vonHelmut Höge 04.11.2008

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Auf der Genossenschaftswissenschaftlichen Tagung in Köln sprach ein Referent über das nach der Wende in der Region Berlin-Potsdam entstandene wirtschaftlich-wissenschaftlich-technische „Cluster“. In bezug auf selbstorganisierte „Genossenschaften“ meinte er, es gäbe derzeit zwar eine „Renaissance der Kooperation“ (mit „strategischen Allianzen vor allem in der Hightech-Branche“), diese ginge jedoch mit einem „Bedeutungsverlust der Genossenschaften“ einher – angesichts „von Netzwerken und deren Prominenz in Praxis und Wissenschaft“. Über eine solche „Cluster“-Bildung war er dann voll des Lobes.

Ganz anders die zwei Autoren des soeben im Verlag „Assoziation A“ erschienenen Bandes „Cluster – Die neue Etappe des Kapitalismus“: Für Detlef Hartmann und Gerald Geppert ist die Cluster-Bildung, die sie u.a. am Beispiel der Region um Wolfsburg – „als der aktuell wohl weitestgehendste Fall von Privatisierung“ – erforschten, rundum von Übel. Zu den Vordenkern dort gehört der inzwischen vorbestrafte Wirtschaftskriminelle Peter Hartz. „Unser bester Mann!“ so VW-Chef Piech über seinen einstigen Personalchef. Hartz veröffentlichte 2001 sein Cluster-bahnbrechendes Buch „Job Revolution“, nach der dann in der Region „Wolfsburg-Salzgitter“ in allen wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und sozialen Bereichen die Ware Arbeitskraft neu definiert und mobilisiert wurde. Alle Anstrengungen von oben gehen dort nun dahin, „die Selbstzurückhaltung des arbeitenden Individuums“ aufzubrechen und „seine Lebendigkeit effizient in den Verwertungsprozeß“ einzubinden, um „erneut die Dichotomie zwischen Arbeit und Leben zu überwinden und die eigensinnigen Nischen unproduktiven und ineffektiven Lebens zu besetzen“.

Dass Peter Hartz einige VW-Betriebsräte dazu brachte, bei dieser schändlichen Tat gewissermaßen Schmiere zu stehen, ist nicht das eigentlich Kriminelle, sondern dass er sie dafür mit Viagra und Puffbesuchen abspeiste. Im Kern ging es bei dieser postfaschistischen Cluster-Bildung in Wolfsburg um „eine Übertragung der Methoden der Betriebsführung auf die Region“. Die Hierarchien blieben unangetast, im Gegenteil verschafften die sogenannten Hartz I-IV-Reformen den Agenturen für Arbeit und ähnlichen „Dienstleistern“ noch mehr Drohmacht. Nur das „mittlere Management“ wurde zermürbt und verstreut.

Mit dem neuen Regional-„Cluster“ wird „ein Kollektiv konstruiert, das nach innen homogen ist und sich nach außen von anderen Regionen unterscheiden muß,“ so zitieren Hartmann und Geppert einen der Gebiets-Vermarkter, und fügen hinzu: „Der Netzwerkansatz, einst als linker und alternativer Ansatz selbstorganisierter Strukturen verstanden, hat sich als hochmodernes Verfahren entpuppt, um soziale Strukturen in den kapitalistischen Transformationsprozeß einzubinden.“ Zu diesem Schluß kam auch gerade Arndt Neumann in seinem „Nautilus“-Buch „Kleine geile Firmen“.

Institutionalisiert wird das Cluster der „Wolfsburg AG“ über „Public Private Partnerships“ (PPP), Ziel ist die profitable Verwertung „kommunaler Ressourcen“ und eine immer weitergehende Lohndrückerei. Auch die IG Metall ist an diesem schweinösen „Verfahren“ beteiligt (eingebunden), u.a. mit immer neuen Tarifverträgen für immer prekärer und preigünstiger eingestellte „Modul“-Belegschaften. Peter Hartz hat ihnen das alles 2001 nahegelegt: Wir brauchen eine neue „Job-Moral“, jeder muß selbst die Verantwortung für seine Beschäftigungsfähigkeit übernehmen – und „Mit-Unternehmer/Workholder“ werden. Wer das „lebenslange Lernen“ dafür nicht mitmacht oder schafft, der kann immer noch „dienend“ unterkommen. Dazu brauchen wir eine „Erlebniswelt“. eine solche hatte auch schon der fürchterliche US-Präsidentenberater Brczewinski gefordert, ehrlicherweise sprach er dabei von „Tittitainment“, um die unteren Schichten ruhig zu halten. Peter Hartz will auch diese „Langzeitarbeitslosen“ noch trainieren, um daraus den „aufmerksamen Serviceanbieter zu entwickeln, der es an Freundlichkeit mit jedem Mitarbeiter eines Spitzenhotels aufnehmen kann, obwohl aktuell vielleicht nur der richtige Parkplatz anzuweisen ist.“

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Das anglo-amerikanische Wort „cluster“ wird von Wikipedia mit „Traube“, „Bündel“, „Schwarm“, „Haufen“ übersetzt. Über „Schwärme“ gibt es mittlerweile im Deutschen zig Diplom- und Doktorarbeiten, sogar einen Bestseller. Über den „Haufen“ dagegen nur ein paar abfällige Bemerkungen – u.a. von Mao tse tung: in bezug auf das vorrevolutionäre China und seine Völker sprach er von einem „Haufen Sandkörner“.

Gegenüber PPP und Cluster-Bildung hatte sich beizeiten bereits der der Ethnologe Claude Lévy-Strauss für ein Denken und Planen auf „authentischem Niveau“ ausgesprochen: Weil diese Gesellschaft die Individuen auf auswechselbare Atome reduziere und sie zugunsten des Profits zentraler, anonymer Gewalten enteigne, dürfe man gerade jetzt nicht mehr das „Niveau des Authentischen“ verlassen. Und dieses existiere nur in „konkreten Beziehungen zwischen Einzelnen: Auf authentischem Niveau liegt z.B. das Leben in einer Gemeinde“, wo keine abstrakten Entscheidungen, sondern solche von konkreten Individuen getroffen werden, „deren kollektives Leben auf einer authentischen Wahrnehmung der Wirklichkeit beruht: auf Wahrheit. Eine globale Gesellschaft beruht dagegen auf Menschenstaub“.

Die neoliberalen Politiker, Reagan und Thatcher, die übrigens beide schnell debil wurden, wollen genau das: eine Gesellschaft als ein Haufen Sandkörner bzw. Menschenstaub. „Ich kenne keine Gesellschaft (mehr), sondern nur Individuen,“ so wird gerne Margret Thatchers diesbezüglicher Gedanke zitiert. Da war sie schon debil. Mathias Greffrath schickte mir einmal ihren vollständigen Satz, ich finde ihn leider nicht mehr. Aber in einem Radi-Bremen-Interview über die Frage „Was ist links?“ äußerte er sich folgendermaßen darüber:

„Das Grunddogma, das Margret Thatcher in die Welt setzte, es gebe keine Gesellschaft, nur
‚Individuen und Märkte‘ – ist eine profane Version der Lehre von der Unmittelbarkeit der
Christenseele zu Gott. Und der Glaube, dass die Marktfreiheit langfristig allen Menschen
Gerechtigkeit und Wohlstand bringt, mögen die Statistiken auch belegen, dass die Schere zwischen
Armen und Reichen sich immer weiter öffnet – es ist die Geschichte vom Heil durch Entbehrungen und vom Paradies am Ende der Geschichte. Und vor diesem globalen Spiritualismus des Kapitals verblasst die säkulare Zivilreligion der Neuzeit, die Demokratie. Was also ist heute Links? Kurz gesagt: der Kampf der Bürger gegen diesen neuen Feudalismus und seine geistlichen Begleiter.“

Noch eine Bemerkung über „Cluster“ – aus dem „stern“: „‚Cluster-Kopfschmerzen zählen zu den schlimmsten Körperqualen, die ein Mensch ertragen kann‘, sagt Stefan Evers, Neurologe am Universitätsklinikum Münster.“

Aber es ist Heilung in Aussicht – wie das gc.at gerade meldet, dazu haben sich mehrere Medizinkonsortien zusammengetan zu einem GC: „Der Gesundheits-Cluster (GC) ist ein branchenübergreifendes Netzwerk zur Stärkung der Innovationskraft und internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen im Bereich der Medizintechnik.

Im Mittelpunkt der Cluster-Aktivitäten stehen Stärkung und Ausbau des Medizintechniksektors und die Zusammenarbeit von Unternehmen und Gesundheitseinrichtungen. Darüber hinaus will man Kooperationen mit dem Bund und anderen Bundesländern forcieren.“

Ähnliche Cluster-Bildungen gibt es auch in anderen Branchen. Kein Wunder, dass da die Künstler nicht länger abseits stehen wollten:

„‚Cluster‘ ist ein von elf Künstlerinnen und Künstlern betriebener und angemieteter Raum, der die Werke der zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossenen Einzelpositionen in Gruppen- und Einzelausstellungen vorstellt.
Die Kunsthistorikerin, Kritikerin und Kuratorin Barbara Buchmaier ist Projektleiterin von ‚Cluster‘. Von Zeit zu Zeit lädt „Cluster“ auch KünstlerInnen und KuratorInnen ein, die nicht direkter Teil des „Cluster“-Teams sind. Ähnlich wie es der vielschichtige Begriff „Cluster“ bereits in seiner ökonomischen Bedeutung impliziert, geht es der Gruppierung um das Etablieren und Nutzbarmachen einer gemeinsamen Netzwerkstruktur und Ausstellungsplattfom. Gleichzeitig sind auch andere Konnotationen des Begriffs sinnbildlich: der Cluster als Nest, der Cluster als Datenbank, der Cluster als Sonderform eines Akkords, in dem die einzelnen Töne nahe nebeneinander liegen…“

Sogar die Prostituierten bilden seit neuestem Cluster – wie die Münchner Hurenorganisation „Fuck You“ meldet:

„Wir haben uns im Frühjahr zu einem ‚Cluster‘ zusammengeschlossen, um unser Dienstleistungsangebot zu erweitern – technisch, räumlich und zeitlich. Dazu haben wir eine ehemalige Fabriketage in Schwabing-Süd angemietet und uns gleichzeitig mit mehreren Internet-, Telefon- und Escort-Services vernetzt.“

Bei all diesen Cluster-Bildungen wundert es nicht, dass das Ekelwort „Cluster“ inzwischen auch in der Unterschicht Karriere gemacht hat. Im Umkreis der Neuköllner Galerie im Saalbau, Karl-Marx-Straße, wo sich die Ausstellung „Le Grand Magasin“ befindet, hört man immer wieder Sätze wie diese:

„Du bist doch wohl völlig beclustert!“ „Ich cluster dir gleich eine!“ „Geh mir nicht auf den Cluster!“ „Den haben sie doch voll abgeclustert!“ (mit „sie“ ist in diesem Fall die dortige Agentur für Arbeit gemeint) „Wenn du keine Ruhe gibst, stecken wir dich in ein Cluster – ehrlich!“ (ein bayrisches Ehepaar zu ihrer Tochter) „Die Sonnenalle ist eben ein heißes Cluster!“ (ein Palästinenserjunge zu einem anderen – im Ghazastreifen der Sonnenallee) „Wir müssen uns wohl oder übel verclustern!“ und „Spätestens die Finanzkrise ist aller Cluster Anfang!“ (zwei Handyshop-Besitzer in der Karl-Marx-Straße im Gespräch) „Der hat doch nicht mehr alle Cluster im Schrank!“ (ein Polizist über den Neuköllner Bürgermeister) „Ach, das ist doch nur ein sozialdemokratisches Trostcluster!“ (ein anderer Polizist über den Neuköllner Bürgermeister und seine Taskforce)

Abschließend sei noch angemerkt, dass man unter PPP (Public Private Partnership) in Neukölln, aber nicht nur dort – auch an der Humboldt-Universität – durchgehend „Power-Point-People“ (PPP) meint: In dem Problembezirk sind damit die Quartiersmanger und -Berater sowie -Experten gemeint, und in der Problemuni (ihr wurde keine „Excellence“ zugetraut, weil es dort anscheinend immer noch zu viele Ostler gibt) meint man damit durchgehend Ami-Wissenschaftler, die ihre neobanalistischen und spiralistischen Dumpfthesen jedesmal totsicher mit einer designmäßig ausgefuchsten Power-Point-Präsentation (PPP) verbinden, ja meistens bestehen ihre Thesen sogar aus nichts anderem als aus einer solchen lächerlichen PPP. Ein Geograph aus Wisconsin zeigte neulich an der HUB übrigens eine PPP – über die Erde als „Global Cluster“. So weit ist es schon gekommen! Und auch, dass er anschließend ordentlichen Beifall (standing ovulations) für seinen „Vortrag“ bekam.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2008/11/04/zusammengeknallte_cluster/

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kommentare

  • Rezension des „Cluster“-Buches in der Jungen Welt von Gerhard Hanloser:

    Vor über einem Vierteljahrhundert kam ein Buch heraus, das viele als »Bibel der Autonomen«, also der militanten westdeutschen Sozialbewegung der 80er Jahre, bezeichneten. Der Titel war Programm: »Leben als Sabotage«. Sein Autor war einer der wenigen sozialrevolutionär gebliebenen Aktivisten, die sich in den 70er Jahren von einer spezifischen Lesart des Marxismus in Italien, in dem der Klassenkampf als primär angesehen wurde, inspirieren ließ: die Rede ist von Detlef Hartmann. Hartmann hat sich nun zusammen mit dem Ko-Autoren Gerald Geppert der neuen Etappe des Kapitalismus angenommen – ohne dem alten, sozialstaatlich eingepackten Kapitalismus in der Retrospektive menschliche oder bessere Züge attestieren zu wollen. An vielen Stellen des Buches wird eindrucksvoll illustriert, wie sehr das fordistisch-wohlfahrtsstaatliche »Modell Deutschland« im Westen den Nazismus beerbte und die deutsche »soziale Marktwirtschaft« bloß den Faschismus modernisierte.

    Aktuell steht ein – wie sie schreiben –neuer »Paradigmenwechsel« an: Heutzutage wird das ursprünglich im Faschismus zu propagandistischen Zwecken der »Volksmobilisierung« gebaute Volkswagen-Werk in Wolfsburg mittels neuester Managementstrate­gien umgebaut. Geppert zeigt, wie der Unternehmensberater McKinsey, die VW-Werke und die Stadt Wolfsburg mit der regionalen Entwicklungsgesellschaft Südostniedersachsen e.V. an der vollständigen Ausrichtung und Neuzusammensetzung der Region arbeiten, um im globalen Wettbewerb konkurrenzfähig zu werden und die Krise der Automobilindustrie in den 90er Jahren zu überwinden. Im Zentrum der Strategien steht eine hinter großen Begriffshüllen verborgene direkte Auspressung der VW-Arbeiter, die bedroht sind, mittels Selbstaktivierung in die neue Etappe kapitalistischer Ausbeutung eingesaugt zu werden. Diese neue Etappe als »Neoliberalismus« zu bezeichnet, sieht Hartmann in seinem Beitrag als Verharmlosung an. Er durchforstet neueste Managementliteratur, die gemeinhin von Marxisten nicht gelesen wird. Hartmann meint hier eine neue Strategie des Kapitals herauszulesen, die mit dem Begriff Cluster (Häufung, Konzentration von ökonmischen Aktivitäten) auf den Punkt zu bringen ist. »Cluster«, so schreibt er, » bedeutet die organisatorische Bündelung und Intensivierung innovativer Energien, gepaart mit den aggressiven Sozialstrategien des postfordistischen Kapitalismus in der Region.« Nicht Adam Smith mit seiner unsichtbaren Hand, nicht die Anarchie des Marktes machen die neue Etappe des Kapitalismus aus, sondern eine allumfassende Mobilisierung des Subjekts zu Verwertungszwecken, eine Mobilisierung des Individuums, das gleichzeitig verdammt ist, sich selbst zu aktivieren, wenn es nicht untergehen will. Die marktwirtschaftliche Rationalität soll Herz, Verstand und Körper des je Einzelnen total besetzen und liegt verdoppelt in der Technologie vor, die als neutral zu bezeichnen ein großer Irrtum wäre. Hartmann schildert plastisch, wie das Prinzip der permanenten Selbstaktivierung in der Unternehmensberatung und in den Arbeitsagenturen angewendet und bis in die Universitäten hineingetrieben wird.
    Die entwürdigenden »Selbsteinschätzungsseminare«, die die »Agenturen für Arbeit« und ihre Helfershelfer organisieren, erinnern Hartmann nicht umsonst an die vom französischen Philosophen Michel Foucault beschriebenen mittelalterlichen Exerzitien.

    Besonders in dem Vorwort liefern die Autoren eine Gesellschaftskritik, die man schon lange nicht mehr gehört hat und – gerade auch in Publikationen aus dem Spektrum der parlamentarischen Linken – systematisch ausgegrenzt bleibt. Die Autoren plädieren dafür, sich »neben oder gegen den reißenden Zeitstrom zu stellen«. Hier finden sich auch Anklänge an eine Kulturkritik, die eher an die Kritische Theorie Adornos und Benjamins erinnern: »Heute weicht jeder genüßlich von der Norm ab. Das Biedere, Langweilige, Komplizierte wird argwöhnisch beäugt…«

    Hartmann hält daran fest, daß die Ausdehnung der Zumutungen des Kapitals nicht grenzenlos ist. Damit widerspricht er einer affirmativen Tendenz innerhalb der aktuellen Soziologie, die jegliche Behauptung von Naturhaftigkeit, Grenzen und moralischen Widerständen als in künstlichen Lebenswelten hoffnungslos rückschrittlich und überholt diffamiert. Möglich ist alles, nichts ist unmöglich, so der fröhliche Chor, der den Angriffscharakter des Kapitalverhältnisses systematisch ausblendet. Ob ein Soziologieprofessor, der diesen Theoriemoden aus Karrierezwecken folgt, bereits ein »propagandistischer Akteur der Zwangs- und Gewaltstrategien der Agenda 2010« darstellt, mag dahingestellt sein. Diese Etikettierung hängt eher mit dem unguten Hang zur Überzeichnung zusammen, die dem Schreiben der beiden Autoren anhaftet. Und so irritiert auch die Verdammung all jener, die nicht gewillt sind, den – in der Tat anregenden und diskussionswürdigen – Theoriemix mitzumachen. Hartmann zeigt sich als ehemaliger Marxist, der nur noch die Frage des Klassenkampfes und des Antagonismus als wesentliche Errungenschaften von Marx stehen lassen will, und bezieht sich gleichzeitig auf empirische Analysen des Kapitalismus als Netzwerk wie sie Manuel Castells am Beispiel des hegemonialen Clusters Silicon Valley erstellt hat. Gleichzeitig versucht er sich an der radikalen Rekonstruktion von Michel Foucaults Kritik an Disziplinartechniken, die längst in den Universitäten verwässert und um ihre antagonistische Spitze gebracht wurde. Hartmann sieht das neue Terrain der Auseinandersetzung nicht auf der Ebene des Klassenkampfes, sondern aufgrund des auf die »Seele« gerichteten Zugriffs des Kapitals in der Selbstbehauptung. Tatsächlich werden in der neuesten »Terrorismusforschung« – wie anhand der Literatur gezeigt wird – der »Existenzbegriff der Individualität«, das »Beharren auf Autonomie« und die »Sehnsüchte nach Authenitizität« unter Terrorverdacht gestellt.

    Alles in allem ist das Buch ein Plädoyer, die im wahrsten Sinne des Wortes totalitäre Dynamik des aktuellen Kapitalismus in den Blick zu bekommen. Die Autoren sind bescheiden: Ihr Buch soll Material liefern, eine etwaige neue Verankerung der radikalen Linken im Stadtteil und im Kampf gegen die Zumutungen der Arbeitsämter zu beflügeln, man solle die beiden Aufsätze als »inhaltlich-thematische Steinbrüche für die eigenen politische Arbeit nutzen«. Das kann man. Wichtig ist schließlich, was man aus dem Steinbruch rausbrechen kann und was man mit den Brocken dann macht.

    Detlef Hartmann/Gerald Geppert: Cluster – Die neue Etappe des Kapitalismus. Verlag Assoziation A, Berlin/Hamburg 2008, 222 Seiten, 14 Euro

  • »Tear Down the Malls!« rief Ronald Reagan einst an der Berliner Mauer. »Warum sollen wir ausgerechnet unsere wenigen Einkaufszentren niederreißen?« fragten sich die Ostler erstaunt. Aber darum ging es ihm gerade: Durch unsinniges atomares Hochrüsten eine Dauerkrise auf dem Konsumsektor hervorzurufen, gegen die »das Volk« schließlich auf die Barrikaden gehen würde. Nicht zufällig hat der US-Stadtforscher Mike Davis die seitdem überall auf der Welt gebauten Entertainment-Malls als »architektonisches Äquivalent zur Neutronenbombe« bezeichnet.

    Aber »das Volk« gibt nicht auf: Als neulich »Alexa«, die neue Berliner Riesenmall am Alexanderplatz, eröffnet wurde, stürmten die Konsumenten den Mediamarkt: Es gab Verletzte, verprügelte Verkäufer und kaputte Scheiben. Vielleicht wird schon bald bei der Eröffnung einer weiteren Mall der ganze »Konsumtempel« auseinandergenommen – wenn Hooliganismus und Konsumismus eine dauerhafte Verbindung eingehen. Und das ist schon deswegen zwingend, weil man uns infolge der anhaltenden Privatisierungen alle zu Schnäppchenjägern degradiert. Das macht inzwischen nicht einmal mehr vor Strom, Gas, Telefon, Miete und Bahnfahrkarten halt! Sogar gediegene Urlaubsorte werden plötzlich zu einem Schnäppchen.

    In seinem »Kultbuch – Glanz und Elend der Kommerzkultur« schreibt Robert Misik, »selbst Städte werden zu Marken – zu einem Brand-Statement« und bieten sich als »Konsumzentren« an. Es geht dabei um »Beachtung«: Denn Ansehen, Reputation, Prominenz, Ruhm können zur »Einkommensquelle« werden, wie Georg Franck in seiner Studie zur »Ökonomie der Aufmerksamkeit« herausarbeitete.

    Neulich interviewte ich den Graffitikünstler Steven K.: Er hat anfänglich immer nur seinen Schriftzug (tag) gesprüht: »Damit mein Name überall in der Stadt bekannt wird. Zwischen 2001 und 2004 schaffte ich, was ich mir vorgenommen hatte. Ich war zwar nicht der beste, aber einer der bekanntesten.« Inzwischen hat er sich mit seiner Kunst selbständig gemacht, sie also legalisiert. Er gibt Malkurse in einem Jugendclub.

    Die kanadischen Autoren Joseph Heath und Andrew Potter sind der Meinung, daß die Gegenkulturen generell »in den letzten 40 Jahren eine der wichtigsten Triebkräfte des Konsumkapitalismus gewesen« sind. Oder in den Worten von Peter Sloterdijk: »Alle Wege der 68er führen in den Supermarkt.« Oder anders gesagt: »Nicht nur, daß Shopping mit allem verschmilzt, alles verschmilzt auch mit Shopping« (Sze Tsung Leong). Schon gibt es erschütternde Selbstexperimente in Buchform auf dem Markt.

    Misik erwähnt die New Yorker Journalistin Judith Levine, die im Anschluß an Barbara Ehrenreich (die sich für ein Buch über »Working Poor« als eine solche u.a. bei »Wal Mart« verdingte) beschloß, ein Jahr lang nur noch das Nötigste einzukaufen. In »Not Buying It« heißt es nun: »Außerhalb der Konsumwelt zu existieren bedeutete, in einer parallelen Realität zu leben, die mit der meiner Freunde und Kolleginnen nichts gemeinsam hatte.« Misik merkt dazu an: »Diese Erkenntnis ist für Langzeitarbeitslose gewiß nicht völlig neu.« Deswegen sind sie auch noch verwegener auf der Schnäppchenjagd. Und wer gar kein Geld hat, der zieht andere ab und beklaut oder überfällt sie. Das tat auch der schon erwähnte Graffitikünstler eine Weile auf dem Kurfürstendamm.

    Es gibt schon ganze Urlaubsstädte, die sich nur deswegen international vermarkten, damit die Touristen bei ihnen im Erfolgsfall von einheimischen Arbeitslosen ausgenommen werden wie eine Weihnachtsgans. »Darum ist es nicht verwunderlich«, schreibt Misik, »wenn Werte wie Kreativität, Autonomie, Selbstverwirklichung – die früher Vokabeln des Rebellischen waren – zu gefragten Tugenden im Wirtschaftsleben werden«. Er nennt Gerhard Schulzes soziologisches Standardwerk »Die Erlebnisgesellschaft«. Zu den nachgefragten Erlebnissen gehören auch Überfälle, Knasterfahrung, etc.. Die erfolgreichen Gangsta-Rapper, die in Berlin gerne mit Graffitikünstlern zusammenarbeiten, wissen davon ein Lied zu singen. Die Soziologen Luc Boltanski und Ève Chiapello sprechen in diesem Zusammenhang von einer »Ökonomisierung des Authentischen«.

  • Zu den schärfsten Exekutoren von PPP gehört Rudolf Scharping – im folgenden Text findet sich dazu Näheres:

    Arme und reiche Irre auf dem Rudi-Dutschke-Trottoir

    Die Herbstoffensive der LaRouche-Truppe hat begonnen: Sie haben ihre Werbe-Stände am Alexanderplatz, am Bundesplatz und an anderen stark frequentierten Orten aufgestellt. In Kreuzberg treten sie den Arbeitslosen auf dem Weg zum Jobcenter entgegen – zwischen dem Springerkonzern und der taz, zu Füßen des Öko-Hochhauses der GSW. Für alle Probleme – vor allem finanzieller Art – haben sie laut ihrer Werbeschilder ein „Patentrezept“.

    Früher warb die LaRouche-Truppe unter dem Namen „Europäische Arbeiterpartei“ (EAP) um Aufmerksamkeit für die weltverbessernden Ideen seiner Gründer: des amerikanischen „Staatsmannes“ und Ex-Trotzkisten Lyndon LaRouche und seiner Frau, der OSI-Politologin Helga Zepp-LaRouche. Sie sind gegen Rauschgift (gründeten dafür eine „Anti-Drogen-Koalition“) und für Atomkraftwerke (dazu kreierten sie den „Club of Life“, das „Fusions-Energie-Forum und eine private „Akademie für Humanistische Studien“). Sie wollen „Rockefellers Nazipläne in Europa“ stoppen und fordern den Bau eines Europa und Asien verbindenen „Transrapid“. Dafür werben sie auch beim kämpfenden Proletariat. Zuletzt sah ich sie bei einem Rostocker Betriebsräte-Treffen und dann beim Hungerstreik der Bischofferöder Kalikumpel aktiv werden, d.h. Reden halten und Broschüren verteilen.

    Der Verfassungsschutz bezeichnet ihre Organisation, die sich immer mal wieder umbenennt – u.a. in „Schiller-Institut“ und „Bürgerrechtsbewegung Solidarität“ – als eine „Politsekte“. Seltsamerweise besetzte Arno Hellenbroich, der Bruder des ehemaligen Verfassungsschutz-Präsidenten Heribert Hellenbroich, zusammen mit seiner Frau lange Zeit „Schlüsselstellungen in den Vereinen des LaRouche-Kultes“, wie die Sketenforscher Helmut Lorscheid und Leo A. Müller in ihrem Buch „Deckname Schiller“ schreiben. Ein anderer Sektenforscher, Friedrich Wilhelm Haack, resümiert das Weltbild der Sekte wie folgt: „LaRouche sieht zwei Kräfte am Werk: eine böse satanische Seite der ‚Oligarchen‘, die von Zinswucher leben, und die ‚Humanisten‘, die Städtebauer, an die Macht der Vernunft glaubende Edelmenschen. Dazwischen gibt es die ‚99,44 % umfassende tierische Masse unwissender Schafe‘.“

    1985 hoben Helga und Lyndon die Bürgerbewegung „Patrioten für Deutschland“ aus der Taufe. Der ehemalige Vizeadmiral der Bundesmarine Karl-Adolf Zenker gehörte dazu – Admiralstabsoffizier, Fregattenkapitän und Kommandant von Zerstörern im Zweiten Weltkrieg. Dabei war auch Friedrich-August Freiherr von der Heydte, Professor für Staat und Völkerrecht an der Universität Würzburg, vordem SS-Mitglied, Oberleutnant, Träger des Eichenlaubs zum Ritterkreuzes und des Deutschen Kreuzes in Gold, und Paul Albert Scherer – ehemals Chef des Militärischen Abschirmdienstes (MAD, dessen illegale Abhöraktionen dazu führten, dass man ihn in den vorzeitigen Ruhestand schickte. Die LaRouche-Organisationen sind also quasi Lumpensammler – aber ausschließlich in den Eliten.

    Der „Informationsdienst gegen Rechtsextremismus“ hat einige der diesbezüglichen Aktivitäten von LaRouche zusammengetragen: „In Europa dient ihm die rechtsgerichtete französische Parti ouvrier européen (POE) in Frankreich und Italien lange Jahre als Stützpunkt. Vertreter des Schiller-Instituts nahmen an einer Veranstaltung des Kroatischen Nationalrates (HNV) zum Gedenken an den Gründungstag des ‚Unabhängigen Kroatien‘ teil. Zur LaRouche-Delegation gehörte u.a. Roy Frankenhauser, ‚Grand Dragon‘ des Ku Klux Klan in Philadelphia und 1983 beim Sicherheitsdienst von LaRouche beschäftigt. Seit Anfang der 90er Jahre gibt es Bemühungen, Kontakte mit nationalistischen Kräften in Rußland aufzunehmen. LaRouches Vorstellungen von einer ‚eurasischen Landbrücke‘ führen ihn auch wiederholt nach China. Als ein bedeutsamer Stützpunkt der LaRouche-Bewegung hat sich in jüngster Zeit offenbar das Zayed Center in den Vereinigten Arabischen Emiraten entwickelt, dem ‚Think Tank‘ der Arabischen Liga. Einen Wahlerfolg kann die LaRouche-Bewegung für sich in Brasilien verzeichnen, wo die Partido da Reedificação da Ordem Nacional (PRONA) unter der Führung von Enéas Ferreira Carneiro bei den Wahlen im Oktober 2002 sechs Sitze im brasilianischen Kongress erzielte. Auf Initiative einer PRONA-Vertreterin erhält der US-Amerikaner Lyndon LaRouche im Jahr 2002 von der Stadt São Paulo die Ehrenbürgerschaft verliehen. William Colby, ehemals Direktor des CIA, ist der Meinung, dass das LaRouche-Komitee zu 80 Prozent aus ehemaligen CIA- und FBI-Leuten besteht. Den marginalen Wahlergebnissen, die ihre Parteien erreichen, steht ein finanzkräftiges Unternehmen gegenüber mit einem effektiven Propagandaapparat. Woher die Gelder kommen, liegt völlig im Dunkeln.“

    Aber man muß auch sagen, sie leisten was dafür: Lyndon LaRouche und seine Frau Helga liegen nicht auf der faulen Haut! Sie mischen sich ein, drängen sich in die Clubs und Mailboxes der Mächtigen und Reichen, jetten um den Globus, konspirieren mit ehemaligen Militärs und Geheimdienstlern und solchen, die es werden wollen, geben jede Menge Zeitschriften heraus, wittern überall jüdische und andere Verschwörungen, müllen das Internet mit ihren Analysen zu – und tun überhaupt alles, um Wichtigwichtig zu werden.

    Als am 11. September das World-Trade-Center zusammenbrach, kam Lyndon LaRouche in einem Radiointerview sofort zu dem Schluss, dass ein versuchter Staatsstreich gegen die USA im Gange sei. In den Tagen darauf ergänzte er seine Analyse und sprach von „verbrecherischen Elementen“ im US-Militär und Geheimdienst sowie von einer wahrscheinlichen Beteiligung britischer und israelischer Kreise. Jetzt – während des Zusammenbruchs mehrerer US-Banken – fordert der „Ökonom“ LaRouche „ein neues Bretton Wood zur Lösung der Finanzkrise“. Dazu veranstaltet er „Internet-Konferenzen“ in den USA und „Pressekonferenzen“ in Moskau.

    In Kreuzberg könnten seine Basisaktivisten neben Arbeitslosen an der Ecke Rudi-Dutschke/Charlottenstraße, auch gleich noch die Angestellten im GSW-Hochhaus agitieren: Die GSW, mit 65.000 Wohnungen Berlins größtes einst gemeinnütziges Wohnungsbauunternehmen, gehört seit 2004 der US-Investmentgesellschaft Cerberus. Das ist ein sogenannter „Geierfonds“, gegründet von Stephen Feinberg, der damit bisher 80 Milliarden Dollar zusammensammelte: Cerberus investiert oder kauft Firmen, die kurz vor dem Bankrott stehen. Danach übernimmt er entweder als größter Gläubiger die Kontrolle, saniert die Unternehmen und verkauft sie weiter – oder zerschlägt sie und schlachtet sie aus. Zu seinen Mitarbeitern bzw. Beratern zählt der ehemalige VW- und DaimlerChrysler Vorständler Wolfgang Bernhard. Daneben gehören laut Spiegel „der ehemalige US-Finanzminister John Snow als Verwaltungsratschef und der ehemalige Vizepräsident Dan Quayle als Vorstandsmitglied zum Team von Cerberus. In Deutschland soll außerdem der einstige Verteidigungsminister Rudolf Scharping das Unternehmen beraten.“

    Scharping trat als SPD-Parteivorsitzender nach der „Hunzinger-Affäre“ zurück, nachdem bekannt geworden war, dass er 140.000 Euro für angebliche Lizenzen seiner Memoiren und Vorträge vom Lobbyisten Moritz Hunzinger kassiert hatte. Erst mal fiel er daraufhin vom Fahrrad und ließ sich beim Baden mit einer Adligen photographieren. Danach machte sich Scharping in Frankfurt/Main mit der Beratungsfirma RSBK selbständig. Bei seinem RSBK-Projekt handelt es sich um die private Staatsconsulting „Rudolf Scharping Strategie Beratung Kommunikation“. Scharping bietet darin zusammen mit Rainer Brüderle von der FDP, mit dem CSU-OB a.D. Deimer aus Landshut und dem Sozialdemokraten Rolf Böhme, OB a.D. aus Freiburg sowie Lehmann-Grube, OB a.D. aus Leipzig sogenannte „Werkstattgespräche für kommunale Entscheider“ an. Dabei geht es um „die Vorzüge von Public-Private-Partnership“ (PPP), d.h. ihnen sollen im „Dialog“ diejenigen nahe gebracht werden, „die als Käufer kommunalen Eigentums“ in Frage kommen. Dadurch nimmt man ihnen die Skrupel bei der Privatisierung – zwecks Entschuldung ihrer Kommunen. Für diese „Entscheider“ gibt Rudolf Scharping darüberhinaus noch ein monatliches Info namens „PPP-Kompakt“ heraus. „Kein Wunder, dass in diesen Netzwerken das Verscherbeln der mühsam aufgebauten öffentlichen Einrichtungen wie geschmiert funktioniert,“ resümiert der Journalist Albrecht Müller.

    Wir resümieren: Oben im GSW-Hochhaus sitzen nun die reichen Irren von Cerberus und unten vor der Tür agitieren die armen Irren von LaRouche. Beides gibt sich nicht viel. Erwähnen sollte man aber vielleicht noch, dass das „Öko-Hochhaus“ der GSW einst mit staatlichen Fördergeldern gebaut wurde. Bis heute weigert sich die GSW jedoch, eine „Öko-Bilanz“ vorzulegen, nicht einmal den über „Öko-Bilanzen“ von Häusern forschenden Architekturprofessoren an den Berliner Universitäten gewährt man Einblick, obwohl die GSW eigentlich dazu verpflichtet ist. Die Professoren vermuten, dass die „Öko-Bilanz“ des GSW-Hochhauses schlechter ausfällt als die von „normalen“ Bürohochhäusern. Aber um zum Schluß zu kommen: Auf der Rudi-Dutschke-Straße geht es heute zu wie im richtigen Leben!

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