vonHelmut Höge 02.12.2008

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Liebe Tazler,

in Anbetracht der sich mehrenden Kinderkriegpausen und Erziehungsurlaube
gebe ich einen kleinen Text dazu (zu bedenken), den der
Wissenschaftsredakteur, der nach eigener Einschätzung ein geharnischter
„Darwinist“ ist und nicht einmal eine Rezension eines Symbiose-Buches
wegdrucken wollte, ganz bestimmt nicht akzeptiert hätte. Weswegen ich
ihn hier sozusagen kostenlos ins Intranet stelle:

Die ZDF-Sendung „Aspekte“ und die Bild-Zeitung
vermelden immer wieder gerne kommunistische Schandtaten. Zur Not auch
welche aus der Frühzeit der Bewegung. So berichteten sie z.B., dass
Stalin „Untermenschen“ bzw. „Arbeitssklaven“ züchten wollte. Wie das?
1927 hatten der spätere „Held der Sowjetunion“ Otto Julewitsch Schmidt
und sein Institutsleiter Ilja Iwanowitsch Iwanow auf der
Affenforschungsstation in Suchumi/Abchasien versucht,, Menschen mit
Affen zu kreuzen. Damit wollten sie anti-kreationistisch gestimmt die
nahe Verwandtschaft von Menschenaffen und Menschen beweisen. Der Versuch
mißlang: Zwar gab es etliche experimentierfreudige Frauen, aber nur
einen männlichen Schimpansen – und der starb, bevor es zum Äußersten
kam. Erst seit 1972 weiß man, dass es gar nicht gegangen wäre: die
beiden Arten haben sich zu sehr auseinandergelebt.

Und die Westmedien haben in ihren Meldungen einfach „Stalin“ zwei alte
französische Pläne untergeschoben: 1717 riet Jean Zimmermann in Paris,
zur Produktion einer Arbeiterschaft ein leichtes Mädchen von einem
Orang-Utan bzw. ein Menschenaffenweibchen von Männern schwängern zu
lassen. 1889 schlug der Rassismustheoretiker Georges Vacher de Lapouge
in Montpellier vor, durch solche Kreuzungen „gelehrige Arbeiter“ –
„Halbmenschen“- „herzustellen“. Er hielt dies für möglich, denn „der
Unterschied zwischen Menschenaffen und Menschen ist geringer als z.B.
der zwischen Makaken und Langschwanzaffen. Und diese Affen aus
unterschiedlichen Familien haben schon mehrfach erfolgreiche Kreuzungen
hervorgebracht.“

In diesen Tagen diskutieren die Medien, ob man einem
Neurowissenschaftler an der Bremer Uni verbieten soll, Hirnexperimente
an Makaken durchzuführen. „Noch Descartes hätte jede Untersuchung an
Affen abgelehnt“, schreibt Cord Riechelmann in der Süddeutschen
Zeitung, „einfach deshalb, weil er den Tieren Geist und Seele absprach“.
Riechelmann will nun die Affenforschung erneut „enthumanisieren“ – damit
diese Tiere in der Forschung nicht länger als Menschenersatz
(„Modellorganismen“) herhalten und leiden müssen. Anders Julia Voss in
der FAZ: Sie rekapituliert noch einmal den über hundertjährigen Protest
gegen Tierversuche und kommt dann auf neurobiologische Experimente mit
Kraken zu sprechen, die die Forscher verblüfften, indem sie zusahen, wie
diese ein Glas mit Futter füllten, es zuschraubten und ihnen gaben. Die
Kraken griffen sich das Glas, schraubten es auf und aßen den Inhalt. Im
Berliner „Sea Life Aquarium“ führt ein Krake neuerdings das selbe vor.
Julia Voss schreibt: „Das ist der Unterschied zum 19.Jhd.: Der Konflikt
ist nicht mehr der zwischen Herz und Verstand – es steht Forschung gegen
Forschung.“

Nicht nur die Kraken, auch die Jugend und die Affen forschen: So
betreiben Paviane in Nigeria z.B. Empfängnisverhütung mit Pflanzen. Die
weiblichen Tiere schlucken dazu die Früchte der Pflanze Vitex donaia, in
der das Hormon Progesteron enthalten ist. Diese ihre Forschung könnte
sogar geeignet sein, den darwinistischen Wissenschaftlern ihren
wichtigsten tragenden Begriff als Vorurteil zu dekonstruieren: „das
Überleben des Tüchtigsten“! Denn diese größtmögliche „Fitness“
attestieren die Darwinisten all denjenigen Individuen einer Art, die die
meisten Kinder zeugen. So definiert z.B. der Oxforder „Ultradarwinist“
Richard Dawkins, Erfinder des „egoistischen Gens“, die „Fitness, um
deren Maximierung sich alle Tiere ständig bemühen“, als die „Gesamtzahl
der Nachkommen, die zukünftig leben werden“. Die feministische
Forschung der nigerianischen Paviane legt jedoch nahe, dass genau das
Gegenteil der Fall ist: „Je weniger Nachkommen desto fitter!“ Das wissen
z.B. auch die Menschenfrauen in einigen Stämmen Neu-Guineas mit
besonders rigider Geschlechtertrennung: Sie forschen laufend nach neuen
empfängnisverhütenden Mitteln. Die Männer versuchen sie als
Prädarwinisten daran zu hindern, indem sie die nicht mehr gebärfähigen
alten Frauen auf ihre Seite ziehen. Sodann dienen diese ihnen als
Polizisten, die die jungen Frauen darin hindern müssen,
empfängnisverhütende Mittel anzuwenden.

Hinter solchen Frauenforschungen steckt laut einigen Embryologinnen am
Pariser Institut Pasteur die richtige Ahnung, dass das Austragen eines
Kindes und das Wachsen eines bösartigen Tumors identische Vorgänge sind:
Der Fötus ist ein fremdes Stück Fleisch, ein Pfropf, den der Körper der
Mutter abzustoßen versucht. Aber dem Fötus wie dem Krebs gelingt es, das
Immunsystem seines Wirts erfolgreich zu blockieren. Zwischen ihnen gibt
es laut den Embryologinnen nur einen wesentlichen Unterschied: „Aus der
befruchteten Eizelle entwickelt sich ein neuer Staat, mit dem Krebs
bricht dagegen die Anarchie aus.“

Es ist demnach wahrscheinlich die schiere Ignoranz, wenn z.B. der
NDR-Tierfilmer Heinz Sielmann einen tanzenden Mückenschwarm über einen
Teich filmt und den Insekten raunend attestiert: „Sie haben nur ein Interesse,
sich zu vermehren.“ Der französische Genetiker und Nobelpreisträger
Jacques Monod behauptete: „Was für die Bakterie wahr ist, muß auch für
den Elefanten wahr sein.“ Und sein Kollege Francois Jacob fügte in
seinem Buch „Die Logik des Lebenden“ hinzu: „In einem Lebewesen ist
alles auf Fortpflanzung hin angelegt“ (programmiert?!). So „träumt“ z.B.
ein Bakterium davon, „zwei zu werden“. Könnte es nicht sein, dass dies
eher sein Alptraum ist?

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2008/12/02/eine_affenschande/

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kommentare

  • Anhand von Kotproben Aussagen über das Verhalten zu treffen, das trieb zwei US-Wissenschaftler – Michael Muehlenbein und David Watts – um, als sie im Kibale-Nationalpark in Uganda Schimpansenscheiße einsammelten. Heraus kam dabei laut SZ die Erkenntnis, dass „wer oben in der Rangordnung steht, nicht nur Vorteile hat.“

    Denn „dominante Affen haben mehr Würmer als rangniedrige Tiere“. Die Forscher vermuten, „dass aggressives Verhalten – das unabdingbar ist, um in der Rangordnung aufzusteigen – das Immunsystem beeinträchtigt. Parasiten können dann schlechter abgewehrt werden.“

    Neben den Parasitenbefall bestimten sie im Kot von 22 männlichen Schimpansen auch den Testosteronspiegel. Es besteht ein Zusammenhang zwischen Teststeron-Konzentration und Aggressivität, gleichzeitig unterdrückt das Hormon aber auch die Immunabwehr.

    Da haben die US-Anthropologen also nur 1 und 1 zusammenzählen müssen. So macht Anthropologie Spaß! Auch bei einigen Fischarten und Steppenwühlmäusen haben im übrigen ranghohe Tiere mehr als andere mit Parasiten zu kämpfen und besitzen eine schwächere Immunabwehr, fügt die SZ hinzu, kommt dann aber damit, dass es auch sein kann, dass die Ranghohen mehr als andere gekrault werden und herumvögeln, wobei sie sich leicht Parasiten einfangen können.

    „Untersuchungen anderer Forscher deuten z.B. darauf hin, dass gesellige Schimpansen eher an Atemwegserkrankungen leiden und häufiger verunglücken.“

    Was sind das wieder für seltsame „Forschungen“?

    Auf der gleichen SZ-Seite wird im übrigen berichtet, dass in Uganda die Pest ausgebrochen ist. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass es vielleicht auch eine andere Kankheit sein kann, die bisher noch unbekannt ist.

    „Infizierte geben die Krankheit meist durch Husten weiter,“ klärt uns die SZ erst mal auf. „Führend bei der Untersuchung sind die Centers for Disease Control, die US-Seuchenschutzbehörde.“ Schon wieder sind da also US-Forscher in Uganda zugange.

    Aber nicht nur dort: Die US-Botschafter in 68 nicht-afrikanischen Ländern wurden jetzt angeblich angewiesen, den Kot der jeweiligen Regierungsmitglieder heimlich einzusammeln und zur Untersuchung an die Yale Universität zu schicken.

    Die Leitwissenschaft Biologie hat nun also nach der Kriminologie anscheinend auch die Kunst der Diplomatie umgekrempelt.

  • Alfred Sohn-Rethel veröffentlichte einmal eine kleine Geschichte, die „Sigurds Ratten“ hieß. Sie spielte im Zweiten Weltkrieg, den der Autor im Londoner Exil überlebte. Dort lernte er den Physiker Sigurd Zienau kennen, der am University College studierte.
    Die beiden Emigranten trafen
    sich häufig.

    Zienau erzählte ihm von zwei
    Hausratten, die
    ihm jede Woche die Eier-Ration
    aus der Speisekammer stahlen,
    und dies so umsichtig und klug,
    daß der Beklaute, als er ihnen
    schließlich auf die Schliche kam,
    sich fast entschädigt fühlte durch,
    die Art und Weise ihres Umgangs
    mit diesen wertvollen Lebensmitteln.

    Mit eigenen Augen hatte er gesehen,
    dass die eine Ratte ein Ei vorsichtig
    an ihren Bauch drückte und sich dann
    umdrehte, die andere Ratte zog sie
    daraufhin am Schwanz durch die
    Speisekammer und durch ein Loch im
    Dielenfußboden in ihr gemeinsames
    Nest, wo sie das Ei verspeisten – ohne
    dass die Menschen irgendwelche
    Schalen hernach fanden – und die
    Übeltäter entlarven konnten. Sigurd
    Zienau verdächtigte eine zeitlang
    sogar seine Frau, dass diese heimlich
    die kostbaren Eier stahl und alleine
    aufaß.

    Als er den Rattentrick mit dem Ei
    aufgedeckt hatte, bescherte ihm das eine
    wunderbare Geschichte zum Weitererzählen
    bescherte. In den Tagen
    nach diesem Erlebnis erzählte
    er sie auch tatsächlich jedem, der
    sie hören wollte. Alfred Sohn-
    Rethel konnte sie schon bald nicht
    mehr hören. Mehrmals war man
    dabei anschließend auf die Intelligenz
    von Ratten zu sprechen gekommen.
    Dem einen oder anderen
    waren dazu weitere—ähnlich kluge—
    Rattengeschichten eingefallen.
    Ein amerikanischer Psychologe
    beispielsweise hatte von Experimenten
    mit Ratten in Labyrinthen
    berichtet. Er war mit den US-Streitkräften
    nach London gekommen und gehörte
    zu einer kleinen Vorausabteilung,
    die dem Intelligence
    Corps zugeordnet war
    — Wissenschaft im Dienste der
    Spionage (Abteilung: Army Psychological
    Warfare Department).
    Ihn hatte man in einem zweckentfremdeten
    Irrenhaus am Rande
    vonLondon untergebracht. Es gab
    dort Funkexperten, Spiritisten,
    Statistik-Experten und Ratten-
    experimentatoren.

    Für letztere war
    Pavlov der große Theoretiker in
    der Ferne. (All das wird in Thomas
    Pynchons „Enden der Parabel“
    auf Hunderten von Seiten erzählt).
    Der Psychologe
    erzählte Alfred Sohn-Rethel und
    Sigurd Zienau von seinen Pavlovschen
    Rattenexperimenten und
    was für Schlüsse daraus gezogen
    wurden. Sohn-Rethel witterte dahinter
    eine experimentelle Erhärtung
    der für ihn zu mechanistischen
    „Widerspiegelungstheorie“
    und argumentierte dagegen.
    Der Psychologe gab sich für den
    Moment geschlagen. Jahre später
    — wieder in den USA zurück und
    erneut (am Stanford Institute) mit
    Rattenexperimenten beschäftigt
    —machte er sich an die Überprüfung
    der These eines anderen russischen
    Wissenschaftlers, des Botanikers
    Lyssenko, der eine theoretische
    Rückkehr zu Lamarck gefordert
    hatte und gegenüber den
    Genetikern von einer Vererbung
    neuerworbenen Wissens überzeugt
    war. Der amerikanische
    Psychologe fand heraus, daß Ratten
    es lernten, immer schneller
    durch ein Labyrinth herauszufinden,
    und daß sie dieses Wissen auf
    ihre Nachkommen „übertragen“
    konnten, die dadurch von vorneherein
    schneller waren. Später
    entdeckte man, daß völlig unabhängig
    von dieser Rattengruppe
    hunderte von Meilen entfernt in
    Labors lebende Ratten anscheinend
    ebenfalls von diesem Wissen
    profitiert hatten. Wie war das
    möglich?

    Eine mögliche Antwort
    darauf fand 1980 der junge Oxforder
    Botaniker Rupert Sheldrake
    mit seiner «Theorie des
    morphogenetischen Feldes“ eine
    Aushebelung aller bisherigen
    Erkenntnistheorien. Er nannte sie
    u.a. die „Theorie vom hundertsten
    Affen“, denn ein Primatenforscher
    hatte ein ähnliches Lernphänomen
    bei zwei auf Inseln lebenden Affen-
    populationen entdeckt.

    Für Alfred Sohn-Rethel
    und Sigurd Zienau waren diese
    Rattengeschichten aber nur Randglosse
    in ihren eigenen Forschungen
    und Geschichten. Was allerdings
    die zwei diebischen Ratten
    in Zienaus Speisekammer betraf
    — auf sie wurde der Bestohlene
    immer stolzer. Alfred Sohn-Rethel
    schreibt:. „Vor purer Bewunderungßr
    ihre Intelligenz ließ er den
    Tieren von Zeit zu Zeit eines seiner
    Eier zum Abholen in der Speisekammer
    liegen, im Widerspruch zum
    Gesetzgeber, der damals zur Bewahrung
    der kostbaren Vorräte der
    Nation gegen die argen Schädlinge
    eine systematische Vernichtungsaktion
    anordnete“

  • In der heutigen FAZ geht es in der Wissenschaftsbeilage um die unterschiedlichen Kulturen der Naturwissenschaften und der Geistes- und Sozialwissenschaften, die sich für den Autor immer weiter ausfächern. Wir hatten gerade das zweifelhafte Vergnügen, zwei mal 600 Kilometer weit von zwei Naturwissenschaftlern im Auto migenommen zu werden: Es war weitaus anstrengender als mit der Bahn zu fahren, wenn auch billiger. Nach jedem dritten Wortwechsel brach der Dialog zwischen Vorder- (Naturwissenschaft) und Rücksitz (Sozialwissenschaft) zusammen. Wir vom Rücksitz bemühen uns schon lange, uns naturwissenschaftlich zu bilden, aber die da vorne hielten ihre Ignoranz für Professionalität und es geradezu für einen Fortschritt, die Welt gleichsam nur noch auf einem Laserstrahl wahrzunehmen, zudem war ihre ganze wissenschaftliche (molekularbiologische) Arbeit auf Karriere hin ausgerichtet, was an sich schon völlig verblödend ist. Zudem hielten sie es für einen wissenschaftlichen Fortschritt, dass sie keinerlei Wissen mehr über Pflanzen und Tiere hatten: „Das geht uns am Arsch vorbei!“ Sie interessierten sich nur noch für Enzyme und Transmitter – und hielten das für der Wissenschaft letzten Schliff.

    Hier ein längeres Zitat aus dem FAZ-Artikel von Rudolf Stichweh:

    Lange schienen Theorien der Kommunikation und der Beobachtung auf menschliche Sozialsysteme beschränkt zu bleiben. Nur Studien über andere Primaten bildeten eine gewisse Ausnahme, und seit dem Anfang der neunziger Jahre existieren Untersuchungen, die für bestimmte Affen (beispielsweise Meerkatzen) komplexe Systeme symbolvermittelter Kommunikation und sogar der intentionalen Täuschung mittels manipulativer Handhabung solcher Symbole nachwiesen.

    Diese Situation hat sich in den letzten Jahren radikal geändert. Immer mehr Populationen tierischer Organismen werden mentale Strukturen zugeschrieben, und dies hat ein vergleichendes Studium solcher mentaler Eigentümlichkeiten motiviert. Es sei nur eine fast zufällig herausgegriffene Publikation zitiert: ein Artikel einer australischen Biologin und eines Zoologen aus Neuchâtel, publiziert vor zwei Jahren in „Nature“. Es geht hier um die Interaktion zwischen einem Putzerlippfisch und einer Brasse im Indopazifik. Der Putzerfisch kann sich von den Parasiten der Brasse ernähren. Er kann die Brasse aber auch betrügen und stattdessen den Hautschleim der Brasse zu sich nehmen, den er eigentlich auch präferiert. Wie sichert sich nun die Brasse gegen diesen Missbrauch und diese Verletzung, oder wie bildet sich, und unter diesem Titel stellt „Nature“ in einem Kommentar den Artikel vor, „Vertrauen unter Fischen“ („trust in fish“)?

    Die Antwort des Artikels lautet, dass Brassen die Putzerlippfische bei der Arbeit an anderen Brassen beobachten – die Autoren nennen dies „Abhören“ – und dass die bei der Arbeit beobachteten Putzerlippfische durch korrektes Verhalten Image und Reputation aufbauen, um sich auf diese Weise den künftigen Zugang zu anderen Brassen zu sichern. Diese Begriffssprache ist signifikant. Es geht um Kommunikation in Netzwerken, um Information, die in diesen Netzwerken transferiert wird, um Reputation, und es geht um andere, ohne einen sozialwissenschaftlichen Theoriehintergrund undenkbare Begriffe wie Vertrauen und Spiel.

  • Anmerkung zu den „Spiegelzellen/-neuronen“ – aus dem Spiegel (sic):

    Das Zentralorgan aller Dumpfmeister – der “Spiegel” – interviewte dazu den US-Neurologen Ramachandran, der die “Spiegelzellen” im Gehirn als “stoffliche Basis unseres Verhaltens” dingfest gemacht hat: “Die Spiegelneuronen erklären unser soziales Miteinander!” Die Spiegelredakteure (u.a. Diplo.Bio Rafaela von Bredow) nennen sie “Wunderzellen” und sind schwer beeindruckt, dass sie laut Ramachandran, den sie in Kalifornien (sic!) interviewten, mindestens 30% unserer “Kommando-Zellen” ausmachen. Vor allem sind sie aber die “Grundlage der Erleuchtung”, weswegen Ramachandran auch von “Dalai-Lama-Neuronen” spricht – er stellt damit die Seelsorge endlich auf eine materialistische Basis.

    Noch dicker kommt es im Sonderheft “Gehirn & Geist” des Spektrum-Wissenschaftsverlags, das komplett der medizinischen “Befreiung” unserer Hermann-Hirne von Alzheimer (1 Million Deutsche), von Parkinson (15.000), Querschnittlähmung (50.000), multipler Sklerose (120.000), epileptischen Anfällen (8,2 Mio), dem Tourette-Syndrom (Fluch-Zwang – 40.000), dem Huntington-Syndrom (erblicher Veitstanz – 8.000 plus 8000 Anlageträgern), Depressionen, Autismus und Kopf- sowie Nerven-Schmerzen gewidmet ist.

    Und zwar mittels der Genetik und Epigenetik (Nahebeigenetik). Bei der Zahl der Betroffenen (Leidenden) ist die “Tendenz weiter steigend”, wie die junge Biologieredakteurin des Heftes, Sabine Kersebaum, laut beigefügtem Photo schmunzelt verrät, gleichzeitig arbeiten jedoch auch die Hirnforscher, Pharmakologen und Mediziner “mit Hochdruck” an neuen Arzneien, Therapien und Wegen der Früherkennung dagegen: “Wir dürfen gespannt sein” (fettgedruckt) – nämlich: ob ihr gewaltiger, sich andauernd revolutionär nennender Kraftakt auf molekularer Ebene uns von all den o.e. Leiden und letztlich sogar vom Altern und dem Tod “befreit”, das will Dipl.Bio Kersebaum damit sagen. Zusammenfassend läßt sich schon mal voraussagen: Uns erwartet in naher Zukunft eine wahre Rundum-Befreiung. Bullshit!

  • Ein Mailwechsel über Primaten beobachten Primaten:

    Lieber Cord,

    … wollte ich dich fragen, ob wir nicht auch mal eine
    Primatenbeobachtungsforschung auf dem Affenfelsen „Check Point Charly“ (Friedrichstrasse)machen machen sollten?
    Gruß

    Lieber Helmut,
    sofort am Affenfelsen Checkpoint, aber wo steht man da am besten und unter welcher Frage?
    Beste Grüße

    Lieber Cord,
    am affenfelsen check point charly muß man nicht stehen, ringsum sind kneipen in nächster nähe, man bräuchte also das fernglas fast nur zur
    dekoration. Und die Fragestellung, so dachte ich, ergäbe sich durch eine Analogiebildung aus deinem Text für die „Primates“, also genau die selben Fragen, die du auch dort verfolgt hast, einschließlich der
    Methodik (beobachtung, fotodokumentation, forschungstagebuch und – hier allerdings nur simulierte – zeugen).

    Ich dachte, an eine gewisse umdrehung der forschung dabei, d.h. ein affe kuckt sich da jetzt mal am check point charly den dortigen menschenfelsen an. Dort stehen übrigens jetzt täglich einige arbeitslose models in den uniformen der alliierten und halten eine kleine fahne in der hand – sie sind für die touristen zum knipsen angestellt.
    Gruß

  • schmerz bleibt in der erinnerung.
    sinn und weg
    un-
    gesagtes!
    netter klaoe mit dem pankelly
    und dem sonnenschaden.
    du lieber;))

  • johnny ist das bislang nicht gewohnt gewesen. tiger massregelte ihn nur in seiner bisweilen wirklich äusserst ironischen art. draussen gab es auch nicht die altersgerechten nachbarskatzen (ohne revierGrundlage).
    so sozialisiert, lernt der johnny nun
    wie aufregend doch das balgen ist.
    und es hat was, dies zuu
    beobachten. mir kommen natürlich vor lauter fesselnder beobachtung keine ganz anderen sachen und dinge in den kopf oder hirnabschnitte;)
    den johnny verstötrts trotzdem – naja mit vier.

  • Der Primatenforscher Cord Riechelmann über den Hirnforscher Vittorio Gallese und Affen (taz v. 8.11.2007):

    Es war – ein zumindest hierzulande – selten angenehmer Abend der Inspektion des Gehirns. Im Einstein Forum sprach Vittorio Gallese, der seit 2006 ordentlicher Professor für Physiologie an der Universität Parma ist, zum Thema „From Mirror Neurons to Intersubjectivity. A Neuroscientitific Perspective on Social Cognition“. Gallese kann neben Giacomo Rizzolatti und Leonardo Fogassi als Entdecker der Spiegelneurone gelten. Spiegelneurone zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht nur Aktionspotenziale „funken“, wenn der Körper selbst eine Tätigkeit ausführt, sondern auch dann, wenn dieselbe Tätigkeit bei einem anderen Organismus „nur“ beobachtet wird.

    Diese Nerveneinheiten haben also nicht nur mit der Steuerung der eigenen Motorik zu tun, sie sind ebenso an der Beobachtung einer Handlung eines anderen beteiligt. Dadurch können sie die Handlung eines anderen zu einem internen Erlebnis werden lassen. Die Möglichkeit der Verknüpfung der Handlung eines anderen mit der eigenen Erfahrung ist aber die Voraussetzung für alle Phänomene dessen, was man als Imitationslernen bezeichnet. Entscheidend dabei ist die Entdeckung, dass die neuronale Kopplung von motorischen Aktivitäten und nach außen passiv erscheinender Wahrnehmung mit einem internen Nachvollzug der Bewegung verbunden ist, die sich im Bild der Nervenaktivität nicht vom Bild während der tatsächlich ausgeführten Arbeit unterscheidet.

    Das hat für das Verständnis von Lernvorgängen ganz praktische Bedeutung. So wird zum Beispiel verständlich, wie Orang-Utans im Zoo zu Ausbruchspezialisten werden konnten, ohne dass man sie je dabei beobachtet hätte, durch Versuch und Irrtum am Gatter herumzuwerkeln. Die Menschenaffen beobachten nur jeden Ein- und Ausstieg ihrer menschlichen Wärter, vollziehen intern die Bewegungen nach und schreiten erst dann zum Ausbruch, wenn sie ihre internen Erfahrungen zielgerichtet koordiniert haben. Früher, als Denken noch nicht im Verruf stand, die Markteffizienzen unnötig aufzuhalten, nannte man so was langes oder tiefes Nachdenken.

    Ein Neurowissenschaftler, der seinen Vortrag über Spiegelneurone und ihre Bedeutung für die Wahrnehmung sozialer Aktionen wie Gallese mit einem Nietzsche-Zitat beginnt und im Laufe seines Gedankengangs auch noch auf Edmund Husserl, Maurice Merleau-Ponty, Paul Ricoeur, Martin Heidegger und Emanuel Levinas zu sprechen kommt, kann kein schlechter Mensch sein. Es fehlte in der Ahnenreihe jener Denker, die die Möglichkeit der kulturellen Mimesis der Menschengattung mit der Fähigkeit zur Intention und dem Sprachvermögen verbinden, nur der Meister des Spiegels selbst, der Psychoanalytiker Jacques Lacan.

    Mit Lacan aber hätte Gallese am vergangenen Dienstag in Potsdam den fragenden Widersacher par excellence in seinen Vortrag getragen. Nur leicht radikalisiert, liefert nämlich das Konzept der Spiegelneurone die neurophysiologische Grundlage für die aus der Psychoanalyse bekannten Phänomene des Widerstands und der Übertragung. Die Einsicht in die neurophysiologischen Grundlagen des Widerstands und der Übertragung hätte nicht nur Lacan, sondern auch Sigmund Freud jubilieren lassen.

    Allerdings hätten beide den Hirnphysiologen ermahnt, bei der Deutung seiner Daten nicht die historische Theorie des Symbols, die intersubjektive Logik sowie die Zeitlichkeit des Subjekts außer Acht zu lassen. Auf seine Art nahm Gallese diese Mahnungen in den Blick, indem er die erwähnten Philosophen zwischen Abbildungen von funkenden Neuronen und leuchtenden Hirnarealen zu Wort kommen ließ.

    Nietzsches Vorstellung, dass die Fähigkeit, einen anderen Menschen zu verstehen, darin bestehe, dass wir den anderen in uns imitieren und damit nur nachstellen, was wir von ihm mitbekommen – und nicht den anderen selbst in seiner Verschiedenheit -, korrigieren die Ergebnisse der Spiegelneuronenversuche in zwei Punkten entscheidend: einmal dadurch, dass sie zeigen, dass die Möglichkeit der Empathie mit einem Artgenossen nicht an die Icherkennung gebunden ist. Sie lässt sich schon im frühesten Schreibabystadium, also noch vor jeder Ichkonstitution zeigen. Zum anderen sind damit der vorindividuellen Mimesis und Empathie Fähigkeiten auch der Sprache vorgeschaltet bzw. unterlegt.

    Das wiederum führt dazu, dass etwa Martin Heideggers Versuch, die Sprache allein dem Menschen zuzuschlagen und den Menschen völlig ohne das Geschrei des Babys zu denken, auf drastische Weise der naturgeschichtliche Boden entzogen wird: Die Sprache ist nicht vom Himmel gefallen, sie hat naturgeschichtliche Vorläufer in den Gehirnstrukturen nicht nur von Menschenbabys, sondern auch von Affen. Das ist die Kurzessenz der Spiegelneuronenforschung – und Lacan hätte sie genossen.

    Gallese verdankt die Entdeckung der Spiegelneurone allerdings einem anderen Helfer, dem in seinem Fall wörtlich zu nehmenden Zufall. Gallese hatte seit den frühen 90er-Jahren an einem bestimmten Hirnareal, dem prämotorischen Cortex von Schweinsaffen (Macaca nemestrina), gearbeitet. Der prämotorische Cortex koordiniert bei den Affen die Planung und Ausführung zielorientierter Bewegungen. Während Gallese einen solchen Versuch aufbaute, gerieten die Neurone seiner Affen bereits auf dieselbe Weise in Erregung wie bei der eigenhändigen Durchführung. Die Affen wussten also, was von ihnen erwartet wurde, und konnten voraussehen, was gleich kommt. Ihre Spiegelneurone arbeiteten dabei höchst selektiv und immer nahe an den Handlungen ihrer menschlichen Versuchsleiter.

    Wenn etwa ein Gegenstand wie eine Hummergabel, die in bestimmten Versuchen zum Einsatz kam, ruhig im Regal liegen blieb, blieben auch die Nervenzellen ruhig. Wurde die Gabel aber vom Forscher in die Hände genommen und für den Versuch präpariert, feuerte die Nervenapparatur in Vorausschau den Versuchsablauf intern durch.

    Gallese und seine Mitarbeiter, die er in seinem Vortrag als „Parma Group“ vorstellte, interessierten sich aber nicht nur für optische Reize als Auslöser, sie testeten auch akustische Stimulantien. Dabei fanden sie heraus, dass bestimmte Neurone aktiviert waren, wenn die Affen Nüsse knackten, beim Nussknacken zusahen oder nur die spezifischen Geräusche hörten, die Affen beim Nussknacken machen. Und es zeigte sich, dass die rein akustische Wahrnehmung den Ablauf einer bekannten Handlung im Affen teilweise heftiger in Gang setzen konnte als ein optischer Stimulus. Interessant ist das, weil der prämotorische Cortex der Affen mit dem Broca-Areal, dem motorischen Sprachzentrum des menschlichen Hirns, homolog, also entwicklungsgeschichtlich verbunden ist. Eben das ebnet den Weg für die Neurosoziologie der menschlichen Sprachentstehung.

  • Eine Affengeschichte:

    Imre Kertész spricht vom „auf Erzählbarkeit gerichteten Leben“, von seinem dabei „ständig ans Nichterzählbare stoßenden, mit dem Nichterzählbaren – natürlich vergeblich – ringenden Leben“. Die Freundin, die mir Kertész nahe legte, meint, es komme einzig darauf an, sich Geschichten zu erzählen – und zwar nichtverwertbare: so wie die zwischen Mutter und Kind ausgetauschten.

    Meine Mutter erzählte in Gesellschaft am liebsten Tiergeschichten. Ich schleppte laufend neue Haustiere an, die sie dann versorgte. Und die ihrerseits dafür meiner Mutter Geschichten lieferten. Für ihre Erzählungen gab ich ihr dann die Stichworte. Später – als selbständiger Erzähler – erlebte ich eigene Tiergeschichten. Z. B. die mit zwei halbwüchsigen Orang-Utans, die ich im Zoo – in dem ich arbeitete – jeden Morgen als Erstes ins Freigehege bringen musste. Das Freigehege war eine Insel in einem See, auf der sich ein Häuschen befand, das den Orangs bei Regen Unterschlupf bot. Ich ging also mit den Affen an den See, bestieg ein Schlauchboot, ruderte rüber zur Insel und ging dort an Land, um das Häuschen zu kontrollieren. Danach musste ich noch vier kleine Kragenbären am Schlafittchen raustragen, wobei sie versuchten, mir die Hand abzubeißen. Das gehört aber nicht hierher.

    Eines Morgens sprangen die beiden Orangs, während ich die Tür ihres Häuschens auf der Insel öffnete, wieder zurück ins Schlauchboot, das durch den Schwung auf den See hinaustrieb. Nun war ich auf der Insel – und kuckte den abtreibenden Affen entsetzt hinterher. Das muss so blöd ausgesehen haben, dass die beiden Orangs sich halb totlachten und vor Vergnügen auf die Gummiwülste schlugen. Mir war bis dahin schon öfter mal ein Tier weggeflogen oder sonstwie abhanden gekommen – ein Pfau, ein Nashornvogel, ein ganzer Schwarm Finken, sodass ich erschrak: Da schwammen mindestens 20.000 Mark. Zum Glück kam dann der Sohn des Zoobesitzers vorbei, sah das Malheur, krempelte seine Hose hoch und griff sich das Schlauchboot im Wasser. Die einzige Folge dieses Zwischenfalls war, dass die Orangs mich seitdem etwas mehr mochten – und nicht mehr in meine Gummistiefel bissen. Und ich mich noch immer gerne an ihr Lachen erinnere.

  • Vorbildaffen:

    Der kalifornische Biologe Robert Zapolsky erforschte in Uganda Paviane,die nach dem plötzlichen Tod des ranghöchsten Männchens diesen Rang in ihrer Horde einfach nicht mehr besetzten – und fortan quasi führerlos, dafür aber um so fröhlicher weiterlebten.

    Als das Naturschutzgebiet und mit ihm die autonome Pavianhorde zerstört wurde, gab er seine Affenforschung auf. Statt weiter positiv zu denken beschäftigt er sich nun u.a. mit Depressionen. In seinem Buch „Warum Zebras keine Magengeschwüre bekommen“ schreibt er: „Vereinfacht dargestellt können Sie sich das Auftreten einer Depression wie folgt vorstellen: Ihr Stammhirn entwickelt einen abstrakten negativen Gedanken und schafft es, den Rest des Gehirns davon zu überzeugen, dass er wirklich ist wie ein realer Stressfaktor.“ Dass es der Zustand der Welt ist, der uns deprimiert, darauf will er sich in seinem Amimaterialismus nicht einlassen.

    Über nicht von einem ranghöchsten Männchen dominierte Pavianhorden forschte im übrigen auch jahrzehntelang der Zürcher Biologe Hans Kummer – in Äthiopien. Paul Parin besuchte ihn einmal in Äthiopien – und berichtete anschließend darüber in einem seiner Erzählbände, die zuletzt Traute Hensch herausgab.

    Über eine andere Variante herrschaftsfreier Affenhorden referierte 1992 ein US-Biologe auf dem internationalen Primatenkongreß in Torremolinos: Er hatte den Kot einer Gruppe Kapuzineraffen genetisch untersucht – und dabei festgestellt, dass kein einziges Junges vom ranghöchsten Männchen abstammte – obwohl dieser quasi die alleinige Vaterschaft in der Gruppe beanspruchte.

    Neulich sah ich einen Film über wild lebende Schimpansen, wie ein Weibchen hinter einem kleinen Felsen mit einem Männchen vögelte und dabei immer wieder über den Stein zum ranghöchsten Männchen schaute, wobei sie ihm mimisch und mit den Händen signalisierte: Es ist alles in Ordnung mit mir, schlaf ruhig weiter, entspann dich!

  • Eine schon etwas zurückliegende Affenschande:

    Freitag den 3.März vermeldeten alle deutschen Intelligenzblätter unisono: „Schimpansen verhalten sich altruistisch!“ Was war da geschehen – oder Neues entdeckt worden?

    Seit über 100 Jahren beweisen die Naturforscher nun schon, dass bei den Mikroorganismen ebenso wie bei den Pflanzen, Tieren und Pilzen die Kooperation und Assoziation, die Gemeinschafts- und Koloniebildung…eine überaus wichtige Rolle spielen. Zur selben Zeit wie der russische Anarchist Peter Kropotkin seine wunderbare Sibirienforschungen und zugleich Geschichtsbetrachtung über „Die gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt“ veröffentlichte (in dem er bereits vorhersagte, dass man das Prinzip der „Mutual Aid“ mit fortschreitender Mikrokopietechnik sogar unter den Bakterien finden werde), formulierten die russischen Botaniker – u.a. Mereschkowsky, Famintsyn und Kozo-Polansky – bereits eine erste „Symbiosetheorie“: Danach bestehen chlorophyllproduzierende Pflanzenzellen aus mehreren Einzellern, die sich zusammengetan haben, Flechten sind nichts anderes als eine Kooperation aus Algen und Pilzen usw.. Inzwischen gehört die daraus hervorgegangene „serielle Endosymbiontentheorie“ der US-Zellforscherin Lynn Margulis längst zum Lehrkanon – und fast täglich wird irgendwo eine weitere oder sogar ganz frische Symbiose irgendwo in der „freien Natur“ entdeckt. Selbst bei unseren männlichen Samenzellen haben sich wahrscheinlich einst zwei Organismen zusammengetan – um gemeinsam schneller ans Ziel zu kommen.

    Bereits in den Siebziger- und Achtzigerjahren war das westdeutsche Wissenschaftsmagazin „Spektrum“ voll von solchen „Symbiose“-Entdeckungen. Und in der DDR war diese Theorie aufgrund ihrer Orientierung an der sowjetischen Forschung immer wenigstens latent präsent gewesen. Diese (Be)funde überraschten höchstens die konventionell-darwinistische Molekularbiologie selbst (vor allem im Westen), denn Darwins „bittere Ironie“, wie Marx das nannte, hatte ja gerade darin bestanden, dass er die asozialen Verkehrsformen der englischen Geschäftswelt auf die gesamte Natur und ihre Geschichte projizierte (Jeder gegen jeden). Man könnte diesen „Reduktionismus“ das „Down“-Syndrom nennen – nach Darwins Domizil. Die davon ausgehende genetische Forschung bewies dann aber – quasi gegen ihren Willen – immer zwingender das Gegenteil: Ohne Sozialismus läuft schier gar nichts unter den Lebewesen – und das weit über die Artgrenzen hinaus; also keine evolutionäre Entwicklung ohne Solidarität und Kollektivität. Nicht wenige Forscher halten inzwischen auch die Körperorgane für Reste einer Symbiose zwischen einst freien Mikroorganismen – wobei der eine sich vom anderen „vereinnahmen“ oder „verstaatlichen“ bzw. „versklaven“ ließ und dabei seine Autonomie verlor – zugunsten einer größeren Nahrungssicherheit. Ja, die ganze Erde mitsamt ihrer Atmosphäre wird bereits als ein zusammenhängender Organismus begriffen: in der so genannten „Gaia-Hypothese“, die auf die ebenfalls über 100 Jahre alte Biosphärentheorie des russischen Wissenschaftlers Wernadsky zurückgeht. Die französischen Marxisten Gilles Deleuze und Félix Guattari machten daraus zuletzt in ihrer „Schizo-Analyse“ ein revolutionäres Werden „organloser Körper“, die sich nomadisierenderweise immer wieder anders zusammenraufen – das geht bis hin zur Mimikry auf Gegenseitigkeit („Werdet wie die Orchidee und die Wespe!“).

    Jetzt ist die Theorie (in den unterschiedlichsten Abschwächungen und Überspitzungen) fast schon der neueste Schrei der Molekularbiologen, wobei sie weiterhin in ihren „Labs“ nach den „Logarithmen des Lebendigen“ fahnden. Den altmodischen Erforschern des Lebens war es dagegen schon immer um „Das soziale Leben“ (in Heuschrecken- und Heringsschwärmen, Bienen- und Termitenstaaten, in Brut- und Jagdgemeinschaften, Herden und Meuten, Familien und Gruppen Gleichaltriger) gegangen.

    Der Kieler Meeresbiologe Adolf Remane begann sein 1960 veröffentlichtes Buch über den damaligen Stand dieser Biosoziologie mit dem Eingeständnis, dass „das soziale Zusammenleben den Menschen große Schwierigkeiten bereitet“. Die Tiere haben also anscheinend sogar weniger Probleme damit! Das war auch schon dem „ersten Naturwissenschaftler“ Aristoteles (vor 2300 Jahren) aufgefallen. Als Beweis hatte er u.a. die vielen „Reisegruppen“ erwähnt, in der man sich wegen jeder Kleinigkeit streitet. In Summa ergab dieser doppelte Zugriff der Biologen, Zell- wie Verhaltensforscher, auf den „Altruismus“ ein schönes Gegengewicht zur deduktionistischen Evolutionstheorie und zur neoliberalen Ideologie, in der eher die Asozialität betont wurde – und wird.

    So berichtete z.B. gerade die Studentin Jana aus einem Betriebswirtschafts-Seminar an der Viadrina in Frankfurt/Oder: „Neulich sagte der Professor zu uns: ‚Wenn ich andern Gutes tue, tu ich mir selbst nichts Gutes…‘ Und das haben alle brav mitgeschrieben!“ Wollten die Intelligenzblätter da am letzten Freitag synchron (nicht koordiniert!) gegensteuern – mit ihrem Affen-Altruismus als schwachen Begriff. Fast in jedem Artikel wurde nämlich von der Schimpansenforschung des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie (EVA) im Leipziger Zoo auf ein, zwei, drei Beispiele brav-bürgerschaftlichen Engagements in unserem Alltag geschlossen – oder auch umgekehrt. Dem linksliberalen Feuilleton ist das langsame Fading-Away „Des sozialen Lebens der Menschen“ wohl auch unheimlich geworden, dachte ich zuerst.

    Bis ich einen der Artikel gründlich las: So selbstlos sind sie dann doch nicht! Die Schimpansen – ebenso wie Menschen – scheinen sogar eine natürliche Abneigung gegenüber dem Altruismus – als starken Begriff – zu haben, und rotten sich insofern auch wohl nicht so leicht gegen die da oben zusammen. Aber bei einfachen kleinen „Erste Hilfe“-Aktionen kooperieren sie schon mal gerne!

    Diese allseits beruhigende „Meldung“ aus dem bereits seit Jahrzehnten mit Schimpansen forschenden Leipziger „Thinktank“ der Wissenschaftler und Tierpfleger wäre nie so in so viele, schier selbstgleichgeschaltete Feuilletons gelangt, wenn sie nicht zuvor das US-Magazin „Sciene“ veröffentlicht hätte. Die Leipziger hatten es damit geschafft: bis in das renommierteste Wissenschaftsorgan der Welt rein zu kommen! Das war die Botschaft, der Tenor vielleicht von ganz Leipzig, dessen naturwissenschaftliche Abteilung neuerdings als „Bio-City“ firmiert. Gleichzeitig drängt die Max-Planck-Gesellschaft in toto ihre Mitarbeiter, immer mehr auf Amerikanisch zu veröffentlichen.

    Diesem angewandten Sozialdarwinismus gegenüber fiel es keinem einzigen Feuilletonisten (als Comrad in Crime) ein, den wiederentdeckten „Leipziger Altruismus“ beispielsweise mit dem berühmten Jerusalemer Ornithologen Amoz Zahavi als „Handicap“ abzutun. Dessen Überlegungen anhand von Beobachtungen wilder Vögeln (und nicht an zahmen, dazu noch verwaisten Schimpansen) veröffentlichte bereits die von Birgit Breuel geleitete „Expo 2000“ in Hannover – im Kontext eines Katalogs über „Hyperorganismen“. Zahavis Text fungierte darin als eine Art radikale Gegenposition zu einem Beitrag von Margulis, die ihr Forschungsmodell „Symbiose“ über fast alles Lebendige stülpt – wobei sie folgerichtig auch laufend neue Individuen unterschiedlicher Arten entdeckt, die sich zusammengetan haben. Zahavi, der sich insbesondere mit der „Hilfe beim Nestbau und beim Füttern von Lärmdrosseln“ beschäftigte, sowie auch mit dem „angeblichen Altruismus von Schleimpilzen“, hat dabei zwar nichts Neues entdeckt, aber er interpretiert diese fast klassischen Fälle von Kooperation nun einfach in „ein selbstsüchtiges Verhalten“ um, das er dann mit Darwinscher BWL-Logik durchdekliniert: „die Individuen wetteifern untereinander darum, in die Gruppeninteressen zu investieren…Ranghöhere halten rangniedere Tiere oft davon ab, der Gruppe zu helfen.“ Es ist von „Werbung“, „Qualität des Investors“ und „Motivationen“ die Rede. Zuletzt führt Zahavi das Helfenwollen quasi mikronietzscheanisch auf ein egoistisches Gen zurück, indem die „individuelle Selektion“ eben „Einmischung und Wettstreit um Gelegenheiten zum Helfen“ begünstige – der „Selektionsmechanismus“ aber ansonsten erhalten bleibe. Na, dann ist ja alles in Ordnung! Aber ob man damit den Neodarwinismus retten kann?

    Interessant fand ich jedoch die dabei von ihm erwähnte Beobachtung an Pinguinen, bei denen sich manchmal alleingelassene Jungvögel vor ihren vielen männlichen Helfern, die sie partout wärmen und beschützen wollen, geradezu fluchtartig in Sicherheit bringen müssen, um nicht von ihnen erdrückt zu werden…

    Aber das wußten wir auch schon lange: dass unsere ganzen Helfer – Sozialarbeiter, NGOs und Hilfsvereine – sich zumeist von niedrigen Motiven leiten lassen. Wobei bisher kein vernünftiger Mensch daran gedacht hat, diese ausgerechnet bei „niedrigeren Arten“ dingfest zu machen – im Gegenteil: Je höher die Enwicklung der Natur, desto weniger Kultur! Auch dazu hat die neuere Zellforschung Erhellendes beigesteuert: Die Bakterien z.B. hatten 3,5 Milliarden Jahre mehr Zeit als wir, aus ihrer Biomasse erst einen Biofilm und schließlich ein stabiles Soziotop zu machen. Manche Biologen meinen sogar, dass wir – die Säugetiere – unsere ganze Existenz bloß ihnen zu verdanken haben: Damit sie – die Bakterien – immer ein ausreichendes Nährmedium zur Verfügung haben. – Und das könne man nun wirklich „Intelligent Design“ nennen.

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