vonHelmut Höge 10.06.2008

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Das Gehirn wird immer wichtiger – nach Ansicht amerikanischer Wissenschaftler, und es gibt keine anderen mehr. Das Gehirn arbeitet wie ein Computer, es ist programmiert, es gibt da eine Festplatte, man kann da drin was löschen – und was der Idiotenmetaphern mehr sind. Hier eine kurze Blütenlese:

 

Unser Gehirn und seine neue Freiheit

Die großteils Berufsphilosophen, die „Beiträge zur neurowissenschaftlichen Grundlegung der Philosophie“ liefeerten, stellen mit diesem Untertitel bereits den Materialismus von den Füßen wieder auf den Kopf, indem sie in ihrem  Sammelband „Das Gehirn und seine Freiheit“ mit Zitaten aus allerlei Philosophiegeschichte zu beweisen suchen – nicht etwa dass die ganze Erkenntnisentwicklung an unsere „Praxis“ – verstanden 1. als Lebensprozeß der Gesellschaft, 2. revolutionäre Aktion,  3. Industrie im engeren Sinne und 4. naturwissenschaftlich-technisches Experiment – gebunden ist, sondern quasi unmittelbar sich auf die Materialität unserer laut Marc Borner „puddingähnlichen Masse“ namens Gehirn reduzieren läßt.

Sich und die  eigene (berufliche) Praxis auf den Kopf (ab) zu stellen, das ist den Gehirnforschern freilich süße Pflicht – und dabei kommen sie dann auch prompt dahin, nahezu unser gesamtes Willensrepertoire als dergestalt „determiniert“ zur (Welt-)Anschauung zu bringen. – Und damit ist es dann mit der „Freiheit“ aus und vorbei! Bevor ich hier ins Detail gehe, ein kurzer Rückblick auf den alten von ihnen überwundenen (dialektischen und historischen)  Materialismus. Im „Anti-Dühring“ von Engels heißt es z.B. über die Praxis – im Übergang von der Notwendigkeit zur Freiheit: „Mit der Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft ist die Warenproduktion beseitigt und damit die Herrschaft des Produkts über die Produzenten. Die Anarchie innerhalb der gesellschaftlichen Produktion wird ersetzt durch planmäßig bewußte Organisation. Der Kampf ums Einzeldasein hört auf. Damit erst scheidet der Mensch in gewissem Sinn endgültig aus dem Tierreich…Die eigene Vergesellschaftung der Menschen, die ihnen bisher als von Natur und Geschichte oktroyiert gegenüberstand, wird jetzt ihre eigne freie Tat.“

Wir wir wissen wurde „im Osten“ die Warenproduktion mitnichten „beseitigt“, aber unter der Führung der Partei der Arbeiterklasse immerhin die „Herrschaft der Produkte über ihre Produzenten“ praktisch gebrochen, wenn auch gleichzeitig von unten verbunden wieder mit dem Wunsch nach bunten „Westprodukten“. Mit der Auflösung des Ostblocks jedoch und der seitdem ungebremst forcierten Durchsetzung der dritten industriellen Revolution sind die „assoziierten Produzenten“ nahezu weltweit in Dissoziation begriffen.

Wenn zuvor für den Osten und dadurch bedingt auch für den Westen galt, dass die „ökonomischen Verhältnisse“ sich derart verheißungsvoll entwickeln, „dass ihre Rolle im Leben der Menschen zurücktritt“ (Alfred Schmidt), dann geht es nun wieder genau andersherum: Die Ökonomie wird schier zum Alpha und Omega unserer Existenz – die leidigen Stoffwechselprozesse, und dementsprechend ist auch wieder von Ethnien- statt Klassenkampf die Rede und der Einzelne ist nicht unzufrieden oder unglücklich, sondern hat Erbkrankheiten und sonstige Gendefizite.

Gegen diesen und ähnlich reaktionären Schwachsinn muß man jetzt sogar noch Darwin, der einst die Unerbittlichkeit des englischen Kapitalismus und seiner invisible hand zu Naturgesetzen erklärte, gegen die wiedererstarkenden monotheistischen Religionen (die „Gemüter einer herzlosen Welt“) in Schutz nehmen, die auch noch hinter der blindesten Mutation den (allein freien) göttlichen Willen sehen – aber nur dort!

Zwischen ihren  Ober-Selektionären (mit und ohne Bart), der neodarwinistischen Molekularbiologie und dazu noch Kant, Schopenhauer, Freud, unser Strafrecht und ihrem Vordenker Wolf Singer von der – kein Scheiß! –  „Pontifical Academy of Science“, den man für den Sammelband interviewte, oszillieren die Beiträge. Ihre allesamt fachlich ausgebildeten Autoren (5 Männer und 1 Frau) sind zwischen 23 und 63 Jahre alt. Aber keiner hält „mehr an dem traditionellen starken Begriff von Willensfreiheit“ fest, wie Gerhard Roth gleich zu Anfang fast stolz bemerkt. Es gibt „zweifellos einen Willen als Erlebniszustand“, das wird eingestanden, aber ob der – mit David Hume gefragt – „frei“ ist? Dies kann die Gehirnforschung nun „empirisch abgesichert“, also quasi reinen Herzens, d.h. mit Fug und Recht, verneinen.

Daraus folgt u.a. – auf Seite 17 – „das Schuldparadoxon“. Was sich zunächst wie das „Zenonsche Schorleparadoxon“ des Berliner Künstlers Kapielsky anhört, erweist sich schnell als ein geballter auf neueste neurologische und alte  psychologische Erkenntnisse basierender Angriff auf unser – aus der Disziplinargesellschaft oder dem Neolithikum noch herrührenden – Strafverfolgungssystem: Denn wo keine Willensfreiheit – da ist auch keine Schuldfähigkeit! Es gibt kein „persönliches moralisches Verschulden“ – so sagt es Gerhard Roth. Stattdessen hat seine Arbeitsgruppe am Hanse-Wissenschaftskolleg Delmenhorst sage und schreibe 8 „Hauptfaktoren“ ermittelt, die zu „Aggression und Gewalt“ führen: Mobbing von oben, Lohnraub, Marginalisierung, Demütigung, den Einsatz von Tränengas, den Euro, immer mehr Kontrollen, glückliche Gesichter im Fernsehn…Nein, natürlich nicht! Die wahren Hauptfaktoren, das sind laut Roth: 1. das „Geschlecht“, 2. das „Alter“, 3. „genetische Disposition“, 4. eine frühe „Gehirnschädigung“, 5. „Störungen des  Transmitter-, Neuropeptid- und Hormonhaushalts, insbesondere ein niedriger Serotoninspiegel oder ein erhöhter Testoteronspiegel“, 6. „psychische Traumatisierung“ (u.a. durch  „sexuellen Mißbrauch und fehlende mütterliche Fürsorge“), 7.. „schockartige Erlebnisse“, 8. „kognitive und emotionale Defekte im Erkennen und Verarbeiten gewaltrelevanter sozialer Signale“, 8. „Gewaltausübung in der eigenen Familie“.

Es kommt aber noch schlimmer und komplizierter: Diese Hauptfaktoren treten stets in  „Kombination“ auf. Darüberhinaus sind unsere „assoziativen Netzwerke der Großhirnrinde“ auch noch zu allem Überfluß auf „Gründe ausgelegt, nicht auf Ursachen“…

An dieser Stelle waren die Philosophen in den Gehirnforschern oder umgekehrt mir über: Ich konnte und kann mir noch immer keinen vernünftigen Reim auf  diese sausubtile Differenz – zwischen Grund und Ursache – machen. Auch und gerade im Zusammenhang all der „empirischen Evidenzen“ aus der Gehirnforschung, die gegen die „Willenfreiheit“  sprechen – mindestens als „starken Begriff“. Das soll heißen: Gegen einen  schwachen Willen ist wohl auch fürderhin von berufener Seite nichts einzuwenden!  Schön und gut. Aber wird man sich damit auch auf Dauer wirklich zufrieden gaben? Ich meine die Massen und nicht die Gehirnforscher – für diese gilt vielleicht eher: Je härter der Physikalismus, desto weicher die Birne? Mit diesen bangen Fragen gebe ich – nach Lektüre des im renommierten Göttinger Gehirnschmalz-Verlag Vandenhoek & Ruprecht erschienenen Buches – dasselbe ans Funkhaus zurück. Müßte ich abschließend meine Leseeindrücke zusammenfassen, würde ich behaupten: Wir brauchen keine neuronale (neobanale) Soziobiologie, sondern eher eine schizoide Biosoziologie. Denn es ist doch viel mehr Kultur in der Natur – als umgekehrt!

Herz, Hirn und Huntington
Im Zuge des Fortschritts oder des Zerfalls  (egal) bekommen wir es mit immer mehr „befreiten“ Lebensmitteln zu tun, in denen ein oder mehrere in ihnen enthaltene und z.T. für ihren Konsum wesentliche Bestandteile „rausgeholt“ wurden: bei Kaffee das Koffein, in der Milch die Lactose, im Tabak das Nikotin, im Bier der Alkohol… Die Extraktion des Koffeins ist ein physikalischer Prozeß, mit dem das an den Zellwänden der Bohnen angelagerte kristalline Koffein herausgelöst wird, wobei man das Gefälle zwischen dem Extraktionsmittel und der koffeinhaltigen Bohne nutzt. Als Extraktionsittel hat die EU Dichlormethan, Ethylacetat, Kohlendioxid und wässrigen Kaffee-Extrakt mit Aktivkohle zugelassen. Beim Bier kann man den Alkohol thermisch abtrennen, dabei wird er mittels Unterdruck verdampft. Aber auch das „alkoholfreie Bier“ enthält noch geringe Mengen Alkohol. Um die Milch von Lactose (Milchzucker) zu befreien, benutzt man Kationen-Anionen-Kombinationen von niedrigschmelzenden Salzen, so genannte ionische Flüssigkeiten. Zur Verdauung spaltet das Enzym Lactase im Dünndarm den Milchzucker in Galactose (Schleimzucker) und Glucose (Traubenzucker) auf. Für Menschen mit diesem Enzymmangel ist normale Milch schwer verdaulich, deswegen greifen sie zu lactosefreier. Das Nikotin wird in den Wurzeln von Tabakpflanzen, von denen es 65 Arten gibt, produziert – und in den Blättern eingelagert. Nahezu nikotinfrei  wird der Tabak bereits durch Waschen mit lauwarmem, dazu schwach angesäuertem Wasser.

All diese zusätzlichen Verfahren lohnen sich industriell, weil es immer mehr Menschen  gibt, die sich an bestimmte Produkte gewöhnt haben, aber diese wegen Lactose-Intoleranz, schwachem Herz, angegriffener Leber und pfeifender Lunge oder Krebsangst nur gleichsam kastriert   konsumieren dürfen/wollen. Die Liste der von Wirkstoffen „befreiten“ Produkte wird immer länger, vor allem weil unsere Amerikanerwerdung immer mehr Allergiker sonstwie Gehandicapte und aufgeklärte Hypochonder hervorbringt – und demzufolge z.B. die speziellen Lebensmittelabteilungen in den Supermärkten (z.B. für Diabetiker) immer größer werden. Daneben wird auch die Liste der von bestimmten Schadstoffen „befreiten“ Waren immer länger – wovon u.a. der Biosupermarkt-Boom zeugt. Bis hin zu Backen ohne Eier, Kochen ohne tierische Fette (wg. Cholesterin) und andere Diät-Rezepte. Das geht dann weiter mit Öko-Textilien, Öko-Strom und Bio-Baustoffen. Und vielleicht bald schon mit Verbrennungsmotoren ohne  Kohlenmonoxid-Ausstoß und Industrieanlagen ohne Abfallproduktion, mit mobilen Telefonen ohne Elektrosmog und Waschwasser, dass nicht nass macht…Kurzum: Es greift eine allgemeine  „Befreiung“ – und diese ist wesentlich biologisch geworden, d.h. letztlich physikalisch-chemisch. Dem paßt sich auch unser Körper an – aber noch wirken bei den Amerikanern z.B. Tabletten weitaus besser als bei Europäern.

Erinnern wir uns: Was hat es früher z.B. für Zeit und Geld gekostet, wenn ein Psychoanalytiker einen Patienten (1!) drei oder mehr Jahre lang analysiert hat? Was für Mühen wendete die Arbeiterbewegung auf – über Jahrhunderte fast, um die ausgebeuteten Massen zu organisieren, zu schulen und sogar im Einzelnen derart zu qualifizieren…so dass man, zumal nach einem gewaltsamen Umsturz im weitesten Sinne, d.h. bis zu sozialgesetzgeberischen Reformen, von „Befreiung“ sprechen konnte…Dabei ging es immer auch um „Geist, Psyche, Seele, Bewußtsein“ –  eine  regelrechte Befreiungskultur, inklusive Freischärler und Befreiungstheologen. Aber beim Übergang von dieser ganzen interventionistischen Wühl- und „Sozialarbeit“ (wie verpönt das Wort bereits klingt) zu immer gezielteren Eingriffen in die menschliche Natur, hat sich selbst die Psychologie in Molekularbiologie verwandelt – und redet von Synapsen, Peptinen und ähnlichen gasförmigen, flüssigen oder strahlenartigen  Materialitäten.

Der „Spiegel“ interviewte gerade den US-Neurologen Ramachandran, der die „Spiegelzellen“ im Gehirn als „stoffliche Basis unseres Verhaltens“ dingfest gemacht hat: „Die Spiegelneuronen erklären unser soziales Miteinander!“ Die Spiegelredakteure (u.a. Diplo.Bio Rafaela von Bredow) nennen sie „Wunderzellen“ und sind schwer beeindruckt, dass sie laut Ramachandran, den sie in Kalifornien (sic!) interviewten, mindestens 30% unserer  „Kommando-Zellen“ ausmachen. Vor allem, weil  sie die „Grundlage der Erleuchtung“ sind, weswegen Ramachandran auch von „Dalai-Lama-Neuronen“ spricht – und damit die Seelsorge endlich auf eine materialistische Basis stellt.

Noch dicker kommt es im neuen Sonderheft „Gehirn & Geist“ des Spektrum-Wissenschaftsverlags, das komplett der medizinischen „Befreiung“ unserer Hermann-Hirne von Alzheimer (1 Million Deutsche), von Parkinson (15.000), Querschnittlähmung (50.000), multipler Sklerose (120.000), epileptischen Anfällen (8,2 Mio), dem Tourette-Syndrom (Fluch-Zwang – 40.000), dem Huntington-Syndrom (erblicher Veitstanz – 8.000 plus 8000 Anlageträgern), Depressionen, Autismus und Kopf- sowie Nerven-Schmerzen gewidmet ist. Und zwar mittels der Genetik und Epigenetik (Nahebeigenetik). Bei der Zahl der Betroffenen (Leidenden) ist die „Tendenz weiter steigend“, wie die junge Biologieredakteurin des Heftes, Sabine Kersebaum, laut beigefügtem Photo schmunzelt verrät, gleichzeitig arbeiten jedoch auch die Hirnforscher, Pharmakologen und Mediziner „mit Hochdruck“ an neuen Arzneien, Therapien und Wegen der Früherkennung dagegen: „Wir dürfen gespannt sein“ (fettgedruckt) – nämlich: ob ihr gewaltiger, sich andauernd revolutionär nennender Kraftakt auf molekularer Ebene uns von all den o.e. Leiden und letztlich sogar vom Altern und dem Tod „befreit“, das will Dipl.Bio Kersebaum damit sagen. Zusammenfassend läßt sich voraussagen: Uns erwartet in naher Zukunft eine wahre Rundum-Befreiung. Bullshit!

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2008/06/10/gehirnwichser/

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kommentare

  • Mail von Ina Grothe:

    hi,

    hier wieder was feines aus der hürnforschung:

    http://www.heise.de/tp/blogs/3/120374

    Kinder aus reichen und armen Familien haben unterschiedliche Gehirne
    Nach einer EEG-Studie verarbeitet der präfrontale Kortex von Kindern aus
    der Unterschicht neue Reize langsamer.

    Die Schere zwischen den Armen und Reichen geht zwischen Ländern, aber
    auch innerhalb von Gesellschaften auf. Reiche und Arme unterscheiden
    sich nicht nur im Lebensstil und dem, was sie sich leisten können. Auch
    auf Gesundheit und Lebenserwartung wirkt sich selbst in reichen Ländern
    das Vorhandensein von Wohlstand oder dessen Mangel aus. Und jetzt wollen
    Wissenschaftler herausgefunden haben, dass auch die Gehirne von Armen
    und Reichen durchaus verschieden sein sollen.

    Untersucht haben die Wissenschaftler von der University of California,
    Berkeley, die Gehirne von 9- und 10-Jährigen, die zur Hälfte aus
    Familien mit einem jährlichen Haushaltseinkommen von 27.000 US-Dollar
    und zur anderen Hälfte aus wohlhabenden Familien mit einem
    Jahreseinkommen von durchschnittlich 96.000 Dollar stammten. Gemessen
    wurde die Hirnaktivität mit dem EEG, während die Kinder eine Folge von
    Dreiecken auf dem Bildschirm beobachten. Wenn ein leicht verformtes
    Dreieck auftauchte, sollten sie einen Knopf drücken. Besonders
    aussagekräftig dürfte die Studie allerdings nicht sein. Es wurden gerade
    einmal 26 Kinder getestet.

    Interessiert waren die Wissenschaftler daran, wie die Gehirne der Kinder
    innerhalb kürzester Zeit reagieren, wenn ein ganz anderes Bild wie etwa
    eine Mickey Mouse präsentiert wurde. Mit dem EEG konnte die Aktivität im
    präfrontalen Kortex im Millisekundenbereich erfasst werden. Die Kinder
    aus der sozioökonomischen Unterschicht hätten teilweise auf den
    unerwarteten Stimulus so reagiert, sagt der Psychologe Robert Knight,
    als wäre ihr präfrontaler Kortex beschädigt, ähnlich wie bei einem
    Menschen, bei dem dieser durch einen Gehirnschlag beeinträchtigt wurde.
    Das sei zwar nicht bei allen so, aber doch bei Kindern aus der
    Unterschicht wahrscheinlicher. Die langsame Reaktion könne damit zu tun
    haben, dass die Kinder sich auch unterschiedlich verhalten, vermuten die
    Wissenschaftler. Schlechter ist die Reaktion, also die Aufmerksamkeits-
    und Wahrnehmungsleistung, auch bei der Beobachtung der Dreiecke gewesen.

    Auf der anderen Seite haben die Kinder aus den reicheren Familien
    natürlich einen kognitiven Vorteil. Sie sind wacher und aufmerksamer,
    können besser Probleme lösen und erzielen deshalb auch bessere
    Leistungen in der Schule. Ihre Gehirne werden anders geformt. Knight
    sieht die Erkenntnisse aus der Studie als Alarmsignal: „Die Kinder sind
    nicht nur arm und haben wahrscheinlich eher Gesundheitsprobleme, bei
    ihnen entwickelt sich aufgrund der stressigen und relativ verarmten
    Umwelt, die mit einem niedrigen sozioökonomischen Status verbunden ist:
    wenige Bücher, wenig Lesen, weniger Spiele, weniger Besuche in Museen,
    auch das Gehirn nicht vollständig.“ Reizarme Umgebungen, dass weiß man
    aus Versuchen mit Tieren, machen „dumm“, „reizvolle“ Umwelten regen das
    Gehirn an.

    Die Gehirnentwicklung sei aber nicht zwingend. Mit gezielter
    Beschäftigung der Kinder der Kinder könne man die kognitiven Leistungen
    verbessern. Offenbar schwebt den Wissenschaftler vor, dass sie durch
    bestimmte Spiele, die die kognitiven Fähigkeiten anregen, die
    präfrontale Aktivität fördern können. Auch das gemeinsame Essen, bei dem
    man sich unterhält, machen vielleicht schon einen Unterschied aus,
    meinen die Wissenschaftler.

    Florian Rötzer14.12.2008

  • Das Gehirngewichse dient der „Zurichtung des Menschen als Element des Marktes“, wie Johano Strasser es schön formulierte. Das Marktelement Mensch muss seine Beliebigkeit akzeptieren, damit es nicht aufbegehrt, weil es erkennt, dass man es um sein – aller Vorraussicht nach einziges– Leben betrogen hat. Das alles muss funktionieren, weil die Geistlosen sich selbst zur Elite ernannt haben. Mit Hilfe von Psychiatern, die nichts begriffen haben, Werbefachleuten, sich selbst zur Elite zählenden Journalisten, Gen-und Hirnforschern wird an einem Homunkulus gebastelt, der sich dem Willen des Kapitals beugt, da er von seiner naturgebenen Wertlosigkeit überzeugt ist.

  • ZuR „Prozac NATION“:

    Weil zu viele US-Soldaten posttraumtisch gestresst aus dem Irak- und Afghanistan-Krieg zurückkommen, hat die US-Regierung jetzt wieder die Forschung mit Psychopharmaka freigegeben – Tabletten sind billiger als Therapien.

    Das Time-Magazine hat heute die Titelgeschichte „The U.S.Military’s Secret Weapon – tausende von GIs bekommen nun Antidepressiva“

    „America‘ Medicated Army“ – das Magazin meint, durch das Verabreichen von Antidepressiva werden die Probleme nur noch schlimmer.

  • Zum Hirnforschungs-Quatsch:

    Heute in der FAZ –

    Die Rede vom „hirngerechten Lernen“ gehört zu den Neuro-Mythen, die nicht vergehen wollen. Sie ist ein Beispiel dafür, wie oft schon der bloße Hinweis auf die Hirnforschung genügt, um die Illusion von harten Fakten zu erzeugen.

    Sie ist mittlerweile in aller Munde, die Rede vom „hirngerechten Lernen“. Lehrer erhoffen sich von der Hirnforschung neue Impulse für ihre Unterrichtsgestaltung, und Eltern informieren sich sorgenvoll über „sensible Phasen“ der Hirnentwicklung, damit sie nicht versäumen, ihren Kindern zur rechten Zeit bestimmte Lernerfahrungen zu offerieren. Selbst „pädagogisch unbelastete“ Zeitgenossen werden zuweilen damit konfrontiert, dass sie angeblich mehr aus ihrem Hirn machen könnten, wenn sie beim Lernen dessen Funktionsweise berücksichtigten und somit seine „wahren Kapazitäten“ nutzten.

    Eine wahre Flut von Ratgebern zum hirngerechten Lernen bietet unter dem Deckmäntelchen der (Neuro-)Wissenschaftlichkeit Übungen und Ratschläge, die angeblich nicht nur eine optimierte Hirnentwicklung ermöglichen, sondern auch bei Problemen wie Lese-Rechtschreib-Schwäche oder Aufmerksamkeitsstörungen therapeutisch wirksam sein sollen. Die angebotenen Empfehlungen gehören, ebenso wie die dazugehörigen Erklärungen, ins Reich der Neuromythen, das bereits geraume Zeit existiert, jedoch durch die öffentliche Dauerpräsenz der Hirnforschung an neuem Glanz gewonnen hat.

  • Gehirnwäsche

    Der Scientology-Gründer Ron Hubbard leitete früher die Abteilung für Gehirnforschung bei der CIA, sein etwas tumber Schüler Tom Cruise ist nun laut Florian Henckel von Donnersmarck „Deutschlands Hoffnung“. Das aber nur nebenbei, mit der Hubbardschen Gehirnforschung wollte die CIA erst einmal die besten Leute für ihre Agency finden.

    Nach 2001 änderte sich die CIA-Gehirnforschung:

    kripo-online berichtet: Die CIA machte Gelder flüssig – Forscher sollten herausfinden, ob und wie sich Terroristen im Gehirn von anderen unterschieden. Die Idee kam auf, bildgebende Methoden als „Lügendetektoren“ zu verwenden.
    Der Amerikaner Lawrence Farwell behauptet, er erkenne im Gehirn-Scanner, ob jemand lüge oder die Wahrheit spricht. Konfrontiere er etwa einen Terroristen mit einem Codewort, das nur Insidern bekannt sei, würde das Gehirnbild die Wahrheit verraten.
    In einem Fall behauptete Farwell, er habe im Jahr 2001 die Unschuld eines Mannes bewiesen, der 1978 wegen Mordes verurteilt worden war. Er soll bestimmte Details vom Tatort nicht gespeichert haben. Einem Schlüsselzeugen der Anklage will Farwell im Kernspintomographen nachgewiesen haben, dass er 1978 gelogen habe. Der Verurteilte sei mittlerweile wieder in Freiheit.
    Aussagen dieser Art schüren den Glauben, den Penfield und Perot in den fünfziger Jahren durch sein Experiment am offenen Gehirn aufkommen ließen: Dinge seien im Kopf gespeichert wie auf einer Computerfestplatte – unwiderruflich. Doch mit einem Speicherchip hat das Gehirn nichts gemeinsam. Die „Daten“ sind im Gehirn nicht an einem bestimmten Ort abgelegt. Nur wenn ein weitläufiger Neuronenverband zur gleichen Zeit ganz bestimmte Botenstoffe austauscht, kommt es zu einer Aktivität. Dabei kann ein Teil der Verbindungen ausfallen, oder plötzlich an einem anderen Ort neu gebildet werden – und die Erinnerung verändern. Das macht das Gehirn des Menschen flexibel und labil.
    Der amerikanische Forscher Daniel Langleben von der Universität Pennsylvania (Philadelphia) stellte fest, dass beim Lügen prinzipiell dieselben Gehirnareale aktiv seien wie beim Sagen der Wahrheit – zusätzlich feuern aber Neuronenverbände im Vorderhirn, die die Wahrheit offenbar „umformulieren“.
    Ursprünglich warnte Langleben davor, den Kernspintomographen als „Lügendetektor“ zu betrachten – es handle sich um ein Forschungswerkzeug und keinen Wahrheitsautomaten. Heute klingt der Wissenschafter anders: „Wir können mit Hilfe des fMRI herausfinden, ob jemand einer terroristischen Organisation angehört oder nicht“, wird Langleben im Wissenschaftsmagazin Nature vom September 2005 zitiert.
    Gehirn-Scanner als Lügendetektoren einzusetzen, scheint aus praktischen Gründen zumindest fragwürdig: Wenn Betrüger ihren Opfern eine Lüge auftischen, müssen sie selbst als Erste daran glauben – die „Uminterpretation“ im Frontallappen passiert möglicherweise lange, bevor ein Verdächtiger im Kernspintomographen liegt. Dasselbe gilt für alle anderen Straftäter: Um vor der Polizei überzeugend zu lügen, müssen sie selbst an ihre Wahrheitsversion glauben. Und aus der Psychologie ist bekannt, der Mensch ist Weltmeister im Selbstbetrug. Wer zu rauchen aufhören möchte und „umfällt“, hat an diesem Abend höchstens fünf Zigaretten geraucht und nach wenigen Zügen wieder abgedämpft – in Wirklichkeit waren es zehn, abgebrannt bis zum Filteranschlag.

    drian Raine von der Southern California Universität untersuchte 41 verurteilte, inhaftierte Mörder und 41 Unbescholtene im PET, dem zweiten bildgebenden Gehirn-Scan-Verfahren. Raine entdeckte bei den Mördern ein Defizit im Frontalhirn. Bei Unbescholtenen fing der Scanner Aggressionsfunken auf, die aus dem limbischen System im Inneren des Gehirns kamen – bei Mördern passierten die Impulse das Frontalhirn ungehindert.
    Bei 21 so genannten „Soziopathen“ prüfte Adrian Raine die Größe des Frontalhirns und stellte fest, es war um durchschnittlich elf Prozent kleiner als bei „normalen“ Menschen.
    „Soziopathen“ mangelt es vor allem an zwei Dingen: Erstens an Selbstkontrolle, zweitens an Einfühlungsvermögen anderen Menschen gegenüber. Genau diese Eigenschaften wurden über Phineas Gage berichtet, nachdem ihn die Eisenstange am Frontalgehirn verletzt hatte. In den USA wird der Anteil an „Soziopathen“ bei Männern auf drei Prozent geschätzt, bei Frauen auf ein Prozent und bei Häftlingen beträgt er 75 Prozent.
    Forscher haben Kerne und Areale im Inneren des Gehirns lokalisiert, in denen Potenziale für Aggressionen entstehen und jene, in denen sie kontrolliert oder gebremst werden. Zu ihnen gehört der präoptische Kern, der über den Augen liegt – er ist einer der wenigen Gebiete im Gehirn, die beim Mann größer sind als bei der Frau.
    Die angebliche Deckungsgleichheit des Gehirns des Mannes und der Frau – und umgekehrt die angeblich himmelhohen Unterschiede füllen Bücher. Der Präsident der Universität Harvard Lawrence Summers etwa zog sich den Zorn vieler zu, als er im Jänner 2005 behauptete, Frauen hätten keine „innere Befähigung zu besonderen Leistungen in Naturwissenschaften und Mathematik“. Schließlich habe seine Tochter Spielzeugautos mit Namen wie „Daddy Truck“ versehen oder „Baby Truck“. Summers nahm die Aussage wieder zurück – unter dem Druck demonstrierender Frauenrechtlerinnen.
    Unbestritten ist, dass Männer aggressiver sind oder ihre Aggressionen weniger zügeln als Frauen.

    usw.

  • Über die nimmermüden US-Wissenschaftler, stets der Wahrheit auf der Schmalspur, hatte die SZ zuvor bereits berichtet:

    „Neurowissenschaftler haben neuartige Lügendetektoren entwickelt, die direkt in das Gehirn blicken. Als Kunden haben sie vor allem Behörden wie FBI und CIA im Blick.“

    Zwei amerikanische Firmen sind kurz davor, neue Geräte auf den Markt zu bringen, die Menschen der Lüge überführen sollen. Sie nutzen die funktionelle Magnetresonanz-Tomographie (fMRT), die Live-Einblicke in die Gehirnaktivität von Menschen liefert.

    Der Hirnscanner misst, wie viel sauerstoffreiches Blut in welchem Hirnareal vorhanden ist – was Rückschlüsse auf aktive Nervenzellen zulässt.

    Während der Messungen werden Sauerstoff-Atomkerne dank ihrer spezifischen Reaktion auf ein äußeres Magnetfeld erkannt. Es entsteht eine Aktivierungskarte des Gehirns. Dieser direkte Einblick in das Gehirn soll bessere Ergebnisse liefern als der klassische Lügendetektor, der Polygraph.

    Anders als der Tomograph misst dieser physiologische Parameter wie Herzschlag, Blutdruck und Schweiß auf der Haut – Werte, die sich ändern, wenn ein Mensch nervös wird. Die simple Grundannahme ist: Versucht ein Befragter zu lügen, ist er angespannter, als wenn er die Wahrheit sagt.

    Obwohl eine umfangreiche Studie der amerikanischen National Academy of Science bereits 2003 zu dem Schluss kam, Polygraphen seien unzuverlässig, werden sie in den USA noch immer vor Gericht verwendet.

    Das soll sich ändern, hoffen die amerikanischen Unternehmen No Lie MRI sowie Cephos und bieten als Alternative die Gehirnscanner an. No Lie MRI verspricht im Internet „das erste und einzige direkte Maß für Lügendetektion in der menschlichen Geschichte“.

    Auch Steve Laken, Vorstand von Cephos, ist von der neuen Technik überzeugt: „Unsere Stärke ist, dass wir genau dort messen, wo das Lügen passiert.“

  • Auch das US-Militär betreibt natürlich wie verrückt Gehirnforschung:

    Es geht dabei darum, den gemeinen GI im Feld und im arabischen Quartier mit übermenschlichen Gehirnkapazitäten auszustatten.

    Die Süddeutsche Zeitung schreibt heute:

    ür dieses Ziel entwickeln Ingenieure und Wissenschaftler, ausgestattet mit vielen Milliarden Dollar aus dem amerikanischen Wehretat, innovative Waffen, leistungssteigernde Kriegsmontur und mixen Wunderdrogen, die dafür sorgen, dass der Soldat der Zukunft unermüdlich läuft und läuft und läuft. Das Projekt heißt: „Future Force Warrior“.

    Beobachter von Kriegen haben längst gelernt, dass Soldaten in Gefechtssituationen wie gestresste Büroarbeiter leiden – an Informationsüberflutung. Um dem Wust an Eindrücken, Geräuschen, Meldungen und Befehlen Herr zu werden, hat die Darpa, die Forschungsorganisation des Pentagon, vor einigen Jahren das Projekt „AugCog“, kurz für „Augmented Cognition“ („Erweiterte Wahrnehmung“) angestoßen.

    Damit ein Infanterist während eines Häuserkampfes nicht unnötig mit Funkverkehr abgelenkt wird, überwachen im Gefechtshelm eingebaute Elektroden die Hirnströme des Kämpfers. Daraus ermittelt ein Rechner, ob der Soldat ansprechbar ist oder sich in einer Stresssituation befindet.

    Auch in ein Fernglas, das mit einer Sichtweite von bis zu zehn Kilometern ausgestattet, ist wird dieses System integriert. Noch bevor der Soldat eine Gefahr bewusst erkennt, soll sein EEG bereits brenzlige Situationen an die Einsatzzentrale melden. Hier stand ein Science-Fiction-Film Pate. Das vom Pentagon erdachte Superauge nennt sich „Lukes Fernglas“ nach dem Feldstecher, durch den Luke Skywalker im „Krieg der Sterne“ späht.

    Dabei ist der effektive Umgang mit Information natürlich längst nichts alles. Ein weiteres Problem, das die Darpa angehen will, ist die Übermüdung von Soldaten im Kampfeinsatz. An der Columbia University in New York experimentiert der Neuropsychologe Yaakov Stern mit transkranieller Magnetstimulation (TMS).

    Wenn Strom durch einen Spulendraht fließt, baut sich ein schwaches Magnetfeld auf, das Hirnzellen anregen kann. Diese Spule kann so justiert werden, dass sie die Neuronentätigkeit gezielt fördert – ein Mittel, das inzwischen gegen Schizophrenie und Depression eingesetzt wird.

    Bei richtiger Einstellung stimuliert es auch jene Gehirnareale, die bei Übermüdung nur unzureichend arbeiten. Droht ein Soldat beim Nachteinsatz wegzunicken, rüttelt ihn diese Spule wieder wach. Doch Stern warnt: „Diese Technik lässt sich in naher Zukunft einsetzen, wenn man unausgeschlafen ist. Das Ziel darf aber nicht sein, den Schlaf abzuschaffen.“
    All diese Forschung ginge nicht ohne viel Geld. Entsprechend ist das Forschungs- und Entwicklungsbudget des Pentagon von 47 Milliarden Dollar im Jahr 2002 auf 75 Milliarden in diesem Jahr angewachsen. Der auf die Darpa entfallende Anteil beträgt 2008 allein rund drei Milliarden Dollar, eine Summe, die 2009 um elf Prozent angehoben werden soll.

    Damit finanziert der amerikanische Steuerzahler die Zukunft einer globalen Kriegsmaschinerie.

  • „Gedankenforschung“ –

    So nannte die Gottlieb Daimler- und Karl Benz-Stiftung ihr Symposium im Konrad-Adenauer-Haus über die neuesten und für den Mercedes-Konzern schönsten Ergebnisse der Gehirnforschung. U.a. referierten dazu der Psychologe Holger Höge und der Hirnforscher Manfred Spitzer.

    Eine ähnliche Tagung veranstaltete kürzlich auch die noch reaktionärere Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung – über den derzeitigen Stand der Gehirnforschung. Das interessiert auch noch den verstocktesten Couponschneider, ja, ihn vor allen anderen…

    Die Tagungsergebnisse werden von Amazon.de verkloppt – unter dem Titel „Der Mensch und sein Gehirn“. In der „Produktbeschreibung“ – nicht des Gehirns, sondern des Buches heißt es:
    Unter den vielen Merkmalen, die die biologische Besonderheit des Menschen ausmachen, steht das Gehirn an oberster Stelle: seine Grösse, seine Komplexität und seine Funktion machen es zu einem zentralen Organ, aber auch zum rätselhaftesten überhaupt. Dass man im Begriff sei, das Rätsel des Gehirns zu lösen, wurde von den Neurowissenschaftern in den letzten Jahren immer wieder verkündet – schliesslich werden die neunziger Jahre «das Jahrzehnt des Gehirns» genannt. Vom derzeitigen Stand der Gehirnforschung konnte man letztes Jahr bei einer hochkarätig besetzten internationalen Tagung der Münchener Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung einen umfassenden Eindruck bekommen. Die dort gehaltenen Vorträge sind jetzt in einem Band der Serie Piper nachzulesen – eine nicht nur für Naturwissenschafter spannende Lektüre. Denn hier wird das Gehirn von allen Seiten durchleuchtet. Neben den neuronalen Funktionen und der «Chemie des Gehirns» werden die «Sprachverarbeitung und ihre neuronalen Grundlagen», das «soziale Gehirn des Menschen», die Zeitwahrnehmung und das Bewusstsein behandelt. Auch biologische und evolutionsbiologische Aspekte der Neurologie werden beschrieben. Insofern als evolutionsbiologische Überlegungen auch in den anderen Beiträgen implizit zur Sprache kommen, ist der Untertitel des Bandes programmatisch. Was weder Titel noch Untertitel ausdrücken, ist die allgemeine Beschäftigung der Neurowissenschaften mit Sprache und Spracherwerb, mit dem Entstehen von Sprache und ihrer Repräsentation im Gehirn. Denn die Sprache, darin scheint man sich einig zu sein, verleiht dem Menschen nicht nur seine soziokulturelle Auszeichnung, sondern hat entscheidend zur Entwicklung seines Gehirns beigetragen. Das Rätsel der Sprache ist eng mit dem Rätsel des Gehirns verwoben und, wie dieses, noch lange nicht gelöst. Denn trotz den enormen Fortschritten der Neurobiologie, die in diesem Band dokumentiert werden, ist das menschliche Gehirn immer noch ein rätselhaftes Organ.

  • Wenn die Synapsen japsen:

    Die schlechte Nachricht zuerst:
    „Hirnforscher fürchten Brain-Drain“, schreibt BerliNews. Besonders die sich nur Elite nennende deutsche Schweinebande ist an den Ergebnissen der Hirnforschung hochinteressiert, sie ersetzt ihnen die Schädelkunde der Nazi-Rassenforscher aufs Amerikanischste – und kommt doch stets zu dem Ergebnis: die Angehörigen der arischen Elite bzw. jeder (kaukasischen) Elite haben auch immer die besten, fähigsten und brauchbarsten Gehirne.

    Nun die gute Nachricht:
    Neues Programm der Hertie-Stiftung für exzellente Neurowissenschaftler will Abwanderung verhindern
    Die Gemeinnützige Hertie-Stiftung hat das „Hertie-Exzellenz-Programm Neurowissenschaften“ im Gesamtvolumen von 1,2 Millionen Euro ins Leben gerufen. Mit diesem Stipendienprogramm will sie Hirnforschern, die trotz ihrer exzellenten Leistungen keine weiteren zeitlich befristeten Arbeitsverträge mehr erhalten können, die Fortsetzung der beruflichen Laufbahn in Deutschland ermöglichen und eine Abwanderung ins Ausland verhindern.

  • Gehirndrogen:

    Nach der Wende wurde die DDR mit Umschulungs- und Weiterbildungszentren überzogen. Der Westberliner Regisseur Harun Farocki begleitete diese deutsch-deutsche Reeducation-Maßnahme – und machte daraus bisher drei aufklärerische Filme: „Leben BRD“ (1990), „Die Umschulung“ (1995) und „Die Bewerbung“ (1997). In den Bildungszentren wird den Schülern u.a. beigebracht, wie man sich richtig bewirbt. Es sind vidoegestützte Auftritts-Schulungen, in denen das wirkliche Leben geübt werden soll – für eine neue Gesellschaft, die laut Farocki vollständig auf ihr Abbild hin operiert.

    „Angst haben alle“, sagt einer der Ausbilder in dem Film „Umschulung“. Der vom Arbeitsamt bezahlte Kursus dient denn auch zur Bekämpfung dieser Lebensangst, die inzwischen einschließlich der Umschulungskurse ganz Westdeutschland erreicht hat. Dies ist vielleicht die letzte große sozialstaatliche therapeutische Maßnahme – auf der „830-Kilometer-Couch BRD“, wie der Sozialphilosoph Ulrich Sonnemann das vorzeitig genannt hat.

    In den USA ist man schon weiter – hier sucht man das Heil statt in der teuren Staatspädagogik eher in privat bezahlter Biochemie: Paxil heißt dort z.B. eine Pille, die bei Schüchternheit, Blödigkeit, Sinnverlust und Verklemmung hilft. Als man sie erfand, wußte man zunächst nicht, wofür. Aber dann stieß man bei der Krankheit „Social Anxiety Disorder“ auf ein Einsatzfeld. „The way to sell drugs is to sell psychiatry illness,“ so beschreibt der Bioethiker Carl Elliott die allem Aufklärungsdenken entrückte Profitlogik in der Pharmabranche.

    Das Publikum nahm die „Sozialangst“ und ihr Gegenmittel Paxil jedoch zunächst nicht gut an: Bis 1998 gab es dazu ganze 50 Erwähnungen in den Medien. Der Pharmakonzern Glaxo SmithKline startete daraufhin eine mehrere Millionen Dollar teure Werbekampagne für das Mittel. Zugleich wurden von unten einige Selbsthilfeorganisationen – wie die „Anxiety Disorders Association of America“ und die Gruppe „Freedom From Fear“ angeschoben, sowie die „American Psychiatric Association“ mit ins Boot geholt. Diese begründeten ihre Kampagne für die Droge damit, daß Nonprofitorganisationen wie sie nie mit einer „potent public health message“ herauskommen könnten, wenn nicht ein mächtiger Pharmakonzern dahinter stünde, wobei sie jedoch den Namen des Produkts – in diesem Fall Paxil – nie nennen würden. Der für das Produkt verantwortliche Direktor bei Glaxo SmithKline sagte es so: „Jeder Anbieter träumt davon, einen unbekannten Markt zu entdecken und zu entwickeln. Genau das gelang uns bei der Sozialangst“.

    Die Washington Post berichtete kürzlich, daß sich die teure Werbungs- und Aufklärungskampagne auf dem heiß umkämpften Markt für Antidepressiva bezahlt gemacht habe – im letzten Aktionärsbericht verkündete der Pharmakonzerns stolz: Paxil „became No.1 in the U.S. selective serotonin reuptake inhibitor markte for new retail prescriptions in 2000“. In den Medien wurde Paxil mehr als 1 Milliarde mal erwähnt.

    Die Pille für Stille, wie die Hamburger „Woche“ das in Deutschland unter dem Namen „Seroxat“ vertriebene Mittel nennt, hat allein in den USA zehn Millionen potentielle Käufer – so hoch schätzen dort medizinische Experten der Paxil-Werbekampagne die Zahl der Sozialphobiker. In der auf Appeal und Appearance erpichten Gesellschaft werden zudem immer mehr Leute von Lampenfieber befallen – in New York gilt das Lampenfieber bereits als „neue In-Krankheit“, wie die Woche schreibt. Auch dagegen hilft Paxil.

    Für die Journalistin Anjana Shrivastava ist der irre Verkaufserfolg dieser Droge Ausdruck eines seit den Reaganomics übersteigerten Selbstdarstellungs- und Präsenz-Wahns, der vor allem den Mittelschichtfrauen zusetzt, bei denen die anerzogene Schüchternheit und Bescheidenheit in der ihnen auferlegten Karriere bremsend wirkt. Sie werden von dreierlei Anforderungen belastet: „Einmal vom Schönheits- und Jugendgebot, dann vom Mutterideal und schließlich vom Erfolg im Beruf. Ohne diese Drogen könnten die Frauen nur ein ganz, ganz einfaches Leben führen. Die Natur des Menschen ist vielfach den Anforderungen des modernen Großstadtlebens nicht mehr gewachsen, deswegen muß die Chemie hier helfend eingreifen“. Bei dieser – ob nun pädagogischen oder pharmazeutischen – Nachhilfe gehe jedoch etwas Wesentliches verloren.

    Die „Blödigkeit“ ist nämlich eine Tugend! In seiner ausführlichen Studie darüber resümiert der Gießener Germanist Georg Stanitzek, „daß Blödigkeit letztlich nur ein Zögern des Individuums vor dem Eintritt in die Moderne darstellt“. Die Gebildeten im Vorfeld der Französischen Revolution haben der mangelnden Selbstdarstellungskraft des aufstrebenden Bürgertums gegenüber dem alten Adel denn auch ganze Ratgeber-Bibliotheken und -Zeitschriften gewidmet. Seitdem ist die „Blödigkeit“ als Wort aus der Mode gekommen, jedoch nicht der Fakt, daß man öfter als einem lieb ist, das Gefühl hat, sich wieder mal weit unter Wert verkauft oder sonstwie daneben benommen – d.h.: nicht im rechten Licht gezeigt zu haben.

    Das Bildungsbürgertum des 18.Jahrhunderts unterschied hierbei jedoch: Was der Mann auf Teufel komm raus zu überwinden hatte, galt bei der Frau als überaus schicklich: Das Erröten, Stottern, verstockte Schweigen, schüchtern die Augen Niederschlagen etc.. Für Jean Paul liegt die „männliche Blödigkeit blos in der Erziehung und in Verhältnissen; die weibliche tief in der Natur“. Zahlreich ist die Literatur, die Georg Stanitzek „zur männlichen Hochschätzung der weiblichen Einfalt“ zusammengetragen hat – angefangen mit Friedrich Schiller, über dessen eifriges Lob der biederen Hausfrau – z.B. im „Lied von der Glocke“ – die adligen Damen in seinem Lesesalon sich noch totlachen konnten. Spätestens ab dem ersten Schillerdenkmal war es Millionen deutscher Lehrer damit jedoch toternst. Als Inbegriff weiblicher Attraktivität galt – z.B. in den „Moralischen Wochenschriften“ – eine „beständige Schamröthe“. Stanitzek hat nur einen – den Königsberger Polizeipräsidenten Gottlieb von Hippel – in der ganzen „Riege der Aufklärer“ ausmachen können, der – anonym (!) – festgehalten hat, daß auch für Frauen gelte: „Hunger macht feige, Mangel blöde, Unterdrückung verzagt“, und der darauf pochte, daß man „ihre Vernunft durch unzeitige Blödigkeit nicht vor wie nach zurückhalten“ solle.

    Dieser ganzen frühbürgerlichen Auftrittsschulung, vor allem für Männer, tritt dann Friedrich Hölderlin entgegen, der – ähnlich wie vor ihm Rousseau – auf seine Blödigkeit beharrt, die ihm zum eigentlichen „Dichtermuth“ wird und umgekehrt. „Blödigkeit – ist nun die eigentliche Haltung des Dichters“, schreibt Walter Benjamin. Neuerdings kann auch ihre Bekämpfung wieder künstlerisch wertvoll genannt werden: So wurde z.B. die autobiographische Bearbeitung der Paxil-Drogenvorläuferin „Prozac“ – d.h. der Roman „Prozac Nation“ von Elisabeth Wurtzel – ein voller Bucherfolg, der die Autorin reich und berühmt machte, obwohl sie nur die etwas magenfreundlichere Prozac-Vorläuferin Zoloft regelmäßig einnahm.

    Aber mit Prozac kam eine neue Art von Drogen (ohne unmittelbare Nebenwirkungen) auf – die sogenannten Neutrotransmitter: sie sind inzwischen Kult. Seitdem gibt es tausende von Gehirnchemikalien. Prozac wurde nur als erster Brandname berühmt. Mitunter wird es mit Edronax abgewechselt, das die Konzentrationsfähigkeit unterstützt, jedoch kein „Glücksgefühl“ hervorruft. Prozac andererseits bewirkt bei vielen einen derartigen Antrieb, daß sie sich permanent gestresst fühlen – und indem sie ständig unter Strom stehen, neigen sie dazu, Probleme zu verdrängen. Die Antistress-Droge Zoloft wiederum wird Leuten empfohlen, „die dazu neigen, unter zu gehen“. Dies alles laut Aussagen von Patienten und Ärzten, die mit diesen Drogen arbeiten. Wobei hinzugefügt sei, daß sich die Zahl der Depressionskranken in den USA ständig erhöht, erklärt wird das mit der zunehmenden Komplexität des Alltags und seinen wachsenden Unwägbarkeiten, aber auch mit falscher Ernährung.

    Dabei wird komischerweise stets das ausgeklammert, was in den „Beschreibungen des Individuums im 18.Jahrhundert“ (so der Untertitel der Doktorarbeit von Georg Stanitzek) noch zentral bzw. das Ziel war: „Gesellschaft ist Geselligkeit, in der die Menschen einander ‚freudig‘, ‚gleich‘, ‚offen‘ begegnen, ist konversierende Interaktion, in der die Teilnehmer sich sympathisierend, symmetrisch, aufrichtig miteinander ins Verhältnis setzen“. Jetzt gilt dagegen eher Margret Thatchers Bonmot: „Ich kenne keine Gesellschaft, sondern nur Individuen!“ Dies erhellt vor allem den Way of Life in Amerika, wohin meist solche Leute auswandern, die von ihrer Gesellschaft die Schnauze voll haben – und sich nun in der neuen Heimat nur noch um sich selbst und ihr eigenes Fortkommen bekümmern wollen. Kein Staat der Welt räumt denn auch dem Individuum so große Spielräume ein wie die USA – es ist dies freilich ein abstraktes und fetischisiertes Individuum. Soll man nun bei etwaigen konkretistischen Problemen seinen Gehirn-Synapsen auf die Sprünge helfen oder dem gesellschaftlichem Umfeld?

    Bisher gab es mit der Sowjetunion, wo das Individuum im Zweifelsfalle nichts und die Gesellschaft alles galt, ein Gegengewicht zur amerikanischen Ego-Kultur. Im Endeffekt eine Art von Yin und Yang. Mit der Selbstauflösung des sozialistischen Lagers ist diese globale Balance jedoch zusammengebrochen. Alle müssen sich nun umschulen! Der chemikalischen Kur steht in Deutschland einstweilen noch das defizitäre Krankenversicherungswesen entgegen. Außerdem – so sagt es ein Berliner Arzt mit amerikanischen Patienten, „wirken die Medikamente bei Amerikanern besser als bei Deutschen“. Aber auch wir werden der Gehirndrogen-Welle nicht entkommen – eventuell mit einem staatspädagogischen Zusatz oder wenigstens einer gesundheitsministeriellen EU-Warnung dann. Schon jetzt bekommen Leute, die psychische Probleme hatten, oftmals hier zu hören: Er oder sie hat „die Krankheit noch nicht überwunden“. Und das ist vorwurfsvoll gemeint: Er oder sie hat sich eben nicht genug angestrengt – für die Gesellschaft, für die Geselligkeit.

    Beim Umbau des Staates von einem Wohlfahrts- zu einem Sicherheitsstaat, wird diese Mißbilligung „von unten“ zu einem billigen Vorwurf von oben. Kürzlich hat die slowenische Philosophin Alenka Zupancic, dazu auf Deutsch „Das Reale einer Illusion“ veröffentlicht. Ihr „Lehrer“ Slavoj Zizek fragte sich bei der Lektüre, „wie ein solch authentisches Denken heute überhaupt noch möglich ist“. Dabei gibt die Autorin gerade zu bedenken: „Es geht nicht etwa um einen Aufruf ’nach unseren tiefsten Überzeugungen‘ zu handeln, eine Haltung, der heute eine Ideologie entspricht, die uns ermahnt, unseren ‚authentischen Neigungen‘ und unserem ‚wahren Selbst‘ Gehör zu schenken.“ Denn „das Kennzeichen einer freien Handlung liegt darin, dass sie den Neigungen des Subjekts ganz fremd ist“, wie Zupancic anhand ihres Traktats „über“ Kant, das eine „Rückkehr zur Zukunft“ ist, herausarbeitet. Es geht darin um Kants „Ethik“, die im Zuge der Umwandlung des Sozialstaats zu einem Sicherheitsstaat, der mit kostengünstigen Gesetzen nur so um sich wirft, immer mehr in deren Dienste genommen wird: Und das eben ist von Übel! Denn dadurch wird die Ethik etwas „im Kern Restriktives, eine Funktion“. Möglich wird dies laut Zupancic dadurch, dass man „jeder Erfindung oder Schöpfung des Guten entsagt und ganz im Gegenteil als höchstes Gut ein bereits fest Etabliertes oder Gegebenes annimmt (das Leben etwa) und Ethik als Erhaltung dieses Gutes definiert.“ Das Leben mag die Voraussetzung jeder Ausübung von Ethik sein, aber wenn man aus dieser Voraussetzung das letzte Ziel der Ethik macht, ist es Schluß mit der Ethik. Sie basiert nunmehr auf einer regelrechten Ideologie des Lebens. „Das Leben sagt man uns, ist zu kurz und zu ‚kostbar‘, um sich in die Verfolgung dieser oder jener ‚illusorischen‘ Projekte verstricken zu lassen“. Die Individuen müssen sich immer öfter Fragen lassen: Was hast du aus deinem Leben gemacht? Du hast zehn Jahre mit einer Sache verloren, die zu keinem greifbaren Ergebnis geführt hat? Du hast keine Nachkommen? Du bist nicht einmal berühmt? Wo sind denn die Ergebnisse deines Lebens? Bist du wenigstens glücklich? Nicht einmal das! Du rauchst?“ (In bezug auf letzteres sei erwähnt, dass das Verschwinden der Raucher aus den US-Filmen dazu geführt hat, dass es die „Smokers“ bereits zu einer eigenen Kategorie des US-Pornofilms gebracht haben).

    Zupancic fährt fort: Man wird nicht nur für sein Unglück verantwortlich gemacht, die Lage ist noch viel perverser: das Unglück wird zur Hauptquelle der Schuldigkeit, zum Zeichen dafür, dass wir nicht auf der Höhe dieses wunderbaren Lebens waren, das uns ‚geschenkt‘ worden ist. Man ist nicht etwa elend, weil man sich schuldig fühlt, man ist schuldig, weil man sich elend fühlt. Das Unglück ist Folge eines moralischen Fehlers. Wenn du also moralisch sein willst, dann sei glücklich! Nach diesen uns allen nur allzu bekannten Schlußfolgerungen aus der scheußlichen Indienstnahme der Ethik durch das Gesetz, versteht man, warum Zizek auf Zupancic‘ Traktak „neidisch“ reagierte und sich im Vergleich zu ihr wie ein philosophischer Schwätzer vorkam. Der Autorin geht es mit Lacan darum, „dass der Kampf für ein Reales der Ethik zu wichtig ist,…um ihn den Moralisten zu überlassen.“ Was heute um so dringlicher erscheint, da die Ethik inzwischen zu einer der Ordnungsbegriffe der ’neuen Weltordnung‘ geworden ist.

  • Es gibt eine zunehmende Zahl von „Stimmenhörern“, also Leute, denen ständig von irgendwoher Befehle gegeben werden: „Bring sie alle um!“ oder „Verpiss Dich!“

    Sie wenden sich meist zuerst an den Staat – insofern fremde Sender ihnen direkt ins Gehirn funken, die deswegen vom BKA aufgespürt und ausgeschaltet werden müssen, so ihre Forderung. Als besonders hellhörig galt der berühmte Westberliner „Sendermann“, indem er nächtens an alle Mauern schrieb: „Der Senat foltert mit getexteten Reden“. Es wurde daraufhin tatsächlich öfter frei geredet – nicht nur im Senat.

    In der Zeitschrift „Gegner“ und hier im blog veröffentlichte der Ostberliner Kybernetiker Frank Possekel unter dem Titel „Neurofaschismus“ einen langen Bericht über seinen Kampf gegen gleich zwei Stimmen (eine gute und eine böse), die ihn seit über einem Jahr in den Selbstmord treiben wollen. Auch er wandte sich erst einmal an das BKA – die verwiesen ihn an eine „Stimmenhörer-Selbsthilfegruppe“ in Treptow. Die Stimmenhörer gelten nicht selten als Querulanten. Ihre Querulatorik besteht darin, dass sie darauf bestehen: Da draußen existiert ein realer Feindsender, der ihnen Befehle eingibt. Sie können sich dabei auf US-Experten wie Burroughs und Pynchon berufen, für die ein Paranoiker jemand ist, „der alle Fakten kennt“.

    Im wachsenden Heer dieser Querulanten befinden sich nur wenig Frauen – vielleicht weil sie anpassungsbereiter und im Hinblick auf die nun gefragten kommunikativen Fähigkeiten wie „soziale“ und „emotionale Intelligenz“ besser gewappnet sind. Aber unter den Paranoikern, die sich z.B. an die taz wenden, gibt es auch zwei Frauen: Während die eine sich eher bieder-religiös abstrampelt und schreibt, schwingt die andere sich gelegentlich zu genialen poetischen Mitteilungen auf: „Nazi-Fälle“ von ihr genannt. Für alle Q. gilt jedoch: Je länger man sich mit ihnen beschäftigt, desto mehr schätzt man sie – um schließlich fast jeden Briefeschreiber als Q. einzuschätzen, womit der Begriff vollends seine Bedeutung verliert. Was bleibt, sind nur die Grade der Q.: Gemessen an der Länge und Häufigkeit der „Mails“ bzw. ihrer Intensität und Penetranz.

  • Zu dem obigem Nietzsche-Abbremser sei noch hinzugefügt:

    In seinem Buch über den „Circulus vitiosus deus“ schreibt Pierre Klossowski: „Die Bildung des Verstandes auf dem Gebiet der tierischen Biologie erfordert eine explorative Progression, für die das Gehirn ein Instrument bildet: bei Nietzsche gibt es eine Tendenz zur Befreiung der Exploration gegenüber dem Instrument, da letzteres das Erforschte seinen begrenzten funktionellen Grenzen unterordnet. Daher strebt Nietzsche nach einer Dezentralisierung (also nach Ubiquität). Und daher auch die Ablehnung eines ‚Denksystems‘.“

  • Zum Verhältnis von Basis und Überbau (Rumpf und Kopf):

    Von Alexander Kluge stammt der Nachweis, daß auch Orte, Plätze und
    ihre darin gespeicherte Geschichte die Menschen prägen: Diese bilden sich nur ein, daß sie gemäß ihrer Interessen und Leidenschaften handeln, in Wahrheit diktiert ihre Umgebung ihnen die Pläne geradezu gnadenlos. Jean Baudrillard sprach in einem anderen Zusammenhang von „Objektstrategien“. Für die sowjetische Schriftstellerin und Kommissarin Larissa Reissner waren diese noch ein frommer Wunsch, als sie 1920 in Kabul die erste und einzige Fabrik dort besuchte – eine englische Tuchweberei – und die unter fürchterlichen Bedingungen arbeitenden ersten afghanischen Proletarier sah. Anschließend schrieb sie: „Wenn Gegenstände ihren Besitzern Glück oder Unglück bringen, dann würde ich jene nicht beneiden, die diese vom gesunden Klassenhaß durchtränkten Mäntel und Decken ihr Eigen nennen werden“.

    In der allgemeinen Ablehnung der sogenannten „Montagsautos“ hat sich dieser frühsowjetische Gedanke bis heute erhalten. Aber jetzt gibt es einen Berliner Wissenschaftler, Dr.Salm-Schwader, der das Phänomen quasi wissenschaftlich erforscht. „Nehmen wir nur unsere immer hygienischer hergestellte tägliche Milch – von unglücklichen Kühen, die nur noch sechs Jahre als Hochleistungsträger leben dürfen, deren gesamte Existenz auf die Milchproduktion ausgerichtet ist, die ihre computerisierten Ställe nicht mehr lebend verlassen dürfen, deren ganze Krankheitsmöglichkeiten – als einzige Form des Widerstands gegen diese Zurichtung – sich auf ihre Euter konzentrieren…nehmen wir all diese hochindustrialisierten Lebensbedingungen der heutigen Kühe zusammen, dann ist es inzwischen den meisten klar, daß die dabei gewonnene Milch reines Gift für die Menschen und insbesondere für Kinder geworden ist! Aber das muß man erst einmal beweisen“. Dr. Salm-Schwader ist es gelungen!

    Den Anfang dazu machte er bei der Sportswear: also bei den Klamotten der Textil- und Schuhkonzerne Adidas, Puma, Nike, Reebock und wie sie alle heißen. Diese werden zumeist in Steueroasen und Billiglohnzonen in China, Malaysia, Mexiko und der ehemaligen Sowjetunion hergestellt – fast immer von jungen Frauen, die gewerkschaftsfern von ihren Chefs auch sexuell ausgebeutet werden und keine Möglichkeit des Aufbegehrens haben, weil die Alternative zu diesen „Arbeitsverhältnissen“ nur in der Prostitution besteht. Alle Tränen der Wut und der Verzweiflung dieser Sportswear-Näherinnen, vor allem ihr Schweiß, der ihnen in den nichtklimatisierten überhitzten, staubigen und lauten Hallen in Strömen von der Stirn tropft, und sogar ihr Blut, daß sie an den alten, ungesicherten Maschinen vergießen, wenn sie einmal einen Moment unaufmerksam sind – all das geht in diese gottverdammten Kleidungsstücke ein. Die Sportswear, der Edelmarken ebenso wie der Produktpiraten und Billiganbieter, wird inzwischen fast überall auf der Welt verkauft. Und wer trägt sie letztendlich? Fast ausschließlich junge Männer, die sich mit Gelegenheitsverbrechen, mindestens Beziehungsbetrügereien, über Wasser halten – die an den Ecken stehen und auf eine günstige Gelegenheit warten,Neonazis, die auf Ausländer schimpfen und sie sogar verfolgen, miese alkoholisierte Fußballfans, die öffentliche Nahverkehrsmittel vollkotzen sowie völlig verblödete Bildzeitungsleser und Praliné-Wichser…Kurzum: dieses ganze Kleingaunertum (es gibt inzwischen weltweit kein einziges unintelligentes Verbrechen mehr, bei dem die Täter nicht mindestens Turnschuhe trugen!) – das ist kein Lumpenproletariat mehr, das ist auch nicht die Rache der Chromosomen, sondern die unmittelbare Wirkung der von ihnen favorisierten Sportswear, d.h. des in deren Gewebe gespeicherten Hasses auf die Globalisierung.

    Die schwarzen Jugendlichen in den Ghettos, die als erste diese Sportswear trugen, haben es vielleicht noch geahnt: Das Schweinesystem hatte die Black Panther Partei ihrer Eltern zerschlagen, aber deren message „“Black is beautiful“ hatte überlebt. Damit hatten sie ihnen eine Fluchttür geöffnet: das Show- und Schlagerbusiness. Und über dieses Entertainment für Weiße wurde die von ihnen getragene Sportswear zur weltweiten Mode. Inzwischen ist sie für russische Profikiller ebenso wie für die Mitglieder der berüchtigten mandschurischen Hammerbande, aber auch für brasilianische Zuhälterringe und Westberliner Herthafans geradezu zur Berufskleidung geworden.

    Jeder kann diese These von Dr. Salm-Schwader sofort nachprüfen! Er muß dazu nur ins nächste Ekelkaufhaus gehen, nacheinander verschiedene Sportswear-Kleidungsstücke anprobieren – und eine Weile damit vor dem Spiegel auf und ab gehen, dabei sich drehen und wenden…kurz: sich reinfinden. Wer noch nicht völlig verroht ist, wird merken, wie aus ihm – sagen wir: ein gut erzogener protestantischer Abiturient aus Hannover – dabei in Nullkommanichts ein mieser kleiner Drecksack wird. So schnell geht das. Und wenn man sich dann noch zu ganzen Sportswear-Rudeln zusammenrottet, dann wechseln sensible weibliche Teenager bereits von weitem die Straßenseite – und das zu Recht.

    Was hier wie ein Kontaktgift wirkt, verbreitet sich bei anderen Waren/Objekten weitaus subtiler und ist auch schwieriger nach zu weisen. Über die ebenfalls von solch erbarmungswürdigen jungen Frauen in der Dritten Welt zusammengekloppten Mobilfunktelefone – den sogenannten Handys – weiß man inzwischen, daß ihren Besitzern mit jeder Benutzung mehr das Gehirn erweicht, daß sie völlig verblödet im öffentlichen Nahverkehr ständig diese Dinger rausholen und anstarren und wenn sie sie benutzen so brunzdumme Sachen sagen wie „Ich sitze hier in der Straßenbahn und bin gleich da“ oder „Ich stehe hier im Stau und komme zehn Minuten später“. Daß die Handy- Besitzer auf diese unschöne Weise zu Vegetables und Idioten mutieren, ist dabei jedoch noch nicht mal das sozial Gravierendste.

    Viel schlimmer ist es, daß auch die von ihnen Angerufenen alle auf Dauer mit in den Verblödungsstrudel hineingerissen werden – und sogar alle, die von berufs wegen, also aus Staatssicherheitsgründen, mit dem Abhören dieser ganzen Dreckskommunikation befaßt sind. Auch hierzu hat Baudrillard bereits Erhellendes beigesteuert, als er einmal meinte: „Wir dürfen nicht mehr miteinander reden, wir müssen kommunizieren!“ Das heißt: die Schweinekonzerne wie Nokia, Siemens, Mortorola etc., die solche Geräte herstellen, entwürdigen und vertieren damit nicht nur ihre ganzen jungen schönen Arbeiterinnen in der armen Dritten Welt, sondern über die Käufer dieser Handys auch gleich noch die halbe Bevölkerung in den reichen Ländern. Das mag eine ausgleichende Gerechtigkeit sein, aber unter dem Strich kriegen wir es dabei mit Millionen von Verkrüppelten zu tun. Und dabei sind noch gar nicht all die Fälle mitgerechnet, die erbärmlich leidend und elendig an Gehirntumor oder Ohrenkrebs zu grunde gehen, nur weil sie mangels einer anständigen Lektüre im Bus unbedingt und ständig telefonieren mußten – ohne was zu sagen zu haben.

    Nur am Rande sei vermerkt, daß die Umweltforscher und Ökologen mit ihrer Warnung vor dem „Elektrosmog“ und der „Funkstrahlenverseuchung“ durch Handys natürlich wieder einmal rechtzeitig die richtige Antwort gefunden haben – jedoch erneut in der falschen Sprache (des kleinen Elektroingenieurs nämlich). Das gilt auch für ihre Kritik am Kinderspielzeug. So ist z.B. das Weltprodukt – „Barbie und Ken“ nicht deswegen gemeingefährlich, weil aus Plastik und mit PVC-Ausdünstungen umflort, sondern weil die jungen Arbeiterinnen in Indonesien, Honduras, Mexiko und Hongkong, die dabei stundenlang in Gluthitze und bei ohrenbetäubendem Pressenlärm stehen müssen, ständig vor sich hinfluchen: „Hoffentlich verrecken all diese elenden Kinder, die diese Barbie-Puppe geschenkt kriegen!“ Verrecken tun sie nicht, aber wenn sie später mal in die Nähe dieser Arbeiterinnen später geraten, merken sie sofort, daß sie selbst inzwischen zu einer dämlichen Plastik-Barbie-Puppe geworden sind – im Vergleich mit all den wirklich lebendigen Proletarierinnen um sie herum. Und das gilt selbst für solche Kinder, die nur in ein und der selben Schulklasse mit Barbiepuppenbesitzern waren. Im übrigen, was diese Flüche aus den mittelalterlich anmutenden Barbie-Puppen- Fabriken betrifft, so gehen selbst hartnäckige Leugner des Glaubens nicht so weit zu behaupten, daß solche Stoßgebete im Quadrat ihrer Entfernung abnehmen. Es nützt also überhaupt nichts, sich solche Puppen hunderte oder gar tausende von Kilometern entfernt in einem ruhigen Mittelschichts-Laden zu kaufen – klinisch verpackt!

    Das lebensverderbende Malediktum ist sozusagen in der Puppe inkarniert – und wird in jedem Fall mit all seinen verderblichen Wirkungen von den lieben Kleinen – sagen wir: in Dahlem-Dorf – inhaliert. Ganz ähnlich ist es mit den Energiesparlampen, die meist in chinesischen Arbeitslagern gefertigt werden, im Auftrag der großen Elektrokonzerne. Auch an diesen Objekten ist nicht so sehr der Quecksilbergehalt oder der überhöhte Preis verdammenswürdig – wie die Ökos und die Stiftung Warentest meinen, sondern die Produktionsbedingungen in den Lagern. Die Gefangenen dort haben nur eine einzige Möglichkeit der Rache, das ist das sogenannte Materiellwerden ihres Hasses, wobei auch hier wieder die Übertragung ihrer inneren Einstellung über Speichel, sonstige Körperabsonderungen und sogar Handberührungen geschieht. Und man kucke sich die ganzen Leute an, die irgendwo in ihrem Haus eine Energiesparlampe in Benutzung haben: Es sind durchweg alles üble Spießer , die – nur um völlig willkürlich ein paar Groschen Atomstrom zu sparen – buchstäblich über Leichen gehen würde – über chinesische in diesem Fall. Dagegen hilft auch kein Abwaschen der Lampen vor Benutzung. Wer sich solch einen durch und durch verdammungswürdigen Gegenstand kauft, der hat zu Recht sein Leben verwirkt – auch wenn er wie Ernst Jünger, Leni Riefenstahl und Luis Trenker oder all die anderen Nazibestien über 100 Jahre alt wird. Das Gegenteil ist sogar wahr: Wer Energiesparlampen kauft und selbst benutzt, der wird uralt – und das ist die größte Strafe!

    Dr.Salm-Schwader arbeitet zur Zeit an dem wissenschaftlichen Nachweis, daß auch Geschirrspülmaschinen, Staubsauger, Mikrowellenherde, CD-Player, Radios, Fernseher, Computer und Faxgeräte sowie normale Telefone letztendlich voll faschistisch sind, weswegen man Leute, die sich solch einen Scheiß kaufen bzw. benutzen wie die Pest meiden sollte.

  • Gehirn am Arsch:

    Der Ernährungsforscher Udo Pollmer meint, „das menschliche Gehirn ist evolutionsbiologisch eine Ausstülpung des Darms…Als die ersten organisierten Zallhaufen bemerkten, dass sie besser gedeihen, wenn sie sich andere Zellhaufen einverleiben, brauchten sie ein Nachrichtensystem im Verdauungskanal, das der Eintrittspforte den Wunsch nach Nachschub meldete. Und diese benötigte alsbald einen Sensor, der genießbare Zellen von Kieselsteinen unterschied. Aus diesem Grund sind die meisten Sinnesorgane nahe beim Mund angebracht – und deren Informationen müssen verarbeitet werden. Seither ist unser Gehirn ein Außenposten des Darms. Und deshalb obsiegt letztlich der Appetit über den Verstand.“ Pollmer spricht in diesem Zusammenhang von einem „Darm-Hirn, ENS: Enteric Nervous System“, das den Appetit regelt oder anregt. Nehmen wir an, das u.a. E.coli dahinter steckt, dann sind wir am Ende vielleicht bloß elende Statisten in einem Biofilm…

  • Lenins Gehirn:

    Ein „Mausoleum-Fonds“ ermöglicht es, daß zweimal wöchentlich eine zwölfköpfige Wissenschaftlerbrigade anrückt, um die notwendigen Restaurationsarbeiten an seiner Leiche durchzuführen. Sie tauschen mal hier einen Fuß und mal da eine Hand aus, wird behauptet. Sein schon 1924 entferntes Gehirn soll angeblich ein Wissenschaftler in seiner Aktentasche nach Amerika verschleppt haben, um es dort zu versilbern. Ilya Zbarski äußert sich darüber nicht. Trotz der Privilegien, die er „in all den Jahren im Schatten und im Schutz des Mausoleums genoß“, plädiert er nun dafür, Lenins Überreste, die eigentlich nur noch aus (leerem) Schädel und (mürben) Knochen bestehen können, endlich „zu beerdigen“.

    Ilya Zbarski: „Lenin und andere Leichen“, Klett-Cotta Verlag Stuttgart 1999

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