vonHelmut Höge 11.08.2008

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

Mehr über diesen Blog

Auf dem bereits erwähnten Workshop der Rosa-Luxemburg-Stiftung hielt Judith Dellheim ein Referat zum Thema

„Genossenschaftliche
Unternehmen und Organisationen
als Akteure der Zivilgesellschaft
Genossenschaftliche Ansätze
solidarischen Wirtschaftens ­
europäische Erfahrungen“

die PDSlerin Judith Dellheim begleitete nach der Wende die ostdeutsche Betriebsräteinitiative publizistisch, d.h. sie schrieb den ersten und den letzten Artikel über diese kurze aber heftige Bewegung. Heute ist sie freie Mitarbeiterin der Rosa-Luxemburg-Stiftung und auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene im Sozialforumsprozeß engagiert.

Zur Genossenschaftsproblematik auf globaler Ebene ­

1895 wurde in England die Internationale Genossenschaftsallianz ICA gegründet. Sie
zählt heute mehr als 230 nationale und internationale genossenschaftliche
Mitgliedsorganisationen. ICA-Mitglieder agieren in über 100 Ländern, in wichtigen
Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft. Sie können auf mehr als 800 Millionen
Individualmitglieder verweisen.
1946 erhielt die ICA den Konsultationsstatus bei den Vereinten Nationen. Heute
verfügt sie über den höchsten Status, die Generalkategorie, für Konsultationen mit
dem Wirtschafts- und Sozialrat ECOSOC.
Die ICA kooperiert seit dem Jahre 1919 mit der Internationalen Arbeitsorganisation
ILO.
Die ILO hat sich seit der Gründung des Technischen Services für Genossenschaften
im Jahre 1920 aktiv für eine weltweite Genossenschaftsbewegung eingesetzt.
Ihr besonderes Anliegen ist, das Potenzial von Genossenschaften für die Lösung
dringlicher Probleme zu erschließen. Dies erklärt ihre gezielte Zusammenarbeit mit
der UNO im Kampf gegen Hunger, Armut, soziale Ausgrenzung und Diskriminierung.
Die ILO-Empfehlung 127 aus dem Jahre 1966 hatte die Bildung und Entwicklung von
Genossenschaften in Entwicklungsländern zum Schwerpunkt.
Insgesamt geht es der ILO darum, dass (immer mehr) Möglichkeiten für (immer
mehr) Frauen und Männer geschaffen werden, um ,,in Freiheit, Gerechtigkeit,
Sicherheit und Menschenwürde“ produktive Arbeit verrichten zu können.
Genossenschaftliche Prinzipien werden als Merkmale für vernünftige/würdige Arbeit
angesehen. (NIPPIERD 2002: 2)
In Folge einer konzertierten Aktion von ICA, ILO bzw. dem Komitee zur Förderung
und Entwicklung von Genossenschaften COPAC proklamierte die UNO-
Generalversammlung mit ihrer Resolution 47/90 vom 16.12.1992 den ersten
Sonnabend im Juli des Jahres 1995 als Internationalen Genossenschaftstag. Anlass
waren die gewachsene Einsicht in das soziale und ökonomische Potenzial von
Genossenschaften und der 100. Gründungstag der ICA, die seit 1927 den
Internationalen Genossenschaftstag begeht. 1994 orientierte die UNO-
Generalversammlung auf Genossenschaften als Instrument zur Lösung sozialer,
ökonomischer und ökologischer Probleme und rief die Mitgliedsländer nunmehr auf,
beginnend mit dem Jahr 1995 alljährlich den ersten Sonnabend im Juli als
Internationalen Genossenschaftstag zu veranstalten.
1995 beschloss der Internationale Genossenschaftsbund IGB bzw. ICA seine/ihre
,,Stellungnahme zur genossenschaftlichen Identität“. Dort wird definiert: ,,Eine
Genossenschaft ist eine selbständige Vereinigung von Personen, die sich auf
freiwilliger Basis zusammenschließen, um ihre gemeinsamen wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Bedürfnisse zu befriedigen und ihre Vorstellungen in einem
Unternehmen zu verwirklichen, das ihnen gemeinsam gehört und das demokratisch
geleitet wird.

Genossenschaften basieren auf Werten wie Selbsthilfe, Selbstverwaltung,
Demokratie, Gleichheit und Solidarität. Genossenschaftsmitglieder glauben in der
Tradition ihrer Gründerväter an ethische Werte wie Ehrlichkeit, Offenheit, soziale
Verantwortung und Bemühen um den anderen.

Die genossenschaftlichen Grundsätze dienen den Genossenschaften als helfende
Richtlinien zur Umsetzung ihrer Werte in die Praxis.“ Das sind ,,Freiwillige und offene
Mitgliedschaft“, ,,Demokratische Entscheidungsfindung durch die Mitglieder“,
,,Wirtschaftliche Mitwirkung der Mitglieder“, ,,Autonomie und Unabhängigkeit“,
,,Ausbildung, Fortbildung und Information“, ,,Kooperation mit anderen
Genossenschaften“, ,,Vorsorge für die Gemeinschaft in der Genossenschaft.“
(Stellungnahme zur genossenschaftlichen Identität 1995: Internet: www.ica.coop)
Mit ihrer Resolution 51/58 vom 12.12.1996 forderte die Generalversammlung der
Vereinten Nationen das Generalsekretariat auf, in Kooperation mit COPAC die
Notwendig- und Durchführbarkeit von UN-Richtlinien zur Schaffung einer der
Genossenschaftsentwicklung förderlichen Umwelt zu vermitteln. Der Bericht des
Generalsekretariats zu Genossenschaften, der durch die 54. Sitzung der UN-
Generalversammlung am 17.12.1999 bestätigt wurde, hat die allgemeine
Zustimmung von Regierungen, wichtigen Interregierungs-Organisationen,
internationalen und nationalen Genossenschaftsorganisationen zur Notwendig- und
Durchführbarkeit derartiger Richtlinien widergegeben. Mit dem Bericht wurde
zugleich der Text für den Entwurf von UN-Richtlinien zur Schaffung einer der
Genossenschaftsentwicklung förderlichen Umwelt vorgestellt.

Mit der Resolution 54/123 vom 17. Dezember 1999 forderte die Generalversammlung
der Vereinten Nationen zugleich das Generalsekretariat auf, die Meinung der
Regierungen zum Entwurf der Leitlinien einzuholen, auszuwerten und entsprechend
zu überarbeiten. Die Ergebnisse wurden unter A/56/73-E/2001/68 veröffentlicht.
Mit ihrer Resolution A/RES/56/73-E/2001/68 vom 18.1.2002 orientierte die
Generalversammlung die Aufmerksamkeit der Mitgliedsländer auf die neu gefassten
Leitlinien. Damit sollten zugleich nationale Pläne zur Entwicklung von
Genossenschaften korrigiert, Verwaltungs- und Rechtsfragen diskutiert werden. Die
UN-Richtlinien empfehlen, dass das nationale Recht der Mitgliedsländer den ICA-
,,Standpunkt zur Genossenschaftsidentität“ aus dem Jahre 1995 Rechnung trägt.
Die ILO hat sich bzw. setzt sich ihrerseits sehr für ihre eigenen Definitionen und
Formulierungen genossenschaftlicher Prinzipien ein. Der Unterschied zu den UNO-
Dokumenten besteht darin, dass es der ILO mehr um den Kampf gegen soziale und
ökonomische Diskriminierung, der UNO eher um die genossenschaftsfreundliche
Umwelt geht. Beide setzen auf genossenschaftliche Autonomie und
Mitgliederinteressen. Die ILO hat die Überwindung der Frauendiskriminierung als
besonderen Schwerpunkt ihrer Genossenschaftspolitik. ILO und UNO sind für breite
gesellschaftliche Partizipation an der Genossenschafts- und Politikentwicklung aber
die ILO wird konkreter: Arbeitergeber-, -nehmer- und
Genossenschaftsorganisationen sollen durch ihnen gemäße Maßnahmen und
Zusammenarbeit Genossenschaften fördern. Analog verhält es sich mit der
Unterstützung für Genossenschaften: Während beide für Hilfsdienste,
Humanressourcen, Finanzen und Kredite für Genossenschaften werben, tritt die ILO
nicht zuletzt für die gesellschaftliche Vermittlung genossenschaftlicher Werte, von
Wissen und sozialen Kompetenzen ein.
Sie hat ihre Empfehlung 127 revidiert und Genossenschaften nicht nur für
Entwicklungsländer, sondern für alle Staaten als eine zukunftsfähige Form für
Problemlösungen erklärt. Ihre weitere Arbeit an Empfehlungen für die Entwicklung
von Genossenschaften konzentrierte sich insbesondere auf die Entwicklung von
Humanressourcen, lokale Wirtschaftsentwicklung, Strategien gegen die
Benachteiligung von Frauen, den Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung.
Auf internationalen Konferenzen wie dem Sozialgipfel, der Frauenkonferenz und
Habitat waren Genossenschaften Thema. Insbesondere drei Problemkreise wurden
immer wieder herausgestellt:
1. die Erschließung und Entwicklung aller genossenschaftlichen Potenzen zur
Lösung sozialer Probleme bzw. zur Erlangung sozialer Ziele,
2. die Ermutigung, Genossenschaften zu gründen und Maßnahmen zu ergreifen,
um Benachteiligten und Problemgruppen freiwilliges Engagement zu
ermöglichen,
3. ein günstiges gesellschaftliches Klima für Genossenschaften zu schaffen.
Das im Jahre 2002 verabschiedete ILO-Papier ist eine gesellschaftspolitische
Reformagenda. Es orientiert auf das Bündnis von emanzipatorischer Gewerkschafts-
und Genossenschaftsbewegung:
Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation hat in ihrer
Erklärung vom 3.6.2002 die Bedeutung von Genossenschaften für die Schaffung von
Arbeitsplätzen, für die Mobilisierung von Ressourcen und die Förderung von
Investitionen sowie für die Volkswirtschaft anerkannt. Sie hat gewürdigt, dass
Genossenschaften in ihren verschiedenen Formen die umfassendste Beteiligung der
gesamten Bevölkerung an der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung fördern.
Zugleich hat sie herausgestellt, dass die Globalisierung neue und verschiedene
Belastungen, Probleme, Herausforderungen sowie Chancen für Genossenschaften
bewirkt hat, und dass es stärkerer Formen menschlicher Solidarität auf nationaler
und internationaler Ebene bedarf, um eine gerechtere Verteilung der Vorteile der
Globalisierung zu ermöglichen.
Mit Verweis darauf, dass die Realisierung menschenwürdiger Arbeit für die
Arbeitnehmer/innen überall ein Hauptziel der Internationalen Arbeitsorganisation und
Arbeit keine Ware ist, hat sie konkrete Anträge zur Förderung von Genossenschaften
angenommen.

Die ILO bekennt sich zur Position der Vollversammlung des Internationalen
Genossenschaftsbundes zur genossenschaftlichen Identität aus dem Jahre 1995 und
hat sich für Maßnahmen zur Förderung des Potentials der Genossenschaften in allen
Ländern ausgesprochen, um ihnen und ihren Mitgliedern dabei zu helfen:
a) Einkommen erzeugende Tätigkeiten und dauerhafte menschenwürdige
Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen und zu entwickeln;
b) durch Bildung und Ausbildung die Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln und
die Werte, Vorteile und den Nutzen der Genossenschaftsbewegung zu vermitteln;
c) ihr geschäftliches Potential und ihre Führungsfähigkeiten zu entwickeln;
d) ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und Zugang zu den Märkten und zu
institutioneller Finanzierung zu erhalten;
e) Rücklagen und Investitionen zu mehren;
f) soziales und wirtschaftliches Wohl zu heben und alle Formen von Diskriminierung
zu beseitigen;
g) zu nachhaltiger menschlicher Entwicklung beizutragen; und
h) einen eigenen lebensfähigen und dynamischen genossenschaftlichen
Wirtschaftssektor, der den sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnissen der
Gemeinschaft entspricht, zu schaffen und zu entwickeln.
Die ILO tritt für Maßnahmen ein, um Genossenschaften als vom Geist der Solidarität
geprägte Unternehmen und Organisationen in die Lage zu versetzen, auf die
Bedürfnisse sowohl ihrer Mitglieder als auch der Gesellschaft einzugehen. Das
betrifft auch die Bedürfnisse benachteiligter Gruppen, die in die Gesellschaft
integriert werden sollen.
An die Regierungen gerichtet erklärt die ILO, dass eine ausgeglichene Gesellschaft
einen starken öffentlichen und privaten Sektor sowie einen starken Sektor braucht,
der aus Genossenschaften und anderen auf dem Gegenseitigkeitsprinzip beruhende
soziale und nichtstaatliche Organisationen besteht. Daher sollten die Regierungen
einen politischen und rechtlichen Rahmen schaffen, der der Natur und den Aufgaben
von Genossenschaften entspricht und sich an den genannten genossenschaftlichen
Werten und Grundsätzen orientiert, um:
a) einen institutionellen Rahmen zu schaffen, der eine rasche, einfache,
kostengünstige und effiziente Registrierung von Genossenschaften ermöglicht;
b) eine Politik zu fördern, die die Bildung angemessener teilbarer und unteilbarer
Reserven und die Bildung von Solidaritätsfonds in Genossenschaften ermöglicht;
c) die Annahme von Maßnahmen für die Überwachung von Genossenschaften unter
Bedingungen vorzusehen, die ihrem Wesen und ihren Aufgaben entsprechen, ihre
Eigenständigkeit achten und der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis
entsprechen, und die nicht weniger günstig sind als die, die für andere
Unternehmens- und Vereinigungsformen gelten;
d) den Beitritt von Genossenschaften zu genossenschaftlichen Strukturen, die den
Bedürfnissen der Genossenschaftsmitglieder entsprechen, zu erleichtern; und
e) die Entwicklung von Genossenschaften als autonome und selbstverwaltete
Unternehmen zu fördern, insbesondere in Bereichen, in denen ihnen eine
bedeutende Rolle zukommt oder in denen sie Dienste leisten, die von anderen nicht
angeboten werden.
Die ILO nimmt eine Diskriminierung von Genossenschaften gegenüber anderen
Unternehmens- und Vereinigungsformen nicht hin. Sie fordert von den Regierungen
notwendige Unterstützungsmaßnahmen für Genossenschaften, die bestimmten
sozial- und staatspolitischen Zielen dienen, der Beschäftigungsförderung oder der
Förderung benachteiligter Gruppen oder Regionen zugute kommen. Dazu gehören
Steuervergünstigungen, Darlehen, Zuschüsse, Zugang zu Programmen für
öffentliche Aufträge und besondere Vorkehrungen im öffentlichen
Beschaffungswesen.
Die ILO interessiert besonders die verstärkte Mitwirkung von Frauen in der
Genossenschaftsbewegung, insbesondere auf den Leitungs- und Führungsebenen.
Politik sollte
a) die grundlegenden Arbeitsnormen der IAO und gleiche Rechte für alle
Arbeitnehmer/innen auch und insbesondere von in Genossenschaften Tätigen
fördern;
b) sicherstellen, dass Genossenschaften nicht zu dem Zweck gegründet oder genutzt
werden, Arbeitsgesetze zu umgehen oder Schein-Arbeitsverhältnisse zu begründen;
c) die Gleichstellung der Geschlechter in Genossenschaften und bei deren
Tätigkeiten fördern;
d) Maßnahmen fördern, um sicherzustellen, dass in Genossenschaften vorbildliche
Arbeitsbedingungen herrschen, einschließlich des Zugangs zu einschlägigen
Informationen;
e) die fachlichen und beruflichen Fertigkeiten, die unternehmerischen und
Führungsfähigkeiten, die Kenntnis des geschäftlichen Potentials und die allgemeinen
wirtschafts- und sozialpolitischen Kompetenzen der Mitglieder, Arbeitnehmer und
Führungskräfte entwickeln und ihren Zugang zu den Informations- und
Kommunikationstechnologien verbessern;
f) die Bildung und Ausbildung entsprechend der genossenschaftlichen Grundsätze
und Gepflogenheiten auf allen geeigneten Stufen der innerstaatlichen Bildungs- und
Ausbildungssysteme und in der Gesellschaft als Ganzes fördern;
g) die Annahme von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und Gesundheit
am Arbeitsplatz fördern;
h) Ausbildung, Qualifizierung und Unterstützung vorsehen, um das
Produktivitätsniveau, die Produktqualität und die Wettbewerbsfähigkeit von
Genossenschaften zu verbessern;
i) den Zugang der Genossenschaften zu Krediten erleichtern;
j) den Zugang der Genossenschaften zu Märkten unterstützen;
k) die Verbreitung von Informationen über Genossenschaften fördern; und
l) eine Verbesserung der innerstaatlichen Statistiken über Genossenschaften im
Hinblick auf die Formulierung und Durchführung von Entwicklungsmaßnahmen
anstreben.
Die Regierungen sollten nach Ansicht der ILO die bedeutende Rolle der
Genossenschaften bei der Umwandlung von häufig marginalen, nur dem Überleben
dienenden Tätigkeiten (,,informelle Wirtschaft“) in gesetzlich geschützte Arbeit,
formelle fördern. Bei Fragen der Arbeitsverhältnisse müssen die Interessenverbände
aller Betroffenen gehört werden.
Die Regierungen sollten ferner Genossenschaften den Zugang erleichtern und ggf.
finanziell unterstützen zu a) Programmen zur Entwicklung von Humanressourcen; b)
Forschungs- und Unternehmensberatung; c) Finanzmitteln und Investitionen; d)
Rechnungswesen und Rechnungsprüfung; e) Managementinformation; f) Information
und Öffentlichkeit; g) Technologie- und Innovationsberatung; h) Rechts- und
Steuerberatung; i) zu den Märkten.
Die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände sollten sich um die Kooperation mit
Genossenschaften bemühen. So sollten Arbeitgeberverbände gegebenenfalls die
Ausweitung der Mitgliedschaft auf beitrittswillige Genossenschaften in Erwägung
ziehen, ihnen geeignete Unterstützung und Gleichberechtigung gegenüber anderen
Mitgliedern gewähren.
Die Arbeitnehmerverbände sollten dazu ermutigt werden:
a) die Arbeitnehmer/innen von Genossenschaften über einen Beitritt zu
Arbeitnehmerverbänden zu beraten und ggf. zu unterstützen;
b) ihre Mitglieder bei der Gründung von Genossenschaften zu unterstützen, um ihnen
den Zugang zu Beschäftigung sowie elementaren Gütern und Dienstleistungen zu
erleichtern;
c) auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene in Ausschüssen und
Arbeitsgruppen mitzuarbeiten, die für Genossenschaften relevanten Fragen zu
behandeln;
d) bei der Gründung neuer Genossenschaften zwecks Erhalt oder Schaffung von
Arbeitsplätzen behilflich zu sein und mitzuwirken;
e) bei Programmen, die auf die Verbesserung genossenschaftlicher Produktivität
abzielen, mitzuwirken;
f) die Chancengleichheit der Mitglieder und Beschäftigten von Genossenschaften zu
fördern.
Die Genossenschaften und genossenschaftlichen Organisationen sollten dazu
ermutigt werden:
a) die Kooperation mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden und mit den für sie
zuständigen staatlichen und nichtstaatlichen Stellen auf- bzw. auszubauen, um ein
für Genossenschaften günstiges Klima zu schaffen;
b) anderen Genossenschaften kommerzielle und finanzielle Dienste zu gewähren;
d) auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene Kooperationen zu
entwickeln.
(Empfehlung 193, 2003: Internet)

Im Jahre 2003 luden die Repräsentanten der ILO ihre Partner/innen vom
Internationalen Genossenschaftsbund ein, um eine gemeinsame
Genossenschaftsagenda zur Schaffung existenzsichernder geschützter Arbeitsplätze
und zur Bekämpfung von Armut zu erarbeiten. Als Ausgangspunkt konkreter
Strategien wird die lokale Gemeinschaft gewählt, in der Partner/innen zu suchen
sind. Die Armen sollen zur Selbsthilfe ermutigt werden, die ersten Genossenschaften
Leistungen für die Ärmsten erbringen. Vor allem diese Genossenschaften brauchen
eine Infrastruktur, wofür politischer Einfluss geltend gemacht werden muss. Politik
soll konkretes Denken und Handeln pro Genossenschaft fördern.
Genossenschaftlicher Erfolg verlangt nicht zuletzt die Kooperation mit der
Verwaltung. Die genossenschaftlichen Arbeitsplätze sollen den ILO-Arbeitsstandards
und den genossenschaftlichen Prinzipien entsprechen. (Promoting decent work …
2003: Internet).

2004 war das Thema des Internationalen Genossenschaftstages (3.7.2004)
„Genossenschaften für faire Globalisierung: Die Schaffung von Möglichkeiten für
alle“. In der ICA-Erklärung heißt es: ,,Faire Globalisierung meint, sich zuerst der
Menschen anzunehmen, ihre Rechte zu respektieren, ihre kulturelle Identität und
Autonomie sowie die Stärkung jener lokalen Gemeinschaften, in denen sie leben.“
Die Weltkommission zur sozialen Dimension der Globalisierung hat bei ihrer
grundsätzlichen Kritik an den dominierenden Entwicklungstendenzen zuungunsten
der Weltbevölkerungsmehrheit die besondere Rolle von Genossenschaften für eine
,,Evolution der Globalisierung“ herausgestellt. Die Hauptfelder dabei sind: Stärkung
von Dialog und Demokratie, von ökonomischen Kapazitäten und lokaler Basis, von
sozialer Verantwortung seitens der Unternehmen. ,,… Genossenschaften haben sich
seit langem als Innovatoren bei der Kombination von sozialen und ökonomischen
Werten und Praktiken erwiesen.“ Genossenschaften beschäftigen mehr Männer und
Frauen als multilaterale Konzerne. (www.ica.coop)

Anmerkung zu internationalen Genossenschaftsorganisationen

Die ICA ­ die Internationale Genossenschafts-Alliance (International Co-operative
Alliance) bzw. der Internationale Genossenschaftsbund IGB ­ wurde 1895
gegründet. (siehe S. 1 oben)
Innerhalb der ICA ist CICOPA die internationale Organisation von
Produktivgenossenschaften in der Industrie, im Handwerk und im
Dienstleistungsbereich.
1994 wurde ICA Europa geschaffen. Die regionale Organisation hat 93
Mitgliedsorganisationen in 37 Ländern mit 140 Millionen Individualmitgliedern.
CECOP ist die europäische Struktur von CICOPA.
ICA ist ein Mitglied von COPAC, das 1971 gegründet wurde. COPAC ist ein Inter-
Agency-Komitee, das die Entwicklung von Genossenschaften auf globaler Ebene
koordinieren soll. Es besteht aus drei UNO- und drei Nicht-Regierungs-
Organisationen: Der Nahrungs- und Agrar-Organisation der UN FAO, ICA, der
Internationalen Föderation von Agrarproduzenten IFAP, der Internationalen
Arbeitsorganisation ILO und den Vereinten Nationen. Die Koordination betrifft die
Politik, den Informationsaustausch, das Recht, Treffen und andere Dienstleistungen
sowie die Bildung von Fonds.
CECOP steht für die Europäische Konföderation von Arbeiter- und
Sozialgenossenschaften sowie partizipativen Betrieben. Sie ist eine internationale
Non-Profit-Organisation, deren Mitglieder 37 nationale und regionale
Genossenschaftsföderationen sind, die wiederum etwa 83.000 Unternehmen mit 1,3
Millionen Beschäftigten zählen. CECOP ist Mitglied von ICA Europa und CCACE.
CECOP kommuniziert mit dem Komitee für Soziales und Wirtschaft der
Europäischen Kommission und führt Dialoge mit dem Europäischen
Gewerkschaftsbund EGB.
CCACE ist die Abkürzung für Co-ordinating Committee of European Co-operative
Associations, Koordinationskomitee genossenschaftlicher Zusammenschlüsse. Es
vereint in sich zehn nationale Dachverbände und sieben sektorale
genossenschaftliche Organisationen: ACME, CECODHAS, CECOP, COGECA,
EUROCOOP, GEBC, UEPS.
CCACE wurde 1982 auf Initiative von vier europäischen
Genossenschaftsorganisationen gegründet. Nach einem Aufruf des Europäischen
Parlamentes vom April 1983 traten dem Komitee alle auf europäischer Ebene
agierenden genossenschaftlichen Branchenorganisationen bei. Seit 1996 arbeiten im
Koordinationskomitee auch nationale Dachverbände.
Das Europäische Parlament, die Europäische Kommission und das Komitee für
Soziales und Wirtschaft haben CCACE als offiziellen branchenübergreifenden
europäischen Repräsentanten von Genossenschaften anerkannt.
CCACE erweist Genossenschaften
1) Technische Unterstützung zur Stärkung und Qualifizierung des Humankapitals
2) ökonomische und soziale Unterstützung zur Erlangung und Reproduktion
ökonomischer Nachhaltigkeit der Unternehmen
3) politische Unterstützung im Sinne des Ringens um Einflussnahme auf
wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen.

CEP-CMAF ist das Kürzel von European Standing Conference of Co-operatives,
Mutual societies, Associations and Foundations, Ständige Europäische Konferenz
von Genossenschaften (hier agiert insbesondere CECOP), Gemeinsamen
Gesellschaften, Assoziationen und Stiftungen. Sie ist die repräsentative Institution für
Soziale Ökonomie auf EU-europäischer Ebene. Die Konferenz wurde im November
2000 durch folgende Organisationen geschaffen: ACME, die Europäische
Assoziation von genossenschaftlichen und gegenseitigen
Versicherungsunternehmen,
AIM, die internationale Vereinigung von Gemeinsamen Gesellschaften,
CCACE, CEDAG, dem Europäischen Rat für Freiwilligen-Organisationen,
EFC, dem Europäischen Stiftungszentrum.
Die Ziele von CEP-CMAF bestehen darin, Genossenschaften, Gemeinsamen
Betrieben, Assoziationen und Stiftungen mehr politisches und juristisches Gewicht zu
geben und die außerordentlich wichtige Rolle der Sozialökonomie im wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Leben zu demonstrieren.

Kurzer Überblick zu Genossenschaften in Europa

In Europa entstanden/entstehen Genossenschaften vor allem als Reaktion jener, die
in der anwachsenden Konkurrenz unterlegen waren/sind bzw. sich von ihr bedroht
sahen/sehen. Es bildeten/bilden sich Zusammenschlüsse von Menschen, die
Privateigentum zwecks gemeinsamer Nutzung einbrachten/einbringen und vielfach
recht unterschiedlich die Gesellschaft und ihre Rolle darin einschätzten/einschätzen.
Sie und ihre Genossenschaften wurden/werden in der Gesellschaft wiederum sehr
verschieden betrachtet.
In der EU15 sind ca. 132.000 genossenschaftliche Unternehmungen mit 83,5 Mio.
Mitgliedern und 2,3 Mio. Beschäftigten registriert. Seit dem 1. Mai 2004 ist die
Europäische Union um 23 Mio. Genossenschaftsmitglieder reicher geworden.
Mitte der 90iger Jahre entfielen 35% der Genossenschaften in der EU15 auf den
primären Sektor, 20% auf den sekundären und 45% auf den tertiären.
Der Anteil der Genossenschaften an der Gesamtbeschäftigung reicht von 0,57% in
Griechenland und 0,66% in Großbritannien bis zu 4,59% in Spanien und 4,48% in
Finnland.
Mitte der 90iger lag der Marktanteil von Genossenschaften in der Landwirtschaft bei
83% in den Niederlanden, in Finnland bei 79% und in Italien bei 55%. In der
Forstwirtschaft betrug er in Schweden 35%, in Österreich 31% und in Deutschland
21%. Im Einzelhandel waren es 35,5% in Finnland und 20% in Schweden. Im
Gesundheits- und Apothekenwesen weist Spanien einen genossenschaftlichen
Marktanteil von 21% und Belgien von 18% aus. (Kommission der Europäischen
Gemeinschaften 2001: 3, 7-8)
In Deutschland existierten Ende 2002 insgesamt 8.633 Genossenschaften mit 21,8
Mio. Mitgliedern. Davon waren 1.507 Genossenschaftsbanken mit 15,2 Mio.
Mitgliedern, 3.802 Ländliche Genossenschaften mit 2,5 Mio. Mitgliedern, 1.278
Gewerbliche Genossenschaften mit 256 Tsd. Mitgliedern, 55
Konsumgenossenschaften mit 822 Tsd. Mitgliedern und 1.991
Wohnungsgenossenschaften mit 3 Mio. Mitgliedern. (Untitled Document 2004: 2)
Diese bewirtschaften 2,2 Mio. Wohnungen, in denen ca. 5 Millionen Menschen
wohnen. (SCHAEFERS 2003: 16)

In Berlin gibt es etwa 200 Genossenschaften.

Während in Deutschland die Zahlen der Genossenschaften und ihrer Mitglieder seit
1995 gesunken sind, entstanden wie auch in den meisten anderen EU-
Mitgliedstaaten neue kleine Genossenschaften. Es erfolgten
Genossenschaftsgründungen im Gesundheits- und Sozialwesen, für die lokale und
regionale Entwicklung, im Bildungs- und Wohnungsbereich sowie in der Sphäre
Unternehmens- und wissensbasierter Dienstleistungen. ,,In diesen Jungunternehmen
vereinen sich viele der Qualitäten mittelständischer Existenzgründungen mit den
besonderen Vorteilen der genossenschaftlichen Unternehmensform:
· Durch ihre Unabhängigkeit von externen Investitionen ermöglichen sie die
Schaffung von Arbeitsplätzen für Bewohner/innen strukturschwacher
industrieller und städtischer Ballungsgebiete sowie in dünn besiedelten
Regionen und für ausgegrenzte Gruppen;
· Die Mitgliederorientierung gestattet ihnen ein innovatives Engagement in
sozialer, wirtschaftlicher und technologischer Hinsicht;
· Sie fördern den Unternehmergeist bei Personengruppen, die ansonsten kaum
Möglichkeiten zur Übernahme unternehmerischer Verantwortung hätten;
· Durch ihre breiten Zielsetzungen tragen sie zum sozialen und wirtschaftlichen
Wohl verschiedener Anspruchsgruppen bei;
· Ihre partizipative Struktur ermöglicht den partnerschaftlichen
Zusammenschluss verschiedener Anspruchsgruppen und damit die
Erschließung bislang ungenutzter lokaler und regionaler Potenziale; außerdem
weisen sie einen außergewöhnlich hohen Anteil weiblicher Unternehmer auf.“
(Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2001: 10)
Eine Genossenschaft ist ein Unternehmen, dessen Ziel nicht primär in der
Gewinnerzielung liegt, sondern vor allem in der Förderung der
Genossenschaftsmitglieder, die Eigentümer und Träger von Kontrollbefugnissen
sind. Genossenschaften sind Personenvereinigungen.
Nach der Definition des IGB ­ des Internationalen Genossenschaftsbundes ­ bzw.
der ICA (siehe S. 1-2) ist eine Genossenschaft sowohl Unternehmen als auch soziale
und kulturelle Vereinigung von Individuen, denen eigenes Engagement, solidarisches
Miteinander und Demokratie wichtig sind. Dieses Verständnis wird
,,Genossenschaftsgedanke“ oder ,,-idee“ genannt und kann auch in wirtschaftlichen
Zusammenschlüssen verfolgt werden, die von der Rechtsform her keine
Genossenschaften sind. Die Mitglieder der Genossenschaft oder von
Unternehmungen, die sich den Genossenschaftsgedanken zueigen machen, können
diese Werte untereinander leben und zugleich zum Maßstab für ihr
gesellschaftspolitisches Handeln machen. Die Genossenschaft kann kollektiver
Akteur der Zivilgesellschaft sein.
Genossenschaften unterscheiden sich von anderen Unternehmensformen dadurch,
dass in der Regel
– Entscheidungen nach dem Prinzip ,,ein Mitglied eine Stimme“ getroffen
werden,
– der Geschäftsanteil für alle Mitglieder/Eigentümer/innen gleich ist,
– die Rendite begrenzt ist und sich normalerweise nach dem Umfang der
Nutzung genossenschaftlicher Leistungen richtet,
– der Wertzuwachs des Unternehmens sich nicht im Wert der Anteile
widerspiegelt,
– die Anteile nicht auf den Finanzmärkten gehandelt werden,
– freier Ein- und Austritt besteht,
– das Grundkapital (außer in Deutschland) variabel ist,
– im Falle der Auflösung die Rücklagen nicht der willkürlichen Verteilung
unterliegen.
(Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2001: 12-13)

Genossenschaften entstehen in der Regel dann,
o wenn bei einer Gruppe von Personen oder Unternehmen einheitliche
Bedürfnisse bestehen, die von Kapitalgesellschaften nicht erfüllt
werden können. (So wurden in Finnland in den 90iger Jahren 700
Arbeitnehmergenossenschaften gegründet, um
Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen.)
o Schutz vor ausbeuterischen Verhältnissen am Markt gesucht wird. Z.
B. gehen Landwirtschaftliche Genossenschaften auf Selbsthilfe
gegenüber Nachfragemonopole zurück.
o Bedarf nach differenzierten und besonderen Produkten und Leistungen
nicht befriedigt wird. Das erklärt manche
Verbraucher/innengenossenschaft.
o Allianzen von KMU Größenordnungen erlangen helfen, die entweder
für den Erhalt öffentlicher Aufträge oder für erfolgreichen
Konkurrenzkampf am Markt erforderlich sind. (Kommission der
Europäischen Gemeinschaften 2001: 11-12)

Als Vorteile der genossenschaftlichen Unternehmensform gelten in der EU:
– Genossenschaften können sich bei Innovationen auf das gemeinsame
Interesse einer Anspruchsgruppe stützen;
– sie stehen für Verantwortung gegenüber den Verbraucher/innen bzw.
Nutzer/innen;
– die Arbeitenden sind als Eigentümer/innen motiviert;
– die Mitgliederbindung befördert Anpassungsleistungen, um Erfordernissen
,,des Marktes“ bzw. ,,des Strukturwandels“ zu entsprechen;
– das Absinken des Grundkapitals führt nicht zwangsläufig in die Insolvenz;
– beschränkter Zugang zu Fremdkapital kann die Eigenkapitalbasis stärken
helfen;
– die Nichtverteilung von Rücklagen begünstigt den Ausbau der Kapitalbasis,
– nachhaltige Unternehmensentwicklung wird befördert. (Kommission der
Europäischen Gemeinschaften 2001: 13)
Dennoch dürfen auch spezifische Nachteile nicht übersehen werden:
– die Mitgliederorientierung kann Probleme bewirken, wenn es zu
Interessenwidersprüchen kommt;
– vielfach ist der Zugang zu Fremdkapital erschwert; das Management des
Fremdkapitals kann mit Interessenkonflikten in der Genossenschaft
einhergehen;
– die demokratischen Strukturen können schnelle Entscheidungen behindern;
– bei großer Mitgliederzahl ist es schwierig, den Bedürfnissen und Interessen
der Mitglieder zu entsprechen;
– geringe Investitionen der Mitglieder können mit wenig Mitgliederinteresse
verbunden sein;
– der ungehinderte Ein- und Austritt von Mitgliedern kann die Stabilität des
Unternehmens gefährden;
– herkömmlichen Wirtschaftsförderunternehmen und Unternehmensberatungen
fehlt es an Verständnis und Wissen für bzw. über Genossenschaften;
– vielfach unterschätzen öffentliche Auftragsgeber die Potenzen von
Genossenschaften. (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2001:
13-14)

In der Europäischen Union werden Genossenschaften ausdrücklich als
,,Gesellschaften“ anerkannt. Mit der Europäischen Charta für kleine Unternehmen
(angenommen vom Europäischen Rat in Feira am 19/20.6.2000) werden die
Europäische Kommission und die Mitgliedsländer aufgefordert, den
Genossenschaften förderliche Bedingungen zu schaffen. Im Oktober 2001 hat der
Europäische Rat das Statut der Europäischen Gesellschaft angenommen, im Juli
2003 eine Verordnung über das Statut der Europäischen Genossenschaft
(Europäischer Rat 2003: 1-24) und eine Richtlinie zur Arbeitnehmer/innenbeteiligung
an Entscheidungsfindungsprozessen in Genossenschaften (Europäischer Rat 2003:
25-36). Die Mitgliedstaaten müssen bis zum 18.8.2006 die Verordnung in nationales
Recht umsetzen.
In den meisten EU-Mitgliedsländern gibt es spezielle Gesetze, die einen Rahmen für
den Geschäftsbetrieb von Genossenschaften, zum Schutz von Mitgliedern und
Dritten bieten. (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2001: 5)
Das Genossenschaftsrecht in Deutschland ist unzulänglich geeignet, Vorteile der
Genossenschaftsform zu erschließen.
Die gegenwärtige Genossenschafts-Debatte in der Bundesrepublik ist von
neoliberaler Hegemonie geprägt. In erster Linie geht es um Genossenschaften als
private Unternehmen und als solche interessieren vor allem rechtliche Regelungen,
Förderung, Beziehungen bzw. Verhältnisse zu öffentlichen Institutionen und anderen
wirtschaftpolitischen Akteuren, wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen.
In zweiter Linie dreht sich die Diskussion um Strategien, den gesellschaftlichen
Wandel zu meistern, womit ein solcher Umgang mit demographischen und sozialen
Problemen gemeint ist, der bei minimalen Kosten für die Unternehmen und den Staat
gesellschaftliche Reproduktionsfähigkeit (weitgehend) ermöglichst.
Diesen Fragestellungen voll, teilweise oder auch nicht zustimmend wird ferner
diskutiert, wie mittels Genossenschaften Arbeitsplätze erhalten und geschaffen,
gesellschaftliche Kohäsion befördert und öffentliche Haushalte entlastet werden
können. Einige fragen weiter, inwiefern die Debatte zu Genossenschaften helfen
kann, künftig im Unternehmen mehr mitzubestimmen, Gesellschaft demokratisch zu
gestalten, sie sozialer, gerechter, ziviler und ökologischer zu machen.
Manche Genossenschafts-Diskussion in der Bundesrepublik wurde wesentlich
importiert, zum einen als Diskussion zur Zivilgesellschaft, zum bürgerschaftlichen
Engagement und zu Umbrüchen in der Arbeitswelt, zum anderen durch die
Dazugehörigkeit zur Europäischen Union und OECD. Hinzu kam – was allerdings
weniger inhaltlich, eher ideologisch die bundesdeutsche Debatte geprägt hat -, dass
mit den aus der DDR überkommenen Genossenschaften umgegangen werden
musste.

Die Berliner Diskussion unterscheidet sich von der bundespolitischen dadurch,
dass es relativ bedeutende Akteure gibt, die sich genossenschaftlicher Tradition
verbunden fühlen und/oder zwischen der Genossenschaft als Unternehmensform
und einer spezifischen Genossenschaftsidee unterscheiden. Hinzu kommt, dass
westdeutsche/westberliner Gewerkschafter/innen mit keineswegs zu
unterschätzendem Einfluss auf die Landes-SPD sich der Genossenschaftsfrage
zugewandt haben. Sie stärkten bewusst und/oder unbewusst die Position von
Akteuren der Alternativökonomie und Genossenschaftler/innen vor allem im Westteil
der Stadt. Zum anderen agierten im Ostteil Berlins aus der DDR überkommene
Genossenschaften, insbesondere Wohnungsgenossenschaften. Auch
Neugründungen nach 1989 sind für das Berliner Genossenschaftsleben nicht zu
unterschätzen.

Vielfach verstand sich die Berliner PDS als Partnerin von Genossenschaften und
hatte sich ausgehend von landespolitischen, kommunalen und lokalökonomischen
Problemen mit konkreten Projekten und der Genossenschaftsidee befasst.
All das spiegelt sich in der Koalitionsvereinbarung und vor allem in der
Koalitionspolitik deutlich wider. ,,Politik und Verwaltung in Berlin haben auf der
Landesebene und auf bezirklichen Ebenen in den vergangenen zwei Jahren
erhebliche Anstrengungen ,pro Genossenschaft‘ unternommen. Diese
Anstrengungen sind bundesweit wahrscheinlich beispiellos.“ (SOBANSKI 2003: 51)
Im Zentrum der Berliner Diskussion steht die Frage, wie mittels Genossenschaften
existenzsichernde Arbeitsplätze erhalten und geschaffen werden, wie
Genossenschaften Lebensqualität im Stadtteil heben können.

Zur EU-europäischen Debatte

Seit den 80iger Jahren hat sich in vielen westeuropäischen Ländern verstärkt die
Genossenschaft mit sozialer Orientierung herausgebildet. Das trifft sowohl für den
produktiven als auch den Dienstleistungs- und sozialen Bereich zu. Dabei schwand
vielfach das Genossenschaftsmodell mit sozialökonomisch homogener Struktur,
denn aus kommunaler Selbsthilfe-Motivation heraus wuchsen Kooperationen von
sozialökonomisch unterschiedlichen Individuen oder Gruppen. Zugleich sind neue
Unternehmensformen entstanden, die sich an konkreten Projekten, Feldern oder
Problemen orientieren und auf die breite Partizipation Betroffener setzen. Derartige
Genossenschaftsmodelle gingen bzw. gehen zunehmend in Reformen der sozialen
Sicherungssysteme ein und stellen öffentliche Güter von hoher Nachfrage in neuer
Art und Weise bereit.

Vor diesem Hintergrund und im Zusammenhang mit der Entstehung neuer
emanzipatorischer Bewegungen in den 80iger Jahren wurde in Westeuropa das
Konzept der Zivilgesellschaft (erneut) Thema öffentlicher Debatten. Diese standen
nicht zuletzt unter dem Einfluss von Gramsci­Diskussionen unter Oppositioneller in
ost- und mitteleuropäischen sowie lateinamerikanischen Ländern. Sie suchten nach
Wegen zur Demokratisierung der Gesellschaft und nach neuen politischen Formen,
um zwischen Staat, Gesellschaft und Individuum zu vermitteln. Im westeuropäischen
Diskurs wurde nach Möglichkeiten gefragt, wie die liberale Demokratie demokratisiert
werden könne. (KLEIN 2001: 30) In der sozialpolitischen Auseinandersetzung wurde
das zivilgesellschaftliche Konzept zum Konzept des ,,Dritten Sektor“ ­ des
Handlungsraumes auch und insbesondere von Genossenschaften – geführt, dessen
Abgrenzung von Staat und Markt und mögliche verändernde Rückwirkungen auf
beide erörtert wurden. (KLEIN 2001: 13, 261) Das erfolgte nicht unwesentlich und
zunehmend unter dem Einfluss amerikanischer Diskussionen über Umbrüche in der
Arbeitswelt und gesellschaftspolitische Antworten ­ Stichworte: Jeremy Rifkin (RIFKIN
1995), die Neuen Demokraten, Kommunitarismus, Beschäftigung mit Hannah Arendt
(ARENDT 1999). In dieser Zeit entwickelten Anthony Giddens und Ralf Dahrendorf
Positionen, die die angelsächsische Debatte relevant beeinflussten.

Dahrendorf beschäftigt die Frage nach den Bedingungen dafür, dass Globalisierung
nicht mit einer sozialen bzw. einer solchen Ausgrenzung einhergeht, die die
Gesellschaft, die bürgerliche Demokratie bedroht. Die Individuen müssten auf einem
Mindestniveau am gesellschaftlichen Leben teilhaben, es mitgestalten können. ,,Von
allen sozialen Bindungen, die den Optionen der modernen Wirtschaftsgesellschaft
die nötigen Ligaturen hinzufügen, ist die Bürgergesellschaft die wichtigste. Die
Bürgergesellschaft, das ist das schöpferische Chaos von Assoziationen, zu denen
wir aus freien Stücken gehören. Sie sollten vom Staat weder geschaffen noch
dirigiert werden; sie werden auch nicht für wirtschaftlichen Gewinn gebildet; …
Auf diese Weise entsteht ein Netz, durch das Menschen nicht fallen können, damit
eine Infrastruktur der Freiheit.“ (DAHRENDORF 2003: 51-52)

Den Gedanken, die Bürgergesellschaft als Bedingung für gesellschaftliche
Reproduktion zu begreifen und in Politik umzusetzen, wurde von Giddens
weiterentwickelt. In seiner Heimat erfuhr die Selbsthilfe-, Community- und
Genossenschaftsbewegung in den 80iger Jahren einen besonderen Aufschwung.
Dieser ist sowohl als soziale Reaktion auf die Politik von Thatcher und Co. zu
verstehen als auch auf den anwachsenden politischen Protest gegen die Regierung.

Dieser Protest ging wiederum zeitlich zusammen mit den politischen Umbrüchen in
Ost- und Mitteleuropa. ,,Die Politik des dritten Wegs versucht darüber hinaus, einer
wesentlichen Einsicht von 1989 und danach Rechnung zu tragen ­ und zwar der
Tatsache, dass eine starke Zivilgesellschaft sowohl für eine demokratische
Gesellschaft als auch für ein gut funktionierendes Marktsystem unerlässlich ist.“
(GIDDENS 2000: 37)

In Giddens‘ gesellschaftspolitischem Konzept kommt dem Angebot und der Familie
ein besonderer Stellenwert zu. ,,Eine soziale Familienpolitik sollte sich ebenso wie
eine soziale Wirtschaftspolitik vorwiegend um eine Verbesserung des ,Angebots‘
bemühen. Sie sollte ein soziales Umfeld fördern, das es den Menschen und
insbesondere den Eltern ermöglicht, stabile Beziehungen aufzubauen und die mit
den heutigen Freiheiten verbundenen Pflichten zu übernehmen. Viele Schwerpunkte
der Politik des dritten Weges finden einen unmittelbaren Niederschlag in der
Familienpolitik. Auch Unternehmen und Wohlfahrtsverbände können hier eine
Schlüsselrolle spielen, indem sie ein familienfreundliches Arbeitsumfeld schaffen …
Solche Maßnahmen sind vorzugsweise auf der Ebene der betroffenen Gruppen
anzusiedeln und folglich im kommunalen Rahmen zu planen und durchzuführen.“
(GIDDENS 2000: 57-58)

Das Angebot wird mit Unternehmertum verbunden und der Sozialunternehmer in die
Zivilgesellschaft eingeführt. Dahinter steht die Idee, Marktmechanismen in der
Gesellschaft einen höheren Stellenwert einzuräumen, diese aber von Beginn an zivil
zu bändigen. Letztendlich wird die Kommerzialisierung des gesellschaftlichen Lebens
als rational, vernünftig und notwendig angesehen.

,, … gemeinnützige Vereine und Organisationen können öffentliche Aufgaben
verantwortungsvoll erfüllen, wenn sie zu einer effizienten Arbeitsweise finden, und so
das Angebot vervielfältigen. Dann haben sie auch die Chance, das soziale Leben in
den Gemeinden zu aktivieren.
Zu diesem Zweck müssen sie sich aber eine unternehmerische Haltung zu eigen
machen. Sozialunternehmer können in der Zivilgesellschaft als produktive Neuerer
wirken und zugleich die Wirtschaft beleben.“ (GIDDENS 2000: 92)
Giddens setzt so nicht zuletzt auf Genossenschaften als Akteure unternehmerischer
familienfreundlicher Sozialpolitik.
Im Jahre 2000 hat die Europäische Kommission ein der Giddenschen Logik
folgendes Diskussionspapier vorgelegt, das ,,Weißbuch, Europäisches Regieren“
(Commission of the European Communities 2002).
Sie und relevante Akteure in der europäischen Union interessiert ,,der Beitrag der
Genossenschaften zur Wettbewerbsfähigkeit Europas und zur Verwirklichung
anderer Zielsetzungen der Europäischen Union“ (Kommission der Europäischen
Gemeinschaften 2001: 4) Nicht zuletzt deshalb sind Genossenschaften Thema in
den Bereichen Regionalentwicklung, Beschäftigungs- und Sozialpolitik,
Dienstleistungen von öffentlichem Interesse, Strukturfondspolitik, Forschung und
Bildung. Zugleich werden sie zunehmend im Kontext mit der Qualifizierung und
Mobilisierung von sozialem Kapital und der Realisierung sozialer Kohäsion diskutiert.
Diese Widersprüchlichkeit ­ Vorteile im globalen Konkurrenzkampf und
gesellschaftliche Reproduktion sichern helfen zu sollen ­ prägt EU-Politik. So erklärt
die Europäische Kommission: ,,Die moderne gemischte Wirtschaft bietet durchaus
Raum für ein Unternehmensmodell, bei dem nicht die Interessen der Kapitalanleger
im Mittelpunkt stehen, sondern die Bedürfnisse derer, die die Dienste des
Unternehmens nutzen. Derartige Unternehmensformen leisten sogar einen Beitrag
zur effizienten und nachhaltigen Organisation der Märkte.“ (Kommission der
Europäischen Gemeinschaften 2001: 5)

Das betrifft zum einen die lokalen und regionalen Märkte, auf denen
Genossenschaften als Anbieter und Kunden agieren, als auch die globalen.
Schließlich entlasten Genossenschaften durch ihre Leistungen für die
gesellschaftliche Reproduktionsfähigkeit Konzerne von Aufgaben und Lasten und
stellen ihnen erforderliche Ressourcen zur Verfügung. Das geschieht zum einen über
den Beitrag von Genossenschaften zur Erschließung lokaler und regionaler
Ressourcen zur Milderung bzw. Lösung sozialer, ökologischer und ökonomischer
Probleme und zur Kommerzialisierung des Lebens in der Kommune und Region,
zum anderen über ihren Anteil an den Leistungen für die gesellschaftliche Kohäsion
und zur Beschaffung von sozialem Kapital.

,,Soziales Kapital entsteht durch die Errichtung und Tätigkeit von Netzwerken, durch
soziale Wechselwirkungen und wirtschaftliche Beziehungen. Es begünstigt
längerfristige Beziehungen und Vertrauen und ist damit ein Schlüsselfaktor für die
Wettbewerbsfähigkeit und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung. Die
Genossenschaften als Vereinigungen von Personen und/oder Unternehmen und als
solidarische und demokratische Wirtschaftsunternehmen sind ein wichtiges
Instrument zur Schaffung von sozialem Kapital.“ (Kommission der Europäischen
Gemeinschaften 2001: 8)

Durch die widersprüchliche Behandlung von Genossenschaften durch EU-
europäische Politik können sowohl emanzipatorische als auch antiemanzipatorische
Entwicklungen befördert werden. Die Frage ist, ob unter den Bedingungen
anwachsender Konkurrenz Spielräume gesucht, gefunden und zur Wirkung gebracht
werden, um dieser Konkurrenz Gegenkräfte entgegenzusetzen, sie zu mildern und
letztendlich zu brechen. Konkreter: Werden in der Genossenschaftsidee bzw. in
Genossenschaften Möglichkeiten gesehen und aufgespürt, Entwicklungen in
Richtung von (mehr) Gerechtigkeit und Solidarität in der Gesellschaft zu befördern?
Die Ambivalenz von Genossenschaften in der Politik der Europäischen Union zeigt
sich insbesondere darin, dass das Statut der Europäischen Genossenschaft vor
allem auf das Engagement der Europäischen Kommission für grenzüberschreitende
Fusionen und andere wirtschaftliche Tätigkeiten von Genossenschaften zurückgeht.
Zugleich ist es die Europäische Kommission, die sowohl auf nationale und
internationale Gleichstellung und Förderung von Genossenschaften im
Wirtschaftsleben drängt als auch darauf, dass Gemeinschaftsinstrumente und
­programme Genossenschaften zugute kommen. Das betrifft insbesondere
Genossenschaften in Ost- und Mitteleuropa. ,,In vielen Bewerberländern spielen
Genossenschaften eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung einer nachhaltigen
Marktwirtschaft und beim Aufbau demokratischer Institutionen. In Mittel- und
Osteuropa kommt ihnen als ,Schulen‘ des Unternehmertums und der Zivilgesellschaft
ein besonders hoher Stellenwert zu, doch erlitten sie im Zuge des
Umgestaltungsprozesses Rückschläge, weil sie irrigerweise als politische
(kollektivistische) oder staatliche Strukturen angesehen wurden.“ (Kommission der
Europäischen Gemeinschaften 2001: 8)

Das Genossenschaftsmodell bietet eine günstige Grundlage, um in den
Beitrittsländern Gemeinschaftsziele umzusetzen.
,,Die Genossenschaft
· Kann Marktversagen korrigieren und eine effiziente Marktorganisation fördern
…;
· Ermöglicht kleinen gewerblichen Unternehmen den Zusammenschluss zu
größeren und leistungsfähigeren Wirtschaftssubjekten, ohne dass sie ihre
Autonomie verlieren;
· Kann die Marktmacht von Einzelpersonen oder kleinen Unternehmen durch
Abstimmung des Produkt- oder Dienstleistungsangebots stärken;
· Ermöglicht auch Mitgliedern mit geringem Kapital eine Beteiligung an
wirtschaftlichen Entscheidungen;
· Ermöglicht den Bürgern die Beeinflussung bzw. Festlegung ihres
Dienstleistungsbedarfs;
· Kann weiter in die Zukunft denken, da der Nutzen der Stakeholder und nicht
der Shareholder Value im Vordergrund steht. Genossenschaftsmitglieder sind
weniger wechselhaft als die Aktionäre …
· Bietet Möglichkeiten zum Erwerb von Managementerfahrungen insbesondere
für Personen, die ansonsten nicht in verantwortliche Positionen gelangen
würden;
· Ermöglicht die wirtschaftliche Integration großer Teile der Bevölkerung;
· Bringt Vorteile für die lokalen Märkte, deckt den lokalen Bedarf in engem
Kontakt mit den Einwohnern und belebt in ihrer Region bzw. im jeweiligen
Sektor die Wirtschaftstätigkeit;
· Trägt zur Stabilität bei …
Erzeugt Vertrauen und schafft und bewaht soziales Kapital, da sie demokratisch
verwaltet wird und wirtschaftliche Mitbestimmung ermöglicht.“ (Kommission der
Europäischen Gemeinschaften 2001: 26)

1997 hatte das Europäische Parlament die Europäische Kommission aufgefordert,
die beschäftigungspolitischen Potenzen des Dritten Sektors zu prüfen. ,,Drittes
System“ schließt im Unterschied zu ,,Drittem Sektor“ dessen vielfältige
Wechselbeziehungen zum privaten und öffentlichen Bereich ein. Ergebnis der vom
EP ausgelösten Arbeit war das Pilot-Aktionsprogramm ,,Drittes System und
Beschäftigung“ (Final Report 2001), dessen Fokus Organisationen und
Partnerschaften mit eingeschränkter Profiterwirtschaftung und Selbstverwaltung sind.
Es schließt Assoziationen, Genossenschaften und Gemeinschaften ein, für die
Tätigkeiten auf den Gebieten Soziale Leistungen, Natur, Kultur und Sport typisch
sind. Hier sind 9 Millionen Menschen tätig. Die Prüfung der Potenzen des 3. Sektors
ergab Arbeitsplätze, Einkommen und Einsparpotenziale des Staates. Es wurden
Links aufgespürt zu hoher Verbraucherqualität, Innovation, Lokalentwicklung,
sozialer Kohäsion und Vorteile lokaler Partnerschaft. Die Potenzen wurden
insbesondere mit drei Aspekten verknüpft: 1) Mit der Entwicklung neuer, vielfach
arbeitsintensiver Produkte und Dienstleistungen, um unbefriedigten Bedürfnissen zu
entsprechen. 2) Mit der möglichen Verwandlung der informellen Wirtschaft in die
formelle und von unbezahlten Tätigkeiten in bezahlte. 3) Mit der Ausrichtung auf die
Bedürfnisse sozial Schwächerer und Ausgegrenzter durch die Produktion von Waren
und Leistungen für Menschen mit geringen Einkommen und durch die Schaffung von
Arbeitsplätzen für am Arbeitsmarkt Benachteiligte. (Final Report 2001: 68)

Der Grundgedanke ist also: Stärkung des Angebots an Waren, Leistungen und
Arbeitsplätzen durch die Schaffung neuer Märkte, durch fortschreitende
Kommerzialisierung des gesellschaftlichen Lebens. Der Abschlussbericht, der sich
außerordentlich häufig auf Genossenschaften bezieht, zeigt, dass die Wirkung aller
beschäftigungspolitischen Leitlinien durch das Dritte System potenziert werden
könnten.
Seit 1998 enthalten die Beschäftigungspolitischen Leitlinien Forderungen des
Europäischen Rates an die Mitgliedstaaten, genossenschaftliche Potenzen zur
Schaffung von Arbeitsplätzen zu erschließen. Das betrifft insbesondere
Arbeitsplätze für ohnehin am Arbeitsmarkt Benachteiligte und arbeitsintensive soziale
Dienstleistungen, die gemäß Richtlinie vom 22.10.1999 in den Genuss ermäßigter
Mehrwertsteuersätze kommen sollen. (Kommission der Europäischen
Gemeinschaften 2001: 26). In den Regionalen Programmen der EU spielen die
Territorialen Beschäftigungspakte TEP als strategische Vereinbarungen zwischen
lokalen Partnern eine Schlüsselrolle.
Genossenschaften werden als ein Weg sozialverträglicher Privatisierung propagiert:
,,Genossenschaftliche Lösungen eignen sich auch gut für die Organisation von
Leistungen der Daseinsvorsorge in Regionen, in denen kein öffentliches
Leistungsangebot besteht bzw. in denen die Leistungen auf kommerzieller
Grundlage erbracht werden, was ihre gleichberechtigte Nutzung in Frage stellen
kann.“ (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2001: 28)
Multistakeholder-Genossenschaften haben sich dabei in konkreten Fällen durchaus
als ein funktionstüchtiges und effektives Instrument zur Erbringung von
Dienstleistungen erwiesen. Die mögliche Einflussnahme von Konsumenten als
Genossenschaftsmitglieder auf die Qualität und Erbringung der Dienstleistungen wird
als Demokratisierung gewürdigt. (Kommission der Europäischen Gemeinschaften
2001: 29).
Genossenschaftliche Lösungen öffentlicher Daseinvorsorge können jedoch nur dann
mit wirklicher Demokratisierung verknüpft sein, wenn die individuellen Rechte auf
Partizipation an der Leistungsrealisierung garantiert und gestärkt statt zunehmend an
individuelle Einkommen oder Vermögen gebunden werden.
Reale Demokratisierung könnte durchaus mit der Umsetzung einer Empfehlung der
Europäischen Kommission aus dem Jahre 1994 einhergehen, die auf Übernahme
kleiner und mittlerer Unternehmen durch Arbeitnehmer/innen zielt und diese
insbesondere durch Steuervergünstigungen oder Aufschub der Besteuerung
begünstigen will. Derartige Vorteile sollen den Arbeitnehmern auch dann zukommen,
wenn die Betriebsübernahme mit einer Genossenschaftsgründung einhergeht.
(Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2001: 30)
Eine genauere Analyse nationaler Materialien zur Genossenschaftsproblematik zeigt,
dass widersprüchliches Handeln der EU auch auf Interessenwidersprüche
zurückgeht, die aus der unterschiedlichen Rolle von Genossenschaften in den
Mitgliedsländern und aus unterschiedlichem nationalem Recht resultieren. Diese
Widersprüche zeigen sich nicht zuletzt in den Auseinandersetzungen um das Statut
der Europäischen Genossenschaft.

Die Europäische Kommission legte 1992 drei Vorschläge für Statuten zur Schaffung
einer Europäischen Genossenschaft, einer Europäischen
Gegenseitigkeitsgesellschaft und eines Europäischen Vereins vor. Aber erst im
Jahre 2001 kam es zur Annahme des Statuts der Europäischen Gesellschaft und im
Jahre 2003 zur Bestätigung des Statuts der Europäischen Genossenschaft durch
den Europäischen Rat.
Dieser lange Zeitraum widersprach Interessen an der Beseitigung von
Handelsschranken und an der Anpassung von Unternehmensstrukturen an die
Gemeinschaftsdimension. Einzelstaatliches Recht war hier vielfach hinderlich. Für
Genossenschaften wurde es auch durch die Verordnungen des Europäischen Rates
zur Schaffung einer europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV)
oder zum Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) nicht wesentlich leichter.
Schließlich ging es vielen Genossenschaften um gemeinsame wirtschaftliche,
gesellschaftliche und kulturelle Belange, die über Gemeineigentum und
demokratische Unternehmenslenkung umgesetzt werden sollten. Die Wahrung
gleicher Wettbewerbsbedingungen verlangte angemessene eigene
Rechtsinstrumente (SCAPlus 2003: Internet)

Die Europäische Genossenschaft (SCE) ist nun laut Verordnung des Rates eine
Rechtspersönlichkeit, deren Grundkapital in Geschäftsanteile zerlegt ist. Ihr Sitz ist in
der Europäischen Gemeinschaft, am Ort der Hauptverwaltung. ,,Hauptzweck der SCE
ist es, den Bedarf ihrer Mitglieder zu decken und/oder deren wirtschaftliche Tätigkeit
zu fördern; sie tut dies insbesondere durch den Abschluss von Vereinbarungen mit
ihren Mitgliedern über die Lieferung von Waren oder die Erbringung von
Dienstleistungen oder die Durchführung von Arbeiten im Rahmen der Tätigkeiten, die
die SCE ausübt oder ausüben lässt.“ (SCAPlus 2003: Internet) Allerdings unterliegt
die Gründung einer SCE den für Genossenschaften geltenden Rechtsvorschriften
des Mitgliedslandes, in dem die SCE ihren Sitz hat. Eine SCE kann gegründet
werden
– von mindestens fünf natürlichen Personen mit Wohnsitz in mindestens zwei
Mitgliedsländern,
– von juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts, die dem
jeweiligen nationalen Recht entsprechen und deren Wohnsitz in mindestens
zwei verschiedenen Mitgliedstaaten liegt,
– durch Verschmelzung von Genossenschaften, die nach dem Recht eines
Mitgliedslandes gegründet wurden,
– durch Umwandlung einer Genossenschaft, die nach dem Recht eines
Mitgliedlandes gegründet wurde.
Das Kapital einer SCE muss mindestens 30.000 Euro ­ ggf. umgerechnet in die
jeweilige Landeswährung ­ betragen. Die Hauptversammlung muss die Kapitalhöhe
zum Ende eines jeden Geschäftsjahres und die Veränderung zum jeweiligen Vorjahr
feststellen.
Die Gründungsmitglieder einer SCE erstellen eine Satzung gemäß
Genossenschaftsrecht des Sitzlandes. Diese muss folgende Angaben enthalten:
– die Firmenbezeichnung mit dem Zusatz SCE und ggf. mit dem Zusatz ,,mit
beschränkter Haftung“,
– den Zweck der Genossenschaft,
die Namen der Gründer, bei Gesellschaften zusätzlich den

Gesellschaftszweck und ­sitz,
die Bedingung für die Aufnahme von Mitgliedern, den Ausschluss und Austritt,

die Rechte und Pflichten der Mitglieder, ggf. nach verschiedenen Kategorien,

den Nennwert der Geschäftsanteile sowie das Grundkapital und die Angabe,

dass dieses veränderlich ist,
die besonderen Vorschriften für den gegebenenfalls in die gesetzliche

Rücklage einzustellenden Betrag der Entnahme aus den Überschüssen,
die Befugnisse und Zuständigkeiten der Mitglieder jedes Organs,

die Einzelheiten der Bestellung und der Abberufung der Mitglieder dieser

Organe,
die Mehrheits- und Beschlussfähigkeitsregeln,

die Dauer des Bestehens der SCE, wenn diese begrenzt ist. (SCAPlus 2003:

Internet)

Die Ausführungen zeigen, dass es nur einen sehr bedingten oder nur vagen Zwang
zu innergenossenschaftlicher Demokratie und schon gar keine Verbindlichkeit für
eine Mitsprache von betroffenen Kommunen und Verbraucher/innen gibt. Das gilt
auch und insbesondere für die Beteiligung der Arbeitnehmer/innen in der SCE.
Dieses Defizit erklärt die ,,Richtlinie des Rates zur Ergänzung des Statuts der SCE
hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer“. Sie regelt und koordiniert die Rechts-
und Verwaltungsvorschriften bezüglich der Rolle der Arbeitnehmer/innen in der SCE.
,,In jeder SCE wird eine Vereinbarung über die Arbeitnehmerbeteiligung … gemäß der
Auffangregelung zur Beteiligung der Arbeitnehmer in dieser Richtlinie getroffen.“
(SCAPlus 2003: Internet)

Die Richtlinie eröffnet zweifellos gewisse Chancen, soziale, demokratische und
kulturelle Bedürfnisse mehr oder weniger stark zu berücksichtigen. Für die Nutzung
dieser Chancen ist es keineswegs unwichtig, ob und wie die bis zum Jahre 2006 in
nationales Recht umzusetzende Verordnung über das Statut der Europäischen
Genossenschaft erfolgt. Die Europäische Kommission orientiert darauf, die
Bedingungen für Genossenschaften zu verbessern (Europäische Kommission 2004*:
4), wobei es ihr insbesondere um sechserlei geht
– Erstens um mehr Verständnis für und mehr Interesse an der
Unternehmensform Genossenschaft,
– Zweitens ums ihre Gleichstellung gegenüber anderen Unternehmensformen
und ihre Wettbewerbsfähigkeit,
– Drittens um den Erhalt und die Mehrung von Kleinst-, kleinen und mittleren
Unternehmen,
– Viertens um die Milderung von sozialen Problemen in den neuen EU-
Mitgliedsländern, insbesondere in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum,
– Fünftens um Strategien für Regionen mit wirtschaftlichem
Entwicklungsrückstand,
– Sechstens um die Erschließung von genossenschaftlichen Potenzen zur
Schaffung von Arbeitsplätzen. (Kommission der Europäischen
Gemeinschaften, 2004: 4-20)

Obwohl hiermit selbstverständlich auch soziale und kulturelle Probleme
widergespiegelt werden, geht es der Kommission insbesondere um die
Unternehmensform Genossenschaft unter den Bedingungen globaler Konkurrenz,
um mehr Konkurrenzfähigkeit EU-europäischer Global Player, um mehr Markt im
gesellschaftlichen Leben, um den Standort EU-Europa in einer kapitaldominierten
Weltwirtschaft.
,,Bei der Verfassung von neuen Regelungen bezüglich von Genossenschaften sollte
… das Genossenschaftsrecht auf den genossenschaftlichen Definitionen, Werten und
Grundsätzen basieren. Gleichzeitig sollten die staatlichen Gesetzgeber aber auch so
flexibel sein, dass es den Genossenschaften ermöglicht [wird], am Wettbewerb auf
ihren Märkten erfolgreich und zu den gleichen Bedingungen, die auch für andere
Unternehmensformen gelten, teilzunehmen. …
Die für Genossenschaften geltenden Vorschriften müssen daher nicht nur den
besonderen Grundsätzen der Genossenschaften Rechnung tragen, sondern auch
ihren Bedürfnissen im Wettbewerb mit anderen Unternehmen einer modernen
Marktwirtschaft.“ (Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 2004: 14-15)
Unter Berücksichtigung dieser Widersprüchlichkeit sind drei Orientierungen der
Europäischen Kommission von besonderem Interesse, weil sie Ansatzpunkte für
emanzipatorische Politik bilden. Das betrifft die Orientierung auf:
– genossenschaftliche Kooperation in ost- und mitteleuropäischer
Landwirtschaft und in Krisenregionen (Kommission der Europäischen
Gemeinschaften, 2004: 19),
– Arbeitsnehmer/innengenossenschaften zur Übernahme von Unternehmen,
,,In Europa wird in den kommenden 10 Jahren rund ein Drittel der
Unternehmen den Eigentümer wechseln, und diese Eigentümerwechsel finden
zunehmend außerhalb der Familie des bisherigen Eigentümers statt. Die
Arbeitnehmer haben am Fortbestand des Unternehmens ein besonderes
Interesse und verstehen oft viel von dem Unternehmen … Zur Übernahme und
Leitung eines Unternehmens fehlen ihnen jedoch häufig die entsprechenden
finanziellen Mittel und die erforderliche Unterstützung. Durch die sorgfältige
und schrittweise Vorbereitung der Übertragung von Unternehmen auf die in
einer Arbeitnehmer-Genossenschaft zusammengeschlossenen Arbeitnehmer
kann die Überlebensrate von Unternehmen steigen.“ (Kommission der
Europäischen Gemeinschaften, 2004: 11) Deshalb sollen die Mitgliedsländer
ihre entsprechenden Regelungen überprüfen (Kommission der Europäischen
Gemeinschaften, 2004:12)
– Benchmarking von Maßnahmen zur Unterstützung von Genossenschaften und
zur Nutzung von Genossenschaften für Problemlösungen (Kommission der
Europäischen Gemeinschaften, 2004: 8).

Die Ansatzpunkte für emanzipatorische Politik betreffen insbesondere eine
demokratische Regionalentwicklung, die nicht von den Interessen der Global Player,
sondern der in der Region lebenden Menschen, ausgeht. Des weiteren Lernprozesse
bei Arbeitnehmer/innen und im öffentlichen Dienst Beschäftigten, die mit
Wirtschaftsdemokratie zu tun haben. Zum dritten können die Bedingungen dafür
verbessert werden, emanzipatorische und solidarische genossenschaftliche Werte zu
propagieren, für ein besonderes Genossenschaftsverständnis und
gesellschaftspolitische Reformen zu werben.

Derartige Chancen dürfen im Kampf gegen Armut keineswegs unterschätzt werden.
Armut ist in der Europäischen Union ein ständiges Thema. So hatte der Europäische
Rat von Nizza die Arbeit mit Nationalen Aktionsplänen gegen soziale Ausgrenzung
beschlossen und die Zivilgesellschaft zur Aktion und Kooperation aufgefordert. Das
traditionelle – nach Sektoren (Wohnen, Gesundheit, Bildung) oder Problemgruppen
(Frauen, Ältere, Jugendliche, Behinderte …) ausgebildete – sozialpolitische
Herangehen an Probleme der sozialen Ausgrenzung soll durch ein integratives,
multi-dimensionales abgelöst werden, das die komplexen Faktoren von sozialer
Ausgrenzung reflektieren soll. Lokale Partnerschaft wird offiziell als Weg proklamiert,
die Institutionen und lokalen Gemeinschaften zusammenzubringen, neue Allianzen
und politische Initiativen zur Förderung sozialer Integration zu schaffen. (European
Foundation 2003: 14) Lokale Partnerschaft mit der Zivilgesellschaft kann soziale-
Integration-Strategien effektivieren durch die
– Einbeziehung Betroffener in die Lösungsfindung
– Entwicklung eines Klimas für Diskussion und Innovation
– Bessere Koordinierung zwischen den Politikbereichen und Dienstleistungen.
Stimuli dazu können sein:
– Der gegenseitiger Vorteil
– der neue Rahmen für die Sozialpolitik
– die Qualität sozialer öffentlicher Leistungen
– Netzwerke von Akteuren
– Trusts
(European Foundation 2003: 18-21)

Lokale Partnerschaft mit der Zivilgesellschaft soll individuelle Isolation überwinden
und mehr soziales Kapital schaffen. Partnerschaft soll Partizipation und
Einbeziehung befördern. (European Foundation 2003: 29)
Genossenschaften sind für lokale Partnerschaften interessant geworden: Unter den
Bedingungen der Globalisierung werden zwar Räume für die Kapitalreproduktion der
Global Player entgrenzt, aber das Gewicht der räumlichen Dimension wächst
gegenüber der sektoralen. Das hat wiederum mit zwei Zusammenhängen zu tun:
Zum einen verlangt die effektive Anwendung der neuen Technologien
Dezentralisierung in den Wertschöpfungsprozessen, die mit zunehmender
Komplexität im Sinne der Verzahnung verschiedener Produktions- bzw.
Reproduktionsaufgaben einhergeht. Damit nimmt die Rolle besonderer Standorte für
konkrete Kapitalverwertung zu. Wiederum damit verbunden ist, dass die
Reproduktionsbedingungen der Räume und somit die Lebensbedingungen der
dortigen Bevölkerung immer mehr dadurch bestimmt werden, ob die Region
Standort eines Global Player bzw. von mehr oder weniger wichtigen Partnern dieser
ist. Mit größer werdender Bedeutung von Räumen wächst zumindest teilweise auch
die Möglichkeit bzw. Herausforderung, mittels Genossenschaften regionale
Entwicklungsressourcen zu mobilisieren ­ für Wertschöpfungen und im sozialen
Bereich.
92% der Menschen in den neuen Mitgliedsländern leben in Regionen mit einem BIP
pro Kopf der Bevölkerung unter 75% des EU25-Durchschnitts und mehr als zwei
Drittel in Regionen unter 50% des Durchschnitts.
Wenn Bulgarien und Rumänien, deren BIP unter 30% des EU25-Durchschnitts liegt,
der EU beitreten, leben statt der nunmehr ca. 73 Millionen unter 75% des EU25-
Durchschnitts mehr als 103 unter diesem.
(European Commission 2004: ix-x)

Genossenschaften können nur dann zu einem Instrument zur Bekämpfung von
Armut werden, wenn die herrschende Politik die Überwindung und Vermeidung von
Armut zur tatsächlichen Priorität erhebt. Eine emanzipativ-politische
Genossenschaftsbewegung kann dafür sorgen helfen.

Quellenverzeichnis

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der Mitgliederbasis? In: Genossenschaftsforum e. V. (Hrg.), 2003: Bürgerschaftliches
Engagement als genossenschaftliche Ressource. Aktivierung von Mitbestimmung
und Selbsthilfe in Wohnungsgenossenschaften, Berlin
SOBANSKI, MICHAEL, 2003: Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der
Entwicklung von Stadtteilgenossenschaften in Berlin auf der Grundlage von
Erfahrungen in Berlin und anderen Bundesländern. Machbarkeitsstudie im Auftrag
der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen, Berlin
Stellungnahme zur genossenschaftlichen Identität 1995: angenommen von der
Generalversammlung des Internationalen Genossenschaftsbunds im Jahre 1995,
Internet: www.ica.coop
United Nations, 2001: Cooperatives in social development, General Assembly
Economic and Social Council, 14.5.2001, A/56/73-E/2001/68, Genf
United Nations, 1999: Resolution of the General Assembly A/RES/54/123 vom
17.12.1999 „Cooperatives and Social Development
Untitled Document, 2004: In: Genossenschaftliche Informationen 2-4/2003 ­ Teil
Vereinte Nationen, 2004: Resolution der Generalversammlung 58/131 ,,Die Rolle der
Genossenschaften in der sozialen Entwicklung“ vom 22.12.2003, A/RES/58/131
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Ein weiterer Text von Judith Dellheim, der in der Schriftenreihe der Rosa-Luxemburg-Stiftung veröffentlicht wurde, hat den Titel „Neue Genossenschaften in Berlin zwischen bürgerschaftlichem Engagement, Selbsthilfe und Regionalentwicklung“:

Inhaltsverzeichnis

Einleitende Bemerkungen

Wichtige Akteure des Berliner Genossenschaftswesens – ihr Agieren bis zur Senatsbildung 2002

Die Koalitionsvereinbarung der Berliner SPD und der Berliner PDS und Schritte zu den Richtlinien für die Vergabe von Existenzgründungsdarlehen

Richtlinien für die Vergabe von Existenzgründungsdarlehen nach dem Arbeitsmarkt und Berufsbildungspolitischen Rahmenprogramm (ARP) vom 5. März 2003

Diskussion seit Annahme der Richtlinien vom 5. März 2003

Einige Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Anlage I

Genossenschaften – neue Wege in der Beschäftigungspolitik

Anlage II

Genossenschaften in nationalen Strategien für Beschäftigung und soziale Integration

Quellenverzeichnis

I. Einleitende Bemerkungen

Was die Beschäftigung mit der jüngeren Genossenschaftsproblematik in Berlin so außerordentlich interessant macht, ist zumindest dreierlei: Erstens wird die Berliner Genossenschaftsdiskussion anders geführt als die bundesdeutsche. Sie ist „europäischer“, d. h. mehr mit Fragen des Dritten Sektors und der Zivilgesellschaft verbunden. Das hat mit den spezifischen Akteuren des Berliner Genossenschaftswesens bzw. der Berliner Alternativökonomie zu tun, mit deren intensiver internationalen Zusammenarbeit. Zweitens trafen bzw. treffen in Berlin Akteure aus Ost und West nicht nur viel direkter als anderswo in Deutschland aufeinander, sondern sie sind auch weitgehend politisierter, verbinden Selbsthilfe eher mit politischen Ansprüchen. Drittens findet in der Koalitionsvereinbarung der Berliner Landesverbände von SPD und PDS vom Januar 2002 die Genossenschaftsproblematik deutliche Widerspiegelung und ist der Senat „pro Genossenschaft“ eingestellt.

Das wirft zum einen weitere Fragen nach den genossenschaftlichen Akteuren auf, zum anderen nach den konkreten Inhalten ihrer Diskussion und ihrer Projekte. Diese sind für die Arbeit an gesellschaftspolitischen Reformalternativen hochgradig wichtig, insbesondere im Kontext mit der Beschäftigungspolitik und der Regionalentwicklung. Hinzu kommt, dass in beiden Politikbereichen die PDS heute agieren muss und eine Analyse der Wechselverhältnisse zwischen Genossenschaftler/innen und Berliner PDS sowohl für den Landesverband als auch für die Gesamtpartei hilfreich sein kann.

Da vor der PDS zu verschiedenen Zeiten sehr verschiedene Fragen und Aufgaben standen, ist es zweckmäßig, Entwicklungen nach Zeitabschnitten darzustellen, also eher historisch als logisch. Die Darlegungen münden in Schlussfolgerungen und Empfehlungen an die Gesamtpartei PDS und an ihren Berliner Landesverband.

Genossenschaften sind recht komplizierte Subjekte des Wirtschaftsrechtes. Es handelt sich um spezifische Unternehmen, freiwillige Vereinigungen von Personen oder Personengruppen, die gemeinsam eine höhere Leistungsfähigkeit ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit erstreben. Die Genossenschaft basiert auf persönlicher Mitgliedschaft und Selbstverwaltung. Zu ihrer Gründung bedarf es keines Kapitals von besonderer Höhe. Unter Beachtung der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestanzahl von Mitgliedern – in Deutschland sieben, was im internationalen Vergleich sehr hoch ist – gibt es keine von der Zerlegung des Grundkapitals abhängige Mitgliederzahl. Die Satzung der Genossenschaft ist unter Beachtung des Genossenschaftsrechts frei gestaltbar. Das Stimmrecht ist an die Mitgliedschaft gebunden, der gemeinschaftliche Geschäftsbetrieb gesetzlich vorgeschrieben. Die Profitmaximierung ist ausgeschlossen. Erzielte Gewinne müssen unmittelbar für den eigentlichen Förderzweck eingesetzt werden. Die Genossenschaft muss Mitglied eines Verbandes mit Prüfrecht sein. Die Pflichtprüfung dient dem Schutz der Genossenschaftsmitglieder und Gläubiger. (Nollau 2004: 6)

Besonders anzumerken ist die Schwierigkeit der Genossenschaftsgründung: Sieben Menschen müssen ausgehend von der Geschäftsidee und ihren subjektiven und ökonomischen Bedingungen, dem für seine Leistung zu zahlenden Prüfverband überzeugend darlegen, dass sie wirtschaftlich erfolgreich sein werden.

In Deutschland kann die Dienstleistungsgenossenschaft und vor allem die Genossenschaft mit sozialen Zielen nicht einfach in das behördliche Genossenschaftsregister eingetragen werden, denn sie sind nicht im Genossenschaftsgesetz geregelt. Gelingt der Genossenschaft im Sozialbereich die Eintragung, muss sie noch lange nicht als gemeinnützig anerkannt werden. Schließlich ist in Deutschland nicht die Gewinnverwendung das Kriterium für Gemeinnützigkeit, sondern die Gewinnerzielung.

Diese komplizierten Fragen sind zu berücksichtigen, werden die Erfahrungen aus dem Umgang mit den Richtlinien für die Vergabe von Existenzgründungsdarlehen nach dem Arbeitsmarkt- und Berufsbildungspolitischen Rahmenprogramm (ARP) bzw. die Förderung von „beschäftigungsorientierten Genossenschaften“ diskutiert.

In Berlin gibt es neben etwa 200 Genossenschaften, genossenschaftliche Unternehmen und Organisationen. Ihre Mitglieder hängen der Selbstverwaltung, freiwilligen Mitgliedschaft, Selbstverantwortung und dem gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb an und erstreben keinen Gewinn oder lediglich Gewinne zum Einsatz für den Förderzweck. Obwohl also genossenschaftlichen Grundsätzen gefolgt wird, ist die Organisation/das Unternehmen nicht als Genossenschaft in das behördliche Register eingetragen. Das ist meist dann der Fall, wenn die Mindestanzahl von sieben Mitgliedern nicht erreicht ist, die Mitgliedschaft in einem Prüfverein nicht möglich oder nicht gewollt ist, dem Genossenschaftsrecht nicht entsprochen werden kann oder es abgelehnt wird. Dass z. B. die Gründungsinitiative für den Stadtteilbetrieb Prenzlauer Berg „die Gründung einer GmbH mit genossenschaftlicher Verfassung für Anfang 2005 vorbereitet“ (BEST 4/2004: 1) und nicht einer Genossenschaft, liegt daran, dass es einfacher ist, eine GmbH mit genossenschaftlicher Verfassung zu gründen als eine Genossenschaft.

International ist es üblich, dass sich Genossenschaften als dem Dritten Sektor, bzw. der Sozialen Ökonomie (EU) oder Solidarischen Ökonomie (Lateinamerika) zugehörig erklären bzw. als deren Akteure angesehen werden. Das ist nur folgerichtig, denn als „Dritter Sektor“ wird der Bereich zwischen Staat und Privat- bzw. Marktwirtschaft verstanden, in dem kein Profit oder nur zum sozialen bzw. Förderzweck erwirtschaftet wird. Der Begriff differenziert nicht zwischen freiwilligen Vereinigungen in der Rechtsform von z. B. Vereinen, Stiftungen, Genossenschaften einerseits und Betrieben, Einrichtungen, Dienststellen und sonstigen institutionalisierten Dienstleistungsangeboten in deren Trägerschaft andererseits. (Bauer/Betzelt 2000: 10)

Während es in Berlin als normal gilt, Genossenschaften im Kontext mit dem Dritten Sektor zu diskutieren, sehen sich in Deutschland die traditionellen Genossenschaftsverbände dem Dritten Sektor nicht zugehörig. Während in der geltenden Koalitionsvereinbarung der in Berlin regierenden Parteien ausdrücklich Bezug auf für Berlin zu nutzende europäische Dritte-Sektor-Erfahrungen genommen wird, spielt dieser Problemkreis in der offiziellen Reformdebatte der Bundesrepublik keine Rolle.

In der Europäischen Union meint „Soziale Ökonomie“ im allgemeinen Genossenschaften, gemeinsame Betriebe und Stiftungen, die weder der profitorientierten Privatwirtschaft noch dem öffentlichen Sektor zugeordnet werden können. Sie betrifft vier wesentliche Bereiche: 1) soziales, demokratisches und partizipatives Unternehmertum, 2) Beschäftigung und soziale Kohäsion/Integration, 3) lokale Entwicklung und 4) gemeinsamer sozialer Schutz als Basis eines demokratischen Modells, das Entwicklungen entsprechend der Bedürfnisse und Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger ermöglicht (Social Economy 2002: 3)

Es ist gebräuchlich, Dritter Sektor und Soziale Ökonomie synonym zu verwenden. Es gibt keine detaillierte Untersuchung zum dritten Sektor in Berlin. Es ist kann davon ausgegangen werden, dass etwa 100.000 Menschen in ihm beschäftigt sind. Allerdings wird seine Erfassung und Bewertung mit der Realisierung von Hartz IV immer komplizierter und streitbarer. Die Grundsätze der „sozialen Ökonomie“ können durchaus mit der Zivilgesellschaft zusammengehen. „Zivilgesellschaft“ steht für Engagement, gemeinnütziges soziales Handeln, Gestaltung gesellschaftlichen Zusammenlebens, Solidarität, Verantwortung und Partizipation. Das erklärt, warum sich international und in Berlin zahlreiche Genossenschaften als Akteure der Zivilgesellschaft sehen und die Genossenschaftsdebatte vielfach im Kontext mit der Debatte zur Zivilgesellschaft geführt wird. Für die Bundesrepublik trifft diese Verallgemeinerung so nicht zu.

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  • Abseits von den Genossenschafts-Institutionen, -Verbänden und Forschungseinrichtungen mendelte sich ausgehend von der Alternativbewegung mit den Jahren ebenfalls ein Netzwerk von Verbänden, Forschungseinrichtungen etc. heraus. Wobei man von sozialer oder lokaler Ökonomie spricht. Einer der unermüdlichen auf diesem Feld, mit dem Judith Dellheim gelegentlich zusammenarbeitet, ist Karl Birkhölzer. In einer Mitteilung der Universität Oldenburg heißt es:

    „Weiterbildung und Beratung für Unternehmen der sozialen und lokalen Ökonomie – zur Notwendigkeit berufsbegleitender Aufbau- und Weiterbildungsstudiengänge“ – so lautet der Titel eines Vortrags, den Dr. Karl Birkhölzer, Hochschullehrer am Institut für Berufliche Bildung und Arbeitslehre an der Technischen Universität Berlin, im Rahmen der Reihe „Es geht auch anders! Alternativen zur Politik der neoliberalen Globalisierung“ an der Universität Oldenburg hält.
    Birkhölzer, der die Forschungsgruppe Lokale Ökonomie an der TU Berlin aufgebaut hat, stellt einen projektorientierten Aufbaustudiengang „Lokale Soziale Ökonomie“ vor, der auf den gewachsenen Bedarf an professionellen BeraterInnen und TrainerInnen für Unternehmen der sozialen Ökonomie reagieren soll. Dabei greift er auf seine Erfahrungen mit einem von der Europäischen Union geförderten Modellstudiengang in Hamburg zurück.
    Veranstalter der Vortrags- und Diskussionsreihe ist die Kooperationsstelle Hochschule/Gewerkschaften der Universität in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Solidarische Ökonomie der Loccumer Initiative kritischer WissenschaftlerInnen und dem Zentrum für erziehungswissenschaftliche Studien im Nord-Süd-Verbund an der Universität Oldenburg.

    Birkhölzer diskutiert die lokale Ökonomie aber auch im europäischen Kontext – auf einer diesbezüglichen Webpage heißt es:

    Mit dem Europäischen Netzwerk wollen wir die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Organisationen und Initiativen für ökonomische Selbsthilfe und lokale Entwicklung unterstützen, gemeinsame Projekte ermöglichen und unseren Anliegen ein stärkeres Gewicht in Europa verschaffen.

    Der Erfahrungsaustausch findet statt in Form von

    * Informationsvermittlung,
    * gegenseitigen Besuchen, Arbeits- und Studienaufenthalten,
    * Tagungen, Seminaren und Konferenzen,
    * transnationalen Forschungsprojekten und Arbeitsgruppen.

    Die Arbeitsschwerpunkte umfassen bisher:

    * Lokale Partnerschaften
    * Grundwerte, Strukturen und Konzepte einer Sozialen Ökonomie
    * Ökonomische Gemeinwesenentwicklung und Soziale Unternehmen
    * ‚Drittes System und Beschäftigung‘
    * Aus- und Weiterbildung von Multiplikatoren
    * Ost-West-europäische Zusammenarbeit
    * Nord-Süd-Zusammenarbeit
    * Soziales Kapital
    * ‚Beschäftigung vor Ort fördern‘

    Und dann gibt es auch noch eine globale Diskussion über lokale Ökonomien. Karl Birkhölzer selbst schreibt darüber – unter der Überschrift:

    Soziale Solidarische Ökonomie – eine weltweite Bewegung

    Teilnehmer aus Afrika, Asien, Latein- und Nordamerika, Ost- und Westeuropa diskutieren ihre Zukunftsperspektiven auf dem Kongress „Solidarische Ökonomie“ vom 25.- 27.11.2006 an der Technischen Universität Berlin

    Technologie-Netzwerk Berlin e.V. als Koordinationsbüro des Europäischen Netzwerks für ökonomische Selbsthilfe und lokale Entwicklung / EURONETZ war im Rahmen dieses Kongresses Gastgeber eines mit Experten aus aller Welt hochrangig besetzten internationalen Erfahrungsaustausches zum Stand, zur Entwicklung und zur Zukunft der Sozialen Solidarischen Ökonomie. Unter den Teilnehmern war der Staatssekretär für die Solidarische Ökonomie in Brasilien – dort gehört die Förderung der Solidarischen Ökonomie zum Regierungsprogramm – , der Leiter einer regionalen Entwicklungsagentur für über 900 Gemeinden im Bundesstaat Karnataka / Indien, der Direktor von Trade Africa 2000plus, einer Fair-Trade-Organisation von Kooperativen aus Afrika und Europa, Vertreter internationaler Netzwerke der Genossenschaften und Finanzinstitute für die Soziale Ökonomie sowie nationaler Verbände der Sozialen Solidarischen Ökonomie aus Kanada, Argentinien, Venezuela, Hochschullehrer für die Soziale Solidarische Ökonomie aus Polen, Ukraine, Italien, Griechenland und nicht zuletzt Wissenschaftler und Praktiker aus Belgien, Frankreich, Großbritannien, Luxemburg und Österreich. Allein diese Aufzählung macht deutlich, dass sich Deutschland in Sachen Sozialer Solidarischer Ökonomie auf der Stufe eines Entwicklungslandes befindet und noch viel von anderen Ländern und Kontinenten lernen kann. Dabei umfasst der Sektor in Deutschland nach unseren eigenen Recherchen bereits heute 2,5 Millionen Arbeitsplätze (oder 1,9 Millionen in Vollzeitäquivalenten) sowie das 2-3fache an ehrenamtlichen Mitarbeitern. Dennoch wird dieser „gemeinnützige Wirtschaftssektor“ in Politik und Wissenschaft nicht wirklich wahrgenommen, akzeptiert oder gar gefördert. Hinzu kommt, dass die Akteure (noch) in konkurrierenden Szenen oder Milieus verhaftet sind, was bisher verhindert hat, dass sich ein gemeinsames Selbstverständnis, eine kohärente Theorie und eine leistungsfähige Interessenvertretung des Sektors entwickeln konnten.

    Der Kongress war in diesem Zusammenhang ein erster Versuch, die verschiedenen Akteure an einen Tisch zu bringen und mit den Erfahrungen auf internationaler Ebene zu konfrontieren. Drei Themenschwerpunkte standen im Mittelpunkt dieses
    Erfahrungsaustausches: das Selbstverständnis, die Entstehung und Entwicklung der Sozialen Solidarischen Ökonomie in verschiedenen Ländern und Kontinenten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Sozialen Solidarischen Ökonomie und traditionellen Unternehmensformen, oder: deren Verhältnis zur herrschenden Ökonomie: Konkurrenz, Ergänzung, Alternative?
    die Möglichkeiten der Kooperation und Vernetzung auf nationaler und internationaler Ebene.

    Fertige Antworten waren nicht zu erwarten, die Diskussion befindet sich erst am Anfang. Allerdings wurde vereinbart, dass die Diskussion über den Kongress hinaus fortgesetzt und verstetigt werden soll.

    Die Verständigung auf nationaler und internationaler Ebene wird erschwert durch eine Vielzahl unterschiedlicher Begriffe wie: Soziale Ökonomie, Solidarische Ökonomie, Gemeinwesenökonomie, Dritter Sektor, Drittes System, Economia popular (nicht übersetzungsfähig). Obwohl sich inzwischen international das Begriffspaar Soziale Solidarische Ökonomie weitgehend durchgesetzt hat, wird es in den verschiedenen Ländern und Kontinenten durchaus unterschiedlich interpretiert. Ein gemeinsames Verständnis wird aber auf dem Weg begrifflicher oder definitorischer Vereinheitlichung kaum zu erreichen sein, was darüber hinaus auch von einigen als kontraproduktiv angesehen wird, weil es mit der Gefahr einer verengenden Sichtweise verbunden ist, die der Breite und Vielfalt der Initiativen und Bewegungen nicht gerecht wird. Mehrheitlich wurde deshalb ein anderer Weg vorgeschlagen, zunächst eine Verständigung zu suchen über den Wertekanon, der den jeweiligen Initiativen und Bewegungen zugrunde liegt. Entsprechende „Chartas“ internationaler Zusammenschlüsse liegen bereits vor, die als Ansatzpunkt dienen können (z.B. International Cooperative Alliance / ICA, Réseau Intercontinental de Promotion de l´Economie Sociale Solidaire / RIPESS sowie EURONETZ).

    Die Frage nach dem Verhältnis der Sozialen Solidarischen Ökonomie zur globalisierten Ökonomie im Kapitalismus führt nur allzu leicht in ideologische Sackgassen. Die Teilnehmer aus Afrika und Asien haben uns eindrücklich darauf hingewiesen, dass diese Frage aus ihrer Sicht wenig praktische Relevanz hat, wenn bis zu 80% der jeweiligen Bevölkerung mehr oder weniger außerhalb dieser globalisierten Ökonomie leben. Dort ist die Soziale Solidarische Ökonomie praktisch für die Betroffenen die einzige Überlebensperspektive. Befinden sich die Betroffenen in den Krisengebieten der Industrieländer nicht tendenziell in einer ähnlichen Situation, wenn die Re-Integration der sozial und ökonomisch Ausgegrenzten mit den traditionellen Mitteln der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik nicht mehr zu erreichen ist?

    Auch in der Europäischen Union ist die Soziale Solidarische Ökonomie zunehmend zum Hoffnungsträger im Kampf gegen Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Ausgrenzung geworden. Der gute Wille allein genügt allerdings nicht. Die Soziale Solidarische Ökonomie braucht zweifellos mehr Professionalität. Dazu gehören: die Entwicklung eigener betriebswirtschaftlicher Instrumente und einer entsprechenden Betriebswirtschaftslehre, spezifische Ausbildungsgänge und Qualifizierungsinstrumente für Multiplikatoren, Führungskräfte und Mitarbeiter, spezifische Beratungseinrichtungen und Entwicklungsagenturen auf lokaler und regionaler Ebene, eigene Finanzierungsinstrumente und Förderprogramme und nicht zuletzt eine leistungsfähige Interessenvertretung. Das setzt allerdings voraus, dass die Akteure ihre gegenseitigen Vorbehalte und Streitigkeiten überwinden und sich als Sektor organisieren. Als erste Schritte auf diesem Weg wurden vorgeschlagen:
    eine lokale und/oder regionale Bestandsaufnahme der entsprechenden Initiativen, Unternehmen, intermediären Einrichtungen,
    die Bildung von Koalitionen bzw. Interessenvertretungen auf dieser Ebene und
    die Entwicklung von Bündnissen mit den anderen Akteuren auf der lokalen Ebene, insbesondere mit dem öffentlichen Sektor.

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