vonHelmut Höge 30.10.2008

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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„Leute, das konnte wirklich kein Schwein lesen.“ (U. Plenzdorf, „Die neuen Leiden des jungen W.“)

Kürzlich inszenierte „Rimini Protokoll“ auf einigen Staatsbühnen „Das Kapital, Erster Band“. Unter anderem „spielte“ dabei der Mitarbeiter an der unvollendeten „Marx-Engels-Gesamtausgabe“ Thomas Kuczinsky mit, der demnächst „Das Kapital“ neu herausgibt. Beim Dietz-Verlag verdreifachten sich unterdes die Verkaufszahlen der (alten) „Kapital-„Ausgabe. Zur Begründung meint Verlagschef Jörn Schütrumpf: „Det is die Krise!“ Im November kommt Alexander Kluges zehnstündiger Film zum Longseller „Das Kapital“ auf den Markt.

Dabei hatte der christdemokratische Ex-Arbeitsministers Norbert Blüm bei der Wiedervereinigung noch frohlockt: „Marx ist tot, Jesus lebt!“ In der Tat verbreiteten sich die monotheistischen Religionen und ähnliche Glaubenssysteme nach dem Ende des „wissenschaftlichen Sozialismus“ zunächst wie die Pest. Aber seit dem Platzen der Friedensillusionen und Spekulationsblasen gibt es nun ein Zurück: Selbst in den dumpfesten Nonreader-Buchläden häufen sich die antikapitalistischen Analysen. Und immer mehr Studenten schulen sich in Marxismus – wenn sie nicht gerade in einer reaktionären Idiotenelite-Uni wie der Viadrina gelandet sind. Von dort berichtete die Studentin Jana: „Neulich sagte der Professor zu uns: ,Wenn ich andern Gutes tue, tu ich mir selbst nichts Gutes…‘ Und das haben alle brav mitgeschrieben!“

Anfang November beginnen an mehr als 30 Hochschulen „Kapital„-Lesekurse. Konzertiert hat sie der SDS der Partei „Die Linke“ – mit je einem „Marx-Tutor“ vor Ort, einer „Auswertungskonferenz“ und digitaler Vernetzung. An der Berliner Humboldt-Uni ist der Philosophiestudent W. Windisch „Ansprechpartner“ für die „Kapital-Lesebewegung“. Er meint, dass es jetzt vor allem „die Ursachenforschung bei der Finanzkrise“ ist, die seine Kommilitonen motiviert: Die bürgerlichen Wirtschaftswissenschaften und der neoliberale Wirtschaftsjournalismus (der von „Gier“ und „Dummheit“ spricht), hätten sich als unfähig erwiesen, die Abkopplung des Finanzkapitals von der realen Produktion als eine „systemische Krise in den Kernzentren des Kapitalismus“ zu begreifen. „Wenn man die Verhältnisse grundsätzlich verstehen will, ist die Beschäftigung mit dem Marx’schen Hauptwerk nach wie vor zentral.“

Dieses besteht jedoch im Wesentlichen aus der Warenanalyse – und die ist seit der Durchsetzung des Geldes als Ware, also seit etwa 500 vor Christi in Ionien, aktuell. Sie wird es auch wohl bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag bleiben. Das Platzen der US-Finanzblase ist aber mit der Warenanalyse kaum zu begreifen. Bei den von den Banken kreierten und verkauften Produkten handelt es sich bloß um fortlaufende Versuche einer monetären creatio ex nihilo.

Die Marx-Lesebewegung, auch und gerade weil sie sich wie die Kapitalbörsen digital vernetzt, hat durch ihre curriculare Großorganisation erst mal den Spaß an der „Kapital„-Lektüre geschmälert. Dieser ist auf eher klammheimliche, aber auch gemütliche Selbstorganisation angewiesen. Zudem hat sie sich ohne Not mit ihrer Verortung in den Bologna-gewendeten Unis, die ihnen womöglich für ihre well-organized Marx-Paukerei am Ende noch den Bachelor (das sind diese albernen Ami-Hütchen mit Bömmel) verleihen, der Radikalität beraubt. Und schließlich bedient sie mit ihrem Aktualismus auch noch den US-Zeitgeist.

Zur selben Zeit, da die Kapital-Schulungs.org sich der Presse präsentierte, wurde Günter Wallraff in Berlin für seine Recherchen in der Arbeitswelt mit einem Preis der Gewerkschaft NGG ausgezeichnet. Der Geehrte will nun eine Stiftung initiieren, die es Sozialforschern, Rädelsführern und Journalisten ermöglicht, „ihre Büros zu verlassen und in die Betriebe zu gehen, wo Gewerkschaften unerwünscht sind und kritische Kollegen rausgemobbt werden“. Gegen eine solch klassische Betriebsarbeit als Lebensschulung ist der bundesweite „Marx-Marathon“ an den Unis bloß ein Digitaler-Bohème-Bullshit, bei dem die Afterstudy-Partys vermutlich das Eigentliche sind.


Hallo,

danke für die Berichterstattung - nur stimmt der Link

 zur Homepage der Kapital Lesebewegung nicht.

 Im Artikel ist die Rede von kapital-schulungs.org,

das ist falsch, richtig ist kapital-lesen.de

Über einen Nachtrag zum Artikel würde (nicht nur)

ich mich freuen.

Besten Gruss und Dank,

Klaus Meier

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Die Kapitallesebewegung: Digitaler-Boheme- Bullshit"

Seit dem sichtbaren Ausbruch der Finanzkrise ist Karl Marx ein
Medienstar. Auch die taz nimmt sich da nichts und berichtet bereits zum
zweiten Mal in Folge über die Kapitallektüre-Bewegung. So richtig
trauen will die ehemals linke Tageszeitung der Sache nicht. Da
werden Stimmen zitiert, die die Auflagensteigerung des Kapitals als
Propaganda-Aktion des Dietz-Verlags interpretieren, ein Tag später
kommentiert taz-autor Helmut Höge die Kapitallesebewegung und
kommt zu dem Schluss, “dass der bundesweite
“Marx-Marathon” an den Unis bloß ein Digitaler-Bohème-Bullshit
ist, bei dem die Afterstudy-Partys vermutlich das Eigentliche sind.”

Wie immer schreibt Edelfeder Höge mit Wortwitz und -biss und damit
trifft er durchaus kritische Punkte der Kapitallesebewegung.
Beispielsweise schreibt Höge, dass die Kapitallektüre angewiesen
sei auf “eher klammheimliche, aber auch gemütliche
Selbstorganisation”, und weniger auf zentralisierte, durchgeplante
Gross-Organisation mit Schulungscharakter. Aber würde er mehr
mit den Leuten sprechen, die den ganzen Kladderadatsch
organisieren, würde er erfahren, dass es gerade deren Hoffnung
ist, dass sich die Kurse nach der ersten Initialzündung irgendwie
selbst weiter organisieren und es auf diese Weise dann auch über
den ersten Band hinaus schaffen.

Das ist wiederum etwas, was Autor Höge selbst offensichtlich
nicht geschafft hat. Leider, muss man sagen, denn es schmälert
seine sonst recht hübsche Glosse. Nach Höge besteht das
 Marx’sche Hauptwerk “im Wesentlichen aus der Warenanalyse -
und die ist seit der Durchsetzung des Geldes als Ware, also
seit etwa 500 vor Christi in Ionien, aktuell. Sie wird es auch
wohl bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag bleiben.” Marx hätte
sich mit großem Vergnügen auf diese Sätze gestürzt. Die
“Durchsetzung des Geldes als Ware seit 500 vor Christi in Ionien”
hätte er genüsslich zur Illustration der bürgerlichen Ökonomie
genutzt, die in allen auch historisch weit zurückliegenden
Gesellschaftsformen die bürgerlichen Formen am Werke sieht.
Dass das Platzen der US-Finanzblase mit der Warenanalyse
 kaum zu begreifen ist, dem würde Marx wohl zustimmen. Die
Analyse der von Finanzinstituten kreierten und verkauften Produkte
 hatte Marx auch erst im Dritten Band behandelt und zwar mit
der Kategorie des “Fiktiven Kapitals”. Schön wärs, würde Helmut
Höge eine kleine, gemütliche, selbstorganisierte Lesegruppe
initiieren, dann wäre die nächste Glosse zum Thema sicher
noch lustiger.
Sabine Nuss und Ingo Stützle

Referenten für Politische Bildung bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Mitglieder der Redaktion PROKLA, Zeitschrift für kritische
Sozialwissenschaften
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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2008/10/30/marx_lesen/

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kommentare

  • wir hatten also gefrat, was die amalia, sogar mathias und jan, andere noch von dem vorlesungsbesuch vor einem jahr abgehalten haben mag.
    wir hatten auch gefrat, warum der überlebenskampf in unserer kultur das selbstbewusstsein mit seinen erlittenen kränkungen vor urseligen gebotenheiten der verpflichtenden verbindlichkeiten einer liebe manövriert hat.
    nun. ich zumindest, kann letzteres mit diesem ‚unser‘ deines letztens von mir bei dir gelesenem beitrag erklären! ist es etwa eine wildkatze? zweifargib, etwa blau und gruen? ein weiblein oder männlich? alt oder jung? oder ist der tiger gar wieder zurück? gäbe es einen neuen namen – und wenn, dann welchen?
    das sind gewiss die fragen, die weit mehr drücken als ein deutsches patent auf das wort weltkulturerbe.

    die struktur der schweizer zeichnet sich mir ab, mehr aber, ihr ansinnen wird transparent, die entschuldigungen nicht mehr unabwägbar. also habt ihr – ihr auch, ihr hier ja – euch zu fragen, was bewegt mich derzeit?
    und sie meinen zunächst gewiss, in dem, waron sie denken, die mittleren frühjahrswochen. aber ich habe dazu keine meinung. ich kann dazu gar keine meinung haben.

    das machen die sensationellen zuspitzungen, vielleicht sogar verspitzungen, der metaphern – befragen sie mich hernach (nach geschehenem) nach philosophischen grundsätzen; und sie werden die antwort selbst erdenken können.

    also beobachte ich, in melancholie entrückt – was bläbe mir sonst!
    l schmeisst sich links aufs sofa und a hat allmorgendliches schuldbewusstsein aufgelesen?

    2002 hatten wir mit der debatte begonnen. und nun, dies kann ich noch wortgetreu für euch/an euch tun, braucht ihr euch nicht um das zu sorgen, was ich da mache oder jetzt so treibe..

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