“‘Nun, da unsere Ziele dieselben sind, gibt es vieles, das uns in unserem Kampf verbindet’, sagte Wladimir Iljitsch Lenin. ‘Ja, sicherlich’, unterbrach ich ihn, ‘aber ihr verfolgt die Genossenschaften und ich bin für sie’.” (Peter Alexejewitsch Kropotkin)
Die meisten Genossenschaften gibt es in Kanada, den USA und Japan, in Europa gibt es die meisten in Italien und Tschechien sowie in der Slowakei. In Tschechien gibt es sie – mit Unterbrechung während der deutschen Okkupation – seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Entstanden sind sie wegen der starken ausländischen Konkurrenz – z.B. in der Textilindustrie. Deswegen taten sich z.B. einige kleine böhmische Textilunternehmer zusammen und gründeten eine Genossenschaft.
In der Schweiz gibt es bereits seit dem 15.Jahrhundert Genossenschaften – mit formeller Satzung, um z.B. “die Nutzung der Almen, der Wälder und des Ödlands besser zu regeln,” wie die Allmende-Forscherin Elinor Ostrom schreibt, die verschiedene Genossenschaften in der Schweiz, in Japan, in Spanien und auf den Philipinen studierte, um empirisch nach einen “dritten Weg” zwischen Verstaatlichung und Privatisierung zu suchen.
Das 2006 vereinfachte deutsche Genossenschaftsgesetz gleicht die Genossenschaften neoliberal den anderen Wirtschaftsformen an: Die Genossen heißen nun Mitglieder, aus dem Statut wurde eine Satzung, man braucht nicht mehr 7 sondern nur noch 3 Gründer, die jährlichen Pflichtprüfungen wurden entschärft und man kann bei den Genossenschaften nun fast (Re-)Aktionär werden.
In Tschechien hat die Regierung des von Ehrgeiz zerfressenen Neokons Vaclav Klaus in den Neunzigerjahren ein Genossenschaftsgesetz erlassen, dass diesen eine faktische Gleichstellung mit Kapitalunternehmen ermöglicht. Konkret heißt das z.B. dass eine mährische Genossenschaft, die Textilien produziert, sich ein Statut verpasst hat in dem die Stimmen der Genossen sich nach der Höhe ihrer Einlagen richten. Auf diese Weise bringen es der Vorsitzende und sein Stellvertreter auf 68% der Stimmen. Die Löhne der rund 200 Näherinnen bewegen sich an der untersten Grenze der Durchschnittslöhne, die in Südböhmen/Mähren gezahlt werden – und sie arbeiten dafür im Akkord.
Anders eine benachbarte Produktivgenossenschaft, in der Nagelscheren und Ähnliches sowie Taschen hergestellt werden. Hier herrscht noch ein relativ gemütliches Arbeitsklima, das sich wesentlich von den chinesischen Textilfabriken unterscheidet, in denen hunderte von jungen Mädchen für einen Hungerlohn im Akkord z.B. T-Shirts zusammennähen, angetrieben von miesen Vorarbeitern, die ihre Arbeiterinnen nicht selten nach Feierabend auch noch sexuell ausbeuten. Aber diese versklavenden Arbeitsbedingungen sind weltweit vorbildhaft – auch die tschechischen Produktivgenossenschaften müssen sich an ihnen messen: d.h. ihre Lohnkosten dürfen nicht wesentlich über den chinesischen liegen. Und in der technologischen Entwicklung sind die Chinesen inzwischen sowieso führend.
Also bleibt den tschechischen Betrieben nichts weiter übrig, als Marktnischen zu besetzen: Sie stellen z.B. tolle Uniformen für die Schweizer Armee her oder schicke Erste-Hilfe-Taschen für die österreichische Bundesbahn. Mitunter können sie auch einen Absatzmarkt mit ökologisch sauberen Produkten halten – z.B. Kinderspielzeug aus Buche mit Naturfarben bemalt. Solche Produkte leistet sich dann die obere Mittelschicht in Japan und Amerika. Und die solcherart teures Kinderspielzeug herstellende Genossenschaft freut sich natürlich, wenn chinesisches Billigspielzeug unter Blei- und Kadmiumverdacht gerät, auch wenn sie deswegen noch lange nicht in die US-Schweinekette “Toys R Us” aufgenommen wird.
In Deutschland gibt es nur wenige Produktivgenossenschaften, die meisten nennen sich schlicht Alternativbetriebe und haben sich als Verein, GmbH oder sogar AG registrieren lassen. Aber in Berlin gibt es die taz und die Junge Welt als eingetragene Genossenschaften. Die erstere ist älter und operiert enger am Markt. Dabei tut sich jedoch ein Widerspruch auf: während die 7900 Geldgeber – als Zeichner von Genossenschaftsanteilen – das “linke Projekt” mit ihrem Geld unterstützen wollen, drängt es die Redakteure zur (schwarz-grünen) Mitte. Dies hat zur Folge, dass es zunehmend schwieriger für die taz wird, weitere “Linke” als Genossen zu gewinnen. Die Redakteure mag das jedoch nicht anfechten, insofern sie darauf spekulieren, mit ihrem öko-konsumistischen Mainstreamkurs bald so erfolgreich wie z.B. die Bild-Zeitung zu sein – und damit gut und gerne auf weitere Genossen verzichten zu können. Hier ist die Genossenschaft also bloß ein finanzieller Nothebel, der mit dem eigentlichen Projekt kaum etwas zu tun hat. Wie es bei der Jungen Welt aussieht, weiß ich nicht genau.
Grundsätzlich gilt jedoch, dass Journalisten für jeden Genossen unsichere Kantonisten sind. Nicht umsonst galten sie den Bolschewiki als “Klassenfremde” – entfernter als die Verbrecher. Man muß sie deswegen besonders hart ins Joch zwingen. Pressefreiheit – d.h. für diese halbgebildete Schweinebande bloß, sich trotzdem einen Namen machen zu wollen. Ich weiß, wovon ich rede.
Neben den Berliner Mediengenossenschaften taz und JW gibt es noch die Schweizer WOZ (Wochenzeitung), die sich 1981 als Genossenschaft “infolink” gründete – und zusammen mit der taz die deutsche Ausgabe der französischen Monatszeitung “Le Monde Diplomatique” herausgibt. Die LMD gehört zu 49% einem Verein der Leser und zu 51% der Tageszeitung “Le Monde”. Neben einer deutschen und französischen Ausgabe gibt es eine arabische, bulgarische, englische, persische, finnische, griechische, koreanische, kroatische, polnische, russische, serbische, slowenische, spanische und ungarische Ausgabe sowie eine in Afrikaans und in Esperanto.
Die italienische Ausgabe liegt der kommunistischen Zeitung “Il Manifesto” bei, die 1969 als Genossenschaft gegründet wurde. 1995 verkaufte die “Cooperativo manifesto” 3000 Anteile à 330 Euro an ihre Leser, sie will sogar an die Börse gehen, aber 50,1% des Kapitals sollen im Besitz der Genossenschaft bleiben.
In der baskischen Kleinstadt Mondragon, die vor allem durch die weltgrößte Genossenschaft “Mondragon Corporacion Cooperativa” bekannt ist, gibt es auch noch seit 1989 eine Mediengenossenschaft namens Goienkaria. Sie gibt wöchentlich zwei Zeitungen heraus, eine davon kostenlos, sowie eine tägliche Internet-Fassung und betreibt außerdem einen Radio- und einen Fernsehsender – alles auf baskisch. Näheres dazu sowie zur MCC steht im blog-eintrag “Genossenschaften/Mondragon/Goienkaria (14)”.
Im Zusammenhang der Genossenschaftsmedien sei hier noch angefügt, dass auch die größte italienische Konsumgenossenschaft “coop” eine Mitgliederzeitschrift herausgibt. Diese Bologneser Genossenschaft wurde 1845 gegründet und betreibt heute mit 56.000 Mitarbeitern 1300 Supermärkte, in Kroatien heißen ihre Filialen “Ipercoop”.
Eine “coop zeitung” verlegt auch die Schweizer Konsumgenossenschaft “coop”. Unter ihrem Eigennamen betreibt die Genossenschaft, die 2,5 Mio Mitglieder hat, Supermärkte, Warenhäuser (“Coop City”), Restaurants, Heimwerkerbedarfsgeschäfte, Apotheken sowie Tankstellen- und Convenience-Shops (“Coop Pronto”). Zur Coop-Gruppe gehören ferner die Unterhaltungselektronik-Ketten “Interdiscount” und “Dipl. Ing. Fust”, das Möbelhaus “Toptip”, der Beleuchtungs-Fachmarkt “Lumimart”, die “IMPORT Parfumerien” und die “CHRIST”-Schmuckgeschäfte.
Die größte Schweizer Konsumgenossenschaft “Migros” gibt bloß allwöchentlich einen “Newsletter” heraus, den man allerdings abonnieren kann. Die 1925 als “Brücke zwischen Konsumenten und Produzenten” gegründete Genossenschaft “Migros” beschäftigt 82.000 Mitarbeiter, zu ihren Geschäftsbereichen gehört eine eigene Bank und eine Pensionskasse sowie eine Beratung für Mitarbeiter, die Probleme haben. Kürzlich eröffnete in Zürich das “Migros Museum” (für moderne Kunst). 2007 erhielt der Dokumentarfilm von Martin Witz über das Leben des Migros-Gründers Gottlieb Duttweiler: “Dutti der Riese” den Filmpreis der Stadt Zürich.
Die deutsche Konsumgenossenschaft REWE bringt ab Oktober 2008 eine Frauenzeitschrift (mit einer Startauflage von 600.000 Exemplaren) heraus. Wahrscheinlich wird sie “maxima” heißen, so wie die Frauenzeitschrift, die REWE seit bereits zwölf Jahren in Österreich herausgibt. Mit der Produktion der deutschen Ausgabe hat REWE die “Medienfabrik Gütersloh GmbH” beauftragt. Die Konsumgenossenschaft hat über 180.000 Mitarbeiter und rund 3000 “REWE-Märkte”. Es ist ihr wichtig, “Produkte aus der Region anzubieten, die bei Erzeugern vor Ort eingekauft werden. Damit wird durch kurze Lieferwege größtmögliche Frische gewährleistet – vor allem im Biobereich.”
Über 750 Artikel stellt REWE daneben in eigenen Produktionsstätten selbst her – darunter Haushaltsartikel “für die moderne Küche” -. wie Eßgeschirr, Eierbecher usw. Die in Köln ansässige Konsumgenossenschaft übernahm am 1.Juli 2008 die 1970 in Düren gegründete Supermarktkette “extra”. Diese war 1996 zunächst von der METRO Group übernommen worden. “Extra” betreibt in Deutschland 250 Verbrauchermärkte und bietet dort u.a. eine Palette von Eigenmarken an. Zu “extra” gehören ferner 60 im Franchise-System geführte Bolle- und Comet-Märkte.
Zu den ältesten deutschen Konsumgenossenschaften zählt die 1898 am Halleschen Tor gegründete und mittlerweile in Hamburg domizilierte EDEKA. Die Firmen-Konstruktion entstand dergestalt, dass sich selbständige Einzelhändler zu Genossenschaften zusammenschlossen, die nun “Partner der Edeka-Gruppe” sind. Derzeit bilden 9 Genossenschaften mit etwa 5000 Mitgliedern das Fundament der Edeka-Gruppe. Die Genossenschaften sind Eigentümer der Edeka Zentrale und zu 50 % Eigentümer der 7 Edeka Regionalgesellschaften. Der zweite Gesellschafter bei diesen Regionalgesellschaften ist die Edeka Zentrale AG & Co KG. Mit dem Nationalsozialismus expandierte Edeka ab 1937 ins Ausland. In Österreich heißen die Tochterfirmen ADEG, Magnet, AGM (Adeg Großmarkt) bzw. AGM-Gastro und Contra. 1990 wurden in der DDR etliche HO- und Konsum-Läden von Edeka übernommen und wenig später auch noch in Tschechien Edeka-Läden eröffnet. Seit 2000 kooperiert Edeka Danmark mit REMA 1000 A/S, einer Tochter der norwegischen Raitan-Gruppe. Weiter wurde die Beteiligung an der AVA AG erhöht. 2005 erwarb die Edeka-Gruppe die Spar Handels-AG. Dabei wurde auch die ehemalige Spar-Tochter Netto Marken-Discount und eine Beteiligung von 25 % an der deutschen Tochter der Netto-Kette erworben. Am 1. Juli 2008 kam die Supermarktkette “plus” dazu.
Damit verbunden waren jedoch einige Auflagen des Bundeskartellamtes: “So muss Tengelmann zuvor 378 der insgesamt 2900 Plus-Märkte, mit einem Umsatz von rund 700 Millionen Euro, verkaufen. Am neuen Gemeinschaftsunternehmen darf sich Tengelmann nur mit 20 statt der angestrebten 30 Prozent beteiligen. Auch untersagte das Bundeskartellamt die geplante Zusammenarbeit von Tengelmann und Edeka im Wareneinkauf.” Mit den Filialbetrieben gehören nun etwa 11.500 Geschäfte zur Edeka-Gruppe. Zuständig für den Non-Food-Einkauf der gesamten Edeka-Gruppe ist die “Nonfood-CM GmbH”, Bielefeld.
Die 1959 gegründete Kundenzeitschrift der Edeka Gruppe heißt “Die kluge Hausfrau”, daneben gibt Edeka noch die wöchentliche Abonnement-Zeitschrift des Lebensmitteleinzelhandels “Journal für perfektes Haushalten” heraus, die von der “B & L Mediengesellschaft mbH & Co.KG” produziert wird – ein Fachverlag, der auf die Branchenschwerpunkte Gastronomie, Hotellerie, Großverpflegung, Fleischer- und Bäckerhandwerk sowie Lebensmittelhandel spezialisiert ist. In der Zeitschrift “Die kluge Hausfrau” werden u.a. Leserbriefe beantwortet – nach dem Krieg war dafür jahrzehntelang die Hamburgerin Ursula Benthack verantwortlich. Am 21.8. 2008 wurde sie 90 Jahre alt.
Zu den Genossenschaftsmedien bzw. Mediengenossenschaften sollte man auch die 1984 gegründete “CONTRASTE” zählen. Sie ist “die einzige überregionale Monatszeitung für Selbstorganisation und dient den Alternativen Bewegungen, selbstverwalteten Betrieben und Kollektiven als Sprachrohr und Diskussionsforum.” In einer ihrer Ausgaben findet sich ein sehr informativer Artikel über Mondragon. Regelmäßig findet man in “Contraste” einen “Projekte- und Stellenmarkt”. Und in der Ausgabe Sommer 2008 geht es schwerpunktmäßig um “‘Ossis’ und ‘Wessis’ in Projekten”. Am 21. 8. schrieben sie in einer Mail:
“CONTRASTE ist ein ehrenamtliches betriebenes Zeitungs-Projekt. Herausgeber ist der Contraste e.V. Wir haben gerade unsere Mediendatenbank “Reader der AlternativMedien” für die BRD und die Schweiz überarbeitet, außer den von Euch genannten [siehe oben] befinden sich unter den 700 Zeitschriften keine weiteren Genossenschaften. Ein großer Teil dieser Medien ist über unsere Website www.contraste.org verlinkt (Links zu Medien). Die kompletten Datenbanken werden von uns ab Oktober auf CD-ROM angeboten werden.”
Aus dem Kommunistischen Bund Westdeutschland hervorgegangen ist die Frankfurter Monatszeitschrift “Kommune – Forum für Politik, Ökonomie, Kultur”. Ihr Gründer Joscha Schmierer ist noch immer Redakteur, auch die Druckerei ist noch immer “CARO Druck GmbH”, der Verlag nennt sich heute “Kühl Verwaltungs GmbH & Co. Verlagskommanditgesellschaft”. Das Heft 3/2008 handelt u.a. von der “Ökonomie (in) der Veränderung” und der “vergessenen Utopie der 68er. Am Beginn eines neuen utopischen Zeitalters?”
Erwähnen sollte man außerdem noch die “graswurzelrevolution”: “1. eine monatszeitschrift für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft und 2. eine tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzung, in der durch Macht von unten alle Formen von Gewalt und Herrschaft abgeschafft werden sollen.” Die 1972 gegründete Monatszeitschrift wird dezentral von ehrenamtlichen Redakteuren betreut: “Fünfzehn Frauen und Männer im Alter zwischen Mitte 20 und 60 arbeiten gegenwärtig im Herausgeberkreis mit und kommen regelmäßig aus allen Teilen der Bundesrepublik zusammen. Wer in der Graswurzelrevolution publiziert, kann sich nicht einmal einen Namen machen. Die meisten Artikel erscheinen bis heute unter Pseudonymen: “Wenn ein Pseudonym oft wiederkehrt, wird es gewechselt. Nicht die Personen, sondern die Inhalte sollen im Vordergrund stehen. Prominenz, und sei es nur die in der Szene der Gewaltfreien oder Anarchisten, steht eben im Widerspruch zur Abschaffung jedweder Herrschaft.” Zu den Redaktions-Schwerpunkten zählen “Ökologie, Utopien, Alternative Projekte, Antimilitarismus, Anarchismus und Frauenbewegung”, die Auflage schwankt zwischen 3000 und 5000 Exemplaren.
Die taz schrieb 1995 anläßlich der Herausgabe einer Graswurzel-Jubiläumsausgabe: “‘Was ist Befreiung?’ oder auch ‘Partner der Ausbeutung’ – so lauten die Schlagzeilen der Monatszeitung, die da im ersten Stock der ‘Kurve’ produziert wird. Die ‘Kurve’ ist ein Fachwerkhaus im wendländischen Wustrow, eine ‘Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion’, die so heißt, weil sie in der Kurve, der Hauptstraße von Wustrow liegt. Die Monatszeitung wird dort seit Jahren in einem einzigen Raum hergestellt: ein PC, eine Menge Papierstapel und natürlich alle Ausgaben von Anfang an. In einer Zeitung, die seit über 20 Jahren ‘über Theorie und Praxis des gewaltfreien Anarchismus’ berichtet, darf natürlich auch eine Seite ‘Kritik am Staat’ nicht fehlen. ‘Die Regierung des Menschen über den Menschen ist die Sklaverei’, wird darin der alte Proudhon zitiert.”
Vielleicht auch ganz brauchbar ist das Chicagoer Magazin “Cahiers Charles Fourier” von “HighBeam Research”, einem “online library and research tool” – mit einer Vielzahl von Veröffentlichungen über “Cooperatives” und “Cooperative Movements”. Charles Fourier war zusammen mit Robert Owen so etwas wie ein Begründer von Genossenschaften. In seinem Geburtsort Besoncan gibt es außerdem noch die “Association d’Etudes Fouriéristes”, die ebenfalls Fourier-Studien herausgibt.
Abschließend sei noch auf die “South End Press” hingewiesen. Dieser Verlag veröffentlichte zuletzt mehrere Bücher über die Arbeitsbedingungen und Selbstorganisationsversuche von Ernte- und Saisonarbeitern (u.a. von der Aktivistin Vandana Shiva), daneben veröffentlicht das “South End Press Collective” auch eigene Texte. Der in Cambridge (Ms) domizilierte Verlag schreibt über sich: “South End Press is an independent, nonprofit, collectively-run book publisher with more than 250 titles in print. Since our founding in 1977, we have met the needs of readers who are exploring, or are already committed to, the politics of radical social change. Our goal is to publish books that encourage critical thinking and constructive action on the key political, cultural, social, economic, and ecological issues shaping life in the United States and in the world. We hope to provide a forum for a wide variety of democratic social movements, and provide an alternative to the products of corporate publishing.From its inception, the Press has organized itself as an egalitarian collective with decision-making arranged to share as equally as possible the rewards and stresses of running the business. Each collective member is responsible for core editorial and administrative tasks, and all collective members earn the same base salary. The Press also has made a practice of inverting the pervasive racial and gender hierarchies in traditional publishing houses; our staff has been majority women since the mid-1980s, and has included at least 50 percent people of color since the mid-1990s. Our author list- which includes Arundhati Roy, Noam Chomsky, bell hooks, Winona LaDuke, Manning Marable, Ward Churchill, Cherríe Moraga, and Howard Zinn – reflects the Press’s commitment to publish on diverse issues from diverse perspectives. To expand access to information and critical analysis, South End Press has been instrumental to the start of two on-going political media projects- Speak Out and Z Magazine.”
“Speak Out” ist ein “Institute for Democratic Education and Culture, it is a national non-profit organization that educates, inspires and empowers young people to become actively engaged in society and to work for social justice. It is a center for progressive arts and politics.” Seine Anschrift lautet: Speak Out, P.O.Box 990 96, Emeryville CA 94662 USA. Dieses “Netzwerk” offeriert “Workshops, Redner, Künstler, Ausstellungen, Filme” und hat einen Online-Shop für Bücher und “other materials”.
Das 1987 von zwei South End Press cofounders gegründete “Z Magazine is an independent monthly magazine dedicated to resisting injustice, defending against repression, and creating liberty. It sees the racial, gender, class, and political dimensions of personal life as fundamental to understanding and improving contemporary circumstances; and it aims to assist activist efforts for a better future.” Die Kontaktadresse für Z Magazine, Z Net, Z Video Productions und Z Media Institute ist 18 Millfield Street, Woods Hole, MA 02543, USA
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Sozialgenossenschaften und Beschäftigungsgesellschaften
Am Anfang der “fünf neuen Bundesländer” stand die Umwandlung von lebenslangen Beschäftigungsverhältnissen in immer kürzer befristete Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Dazu gründete der Arbeitsrechtler Jörg Stein, “Ziehsohn” des damaligen IG-Metallchefs Steinkühler, immer neue Beschäftigungsgesellschaften, die über Treuhand-Abfindungen und Arbeitsämter finanziert wurden. Im günstigsten Falle sollten sich daraus marktwirtschaftlich verhaltende “Ausgründungen” ergeben. Mit 230.000 ABMler auf seiner “Payroll” war Jörg Stein bald nach eigener Aussage der “größte Arbeitgeber Ostdeutschlands”. Er wurde bei anstehenden “Großflugtagen” (Massenentlassungen) und Betriebsschließungen im Auftrag der Treuhand aktiv – handelte jedoch als wenn auch unverschämter, juristischer Vertreter der Gegenseite: der Betriebsräte, die letztlich die Entlassungslisten zu unterschreiben bzw. die Überleitung ihrer Kollegen in eine Beschäftigungsgesellschaft zu bewerkstelligen hatten. Und die meisten Betriebsräte taten sich nicht gerade leicht – mit diesen mehrmaligen Selektionen: um das Mindeste zu sagen. Jörg Stein wurde dabei jedoch – mit seiner Dachfirma “Mypegasus” – steinreich.
Fröhlich lud er die mit ihm zusammenarbeitenden Treuhandmanager zu einem “Samba-Tisch” nach Rio ein, wo seine Freundin lebte. Der Treuhand-Sprecher meinte treuherzig: “Ohne Stein läuft bei uns hier gar nichts.” Dessen Beschäftigungsgesellschafts-Modell funktionierte wie ein Pilotenspiel: Vorne kamen immer wieder neue ausgesonderte Belegschaften mit frischen Geldern rein, während gleichzeitig hinten die “Arbeit” bzw. die Gelder ausliefen. Dieser “Pegasus” wäre ein dankbares Thema für den wunderbaren DDR-Historiker Jörg Roesler.
Es gab daneben auch von den Betriebsräten quasi auf eigene Faust gegründete Beschäftigungsgesellschaften: bei Narva z.B., wo sie “Avran” (Narva rückwärts buchstabiert) hieß. Dort kümmerte der Betriebsrat sich wirklich um neue Geschäftsfelder: Handwerkskollektive renovierten die Wohnungen von Rentnern in Friedrichshain, wobei das Bezirksamt mit Mendiburo vorneweg auch noch etwas dazuzahlte. Neben diversen Gewerken wurden etliche Betreuungseinrichtungen gegründet, bis hin zur Verwaltung von Gedenkstätten. Ein Staatssekretär, der im Finanzministerium für die Treuhandpolitik zuständig war, meinte zur Avran-Geschäftsführerin Ulrike Ahl: “Wenn wir gewußt hätten, was ihr aus ABM macht, hätten wir die nie genehmigt.” Mit ihr meinte er die Ostler. Aber auch im Westen profitierte man von dem bodenlosen ABM-Topf. Was heute die kostenlosen Praktikanten sind, waren nach der so genannten Wende die ABMler – vor allem in den Sozialeinrichtungen.
Auch heute gibt es noch ABM, seit Hartz IV heißt es bloß anders. Und die Kritik ist auch die selbe geblieben: Sie kommt immer von den Gewerbetreibenden, in deren marktwirtschaftlichen Revieren die ABM-Gesellschaften gerade reindrängen oder bereits wirken. Betriebswirtschaftlich gedacht zahlen sie Steuern und die ABM-Firmen finanziert der Staat – dafür machen die AB-Maßnahmen ihnen noch Konkurrenz, also das Leben schwer. ABM-Gesellschaften unterliegen vielfältigen Konjunkturen: Mal kriegen die Forstämter ein dickes Kontingent – und dann sind bald alle Schlagbäume vor den Forstwegen frisch gestrichen und die Wälder sauber gefegt, so dass Die Grüne Liga und andere Umweltschützer plötzlich gegen ABM sind: “Allein schon aus ökologischen Gründen,” wie eine Aktivistin in Wittenberg einmal meinte.
Ein andern mal werden alle Dorfzentren einschließlich der Feuerlöschteiche verschönert – mitunter aufs Liebevollste. Und anschließend kommt ein Schild an eine der Parkbänke, auf dem man erfährt, dass dies alles 2001 von der ABM-Gruppe Sowieso in Schuß gebracht wurde. Besonders auf dem Land hofften die arbeitslosen Melkerinnen und Traktoristen derart auf eine AB-Maßnahme, dass die Arbeitsämter die Leute vielerorts in “Vorbereitungskurse” mit dem Versprechen auf ABM steckten. Für nicht wenige erwies dieses sich dann als hohl.
Wenn die ABM-Malerkollektive Rentnerwohnungen renovierten, dann schimpften zwar die Malerfirmen, weil die angebliche Kungelei zwischen Bezirksamt, Arbeitsamt, Wohnungsgenossenschaft und Beschäftigungsgesellschaft sich für sie geschäftschädigend darstellt, aber ob die Rentner sich eine Wohnungsrenovierung von ihnen geleistet hätten, ist mehr als fraglich. Tatsache ist außerdem, dass der Staat jeden “Umbruch” erst einmal mit AB-Maßnahmen begegnete. In Italien bekamen die Rentner und Frührentner nach dem Krieg statt einer Rente jeder einen Kiosk, in dem sie vom Staat über dessen Monopol billig Salz sowie auch Tabak bezogen. In Brandenburg sorgte die Rote Armee 1945 als erstes dafür, dass alle Leichen beerdigt wurden. Die dabei eingesetzten Deutschen bekamen anschließend was zu essen: “Das war so was Ähnliches wie heute ABM,” meinte 1997 ein ehemaliger LPG-Bauer im Oderbruch.
Bei Orwo in Wolfen wurden ab 1992 viele Mitarbeiter – bis hin zu den Chefchemikern und Exportkadern – zur Beräumung ihres riesigen Werksgeländes eingesetzt, aus dem ein investorenfreundlicher Industriepark werden sollte – und immer noch wird. Auch das dortige “Filmmuseum” wurde mit ABM-Mitteln aufgebaut. Ähnlich ist es mit dem Atomingenieuren beim stillgelegten AKW in Rheinsberg: Sie sind dort seit 1991 auf ABM-Basis mit dem Rückbau beschäftigt. Annett Groeschner hat kürzlich ein ganzes Buch über sie veröffentlicht. Auf dem Land entstanden aus dem Umwelt- und Artenschutzgedanken heraus nicht weniger als 12 Haustierrasseparks – auf ABM-Basis. In der Prignitz geschah die Propagierung von Windkraftanlagen und die Betreuung der zukünftigen WKA-Betreiber mit einem Verein und auf ABM-Basis.
Es gab ferner ABM-Gesellschaften, da katalogisierten und erforschten gestandene Kunsthistoriker Grabmäler auf Berliner Friedhöfen – und anschließend vermarktete ihr allzu cleverer Geschäftsführer die Ergebnisse privat auf CD-Rom. Solche ABM-Sauereien von Geschäftsführern, das ging bis hin zu Patenten, die eigentlich Forscherkollektiven der abgewickelten Akademie der Wissenschaft gehörten und während ihrer Zeit in einer “Warteschleife” auf ABM zuendeentwickelt worden waren. Dann gab es wieder andere ABM-Gesellschaften, die quasi im Auftrag des Westens die DDR-Patentamts-Akten nach brauchbaren, d.h. verwertbaren Patenten durchsuchten. Fast kann man sagen: die Millionen ABM-Stellen drehten jeden Stein in der DDR um – auf der Suche nach sinnvollem Tun. Bei einigen war schon die Suche nicht ohne Sinn und Verstand.
Im postindustriellen Italien gibt es heute viele Sozialgenossenschaften. In ihnen arbeiten Behinderte, aber auch ehemalige Psychiatrie- und Gefängnisinsassen. Es sind vom Staat geförderte Dienstleistungs- und Produktionsbetriebe. So etwas wird es bald auch hier mit dem sich nach wie vor “verschlankenden” gesamtdeutschen Staat immer mehr geben. Und natürlich sind die Unternehmer auch darauf nicht gut zu sprechen. Andererseits wollen sie selber keine Behinderten einstellen, lieber zahlen sie – wie z.B. Opel – Kompensationen an den Staat. Das Werk in Eisenach produziert ansonsten selbst Schwerbehinderte – am laufenden Band quasi: “27 bis jetzt!” rechnete die IG-Metall-Bezirksvorsitzende bereits 1997 vor. Da war das postfordistische Werk gerade mal sechs Jahre alt. In Spanien hat sich die Sozialgenossenschaft “Teixidors” – 1983 von einer Sozialarbeiterin gegründet – inzwischen zu einer Produktivgenossenschaft umgewandelt. Dort, in Barcelona, werden zwar auch jetzt noch hochwertige Textilien hergestellt, aber ohne staatliche Förderung mittlerweile. Dafür hat die eG in den letzten Jahren einige Designer- und Umweltpreise gewonnen.
In Tschechien war umgekehrt nach dem Krieg fast jede neue Produktivgenossenschaft zunächst eine Sozialgenossenschaft, insofern sie gegründet wurden, um z.B. Frauen, deren Männer im KZ oder im Gefängnis gewesen waren, schnell Arbeit zu geben: Sie bemalten Gegenstände aus Holz oder nähten Geldbörsen. Dies trifft z.B. auf die Genossenschaft GUP im südböhmischen Pelhrimov zu, wo heute 265 Mitarbeiter Manikürsets, Etuis, Diplomatenkoffer, Schminkkoffer und Aktenkoffer herstellen. Bei einer Besichtigung stellten wir fest: Dort arbeiten noch immer vorwiegend Frauen – an Pfaff- und Adler-Nähmaschinen. Im großen Nähsaal wie überhaupt in dem ganzen Gebäude standen überall Topfpflanzen, ein Radio lief.
Alle Arbeitsprozesse waren von einer gewissen Gelassenheit geprägt. Keine Hektik, kein Maschinenlärm, obwohl etwa 20 von 60 Nähmaschinen ständig in Benutzung waren. Es gab auch keine Anzeichen von Erschöpfung, Überanstrengung oder Genervt-Sein. Die Frauen waren in allen Altersgruppen. Schon allein das stand in scharfem Kontrast zu den Bildern von jungen Näherinnen, wie man sie aus Filmen über chinesische Fabriken kennt. Die “beste Näherin” ist in der DUP wohl sicher nicht eine, die am meisten Teile pro Schicht zusammennäht.
Zu sozialistischen Zeiten gab es in der ganzen Genossenschaft 800 Mitarbeiter, es wurde zweischichtig gearbeitet. Nach der Wende gründeten sich zwei Betriebsteile aus, dafür wurde 2001 noch eine Brauerei von der Genossenschaft übernommen. Dort arbeiten 29 Leute.
Früher wurden von der DUP täglich 6000 Manikürsets produziert – sie gingen vor allem in die Ukraine, nach Russland, Ungarn und in die DDR. Heute wird schwerpunktmäßig vor allem die Ukraine beworben. Anderswo in Böhmen und Mähren sind inzwischen aus den einstigen Sozialgenossenschaften, die dann sozialistische Genossenschaftsbetriebe wurden, neoliberale Vorzeigebetriebe geworden, in denen Akkord gearbeitet wird und die zwei Genossenschaftsvorsitzenden aufgrund ihrer vielen Anteile über 70% der Mitglieder-Stimmen verfügen. Diese eG ist damit schon fast privatkapitalistisch organisiert.
Es gibt Genossenschaftstheoretiker, die sprechen in diesem Zusammenhang von einem quasi natürlichen Alterungsprozeß der Genossenschaften. Auf die deutschen Alternativbetriebe oder Betriebe ohne Chefs bezogen, könnte man auch von einer Halbwertzeit bei den Alternativ-Projekten sprechen. In Israel wurden so gut wie die meisten genossenschaftlich organisierten Kibbuzim, aus denen einst die Elite des Landes gekommen war sowie die besten landwirtschaftlichen Errungenschaften, aufgelöst. Sie hatten zuvor schon immer mehr “Kibbuzfremde” beschäftigt und in immer profitablere Geschäftsbereiche investiert. In China hat man sogar sämtliche Dorfgenossenschaften quasi von oben aufgelöst – bis auf eine. Die Folge war ähnlich wie bei der Umwandlung der osteuropäischen LPG und Kolchosen: Rund 9/10tel der “Kommune”-Mitglieder mußte emigrieren. Den Verbliebenen wurde eine andere Einstellung zur Produktion abverlangt.
Anderswo wird die Prosperität der Genossenschaften durch eine Veränderung des Produkts erreicht. So scheint z.B. die alternative taz auf dem besten marktwirtschaftlichen Weg zu einer reinen Arbeitsplatzerhaltungsgenossenschaft bzw. Sozialgenossenschaft zu sein. Obwohl oder weil sie irgendwann ununterscheidbar von den restlichen Marktteilnehmern geworden ist.
Selbst unter den Bedingungen des großen sozialistischen Schwungs und des russischen Bürgerkriegs machte der Pädagoge und Gründer von Landkommunen für “gefährdete Jugendliche” Anton S. Makarenko diesbezüglich eine ernüchternde Erfahrung: “Anfangs [ab 1920] waren wir geneigt, nur die Landwirtschaft als wirtschaftliche Betätigung zu betrachten, und unterwarfen uns blind der alten These, die da behauptet, daß die Natur veredle. Diese These war in den Adelsnestern entwickelt worden, in denen die Natur in erster Linie als ein sehr schöner und gepflegter Ort für Spaziergänge und Turgenjewsche Erlebnisse aufgefaßt wurde…Die Natur aber, die den Gorki-Kolonisten veredeln sollte, schaute ihn mit den Augen der ungepflügten Erde an, des Unkrauts, das ausgerodet werden mußte, des Mistes, der gesammelt, aufs Feld gefahren und dann ausgestreut werden mußte, eines zerbrochenen Fuhrwerks, eines Pferdefußes, der geheilt werden mußte… Was konnte es da schon für eine Veredelung geben!” Ähnlich war es dann mit den Gewerken, d.h. mit den “Kinderkolonien, die ihre Motivationsbilanz auf das Handwerk aufbauten”. Makarenko beobachtete dabei stets ein und das selbe Ergebnis: dass die Jugendlichen als angehende Schuster, Tischler, Maurer etc. immer mehr “Elemente des Kleinbürgerlichen” annahmen. Und diese stehen der Entwicklung eines revolutionären Kollektivs entgegen, wie er es anläßlich des Umzugs der Gorki-Kolonie in eine größere (in der Nähe von Charkow) sogar an sich selbst entdeckte – nachdem sie alle ihr knappes Hab und Gut zusammengepackt hatten und dabei eine Menge sauer erworbenes bzw. organisiertes “Eigentum” zurück ließen: “All diese ungestrichenen Tische und Bänke allerkleinbürgerlichster Art, diese unzähligen Hocker, alten Räder, zerlesenen Bücher, dieser ganze Bodensatz knausriger Seßhaftigkeit und Wirtschaftlichkeit war eine Beleidigung für unseren heldenhaften Zug…und doch tat es einem leid, diese Dinge fortzuwerfen.”
Aber auch der “heldenhafteste Zug” ist irgendwann abgefahren. Nicht selten kommt dann so etwas wie ein neuer “Kollektivegoismus” auf: Hauptsache unsere Genossenschaft blüht auf – und sei es auf Kosten anderer Genossenschaften. Da hilft auch kein Zusammenfassen zu immer größeren Einheiten. Bereits im “Jahr des großen Umschwungs” 1929 ließ dazu der großartige Andrej Platonow einen der repressierten Großbauern (Kulaken) in seinem Roman “Die Baugrube” sagen: “Ihr macht also aus der ganzen Republik einen Kolchos, und die ganze Republik wird zu einer Einzelwirtschaft…Paßt bloß auf: Heute beseitigt ihr mich, und morgen werdet ihr selber beseitigt. Zu guter Letzt kommt bloß noch euer oberster Mensch im Sozialismus an.” Stalin, der das Manuskript las (“mein einziger Leser” – so Platonow), schrieb an den Rand: “Schweinehund”.
Diese Gefahr besteht im Kapitalismus nicht: Dort wird es aufs Schärfste begrüßt, wenn die Genossen sich für Ich-AGs – die individuelle Selbständigkeit – entscheiden oder wenn ihre Genossenschaft nur noch profitorientiert handelt. Dem russischen Prinzip “Der gegenseitigen Hilfe” bis in die Natur rein (Kropotkin) hält man hier “Das egoistische Gen” (Dawkins) entgegen. Man kann aber vielleicht sagen, dass auch noch der schärfste Shareholder-Value-Betrieb Momente einer Sozialgenossenschaft besitzen muß, sonst existiert er nicht lange. Umgekehrt gilt jedoch – wenigstens in der warenproduzierenden Gesellschaft – das selbe. Russische Agrarsoziologen sprechen heute von einer “harmonischen Koexistenz”. In den postsowjetischen Kolchose geschieht dies “in den merkwürdigsten Formen des Naturalaustauschs”: Man zahlt seinen Kolchosmitgliedern für ihre Arbeit nichts, dafür nutzen die Kolchosmitglieder illegal die Ressourcen. Dadurch erhält und reproduziert sich das ganze System und fährt fort zu funktionieren. Wenn also die Genossenschaftsmitglieder zu viel klauen, dann geht die Kolchose pleite, wenn sie es andererseits überhaupt nicht schaffen, etwas für sich beiseite zu schaffen, dann verelenden die Familien. Dieser prekären Balance zuliebe verzichteten die Agrarforscher erst einmal auf den Begriff des gegenseitigen “Diebstahls”. Sie sprechen stattdessen von “nichtformellen Einkünften”. Zu diesen zählt auch “Das Soziale” des jeweiligen Betriebes.
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2006 fand in der TU ein Kongress über “Solidarische Ökonomie” statt
Zugrunde lag ihm der Gedanke, dass es nicht der Kampf “jeder gegen jeden” ist, der den Menschen vorantreibt, sondern sogenannte gegenseitige Hilfe bzw. Kooperation. Seit der neoliberalen “Wende” haben sich denn auch Genossenschaften als marktwirtschaftlich gerade noch mögliche Unternehmensform vermehrt. Inzwischen greifen nicht nur soziale Einrichtungen und Vereine auf dieses “Modell” zurück. Ganze Städte entscheiden sich, den Wohnungsbau oder Gas- und Wasserwerke nicht zu privatisieren, sondern in einer Genossenschaft zu vergesellschaften. Auf dem Kongress gab es dazu etliche Projektpapiere und Erfahrungsberichte. So referierte eine Abordnung der taz ausgehend vom einstigen Kampf der Belegschaft um die “kleine Lösung: Genossenschaft” über die bisherige Entwicklung dieser alternativen Wirtschaftsorganisation gegenüber ihrem alten Vorbild Libération in Paris, wo man sich für die “große Lösung: Monsieur le Capital” entschied. Dort fand das Modell der Selbstverwaltung ein unrühmliches Ende, indem die Libé zuletzt privatisiert wurde.
Auch manche Genossenschaftsgründung endete derart – elendig. In der Mongolei fanden gerade militante Demonstrationen statt: Mitglieder mehrerer Genossenschaftsbanken waren mit dem Versprechen auf hohe Zinsen geprellt worden, wobei alle Ersparnisse im darauffolgenden “Zusammenbruch” verloren gingen. Prompt wurde der Leiter der mongolischen Bankenaufsicht erschossen. Dennoch findet auch in der Mongolei gerade eine wahre Genossenschaftsgründungswelle statt, vor allem in der Form von Produktions-, Einkaufs- und Verkaufsgenossenschaften. In Ostdeutschland haben dagegen viele Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften, so sie überlebten, die Wirtschaftsform “GmbH” bzw. “AG” angenommen, die ihnen mehr “Spielraum” versprach als West-“Genossenschaften”. Dies wurde auf dem Kongress in einem Attac-Beitrag noch einmal bestätigt: Anders als in den romanischen und lateinamerikanischen Ländern fehle es dafür hierzulande an “politischer Unterstützung”. Und die Arbeitsagenturen und Existenzgründerberater pushen nur Ich- statt Wir-AGs. Auch fehle es an staatlicher oder kommunaler Hilfe bei Betriebsübernahmen durch Belegschaften. Trotzdem wollen die Bürger in Bad Iburg und Bremen jetzt das städtische Gasnetz selbst “vergenossenschaften”, damit es nicht privaten Investoren in die Hände fällt. Das Freiburger Bürgervotum, dasselbe mit dem kommunalen Wohnungsbestand zu tun, wurde ebenfalls diskutiert.
Für Berlin stellte Wolfgang Fabricius vom “Gesundheitsladen” die von ihm so genannten Hartz-IV-Genossenschaften vor. Dazu erklärte er: “Der Berliner Senat hat 2004 für zwei Milliarden Euro 65.000 GSW-Wohnungen an den amerikanischen Rentenfonds Cerberus verkauft. Das sind etwa 30.000 Euro pro Wohneinheit. Wenn diese Wohnungen den Mietern zum Kauf angeboten worden wären, hätte selbst ein Harz-IV-Empfänger mit seinen 360 Euro Wohngeld pro Monat – zwei Drittel Schuldendienst plus ein Drittel Betriebskosten, Renovierung und Instandhaltung – diese Summe bei fünfprozentiger Verzinsung nach 15 Jahren getilgt. Der Rechnung entsprechend hätte der Senat von diesem Zeitpunkt an die Wohngeldzahlungen also um zwei Drittel reduzieren und damit Steuergelder sparen können. “So aber fließt dieses Geld”, wie Fabricius weiter ausführte, “in amerikanische Rentenkassen und ist für Bürger und ihre Stadt für immer verloren.” Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über finanzielle Nothilfen für Berlin ist wohl trotz aller Proteste der Verkauf der restlichen 277.000 Wohnungen vorgesehen. Und zwar zu 5 Milliarden Euro, das sind pro Einheit nur 18.000 Euro. Damit die betroffenen Mieter ihre Wohnungen selbst kaufen können, wäre es laut Fabricius erforderlich, “entsprechende Genossenschaften zu gründen”. Für die ebenfalls anstehende Vergesellschaftung der Berliner Wasserwerke wiederum wurden Formulare an potenzielle Mitglieder einer “Wasser in Bürgerhand Berlin eG” verteilt. Diese Genossenschaft will erst einmal die Wasserwerke gemeinsam mit dem Berliner Senat betreiben, ist jedoch auch bereit, “den Senatsanteil kostenneutral zu übernehmen.” Da es diesbezüglich aber einen “Geheimvertrag” gibt – mit den “Profiteuren”, die 1999 die Werke zur Hälfte übernahmen und denen der Senat eine achtprozentige Rendite garantierte – muss die Wasserwerks-Genossenschaft i. G. erst einmal die juristischen und politischen Möglichkeiten für deren Ausscheiden aus dem Vertrag prüfen.
Kritisiert wurden in diesem Zusammenhang das vom Europa-Büro Sahra Wagenknechts gerade veröffentlichte Papier über die Wasserbetriebe, in dem der Attac-Theoretiker Alexis Passadakis nicht für Vergenossenschaftung, sondern für eine “Rekommunalisierung” plädierte.
Um den Gedanken von gemeinschaftlich geführten Betrieben zu verbreiten – und gleichzeitig ihre Produkte vorzuführen, finanziert der Brüsseler Dachverband, die “Konföderation für Produktivgenossenschaften, Sozialgenossenschaften und andere Formen mitarbeiterkontrollierter Unternehmungen” (CECOP) und vor allem der Dachverband “Cooperatives Europe” eine Art Leistungsschau europäischer Produktivgenossenschaften – in Berlin (Neukölln), Budapest, Dunaujvaros und Usti nad Labem. Den Produkten sieht man die genossenschaftliche Herkunft nicht an, deswegen wird die Verkaufsausstellung ab dem 23. September 2008 flankiert von Filmen, Diskussionen und Dokumentationen über die Produzenten. Die Genossenschaften tageszeitung und Junge Welt sind quasi natürliche “Medienpartner” dieses auch von der EU – Programm “Kultur 2007-2013” sowie von der Bundeskulturstiftung, dem Kulturamt Neukölln, dem ungarischen Ministerium für Kultur und dem tschechischen Ministerium für Kultur geförderten “Kunstprojekts” namens Le Grand Magasin, das von Andreas Wegner gemanagt wird.
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Petition von Cooperatives Europe
Gerade hat der Dachverband “Cooperatives Europe” in Brüssel (der seinerseits zur “Internationalen Allianz der Kooperativen” gehört) eine Petition mit 60.000 Unterschriften an die Europäische Kommission geschickt: “Hände weg von unseren Genossenschaften!” Dies richtet sich gegen rechtliche Erschwernisse und die angedrohte Reduzierung von Steuererleichterungen, vor allem in Italien. Die EU argumentiert dabei mit dem Reizwort “Wettbewerbsverzerrung”.
Die Petition des Europäischen Dachverbands der Kooperativen “Hände weg von unseren Genossenschaften!” kann noch bis Ende September unterschrieben werden. Dazu heißt es am Ende seines Rundbriefs: “Wenn Sie glauben, dass man den sozialen und menschlichen Aspekten im Wirtschaftsleben mehr Aufmerksamkeit widmen und diesbezüglich der Europäischen Kommission auch eine starke politische Aussage entgegenhalten sollte, dann sammeln sie bitte noch weitere Unterschriften und sorgen für die größtmögliche Verbreitung der Petition.”
Seltsamerweise stammen die meisten Unterschriften von Türken bzw. aus der Türkei und dort wieder aus der Gegend um Izmir.
Und noch eine Seltsamkeit, eine allerdings unschöne, aus der wunderbaren Welt der Genossenschaften: Nachdem 2006 das uralte deutsche Genossenschaftsgesetz geändert worden war – und auch tatsächlich wieder mehr Genossenschaften gegründet wurden: “Wir-eGs” statt “Ich-AGs” – einige hundert schon seitdem, beschloß Berlin, hierbei ein “Vorreiterrolle” zu spielen – und die Gründung von Genossenschaften finanziell zu fördern. Dazu wurden Förderrichtlinien ausgearbeitet. Diese fielen dann jedoch derart widersprüchlich aus, dass sie faktisch “kontraproduktiv” wirken, wie Genossenschaftsexperten meinen. Ähnlich bescheuert ist auch der “Aktionsplan” eines breiten “Bündnisses für Wirtschaft und Arbeit im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg” – in dem von der Förderung von Genossenschaften erst im letzten Abschnitt bzw. bei seiner letzten Zielgruppe “Ältere qualifizierte Menschen” die Rede ist.
Vielleicht sollte man auch über fehlgeschlagene bzw. noch nicht realisierte Vergenossenschaftungen reden? Hier Beispiele dafür:
Es begann mit dem Film “Tuwalu”, den die von Bernd Holtfreter gegründete “Genossenschaft Stadtbad” zeigte, um neue Mitglieder für den Kauf des stillgelegten Oderberger Bades zu werben. Die Genossen, die bereits Anfang der Achtzigerjahre mit einer Bürgerinitiative den Abriß der Oderbergerstraße verhindert hatten, wollten aus dem denkmalgeschützten Objekt nun ein “Kunstbad” machen, d. h. man sollte dort in Zukunft baden und saunen können, gleichzeitig sollte aber auch Platz für Kunst- und Kulturveranstaltungen geschaffen werden. Das Drehbuch für den Film “Tuvalu” schrieb Michaela Beck – ein ehemalige Ostberliner Kunstspringerin aus der “2. Volksbadeanstalt” in der Oderberger Straße. In ihrem wunderbaren Film geht es um einen blinden Bademeister in einem völlig maroden Schwimmbad (die 1. Volksbadeanstalt von Sofia). Sein Sohn und die Kassenfrau simulieren für ihn jeden Tag vitalstes Badegeschehen. Aber dann bricht eine Schwimmerin, die kasachische Russin Chulpan Hamatova, in die Idylle ein – und alles verändert sich … Aber es gibt ein märchenhaftes Happyend. Selbst superkritische Kinder konnten sich für diesen Film begeistern, einige unkritische Mütter sahen ihn fünf Mal. Wer Mitglied der Massenorganisation Genossenschaft Stadtbad werden wollte, zahlte 100 DM.
Aus dem Erwerb des Bades wurde dann aber doch nichts: Bernd Holtfreter erkrankte an Krebs – und starb. Der Architekt Reinhard Müller, dem neben vielen Baufirmen auch die Stiftung Denkmalschutz Berlin gehört, erwarb das Oderberger Bad für 100.000 Euro. Er will es angeblich gemäß das “Genossenschafts-Konzept” sanieren, braucht dazu aber “öffentliche Zuschüsse”, die er nicht bekommt, denn seine private “Stiftung Denkmalschutz” erregt in immer mehr Bezirken Unmut. Dafür gibt es nun aber einen weiteren Interessenten für das 1899 von Ludwig Hoffmann erbaute Schmuckstück – angeblich vom Bezirk Pankow-Prenzlauer Berg ins Spiel gebracht: Eine private Sprachschule gleich um die Ecke, die daraus für ihre wachsende Schülerschar ein Hostel nebst Spaßbad machen will. Ein Stahlbad des Fun hätte Adorno dazu vielleicht gesagt. Diese Entwicklung begann in Zürich – mit den alten Bädern am See, die sich plötzlich relaunchten: Die Eintrittspreise stiegen, statt Würstchen und Bier gab es plötzlich Biobrötchen und Bionade – und jeder Gang zum Becken war fortan wie ein Casting auf dem Laufsteg. Selbst die noch an “Baywatch” geschulten Bademeister wurden erbarmungslos durch noch “coolere” ausgetauscht. Gleichzeitig kamen jedoch für die sich darob ins Dunkle Verkriechenden immer mehr Bäderfilme in die Kinos: “Tuvalu”, an dem der bulgarische Filmemacher Christo Bakalski mitarbeitete, war nur der Anfang. Es folgte der im Budapest gedrehte Film “Prinzenbad – über einige exzentrische Männer und einen charismatischen Bademeister im Gellert-Bad. Der im Kreuzberger Freibad gedrehte Dokumentarfilm “Prinzessinnenbad” – über drei minderjährige Grazien aus dem Multikulti-Kiez. Der französische Spielfilm über zwei ebenfalls blutjunge Synchronschwimmerinnen: “Waterlillies”. Der märchenhafte Film “I was a Swiss Banker”, der in Schweizer Seen spielt großenteils unter Wasser. Der politische Dokumentarilm “Darwins Alptraum”, in dem es – ebenfalls mit Unterwasseraufnahmen – um den Victoriabarsch geht. Dann der Animationsfilm “Findet Nemo”. Die 3D-Filme des Cousteau-Sohns Jean-Michel – erst über Haie und dann über Wale und Delphine – im Imax-Kino. Deren US-Persiflage von Wes Anderson: “Die Tiefseetaucher”. Micky Remann, der seit dem Besuch des Pariser Kongresses “L’Océan Intérieure” Unterwasserkonzerte veranstaltet – erst in Sulzbach und dann im Berliner Tempodrom. Und schließlich der neue Film “Brentanobad”, den die Frankfurter Psychologin Pola Reuth im Stadtbad Rödelsheim drehte. “Shopping.com” offeriert im Internet bereits “Bäder – Filme, günstig kaufen”, und die “Pool-Pornos” sind drauf und dran, sich zu einem eigenen Genre zu entwickeln. Aus den verdruckstesten “Naßzellen” wurden Fitnessoasen für Aquaphile, obwohl das Wasser immer teurer wird. Die Wasserwerke privatisiert werden (“Wasserversorger mit privatem Kapital neigen zu höheren Preisen als öffentliche Anbieter,” schreibt die FAZ, die früher genau das Gegenteil über diesen “unterschätzten Rohstoff” behauptet hat). Laufend kommen neue Mineralwasser-Marken auf den Markt. Die Freiwillige Feuerwehr Löschzug Harsewinkel veranstaltet “Wasserspiele”. Vorläufiger Höhepunkt dieser ganzen ins Hysterische überschwappenden Wasser-Wellness-Woge war neulich ein Spiegel-Interview mit dem Träger des Stockholmer Wasserordens John Anthony Allan: “Ein Bewohner der Industrieländer verbraucht rund 5000 Liter pro Tag,” meinte er, der Vegetarier ist, weil er als solcher nur halb so viel Wasser wie ein Fleischesser verbraucht. Statt des Oderberger Bades will nun eine Initiative um den Arzt Dr. Fabricius aus den Berliner Wasserwerken, die u.a. dem französischen Global Water-Player “Veolia” gehören, eine Genossenschaft machen. Kürzlich lehnte der Senat die Zulassung eines Volksbegehrens dazu als verfassungswidrig ab. “Der Titel des Vorstoßes lautete: ‘Wir wollen unser Wasser zurück!’,” berichtete die FAZ.