vonHelmut Höge 29.09.2008

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Der Artikel 1981 – über die Hausbesetzerscene in Westberlin und danach bis heute, in der Sondernummer „30 Jahre taz“  war bei Erscheinen schon  teilweise wieder überholt.  Hier folgt die sozusagen aktualisierte Fassung:

Autonome Freiräume

„Die meisten Leute können nicht squatten, sie lassen sich schon von einem Stuhl korrumpieren.“ (Santu Mofokeng, Künstler aus Soweto)

„Von kommunistischer Hand zentral gesteuert finden in diesen Tagen über ganz Deutschland verteilt, Hausbesetzungen statt,“ heißt es in einem Flugblatt, das der RCDS 1981 in Kreuzberg verteilte. Auch die Springerstiefel-Presse gefiel sich in dieser antikommunistischen „Hetze“, nur ging es diesmal nicht gegen internationalistische Studenten, sondern gegen eher „kiez-„, d.h. freiraumversessene“ Hausbesetzer/Punks. Aber auch hierbei: Nicht nur in Deutschland, auch in England, in  Italien und in anderen Ländern motivierte „Moskau“ die Jugendlichen, Häuser zu besetzen – selbst  in der Schweiz: Für kurze  Zeit führte Zürich sogar die diesbezügliche „Randale-Hitliste“ an, die von der taz eine zeitlang geführt wurde. Damals bestand die komplette Berliner Lokalredaktion aus „Hausbesetzern“. Sie zählten im Gegensatz zur Inlands-Redaktion allerdings zu den  „Verhandlern“. Und der heutige Spiegelredakteur Michael Sontheimer wohnte nicht einmal in einem besetzten Haus.

Als der „vermummte“ (Wikipedia schreibt, der „deutsche)  Hausbesetzer“ Klaus-Jürgen Rattay am 22.September 1981 in Schöneberg bei einer polizeilichen Räumungsaktion von einem BVG-Bus überfahren wurde, radikalisierte  sich die „Bewegung“, die in Berlin genaugenommen mit der „Kudamm-Randale“ 1980 begonnen hatte.  Rattay geriet ihr dabei zu einer Art Märtyrer. „Der Stein bestimmt das Bewußtsein!“ Einmal verwüsteten die Autonomen auch die taz-Lokalredaktion, die ein ganzes Journal zu diesem brennenden „Thema“ zusammengestellt hatte – mit einem Steinewerfer auf dem Cover, den sie  einem Wandbild des besetzten Zentrums „KuKuCK“ am Anhalter Bahnhof entnahm. Die FAZ sprach analog in bezug auf diese ganzen Immobilien-Kämpfe  vom Geschäft des „in Steinen angelegten Geldes“. In Westberlin lebte die halbe Frontstadt davon. Deswegen lag Berlin dann doch – trotz oder gerade wegen der harten CDU-„Lummer-Linie“ – schnell in puncto Hausbesetzungen vorne.

Im Sommer 2008 besuchte ich ein beschauliches Tal im Baskenland – und erfuhr dort als erstes vom Lokalredakteur, dass es im Tal die ersten zwei Hausbesetzungen gegeben habe, aber nicht zum Wohnen, sondern als Kultur- bzw. Jugendzentrum. In Bremen hatten wir 1981 eine leerstehende „Faber-Castell-Fabrik“ als ein solches Zentrum besetzt gehabt. Aber das war ein großer Fehler: Die Stadt war nur allzu froh, dass sich 50 und mehr linke Idioten dieses innerstädtischen Schandflecks annahmen – und ihn kostenlos aufhübschten. Eigentlich brauchte damals in Bremen kein Schwein solch ein „Kultur- bzw. Jugendzentrum“ – und die dort wohnenden und unentwegt Wände einreißenden Genossen verdrückten sich denn auch bald zurück in ihre gemütlichen Wohngemeinschaften. Anders in Zürich – dort ging es seit den „Opernkrawallen“ Ende Mai 1980 um das  Autonome Jugendzentrum – AJZ und die „Rote Fabrik“. „Züri brennt!“ drohten sie – und heute ist das Fabrik-„Kollektiv“  eine  konventionelle Veranstaltungsmaschine mit Seeblick und Angestellten, denen die Entstehungsgeschichte „ihres“ Dienstleistungsunternehmens ziemlich am Arsch vorbei geht.

In Bremen ging es mit dem dortigen Juwel der Hausbesetzerbewegung, der Faber-Fabrik, dann so zu Ende, dass 80 Kartons mit blauen Faber-Kugelschreibern, die bei der Besetzung im Keller gefunden worden waren, nach nebenan in das ebenfalls von allen Besetzerinnen verlassene „Frauenzentrum“ geschafft wurden, wo nur noch der Gründer des anarchistischen Bremer „Impuls-Verlages“ – Jimmy, mit seinem Schäferhund Maro ausharrte. Der harte Besetzer-Kern, Männer wie Frauen, erwog unterdes, ob man statt der gerade hinter sich gebrachten BluBo-, sprich: Immobilien-Lösung nicht doch eine  „nomadische Kriegsmaschine“ hätte bilden sollen – wie sie damals bereits mit den Wohnwagenleuten (den Rollheimern) und den französischen Theoretikern, Gestalt annahm. Zu diesem Zweck rüstete man erst einmal eine Expedition ins hinterste Anatolien aus – unter der Führung des einst von dort nach Bremen geflüchteten maoistischen Lehrers Suleymann. Dieser bestand aber darauf, dass die Karawane in seine Heimat alle Faber-Castell-Kartons mitnehmen müsse – und konnte sich auch mit diesem „Wahnsinn“ durchsetzen. Schon gleich hinter der Grenze startete er eine gigantische Alphabetisierungskampagne auf Privatbasis, indem er überall Kugelschreiber verteilte. Und das erwies sich dann als ein wahrer Segen – vor allem für die hinter Suleymann Herfahrenden: Immer wenn die Verbindung zwischen des Autos riß, brauchten sie bloß nach Leuten zu suchen, die mit einem blauen Kugelschreiber in der Hemdtasche herumliefen, schon wußten sie, dass sie auf dem richtigen Weg waren.

Die Hausbesetzerbewegung bestand nicht aus obdachlosen Jugendlichen. Es ging den meisten Beteiligten um die Schaffung eines gemeinsamen Lebensraumes. So sah das – zynisch – auch der damalige Berliner Kripoleiter  Schenk: „Es ist doch prima, wenn die jungen Leute sich handwerklich in sinnvoller Weise betätigen: Da lernen die was – und kommen nicht auf dumme Gedanken“. Die Nichtverhandler begriffen denn auch die ganze Hausrenoviererei als eine üble Form der „Entpolitisierung“ – sie drängten darauf, die Bewegung weiter zu radikalisieren und auszuweiten. Ihr  Sprachrohr war u.a. die Zeitschrift „radikal“, die einst vom jetzigen Genmais-Bekämpfer Benny Härlin mitgegründet worden war, der aber dann zu den „Verhandlern“ zählte und als taz-Lokalredakteur deswegen auch von den autonomen Militanten immer wieder angepisst wurde. So dass es mehr als eine Ironie der Geschichte war, dass die Polizei dann ausgerechnet ihn – in seiner Eigenschaft als alter „radikal“-Veinsvorsitzender – in Haft nahm. Die Grünen (AL) stellten ihn jedoch flugs als Europa-Kandiaten auf und als er die Wahl gewann, war er für die Westberliner Justiz immun. Das Problem aber, um das es dabei ging, hatte bereits der Sowjet-Pädagoge A.S. Makarenko umrissen, als er Mitte der Zwanzigerjahre über die von ihm gegründeten  „Kinder-Kolonien, die ihre Motivationsbilanz auf das Handwerk aufbauen“, schrieb, dass  die Jugendlichen als angehende Schuster, Tischler, Maurer etc. immer mehr „Elemente des Kleinbürgerlichen“ annahmen. Und diese stehen der Entwicklung eines revolutionären Kollektivs entgegen, wie er es anläßlich des Umzugs der Gorki-Kolonie in eine größere in der Nähe von Charkow sogar an sich selbst bemerkte – nachdem sie ihr knappes Hab und Gut zusammengepackt hatten und dabei eine Menge sauer erworbenes bzw. organisiertes „Eigentum“ zurück ließen: „All diese ungestrichenen Tische und Bänke allerkleinbürgerlichster Art, diese unzähligen Hocker, alten Räder, zerlesenen Bücher, dieser ganze Bodensatz knausriger Seßhaftigkeit und Wirtschaftlichkeit war eine Beleidigung für unseren heldenhaften Zug…und doch tat es einem leid, diese Dinge fortzuwerfen.“

Die taz löste sich in der „chaotischen“ Hausbesetzerzeit langsam von der „Bewegung“ und bemühte sich, ideell und materiell „autonom“, d.h. „professionell zu werden. Ironischerweise half ihr dabei mehrmals der „Nichtverhandler“ Armin Meyer, dessen Hausbesetzer-Sohn Mao später eine taz-Kolumne mitbestritt, obwohl auch er seit 1980/81 davon überzeugt war: „taz lügt!“

Inzwischen ist neben Armin Meyer noch ein gutes Dutzend Hausbesetzerkollektiv-Reste aus der Oranienstraße nach Niederfinow aufs Land gezogen – und das BKA gleich mit: die Beamte installierten ihre Überwachungskameras dort 2006 in einem leerstehenden Brunnenhäuschen. Aber nicht nur ihre Büttel, auch das Kapital selbst wurde flexibel: Ulrich Möller, Ex-Staatsanwalt in den Reihen der Moabiter Polit -Garde hatte 1988  als Besitzer des ‚Stuttgarter Hofes‘ am Anhalter Bahnhof direkt neben dem früheren KuKuCK, das er einst durchsuchen ließ, nichts mehr dagegen, dass künstlerische Besetzer die Ruine in Beschlag nahmen: „Die nicht zahlenden Gäste“ durften  bleiben. Und aus der  „Murales“-Idee – revolutionäre Wandgemälde – machte der beim größten Westberliner Baulöwen Klingbeil in die Lehre gegangene Architekt Reinhard Müller Blow-Up-Werbeplakate, die er seit 2001 über alle Baudenkmäler der Stadt hängt, um sie dahinter kostenlos zu renovieren: Seinen Gewinn schöpft er aus den üppigen Werbeeinnahmen. Auch das Kulturzentrum „Tacheles“ in der Oranienburgerstrasse war erfolgreich: Dank der vielen Berlin-Touristen wurden die Besetzer so reich, dass sie sich jetzt in hunderten von Prozessen gegenseitig verklagen. Ihr Kollektiv wandelte sich zu einer Bande von Geschäftsleuten. Nicht nur die Kollektive, auch die  Hausbesetzungen sehen heute ganz anders aus: Dänen, Irländer, Engländer, Österreicher, schwäbische  Erben, aggressive US-Fonds und  kanadische Investorengruppen – sie alle kaufen billige Immobilien in Berlin, hübschen sie mit bulgarischen Handwerkern auf, erhöhen die Mieten, säubern die langjährig gewachsenen Mieter-„Zusammenhänge“  hinaus – und verkaufen die Häuser anschließend mit Gewinn. Angelegt war diese Sauerei  schon bei den noch halbwegs illegalen Hausbesetzungen: Da bezog z.B. eine Gruppe ein Haus am Klausener Platz in Charlottenburg, sofort rief einer seinen Architektenvater zu Hause in Stuttgart an – und der prüfte daraufhin die Bausubstanz. Anschließend riet er den „Kids“, ein „geeigneteres Objekt“ zu besetzen. Das war 1981.

Bei den zwei derzeitigen Prestigeobjekten der Berliner Autonomen: dem geräumten und vom Bezirk im Künstlerhaus Bethanien einquartierten „Neu York“ und der „Köpi“ in der Köpenickerstraße, die trotz oder neben aller Radikalität bisher erfolgreich „verhandelten“, ist die Zukunft noch offen: Schmiert sich ein folgsames Räderwerk ein oder bereitet  sich da eine Höllenmaschine vor? Erst einmal platzten jedoch gerade die Verhandlungen zwischen der Kreuzberger Bezirksverwaltung und den „Neu Yorkern“, letztere mobilisieren seitdem erneut die Öffentlichkeit rund um ihren  Bethanien-Südflügel. Der Nordflügel wird noch immer vom Künstlerhaus Bethanien unter der Leitung von Christoph Tannert gehalten – der über diese „Straßenkunst“ gar nicht amüsiert ist.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2008/09/29/immobilienloesungen/

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kommentare

  • Kapital?? Na ja! Ich hatte keine müde Mark. Woher sollte das „Kapital“ auch kommen? Gespartes aus den Bezügen eines Staatsanwaltes? Aber das ist eine andere Geschichte.
    Als die Künstler einzogen, hatten Kinder aus der Nachbarschaft in den Zimmern schon fast alle wertvollen alten Waschtische aus Marmor und die alten Möbel zerschlagen. Die wußten nicht was sie taten. Die ehemalige Schlafzimmereinrichtung von Max Reinhard konnte ich noch retten. Da alles zerstört war, wäre es unsinnig gewesen, die Künstler nicht in den Stuttgarter Hof zu lassen. Sie haben sich auch alle an die mündliche Zusage gehalten, den SH zu verlassen, wenn mit den Bauarbeiten begonnen werden kann. Das Verhältnis zwischen uns war völlig entspannt. Die Ausstellungen habe ich mehrfach besucht. Interessant, wenn auch teilweise gewöhnungsbedürftig. Was ist aus den Künstlern geworden?

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