vonHelmut Höge 08.04.2009

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Für den französischen Wissenssoziologen Bruno Latour sind die „Speed-Breaker” und „Poller“ – wie im blog-eintrag vom 18.3.09 bereits erwähnt – gelungene Beispiele zur Illustrierung seiner  “Akteur-Netzwerk-Theorie”, mit der er die alte (moderne) Wissens-Dichotomie von Subjekt und Objekt, Natur und Gesellschaft, überwinden will.

Latour möchte in gewisser Weise noch einmal wieder von vorne anfangen – beim „wilden Denken“ der sogenannten Primitiven, dazu hier ein Zitat von Claude Lévi-Strauss:

„Ein exotischer Beobachter würde fraglos meinen, der Autoverkehr im Zentrum einer großen Stadt oder auf einer Autobahn überschreite die menschlichen Fähigkeiten; und er überschreitet sie tatsächlich, insofern er nicht Menschen und Naturgesetze einander genau gegenüberstellt, sondern Systeme von Naturkräften, die durch die Absicht der Fahrer humanisiert sind, und Menschen, die durch die physikalische Energie, zu deren Mittler sie sich machen, in Naturkräfte verwandelt sind. Es handelt sich nicht mehr um die Wirkung eines Agens auf einen leblosen Gegenstand noch um die Rückwirkung eines zum Agens aufgestiegenen Gegenstandes auf ein Subjekt, das sich zu seinen Gunsten entmachtet hat, ohne eine Gegenleistung zu verlangen, d.h. also um Situationen, die auf der einen oder anderen Seite ein bestimmtes Quantum Passivität enthalten, sondern die Wesen stehen einander als Subjekte und zugleich als Objekte gegenüber; und in dem Code, den sie verwenden, hat eine einfache Änderung der Entfernung, die sie trennt, die Kraft einer stummen Beschwörungsformel.“ („Das wilde Denken, 1973, S. 257)

Auf den zwei Photos hier (von Peter Grosse) haben wir es zwar mit (Verkehrs-) Unfällen zu tun, die aus einer Kollision zwischen Passanten und  Staatspoller  bestehen,  der gleiche Vorgang könnte sich jedoch auch   mit Hausmeister- bzw. FM-Poller ereignen. Für beide gilt, wenn sie statt eines Hinweisschildes aufgestellt wurden: Der Fußgänger im Straßenverkehr „fällt [damit] aus der Moral in das Reich des Zwangs zurück“ (P. Latour). Und dagegen wehrt er sich – in den oben und unten abgebildeten Fällen dadurch dass er seinerseits „Zwang“ ausübt (gegen den Poller). Vielleicht mit der Bemerkung: „Das verdammte Ding stand mir im Weg. Ich hatte es eilig!“ wenn man ihn denn danach fragen würde. Die Tiefbauämter fragen jedoch nicht (mehr), auch keine Autofahrer, die Poller umgefahren haben, selbst wenn sie deren KFZ-Kennzeichen kennen. Sie stellen die „Dinger“ einfach wieder auf bzw. ersetzen sie durch neue. Und damit hat es sich.

Die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ befragte Latour, was es mit seiner  neuen Sicht auf solche oder ähnliche „Dinger“ auf sich hat:

ZEIT: Was heißt für Sie „Dinge“? Sie unterscheiden nicht zwischen Objekten und Subjekten, sondern zwischen Menschen und nichtmenschlichen Wesen. Warum?

LATOUR: Ich wollte den alten Gegensatz von Subjekt und Objekt hinter uns lassen. Der isolierte Geist und die kalten, toten Dinge, das ist eine Unterscheidung, die sich Descartes, Kant und der modernen Wissenschaft verdankt, aber sie ist überholt. Die Dinge sind zu Hybriden, zu Mischwesen geworden. Menschen und Dinge sind ja ineinander verschränkt. Wir hängen von ihnen ab, sie wirken auf uns ein. Und bilden mit uns gemeinsam Kollektive.

ZEIT: Zum Beispiel?

LATOUR: Der Aids-Virus, die Homosexuellen, die Virologen, die Medikamente bilden solch eine Assoziation von Menschen und Nichtmenschlichem. Eine verlangsamende Straßenschwelle, Poller, Verkehrsplaner und Autos: noch ein Kollektiv. Je weiter die Technik fortschreitet, desto mehr vermengen sich Dinge und Menschen, die ein gemeinsames Schicksal teilen.

ZEIT: Sie sprechen mit Empathie für die Dinge. Weil sie sich nicht wehren können?

LATOUR: Der Ökologie geht es um allerhand Wesen, die von uns abhängen, Wälder, Gewässer, Tiere. Die Frage ist nun, welche Politik zu dieser Situation passt. Welche Institutionen wir für eine demokratische Politik der Dinge, für eine Politik der Natur brauchen. Die Wissenschaftler sind nur Parlamentarier unter anderen inmitten einer Vielzahl von Lobbyisten. Wir müssen klären, wer mit in die Arena gehört.

ZEIT: Und wer nicht.

LATOUR: Sicher, es wird auch darum gehen, Feinde auszuschließen, in der Bereitschaft, sie später wieder aufzunehmen. Die wichtigsten Fragen heißen heute: Wer von den Milliarden Wesen, ob menschlich oder nichtmenschlich, wird in Betracht gezogen? Und: Um welchen Preis sind wir bereit, gut miteinander zu leben? Wir haben lange den Frauen und Sklaven das Stimmrecht verweigert. Heute stellt sich die Frage neu, wer es erhält und wer nicht.

ZEIT: Die Vorschläge in Hoffnung der Pandora sind nicht eben leicht zu verstehen. Welche Wesen sollen in Ihrem Parlament vertreten sein? Alle Mischwesen vom verschmutzten Wasser über das Tiermehl bis zum Chip in der Netzhaut?

LATOUR: Das ist genau die Frage. Wir leben in einem gewaltigen Laboratorium – das ist heute die ganze Welt -, in dem viele experimentieren. Da wird an allerhand Dingen gearbeitet, ohne dass wir deren Zustimmung erhalten hätten. Das Tiermehl wurde ja ebenso wenig um seine Meinung gebeten wie die Kühe. Der Autoverkehr ist ein anderes Beispiel: In diesem Versuch kommen auf den Straßen jährlich Tausende von Leuten um. Das scheint ein Experiment zu sein, dem kollektiv zugestimmt wird. Diese Toten gehören heute, unausgesprochen, zu den Ausgeschlossenen. Aber gegen ein paar hundert Tote durch den Rinderwahnsinn spricht sich eine Mehrheit aus.

Lange Rede kurzer Sinn: Latour plädiert für ein „Parlament der Dinge“ und dafür, dass darin auch Poller – ebenso wie z.B. wahnsinnige Rinder und Bakterien – eine Stimme haben. Im Falle der FM-Poller ist das noch relativ einfach: Indem man nämlich die Hausmeister zu Wort kommen läßt, d.h. indem man sie fragt,  warum sie  diesen oder jenen Poller aufgestellt und wie sie ihn gebastelt haben. Übrigens ist auch das „Basteln“ ein Wort, das Claude Lévi-Strauss oft und gerne verwendet. In einer Seminarankündigung „Stadt der Träume“ der Zürcher Hochschule der Künste heißt es dazu:

„Der Begriff Basteln hatte lange Zeit – teilweise heute noch – eine abschätzige Bedeutung. Er wurde angewendet, um eine mehr schlecht als recht gemachte Arbeit zu bezeichnen. Erst der Ethnologe Claude Lévi-Strauss verlieh ihm in seinem Buch ‚La pensée sauvage‘ einen sozial- und kulturwissenschaftlichen Glanz.
Der Bastler verwendet alles, was er um sich herum findet. Er bringt es fertig, mit dem was ihm in die Hände kommt auszukommen. Oft verwendet der Bastler das Material in ungebräuchlicher Weise, um daraus ein trotzig praktisches oder fantasievoll dekoratives Objekt zu produzieren. Diese Gegenstände repräsentieren nicht das perfekte Produkt einer planvollen Ingenieursarbeit, sondern mehr ein Werk von vorhandenen Materialien, welche zusammengefügt wurden, wie sich die Gelegenheit ergab.
Basteln ist eine Geisteshaltung, die uns veranlasst, zu probieren, zu erforschen, zu improvisieren und zu erfinden. Eine geistige Einstellung, die auf die Erarbeitung von Fähigkeiten hinausläuft, mit denen ein Individuum rasch und effektvoll sein einzigartiges, persönliches Universum erstellen kann. Basteln dient somit der der Förderung improvisatorischer Fähigkeiten, der Entwicklung persönlicher Technologien.
Nach verschiedenen Kurzübungen zu Beginn folgt ein längeres Einzelprojekt zum Thema „Stadt der Träume“. Ausgehend von der persönlichen Vorstellung, was in einer Traumstadt alles angeboten wird, soll gemeinsam in der Klasse eine Stadt entworfen, und überzeugend inszeniert werden. Dabei wird vorwiegend im Massstab 1:1 gearbeitet. Zusätzlich zur Projektarbeit werden wir Personen und Firmen besuchen, die mit verschiedenen Ansprüchen Welten basteln oder dekorieren.“

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2009/04/08/fm-science-studies_2/

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