vonHelmut Höge 30.04.2009

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Das Argument ist der eine Behauptung veranschaulichende Beweisgrund einer Sache. Und behauptet wurde die Möglichkeit einer nicht vom Wertgesetz zusammengehaltenen Gesellschaft. Das erste „Argument“-Heft erschien am 4.Mai 1959 und war ein erweitertes Flugblatt der FU-„Studentengruppe gegen Atomrüstung“, das der  Philosophie-Student und spätere -Professor Wolfgang Fritz Haug verantwortete.

Schon bald gab es einen „Argument-Club“ – und mehrere Arbeitskreise, u.a. zur „Kritik der Faschismus-Theorien“. Diese „Brüderhorde“ zersetzte dann die Soziologin Frigga durch Heirat von „Wolf“   Haug. 1962 gab sie das 1. Argument-Heft zur „Emanzipation der Frau“ heraus. Dem folgte später eine eigenständige „Frauenredaktion“. Aus der „Marburger Schule“ der orthodoxen DKPnahen Marxisten distanzierten sich daraufhin einige vom  „Argument-Marxismus“, der sich laut W.F.Haug 1965 „geradezu auftrumpfend zu Wort gemeldet hatte – als ein „pluraler“.

Heute, nach 280 Argument-Heften und 300 -Büchern, führt Frigga Haug zusammen mit ihrer Tochter Elsa Laudan den Verlag, zwischenzeitlich war sie Professorin in Hamburg (aber „seit 1965 ist das Argument mein Leben“). Ihr Mann konzentriert sich seit 1995 auf die Herausgabe des „Historisch-kritischen Wörterbuchs des Marxismus“ im „Institut für Kritische Theorie“ (eine „Argument“-Gründung). Bis zu seiner 50. Ausgabe hieß die Zeitschrift „Berliner Hefte für Probleme der Gesellschaft“, ab da „Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften“. Die wörtliche Nähe zum Frankfurter Institut von Horkheimer und Adorno und ihrer  Zeitschrift für Sozialforschung war und ist gewollt. Das gilt auch für  die spätere Gründung eines Hamburger Instituts – durch Jan Philip Reemtsma. Während dieses „Projekt“  aber mit Geld realisiert wurde, waren die Haugs auf das Soziale angewiesen, d.h. auf eine sich ausbreitende „Argument“-Bewegung. „Es waren Dutzende, die zum in seiner Zusammensetzung wechselnden innersten Kreis gehört haben, und buchstäblich Tausende, die über die Jahre in der einen oder anderen Form mitgewirkt haben,“ schreibt W.F.Haug in einem Rückblick.

Zunächst lehnte sich sein „A-Team“ an den SDS, gleichzeitig lehnte es auch die Zusammenarbeit mit den Parteitheoretikern Drüben nicht ab. Zum  SDS gingen sie aber bald auf Distanz – indem sie seine Politik als „linkes Abenteuertum“ begriffen. Mit den Revis im Osten geschah das selbe – von der anderen Seite. Danach sprach z.B. Rudi Dutschke abfällig vom „SED-W-Haug“. Nichtsdestotrotz lehnte dieser die These in einem Streitgespräch mit dem SED-Philosophen Friedrich Tomberg vehement ab, dass ein marxistischer Intellektueller sich einer  Parteilinie denkerisch unterordnen müsse.

Der Haug-Kreis  streckte seine gedanklichen Fühler in alle Richtungen: „Sexualität und Herrschaft, Probleme der Ästhetik, der Entwicklungsländer, des Städtebaus, Feminismus, Film marxistische Erkenntnistheorie, Arbeiterbewegung und Streitfragen materialistischer Dialektik“. Daneben gibt es noch Schriftenreihen zur Kritischen Medizin und Psychologie.  Wolf Haug habilitierte sich einst mit einer „Kritik der Warenästhetik“. Diese wurde gerade neuveröffentlicht. Und nach wie vor könnte man den KPI-Theoretiker Antonio Gramsci und den Exil-Schriftsteller Peter Weiss zu den Argument-Vorbildern  zählen.

1977/78, zu Zeiten des Tunix-Kongresses,  erlebte das Aufklärungsunternehmen einen herben Rückschlag – an Auflagenhöhen. Das linke gebildete Publikum wandte sich mehr und mehr den französischen Denkern zu. Vollends nach dem „Mauerbruch“ war es vor allem die inzwischen nicht mehr autonome Frauenredaktion, die mit Autoren wie Judith Butler und Donna Haraway in den Diskussionskonjunkturen mittat. Zum 50jährigen Bestehen erschien nun  ein Sonderband. In ihm geht es um die Frage, ob der „kritische Intellektuelle“ heute überhaupt noch eine Daseinsberechtigung habe. Bereits 1966 hatte sich ein Argument-Heft mit den „Theorien der Vergeblichkeit“ auseinandergesetzt.

Ich kaufte mir ab 1969 immer mal wieder ein „Argument“-Heft, hatte aber mit diesem „Kreis“ ansonsten lange Zeit nicht viel Berührung. Das änderte sich erst in den letzten Jahren – da die Frauenredaktion immer mal wieder Texte von Judith Butler und Donna Haraway  veröffentlichte. Seltsamerweise finden sich nur in den Beiträgen der letzteren Hinweise auf die „Akteur-Netzwerk-Theorie“ (ANT) von Bruno Latour und anderen. In keinem einzigen anderen  „Argument“-Heft oder -Buch wird dieser inzwischen zu einem internationalen Netzwerk ausgeuferte Theorieansatz diskutiert, den vor allem Umweltsoziologen und Wissenschaftshistorikern rezipieren. Gerade fand z.B. in Weimar ein „internationaler Kongreß“ dazu statt – er hieß „Die Macht der Dinge“. Und davor fand einer in Wien statt, dessen Ergebnisse der transcript-verlag unter dem Titel „Verschwindet die Natur“ veröffentlichte. Ein anderer Sammelband, in dem die ANT kritisch diskutiert wird, heißt „Bruno Latours Kollektive“, er erschien im Suhrkamp-Verlag. Daneben gibt auch der Merve-Verlag immer mal wieder kleine Texte von Latour heraus. Dessen Buch „Das Parlament der Dinge. Für eine politische Ökologie“ liegt beim Suhrkamp-Verlag, der seltsamerweise die Neuauflage immer wieder verschiebt. Das erinnert an Jürgen Habermas‘, der seinerzeit als Herausgeber der Reihe suhrkamp-Wissenschaft damit drohte, zurückzutreten, wenn der Verlag die Veröffentlichung von französischen Theoretikern wie Foucault, Derrida, Baudrillard, Lyotard, Serres etc. nicht drossele. Ähnlich drosselte auch der „Argument“-Verlag in den letzten Jahrzehnten die Diskussion dieser Franzmänner – bis hin zu Latour. So scheint es mir wenigstens. An sich nicht weiter schlimm – wäre es nicht ihrer (osteuropäischen) Marx-Orthodoxie geschuldet, wie ich vermute.

Einmal überraschte mich der Westberliner Verlag von Bernd und Karin Kramer mit der Veröffentlichung eines Textes aus diesem orthodoxen „Kreis“:

„Begegnungen mit Louis Althusser“ heißt ein neues Buch aus dem Kramer-Verlag, das mir taz-Kulturredakteur Harry in die Hand drückte. Darin lag eine Karte: „Lieber Jörg, Höge rückte endlich mit Deinem Namen heraus…“ Armer Verleger Kramer: Mehrmals gab ich ihm dem Namen des Literaturredakteurs, und als er diesem endlich das Buch schickte, war der bereits im Urlaub, so daß es doch bei mir landete. Das hätte er einfacher haben können. Auch daß dieses Manuskript in einem Anarcho-Verlag landete, ist merkwürdig, denn die Autorin – Gudrun Werner- Hervieu – stammt aus dem Holzkamp-Institut für Psychologie, dessen Spaltung in den Siebzigerjahren den Höhepunkt des Revisionismus in Westberlin markierte. Damals machte sich plötzlich neben den Mao- Gruppen überall auch die SED- nahe Aktionsgemeinschaft Demokratische Sozialisten breit, bei den FU-Psychologen übernahmen sie fast das ganze Haus.

Die Autorin wird damals ein ziemlicher Streber gewesen sein, jetzt lächelt sie auf dem Cover als Blondine mit einer Zigarette in der Mountainbikehandschuh- Hand – und schreibt: Die „marxistische Erkenntnistheorie etc. waren sozusagen selbstauferlegte Pflichtübungen“. Das ist halb falsch: Es war Pflicht für die Psychologiestudenten. Und das war der Fehler: Den Marxismus darf man nicht mit deutschen Staatsgeldern lehren! Und dann auch noch die Studenten dazu zwingen! Das ist genauso verwerflich wie jetzt das Verlangen der Feministen nach Polizei und Gesetz, um den Frauenaktionsradius zu erweitern. Aber die selbstsowjetisierten FU-Psychologen fanden damals einen Ausweg: Althusser, der für die „Errungenschaften von 68“ kämpfte und gleichzeitig in der KPF organisiert war. Fast alle seine Mitkämpfer wurden später daran irre oder brachten sich um. Das wenigstens ehrt sie, so daß auch Kramer mit so einem Revi-Buch aus dem Schneider ist.

Er hat es listig in die derzeitige Berliner Althusser-Konjunktur geworfen. Die Autorin hatte Althusser 1976 in Paris kennengelernt und stand fast bis zu seinem Tod mit ihm in Kontakt. Jetzt veröffentlichte sie etliche Auszüge aus seinen Briefen sowie einige ältere taz-Artikel von ihr. Man wundert sich, auf welch hohem theoretischen Niveau der Feminismus damals in der taz diskutierte. Von da aus gelangte er auch zu Althusser: „Ich bin mir ziemlich sicher, daß ein Großteil der Anregungen, die er zum Thema Feminismus erfuhr, von mir kam… Die neue deutsche Frauenbewegung war um einiges radikaler als die französische. Sie setzte die feministische Devise ,Das Private ist politisch‘ mit größerer Entschlossenheit und Konsequenz in die Praxis um.“

Althusser bezeichnete Simone de Beauvoir einmal als „dumme Staatsfeministin“. Auch gegenüber der Autorin war er gelegentlich barsch – zu ihrem Dissertations-Konzept meinte er: „,Das ist völliger Quatsch!‘ – nicht die Produktionsverhältnisse, sondern der Klassenkampf seien der Motor der Geschichte… Er verkörperte und dachte beides: das Unterworfensein wie die Befreiung. Er war Materialist und Optimist in einem. Eine seltene Mischung!“ Als die Autorin sich am FU-Institut gerade das ganze Sowjet-Zeug reinwürgte, gab es so etwas auch in Berlin: und nicht einmal selten! Z.B. in jener Theorie- und Zeitschriftengruppe, die aus den SDS-Basisgruppen hervorgegangen war und sich „Die soziale Revolution ist keine Parteisache“ nannte. Dort wurde jede Lebensäußerung materialistisch „reduziert“, gleichzeitig gaben einige aus dieser Gruppe aber die amiinspirierte Zeitung „Hundert Blumen“ heraus, mit der „jede Form von Nonkonformismus“ gefeatured wurde.

Diese Anmerkungen hier sollen jedoch nicht das anrührende Buch von Frau Werner-Hervieu madig machen. 1987 schrieb Althusser ihr ein letztes Mal: „…er sei verloren in jedem Sinn des Wortes, von schwarzen Gedanken heimgesucht und – er gestand mir seine Liebe. Alle weiteren Versuche, mit ihm Kontakt aufzunehmen, verliefen im Sande.“

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