenen Jahr in das Winterweizenprojekt geflossen, dazu die Eigenmittel des IPK. Der Widerstand gegen die Gentechnik, glaubt Winfriede Weschke, entstehe aus Unkenntnis und Angst in der Bevölkerung. „Wir verwenden ein schwieriges Vokabular, noch dazu für hochkomplexe Vorgänge. Man kann von der Bevölkerung nicht erwarten, dass sie verinnerlicht, was wir eigentlich machen.“ Winfriede Weschke empfindet die Aktion der Gentechnikgegner als radikal. Wer hinter der Zerstörung steckt, interessiert sie nicht. „In diesem Land gelten Gesetze“, sagt Winfriede Weschke, „wer die nicht respektiert, handelt kriminell.“

    „Radikal“ ist ein Adjektiv, mit dem Lea Hinze gut leben kann. Die Aktivisten von „Gendreck weg“ halten es sich zugute, dass sie den Konflikt um die Grüne Gentechnik an die Öffentlichkeit geholt und zugespitzt haben. „Das ist es wert, der Buhmann zu sein.“ Mit „es“ meint Lea Hinze den Hausfriedensbruch, die Sachbeschädigung, Gerichtsprozesse, die sie nun durchstehen muss. „Gesetze kann man ändern. Wenn der veränderte Weizen auskreuzt, hat das unabsehbare Folgen für die Umwelt und die ganze Menschheit.“ Die Aktivisten verweisen gerne auf den Rechtfertigenden Notstand, Artikel 34 des Strafgesetzbuches. Kann eine höher zu bewertende Gefahr durch eine Straftat abgewendet werden, gilt sie nicht als rechtswidrig. In keinem der bisher ausgehandelten Prozesse um Gentechnik wurde diese Argumentation von einem Richter übernommen.

    „Das Thema Genweizen ist in der deutschen Forschungswelt vom Tisch“, schätzt Andreas Bauer-Panskus vom Münchener Umweltinstitut. Für Lea ein Triumph, für Winfriede Weschke eine persönliche Tragödie. Für sie steht jetzt schon fest, dass der modifizierte Winterweizen im kommenden Jahr nicht aufs Neue ausgesät werden wird – dieses Projekt wird keinen Geldgeber mehr finden.

    Lea Hinze ist dabei, eine eigene Existenz zu gründen. Auf der Südseite des Schlosses, im ehemaligen Burggraben hat sie Kräuter angebaut: Thymian, Oregano, Ananassalbei, Bohnenkresse, Frauenmantel, Minze, Majoran, andere sammelt sie wild. Auf dem Dachboden eines der Nebengebäude zerschneidet sie frische Brennnesseln und legt sie zum Trocknen auf bespannte Rahmen. Staub flimmert im Gegenlicht. Lea Hinze wird in den nächsten Monaten damit beginnen, ihre Kräutertees zu vermarkten und eine luftentfeuchtende Trockenanlage zu bauen.

    „Exklusive Aktion“ nennt Lea Hinze die nächtliche Feldzerstörung – weil nur wenige davon gewusst haben und noch weniger dabei waren. Dass ihre Gruppe klein ist, stört Lea Hinze nicht. „Die meisten Menschen sehen sich nicht in der Lage, zu machen, was wir gemacht haben.“ Obwohl sich zuweilen Aufopferungsrhetorik in ihre Sätze schleicht, will sich Lea Hinze nicht als Märtyrerin verstanden wissen, wohl aber als Heldin. „Märtyrer leiden“, sagt sie, „wir leiden nicht.“ Lea Hinze setzt sich die Kiepe auf, in die sie ihre Kräuter sammeln wird, und nimmt die Rübenhacke auf die Schulter – dieselbe, mit der sie vor einigen Wochen das Gaterslebener Feld zerstört hat.

  • Letzte Meldung aus Bonn:

    Koalition gegen Biopiraterie verlieh Captain Hook Awards

    Gewinner auf der UN Konferenz ueber Biodiversitaet bekannt gegeben

    Das „Aktionsbuendnis COP9“ freut sich bekannt geben zu koennen, dass in
    der heutigen Mittagspause der Vertragsstaatenkonferenz der UN-Konvention
    ueber biologische Vielfalt acht Captain Hook-Awards fuer Biopiraterie
    und sechs Kogge-Awards fuer ausdauernden und erfolgreichen Widerstand
    gegen Biopiraterie verliehen worden sind.

    Zur fuenften Verleihung der Awards formuliert Golda Hilario von der NGO
    SEARICE, Philippinen, die heute als Double von Tinkerbell auftrat: „Das
    Maritim-Hotel, in dem sich die CBD diese und naechste Woche trifft, war
    der perfekte Ort, um unser Schiff anlegen zu lassen und zwischen
    ruchlosen Biopiraten, die immer wieder neue Plaene ersinnen, um sich
    genetische Ressourcen und indigenes Wissen anzueignen, und hart dagegen
    arbeitenden Koggen aufzutauchen.“

    „Zum ersten Mal beherrschen Profiteure des Klimawandels die Szene“,
    merkte Jim Thomas von der ETC-Group aus Ottawa — als Captain Hook mit
    Augenklappe und Piratenkostuem verkleidet — an. „Das Klimachaos
    eroeffnet Biopiraten ungeahnte Moeglichkeiten, die Gemeingueter zu
    pluendern. Auf der einen Seite haben wir Gen-Giganten wie Monsanto und
    BASF, die sogenannte klimawandel-tolerante Pflanzengene monopolisieren;
    auf der anderen Seite haben wir Unternehmen aus dem
    Geo-Engeneering-Bereich wie Planktos Inc. oder ONC, die in den Markt des
    CO2-Handels eindringen und mit unbedachten und wissenschaftlich
    zweifelhaften Methoden CO2 in Algen einbauen wollen. Und wir haben
    Unternehmen, die sich oelreiche Pflanezensorten sichern, um noch mehr
    ihrer destruktiven Agrokraftstoff-Pflanzen anzubauen.“

    Besondere Publikumsbegeisterung rief der Verleihung des Preises „Bester
    Nebelwerfer“ hervor: ihn gewann die non-profit-Organisation „Initiative
    fuer oeffentliche Forschung und Regulation“ (Public Research and
    Regulation Initiative), „fuer unermuedliches Eintreten fuer die
    Interessen der Biotech-Konzerne unter dem Banner der oeffentlich
    finanzierten Forschung.“

    Einen der Kogge-Awards, mit denen dem Kampf gegen Biopiraterie die
    gebuehrende Aufmerksamkeit gezollt warden soll, erhielt das
    „Nyeleni-Weltforum zu Ernaehrungssouveraenitaet 2007“, bei dem sich in
    Mali ueber 500 Menschen aus 80 Nationen getroffen haben. Veronica Villa
    von ETC-Group bedauerte, dass viele mit dem Kogge-Preis geehrten so viel
    ihrer Zeit, ihrer Energie und ihrer Talente darauf verwenden muesen, um
    ausser Kontrolle geratene Biopiraten zu bekaempfen.
    „Zivilgesellschaftliche Organisationen in den Philippinen erhielten
    beispielsweise einen Preis, weil sie von ihrer Regierung verlangt
    hatten, ein Unternehmen aus Australien namens ‚Ocean Nourishment Corp.‘
    davon abzuhalten, eine gefaehrliche Klimawandel-Verhuetungsmassname
    auszufuehren, bei der Harnstoff in die Sulu-See eingebracht warden sollte.

    Hope Shand, ETC-Group, fuehrte aus, dass „ironischerweise die meisten
    Biopiraten, die heute in Bonn ihre Preise empfangen haben, keine Gesetze
    gebrochen haben. Das Problem besteht darin, dass die bestehenden Gesetze
    ueber geistige Eigentumsrechte und die internationalen Handelsabkommen
    Patente dulden sowie andere Aktivitaeten, die indigenes Wissen oder die
    Souveraenitaet ueber genetische Ressourcen anderer Voelker verdraengen.
    Und die CBD hat es bislang versaeumt, Mechanismen einzufuehren, die
    solchen Regulierungen und Vereinbarungen effektiv begegnen.

    Zwei Poster, die alle Preise zeigen, die heute in Bonn praesentiert
    wurden, samt den Begruendungen dafuer, koennen von der Webseite der
    Koalition gegen Biopiraterie unter http://www.captainhookawards.org
    heruntergeladen warden.

    Fuer weitere Informationen wenden Sie sich bitte an

    Hope Shand, Kathy Jo Wetter oder Veronica Villa, ETC-Group, Mobil in
    Bonn: ++49(0)176 28423278

    hope@etcgroup.org , kjo@etcgroup.org
    , veronica@etcgroup.org

    Golda Hilario, SEARICE, Golda.hilario@gmail.com

    Pat Mooney, ETC-Group Mobil in Bonn: ++49(0) 176 77126044

    Silvia Ribeiro, ETC Group, sivia@gmail.com
    Mobil in Bonn: ++49(0) 176 77064731

    Aktionsbuendnis COP 9, Cop9@biopiraterie.de
    Mobil: ++49(0) 151 51 80 69 45

  • Das Genpost Archiv Schweiz hat eine weitere Rezension des Buches von Margaret Atwoods aufgetan:

    Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
    01. Juni 2003, Nr. 22
    Seite 55, Wissenschaft
    Die Menschheit, zweiter Versuch
    Führt der Weg ins Paradies durch das Genlabor? Margaret Atwoods neuer Roman
    verwischt die Grenzen zwischen Forschung und Fiktion
    Von Tillman Speckelsen und Volker Stollorz

    Die Wesen, die in der Wildnis leben, sind vollkommen friedlich. Sie kennen
    keine Gewalt, ernähren sich vegetarisch, sind unfähig zu Eifersucht und
    Lüge, dafür aber voller Ehrfurcht gegenüber Pflanzen und Tieren – so haben
    sich Generationen von Entdeckungsreisenden jene edlen Wilden erträumt, die
    sie in weiter Ferne des zivilisationsmüden Europa zu finden hofften.
    Kein Volk aber entsprach dieser Projektion jemals so genau wie die Craker.
    Das ist kein Wunder: Sie verdanken ihre Existenz einem allzu talentierten
    Genetiker. Er hat sie geschaffen, in einer künstlichen Urwaldsphäre erzogen
    und von Geburt an mit allem ausgestattet, was ihm nützlich erschien, um in
    einer von Umweltzerstörung und Klimaveränderung gezeichneten Welt zu
    überleben. Dazu gehört etwa, daß die Craker gegen UV-Strahlen resistent
    sind. Aber sie tragen auch die Launen ihres Schöpfers im Gesicht
    geschrieben: Der nämlich mochte grüne Augen, aber keine Bärte, und so haben
    die Craker alle die gleiche Augenfarbe und brauchen sich nicht zu rasieren.
    „Oryx und Crake“, der jetzt erschienene neue Roman der kanadischen
    Erfolgsautorin Margaret Atwood, schildert in einem raffinierten Gewebe aus
    Science und Fiction nichts Geringeres als den Untergang der Menschheit – der
    Genetiker Crake beläßt es nicht bei der Erschaffung des neuen
    Menschengeschlechts, sondern entwickelt gleichzeitig ein extrem ansteckendes
    Virus, das am Ende bis auf die Craker und einen Schulfreund ihres Schöpfers
    alle dahinrafft.
    Es ist ein düsteres Bild, das die Autorin zeichnet, und es hellt sich auch
    nicht durch die Verweise auf die wissenschaftlichen Grundlagen dieser
    Zukunftsvision auf. Denn Atwood betont in einem Kommentar zu ihrem Roman,
    sie habe „nichts erfunden, was wir nicht bereits erfunden haben oder dabei
    sind, es zu erfinden“. Sie schildert eine zweigeteilte Gesellschaft, deren
    weitaus größerer Teil in einer zunehmend verseuchten Umwelt mehr schlecht
    als recht lebt, während sich eine kleine privilegierte Schicht in streng
    abgeschirmten Luxusarealen mit Genforschung und deren kommerzieller Nutzung
    beschäftigt. Obwohl es von seltsamen Mischwesen wie agressiven Hunölfen,
    schmackhaften, aber kopflosen Chickie Nobs oder anderen Bioformen nur so
    wimmelt, sind die Naturgesetze keineswegs außer Kraft gesetzt. Der Roman
    dekliniert die These durch, daß die Biologen mit dem Griff ins evolutionäre
    Erbe zu einer Anthropotechnik finden werden, mit der nicht länger das
    natürlich vorgegebene, sondern das naturgesetzlich Mögliche Wirklichkeit
    wird. Bei Atwood ist das Proteom längst entschlüsselt, die Karte der
    Gesamtheit aller Eiweiße im menschlichen Körper. Genspaltungen sind Alltag,
    das Zerschneiden und Neukombinieren von Genen verschiedener Spezies wird
    schon von Studenten beherrscht. Artenbarrieren können eingerissen und
    genetische Baupläne selbst zwischen entfernten Lebewesen nach Belieben
    ausgetauscht werden.
    Die Referenzen in die reale Welt der Forschung sind allgegenwärtig. Zwar
    scheint die Annahme heute völlig überzogen, man könne komplexe Eigenschaften
    wie die Fähigkeit zum Wiederkäuen auf der genetischen Ebene verstehen,
    geschweige denn – wie im Roman beschrieben – von Kühen auf die Craker
    verpflanzen. Aber immerhin: Die Vorläufer jener Organschweine, die bei
    Atwood als humanisierte Organspender dienen, stehen schon heute in den
    Ställen.
    Der Albtraum der liberalen Eugenik, die Jürgen Habermas in der
    Embryonendebatte als Utopie eingesetzt hatte, wird bei Atwood konsequent
    durchgespielt. Im genetischen Supermarkt der Körperkomplexe gibt es alles,
    was das Herz begehrt, Irrtümer samt deren Reparatur inbegriffen: „Versuchen
    Sie’s mit SnipNFix: Erbkrankheiten hier entfernen lassen! Warum so klein?
    Werden Sie ein Goliath!“
    Eine absurde Vorstellung? Zwar kann derzeit niemand dank Gentechnik groß wie
    Goliath werden, aber gentechnisch hergestellte Wachstumshormone lassen schon
    heute kleinwüchsige Kinder höher schießen. Dank Gentechnik Erbkrankheiten zu
    korrigieren – davon träumen viele Mediziner und Patienten. Sogenannte
    Eingriffe in die Keimbahn des Menschen sind zwar derzeit tabu und technisch
    nicht möglich. Ein Blick auf Labormäuse lehrt aber, daß die Technik,
    angewandt bei Tieren, rasante Fortschritte macht. Der gezielte und ortgenaue
    Austausch von Genen ist im Mauslabor heute Alltag. Sogar künstliche
    Chromosomen als Träger gewünschter Gene in menschlichen Zellen werden
    entwickelt, um Erbanlagen auszutauschen. Vermutlich dürften sich bei der
    Maus schon bald gentechnisch veränderte Eizellen und Spermien nach Belieben
    züchten lassen – aus embryonalen Stammzellen.
    Die technische Realisierbarkeit einer Keimbahntherapie beim Menschen halten
    selbst seriöse Wissenschaftler wie Mario Capecchi von der Universität Utah,.
    Salt Lake City keinesfalls für ausgeschlossen: „Aber wir sprechen bei der
    Realisierbarkeit am Menschen nicht über Jahre, sondern über Jahrzehnte.“ Der
    Schritt von der Korrektur genau definierter Abweichungen im Erbgut hin zur
    gezielten Veränderung oder gar zum Umbau komplexer biologischer Funktionen
    markiert derzeit die Grenzlinie zwischen seriöser wissenschaftlicher
    Prognose und Science-fiction. Was aber, wenn künftig neue Entdeckungen etwa
    die Funktionsweise des Gehirns molekular so aufklären wie früher den
    genetischen Code? „Wenn wir nicht Gott spielen, wer soll es dann tun?“
    provozierte James Watson jüngst in einem Interview. Der Nobelpreisträger,
    der vor fünfzig Jahren zusammen mit Francis Crick die Struktur der DNS
    enträtselte, hält den Wunsch des Menschen nach permanenter
    Selbstverbesserung für angeboren: „Lahme lernen nicht durch Handauflegen
    wieder gehen, sondern durch Fortschritte in Wissenschaft, Technik und
    Medizin.“ Atwood führt diesen Gedanken konsequent zu Ende und postuliert
    dazu noch den Triumph des Ökonomischen über die Medizin – alles ist käuflich
    in der Welt von“Oryx und Crake“, und genau dies wird ihr zum Verhängnis.
    Denn dies ist die Pointe von Atwoods Wissenschaftsvision: Wenn alles möglich
    ist, wird auch alles ausprobiert, wenn sich nur genügend Forscher finden,
    die die Ressourcen ihrer Labors für ein bestimmtes Ziel einsetzen. Je größer
    dabei der Aufwand ist, desto übermächtiger muß – so kann man rückschließen –
    der ursprüngliche Wunsch gewesen sein, dessen Erfüllung so viele visionäre
    Köpfe beschäftigt hat. Der größte Traum von allen aber, so erscheint es
    hier, ist der sentimentale von einer reinen, unschuldigen Menschheit, die
    gar nicht auf den Gedanken käme, durchs Mikroskop zu schauen und den
    Laborkittel anzuziehen. Wie in Kleists „Marionettentheater“ träumt auch
    Crake vom Wiedereinzug ins Paradies durch die Hintertür. Dafür opfert er
    buchstäblich alles, neben dem Leben unzähliger anderer auch das eigene, und
    erweist sich damit als negative Christusgestalt – nicht zufällig trägt sein
    Forschungsprojekt den Namen „Paradise“, und die Craker erblicken
    pikanterweise im Watson-Crick-Institut das Licht der Welt.
    Die Vorstellung, mit der Menschheit noch einmal ganz von vorn anzufangen,
    beschäftigt die Literaten, seit es die Literatur gibt, und schon die Autoren
    des Alten Testaments hatten so viel Freude an diesem Thema, daß sie die
    Erschaffung des Menschen kurzerhand zweimal schilderten. Die Reihe derer,
    die auf naturmagischem, mechanischem, elektromedizinischem oder eben
    genetischem Weg ihren Artgenossen ein verbessertes Modell gegenüberstellten,
    ist lang, und das Bestreben der jeweiligen Schöpfer, in Konkurrenz zu Gott
    zu treten, ist augenfällig – oft genug werden sie dafür grausam bestraft.
    Atwood setzt mit der Figur Crake einen neuen Akzent, denn seine
    Bereitschaft, in dem Moment von der Bühne abzutreten, in dem die neuen
    Geschöpfe in die Freiheit entlassen werden, ist ungewöhnlich, aber nur
    konsequent – er weiß, daß ihr Gott den Crakern nicht physisch begegnen darf,
    um ihnen keinen alternativen Lebensentwurf vor Augen zu stellen, damit sie
    nicht vom Pfad der programmierten Unschuld abweichen.
    Hier allerdings entfernt sich Atwood weit vom Boden gesicherter Forschung,
    und während sie sonst die Grenze zwischen Erkenntnis und Spekulation
    umtriebig verwischt, ist hier der Abstand augenfällig. Da kommt es zu
    unfreiwillig komischen Szenen, wenn etwa die männlichen Craker mit blauen
    Penissen winken, um ihre nur einmal in drei Jahren brünstigen Weibchen zu
    umgarnen. Sex sei endlich „keine Wolke turbulenter Hormone“ mehr, schwärmt
    Crake. Spätestens hier, bei der Modulation komplexer Verhaltensweisen, wird
    es biologistisch und zugleich völlig unrealistisch, etwa wenn Crake erzählt,
    er habe das alte Primatenhirn so verändert, um „destruktive Merkmale“ zu
    entfernen, die für die „Übel der Welt verantwortlich sind“. Da taucht er
    wieder auf, der offenbar unausrottbare Glaube, daß es Gene für das Gute und
    Böse gebe, daß man die Übel der Menschheit an der genetischen Wurzel packen
    könne. Weil aber Atwood am Ende andeutet, daß sich Crake verrechnet haben
    könnte, steuert ihr Wissenschaftsroman auf die Einsicht zu, daß der Alte
    Adam auch die erstaunlichsten Manipulationen überleben kann.

    Margaret Atwood, Kanadas wichtigste Autorin, wurde 1937 als Tochter eines
    Insektenforschers geboren. Ihre düstere
    Utopie „Der Report der Magd“ ist 1987 erschienen. In ihrem neuen Roman „Oryx
    und Crake“ schildert sie eine Welt, in der Genmanipulation alltäglich
    geworden ist.

  • Vorschlag von Jens Beiderwieden (Erfurt):

    Wir versuchen hier in Europa, auf dem Festland, sämtliche gentechnischen Versuche zu unterbinden, alle Chimären- und Monster-Produktionen verbieten zu lassen – und überlassen dieses ganze Feld gleichzeitig England und den USA. Dort ist es sowieso nicht zu stoppen. Die USA sind auf solche oder ähnliche technischen Basteleien und praktischen Versuche geradezu gegründet. Alle Phantasie und Kreativität ist dort immer darauf gerichtet, ein neues Produkt für den Markt herzustellen bzw. ein schon existierendes zu verbessern. Siehe dazu auch wieder den neuen Roman von Thomas Pynchon „Gegen den Tag“: eine endlose delirante Aneinanderreihung von Technik- und Naturwissenschaftsscheiße.

    Diese Deliranz hier zu stoppen – das ist auch und vor allem im Interesse der Wissenschaftler und Firmen hier, die sich zu idiotischen Followers of Fashion der Amis mit ihrer ganzen Nachäfferei machen. Jeder Scheiß von drüben wird von ihnen wie ein Gottesgebot aufgefaßt – auch und vor allem in der Biologie, synthetischen Biologie bzw. Gentechnik.

    Zur Entschuldigung sagen diese armseligen Heloten stets: Das ist doch bloß gut für die Menschheit, endlich können wir Krebs oder Aids oder Armut oder Unmut oder körperliche Mißbildungen oder überkritische Mißbilligungen oder Rauchen, Trinken, Lachen, Staunen usw. – heilen! Und wir dürfen nicht den Anschluß verlieren, wir müssen konkurrenzfähig bleiben usw.

    Hier ein Szenario, was da drüben bei dieser ganzen Experimentierfreude herauskommen könnte:

    Die Küstenstädte Nordamerikas sind überschwemmt, Seuchen breiten sich in rasantem Tempo aus und die Sonnenstrahlung ist derart aggressiv, dass die Haut, nur kurze Zeit der Sonne ausgesetzt, Blasen wirft. Im Unterholz tummeln sich merkwürdige, gefährliche Kreaturen: Hunölfe, Wakunks, Schlatten und Organschweine – transgene Organismen und Chimären; Produkte menschlicher Allmachtsphantasien. Nun ist die von Menschenhand veränderte Natur außer Kontrolle geraten.
    Schneemensch alias Jimmy hat die Katastrophe überlebt. Einsam und vor Hunger halluzinierend lebt er auf einem Baum an der Küste. Schneemensch ist eine Art Guru der „Craker“, denen er mit Mythen versetzt von ihrem „Schöpfer“ Crake und von Oryx erzählt. Sein Freund Crake, ein Genie und Gentechnikexperte, war Angestellter eines biotechnischen Multikonzerns, der seine Fähigkeiten dazu einsetzte, seine Vision von einer „besseren Menschheit“ zu realisieren. Mit seinen Reflexionen der Vergangenheit erzählt Schneemensch den LeserInnen, wie es dann zum Untergang der menschlichen Zivilisation kam.

    Entworfen hat dieses Szenario die Kanadierin Margaret Atwood, die als eine der bedeutendsten AutorInnen des angelsächsischen Sprachraums gilt. In ihrem jüngsten, spannenden Science-Fiction-Roman „Oryx und Crake“ zeichnet sie ein bedrückendes, vielschichtiges Bild der Zukunft. Neben der Entwicklung der Biotechnologie geht es um Konzernmacht, Zweiklassen-Gesellschaft, das menschliche Streben nach Glück und Unsterblichkeit, die Bedeutung von Religion sowie das Ende des Wortes und der Erzählung. Der Reiz des Romans liegt in der engen Beziehung zwischen Realität und Fiktion. Atwoods Zukunftsvision greift gegenwärtige Bemühungen der biotechnischen Forschung auf, treibt sie auf die Spitze und imaginiert ihre Konsequenzen. Der „perfekte Mensch“ erscheint hier als das „Ergebnis einer logischen Kette von Weiterentwicklungen“.
    Margaret Atwood: Oryx und Crake, 381 S. Berlin Verlag, 2003; ISBN: 3-8270-0014-9; 24 Euro. (eine Rezension des Gen-ethischen Netzwerks)

    Nachtrag:

    Der Biologe Cord Riechelmann schreib in einer Rezension des Merve-Buches von George Canguilhem „Wissenschaft, Technik, Leben“, herausgegeben von Henning Schmidgen:

    „Schmidgen ist es gelungen, mit „Wissenschaft, Technik, Leben“ ein Buch zusammenzustellen, das in hervorragender Weise auf die Fragen des postgenetischen Zeitalters vorbereitet. Auf jene Zeit, in der auch dem letzten Menschen aufgefallen sein wird, dass der gesamte Gentherapiequatsch nicht einen einzigen Menschen je von Krebs geheilt hat, aber sehr viele hat krank werden lassen.“

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