vonHelmut Höge 15.10.2009

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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So könnte man vielleicht meine derzeitige Herbstbefindlichkeit beschreiben. Eigentlich hätte ich viel zu tun, stattdessen hänge ich sozusagen am taz-blog ab – und dabei fallen mir immer neue Eintragungen ein. Obwohl der blogwart meint, zwei am Tag sei schwachsinnig und ich müsse vor allem mehr verlinken. Das eine hat allerdings mit dem anderen nichts zu tun.

Eben rief jemand an und wollte Näheres zum Eintrag über Dr.Dirlewanger wissen – da rächte sich mal wieder meine Schlampigkeit im Umgang mit den Quellen: Ich konnte ihm erst mal nicht weiterhelfen.

Dann erfuhr ich, dass Antonia Herrscher jetzt einen eigenen blog hat „wieneulich“, hoffentlich kann ich ihre Pollerphotos in Zukunft von dort mir kopieren.

Im Café Jenseits am Heinrichplatz erzählte man mir die Geschichte einer gerade erfolgten Straßenumbenennung, da sollte ich was drüber schreiben, riet man mir. Das schaffte ich dann grad noch:

„Alle umzubenennen ist unbezahlbar!“ (Helmut Kohl)

Nun nimmt auch in Westberliner die Ortsverwirrung durch Straßenumbenennungen zu. Kürzlich bekam erneut eine Straße in Kreuzberg einen neuen Namen: Das  Gröbenufer. Eine kurze Promenade zwischen der Oberbaumbrücke und dem ehemals  alternativen Fabrikkomplex in der Pfuelstraße. Sie wurde 1987, zur 750-Jahrfeier der Stadt, aufgehübscht. Für die Senioren des nahen Altenheims stellte man Bänke auf, damit sie auf die Spree kucken konnten. Dort war damals allerdings noch nicht viel zu sehen – außer ein paar Schwäne und einem Schnellboot der DDR-Grenzwache war dieser Flußabschnitt quasi Todesstreifen.

Auch von drüben sah man nicht viel, denn dort stand die Mauer. Sie wurde 1989 in einer Art Backpaker- Friedensrausch über und über bemalt. Seitdem heißt sie „East Side Gallery“ und es ankert dort ein Hostel-Schiff. Damals war an diesem Flußabschnitt jedoch noch gar nichts los – deswegen kuckten die  Rentner auf den Bänken gegenüber am Gröbenufer auch statt über die Spree lieber hinter sich – auf eine kleine Grünfläche mit sogenannten  Drop-Sculptures, wo regelmäßig einige türkische Familien grillten. Deren großfamiliale Gemütlichkeit  fanden sie als eher Vereinsamte interessanter.

Die US-Planungskritikerin Toni Sachs-Pffeiffer kritisierten denn auch 1990 an der Gröbenuferplanung, dass man  die Bänke andersrum hätten aufstellen müssen. Bis zum Mauerbau war das anders gewesen. Und auch danach noch: So war es dort z.B. zu zwei Fluchtversuchen von Schwimmern gekommen, die tödlich endeten, woraufhin 1961 am Gröbenufer eine Protestkundgebung stattfand. Die DDR ließ drüben Häuser abreißen, um eine bessere Sicht zu haben und unter Wasser wurde später gegen schwimmende und tauchende Flüchtlinge eine Gittersperre errichtet. Ein Republikflüchtling schaffte es aber doch noch: Er hatte sich einen hohlen Schwan übergestülpt, der so echt aussah, dass er  unangefochten ans Gröbenufer gelangte. Zuletzt erwähnte die Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar diesen Vorfall in einer ihrer Ost-West-Geschichten: „Die echten Schwäne kamen zu ihm, pickten an seinem künstlichen Schwanenkopf und schwammen mit ihm in den Westen. So hat man es mir erzählt.“

Nun wird die Promenade „rekonstruiert“, u.a. kommt ein Café (Wahrscheinlich mit dem Namen „Kaisersteg“) dort hin – und man hat sie umbenannt. Mit dem Gröbenufer sollte einst der deutsche Kolonialpionier Otto Friedrich von der Groeben geehrt werden. Dies geschah im Zusammenhang der zur selben Zeit 1896 eröffneten Gewerbeausstellung in Treptow. Dort fand die 1. deutsche Kolonialausstellung statt, auf der „aechte Afrikaner“ das Leben in den Kolonien darstellten. Laut dem Berliner Geschichtsforum „gründete Gröben 1683 an der Westafrikanischen Küste im heutigen Ghana eine Niederlassung zum einzigen oder hauptsächlichen Zweck des Sklavenhandels“.

Einige Historiker im Café Jenseits am Heinrichplatz finden das überzogen: Gröben schloß sich mit 17 polnischen Adligen an, die 8 Jahre lang den Nahen Osten bereisten. 1680 kehrte er nach Brandenburg zurück. Damals gab es noch kein Preußen, erst recht kein Deutschland. Aber der Kurfürst wollte schon mal seine Interessen in Afrika ausloten. Er beförderte Gröben zum Major und schickte ihn mit drei Kriegsschiffen  an die Küste des heutigen Ghanas, wo Gröben von drei Ahanta-Häuptlingen einen Fels am Meer erwarb, auf dem seine Männer ein „Fort“ errichteten. Die Hälfte erkrankte dabei, etliche starben. Das Fort wurde 1683 „Groß Friedrichsburg“ genannt. Gröben war da schon wieder auf der Heimreise. Der Kurfürst belohnte ihn mit einer Anwartschaft auf Marienwerder. 1686 trat Gröben in die Dienste der Venezianer – und zog mit diesen gegen die Türken, 1719 diente er dem König von Polen. Er starb 1728 auf seinem Marienwerder Anwesen.

Die „Café Jenseits“-Historiker sehen in ihm eher einen „Forschungsreisenden“ als einen Vorbereiter des deutschen Sklavenhandels. In der Berliner Handpresse erschien 1981 Gröbens „Guineische Reise-Beschreibung“ aus dem Jahr 1683. Daran wurde gerade noch einmal im „Max & Moritz“ auf einer „Handpresse“-Gedächtnisveranstaltung erinnert.Ich erwarb für 14 Euro ein Exemplar der „Reisebeschreibung“.

Die Kreuzberger Straßenumbenenner unter den Bezirksverordneten wollten es sich nun nicht so einfach machen wie seinerzeit die Weddinger Bezirkspolitiker. Dort sollte Ende des 19. Jhds. ebenfalls eine üppige „Kolonialschau“ mit aechten Menschen und Tieren entstehen. Der Investor – Hagenbeck – kam jedoch noch vor Baubeginn zu der Einschätzung, dass eine solche zudem permanente Schau sich nicht mehr lohne. Die Konkurrenz war zu groß geworden und das Publikumsinteresse ließ nach. Stattdessen wurde das Gebiet bloß Afrikanisches Viertel genannt, u.a. von Mies van der Rohe und Bruno Taut mit Mietshäusern bebaut – und die Straßen nach deutschen Kolonien und Kolonialoffizieren benannt.  1939 benannte man außerdem noch eine Allee nach Carl Peters – dem bis dahin brutalsten deutschen Kolonialpolitiker. Die Allee wurde jedoch 1986 aufgrund von Bürgerprotesten umbenannt – nach dem CDU-Politiker Hans Peters, was der in Berlin lebende „Afrikanische Diaspora“-Forscher Joshua Kwesi Aikins als eine bloße Umwidmung bezeichnete, denn sie heißt nach wie vor Petersallee.

So billig wollte man es sich in Kreuzberg im Falle des Gröbenufers also nicht machen – da wäre dann eine Ehre für die immer noch weitverzweigte, aber politisch unbedeutende Adelsfamilie „vom Gröbenufer“ bei rausgekommen. Das Ufer heißt nun Mai Ayim. Eine deutsche Dichterin, Pädagogin und Aktivistin der afrodeutschen Bewegung, die eigentlich Gertrud Opitz heißt. Ihr Vater stammte aus Ghana. In den Achtzigerjahren mitbegründete sie in Berlin die „Initiative Schwarze Deutsche und Schwarze in Deutschland“ sowie die „Critical Whiteness Studies“ hierzulande, 1986 veröffentlichte sie das Buch „Farbe bekennen“. Zuletzt arbeitete sie als Lehrbeauftragte an der Alice Salomon Fachhochschule für Sozialarbeit. „Nachdem sie die Diagnose Multiple Sklerose mitgeteilt bekommen hatte, verzweifelte sie,“ heißt es bei Wikipedia. „Am 9. August 1996 stürzte sie sich von einem Hochhaus in den Tod.“ Seit 2004 gibt es einen nach ihr benannten Literaturpreis – und nun also auch noch eine Spreeuferpromenade.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2009/10/15/im_lokal_sitzen_und_global_denken/

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kommentare

  • Nach dem brutalen deutschen Kolonialpolitiker und Rassisten Carl Peters (manchmal auch mit K geschrieben) wurde nicht nur in Berlin eine Straße benannt, sondern auch in Bremen.

    Wie die F.R. heute berichtete, verfiel man nun in Bremen-Walle bei ihrer Umbenennung – aus Kostengründen (?) – auch auf den selben blöden Trick wie 1986 in Berlin-Wedding:

    „Das Stadtteilparlament fand eine pfiffige Notlösung: Es beschloss einstimmig, die örtliche Karl-Peters-Straße nicht umzutaufen, sondern einfach nur umzuwidmen.

    Sie erinnert künftig nicht mehr an den Gründer der Kolonie Deutsch-Ostafrika von 1884 („Leider führt mein Weg über Leichen“), sondern an den Jura-Professor und Strafrechtsreformer Karl Peters, diesmal eindeutig mit „K“. Schlichte Zusatztafeln an den Straßenschildern sollen auf den neuen Namenspatron hinweisen.

    Karl Peters (1904-1998) hatte sich, wie der Spiegel im Nachruf schrieb, „in den fünfziger Jahren, als Liberalität noch eine sehr rare Eigenschaft unter deutschen Juristen war“, für Lockerungen im Strafvollzug eingesetzt. Er trug auch zur Reform des Straf- und Sexualstrafrechts und der Aufarbeitung von Justizirrtümern bei.“

    Der Ortsamtsleiter in Walle – Mester – ergänzte: „Peters hat zwar im Dritten Reich einen Lehrstuhl bekommen, scheint aber unbelastet zu sein.“

    In Hannover hatte die örtliche Bürgerinitiative 1994 keine Ruhe gegeben, bis der einstige „Karl-Peters-Platz“ nicht nur umgewidmet, sondern wirklich umbenannt wurde – und schließlich den Namen „Bertha-von-Suttner-Platz“ erhielt – zur Erinnerung an die österreichische Pazifistin und Friedensnobelpreisträgerin.

    Im verarmten Bremen bekam der für die Umbenennung/Umwidmung verantwortliche Ortsamtsleiter dagegen zu hören: „Habt Ihr keine anderen Probleme?“

  • lieber helmut höge,

    zu oskar dirlewanger noch ein nachtrag:

    er hat mit zustimmung himmlers (bairische) wilderer aus den konzentrationslagern geholt und aus ihnen eine „besonders lustige mördertruppe“ (Christian Geissler) gemacht, eine antipartisanengruppe gegen die kämpfenden menschen in weißrußland. das wurde mir mal von Christian Geissler gesagt; leider erst nach erscheinen der „bayerischen enziane“, edition nautilus 2005, aber nachlesen kann man’s in H. P. Klausch, antifaschisten in uniform, edition temmen 1983, in Ales Adamowitsch, henkersknechte, aufbauverlag 1982 u. v. a.

    schöne grüsse

    e. g.

  • Verehrter Helmut Höge.

    Zu Ihren „Geschichten am Ufer“ hätte ich auch noch eine beizusteuern, die den von Ihnen erwähnten „ehemals alternativen Fabrikkomplex in der Pfuelstraße“ ein bisschen weniger alternativ erscheinen lässt. Diese Geschichte ist allerdings noch erhelblich trauriger als die von Ihnen erzählten Mauergeschichten. Die Firma Salamander hat dort nicht nur sowjetische, jüdische und polnische Zwangsarbeiter auf bestialische Weise ausgebeutet, sondern …. lesen Sie doch am besten selbst: in der taz vom 14. 12. 1999, Seite 3, sowie unter http://www.salamander-zwangsarbeit.de.

    Freundlichst
    Herbert Hemke

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