vonHelmut Höge 09.06.2008

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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„Where we failed was leadership culture, not company culture“ (Siemenschef Peter Löscher)

Die 12.000 Siemens-Beschäftigten und 3.000 Leiharbeiter bei Siemens in Berlin wurden von der IG Metall heuer quasi persönlich Heraus zum 1.Mai gebeten. Die Vertrauensleute hatten extra einen Stand vor dem Brandenburger Tor aufgebaut. Der Konzern will demnächst rund 7000 „Siemensianer“ entlassen. Seine Telefonanlagensparte wird mit Millionenzuschüssen verkauft – wahrscheinlich an den Finanzspekulanten „Cerberus“. Die Finanzkrise zeigt erste „Bremsspuren“, wie der Siemenschef es ausdrückte. Und die Korruptionsaffäre ist inzwischen so weit gediehen, dass sich die SiemensTopmanager gegenseitig verklagen…

„Was geht uns das an?“ mögen sich die Berliner Siemensbeschäftigten gefragt haben, denn es fanden sich nur wenige am IG Metallstand ein. Drei von ihnen, die ich von der Betriebsräte-Initiative her kannte, sprachen mich am tazpresso-Mobil an: Sie kritisierten meine blog-berichte über Siemens. Ich hätte den Ernst der Lage noch immer nicht erkannt, meinten sie. Es ginge längst nicht mehr um „das volle Ausmaß der Korruption und schwarzen Kassen“ und auch nicht um deren Entstehung aus dem Schweizer Elektrokartell, das Siemens einst mit der AEG und General Electric gründete. Im Gegenteil! Ob ich schon mal was vom Harvard-Reindustrialisation-Comitee bzw. vom Projekt „Renewing American Industry“ gehört hätte, wollten sie von mir wissen. Ich verneinte. Dann sollte ich jetzt gut zuhören. Wie ich ja wohl wüßte, sei Amerika seit Reagan weitgehend deindustrialisiert worden und auch das öffentliche Transportwesen verfallen. Aber dann leisteten sich z.B. immer mehr US-Städte Straßenbahnen – 55 Kommunen bis jetzt, und bald wohl über 500. Diese werden aber heute alle in Berlin hergestellt: von Siemens und Bombardier. Das Reindustrialisierungskomitee, das u.a. darauf aufmerksam machte, wurde zunächst belächelt, denn die Amis kauften ja überall im zerfallenden Ostblock und nicht nur dort Fabriken auf. Mit dem erfolgreichen Aufstieg Chinas und der Konsolidierung Russlands durch Putin änderte sich jedoch langsam die Einstellung des US-Kapitals. Nun geriet ihnen auch Mitteleuropa ins Visier. Die ersten Acquise-Vorstösse – zuletzt von General Electric in Ostdeutschland, wurden von Siemens noch mit der alten Kartellvereinbarung „Heimatschutz“ abgeschmettert. Deswegen versuchte man es umgekehrt: dem Konzern wurde eine Notierung an der New Yorker Börse schmackhaft gemacht. Dazu ließ man erstens die deutsche Gesetzgebung ändern: Korruption im Ausland war nun, ab 1999, auch hier strafbar. Und zweitens mußte Siemens seine Rechnungslegung weltweit auf die „United States Generally Accepted Accounting Principles“ umstellen. Das sind Standards, die von einer Stiftung festgelegt werden, die von US-Konzernen finanziert wird. Die Umstellung besorgte 1999 der Siemens-Finanzvorständler Josef Käser, der sich seitdem „Joe Kaeser“ nennt und schwer erpressbar ist, weil er natürlich in die Siemens-Schmiergeldwirtschaft verwickelt ist. Desungeachtet tritt er noch regelmäßig zusammen mit dem neuen Siemenschef Peter Löscher und dem neuen Antikorruptions-Vorständler Peter Solmssen als Sprecher auf: Die beiden kommen von Harvard und waren dann Manager bei General Electric! Ihnen arbeitet die New Yorker Anwaltskanzlei Debevoise & Plimpton zu, die von Siemens bisher über 500 Millionen Euro dafür bekam, das sie den gesamten Konzern „durchleuchtet“ – für die Amis. „Das muß man sich mal vorstellen: Einerseits muß die Ehefrau eines Siemens-Hausmeisters eine dreiseitige Schweigepflichterklärung unterschreiben, bevor sie ihrem Mann die Frühstücksstullen an den Arbeitsplatz nachtragen darf und andererseits zahlt Siemens Millionen dafür, dass die US-Konkurrenz alle internen Informationen frei Haus erhält.“

Seit dem Platzen der Dotcom- und der Finanz-Blase dränge das US-Kapital immer mehr darauf, Siemens und einige andere EU-Konzerne unter ihren Einfluß zu bekommen. „Anfang 2007 wurden schon mal die zehn Siemens-Geschäftsbereiche auf drei Sektoren reduziert: Gesundheit, Industrie und Energie. Die Bahnsparte (TS), derzeit wegen Pannen bei ihren ‚Combino-Straßenbahnen‘ unter Kritik, soll mittelfristig erst mal der kanadische Konzern Bombardier übernehmen…“ Aber das ist doch die reinste Verschwörungstheorie,“ unterbrach ich die drei „Siemensianer“. „Was soll dieser Einwand denn?!“ bekam ich zur Antwort, „schon Adam Smith wußte: ‚Wenn sich mehr als drei Geschäftsleute treffen, handelt es sich ganz sicher um eine Verschwörung gegen die Öffentlichkeit‘. Und hier haben wir es mit mehr als 300 zu tun. Außerdem haben wir noch gar nicht über den stets auf Amerikanisch befehlenden letzten Siemenschef Klaus Kleinfeld, den Cola-light-Trinker aus Bremen, gesprochen: Er ist jetzt „Boss“ des US-Aluminiumkonzerns Alcoa – und die Aluminiumbranche ist die verschworenste, d.h. am strengsten kartellisierteste Branche der Welt…“ Aber was kann man eurer Meinung nach gegen diese ganzen Sauereien tun? fragte ich zuletzt noch. „Nur die Politik kann hier helfen: Siemens muß verstaatlicht werden, bevor der ganze schöne Konzern, der nur mit Staaten Geschäfte macht, verschwindet,“ wurde mir geantwortet.

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