vonHelmut Höge 09.09.2008

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Nun trudeln täglich die per Post bestellten Waren ein. Gestern kam ein Ehepaar aus einer tschechischen Genossenschaft und brachte die Bestellung persönlich vorbei. Sie hatten noch ein paar mehr Produkte dabei, die nicht bestellt worden waren, aber auch die wurden sie im LADEN los. Sie ließen sich überreden, nicht gleich wieder zurück zu fahren, sondern eine Nacht in einem Berliner Hotel zu verbringen.

Auch die Termine und Adressen mehren sich, die in Wort und Bild einen Vortrag über Produktivgenossenschaften und Le Grand Magasin haben wollen. Die Rote Fabrik in Zürich ist aus irgendeinem Grund nicht mehr dabei. Und sowieso ist die Schweiz nicht in der EU. Es wird jedoch überlegt, ob man sie nicht in toto als eine Genossenschaft mit einbeziehen könnte: 1. handelt es sich dabei um eine Eid-Genossenschaft und zweitens stößt man dort auf Schritt und Tritt auf die Mega-Genossenschaften  “Migros” und “Coop” und überhaupt wimmelt es dort von Genossenschaften. Sogar unsere Unterkunft am Zürcher Güterbahnhof, ein ehemals von Punkern besetztes Haus, ist heute eine Genossenschaft. Und gerade eröffnete ein “Migros-Museum”. Das wollten wir sehen – die Geschichte dieser Genossenschaft. Leider entpuppte sich das “Projekt” in einer ehemaligen Brauerei dann als ein albernes neues Kunstmuseum mit lauter Schickimicki-Schnickschnack von berühmten Künstlern, bei einigen ließ sich mit etwas Wohlwollen gerade noch sagen: Naja! Trotzdem war es eine  Enttäuschung. Und teuer obendrein.

Vor einiger Zeit besetzten die Nordhäuser Fahrradwerker ihre Fabrik, nachdem der Käufer des einst volkseigenen Betriebs – die LSF Transcontinental, diesen in Bike Systems umbenannt und dann stillegen lassen wollte. Die Arbeiter produzieren nun in Eigenregie – als ein Betrieb ohne Chef – ihre Fahrräder weiter und diese sollen nun auch im Le Grand Magasin ausgestellt, nach Möglichkeit auch verkauft werden. Im vergangenen Jahr hatte die Nordhäuser Belegschaft mit ihrem “Strike Bike” für Schlagzeilen gesorgt, wie man so sagt – und tatsächlich ist das Internet voll mit Artikeln darüber. Sie wollte dann ihren Betrieb als Genossenschaft weiterführen, und wir freuten uns schon, aber dann entschieden sie sich doch für eine GmbH & Co KG oder sowas, woraufhin wir entschieden: trotzdem.

U.a. findet man im Internet einen Text aus einer marxistischen Zeitschrift mit dem altehrwürdigen Namen “Der Funke” (Iskra),  in diesem heißt es über den Kampf der Nordhäuser Fahrradwerker um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze:

Die Hamburger Allee 14 ist eine gute Geschäftsadresse in der Bankenmetropole Frankfurt am Main. Hier residiert die US-amerikanische Investmentfirma Lone Star, die hier- zulande als „besonders aggressive Heuschrecke“ bekannt wurde, weil sie laut Medienberichten durch den Kauf meist unrentabler und notleidender (Immobilien)-Kredite und deren anschließende Verwertung der Kredite ziel- strebig besonders schnell hohe Renditen zu erzielen. Am Donnerstagmittag war die Hamburger Allee durch die Polizei abgesperrt. Die Straße gehörte an diesen Tag aber nicht wütenden und geprellten ehemaligen Immobilien- besitzern, sondern über 100 Beschäftigten des Fahrrad- herstellers Bike Systems aus Nordhausen am Harz. Seit 60 Tagen hält hier die 135-köpfige Belegschaft den Betrieb besetzt, der der LSF Transcontinental, einer 100-Prozent- Tochter von Lone Star gehört.

Die Angst vor der (auch in Nord-Thüringen besonders hohen) Erwerbslosigkeit und die Wut über die schäbige Behandlung durch Eigentümer und Management hatten das Fass im Juli zum Überlaufen gebrachte und die Frauen und Männer zur Tat schreiten lassen. Die Entschlossenheit der Belegschaft, dem Stillegungsbeschluss und aktuellen Insolvenzantrag der Geschäftsleitung zu trotzen und ihre Arbeit vor Ort in der Fahrradproduktion fortzusetzen und sich nicht zur Schlachtbank führen zu lassen, ist hier in der Hamburger Allee unüberhörbar und unübersehbar: Trillerpfeifen, rhythmisches Blechtrommeln, selbst getextete Streiklieder, als Heuschrecken verkleidete Männer und Frauen wie auch mitgebrachte Sandwich-Plakate sprechen für sich. „Lone Star- der Eiterpickel der Finanzwirtschaft“ – „Lone Star – die asoziale Pest aus Texas“ – „Lone Star-Doktrin – Dollar anbieten und sozial Schwache treten“, so und ähnlich lauten die Parolen. Alle haben Hartz IV-Betroffene in der Familie und im Bekanntenkreis. Die Älteren fühlen sich so wie der bis Juni als Zeitarbeiter im Werk eingesetzte Uwe Messing (54): zu jung für die Rente, zu alt zum Arbeiten.

Besonders wütend sind sie, weil sie ein halbes Jahr lang – wie in der Branche vor der warmen Saison üblich – zehn Stunden täglich arbeiteten und dafür jetzt mit einem Tritt in den Hintern „belohnt“ werden sollen.
Zwei der Demonstrierenden gehören zu den Pionieren der Nordhäuser Fahrradproduktion. Dagmar Rüge hat der in den letzten Wochen „ganz schön böse Zeiten durchgemacht“, seitdem sie täglich mit der Angst aufwacht, bald auf der Straße zu stehen. Sie hatte 1974 beim VEB IFA Motorenwerk Nordhausen eine Lehre als Instandhaltungsmechanikerin begonnen und war 1985 mit anderen damit beauftragt worden, im Rahmen der Konsumgüterproduktion die Fahrradproduktion am Ort mit vorzubreiten und die Werkshallen zu errichten, in denen dann ab 1986 Zweiräder produziert wurden. Auch der gelernte Zerspanungsfacharbeiter Holger Totsch ist seit 21 Jahren in der Fahrradproduktion dabei und erinnert sich an Zeiten, zu denen noch über 240 Beschäftigte hier hochwertige Produkte herstellten.

Der Betrieb war von Anfang an keineswegs „marode“, sondern mit modernsten Fertigungsanlagen ausgestattet. Nach 1990 wurde das Nordhäuser Motorenwerk in viele Einzelbestandteile zerschlagen. Die Fahrradproduktion erlebte mehrere Eigentümerwechsel und wurde im Jahr 2000 von der weltweit in der Branche agierenden BIRIA-Gruppe übernommen.

2005 übernahm dann eine Lone Star-Tochtergesellschaft von BIRIA die Fahrrad-Werke Neukirch (Ostsachsen) und Nordhausen. Die Bike Systems-Belegschaft geht inzwischen davon aus, dass es dabei von vornherein nicht um eine langfristige Sicherung der Standorte, sondern um ein finanzielles Ausquetschen der Werk und eine Marktbereinigung und Konzentration der Fahrradproduktion auf den Konkurrenzbetrieb Mitteldeutsche Fahrradwerke (MIFA) in Sangerhausen am Harz ging, an dem Lone Star inzwischen einen Anteil von 25 Prozent erworben hatte. Ende 2006 wurde zuerst das Werk in Neukirch unter Protest geschlossen. Nun ist Nordhausen an der Reihe. Doch am Widerstand dieser Belegschaft könnte sich das Management die Zähne ausbeißen.
Nach der Bekanntgabe der Schließungsabsicht des Werks Nordhausen am 20. Juni und der Aufnahme von Verhandlungen wurde der Belegschaft am 10. Juli mitgeteilt, dass der Eigentümer für die Einhaltung der Kümndigungsfristen, einen Sozialplan und die finanzielle Beteiligung an einer Auffanggesellschaft keine Gelder mehr übrig habe. Darauf hin verlagerte die Belegschaft ihre (immer noch nicht beendete) Betriebsversammlung auf den angrenzenden Bürgersteig. Mit der Besetzung des Werkes rund um die Uhr wirbt sie für ihre Forderung nach Erhalt der Arbeitsplätze und Wiederaufnahme der Produktion.

Die Aktionen der letzten zwei Monate haben die Belegschaft zusammengeschweißt und den Zusammenhalt gestärkt. Materielle und politische Solidarität aus Nah und Fern bestärkt sie in ihrem Durchhaltewillen. Ihr zur Seite steht die IG Metall-Verwaltungsstelle Nordhausen, deren 1. Bevollmächtigte Astrid Schwarz-Zaplinski in Frankfurt dabei mit war, um das Lone Star Management zur Rede zu stellen. „Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet zum Berg gehen“, lautet ihre Devise.

Bei dem Gespräch einer Delegation von Betriebsrat und Gewerkschaft am Donnerstag mit den Lone Star-Repräsentanten gab es dem Vernehmen nach aus Belegschaftssicht keine handfesten Ergebnisse, wobei die Arbeitgeberseit ihre Verantwortung gegenüber ihren Geldgebern betont habe. Einen Hoffnungsschimmer sieht die Belegschaft allerdings in der Tatsache, dass ein Frankfurter Händler in die Hamburger Allee gekommen war und Interesse am Aufkauf von 2000 Fahrrädern aus Nordhausen bekundete. Der Widerstand geht auf jeden Fall weiter.

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Das war vor einem Jahr. Heute nun meldete die Junge Welt Neues aus Nordhausen:

115 Tage lang hatten die Beschäftigten des Fahrradherstellers Bike Systems im thüringischen Nordhausen im vergangenen Jahr um den Erhalt ihres Betriebs gekämpft. Diese Auseinandersetzung war in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Eine Belegschaft, die in den Jahren zuvor Lohnverzicht, Arbeitszeitverlängerung und Stellenabbau widerstandslos hingenommen hatte, entschied sich kurzerhand, die Fabrik zu besetzen. Schließlich nahmen die Beschäftigten die Produktion gar wieder auf – in Eigenregie, ohne Chefs (Foto: Das »Volksrad«, die zweite Generation des »Strike Bike«).

In einem vom ISP-Verlag als DVD vertriebenen Dokumentarfilm stellen die Beteiligten in Interviews dar, wie es zu den Aktionen gekommen war und welche Erfahrungen gemacht wurden. Deutlich wird, daß die Arbeiter sich erst im Zuge der Besetzung als Belegschaft zusammengefunden haben. Sie berichten, welch große Solidarität der Kampf in dieser kleinen Fabrik hervorgerufen hat. »Ich hätte nie gedacht, daß es in Deutschland noch so vielen auf der Seele brennt, wie es anderen geht«, meint einer der Arbeiter. Zwischen den Interviews werden immer wieder Szenen aus der Produktion gezeigt, die von den Beschäftigten selbst organisiert wird. »Wir wollen beweisen, daß die Belegschaft in der Lage ist, Fahrräder herzustellen, ohne daß ein Chef dabei ist«, sagt einer. Und diesen Beweis haben die Nordhäuser Fahrradwerker erbracht. (dab)

»Strike Bike – Eine Belegschaft wird rebellisch«, Regie: Robert Pritzkow, Laines Rumpff, Jan Weiser, BRD 2008, 45 min (Produk­tion: Revolutionär Sozialistischer Bund, RSB) * Vertrieb: Neuer ISP-Verlag UVP: 12,80 Euro. ISBN: 978-3-89900-128-0

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Weil es mit Bulgarien immer wieder Irritationen gab, wandten wir uns an den ehemaligen Leiter des bulgarischen Kulturinstituts in Berlin, Christo Bakalski, der nun wieder in Sofia arbeitet. Und er setzte sich auch gleich mit mehreren Genossenschaften in Verbindung, obwohl er bedauerte, dass wir nicht an Lebensmittel produzierende Genossenschaften interessiert waren, von denen es in Bulgarien so viele und so produktive gab bzw. gibt.

Bis das aber alles in Gang kommt, bestellten wir uns erst einmal drei “Veröffentlichungen des Instituts für Genossenschaftswesen an der Humboldt-Universität zu Berlin” – und zwar solche, die sich mit bulgarischen Genossenschaften befassten.

1994 hieß der diesbezüglich Beitrag (Nr. 17): “Auf dem Weg in die Marktwirtschaft – Der Transformationsprozeß der Genossenschaften in Bulgarien, Slowenien und der Ukraine”

1996 ging es (in den Beiträgen Nr. 26) um die “Genossenschaftsentwicklung in postsozialistischen Ländern – Äthiopien, Bulgarien, Slowenien”

1998 lautete der Titel der Beiträge Nr. 41 – herausgegeben von Johann Brazda und Gerhard Rönnebeck: “Genese und neue Wege des Genossenschaftswesens in Bulgarien”

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2008/09/09/le_grand_magasinlieferanten_24/

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