vonHelmut Höge 08.08.2008

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Ready-Made-Chimären

Auf der Verkaufsausstellung “Le Grand Magasin” werden industriell gefertigte Waren (ein Bidet, ein Garderobenständer u.Ä.) von europäischen Produktivgenossenschaften als unsignierte “Ready-Mades” präsentiert.

“Seit Marcel Duchamp seine Ready-Mades (industriell gefertigte und vom Künstler lediglich signierte Gegenstände) ausstellte, weiß man, dass ein Objekt (ein Urinal, ein Flaschentrockner o. Ä.) in dem Moment zu einem Kunstwerk werden kann, in dem der Künstler es dazu bestimmt,” heißt es heute in einem Le Monde Diplomatique-Artikel von Pataud Célérier über “Künstler, Sammler und das Geld”.

In Wiesbaden kreierte der dort stationierte GI George Maciunas die “Fluxusbewegung”, der daraus hervorgegangene Joseph Beuys spitzte den von Duchamp erweiterten Kunstbegriff noch zu: “Kunst ist alles, was signiert ist”. An Duchamps Ready-Mades kritisierte Beuys, dass sie als solche von ihren Produktionsbedingungen vollständig abgetrennt wurden.

“Interessant ist der Vorwurf, den Beuys Duchamp machte: nicht die Ready-Mades störten ihn, denn die entsprachen auch seiner Gleichung von Kunst und Leben im Sinne von ‘Jeder Mensch ein Künstler’, sondern das ‘kalte Schweigen” des alten Duchamp, der die Kunst aufgab und Schach spielte,’ schreibt Brigitte Borchhardt-Birbaumer in einem Artikel über den erweiterten Kunstbegriff in der “Wiener Zeitung”.

Duchamp war 1915 von Paris nach New York übergesiedelt, wo er zusammen mit Katherine Dreier und Man Ray die “Societé Anonyme” gründete. 1923 gab er die Kunst auf, die Ready-Mades waren für ihn eine Art Gegenkunst. Seine Ideen dazu wurden von Jasper Johns und Robert Rauschenberg aufgegriffen.

Gegenüber der Beuysschen Parole, “Jeder Mensch ein Künstler”, wandte der französische Philosoph Christian Delacampagne ein: “Wenn jeder bildender Künstler werden oder es zumindest versuchen kann, wird keiner Erfolg haben. Zum Erfolg benötigt man ein Minimum an Aufmerksamkeit. Das ist nichts Neues. Neu aber ist, dass es keine logische Verbindung mehr gibt zwischen der Laufbahn, die jemand beruflich oder von der Ausbildung her beschreitet, und der Aufmerksamkeit, die er erhält. Um Erfolg zu haben, genügt es heutzutage, zu wissen, wie man sich verkauft.”

Der oben bereits erwähnte LMD-Autor Célérier gibt demgegenüber zu bedenken: “Je unsichtbarer die Kunst im Rahmen ihres traditionellen Kanons wird, umso mehr muss der Künstler mit subversiven Mitteln für seine Sichtbarkeit sorgen. Und auf diesem Gebiet haben die lebenden Künstler im Vergleich zu ihren Vorgängern allerlei Trümpfe in der Hand: Sie können Sammler treffen und versuchen, deren Interesse zu wecken (was legitim ist), sie können aber auch auf die Nachfrage reagieren (was weniger legitim ist, wenn man bedenkt, dass ein Künstler sich zuallererst dadurch definiert, dass er ein Risiko eingeht, dass er Werke schafft, die das Publikum nicht erwartet.”

Zunächst war Paris das Mekka der modernen Kunst – und dementsprechend zog es Künstler von überall her an, die dort ins Geschäft kommen wollten. Vor allem amerikanische Künstler. Auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg, als man mit wenig Dollar in Paris bereits heftig auf den Putz hauen konnte. Außerdem waren die Amis, bis De Gaulle sie 1968 rausschmiß, sowieso in Paris und im nahen Droux, wo sich eine Airforce-Base befand, stationiert.

Bereits 1928 komponierte George Gershwin seinen Welterfolg “Ein Amerikaner in Paris. Auch der gleichnamige Film, 1951 von Vincente Minelli gedreht, wurde ein großer Erfolg. Ihm folgte eine ganze Serie über Künstler und ihre Frauen in Paris, beginnend mit Irma la Douce und Vincent van Gogh, gespielt von Shirley MacLaine und Kirk Douglas.

Derweil schmiedeten einige New Yorker Künstler, Galeristen, Sammler und Museumsdirektoren einen Komplott – mit dem es ihnen gelang, die Kunst von Paris nach New York zu holen. Seitdem wird der internationale Kunstmarkt von dort beherrscht. Es gibt darüber inzwischen eine ziemlich genaue französische Recherche – von Serge Guilbaut: “Wie New York die Idee der Modernen Kunst gestohlen hat: Abstrakter Expressionismus, Freiheit und Kalter Krieg”. Auch die CIA spielte dabei eine Rolle, indem sie z.B. überall in Europa Kongresse mit Kunstkritikern und Philosophen durchführte.

Pataud Célérier schreibt: “Von der englischen Monatszeitschrift ‘Art Review’ wird jedes Jahr das ungeduldig erwartete Ranking “Power 100″ mit den hundert einflussreichsten Persönlichkeiten aus der Welt der zeitgenössischen Kunst veröffentlicht. In diesem Ranking tauchen nur vergleichsweise wenige Künstler auf (19 Prozent) – unter den bestplatzierten Damien Hirst (Platz 6) und Jeff Koons (Platz 13) -, dafür ist aber der Anteil der Sammler von 19 Prozent im Jahr 2002 auf 31 Prozent im Jahr 2007 gestiegen; es folgen Galeristen und Zwischenhändler mit 22 Prozent. Sammler sind da, wo das Geld sitzt, und so überrascht es auch nicht, dass 74 Prozent der in dem Ranking angeführten Personen US-Amerikaner und Briten sind.
‘Zum Vergleich: Die Gagosian Gallery mit ihren Niederlassungen in New York, London, Rome und Beverly Hills macht jährlich einen Umsatz, der mindestens fünfzehnmal so hoch ist wie unser, und der beträgt 15 Millionen Euro’, sagt Jean Frémon, einer der Leiter der berühmten französischen Galerie für zeitgenössische Kunst Lelong. ‘Da sich die Käufer häufig für Künstler ihrer Nationalität entscheiden, manchmal nur aus dem einfachen Grund der geografischen Nähe, besitzen angelsächsische Künstler heute den höchsten Marktwert.'”

Ähnlich wie bei der Kunst ging man in Amerika auch bei der Pariser Naturwissenschaft vor. Zum Beispiel bei dem französischen Genetiker und späteren Nobelpreisträger Jacques Monod. Als junger Wissenschaftler am Pariser Pasteur-Institut war er zunächst Mitglied der Kommunistischen Partei und überzeugter Lamarckist gewesen. 1943 kam er mit dem Biologen und Marxisten Marcel Prenant in Kontakt, der damals Leiter der Widerstandsgruppe FTP (Francs-tireurs et partisans) war. Er delegierte Monod zu den Streitkräften des Freien Frankreichs, wo dieser dann im Range eines Majors dem Stab des Generals de Tassigny angehörte. Er war also quasi ein Widerständler.

Nach dem Krieg kehrte Monod an das Pariser Institut zurück, wo er sich in der Folgezeit vom “Lamarxismus” abwandte und mehr und mehr zu einem militanten Neodarwinisten wurde. Das geschah jedoch nicht aus innerer Überzeugung – die Amis mußten da erst gehörig nachhelfen. Die US-Genetikhistorikerin Lily E. Kay merkt dazu an: “Eine Verbindung mit der KPF, die in den frühen Fünfziger Jahren in Frankreich sehr präsent war, schien eher schädlich für französische Wissenschaftler, die von amerikanischen Behörden unter der Schirmherrschaft des Marshall-Plans unterstützt wurden…Noch nachteiliger war eine solche Verbindung auf dem Höhepunkt der Hexenjagd des McCarthyismus.”

Denn sie erschwerte es z.B. Monod, für Einladungen an amerikanische Forschungsinstitute ein US-Visa zu bekommen. Nachdem er sich jedoch vom sowjetischen Lyssenkoismus und der KP distanziert hatte, finanzierte ihm die Rockefeller-Stiftung sogar ein eigenes Labor für Molekularforschung im Pasteur-Institut, woraufhin die von De Gaulle eingerichtete “Délégation Générale à la Recherche Scientifique et Technique” (“eine Institution zur militärischen Mobilmachung der Wissenschaft im Kalten Krieg”) die ‘Molekularbiologie’ als “Speerspitze einer künftigen Wissenschaft und Biotechnologie” anerkannte, wie Lily E. Kay hinzufügt.

Monod war damit auf die antikommunistische Seite übergewechselt – an die Seite der US-Genetiker. Und Frankreich war damit auch mit seinem Welt- und Menschenbild in das westliche Verteidigungsbündnis eingebunden, obwohl es daneben immer wieder versuchte, diesbezüglich eine – quasi dritte – Position zu beziehen.

Das Vorgehen der Amerikaner bei Siemens in München jetzt scheint ein “philosophischer Mix” aus der einstigen Strategie in bezug auf die Pariser Kunst und auf die Naturwissenschaft zu sein, das legen jedenfalls die bisherigen Analysen einiger Berliner Siemensianer nahe, die sich seit dem 1.Juni regelmäßig in einem Arbeitskreis über diese Vorgänge in “ihrem” Konzern verständigen. “Über dessen Schicksal wird jetzt schon faktisch in New York entschieden,” meinen sie.

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kommentare

  • Zu dem obigen Komplex gehört noch eine weitere Recherche: «Wer die Zeche zahlt … Der CIA und die Kultur im Kalten Krieg». Lothar Baier rezensierte dieses Buch für die Zürcher WOZ:

    Von antikommunistischem Idealismus ist da wenig zu merken, umso mehr jedoch von trivialer Abstaubermentalität.

    Mit wachsendem Abstand zur Epoche des Kalten Krieges vermehren sich, vor allem in den USA und in Grossbritannien, aufschlussreiche, solide recherchierte Innenansichten des Kalten Krieges. Dazu gehört eine 1999 bei Granta Books in London erschienene und alsbald mit einem Preis der Royal Historical Society ausgezeichnete Arbeit der britischen Schriftstellerin und Dokumentarfilmerin Frances Stonor Saunders über den Kalten Krieg in der Kultur. Ihr Titel «Who Paid the Piper?» wurde in der soeben erschienenen deutschen Übersetzung treffend als «Wer die Zeche zahlt …» wiedergegeben. Der Untertitel «Der CIA und die Kultur im Kalten Krieg» lässt keine Missverständnisse darüber aufkommen, wer da als Zahler gemeint ist.

    Merkwürdigerweise ist diese deutsche Ausgabe im konservativen Berliner Siedler Verlag herausgekommen und nicht, wie eher zu erwarten gewesen wäre, in einem linken Haus. Die Autorin vergeht nämlich nicht gerade vor Bewunderung für den kulturell organisierten Antikommunismus, dessen Spuren sie vor allem in US-amerikanischen Archiven und durch Befragung von überlebenden Zeugen jener Aktivitäten nachgegangen ist. Linke Einrichtungen in Deutschland scheinen zurzeit ja auch vorwiegend mit der eigenen Nabelschau und nicht mit der Zeitgeschichte beschäftigt zu sein.

    Im Mittelpunkt des Interesses von Frances Stonor Saunders steht jener 1950 in Westberlin gegründete «Kongress für kulturelle Freiheit», der einer verbreiteten Legende zufolge nichts anderes als das Werk unbestechlicher Idealisten gewesen sei. Abgefallene Kommunisten, Freunde einer demokratischen Arbeiterbewegung, unabhängige, linksliberal gesonnene Intellektuelle, diese alle hätten sich demnach in ganz und gar uneigennütziger Absicht zusammengetan, vor Augen nur das gemeinsame Projekt: den um 1950 in Westeuropa noch virulenten kommunistischen Einfluss zurückzudrängen. Die Legende gesteht zwar die Einschränkung zu, dass der «Kongress für kulturelle Freiheit» in der Tat mit dem amerikanischen Geheimdienst CIA in Verbindung kam, setzt dafür aber einen sehr späten Zeitpunkt an. Das Netzwerk der vom Kongress unterhaltenen Zeitschriften – wozu «Der Monat» in Deutschland, «Preuves» in Frankreich und «Encounter» in Grossbritannien gehörten – sei zusammen mit seinem internationalen Konferenzbetrieb in finanzielle Schwierigkeiten geraten, und erst in diesem Augenblick, Mitte der sechziger Jahre, habe der CIA unterstützend eingegriffen. Als die «New York Times» 1966 die Geheimdienstfinanzierung solcher kultureller Aktivitäten enthüllte, wurde das von den Betroffenen zur lediglich vorübergehenden Nothilfe heruntergestuft.

    Alles falsch, lautet der Befund der britischen Autorin. Ihre Recherchen ergaben, dass der «Kongress» von Anfang an ein Werkzeug in den Händen des US-amerikanischen Geheimdienstes gewesen ist. Die US-Regierung, heisst es in der Einleitung, investierte während der Hochphase des Kalten Krieges «enorme Summen in ein geheimes Programm, das der kulturellen Propaganda in Westeuropa diente … Sein Auftrag war es, der westeuropäischen Intelligenz allmählich ihre latente Sympathie für Marxismus und Kommunismus auszutreiben, um sie so nach und nach an den American Way heranzuführen.»

    War dieses ganze Unternehmen, bei all seiner Fragwürdigkeit, letzten Endes, im Licht der den Kommunismus beiseite fegenden Weltgeschichte, nicht doch irgendwie historisch sinnvoll und gerechtfertigt? Solche eher geschichtsphilosophischen Sinnfragen interessieren Frances Stonor Saunders nicht. Die Dokumentarfilmerin ist auf nachprüfbare Fakten aus. Ihr Buch ist zu grossen Teilen eine ausserordentlich spannend und kurzweilig zu lesende Studie über die Korrumpierbarkeit einer bestimmten Kaste von Intellektuellen und Künstlern. Man begegnet beispielsweise dem erfolglosen Komponisten Nicolas Nabokov, einem Cousin des «Lolita»-Autors, der als kultureller CIA-Agent sich endlich einen Traum erfüllen und über das Konzertleben halb Westeuropas mitbestimmen durfte. In dieser Geschichte tauchen allerlei seltsame Vögel auf, Exemplare einer Spezies, die Hannah Arendts Ehemann Heinrich Blücher 1955 im Blick auf den freiheitlichen Kongresstourismus als «Lumpenintellektuelle» bezeichnet hat.

    Von antikommunistischem Idealismus ist da wenig zu merken, umso mehr jedoch von trivialer Abstaubermentalität: Gegen fette Honorare und Unterbringung in Schweizer Luxushotels wurden da im Namen des Kampfes gegen den Kommunismus die immer gleichen, langweiligen, anderweitig bereits bezahlten Vorträge gehalten. Der ehemalige Kommunist Arthur Koestler, Hauptredner des ersten Kongresses für kulturelle Freiheit 1950 in Berlin, hatte eines Tages das dumpfe Gefühl, in einen, wie er sagte, «internationalen akademischen Hurenring» hineingeraten zu sein. Nüchtern betrachtet, ähnelt dieser Kongress einer Art Versorgungsanstalt für ebenso geldgierige wie ruhmsüchtige Lumpenkünstler und Lumpenintellektuelle, die sich das antikommunistische Mäntelchen lediglich aus Verkaufsgründen umhängten. Der Kalte Krieg war ihnen teuer, weil er sie ernährte und ihnen ein wenig Glamour bescherte.

    Aus dem von der britischen Autorin mit Genuss am Sarkasmus beschriebenen kulturellen Kongressmorast ragen nur wenige respektable Figuren heraus, an erster Stelle der französische konservative politische Philosoph Raymond Aron. Dieser ehemalige Studienkamerad Sartres hatte es mit seinen Widerlegungen des Marxismus philosophisch durch und durch ernst gemeint: Als er bei einer Versammlung von Kongressmitgliedern erfuhr, dass hinter den Kulissen der amerikanische Geheimdienst die Fäden zog, stürmte er vor Wut kochend und Türen schlagend aus dem Saal. Die Exkommunisten unter seinen Gefährten fanden an der geheimdienstlichen Führung ihres freiheitlichen Idealismus jedoch nichts auszusetzen.

    Und ferner das heute in der taz von Friedhelm Lövenich besprochene Buch “Memoiren eines Moralisten”, darin heißt es u.a.:

    Einigen Glücklichen gelang die Flucht aus dem brennenden Europa in die USA, wohin sie versuchten, ihre Kultur auf dem Rücken mit hinauszuretten wie Äneas seinen Vater Anchises. Aber dort trafen sie, die Rückwärtsgewandten, die wie der von Walter Benjamin so geliebte “Angelus Novus” von Paul Klee mit dem Gesicht zur Vergangenheit in die Zukunft trieben, auf eine Kultur des der Zukunft zugewandten Optimismus, der ihr Leiden am Gegenwärtigen überhaupt nicht zu erfassen in der Lage war. Das rettende Gestade erschien allzu bald als ein Land ohne Kultur, Stil und Würde, und Sahl schildert den Kulturschock, den living in America für viele Exilanten bedeutete; ihnen kamen die USA manchmal wohl wie ein Faschismus mit menschlichem Antlitz vor, woran möglicherweise auch die schöne Zeit in der Künstler- und Intellektuellenkolonie von Provincetown am Cape Cod nichts ändern konnte.

    Denn nicht unähnlich der polarisierenden Situation in der Endphase der Weimarer Republik erging es Sahl auch in den USA, als er einen kritischen Artikel gegen den Abstrakten Expressionismus veröffentlichte, der ihn aus der Kunstszene geradezu hinauskatapultierte in den luftleeren Raum, genauso wie den weiterhin gegenständlich malenden – und heute rehabilitierten – Edward Hopper.

    Sahl arbeitet in den USA als Korrespondent für deutschsprachige Zeitungen und als Übersetzer aktueller englischsprachiger Literatur wie der von Thornton Wilder, Tennessee Williams und Arthur Miller. Als er in den Fünfzigerjahren nach Deutschland zurückkehrt, will dieses Land ihn nicht und lässt ihn sich “zu Hause” fremder fühlen als im amerikanischen Exil, in das er daraufhin ein zweites Mal flieht. Erst 1989, mit 87 Jahren, übersiedelt er nach Tübingen, das noch so aussah wie manche der Kleinstädte, die er aus der Zeit vor dem Krieg kannte, und stirbt dort vier Jahre später.

  • Anne Hoormann schreibt über die mit dem Coup sich durchsetzende “Entfernung der Inhalte aus dem Bild”:

    In seinem berühmten Essay »The Sublime is Now« aus dem Jahr 1947 stell te der amerikanische Künstler Barnett Newman die Forderung nach neuen Bildern ­ nach Bildern, die sich nicht mehr in die Tradition der europäischen Kunstgeschichte eingliedern lassen, sondern sich vielmehr dieser entziehen. Er forderte eine Bildsprache, die voraussetzungslos und ohne kulturellen Hintergrund ist. Vom Betrachter verlangte er optische Neutralität. Das Bild sollte ohne VorUrteile betrachtet, Assoziationen und Erinnerungen sollten beim
    Sehen ausgeblendet werden. Dabei appellierte Newman an die Unmittelbarkeit der Wahrnehmung, um darüber eine ästhetische Erfahrung im Sinne des
    »Sublimen« zu ermöglichen. Dabei ging es nicht mehr um die Darstellung von Etwas, sondern um eine existentielle Grenzerfahrung, ausgelöst durch die Malerei selbst. Das Bild sollte zum Medium der eigenen Selbstvergewisserung werden, zu einem Medium, das den Betrachter veranlaßt, seinen Standort in der Geschichte zu verlassen. Dieser sollte erfahren »that man is present« (Newman).

    Mit seiner Auffassung eines geschichtslosen Bildes stand Newman nicht allein. Künstler wie Clifford Still, Robert Motherwell, Jackson Pollock, Ad Reinhardt oder Mark Rothko schlossen sich seiner Position an. Auch sie wollten ausschließlich die Emotionen des Betrachters ansprechen. So stellten Rothko zufolge »Erinnerung, Geschichte und Geometrie […] ein Hindernis zwischen
    der Idee und dem Betrachter« dar. Ad Reinhardt ging in seiner Argumentation
    noch darüber hinaus, indem er nicht nur versuchte seine Malerei aus dem Kontext ihrer Geschichte zu lösen, sondern auch alle illustrativen Elemente oder benennbaren Inhalte aus dem Bild zu entfernen. Zum Ausdruck sollte allein die künstlerische Subjektivität kommen. »Wir haben das Naturalistische, und unter anderen Dingen das Supernaturalistische und umgehend das Politische
    beseitigt«, schreibt er 1950. »Du legst alles über dich selbst hinein, aber nichts außerhalb deiner selbst.«

    Wie jedoch sollte das Bild beschaffen sein, das sich durch den Bruch mit
    der eigenen Geschichte neu konstituieren und darüber hinaus noch von allen narrativen, didaktischen oder politischen Funktionen entbunden werden sollte? Es konnte sich nur ex negativo definieren. Das bedeutete, daß sich der Abstrakte Expressionismus von seinen eigenen Wurzeln abschnitt. Er grenzte
    sich sowohl von der amerikanischen SceneMalerei als auch von den künstlerischen Avantgarden ab, die sich schon von dem Zweiten Weltkrieg einen Standort im Kunstgeschehen New Yorks verschafft hatten. Die Künstler distanzierten sich etwa vom Surrealismus, obwohl einige zunächst von ihm beeinflußt waren. Aber auch gegenüber anderen Kunstrichtungen verhielten sie sich ablehnend. Man versuchte sich von den avantgardistischen Positionen abzunabeln, sich ihrer nicht mehr zu erinnern.

    Diese widersprachen schon vom
    Ansatz her den Prinzipien des Abstrakten Expressionismus. Der Kollektivismus
    der Avantgardebewegungen, wie er in den gemeinsam verfaßten Manifesten
    und Vereinbarungen sichtbar wurde, stand ihrer Vorstellung vom autonomen
    Künstlersubjekt entgegen. Die Künstler sahen sich als Außenseiter und unabhängig von kulturellen und gesellschaftlichen Bindungen. Ihre Abneigung
    gegenüber den Avantgarden der Vorkriegszeit ging sogar soweit, daß sie diese der Ideologie totalitärer Systeme verdächtigten. Hinter den Bauhausideen vermutete man sogar ein totalitäres Denken. Über den Surrealismus äußerte sich
    Newman lakonisch, seine dämonische Bildsprache habe sich mehr oder weniger erledigt, da sie von der grausamen Realität des Krieges und des Holocausts eingeholt worden sei.

    Diese vernichtende Haltung gegenüber der Avantgarde fand sich auch in
    ihrer Bildauffassung wieder. Die Abstrakten Expressionisten bezogen sich
    ausschließlich auf kunstimmanente Fragen und griffen weder die Kunst selbst
    noch die Gattung Malerei an. Die Betonung des Visuellen, das sich nicht mit
    ästhetischen Erfahrungen außerhalb seiner vermischen sollte, führte dazu, die
    Kunstavantgarde hinsichtlich ihrer Normen und ihres Schönheitskanons zu kritisieren. Selbst ein Piet Mondrian, der noch am weitesten ihrem Ideal einer referenzlosen Malerei entgegenkam, geriet unter ihre Kritik. Seine Gemälde seien keine reine Abstraktion. Mondrian gebe lediglich das geometrische Abbild der Natur wieder. Darüber hinaus warfen sie ihm vor, daß er mit seiner Geometrie auch weiterhin am Schönheitskanon europäischer Kunst festhalte. Akademische Regelwerke waren den Abstrakten Expressionisten verhaßt. Die Geometrie galt als Endpunkt einer fehlgeleiteten europäischen Kunstentwicklung, die sich aus dem Streben nach Schönheit entwickelt habe. Newman erklärte, daß nur in
    einer nichtgeometrischen Kunst der Anfang einer neuen Kunstentwicklung zu
    finden sei, und Still fügte hinzu, daß man sich endlich aus dem »euklidischen Gefängnis« befreien solle.

  • Auf einer Webpage des ehemaligen Fluxuskünstlers Nam June Paik wird der Zusammenhang von Kunst, Kybernetik und Biotechnologie so aufgezeigt:

    Rockefeller, Art and Defense

    Anfang und Mitte der 60er Jahre gelangen neue Technolgien wie Computer, Themen wie Kybernetik, künstliche Intelligenz, Systemtheorie und Ideen über eine Psychiatrisierung von Gesellschaft langsam, aber stetig aus den bislang streng geheimen und den Augen der Öffentlichkeit verschlossenen Waffenkammern der Militärlabore, wie des Lincoln Labs, oder der Universitätslabore in Stanford, der UCLA oder des MIT, oder den internen Fachdiskursen der Wissenschaftler in die Öffentlichkeit – entsprechend dem Bonmot Buckminster Fullers: Die Rakete von heute ist die Waschma-schine von morgen!
    Eine wichtige Rolle bei dieser Öffnung und „Umformatierung“ spielt die Kunst. Durch eine Reihe von Ausstellungen, die erstmals bislang hinter Labortüren verborgene Maschinen wie Computer, Hyperlinksysteme oder Software im Kunstkontext präsentierten, erhielten diese bisher militätisch konnotierten Maschinen eine neue Aura und wurden durch Kunst nobilitiert.
    Ein ganzes System von Förderungen entsteht für die diese neuen Kunst von Künstler-Ingenieuren, einem sich bald zum „Art&Technology business“ auswachsenden Wechselspiel zwischen Künstlern, Industrie, privaten, halb-staatlichen und staatlichen Foundations und Institutionen wie Rockefeller oder Bell Labs (siehe auch Macy Konferenzen). Das Ergebnis sind Ausstellungen, Media-Programme, Atelierprogramme wie z.B. in New York (the kitchen) des New York Arts Council, die Förderung von E.A.I., Aufbau und Förderung des experimentellen Fernsehkanals WGBH-TV in Boston, der seit 1964 experimentelle Sendungen in Boston ausstrahlt und Avantgardekünstler zu Workshops einläd.
    In der Förderung von Künstlern, die mit neuen Technologien arbeiten, ist u.a. die Rockefeller Foundation einer der key player. Der ehemalige Musikkritiker Howard Klein leitet das Mediaprogramm der Rockefeller Foundation und finanziert und fördert ein Netzwerk von Künstlern, Veran-staltungen und Vertriebsmöglichkeiten. Einer der Künstler, der kontinuierlich gefördert wird, ist Nam June Paik.1963/64 kommt Paik nach New York, und erhält 1965 ein Stipendium der Rockefeller-Stiftung, dem JDR 3rd Fund. Das ermöglicht ihm, einer der ersten Käufer eines tragbaren Videorecorders zu sein. Am 4.Oktober 1965 fand die Premierenvor-führung der ersten Videoaufnahmen im Cafe´ Au Go Go statt. (Manifest: Electronic Video recorder). Für Paik ist die Entwicklung des Computers nützlich für die elektronische Bilderzeugung. Im zweiten Weltkrieg hatte es schon spontane Versuche von Künstlern gegeben, den Radar dafür zu nutzen (Karl Otto Götz, der sich ärgerte, weil das nicht „programmierbar“ war bzw. nicht wiederholbar ware und die Ergebnisse unvorhersehbar. Der Wunsch war ein exakt vorausberechnetes Bild, und eine Programm-Wiederholung.
    Paik war angeregt durch Bücher über Elektronik und das sich scheinbar ankündigende „elektronische Zeitalter“, durch Bücher etwa wie von Prieberg: „Musik des technischen Zeitalters“ (1956).
    Wie andere Künstler auch sah er eine Differenz zwischen Kunstpraxis und technisch-wissenschaftlicher Entwicklung. Radio, Fernsehen und Elektronik erschienen als neue zukunftsweisende Techniken.
    In Paiks „random acess“, einer in der Galerie Parnass erstmals präsentierter Tonbandarbeit war der Titel aus der Computer-Terminologie entlehnt
    Zitat Paiks aus „Radical Software No. 2, „Video Synthesizer plus“(1970):
    Big TV studios always scares me. Many layers of „Machine Time“ parallely running, engulfs my idendity. It always brings me the niety of Norbert Wiener, seeing the delicate yet formidable Dichotomy of human Time and Machine time, a particular contingency of so-called Cybernetic age. (I use technology in order to hate it more properly.“
    Wie für John Cage, die Vaterfigur der Intermedialen Kunst der 60er Jahre, ist auch für Paik die Interaktion von Publikum, Werk und Künstler bestimmendes Element einer Ästhetik, deren Ideal eine Kunstform jenseits etablierter Gattungen, Kategorien und Institutionen ist. Für ihn und die „Fluxus-Nomaden“, angeführt von George Macunias und Dick Higgins, gehören dazu auch die Abkehr von Tradition und nationaler Bindung wie örtlicher Bindung, der Verzicht auf ein abgeschlossenes Werk, auf Copyright, Originalität, und Urheberrecht. Man strebt ein „offenes Kunstwerk“ an. Die gewählten Ausdrucksformen wie Aktionskunst oder Happening streben nach Auflösung des statischen Werkbegriffs, der Bindung an Raum, Zeit, Idendität – und übertragen so zentrale Kategorien und Begriffe aus den in jenen Jahren modernen/modischen Theorien wie Kybernetik, Systemtheorie oder von Künstlicher Intelligenz.
    Das Ideal und der Traum von einer Kunst ohne Hierarchie von Betrachter und Schöpfer – all das ist einerseits Ausdruck und Teil einer naiven Technikbegeisterung in den 60ern (siehe utopische Entwürfe wie das „Manifest der Zukunft der Kunst“ von Nicolas Schöffer), der Hoffnung auf Wiedergeburt der Moderne durch Künstler-Ingenieure und neue Werkzeuge, andererseits bewußte bzw. unbewußte Übernahme von Rollenmodellen technischer Entwicklungen, die im „heißen“ zweiten Weltkrieg begannen und nun im „kalten Krieg“ der Nachkriegszeit weiterentwickelt werden.
    Während aber die modernen Künstler bei der Propagierung und Durchsetzung von Slogans wie INTERAKTIVITÄT oder NETWORKING im öffentlichen Bewußtsein und in den Medien der 60er Jahre eine große Rolle zu spielen scheinen, sind sie unbedeutend und kaum beteiligt, als diese Utopien in den 90ern ihre technische Realisierung erfahren.
    Zu diesem Zeitpunkt scheinen diese Künstler und ihre Kunst als „Wegbereiter“ oder „Aura-Spender“ für Politik, Militär und Wirtschaft nicht mehr erfoderlich.
    Die Rolle von Kunst und Kultur bei den Intermedialen Aufbrüchen der 60er Jahre erscheint im Nachhinein als eine „Lockerungsübung“, um im Zusammenspiel von New York art scene, Hippies, Rockefeller Foundation, MOMA, Drogen, Militär, OSS und CIA strategische und technologische Konzeptionen des Kalten Kriegs sowohl in den USA wie in Europa
    um- und durchzusetzen.

    siehe auch Jack Burnham – Software – Hans Haacke – Art&Technology

    Im Frühjahr 1974 schrieb der koreanische Künstler Nam June Paik im Auftrag der amerikanischen Rockefeller-Stiftung einen Aufsatz mit dem Titel: „Medienplanung für das nachindustrielle Zeitalter – Bis zum 21.Jahrhundert sind es nur noch 26. Jahre“ Paik schlägt der Stiftung den Bau neuer elektronischer SUPERAUTOBAHNEN vor.
    Zwanzig Jahre später (1993) heißt es triumphierend in einem Text von Paik im Katalog zur Biennale in Venedig (an der Paik mit einer Installation teilnimmt, sein Assistent ist Paul Garrin): „Clinton has stolen my idea“.
    Clinton hatte im Wahlkampf (1994) im Magazin „TIME MAGAZIN“ den Bau eines „electronic super-highway“ angekündigt, der nicht nur im Titel, sondern auch in vielen technischen Details verblüffende Ähnlichkeit mit Paiks utopischem Vorschlag von 1974 hatte. Im Gegensatz zu Paiks Zukunftsvision konnte sich aber Clintons Wahlkampfrethorik sich auf eine nunmehr existierende technologische Grundlage stützen: das INTERNET, das 1974, als Paik seinen Datenhighway vorschlug, nur eine kleine Community von Wissenschaftlern und Militärs in den USA verband, und seit Anfang der 90er Jahre einer immer breiteren Öffentlichkeit zugänglich wurde.

    siehe auch Arpa – Arpanet – Robert Taylor – Larry Roberts – Paul Garrin

    Literatur:

    Frances Stonor Saunders: Wer die Zeche zahlt…Der CIA und die Kultur im Kalten Krieg; Siedler, 1999

    Serge Guilbaut: Wie New York die Idee der modernen Kunst gestohlen hat; Verlag der Kunst G+B Fine Arts Verlag GmbH, 1997

    Arthur M. Schlesinger jr. The Vital Center: Our purposes and perils on the tightrope of American Liberalism, (The riverside Press, Mass.,1949; rev. Neuauflage (Houghton Mifflin) Boston 1962

    Cockroft, Eva: „Abstract Expressionism: Weapon of the Cold War“, in: Artforum, Vol. 12, Juni 1974, S. 39 – 41

    Peggy Guggenheim: Ich habe alles gelebt. Die Memoiren der >Femme Fatale< der Kunst. (Scherz) München/Bern 1979

    Dieter Honisch/Jens Christian: Amerikanische Kunst von 1945 bis heute“. DuMont Köln 1976

    Horowitz, David: Big Business und Kalter Krieg, (März) Frankfurt a.Main 1971

    Kolko, Gabriel: Die Hintergründe der US-Außenpolitik (Europäische Verlangsanstalt) Frankfurt a.Main 1971

    Kozloff, Max: American Painting during the Cold war“, in: Artforum, Mai 1973, S. 43-54

    Read, Herbert: Culture and Education in World Order, Kat. The Museum of Modern Art, New york 1948

    Sandler, Irving: Der Triumph der Amerikanischen Malerei, (Pawlak) Herrsching 1974

    Sorenson, Thomas C.: Auch wenn sie uns nicht lieben. Die Methode der amerikanischen Propaganda, (Walter) Olten/Freiburg 1969

    Williams, William Appelman: Die Tragödie der amerikanischen Diplomatie (Suhrkamp) Frankfurt a.Main 1973

  • Hier eine Quellenangabe zu obigem – aus antiqbook.nl:

    GUILBAUT, SERGE Wie New York die Idee der modernen Kunst gestohlen hat. Abstrakter Expressionismus, Freiheit und kalter Krieg
    Dresden (Verlag der Kunst) 1997; 264 pp.; German edition of the provacative publication “How New York Stole the Idea of Modern Art” which appeared in 1983; translation based on the French edition; with a foreword especially written by the author for this edition; softcover;

    Offered for EUR 25.00 = appr. US$ 39.48 by: From Art to Book and Back Again – Book number: FB2005103813
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    kulturzukunft.de schreibt über das Buch:

    Serge Guilbauts Buchtitel “Wie New York die Idee der modernen Kunst gestohlen hat” klingt wesentlich provokanter, als der Inhalt des Buches tatsächlich ist.

    Trotzdem wird sehr anschaulich und detailliert recherchiert beschrieben, wie sich die Entwicklung der Kunst in den USA zwischen 1938 und 1951 mit der antikommunistischen Außenpolitik vermengt, und so zu einer gezielten Speerspitze in Streben nach kultureller Dominanz wird.

    Es wird aufgezeigt, dass die Verlagerung des Zentrums moderner Kunst von Paris nach New York ein Baustein in der Etablierung des “American Way Of Life” in Europa gewesen ist, was in der künstlerischen Ausnahmestellung Jackson Pollocks die perfekte Gallionsfigur gefunden hat.

    1986, zehn Jahre vor diesem Buch erschien über diese Jackson-Pollock-Scharade bereits ein längerer Artikel in H.M.Enzensberger Zeitschrift “Transatlantik”.

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