Ready-Made-Chimären
Auf der Verkaufsausstellung “Le Grand Magasin” werden industriell gefertigte Waren (ein Bidet, ein Garderobenständer u.Ä.) von europäischen Produktivgenossenschaften als unsignierte “Ready-Mades” präsentiert.
“Seit Marcel Duchamp seine Ready-Mades (industriell gefertigte und vom Künstler lediglich signierte Gegenstände) ausstellte, weiß man, dass ein Objekt (ein Urinal, ein Flaschentrockner o. Ä.) in dem Moment zu einem Kunstwerk werden kann, in dem der Künstler es dazu bestimmt,” heißt es heute in einem Le Monde Diplomatique-Artikel von Pataud Célérier über “Künstler, Sammler und das Geld”.
In Wiesbaden kreierte der dort stationierte GI George Maciunas die “Fluxusbewegung”, der daraus hervorgegangene Joseph Beuys spitzte den von Duchamp erweiterten Kunstbegriff noch zu: “Kunst ist alles, was signiert ist”. An Duchamps Ready-Mades kritisierte Beuys, dass sie als solche von ihren Produktionsbedingungen vollständig abgetrennt wurden.
“Interessant ist der Vorwurf, den Beuys Duchamp machte: nicht die Ready-Mades störten ihn, denn die entsprachen auch seiner Gleichung von Kunst und Leben im Sinne von ‘Jeder Mensch ein Künstler’, sondern das ‘kalte Schweigen” des alten Duchamp, der die Kunst aufgab und Schach spielte,’ schreibt Brigitte Borchhardt-Birbaumer in einem Artikel über den erweiterten Kunstbegriff in der “Wiener Zeitung”.
Duchamp war 1915 von Paris nach New York übergesiedelt, wo er zusammen mit Katherine Dreier und Man Ray die “Societé Anonyme” gründete. 1923 gab er die Kunst auf, die Ready-Mades waren für ihn eine Art Gegenkunst. Seine Ideen dazu wurden von Jasper Johns und Robert Rauschenberg aufgegriffen.
Gegenüber der Beuysschen Parole, “Jeder Mensch ein Künstler”, wandte der französische Philosoph Christian Delacampagne ein: “Wenn jeder bildender Künstler werden oder es zumindest versuchen kann, wird keiner Erfolg haben. Zum Erfolg benötigt man ein Minimum an Aufmerksamkeit. Das ist nichts Neues. Neu aber ist, dass es keine logische Verbindung mehr gibt zwischen der Laufbahn, die jemand beruflich oder von der Ausbildung her beschreitet, und der Aufmerksamkeit, die er erhält. Um Erfolg zu haben, genügt es heutzutage, zu wissen, wie man sich verkauft.”
Der oben bereits erwähnte LMD-Autor Célérier gibt demgegenüber zu bedenken: “Je unsichtbarer die Kunst im Rahmen ihres traditionellen Kanons wird, umso mehr muss der Künstler mit subversiven Mitteln für seine Sichtbarkeit sorgen. Und auf diesem Gebiet haben die lebenden Künstler im Vergleich zu ihren Vorgängern allerlei Trümpfe in der Hand: Sie können Sammler treffen und versuchen, deren Interesse zu wecken (was legitim ist), sie können aber auch auf die Nachfrage reagieren (was weniger legitim ist, wenn man bedenkt, dass ein Künstler sich zuallererst dadurch definiert, dass er ein Risiko eingeht, dass er Werke schafft, die das Publikum nicht erwartet.”
Zunächst war Paris das Mekka der modernen Kunst – und dementsprechend zog es Künstler von überall her an, die dort ins Geschäft kommen wollten. Vor allem amerikanische Künstler. Auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg, als man mit wenig Dollar in Paris bereits heftig auf den Putz hauen konnte. Außerdem waren die Amis, bis De Gaulle sie 1968 rausschmiß, sowieso in Paris und im nahen Droux, wo sich eine Airforce-Base befand, stationiert.
Bereits 1928 komponierte George Gershwin seinen Welterfolg “Ein Amerikaner in Paris. Auch der gleichnamige Film, 1951 von Vincente Minelli gedreht, wurde ein großer Erfolg. Ihm folgte eine ganze Serie über Künstler und ihre Frauen in Paris, beginnend mit Irma la Douce und Vincent van Gogh, gespielt von Shirley MacLaine und Kirk Douglas.
Derweil schmiedeten einige New Yorker Künstler, Galeristen, Sammler und Museumsdirektoren einen Komplott – mit dem es ihnen gelang, die Kunst von Paris nach New York zu holen. Seitdem wird der internationale Kunstmarkt von dort beherrscht. Es gibt darüber inzwischen eine ziemlich genaue französische Recherche – von Serge Guilbaut: “Wie New York die Idee der Modernen Kunst gestohlen hat: Abstrakter Expressionismus, Freiheit und Kalter Krieg”. Auch die CIA spielte dabei eine Rolle, indem sie z.B. überall in Europa Kongresse mit Kunstkritikern und Philosophen durchführte.
Pataud Célérier schreibt: “Von der englischen Monatszeitschrift ‘Art Review’ wird jedes Jahr das ungeduldig erwartete Ranking “Power 100″ mit den hundert einflussreichsten Persönlichkeiten aus der Welt der zeitgenössischen Kunst veröffentlicht. In diesem Ranking tauchen nur vergleichsweise wenige Künstler auf (19 Prozent) – unter den bestplatzierten Damien Hirst (Platz 6) und Jeff Koons (Platz 13) -, dafür ist aber der Anteil der Sammler von 19 Prozent im Jahr 2002 auf 31 Prozent im Jahr 2007 gestiegen; es folgen Galeristen und Zwischenhändler mit 22 Prozent. Sammler sind da, wo das Geld sitzt, und so überrascht es auch nicht, dass 74 Prozent der in dem Ranking angeführten Personen US-Amerikaner und Briten sind.
‘Zum Vergleich: Die Gagosian Gallery mit ihren Niederlassungen in New York, London, Rome und Beverly Hills macht jährlich einen Umsatz, der mindestens fünfzehnmal so hoch ist wie unser, und der beträgt 15 Millionen Euro’, sagt Jean Frémon, einer der Leiter der berühmten französischen Galerie für zeitgenössische Kunst Lelong. ‘Da sich die Käufer häufig für Künstler ihrer Nationalität entscheiden, manchmal nur aus dem einfachen Grund der geografischen Nähe, besitzen angelsächsische Künstler heute den höchsten Marktwert.'”
Ähnlich wie bei der Kunst ging man in Amerika auch bei der Pariser Naturwissenschaft vor. Zum Beispiel bei dem französischen Genetiker und späteren Nobelpreisträger Jacques Monod. Als junger Wissenschaftler am Pariser Pasteur-Institut war er zunächst Mitglied der Kommunistischen Partei und überzeugter Lamarckist gewesen. 1943 kam er mit dem Biologen und Marxisten Marcel Prenant in Kontakt, der damals Leiter der Widerstandsgruppe FTP (Francs-tireurs et partisans) war. Er delegierte Monod zu den Streitkräften des Freien Frankreichs, wo dieser dann im Range eines Majors dem Stab des Generals de Tassigny angehörte. Er war also quasi ein Widerständler.
Nach dem Krieg kehrte Monod an das Pariser Institut zurück, wo er sich in der Folgezeit vom “Lamarxismus” abwandte und mehr und mehr zu einem militanten Neodarwinisten wurde. Das geschah jedoch nicht aus innerer Überzeugung – die Amis mußten da erst gehörig nachhelfen. Die US-Genetikhistorikerin Lily E. Kay merkt dazu an: “Eine Verbindung mit der KPF, die in den frühen Fünfziger Jahren in Frankreich sehr präsent war, schien eher schädlich für französische Wissenschaftler, die von amerikanischen Behörden unter der Schirmherrschaft des Marshall-Plans unterstützt wurden…Noch nachteiliger war eine solche Verbindung auf dem Höhepunkt der Hexenjagd des McCarthyismus.”
Denn sie erschwerte es z.B. Monod, für Einladungen an amerikanische Forschungsinstitute ein US-Visa zu bekommen. Nachdem er sich jedoch vom sowjetischen Lyssenkoismus und der KP distanziert hatte, finanzierte ihm die Rockefeller-Stiftung sogar ein eigenes Labor für Molekularforschung im Pasteur-Institut, woraufhin die von De Gaulle eingerichtete “Délégation Générale à la Recherche Scientifique et Technique” (“eine Institution zur militärischen Mobilmachung der Wissenschaft im Kalten Krieg”) die ‘Molekularbiologie’ als “Speerspitze einer künftigen Wissenschaft und Biotechnologie” anerkannte, wie Lily E. Kay hinzufügt.
Monod war damit auf die antikommunistische Seite übergewechselt – an die Seite der US-Genetiker. Und Frankreich war damit auch mit seinem Welt- und Menschenbild in das westliche Verteidigungsbündnis eingebunden, obwohl es daneben immer wieder versuchte, diesbezüglich eine – quasi dritte – Position zu beziehen.
Das Vorgehen der Amerikaner bei Siemens in München jetzt scheint ein “philosophischer Mix” aus der einstigen Strategie in bezug auf die Pariser Kunst und auf die Naturwissenschaft zu sein, das legen jedenfalls die bisherigen Analysen einiger Berliner Siemensianer nahe, die sich seit dem 1.Juni regelmäßig in einem Arbeitskreis über diese Vorgänge in “ihrem” Konzern verständigen. “Über dessen Schicksal wird jetzt schon faktisch in New York entschieden,” meinen sie.
Zu dem obigen Komplex gehört noch eine weitere Recherche: «Wer die Zeche zahlt … Der CIA und die Kultur im Kalten Krieg». Lothar Baier rezensierte dieses Buch für die Zürcher WOZ:
Von antikommunistischem Idealismus ist da wenig zu merken, umso mehr jedoch von trivialer Abstaubermentalität.
Mit wachsendem Abstand zur Epoche des Kalten Krieges vermehren sich, vor allem in den USA und in Grossbritannien, aufschlussreiche, solide recherchierte Innenansichten des Kalten Krieges. Dazu gehört eine 1999 bei Granta Books in London erschienene und alsbald mit einem Preis der Royal Historical Society ausgezeichnete Arbeit der britischen Schriftstellerin und Dokumentarfilmerin Frances Stonor Saunders über den Kalten Krieg in der Kultur. Ihr Titel «Who Paid the Piper?» wurde in der soeben erschienenen deutschen Übersetzung treffend als «Wer die Zeche zahlt …» wiedergegeben. Der Untertitel «Der CIA und die Kultur im Kalten Krieg» lässt keine Missverständnisse darüber aufkommen, wer da als Zahler gemeint ist.
Merkwürdigerweise ist diese deutsche Ausgabe im konservativen Berliner Siedler Verlag herausgekommen und nicht, wie eher zu erwarten gewesen wäre, in einem linken Haus. Die Autorin vergeht nämlich nicht gerade vor Bewunderung für den kulturell organisierten Antikommunismus, dessen Spuren sie vor allem in US-amerikanischen Archiven und durch Befragung von überlebenden Zeugen jener Aktivitäten nachgegangen ist. Linke Einrichtungen in Deutschland scheinen zurzeit ja auch vorwiegend mit der eigenen Nabelschau und nicht mit der Zeitgeschichte beschäftigt zu sein.
Im Mittelpunkt des Interesses von Frances Stonor Saunders steht jener 1950 in Westberlin gegründete «Kongress für kulturelle Freiheit», der einer verbreiteten Legende zufolge nichts anderes als das Werk unbestechlicher Idealisten gewesen sei. Abgefallene Kommunisten, Freunde einer demokratischen Arbeiterbewegung, unabhängige, linksliberal gesonnene Intellektuelle, diese alle hätten sich demnach in ganz und gar uneigennütziger Absicht zusammengetan, vor Augen nur das gemeinsame Projekt: den um 1950 in Westeuropa noch virulenten kommunistischen Einfluss zurückzudrängen. Die Legende gesteht zwar die Einschränkung zu, dass der «Kongress für kulturelle Freiheit» in der Tat mit dem amerikanischen Geheimdienst CIA in Verbindung kam, setzt dafür aber einen sehr späten Zeitpunkt an. Das Netzwerk der vom Kongress unterhaltenen Zeitschriften – wozu «Der Monat» in Deutschland, «Preuves» in Frankreich und «Encounter» in Grossbritannien gehörten – sei zusammen mit seinem internationalen Konferenzbetrieb in finanzielle Schwierigkeiten geraten, und erst in diesem Augenblick, Mitte der sechziger Jahre, habe der CIA unterstützend eingegriffen. Als die «New York Times» 1966 die Geheimdienstfinanzierung solcher kultureller Aktivitäten enthüllte, wurde das von den Betroffenen zur lediglich vorübergehenden Nothilfe heruntergestuft.
Alles falsch, lautet der Befund der britischen Autorin. Ihre Recherchen ergaben, dass der «Kongress» von Anfang an ein Werkzeug in den Händen des US-amerikanischen Geheimdienstes gewesen ist. Die US-Regierung, heisst es in der Einleitung, investierte während der Hochphase des Kalten Krieges «enorme Summen in ein geheimes Programm, das der kulturellen Propaganda in Westeuropa diente … Sein Auftrag war es, der westeuropäischen Intelligenz allmählich ihre latente Sympathie für Marxismus und Kommunismus auszutreiben, um sie so nach und nach an den American Way heranzuführen.»
War dieses ganze Unternehmen, bei all seiner Fragwürdigkeit, letzten Endes, im Licht der den Kommunismus beiseite fegenden Weltgeschichte, nicht doch irgendwie historisch sinnvoll und gerechtfertigt? Solche eher geschichtsphilosophischen Sinnfragen interessieren Frances Stonor Saunders nicht. Die Dokumentarfilmerin ist auf nachprüfbare Fakten aus. Ihr Buch ist zu grossen Teilen eine ausserordentlich spannend und kurzweilig zu lesende Studie über die Korrumpierbarkeit einer bestimmten Kaste von Intellektuellen und Künstlern. Man begegnet beispielsweise dem erfolglosen Komponisten Nicolas Nabokov, einem Cousin des «Lolita»-Autors, der als kultureller CIA-Agent sich endlich einen Traum erfüllen und über das Konzertleben halb Westeuropas mitbestimmen durfte. In dieser Geschichte tauchen allerlei seltsame Vögel auf, Exemplare einer Spezies, die Hannah Arendts Ehemann Heinrich Blücher 1955 im Blick auf den freiheitlichen Kongresstourismus als «Lumpenintellektuelle» bezeichnet hat.
Von antikommunistischem Idealismus ist da wenig zu merken, umso mehr jedoch von trivialer Abstaubermentalität: Gegen fette Honorare und Unterbringung in Schweizer Luxushotels wurden da im Namen des Kampfes gegen den Kommunismus die immer gleichen, langweiligen, anderweitig bereits bezahlten Vorträge gehalten. Der ehemalige Kommunist Arthur Koestler, Hauptredner des ersten Kongresses für kulturelle Freiheit 1950 in Berlin, hatte eines Tages das dumpfe Gefühl, in einen, wie er sagte, «internationalen akademischen Hurenring» hineingeraten zu sein. Nüchtern betrachtet, ähnelt dieser Kongress einer Art Versorgungsanstalt für ebenso geldgierige wie ruhmsüchtige Lumpenkünstler und Lumpenintellektuelle, die sich das antikommunistische Mäntelchen lediglich aus Verkaufsgründen umhängten. Der Kalte Krieg war ihnen teuer, weil er sie ernährte und ihnen ein wenig Glamour bescherte.
Aus dem von der britischen Autorin mit Genuss am Sarkasmus beschriebenen kulturellen Kongressmorast ragen nur wenige respektable Figuren heraus, an erster Stelle der französische konservative politische Philosoph Raymond Aron. Dieser ehemalige Studienkamerad Sartres hatte es mit seinen Widerlegungen des Marxismus philosophisch durch und durch ernst gemeint: Als er bei einer Versammlung von Kongressmitgliedern erfuhr, dass hinter den Kulissen der amerikanische Geheimdienst die Fäden zog, stürmte er vor Wut kochend und Türen schlagend aus dem Saal. Die Exkommunisten unter seinen Gefährten fanden an der geheimdienstlichen Führung ihres freiheitlichen Idealismus jedoch nichts auszusetzen.
Und ferner das heute in der taz von Friedhelm Lövenich besprochene Buch “Memoiren eines Moralisten”, darin heißt es u.a.:
Einigen Glücklichen gelang die Flucht aus dem brennenden Europa in die USA, wohin sie versuchten, ihre Kultur auf dem Rücken mit hinauszuretten wie Äneas seinen Vater Anchises. Aber dort trafen sie, die Rückwärtsgewandten, die wie der von Walter Benjamin so geliebte “Angelus Novus” von Paul Klee mit dem Gesicht zur Vergangenheit in die Zukunft trieben, auf eine Kultur des der Zukunft zugewandten Optimismus, der ihr Leiden am Gegenwärtigen überhaupt nicht zu erfassen in der Lage war. Das rettende Gestade erschien allzu bald als ein Land ohne Kultur, Stil und Würde, und Sahl schildert den Kulturschock, den living in America für viele Exilanten bedeutete; ihnen kamen die USA manchmal wohl wie ein Faschismus mit menschlichem Antlitz vor, woran möglicherweise auch die schöne Zeit in der Künstler- und Intellektuellenkolonie von Provincetown am Cape Cod nichts ändern konnte.
Denn nicht unähnlich der polarisierenden Situation in der Endphase der Weimarer Republik erging es Sahl auch in den USA, als er einen kritischen Artikel gegen den Abstrakten Expressionismus veröffentlichte, der ihn aus der Kunstszene geradezu hinauskatapultierte in den luftleeren Raum, genauso wie den weiterhin gegenständlich malenden – und heute rehabilitierten – Edward Hopper.
Sahl arbeitet in den USA als Korrespondent für deutschsprachige Zeitungen und als Übersetzer aktueller englischsprachiger Literatur wie der von Thornton Wilder, Tennessee Williams und Arthur Miller. Als er in den Fünfzigerjahren nach Deutschland zurückkehrt, will dieses Land ihn nicht und lässt ihn sich “zu Hause” fremder fühlen als im amerikanischen Exil, in das er daraufhin ein zweites Mal flieht. Erst 1989, mit 87 Jahren, übersiedelt er nach Tübingen, das noch so aussah wie manche der Kleinstädte, die er aus der Zeit vor dem Krieg kannte, und stirbt dort vier Jahre später.