Das Fragezeichen in der Überschrift bedeutet: Ich weiß nicht, wie lange ich noch über diese alberne Münchnerei berichten soll und wie lange es den Konzern überhaupt noch gibt.
Die SZ berichtete am 22.7. auf Seite 1: Groß-„Aktionäre von Siemens aus den USA sollen gedroht haben, vor Gericht gegen den Aufsichtsrat vorzugehen, falls frühere Vorstände nicht auf Schadensersatz verklagt werden.“
Prompt knickte der neue Löscher (als Siemenschef) und der krumme Kromme (als Aufsichtsratschef) dann auch ein – und „verklagt nun zehn Ex-Vorstände“ (SZ-Schlagzeile).
„Darf das denn sein?“ fragt am nächsten Tag ein SZ-Kommentator – und meint dann: „Es darf nicht nur sein – es muß sogar sein.“ Denn, so seine ebenso ehrliche wie amihörige Helotenantwort:
1. Bietet nur solch eine „schonungslose Aufklärung“ (die völlig lächerlich-juristisch und blödsinnig ist, weil sie die Kartellvergangenheit seit 1899 nicht thematisiert) und die scharfe „Ahndung“ die „Chance“, dass die Börsenaufsicht in den USA am Ende einen „erträglichen Schuldspruch“ fällt.
„Wenn nämlich die Amerikaner das fällige Bußgeld für Siemens nach den Sätzen berechnen würden, den andere Firmen für vergleichsweise geringe Vergehen zahlen mussten, würde sich die Strafe für Siemens auf einen zweistelligen Milliardenbetrag summieren.“
Und das hieße: „Der Konzern könnte in München die Bücher zuklappen“.
Es steht also ganz schlecht um Siemens: die US-Großaktionäre wollen das Management verklagen, wenn Siemens es nicht tut, und die US-Börsenaufsicht will man mit dieser erbärmlichen Tat gleich auch noch mit gnädig stimmen.
American Gangster – das ist ein Pleonasmus, wie Roland Barthes meinte, d.h. es geht darum, wie bereits die Berliner „Siemensianer“ am 1.Mai 2008 mir gegenüber andeuteten, dass der Konzern zerschlagen und ganz unter US-Kontrolle gerät. Ich fand diese Siemensianer-Meinung etwas paranoid, außerdem haben die Siemens-Manager („Ex-Vorstände“) selbst alles getan in der Vergangenheit, um aus dem eitlen und bis runter zum Pförtner allzu selbstgefälligen Vorzeigekonzern einen pseudoamerikanisierten Schweinekonzern zu machen, vor allem der unselige Bremer Cola-light-Trinker Kleinfeld, der alle seine Befehle auf Amerikanisch bellte.
Ähnliches hatte zur gleichen Zeit auch Edzard Reuter bei Mercedes Benz gemacht, indem er seine biederen schwäbischen Autobauer zu einem „Crashkurs“ im wahrsten Sinne des Wortes nach Harvard geschickt hatte, damit sie anschließend einen „integrierten Technologiekonzern“ managen konnten. Die Amis haben über Reuters und Dürrs Einkaufstouren in Amerika bloß gelacht: Wie großkotzig quasi-texanisch sie dort auftraten und laut Spiegel „jeden Preis zahlten“ – also Phantasiepreise – für irgendwelche heruntergekommenen Klitschen, aber mit jedem Erwerb schwoll ihr neues dämliches Ami-Bewußtsein. Das selbe passierte zur selben Zeit bei Siemens.
Aber nun ist Schluß mit lustig: die Amis haben sie in eine Falle gelockt, meinte einer der o.e. Siemensianer.
Was schreibt aber dieser unselige SZ-Kommentator:
2. „Geht nun [mit der Klage von Siemens gegen die zehn Ex-Vorstände] eine erneute Welle der Selbstreinigung der deutschen Wirtschaft insgesamt aus.“
München war zwar schon immer die Hauptstadt der Bewegung, aber noch nie hat jemand behauptet, dass von dort irgendetwas Gutes ausging. Das Wort „Selbstreinigung“, nach 1945 bis zum Erbrechen benutzt, und nun erneut ohne zu Erröten verwendet, deutet bereits an, dass man dort nichts gelernt hat und völlig verbrettert auf Kontinuität setzt.
A. Ist bei deutschen Richtern alles möglich, nur keine „Aufklärung“ von irgendwas.
B. Hat eine menschelnd abgewogene Strafe in Millionenhöhe per definitionem nichts Aufklärerisches an sich.
C. Wenn Siemens-Manager Ex-Siemens-Manager verklagen, dann ist das keine „Selbstreinigung“, sondern eher Verrat, unsolidarisch, schlechter Stil, hilflose Scheiße oder aussichtslose Geste.
D. Und was heißt hier „erneute Welle“? Wann hat es je eine solche gegeben? Der Autor kann damit nur das ekelhafte Persilschein-Geschiebe nach 45 meinen – mit „Selbstreinigung“. Seine ganze Wortwahl in dem Kommentar macht klar, dass dort in München bereits alles verkorkst und verlogen-verloren ist. Ach!
Frank Bernhardt aus Jena schickte einen Text (von Ansgar Graw, abgedruckt in „Welt online“ vom 24.8. 2008), der nahelegt, dass es jetzt bei Siemens richtig unappetitlich wird: Das „von“ von Mister Siemens, Heinrich von Pierer, ist anscheinend ein Nazi-Adelstitel. Darauf kommt es nun aber auch nicht mehr drauf an. Ich stelle den Welt online – Text hier ein – und hoffe, dass die Redakteure bzw. die Besitzer der Redaktionsmittel mir das durchgehen lassen:
Herr von Pierer und sein Name
Ein Hobbyhistoriker machte sich Gedanken über den Stammbaum des Ex-Siemens-Chefs. Das löste im Konzern massive Reaktionen aus. Und beleuchtete eine Familiensage zwischen k. u. k. Monarchie und deutscher Gegenwart
Der eine Rechtsanwalt zog den anderen zur Seite. Der Kollege möge doch seinen Mandanten, einen Hobbyhistoriker, dazu bringen, brisante Recherchen ruhen zu lassen. Ansonsten würde er als Justiziar eines weltweit tätigen Konzerns die ihm gebotenen „mannigfaltigen“ Möglichkeiten nutzen, um den zu diesem Zeitpunkt 65-jährigen Freizeitforscher „plattzumachen“.
Anschließend drohte der rabiate Advokat auch noch seinem Kollegen. Ihm könnten durch den Fall ebenfalls „Unannehmlichkeiten“ entstehen – bis hin zum Entzug der Zulassung als Rechtsanwalt.
Die Einschüchterung wirkte – zumindest vorübergehend. Der um seine berufliche Existenz fürchtende Jurist, auf dessen Gedächtnisprotokoll diese Darstellung und spätere staatsanwaltschaftliche Ermittlungen beruhten, legte das Mandat nieder. Und der Hobbyhistoriker unterzeichnete am folgenden Tag eine geforderte Unterlassungserklärung. Er würde nicht mehr „Dritten gegenüber die Behauptung aufstellen, die Mitglieder der Familie Pierer von Esch führen zu Unrecht dieses Namen“. Die harsche Szene, die an einen Vorabendkrimi erinnert, trug sich am 5. Dezember 2000 in einem Restaurant im unterfränkischen Biebelried zu. Der Anwalt, der sich als „Plattmacher“ gerierte, war Mitarbeiter des Siemens-Konzerns, und der Hobbyforscher Helmut Kühn hatte sich mit dem Stammbaum des damaligen Vorstandsvorsitzenden Heinrich von Pierer befasst.
Der Adel Pierers war Kühn nicht geheuer, wusste er doch, dass dessen Familie aus Österreich stammt und dort alle Adelstitel 1919 nach dem Untergang der k. u. k. Monarchie abgeschafft worden waren. Selbst Otto von Habsburg, Sohn des letzten Kaisers, durfte erst in den 60er-Jahren und nach förmlichem Verzicht auf seinen Titel wieder offiziell die Heimat besuchen. Wie hatte es da die Familie Pierer geschafft, ihr „von“ zu retten?
Pierer, der einstige „Mr Siemens“, ist seit damals tief gefallen. 2007 trat er im Sog der Schmiergeldaffäre als Aufsichtsratschef zurück. Der Konzern prüft Schadensersatzforderungen gegen ihn.
Doch zum Zeitpunkt von Helmut Kühns Nachforschungen war Pierer Deutschlands Vorzeigemanager: von 1992 bis 2005 Vorstandsvorsitzender von Siemens, anschließend Chef des Aufsichtsrates, Berater der Kanzler Kohl und Schröder, kurzzeitig von Angela Merkel für das Bundespräsidentenamt ins Auge gefasst.
Als der Konzern von Kühns Recherchen erfuhr, „waren notwendigerweise zunächst Siemens und mein Mandant lediglich mit dem Vorgang ‚befasst'“, teilt Pierers Anwalt Winfried Seibert mit. „Es gab aber in diesem Zusammenhang keinerlei Auftrag oder Anregung meines Mandanten, weil Siemens die Sache als eigene behandelt hat.“ Sein Mandant habe lediglich vom geplanten Treffen des Siemens-Juristen mit Kühn erfahren, „wurde aber weder vorher noch nachher mit den Einzelheiten befasst“.
Nicht mit den Einzelheiten befasst? Immerhin musste sich Kühn in besagter Erklärung „gegenüber der Familien Pierer von Esch“ zur Unterlassung seiner Behauptungen verpflichten – „vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter von Esch“, den Bruder des Siemens-Chefs.
Was hat es nun mit dem Streit um den Namen auf sich? Tatsächlich gab es den Träger eines Adelstitels unter Pierers männlichen Vorfahren. Für 280 Kronen (das wären heute rund 10 000 Euro) hatte der Feldmarschallleutnant Eduard Pierer, Großvater des Siemens-Managers, das Adelsprädikat im Oktober 1900 gekauft. Seitdem hieß er Eduard Pierer von Esch – unter Hinzuziehung des Mädchennamens seiner Frau Valerie. Möglich war ein solcher Adelserwerb nach 30-jähriger „bei Wohlverhalten zurückgelegter Dienstzeit als Offizier“ mit Feindberührung oder nach 40-jähriger Dienstzeit ohne Kampfeinsatz.
1895, sieben Jahre vor seinem Tod, bekam Eduard Pierer von Esch seinen einzigen Sohn – Leo Carl Oskar Eduard, Vater des späteren Siemens-Chefs. 1919, nach dem Ersten Weltkrieg, war der Militäradelstitel mit der Abschaffung der Aristokratie in Österreich wieder verloren.
1937, also vor dem „Anschluss“, siedelte Leo Pierer von Österreich nach Berlin über. Am 11. Januar beantragte er die Einbürgerung. Das Reichsinnenministerium ließ wissen, dies könne „nur unter dem Namen ‚Pierer‘ erfolgen, da nach dem österreichischen Gesetz über die Aufhebung des Adels vom 3. April 1919 der Antragsteller zur Führung des Namens ‚Pierer von Esch‘ nicht berechtigt ist“.
Aber der vormalige Freikorps-Kämpfer gab nicht auf. Am 20. Januar 1937 erbat Leo Pierer, so vermerkt ein Bericht des Berliner Polizeipräsidenten an das Innenministerium, „wieder den vollen Namen seiner Vorfahren – Pierer von Esch – führen zu dürfen“.
Seiner Vorfahren? Aus dem Vater wurde eine Dynastie und dem Antrag stattgegeben, Leo Pierer hieß wieder Leo Pierer von Esch.
Zwar sah ein „Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen“ vom 5. Januar 1938 die Rückgabe des Adelstitels gar nicht vor. Aber am 8. Januar 1938 folgte ein Runderlass. Beantrage ein neu eingebürgerter Deutscher, hieß es darin, „der durch die für ihn maßgebend gewesene oder noch maßgebende adelsfeindliche Heimatgesetzgebung das Recht zur Führung einer Adelsbezeichnung verloren hat“, die Wiederherstellung seines Namens, „so wird diesem Antrag aus Billigkeitsgründen regelmäßig entsprochen“.
Dieses juristische Detail scheint Kühn übersehen zu haben. Auch der Siemens-Anwalt, der ihm so zusetzte? Leo Pierer von Esch zog 1938 nach Erlangen, bekam am 26. Januar 1941 seinen zweiten Sohn, Heinrich, und starb 1992 mit 97 Jahren.
Wie aber wurde aus Heinrich Pierer von Esch jener Heinrich von Pierer, als der er der Öffentlichkeit in Höhen und Tiefen bekannt wurde? Der Jurist, der sich am Telefon unprätentiös mit „Pierer“ meldet, nutzt beide Namen. In Erlanger Telefonbüchern firmierte er mit seinem notariell beurkundeten Namen als „Pierer von Esch, Heinrich, Dr. jur., Dipl.-Volkswirt“. Im Briefpapier des Konzerns wurde er hingegen als „Heinrich v. Pierer, Vorsitzender“ geführt. Im hausinternen Mitarbeiterverzeichnis tauchte der Vorstandschef als „Herr Heinrich v. Pierer, Dr.“ auf – während sein Sohn, ebenfalls „Siemensianer“, im Konzern als „Herr Michael Pierer von Esch“ geführt wird. Ein deutscher Freiherr wundert sich: „Das ‚von‘ innerhalb des Namens zu verschieben und mit einem anderen Nachnamen zu verbinden, so etwas tut man in unseren Kreisen eigentlich nicht.“
Zurück nach Biebelried. Helmut Kühn, der wackere Adelsforscher, ließ sich nur vorübergehend von den Rambo-Methoden des Siemens-Anwalts beeindrucken. Er übertrug die Rechte am aufwendig recherchierten Material – Kopien aus alten Tauf- und Kirchenbüchern, Originale der Behördenkorrespondenz aus dem Dritten Reich, Auszüge aus Militärarchiven – an den gemeinnützigen Verein „Bürger fragen Journalisten“ in Erlangen. Der will die kompletten Unterlagen jetzt versteigern.
Gegen den Siemens-Advokaten erstattete Kühn Anzeige wegen Nötigung. Das Ermittlungsverfahren wurde im Juni 2007 eingestellt, nachdem der Beschuldigte entsprechend einer staatsanwaltschaftlichen Verfügung 20 000 Euro an karitative Organisationen überwiesen hatte. Der Siemens-Mann lässt erklären, dass diese Verfügung „ohne abschließende Klärung der Fakten ergeht, keinen Sanktionscharakter hat“ und er daher „zwingend als unschuldig zu bezeichnen ist“.
20 000 Euro. Dafür hätte man sich im k. u. k. Österreich statt eines einfachen „von“ locker einen Grafentitel kaufen können. Vor 1919.