vonHelmut Höge 11.06.2009

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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„Poller mit Witz“ – so nennen Stadtplaner multifunktionale Verkehrsabweiser. Also solche Poller, die zusätzlich noch als Fahrradständer oder zum Hunde anbinden funktionieren, auf denen man sitzen kann oder in denen sich Steckdosen für Verkaufsstände (z.B. auf Wochenmärkten) befinden, auf denen Lampen installiert wurden oder denen man Tüten zur Beseitigung von Hundekot entnehmen kann. Vor den Botschaften und Regierungsgebäuden gibt es vielleicht auch bald Poller, die man mit wenigen Handgriffen zu einem Maschinengewehr oder Granatwerfer umrüsten kann. Da würde sich dann ein Produktzyklus ründen, denn die Poller, die man einst vor diesen Gebäuden eingrub, bestanden aus ausrangierten Kanonen.

In Hamburg, wo im Gegensatz zu Hannover nur wenige Hausmeister Poller gepflanzt haben, hat dafür die Stadtverwaltung gerne „Poller mit Witz“ in Auftrag gegeben. In Hannover, das ist klar, regen die vielen „Drop Sculptures“ im Straßenraum die Hausmeister ständig zur Produktion eigener Poller an, in Hamburg haben sie dagegen Besseres zu tun. Deswegen sind hier der „Phantasie“ der Tiefbauämter „keine Grenzen gesetzt“.

Das folgende Photo zeigt zwei Hamburger Staatspoller am S-Bahnhof Sternschanze, die man zu einer Sitzbank erweitert hat. Da damit zugleich die ursprüngliche Funktion, nämlich den Verkehr abzuweisen, in sein Gegenteil verkehrt wurde, hat sich der Designer quasi selbst ins Knie geschossen – mit seiner aufregenden Konstruktion:

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Das folgende Photo zeigt den Parkplatz-Poller einer Kreuzberger Kirche, den man zu einem mehrsprachigen Botschaftsträger erweiterte. Auch bei dieser Konstruktion sind praktische Zweifel erlaubt – aber auch ästhetische: Laut Michael Rutschky hat das Kleinbürgertum einen unwiderstehlichen Hang, Schönes mit Nützlichem zu verbinden: Beispielhaft sind dem Kulturkritiker dafür die ebenso hässlichen wie unpraktischen Souvenir-Geschenke – etwa Muscheln mit Thermometer aus Borkum, kleine kuwaitische Kamele aus Echthaar, die als Portemonnaie dienen sollen, auch die viel gerühmten, Augen ruinierenden „Minibücher“ der DDR gehören noch dazu…

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Auch hierbei behauptet der Türenphotograph Martin Reuter, im Hauptberuf Dialogforscher in Kassel, dass es sich dabei um zwei Multifunktionspoller handelt, die vor der Tür stehen:

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Und dieses Photo zeigt einen frühen Versuch mit Multifunktionspollern in Amerika. „Dieser erste Versuch, Kühlschränke gleichzeitig als Poller zu verwenden, wurde jedoch nicht weiter erprobt,“ schreibt dazu der Pollerphotograph und -photosammler Peter Grosse:

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Dieser lange Poller läßt sich zugleich als Heldengedenk-Stele und somit als Kranzabwurfstelle nutzen. Photo Peter Grosse:

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Einen besonders extravaganten Multifunktionspoller photographierte Peter Grosse in Süd-Georgien im Südatlantik: Er weist den Verkehr ab und spendet zur Not auch Fett, Tran, Leder und andere Dinge des täglichen Bedarfs.

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Die dortigen Inselbewohner haben sogar Verkehrsschilder aufgestellt, die ihren Mühsamen und Hungrigen Hoffnung machen – und gleichzeitig den fließenden Verkehr warnen: „Living Speed-Breaker Ahead“:

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Die Verwaltung von Süd-Georgien hat noch andere – ähnlich seltsame – Schilder aufgestellt. Dieses photographierte Karin Harasser aus Wien:

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Den Vogel schießen natürlich wieder mal die Amis ab: Auf diesem Parkdeck der Universität von Wisconsin hat man die Poller mit ornithologischen Beobachtungsstationen verbunden. Photo: Peter Grosse:

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Aber es gibt auch Poller mit nahezu ohne Witz – wie z.B. diesen hier:

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Und dann gibt es natürlich auch noch Witze ohne Poller:

Neulich bat mich Christoph Ludszoweit von der Internationalen B.Traven-Gesellschaft um Beihilfe für ein Witzbuch, das er im Kramer-Verlag herausgeben und in seinem Unterricht „Deutsch für Ausländer“, was sein Brotjob ist, verwenden will.

Wir verabredeten uns am ersten Sonntag im Mai vorm „Café Jenseits“ am Heinrichplatz, um den Wirt, einen anerkannten DDR-Witzforscher, zu interviewen. Er sollte uns helfen, erst einmal Grundsätzliches zu klären.

Seit 1989 wird an jedem ersten Sonntag im Mai der „Weltlachtag“ gefeiert – lachend natürlich: „With a Smile on my Face – for the whole Human Race!“ (Dean Martin) Begründet hat ihn ein Buddhist und Arzt aus Bombay. Die Idee dazu stammt aber eigentlich von einem Amerikaner, der an einer unheilbaren Krankheit litt: Als die Ärzte ihn aufgaben, zog er sich mit einem Vitaminpillenvorrat und hundert Stummfilmen (von Buster Keaton, Charly Chaplin, Harold Lloyd u.a.) in sein Krankenzimmer zurück, um sich tot zu lachen. Zu seiner eigenen Überraschung genas er jedoch – und hat heute eine Medizinprofessur in Wisconsin inne.

Beim letzten „Weltlachtag“ 2008 befand ich mich gerade in Zürich. Dort findet an diesem Tag immer eine „Lachparade“ statt. Dazu organisieren verschiedene kommunale Ausschüsse jedesmal ein umfangreiches Bühnenprogramm – mit Clowns, Kabarettisten und Humorexperten. Leider waren ihre belachtesten Beiträge im besonders hartnäckigen Schweizer Dialekt gehalten, den ich kaum verstand. Und als ich zu später Stunde gebeten wurde, selbst einen (Berliner) Witz zum Besten zu geben – fiel mir keiner ein.

Wieder zurück in Berlin wurde ich zu allem Überfluß als erstes mit der hiesigen Witzlosigkeit konfrontiert: Die Tochter einer Freundin aus Marzahn bewarb sich bei der Polizei – und wurde abgewiesen, mit der Begründung – sie würde zu sehr „Berlinern“. Der Berliner Dialekt ist „die jüngste deutsche Sprache – und sie wird auch wohl die erste sein, die wieder verschwindet, weil sie ein so junges Kompositum ist,“ meint der DDR-Witzforscher Clement de Wroblewsky. Ihm zufolge beginnt „eine Sprache mit ihrer Literaturwürdigkeit.“ Man könnte deswegen eine Genealogie ihrer „Kultivierer“ – Sammler und Verwerter – aufstellen, beginnend z.B. mit dem Berliner Zeichner Franz Dörbeck (1799-1835). Dem Internetmedium Wikipedia gilt er als „Erfinder“ des Berliner Witzes. Dieser Witz wurde aber etwa zur gleichen Zeit z.B. auch von der Salondame Rachel Varnhagen gepflegt, u.a. in Briefen an ihren Mann in Wiepersdorf – ohne dass sie die Autorenschaft dafür beanspruchte.

Als nächstes muß der Humorist Adolph Glaßbrenner (1810 – 1876) erwähnt werden, dem man seinerzeit den Ehrentitel „Vater des Berliner Witzes“ verlieh – insbesondere wegen seiner Schriftenreihe „Berlin wie es ist und – trinkt“. Laut dem Westberliner Witzforscher Lothar Binger konnte Glaßbrenner sich jedoch erst im „Revolutionsjahr 1848 endlich offen zu seiner Witzstrategie bekennen.“ In jenen Jahren verbreitete sich der Berliner Witz als Gassenhauer, Lied, Couplet und Posse auch über die Bühnen und es traten immer mehr berufsmäßige Witzeerzähler auf. Auch die Gegenseite war nicht aufs Maul gefallen: Als der „ärgste Feind der 48er-Revolution“ – General Wrangel – mit seinen Soldaten in Berlin aufmarschierte, ergab sich die Bürgerwehr kampflos, obwohl ihr Kommandant erklärt hatte, sie werde nur der Gewalt weichen. „Na, denn weichen Se man; die Jewalt ist nämlich da,“ soll Wrangel ihm geantwortet haben.

Auf Glaßbrenner folgte der 1820 geborene David Kalisch, er gründete 1848 die Zeitschrift „Kladderadatsch“. Wegen seiner literarischen Verdienste bekam Kalisch, als er 1872 starb, ein Ehrengrab in Berlin. Als nächstes tat sich wieder ein Zeichner hervor: Heinrich Zille (1858-1929) – er porträtierte das Berliner „Milljöh“ – der Mietskasernen und des Subproletariats. Absurderweise wurde mit ihm der Berliner Witz, wie Lothar Binger schreibt, „zum Wirtschaftsfaktor, als in den Zwanziger Jahren die Vermarktung des sozialkritischen Zeichners begann.“ Ähnlich Absurdes schwebte dem „Zeit-Publizisten“ Klaus Hartung vor, als er nach dem Verstummen des Berliner Witzes infolge des Mauerfalls forderte, die „Berliner Gesellschaft“ müsse wieder „Sprache, Stil, Witz und Themen entwickeln.“

Was Zille mit seinen Zeichnungen – war dann Claire Waldoff (1884-1957) mit ihren Liedern, in denen sie laut Binger „sozial gehobene Zillegestalten mit unbekümmerter, unbeschwerter, problemfreier geschlechtlicher Triebkraft“ porträtierte – „unanstößig“, wie Kurt Tucholsky meinte. Der Satiriker Tucholsky, dessen Milieustudien in viele Richtungen gingen, „erhob den örtlichen Slang zu unvergänglicher Literatur, er brachte seine Berliner Mitbürger unzähligen Menschen nahe“ (L.Binger). 1935 nahm Tucholsky sich jedoch, gerade vierzigjährig geworden, in Göteborg das Leben.

Spätestens ab der Reichsgründung 1871 wurde der Berliner Dialekt und sein Witz auch bekämpft – vorneweg von Gymnasiallehrern und Professoren: Wer berlinerte, galt als ungebildet! Albert Lortzing sprach von einem „ekelhaften Dialekt“, in der Wende tat man ihn im Westen als „Proletendeutsch“ ab. Neuerdings hat die Potsdamer Sprachforscherin Heike Wiese die von den Jugendlichen in den Westberliner Migrantenvierteln gesprochene „Kiez-Sprache“ gegen ihre Diffamierung als „doppelte Halbsprachigkeit“ verteidigt, indem sie ihren „Witz“ betonte. Als Beispiel dafür sei hier die Drohung „Isch mach disch urban!“ erwähnt (mit Urban ist das Kreuzberger Zentralkrankenhaus gemeint). Hundert Jahre zuvor hieß es – in einer ähnlichen Situation: „Dir soll ick woll dezentralisieren?“

Nach dem Zweiten Weltkrieg brauchte es erst einmal eine Weile, bis das Berlinische wieder literarisch wurde – im Osten ging dies schneller als im Westen. So wie auch ein großer Teil des „Liedguts“ dort sofort wieder „gepflegt“ wurde. 1984 erschien Clement de Wroblewskys Buch „Wo wir sind, ist vorn. Der politische Witz in der DDR“. Es stieß auf so große Resonanz u.a. bei den Germanisten an amerikanischen Universitäten, dass der Autor sich davon ein Lokal am Heinrichsplatz kaufen konnte – eben das „Café Jenseits“. Bis in die frühen Achtzigerjahre hatte Wroblewsky als Clown in der DDR gearbeitet. Seine Mutter, eine jüdische Französin, war nach dem Krieg als Kommunistin in die DDR gezogen. Mit seinem „literarischen Kabarett als Clownerie“ tourte Wroblewsky später durch den halben Ostblock: ohne Witze, die sammelte er zwar, verwertete sie jedoch nicht. Wroblewsky hatte zwei gute Kolporteure: „Einmal mein Freund, ein Graphiker, der wußte immer Witze, etwa drei neue pro Woche. Und dann Brechts Enkelin Johanna Schall – sie wußte vielleicht zehn im Monat. Und dann war ich natürlich auch selbst Kolporteur.“

1990 ließ er sein DDR-Witzbuch neu auflegen, mit noch mehr Witzen und den Sprüchen auf den Plakaten der Wendezeit. Auf einen dieser Sprüche spielte kürzlich, Ende März, noch einmal ein Transparent auf der „Krisen“-Demonstration vor dem Roten Rathaus an: „Es war nicht alles schlecht im Kapitalismus!“

Aus dem alten DDR-Witz „Kapitalismus bedeutet Ausbeutung des Menschen durch den Menschen – Im Sozialismus ist es genau umgekehrt“ wurde in der Wende, nachdem einige hunderte Treuhandmanager die Führung der DDR-Betriebe übernommen hatten: „Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm, beim Wessi ist es andersrum.“ Und an vielen Computerbildschirmen klebte der Spruch: „Es gibt drei Möglichkeiten, einen Betrieb zugrunde zu reichten: Mit Weibern, das ist die schönste. Mit Saufen, das ist die sicherste. Durch einen Wessi: das ist die schnellste.“

Der Westberliner Witzforscher Lothar Binger, der 2006 das Buch „Der Berliner Witz. Zwischen Größenwahn und Resignation“ veröffentlichte, zog darin eine quasi gerade (historische) Linie vom preußischen Hof- und Salonwitz über die „Berliner Schnauze“ bis zu den heutigen Kurt-Krömer- und Désirée-Nick-Shows. Er führt den Berliner Witz auf die niedergeschlagenen Aufstände 1448, 1848 und 1918 zurück: „An die Stelle der realen Befreiung trat das symbolische Aufbegehren im vom Witz verursachten ‚befreienden Lachen‘, das tatsächlich keine Befreiung war, sondern nur eine Erleichterung, die nach unablässiger Wiederholung verlangte. Der Drang witzig sein zu wollen oder zu müssen, hatte im Berlin der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts offenbar zu einer in jeder Familie unterschiedlichen Lachkultur geführt.“ Binger beruft sich dabei auf den Almanach „Über Berlin“ von Friedrich Gedike (1783-1785). Über die Ursprünge des Berliner Witzes befand auch schon Theodor Fontane (1819-1898): „Die Sache selbst war Notwehr.“

Die These vom vergeblichen Widerstand gegen Unterdrückung als Quelle des Witzes hat jedoch den Nachteil, dass man damit fast alle Witzproduktionen erklären kann – und sogar das Volkslied: So wurde und wird z.B. an der Ostsee unter den lange unfreien Völkern besonders viel gesungen (in Estland wagten die Gesangsvereine sogar einmal eine Revolution), während es im freien Friesland an der Nordsee schon zu Tacitus‘ Zeiten hieß: „Frisia non cantat“.

Im Unterschied zu Binger hat sich Clement de Wroblewsky eher für die „Außenkontakte“ des DDR-Witzes interessiert. „Es war ja im Prinzip ein Berliner Humor. Wie überhaupt das Modulieren von Gassenhauern und Ähnlichem in Großstädten geschieht. Der DDR-Humor hat berlinisch-märkische Ursprünge, neben anderen. Und während z.B. der sächsische Humor oft unfreiwillig und teilweise aggressiv war, ist der Berlinische zu intelligent, um aggressiv zu sein.“ Man darf dabei jedoch nicht vergessen: Die Hälfte aller DDR-Witze ist von der Springerpresse erfunden worden.“ So wie sie sich in Westberlin das Wort „Schwangere Auster“ für die Kongreßhalle und „Hohler Zahn“ für die Gedächtniskriche ausdachten. Ihre DDR-Witze vermehren sich noch heute – im Internet

Ähnlich verhält es sich mit den „Radio Erewan“-Witzen. Drei oder vier Bücher gibt es darüber. Über 80% davon hat der Autor sich ausgedacht, indem er einfach irgendwelche Witze ‚erewanisierte‘ – die er dazu auch noch schlecht erzählt hat. „Bei den echten Erewan-Witzen – aus dem Osten – gab es ganz selten neue. So wie auch bei den jiddischen Witzen. Salzia Landmann z.B. hat für ihr Buch darüber viele Witze ins Jiddische transponiert, sogar antisemitische, und auch Schmuddeliges über Familiengeschichten, was es im Jiddischen Witz nicht gibt. Ihr Witz-Buch wird deswegen von vielen Juden abgelehnt. Der jüdische Witze entsteht oft durch Selbstdistanz – und wenn Nichtjuden sie ‚übernehmen‘ werden sie falsch.

Ein SS-Mann steht vor einer Gruppe von Juden, die erschossen werden sollen und sagt ‚Ich habe ein Glasauge, wer rät, welches es ist, wird verschont.‘ Ein Jude tritt vor und zeigt auf das rechte Auge. ‚Richtig! sagt der SS-Mann, ‚wie hast Du das erkannt?‘ ‚Es kuckte so gütig!‘ So etwas erzählt man sich unter Juden nicht, der Witz offenbart einen Mangel an Ethik. Und ihn einem Nicht-Juden zu erzählen, das ist schon fast so etwas wie das Holocaust-Denkmal. Lea Rosh hat das veranlaßt, sie ist keine Jüdin und hat einen Knall, die jüdische Gemeinde war zu 100 Prozent dagegen. Man lebt den anderen nicht ins Gesicht! Das stammt aus dem Abraham-Segen (aus dem 1.Buch Mose in der Tora). Abraham sagt dort über Isaac: ‚Du wirst sein wie ein störrischer Esel, Du lebst den anderen ins Gesicht. Du wider andere und alle anderen wider dich.‘ Isaac war der Stammvater aller protoarabischen Völker. Und es geht darum, dass die Hebräer bescheiden zu sein haben. Eine Volksgruppe, die so lange verfolgt worden ist, will sich nicht noch zusätzlichen Ärger aufhalsen.“

Ein Gutteil der DDR-Witze sind laut Wroblewsky „Wiederkehrer“. Dabei wird klassisches Witzgut wiederverwertet: eben jiddische Witze, die zum Teil aus Polen kamen (polnische Witze gab es ansonsten nicht), dann russisch-sowjetische und eben der Berliner Witz. Sonja fragt ihren Bruder: „Steht mir der Strohhut jut?“ „Ausjezeichnet. Wie aus’n Kopp jewachsen!“

Es gab darunter relativ komplizierte Witze, „von der Konstruktion her aus den Jahren 1830 bis 1860, diese hat sich während des Zweiten Weltkriegs wiederholt: Da gab es eine Witzkonjunktur in Österreich. Die Witze zeichneten sich, wie dann auch der DDR-Witz, durch eine sehr ökonomische Erzählweise aus. Was der jiddische Witz nicht so kennt.“

Eine der „intellektuellen Schaltstellen“ für den DDR-Witz war das „Espresso“ im Lindenkorso Friedrichstraße Ecke Unter den Linden, obwohl die damalige „Scene“ dort das nie so gesehen hat. Im 100er-Bus fragte neulich ein amerikanischer Tourist dort seinen deutschen Begleiter: „Who was Linden?“

In seinem DDR-Witzbuch verortet Wroblewsky die Witz-Verarbeitung und -Distribution in diesem „Intellektuellen-Treffpunkt“. Er besteht im übrigen darauf, dass der DDR-Witz nie diffamierend war – und dass er in der Wende unterging.

„Einer der letzten DDR-Witze ging so: Honecker sitzt am Liepnitzsee und überlegt sich, wie er das Volk wieder hinter sich bringen kann. Da öffnet sich der Himmel und es erscheint ihm Jesus. ‚Was grübelst du so?‘ fragt der ihn. Nachdem Honecker ihm erzählt sein Problem hat, sagt Jesus: ‚Nu, mußte machen wie ich – tu ein Wunder!‘ Dabei zeigt er auf den See. Honecker steht auf und setzt vorsichtig einen Fuß auf die Wasseroberfläche: Sie trägt ihn. Er geht über den See. Zwei Angler sehen das, sagt der eine zum anderen: ‚Kick mal, nich mal schwimmen kann er.'“

Die „Witzkultur“ in der DDR bestand u.a. auch darin, dass man bloß ein, zwei Wörter sagen mußte – und schon wußte jeder Bescheid. Wroblewsky möchte dabei jedoch nicht von einer „Witzkultur“ sprechen: Er lehnt überhaupt diese neuen Wortverbindungen mit Kultur – Streitkultur, politische Kultur usw.. ab. Der Westberliner Kunsthistoriker Lothar Binger benutzt das Wort „Witzkultur“ dagegen gerne, er kann dafür keine Witze erzählen, meint er.

„Die DDR war die lustigste Baracke im Lager! Ein Witzland,“ sagt Wroblewsky. „Es gab ein politisches Leben in der DDR und man reflektierte das, d.h. die Leute haben ein politisches Bewußtsein gehabt, das höher war als das gelebte. Oder anders gesagt: die Basis hatte ein höheres Bewußtsein als der Überbau, und sie artikulierte sich u.a. im Witz. Da gab es eine gemeinsame Sprache, die es im Westen nicht gab.“ Sie war jedoch auch im Osten nicht flächendeckend: „Daneben existierte in der DDR noch eine Parallelgesellschaft, die sozial und kulturell sowohl von der Witzproduktion als auch von der -rezeption ausgeschlossen war.“ Die Ursache sieht Wroblewsky darin, dass das Land für eine Industriegesellschaft einen ungewöhnlich hohen Anteil an ungelernten Arbeitern hatte – über 50%. „Diese Leute waren quasi Springerpresse, sie interessierten sich für Sport, Bier und Fußball. Helmut Kohl hat die in der Wende instrumentalisiert. Die interessierten sich dann nur noch für die D-Mark. Für eine kurze Zeit wurden sie nach oben gespült – wie früher die Leute vom Rotfrontkämpferbund und er SA.“

Es hält sich hartnäckig das Gerücht, dass es im Politbüro extra eine Abteilung gab, die DDR-Witze erfand. Tatsache ist jedoch, dass Helmut Kohl einen Witzberater hatte. So erklärte der Kanzler z.B. einmal im Fernsehen – angesichts einer Gruppe, die gegen ihn demonstrierte: „Das sind die Leute, die alles bestreiten – außer ihren Lebensunterhalt!“

Ein alter Radio-Erewan-Witz ging so: „Wird es im Kommunismus noch Geld geben? Im Gegenteil, es wird nur noch Geld geben.“

Ein jiddischer Witz lautet: Zwei arme Juden auf dem Balkan sind in einer Stadt und sehen dort ein Schild „Wer sich zum Christentum bekehren läßt, bekommt 100 Kronen“. Sagt der eine: „Das ist eine hübsche Summe. Geh doch rein, laß Dich bekehren und wir teilen uns das Geld.“ So geschieht es dann auch. Als sie draußen wieder zusammentreffen, fragt der eine: „Hats geklapppt?“ „Ja.“ Hast Du auch das Geld bekommen?“ Ja.“ „Und wie ist es, gibst Du mir jetzt die Hälfte davon ab?“ Der andere überlegt kurz und sagt dann: „Das ist es, was wir Christen an euch Juden nicht leiden können, ihr denkt immer nur ans Geld!“

Ein typischer DDR-Witz, in diesem Fall über Russland, ging so: Zwei Männer fahren mit der Transsibirischen Eisenbahn – eine endlose Strecke, plötzlich hält der Zug. Nach einer Weile fragt der eine den Schaffner: „Was ist denn da los?“ „Wir tauschen die Lokomotive.“ „Gegen eine andere?“ „Nein, gegen Wodka!“ Wegen seiner russophobischen Komponente konnte dieser DDR-Witz nach der Wende schnell zu einem gesamtdeutschen werden.

(Nachdem Christoph Ludszoweit diese Zusammenfassung bekommen hatte, meldete der von uns interviewte Clement de Wroblewsky Korrekturen an. Bisher haben er und ich dazu jedoch noch nicht zusammengefunden. Dies ist also nur eine vorläufige Fassung – mit einigen Fehlern wohlmöglich.)

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