„Das Furchtbare unseres falschen und trügerischen Lebens liegt darin, dass wir das Tier nicht zur Kenntnis nehmen. Wenn es sich reckt und seine Stimme erhebt, tun wir so, als sei es das Kläffen eines launischen Hundes, den wir mit hinausnehmen und belustigt mit einem Stück Zucker abfertigen.“ (Leonid Andrejew)
Am Sonntag fand auf der Trabrennbahn in Karlshorst ein Tag für glückliche Hunde statt. Gesponsort vom Hundenahrungshersteller „Happy Dog“ bot das von zwei westdeutschen Hundetrainerinnen organisierte „Event“ den Berliner Hunden und ihren Besitzern „Quality Time“ – auf einer kurzen Rennstrecke und einem „Fun Agility“-Parcours, darüberhinaus konnten sie sich an „Dog-Dancing“, „-Casting“ und -Frisbee“ beteiligen. Etwa 100-200 Hunde waren erschienen – begleitet zumeist von Frauen, denen die Idee, ihrem Hund zuliebe eine Veranstaltung zu besuchen, anscheinend näher lag als männlichen Hundebesitzern.
Die Menschen unter den Teilnehmern wurden mit Verkaufsständen und Sonderangeboten gelockt. Darunter waren welche von Hundeporträtisten, Hundefriseuren, „Tier-TV“, Pferdefleisch in Dosen, Tierspielzeug, Hundegeschirr („Arbeitskleidung“ genannt), ferner Tierschutzvereine, eine Tierschutzpartei, die „Tiertafel Deutschland“, Hundeschulen und -Pensionen, „Lebenshilfe für verwaiste Hunde“, eine „Vermittlung von behinderten Hunden“ sowie auch von ausrangierten „Versuchstieren“, einen Werbestand des „Berliner Tierfriedhofs“ und zweier neuer Zeitungen: „Der Ruhrstreuner“ und „Reich mir die Pfote“ (darin ein Artikel über „Hunde mit Beruf“) sowie des altehrwürdigen Tierschutzmagazins „Berliner Tierfreund“. Außerdem Informationsstände – u.a. mit Büchern wie „Hundekekse selbst gemacht“ von Andrea Packulat und „Hier schreibt der Mops“ von Uschi Ackermann, verfaßt in der Ich-Form ihres Hundes „Sir Henry“. Die Besitzerin hatte den allzu geschäftstüchtigen Züchter ihres Mops‘, den er ihr krank verkauft hatte, auf Schadensersatz verklagt – und gewonnen. In einem Flugblatt, das neben dem Buch lag, war von einigen weiteren Mops-Krankheiten infolge von Überzüchtung die Rede. Die Verfasserin setzte sich u.a. dafür ein, den Möpsen wieder „freie Atmung“ zu gestatten. Sie hatte sich deswegen bereits mit dem MPRV, dem „Mops-Pekinesen-Rassehund-Verband“, überworfen und war dem AMV, dem „Altdeutschen Mopsverband“ mit Sitz in Nordfriesland beigetreten.
Man erkennt an dieser knappen Aufzählung des Angebots auf dem „Event 4 Happy Dogs“ bereits, der Hund ist nicht nur ein Begleittier oder Arbeitstier, sondern auch und vor allem ein immer wichtiger werdender Konsument. 2002 betrug die weltweit für Haustierfutter und -versorgung ausgegebene Summe 46 Milliarden Dollar, Tendenz steigend, vor allem im Marktsegment „Premiumfutter“. Darüberhinaus wird die Medizintechnik für Hunde immer aufwendiger, bis hin zu psychologischen Therapieeinrichtungen und „Krankenversicherungen, die für Haustiere zur Normalität werden,“ wie die US-Biologin Donna Haraway – in ihrem Aufsatz „Hunde mit Mehrwert und lebendiges Kapital“ schreibt (1).
Darin erwähnt sie u.a. auch zwei neue US-Fachzeitschriften: „Bark – für Literatur, Kultur, Kunst und Hunde“ und „The New York Dog“. In der modernen Industrie- bzw. Informationsgesellschaft und mit dem Zerfall der Familie werden zunehmend Haustiere in die selbe mit aufgenommen, um sie gleichsam wieder mit neuem Leben zu füllen. Die Tiere bekommen dabei immer mehr Menschenrechte eingeräumt. Auf diese Weise werden sich insbesondere Hund und Herrchen zunehmend ähnlicher – gleichzeitig aber auch medientauglicher: Immer mehr Tiere verdienen ihr Geld beim Film – oder werden darauf hintrainiert. Auf diese Weise dreht sich die Abhängigkeit des Begleittieres vom Menschen ins Gegenteil.
Der Psychiater Erich Wulff, der 1966 als Arzt in Vietnam arbeitete, bemerkte in der dortigen Agrargesellschaft (noch): „Ein Gefühl wie Tierliebe war den meisten Vietnamesen fremd. In ihrem Seelenhaushalt gab es keinen offenen Posten dafür…Das Heer der Ammen, Boys und Boyessen okkupierte bei der mandarinalen Oberschicht die Haustierstelle.“ Aus Österreich stammt der Brauch, dass die Knechte, Mägde und Dienstboten zu Lichtmess ihren Arbeitgeber wechseln konnten, dazu sahen sie sich genau um: „Schau, wo Hund und Katze ihren Platz haben; geht es den Tieren gut, so wird es dem Gesinde auch nicht schlecht gehen,“ wurde ihnen gesagt.
In den Zwangsarbeitslagern ging es den Hunden sogar weitaus besser als den Menschen. Alexander Solschenizyn schreibt deswegen – im „Archipel Gulag“: „Bei den ganzen Abrüstungsgesprächen über Raketen und Atombomben vermisse ich die Diskussion über Hunde – diese setzen nämlich den Menschen als Wachhunde mehr zu als alle Raketen und Bomben zusammen!“ 1994 rekonstruierte Marie-Luise Scherer in einem langen Spiegelartikel – „Die Hundegrenze“ betitelt – das Schicksal eines DDR-Wachhundes vor und nach Öffnung der Grenze. „‚Das ist Alf‘, sagte der Soldat, ‚den könnten Sie mit einer Mütze totschlagen‘.“ Der „Trassenhund“, ein gelber Colliemischling, versah bis 1990 seinen Dienst (mehr schlecht als recht) in einer „Laufleinenanlage“ des Grenzkommandos Nord, danach wurde er privatisiert – zunächst als Hofhund in Göhlen und dann als Bewacher eines Gasthofes in Strachau bei Dömitz.
Wladimir Kaminer erzählte einmal: „In meiner Heimat, in der Sowjetunion, waren Hunde überwiegend exotische Tiere, die genauso wie ein Auto, ein Pelzmantel oder eine ausländische Möbelgarnitur etwas über den Wohlstand der Familie verrieten. Nicht jeder konnte sich einen so teuren Spaß erlauben. Dafür sahen wir im Kino öfter Hunde. In unseren Filmen wurden sie zuerst als eine wirksame Waffe im Kampf gegen die Kriminalität und zum Schutz unserer Staatsgrenze gezeigt. In Dutzenden von Filmen – wie ‚Stille Nacht am Amur‘ oder ‚Bei Fuß, Muchtar‘ – spielten übergroße, speziell ausgebildete deutsche Schäferhunde die Hauptrolle. Sie saßen wochenlang in einem Versteck ohne Verpflegung und ernährten sich ausschließlich von Grenzverletzern, hauptsächlich Japanern, die sie selbst aus großer Entfernung aufspürten und von denen sie nie genug kriegen konnten. Manche Hunde liefen sogar zum Frühstück ohne Befehl, auf eigene Gefahr, aufs feindliche Territorium rüber, um sich einen Feind zu schnappen. Später kamen die sogenannten ‚Hundeheuler‘ auf die Leinwand – allerlei tragische Geschichten darüber, wie ein Hund von seinem Besitzer verraten wurde, ihm aber trotzdem treu blieb. Aus einer solchen Filmaufführung bin ich einmal als Zwölfjähriger in Tränen ausgelöst rausgegangen, weil ich es nicht mehr ertragen konnte, mit ansehen zu müssen, wie der blöde Hund den ganzen Film über an einer Bushaltestelle saß und auf seinen Besitzer wartete, der schon gleich am Anfang des Films gestorben war…“
Auf dem „Event 4 Happy Dogs“ traf ich eine alte Bekannte wieder – Sylvia. Die gelernte Drahtzieherin war mit der Schließung des Batteriewerks BELFA in Schöneweide zunächst arbeitslos geworden. Sie lebt nun mit einem Freund zusammen. Dieser wird im Suff nicht weinerlich oder geschwätzig, sondern still und aggressiv, wie sie mir erzählte. Unlängst schlug er sie zusammen, was Rippenbrüche, eine Gehirnerschütterung und weitere Verletzungen zur Folge hatte. Als sie wieder gesund war, wollte sie sich zwar nicht von ihm trennen, aber doch was für mehr Sicherheit neben ihm tun. In der Zeitung stieß sie auf eine Annonce, mit der eine Kampfhund- Züchterin bei Braunschweig junge Welpen „preisgünstig“ anbot. Sylvia nutzte den letzten Tag ihrer Krankschreibung und fuhr „kurzerhand rüber“. Sie fand dann in dem Wurf tatsächlich auch einen „niedlichen“ Kampfhund-Rüden, den sie kaufte. Dazu mußte sie sich jedoch verpflichten, mit ihm gelegentlich eine Kampfhunde-Prämierung zu besuchen, damit die Züchterin der Jury die Zeugungsleistung der Elterntiere sinnfällig unter Beweis stellen konnte. Dies geschah dann auch und zwar in Unna, wo jedoch nicht nur die beiden Kampfhund-Elternteile prämiert wurden, sondern, zur großen Überraschung von Sylvia, auch gleich ihr Jungrüde: und zwar als bester Kampfhund des Jahrgangs. Dies bezog sich auf sein Aussehen und Benehmen. Seine noch nicht vorhandene Kampffähigkeit stand bei der Preisvergabe nicht zur Debatte, es ging den Verbandsfunktionären eher um „Rassereinheit“, die Sylvia ziemlich egal war. Nichtsdestotrotz hat sich dadurch ihr Leben „total verändert“. Laufend ist sie nun mit ihrem Hund unterwegs, wobei das Kampfhundmäßige sie dabei mehr und mehr stört: „Die Leute haben zuviel Angst!“
Als wir noch über Hundephobien sprachen, kam Bernd dazu – ohne Hund. Er war früher Chefkoch des Gerätebatteriewerks BELFA gewesen und numehr Leiter einer Reinigungstruppe. Er züchtet schon seit langem Lawinensuchhunde, das heißt, er richtet sie ab. Der Vater züchtet, und Mutter und Tochter sind für das Futter, die Aufzucht und die Welpen zuständig. „Jeder in der Familie hat seine Aufgabe. Wir sind auch alle im Züchterverein aktiv. Bei unserer alten Staffel in Berlin-Buch war sogar der Chefredakteur der Zeitung ‚Der Hund‘ mit dabei. Das war die Standardzeitung. Wir waren das Aushängeschild der DDR. Aber zum Erdbebenunglück in Mexiko ließen sie uns trotzdem nicht, sie hätten zu viele Funktionäre mitschicken müssen. Wenn Offiziere von den sozialistischen Ländern kamen, mußten wir antreten und zeigen, was unsere Hunde konnten. Dementsprechend haben wir Freistellung durch unseren Betrieb bekommen. Irgendwann war dann ja die Vereinigung gewesen, und die ersten Westberliner kamen zu uns, aus Tegel. Das sah alles ganz freundschaftlich aus, bis wir feststellten, daß unsere Hunde immer mehr in den Hütten geblieben sind und wir uns in solche Löcher als ,verletzte Personen‘ legen mußten. Das haben wir uns eigentlich noch gefallen lassen. Bis ein noch freundlicherer Herr ankam, aus Frohnau, der sagte, er wäre der Mann mit der großen Kohle. Da reichte es. Ich hab‘ gesagt: ,Mensch Leute, wir haben doch auch 40 Jahre lang Hunde gezüchtet.‘ Jedenfalls, wir haben dann den Anschluß an den Westberliner Züchterverband nicht mitgemacht. Unser neuer (Ost-)Verein ist jetzt schon einige Jahre alt, und wir mußten sogar schon einen zweiten Platz suchen wegen dem Zulauf. Bei uns geht es nämlich nicht so stur rassefanatisch zu, wir lassen prozentual auch Mischmaschhunde mitmachen, das heißt welche ohne Papiere.“
Laut Donna Haraway sind Hunde vor allem als Zuchttiere und Labortiere (hier nimmt man gerne Beagle) sowie als Arbeitshelfer (d.h. als Produktionswerkzeuge)) „tätig“. Hunde, die z.B. als Hütehunde ausgewählt und „weiterentwickelt“ werden, könnte man deswegen auch bereits als „Biotechnologien in einem System marktförmiger Landwirtschaft“ begreifen. In dem US-Kanal „Animal Planet“ werden in der Serie „Dogs with Jobs“ regelmäßig weitere Hundeeinsatzmöglichkeiten vorgestellt. Haraway erwähnt u.a. die „Cell Dogs“, die in einem kalifornischen Gefängnis von den Insassen zu Wachhunden ausgebildet werden. Sie leben mit den Inhaftierten für die Dauer dieser „subjekttransformierenden Beziehung“ in einer Zelle. Für die einen wie für die anderen gilt: „der Weg zu Freiheit und Arbeit außerhalb der Gefängnismauern“ besteht aus dem Lernen von „Disziplin und Gehorsam“. „Einen Hund, der die abschließende Prüfung nicht besteht, erwartet der Tod.“
Laut Donna Haraway liegen dieser Art von Tierschulung „post-behavioristische Diskurse“ zugrunde, vor allem die von Iwan Pawlow und B.F.Skinner. Konkret wird dabei auf die „Koehler Method of Guard Dogs Training“ zurückgegriffen, sie wurde 1972 von dem US-Psychologen William R. Koehler veröffentlicht und war für Hunde „in Home Protection, Plant Security, Police & Military Work“ gedacht.
Nach dieser Methode brachte auch der US-Philosoph Mark Rowlands seinem jungen kanadischen Wolf „Brenin“ Benehmen bei. Angeblich ging das sehr schnell – obwohl Hunde solche und ähnliche „Trainingsaufgaben“ besser lösen können als Wölfe, die dafür schneller „Problemstellungen“ begreifen (2). Anschließend konnte der Autor jedenfalls seinen Wolf überall mit hinnehmen. Und das mußte er auch, weil Brenin alles in seinem Umkreis zerbiß, wenn man ihn allein ließ. „Wölfe sind sehr, sehr schnell gelangweilt,“ erklärte Rowlands dazu. An der Universität verteilte er Zettel an seine Studenten: Sie bräuchten keine Angst vor dem Wolf zu haben, nur sollten sie ihm keine Beachtung schenken und Lebensmittel nicht offen herumliegen lassen. (3)
Mit der „Koehler-Methode“ lernte der Wolf laut Rowlands eine „Sprache“ – und hatte damit „die Chance, auf sinnvolle Weise“ mit seinem Besitzer „zusammenzuleben – statt dass er im Garten hinter dem Haus eingesperrt und vergessen wurde.“ Die Sprache verschaffte ihm „eine Freiheit“ in der „menschlichen Welt“. Mehr noch: „Wir können diese Sprache verstehen“ und andersherum sind „Wölfe nicht in der Lage zu lügen“. Diese Fähigkeit entstehe erst mit einer gewissen Primatenintelligenz. (4)
„Die Wildheit bleibt also laut Haraway doch unsere ganze Hoffnung,“ bemerkt die Wiener Anthropologin Elisabeth Samsonow abschließend in einer Rezension des Buches „When Species meet“. Die US-Biologin hat es ihrer Hündin Cayenne gewidmet, mit der zusammen sie u.a. „Agility-Kurse“ besucht (5). Es geht der Autorin dabei um das Glück des Tieres. Auch Rowlands fragte sich, ob ein Wolf nur in der Wildnis glücklich werden kann. Hatte Haraway schon einen nur noch schwachen Begriff von fixierten Bedürfnissen, greift Rowlands nun auf die Sartresche Unterscheidung von Existenz und Essenz zurück und kommt zu dem Schluß: Wenn man die Koehler-Methode anwende, dann „glaubt“ man, dass beim Wolf – ebenso wie beim Hund (und beim Menschen) – die Existenz der Essenz vorausgeht. Dass das Tier mithin auch in der Menschenwelt glücklich werden könne. Für Rowlands Annahme spricht, dass es immer mehr Tiere gibt, Füchse und Wildschweine z.B., die freiwillig ihre Wildreservate verlassen, um sich in Großstädten anzusiedeln. Es handelt sich dabei quasi um eine Abstimmung mit den Pfoten. Da Brenin und Rowlands elf Jahre lang unzertrennlich waren, und viele Unterkünfte, Arbeitsplätze, Restaurants, Kneipen, Sportveranstaltungen und Reisen teilten, entwickelten sie mit der Zeit eine symbiotische Beziehung, bei der sich ihm die tierschützerische Frage, ob der Wolf sein Sklave war, so beantwortete: „Wenn Brenin ein Sklave war, bin ich ebenfalls einer.“ Er denkt dabei an die auch ihm aufgezwungene Ausbildung in Schulen und Universitäten – also an seinen eigenen Zivilisationsprozeß. Auch dass ein Besitzverhältnis die Beziehung zum anderen dominieren könnte, glaubt er nicht, wohl aber, dass sich in der Beziehung der Menschen zu denen, die ihnen ausgeliefert sind, den Tieren, im Allgemeinen ein so „grundlegendes Versagen“ äußert, „dass sich alle anderen aus ihm ableiten lassen.“
Rowlands kommt von da aus auf Thomas Hobbes zu sprechen, der einst, um die englischen Bürgerkriege zu beenden, von der notwendigen Umwandlung der Wildnis in Zivilisation sprach. Dazu dachte er sich einen Nullpunkt aus, an dem die Bürger einen „Gesellschaftsvertrag“ mit dem Souverän eingehen, dem sie das Gewaltmonopol übertragen. Und dieser muß sie dafür schützen.
Einen solchen Nullpunkt gibt es nicht, meint Rowlands, denn „eine Frage, die sich Hobbes anscheinend nie stellte, ist folgende: „Wie können diejenigen, die wirklich rot an Zähnen und Klauen sind, an den Verhandlungstisch geholt werden?“ Diese Frage stellen sich die Wissenssoziologen mit ihrer „Akteur-Netzwerk-Theorie“ schon seit langem – und sie haben darin auch bereits verschiedene Vorschläge gemacht, Rowlands meint jedoch: Das wird nie geschehen, denn „Verträge können nur zwischen zivilisierten Menschen geschlossen werden. Also kann der Vertrag nicht die Zivilisation bewirkt haben.“ Am Anfang stand immer Gewalt und Machtkampf.
Obwohl oder weil sein Wolf ihm vieles lehrte und ihn gewissermaßen zu einem besseren Menschen machte, ist Rowlands im Gegensatz zu Donna Haraway, die mit ihrer Hündin ebenfalls an einem „Gemeinsam-Werden“ arbeitet, darüber zu einem Misanthropen geworden. Das hindert ihn jedoch zum Glück nicht, weiter seine „Grundidee“ zu verfolgen, „dass man einen Weg finden müsse, die Tiere in den Gesellschaftsvertrag mit einzubeziehen, indem man den Vertrag fairer gestaltet.“ Für den Harvard-Philosophen John Rawls war die ursprüngliche Vertragsgestaltung bereits dann fair, wenn die Partner nicht mehr wüßten, als dass sie Menschen seien und in der Lage, rational zu denken. Rowlands hielt dem inzwischen verstorbenen Rawls seinerzeit entgegen, „dass auch solche Kenntnisse ausgeschlossen werden müssten, wenn der Vertrag wahrhaft fair sein solle.“ Und sowieso sei „der Vertrag eine Erfindung von Primaten für Primaten.“ Voller Gewinn-und-Verlust-Kalkulationen, falschen Bündnissen und Investitionsüberlegungen. „Warum habe ich Brenin geliebt?“ Fragt er sich noch einmal – und kommt dabei zu dem Ergebnis: Weil „dieser Wolf weiß, dass Glück nicht in der Berechnung zu finden ist.“
Da der Philosoph aber noch Wolfsseele (-gene) genug besitzt, liegt ebendort auch unser aller Glück. So ähnlich könnte vielleicht auch Donna Haraway das sehen. Als Darwinist ist Rowlands jedoch erst einmal vom (statistischen) Erfolg des Hunde-Werdens als einer Überlebensstrategie beeindruckt: Es gibt heute über 40 Millionen Hunde auf der Welt, aber nur noch etwa 40.000 Wölfe. Das Wolf-Bleiben ist also nicht (mehr) erfolgreich. Es geht diesen Tieren wie den letzten präzivilisierten Völkern: Sie sind vom Aussterben bedroht.
Als „Konsequenzialist“ beschloß Rowlands, keine Tiere mehr zu essen, die zum Zwecke des Verzehrs gezüchtet und aufgezogen werden. Diesen Schritt mochte er seinem Wolf natürlich nicht zumuten: „Am Ende schlossen wir einen Kompromiß: Ich wurde Vegetarier und er wurde Pescetarier.“ Jahrelang war er täglich mit dem Wolf joggen gegangen, als sie in Irland lebten, „beschloss“ Rowlands, „dass Brenin einen Freund benötigte, und zwar einen, der mehr Beine und eine kältere Nase hatte.“ Am Ende, in Frankreich auf dem Land lebend, waren seine Begleittiere schließlich zu dritt. „Allmählich zogen wir uns aus der Welt der Menschen zurück,“ schreibt Rowlands. Er wurde immer sonderbarer: „ein moralistischer Vegetarier, das seltsamste aller Geschöpfe, das dazu verurteilt war, den Rest seiner kümmerlichen Existenz ohne die geschmacklichen Wonnen von Tierfleisch zu durchleben. All das war einzig und allein Brenins Schuld, woran ich ihn erinnerte, wenn ich wieder einmal eines seiner Manöver zum Fangen von Kaninchen durchkreuzt hatte.“
Dabei drängte sich Rowlands die Frage auf, wie wichtig die Jagd für Brenin war? „Vielleicht war er nur glücklich, wenn er Kaninchen fing. Hoffentlich nicht, denn das gelang ihm nur selten. Aber sein Verhalten ließ auf das Gegenteil schließen. Ob er Erfolg hatte oder nicht – danach rannte er immer mit lodernden Augen auf mich zu und sprang aufgeregt von allen Seiten an mir hoch. Das, dessen bin ich mir ziemlich sicher, war ein glücklicher Wolf.“ Brenin kämpfte außerdem gerne. Rowlands konnte das nachvollziehen, weil er in seiner Jugend einige Zeit als Boxer trainiert hatte. In Frankreich besaß er keine Uhr mehr, aber seine Schäferhündin Nina hatte ein genaues Zeitgefühl, nach dem sie sich richteten. Nachdenkend über die Zeit gelangte Rowlands dort zu dem Schluß, im Gegensatz zu Hunden und Wölfen ist uns das „Jetzt“ abhanden gekommen. Bei ihnen ist „jeder Moment ihres Lebens in sich vollständig,“ wir schauen dagegen „durch Momente hindurch,“ deswegen sind sie für uns „nie ganz real“. Brenin starb in Frankreich – an Krebs. Und Rowlands lebt jetzt mit seinen beiden Hunden, Nina und Tess, in Miami.
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(1) Der Aufsatz erschien als 2. Kapitel in Donna Haraways Buch „When Species Meet“, Minneapolis 2008. Vorab wurde er für den Reader „Gespenst Subjekt“, Münster 2007, ins Deutsche übersetzt.
(2) Der Philosoph Theodor Lessing kam beim Vergleich des Wolfs mit dem Hund zu dem Ergebnis, dass letzterer „ein durch jahrtausendelange Zucht geknebelter und sozusagen in sich hineingeprügelter Wolf“ sei. Für Lessing bedeutete jede „Verfeinerung und Hochzüchtung“ eines Tieres oder einer Pflanze eine Entfernung von ihrem „Wesen“ – zum Schlechteren hin. Siehe dazu seine Bücher „Meine Tiere“ und „Blumen“, Berlin 2005.
Über die „Erziehung eines einzelnen Hundes“ erfuhr ich Näheres von der Schriftstellerin Gabriele Goettle, die zusammen mit Elisabeth Kmölninger einen Schäferhund besitzt: Ein guter Hundetrainer scheint mir Dr. Roger Mugford zu sein, schrieb sie, „er ist Engländer,Verhaltensforscher und hat u.a. die kapriziös bis bissigen ‚Windsor Corgis‘ der englischen Königin erzogen (die das Hundepersonal in die Hosenbeine bissen). Er ist ein Feind jedweder Gewalterziehung – vom Elektrohalsband bis zum ordinären Würgeband gibts da ja allerhand – und er ist sogar gegen diese Dominanztheorie, also: der Hund muß im familiären Rudel ganz unten stehen usw.. Er hat ein paar sehr schöne pädagogische Hilfsmittel erfunden, das sogenannte ‚Halti‘ z.B., mit dem sich bissige und schwer ziehende Hunde mild lenken lassen und auch das ‚Clicker-Training‘, das mir persönlich aber eher auf den Wecker geht – mit dem dauernden Geklicker. Er ist jedenfalls ein interessanter Typ und sehr gebildet und erfahren. Daneben gibt es auch noch einen guten deutschen: Eberhard Trummler.“
2008 hatte Gabriele Goettle die Hundetrainerin Nira Sorensen-Rosenberg interviewt. Ihre Ausbildung bekam diese erst in einer Behinderteneinrichtung in Israel und dann in der dortigen Armee, heute ist sie selbständig und lebt in Berlin, wo 110.000 Hunde gemeldet sind. „Wir waren sechs Leute, unser Job war die Hundeausbildung und auch die Zucht. Meine erste Hündin in Kfar Tikva hieß Shandy. Jeden Tag haben wir morgens ganz früh angefangen. Zum Training hatte jeder vier bis fünf, manchmal auch sieben Hunde. Jeder nahm ein bis zwei Hunde, diese Gruppe trainierte, dann kam die nächste. Den ganzen Tag, bis abends. Manche Hunde müssen auch in der Dunkelheit trainiert werden, oder in der Stadt, denn die Hunde müssen sich auch an die Stadt gewöhnen. Wir trainieren sie vom Welpenalter an. Ab sechs Monaten muss der Hund auch ein bisschen Gehorsam lernen, also bei Fuß laufen, und wenn ich sage Platz! Oder Sitzen bleiben! Dann muss er auch sitzen bleiben. Dafür haben wir Würgehalsbänder. Das finde ich, ist auch nicht Gewalt oder so was.“
Auf die Frage, ob Gewalt und Schmerz angewandt wurden, sagt sie gelassen: „Es ist die Frage, was ist Gewalt, Zwang und Schmerz? Also geschlagen wurde zum Beispiel gar nicht. Wir haben sowieso bis zu einem halben Jahr keine Gewalt oder irgendwas benutzt, das ging alles mit Spielen und Leckerchen. Aber wenn man beim Militär vielleicht nur sechs Monate Zeit hat, den Hund abzurichten, dann muss ich ja schnell sein, dann nahm ich auch ein Stachelhalsband. Oder – selten, ziemlich selten – das Stromhalsband. Aber es ist immer die Frage, wie man das einsetzt. Man kann sehr viel falsch machen, kann aber auch sehr viel erreichen. Wenn für diesen Hund die Methode passt, dann ist es okay, wenn nicht, wähle ich eine andere Methode. Es kommt immer auch darauf an, wofür der Hund ausgebildet wird. Es gibt Rettungshunde, Spurensuchhunde, und es gibt Hunde, die in Situationen, wo Terror angesagt ist, zum Beispiel den Geiselnehmer stellen und neutralisieren sollen. Das muss man dem Hund beibringen. Aber nicht jeder Hund ist geeignet. Ein anderer ist vielleicht gut beim Spurensuchen, zum Beispiel von Menschen, die über die Grenze gelaufen sind. Oder ein Hund ist sehr gut bei der Menschensuche in Ruinen, Bomben sind aber nicht so seine Stärke. Man muss für alles den richtigen Hund haben. Und die richtige Methode.
Bei uns ist es so: Die Sicherheit des Menschen ist das Wichtigste! Deshalb werden ja auch die Hunde eingesetzt. Das bedeutet zum Beispiel, wenn eine Bombe 500 Meter entfernt von mir ist, und der Hund explodiert, dann hat zwar der Hund sein Leben verloren, aber die Menschen konnten ihr Leben behalten. Wir trainieren sie natürlich so, dass sie aus einer bestimmten Entfernung markieren sollen. Ich bringe ihnen bei im Training, sie sollen einfach nur sitzen und damit anzeigen, es ist da. Der Hund riecht die Bombe, er riecht den Sprengstoff.“ (Die israelischen bombsniffing dogs sind legendär, sie haben „Chemikernasen“ und erschnüffeln alle Sorten von Sprengstoff, sie suchen verborgene Bomben in Schulen, an Grenzübergängen, auf Märkten und an Busbahnhöfen.) „Er muss es lernen. Wenn ich zum Beispiel in dieser Hand TNT habe und in der anderen Hand nichts, dann lernt er zu unterscheiden und bekommt für die richtige Hand eine Belohnung. Es gibt Sprengstoffe, die kann man sogar als Mensch riechen. Ich habe nach meiner Militärzeit an einer Tankstelle gearbeitet und da kannte ich auch alle Benzine, das alte, das neue, den Stinker, den Diesel oder Biodiesel, schon am Geruch.“ Sie lacht. „Und wenn der Hund etwas gefunden hat, dann gibt er ein Zeichen, zum Beispiel er bellt, oder er sitzt. Eine Mine kann man gut daran erkennen, dass der Hund anfängt, im Kreis rumzugehen. Wenn die Mine frisch eingegraben ist, dann riecht die Erde ringsum. Wenn die aber da schon seit 30 Jahren liegt, dann ist der Geruch überall. Überall! Von daher ist alles möglich. Aber eine relativ frische ist kein Problem. Er findet sie garantiert und dann kann der Bombenentschärfer kommen oder der Roboter. Also die Hunde müssen sehr gut ausgebildet sein für ihre Arbeit. Als Mensch kann man das nicht, man muss ihnen trauen.
Die Ausbildung dauert zwischen acht und zwölf Monaten. Für Hunde, die sich an Menschen fixieren, Spürhunde, da dauert es etwas länger, denn die müssen komplizierte Kombinationen lernen. Sie müssen lernen, die Aufgabe ist immer die gleiche, Suche der Markierungen, die Gerüche, egal ob wir im Wald, im Gebirge oder im Feld suchen, egal ob es Nacht ist oder regnet. Was wir nicht gemacht haben, wenn es zu heiß war. Dann haben wir die Übungen abgebrochen. Über 36 Grad geht gar nichts mehr, da ist der Geruchssinn weg, die Hunde hecheln und sind damit beschäftigt, ihren Körper zu kühlen.
Nach dem Ziviljahr habe ich meinen Militärdienst gemacht, in Petah Tikva (Öffnung der Hoffnung), nahe Tel Aviv, fast zwei Jahre lang. Wir hatten Hunde für alles, von Autosuche bis Suche nach einem Sprengstoffattentäter. Auch für die Grenzgebiete, wo die Palästinenser nach Israel kommen, haben wir Hunde ausgebildet und im Einsatz. Da gibt es inzwischen unheimlich viele Hunde für die Kontrolle von Autos und Menschen. Wenn ein Mensch passieren will und der Hund riecht was, dann wird der Mensch sofort rausgezogen. Da darf kein Fehler passieren. Nachdem ich meine militärische Grundausbildung gemacht hatte, bin ich in die Hundeeinheit gekommen. Es ist nicht so einfach, als Mädel da reinzukommen, es ist dort strenger, man muss Leute kennen und Vorerfahrung haben. Ich hatte Vorerfahrung und ich kannte Leute. Ich war nicht da als Kämpfer, ich war da, um für die Hunde zu sorgen, die grade keinen Soldaten hatten, damit die weitertrainiert werden und ihre Fähigkeiten nicht verlieren.
Wir hatten verschiedene Hunderassen. Vor allem deutsche Schäferhunde, belgische Schäferhunde, Labradore. Aber auch Jack Russel, die sind sehr gut in Ruinen, aber auch bei der Autosuche, sie machen nichts kaputt und haben viel Power. Mischlinge gab es auch und ein paar Rottweiler, eine deutsche Dogge war da für die Menschensuche. Am besten ist der belgische Schäferhund, er ist sehr intelligent und kann viele verschiedene Sachen. Und er hat einen sehr guten athletischen Körperbau, was deutsche Schäferhunde zum Beispiel nicht haben. Die sind hinten zu wenig hoch, so zurückgezüchtet, sie sind gut im ,Langsamarbeiten‘, zum Beispiel wenn jemand über die Grenze gegangen ist, dann ist ein deutscher Schäferhund gut, mit Soldaten zusammen. Die belgischen kann man schon alleine vorschicken. Jede Rasse hat andere Eigenschaften.“
Auf die Frage, ob es in Israel auch so einen Hang zum Rassehund gibt wie bei uns, sagt sie: „Früher nicht. Ich habe von meinem Opa einen Dackel geerbt, mein Opa war eben ein Deutscher. Aber seit die Russen da sind – in den 90er-Jahren kamen viele Russen nach Israel – da hat man plötzlich viele neue, große Rassen gesehen. Die Russen sind sehr für Schönheit und Status, sie gehen auch in die Hundeausstellung und zeigen ihre Hunde. Viele Hunderassen wurden Mode, viele Züchter sind da, und es gibt, genau wie hier, die Hundekrankheiten. Das war vorher selten. Man konnte in Tel Aviv kaum so viele Rassehunde sehen wie heute. Meistens waren es deutsche Schäferhunde und Labradore, und viele Mischlinge. Und wir haben in Israel eine eigene Hunderasse, den Kanaanhund. Das sind Urhunde, die seit tausenden von Jahren in der Wüste gelebt haben. Es sind sehr interessante Hunde, mittelgroß, oft weiß, mit spitzem Maul und spitzen Ohren. Sie sind sehr intelligent, heute werden sie gezüchtet.“ (1934 emigrierte die österreichische Kynologin Rudolphina Menzel nach Palästina, sie zähmte und züchtete Kanaanhunde und bildete sie zu Schutz- und Wachhunden aus für die zionistische Untergrundorganisation Haganah, der Vorläuferin der israelischen Armee. Anm.) Frau Sorensen-Rosenberg schlägt ihr Fotoalbum aus Israel auf und zeigt uns Bilder, auf denen sie mit einer Gruppe von Kanaanhunden in der Wüste zu sehen ist. „Sie bekommen rosa Nasen, wenn sie zu wenig Sonne haben, im Sonnenlicht werden sie wieder ganz schwarz.“
In Berlin warb Frau Sorensen-Rosenberg zunächst in Inseraten für sich,
„und ich war in verschiedenen Hundeschulen, um zu sehen, wie sie das machen. Aber ich kann nur sagen, ich arbeite anders als die deutschen Trainer. Sie sind hier sehr fixiert auf ein, zwei Methoden. Die meisten Hundeschulen arbeiten mit sehr vielen Leckerlis und sehr viel mit Klicker. Man hört immer nur klick, klick, klick. Die Hunde finden das sehr nervig – und wir auch, wenn es 10 bis 15 Leute machen. Und es gibt viel zu viele Leinen und Geschirre. Die gehen mit Hunden, an denen sind drei bis vier Leinen befestigt und Halti usw..
Ich habe andere Vorstellungen, eine andere Philosophie: Jeder Hund braucht eine individuelle Erziehung. Die Methode muss sich dem Hund anpassen, nicht umgekehrt. Alle Regeln und Grenzen müssen tiergerecht und deutlich erkennbar sein, so dass der Hund seinen Platz in der Gruppe kennt. Methoden gibt es viele. Leckerlis, gut, aber nicht jeder Hund mag Leckerlis. Und wenn ein Hund keine mag, und auch nicht so verrückt nach Spielzeug ist – und dann zeigt er noch ein bisschen Aggression, dann WAS?! Das kann ich nicht mit Klicker und guten Worten machen, da muss ich ein bisschen strenger sein.
Und Hunde, meiner Erfahrung nach – und ich habe viel Erfahrung, mit vielen Hunden -, sind froh, wenn alles klar ist. Wenn alles klar ist, dann gibt es keine Frage. Wenn ein Hund ,fragt‘, dann denkt er und macht Unsinn. Und wenn ein Hund Probleme macht, wenn ihnen nichts mehr einfällt, dann wird der Hund rausgeschmissen aus der Hundeschule, weil er zu dominant, zu aggressiv, zu antisozial ist. Und dann? Dann kann er zu mir kommen und ich werde seine Probleme lösen. Ich zeige dem Besitzer, wie es geht. Ich nehme ihm seine Unsicherheit und helfe ihm, ein bisschen aus sich heraus zu kommen, sich zu präsentieren vor seinem Hund, als Führer.
Es ist viel Menschenarbeit dabei, auf jeden Fall. Der Besitzer lernt, mit seinem Hund das Richtige zu trainieren, mit der richtigen Methode. Wenn zum Beispiel der Hund nur ein Geschirr trägt, muss das erst mal geändert werden. Ein Geschirr ist nur ein Halteinstrument. Für einen dominanten Hund brauche ich ein Hilfsmittel. Und ein Würgehalsband ist ein Hilfsmittel. Später kann der Hund sein Geschirr wieder tragen. Aber erst muss er begreifen, wie sind die Gesetze, wo sind die Grenzen. Wenn der Herr sagt, dieser Hund darf nicht bellen, nicht grollen, nicht ziehen, dann darf er das nicht. Wenn ein Hund Dominanz und Aggression zeigt, dann müssen sie eingreifen. Der Besitzer muss zeigen, ich bin der HERR! Und ich bestimme, du darfst keine anderen Hunde oder Tiere anfallen oder anmachen! Viele Hundehalter können nicht konsequent sein, oder sie fühlen sich zu schwach. Ich denke, man muss sowieso lernen, wie man einen Hund korrekt dominiert. Das bringe ich meinen Kunden bei. Und wenn alles gut läuft, dann kann das Würgehalsband wieder weg, genauso wie zum Beispiel das Halti oder die Schleppleine. Es geht ja nur darum, ein Routineverhalten damit aufzubauen. Wenn die Gewohnheit dann drin ist, im Kopf, ist es gut. Das geht auch bei älteren Hunden, noch mit sieben, mit neun Jahren. Wenn der Hund was Falsches gelernt hat, muss man es ihn verlernen lassen. Man löscht mit der neuen Gewohnheit die alte aus. Man schafft einfach eine neue Routine. Aber der Besitzer muss es mitmachen, anwenden, Schritt für Schritt. Ich kann vorher nie sagen, wie ich es machen werde, jede Situation ist anders, jeder Hund, jeder Besitzer ist individuell. Wenn mich jemand ruft, weil sein Hund unerwünschte Eigenschaften hat, dominant und vielleicht aggressiv ist, dann werde ich zu dem Besitzer nach Hause kommen, um zu sehen, wie er mit diesem Hund lebt, wie reagiert er, wie stellt er sich dar, was macht der Hund. Und ich gehe mit ihm raus, wenn er Gassi geht. Es gibt Hunde, die zu Hause alles perfekt machen, aber auf der Straße oder im Hundeauslaufgebiet sind sie auffällig und machen Probleme.
Ich beobachte, und es wird ganz schnell klar, was falsch läuft. Und sehr oft geht es dann so schnell besser, dass die Besitzer sich wundern. In den meisten Fällen bin ich dreimal bei den Leuten, einmal pro Woche. Ich zeige ihnen alles und sie machen es einfach nur konsequent nach. Gut, das ist vielleicht schlecht für mein Geschäft, viele Hundetrainer machen das meistens viel länger. Aber wenn ich schnell Erfolg habe, bringt mich das auch weiter.“ Auf die Frage, ob sie mal gebissen wurde, antwortet sie sofort und ohne Umschweife: „Ja, natürlich. Was habe ich gemacht? Ganz ruhig bleiben, nicht anfangen zu schreien, nicht hauen. Ihn auf den Boden legen, ihn unterwerfen, mit Ton und Körpersprache. Sie beißen normalerweise, weil sie plötzlich unsicher sind. Ich bin nie doll gebissen worden, es war mehr so ein Zwicken aus Unsicherheit über seinen Status. Ich habe ihm ganz ruhig gezeigt, dass alles wieder in Ordnung ist. Habe die Ordnung wieder hergestellt. Und die Ordnung ist die Rangordnung. Wenn ich sage SITZ, dann machst du Sitz, wenn ich sage KOMM, kommst du, wenn ich sage BEI FUSS, dann gehst du bei Fuß. Das ist in Ordnung. Dann gibt es keine Fragen. Es ist doch immer so: Hunde möchten keine Probleme. Sie wollen kein Problemhund sein. Nicht nur der Herr ist vollkommen erleichtert, auch der Hund! Und das kann ich. Ich bin dazu da, dass die Hunde besser leben, und die Menschen mit den Hunden besser zusammenleben. Der Hund will nur ein Hund sein, nicht mehr und nicht weniger, und egal, wie viele Mitglieder in der Familie sind, der Hund muss verstehen, dass sein Platz in der Hierarchie nicht in der Mitte ist, sondern ganz unten. Es ist so. Er muss nicht mehr kämpfen, ich muss nicht mehr kämpfen. Es ist wichtig, dass jemand als Hundebesitzer die Alpha-Rolle übernimmt. Sonst wird der Hund sie übernehmen. Und das will der Hund aber eigentlich gar nicht, das kann er gar nicht, denn er lebt ja nicht in der Natur. Und Alpha-Rolle, das verstehen die Besitzer manchmal falsch, das bedeutet ja nicht, dass man ständig brüllt und mit dem Fuß stampft. Nein, genau das Gegenteil. Ruhig und relaxt ist das Alphatier! Ganz entspannt. Er ist locker, die Leine ist locker. Ein guter Führer soll ganz ruhig sein. Auch in Situationen, wo es etwas schwierig ist. Ich rede fast nie laut. Mir ist es lieber, dass ich es ruhig halte und ein bisschen tiefer mit der Stimme gehe, als dass ich schreie.“
Sie schreit schrill und hoch: „NEIN! Hör auf! Pfui! Ich brauche das nicht. Und auch zur Belohnung muss ich nicht so hoch und so oft“, sie macht es wieder vor, „FEIN! Fein! Fein! rufen. Ich variiere schon meine Stimme, auch um den Stress abzubauen beim Hund, aber nicht als Routine. Wenn ich meinem Hund ganz ruhig zeige, was er nicht machen soll, dann ist das für ihn viel wichtiger, als wenn ich dauernd lobe. Er merkt ja, dass alles viel harmonischer wird. Und ich muss auch den Hund nicht dauernd füttern zur Belohnung. Was ich vorhin über das Clicker-Training gesagt habe, dass es die Hunde und Hundehalter nervt, wenn sie in einer Gruppe trainieren, es ist natürlich auch deshalb ein Problem, weil mit jedem Clickern Leckerlis gegeben werden. Und das bei Hunden, die oft sowieso schon zu dick und zu verfressen sind. Man kann, das funktioniert sehr gut, auch mit Spielzeug belohnen und mit Spiel. Oder noch so eine Sache, Fütterung aus der Hand. Die Frage ist, warum? Warum soll ich den Hund ausschließlich aus der Hand füttern? Ich finde das nicht nötig. Außer der Hund ist schwer traumatisiert von Menschen… Aber auch da gibt es andere Lösungen. Und es ist auch nicht der Weg, ihm damit Gehorsam und Erziehung beizubringen. Der Hund soll ein Hund sein können. Er ist kein Mensch, keine Maschine, kein Roboter. Erziehung hat viele Wege, manchmal kann ich es ihm nur mit einem Blick zeigen, mit einer Geste, mit ruhigen, deutlichen Worten, oder ich muss manchmal ein bisschen strenger sein, einmal mit der Leine kurz drohen, nicht hauen, ich haue nie! Aber drohen, nur so als Warnung. Ich arbeite nicht nur mit einem Weg. Ich kombiniere viel. Mein Konzept ist, ich finde das, was zu dem Hund passt – und zum Besitzer. Manchmal ist es so, ich sage, was für den dominanten Hund besser ist, aber der Besitzer findet das nicht gut. Ich sage zum Beispiel, der Hund darf nicht mehr im Ehebett schlafen, nicht auf dem Sofa oder in den Sesseln liegen. Der Besitzer will daran gar nichts ändern, will aber, dass sein Hund sich unterordnet und gehorcht. Das geht nicht. Entweder wir können uns einigen, oder es geht nicht. Aber die meisten Hundebesitzer, wenn sie mich schon anrufen, dann wollen sie ja was von mir, die sind kooperativ. Sie wollen, dass die Beziehung gut ist zwischen ihnen und ihrem Hund. Denn wenn die Leute manchmal keinen Spaß mehr haben an ihrem Hund, dann ist das ja traurig. Oft ist das Problem nur ganz klein, aber es nervt.
Neulich zum Beispiel war ich bei einem alten Ehepaar. Sie haben einen Dackel und der Dackel hat die Frau immer ein bisschen ins Bein gekniffen und an der Hose gerissen, wenn sie vom Wohnzimmer raus in den Garten gegangen ist. Schimpfen und schreien hilft da nichts. Das haben sie schon lange versucht. Und da habe ich die Wasserpistole eingesetzt. Wasser spritzen, am besten auf die Nase, und NEIN! Der Hund ist erschrocken und das war’s. Genauso kann man es beim Kläffen machen. Der Hund merkt sich das und nach zwei- bis dreimal ist es gut. Das schadet ihm nicht, das macht ihn nicht fett, das bringt einen Erfolg. So gibt es viele Methoden und Wege. Ich baue jetzt grade eine Hundeschule auf, für das Hundetraining. Ehemalige Kunden haben immer wieder gefragt nach einer Möglichkeit zum Gruppentraining, und dafür ist schon ein fester, umzäunter Platz nötig. Und den habe ich jetzt gefunden, etwas außerhalb von Berlin, eine halbe Stunde mit dem Auto. Ich mache das in Kooperation mit einer Frau, auf ihrem Grundstück. Sie war Kundin von mir und hat dort gerade eine Hundepension eröffnet. Da fange ich jetzt erst mal an, ganz allein, ohne Verein, ohne Club. Dort ist viel Platz, es gibt viele Möglichkeiten. Es ist ideal, auch für Hunde, die gelangweilt sind, weil sie nicht genügend Auslauf haben oder zu wenig Kopfarbeit. Da ist es wichtig, dass sie was mit dem Besitzer zusammen machen. Es ist auch gut für die Beziehung, und für die Gesundheit des Hundes und des Herrn. Ein Hund will nicht zu Hause sitzen, in einem Körbchen mit Spielsachen und Gourmetessen, er will raus und etwas unternehmen. Er will eine Aufgabe, er will etwas lernen. Ich mache Gruppentraining, Einzeltraining, Welpenstunde und Junghundstunde, immer samstags. Man kann Geschicklichkeitsspiele machen, Auch Agility, alles. Aber erst mal Sozialisierung. Das ist sehr wichtig, dass die miteinander klarkommen, und dann kommt der Gehorsam dazu und alles andere. Die Hunde können viel mehr, als manche Leute glauben. Ich habe vor einer Weile eine Gruppe von Kanaanhunden zusammengebracht. Das waren Hunde aus Deutschland, aus Österreich, die da gekommen sind, Hunde, die sich nicht kannten. Und Kanaanhunde sind auf jeden Fall sehr aggressiv gegen andere Hunde, sie haben einen starken Charakter, das ist bekannt. Aber dort waren alle ruhig und friedlich, es gab keine Bellerei und nichts. Dieses Verhalten möchte ich. Nicht mehr, nicht weniger.“
(3) Mark Rowlands, „Der Philosoph und der Wolf“, Berlin 2009.
(4) Auf dem letzten Hegel-Kongreß in Bamberg 2009 stellte der in London lehrende Primatenforscher Volker Sommer sich als „Gleichstellungsbeauftragter“ der Affen vor. „Liebe Mitprimaten,“ so eröffnete er seinen Vortrag, „ich bin gerne ein Menschenaffe und weiß mich unter Schimpansen in bester Gesellschaft.“ Mit ihnen habe er u.a. die Fähigkeit zu lügen und zu betrügen gemeinsam. Das trifft jedoch nicht auf alle Affen zu, erst recht nicht auf die anderen Tiere.
Die FAZ kritisierte an Sommers tierfreundlichen „Nominalismus“, dass er dabei nicht weit genug gehe – und die „Gleichstellung“ nur für „seine“ Schimpansen fordert, deren genetische Ausstattung, wie er betonte, zu 99% mit der der Menschen identisch sei. Demgegenüber wollen die Vertreter der „Akteur-Netzwerk-Theorie“ (ANT) in ihren „Parlamenten“ allen „nicht-menschlichen Wesen“, wozu für sie auch Artefakte zählen, Sitz und Stimme einräumen.
(5) Dazu heißt es bei ihr: „Playing agility with Chayenne helps me understand a controversial, modern relationship between people and dogs: training to a high standard of performance for a competitive sport. Training together, a particular woman and a particular dog, not Man and Animal in the abstract, is a historically located, multispecies, subject-shaping encounter in a contact zone fraught with power, knowledge and technique, moral questions – and the chance for joint, cross-species invention that is simultaneously work and play.“ Auch Donna Haraway nimmt im übrigen ihren Hund mit zur Universität, wo sie arbeitet. Da Hunde dort nicht erlaubt sind, hat sie Cayenne bei der Verwaltung als „Forschungshund“ (research dog) legalisieren lassen.
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Noch einarbeiten:
Katharina Rutschky „Der Stadthund. Von Menschen an der Leine“ – die für ihre Arbeiten über die „Schwarze“ (anarchistische) „Pädagogik“ bekannte Autorin, hat jetzt zusammen mit Michael Rutschky einen Cocker-Spaniel, es ist ihr dritter Hund. In ihrem Buch vergleicht sie ihren ersten mit ihrem zweiten Cocker-Spaniel. Letzterer hieß „Kupfer“, ihn habe ich ganz gut gekannt. Katharina Rutschkys Hunde-Erziehungs- oder besser Umgangsstil würde ich als „psychoanalytisch/antiautoritär“ bezeichnen.
Dagegen ließe sich Nira Sorensen-Rosenberg oben umrissener „Stil“ vielleicht als „autoritär/militärisch“ charakterisieren…
Erwähnt sei ferner:
David Wroblewskys Roman – „Die Geschichte des Edgar Sawtelle“, München 2008. Es geht darin um ein enges Zusammenleben zwischen Mensch und Hund – am Beispiel einer Hundzüchterfamilie im Mittleren Westen Amerikas. Der Autor stammt selbst aus einer Hundezüchterfamilie. Streckenweise ähnelt seine Geschichte dem am 22.10 anlaufenden US-Film „Wendy und Lucy“ von Kelly Reichardt, der jedoch angeblich auf die Kurzgeschichte „Might Choir“ von Jonathan Raymond zurückgehen soll. Hier wie dort geht es jedenfalls um einen jungen Menschen, der zusammen mit einem Hund abhaut. Unter den hiesigen Punkern gibt es hunderte von solchen Gespannen. Darum geht es aber gar nicht, sondern um das „Gemeinsam-Werden“ – beispielhaft und als Experiment in der Not.
Dann in: „Vom Übertier. Ein Bestiarium des Wissens“ von Benjamin Bühler und Stefan Rieger, Frankfurt/M 2006 – das Kapitel über den „Hund“.
Neuerdings findet man immer mal wieder auch Zeitungsartikel über einzelne Hundetrainer:
So veröffentlichte der Freitag z.B. am 13.8.09 einen langen Bericht über eine „Hundetherapeutin, die mit dem Opernintendanten verheiratet und Mitglied der kommunistischen Partei“ ist. Und am 24.9.09 den Bericht eines Besitzers von zwei Boxern, der wegen ihres Übermuts ein „Hundecamp“ besuchte, das sie etwas zivilisieren sollte. Der Text stammt aus dem „Guardian“ – von Michele Hanson.
Umgekehrt berichtete der Spiegel (in Heft 33/09) von Hunde – als Therapeuten (für Patienten im Wachkoma im Behandlungszentrum Vogtareuth)
Die taz-nord veröffentlichte 2005 eine längere Reportage über einen Trainingskurs des Hunde-„Experten“ Michael Grewe.
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Einige Hunde-Forschungsergebnisse:
Die Beljajew-Züchtung:
Der Biologe Dimitrij Beljajew fing 1959 in Nowosibirsk auf einer Fuchsfarm an, Domestikationsversuche mit Silberfüchsen durchzuführen. Er wollte nachweisen, dass man die „soziale Intelligenz“ wie bei den Hunden, die als einzige Tiere selbst versteckte Hinweise des Menschen mit der Hand oder den Augen verstehen, herauszüchten kann: „Selektion auf Kommunikation“, konkret: auf zahmes und zutrauliches Verhalten. Kriterium der Auslese war die Fluchtdistanz. Nach 35 Generationen und 45.000 Füchsen war er am Ziel, in einigen Berichten heißt es, bereits nach 18 Generationen: Die Tiere waren zahm. Es hatten sich jedoch einige ungewollte Eigenschaften eingestellt: Die Füchse verhielten sich wie domestizierte Hunde, sie sahen auch so aus (scheckig, Schlappohren, erhobene Schwanzspitzen), die Weibchen wurden jetzt zweimal im Jahr läufig, sie hörten sich sogar an wie Hunde. Keines dieser äußeren Merkmale war Zuchtziel gewesen und z. T. sogar völlig unerwünscht. Zur Pelzgewinnung konnte man gescheckte Tiere nicht brauchen. Die Art zerfiel regelrecht (Coppinger, R. u. L., 2001, S. 67) Außerdem hatten sie noch ein Merkmal, das bereits Konrad Lorenz bei domestizierten Tieren aufgefallen war, nämlich ’niedliche‘ Gesichter, runde – wie Teddybären. So sehen alle Säugetiere aus, wenn sie klein sind. In der freien Natur streckt sich später der Schädel, er wird lang und spitz. Die zahmen Füchse blieben Rundköpfe! Damit war klar, dass auch die Hunde vor 10.000 Jahren nicht auf äußerliche Merkmale gezüchtet worden waren. Diese stellten sich vielmehr von selbst ein, wenn man auf Verhalten zielte. Beljajew erlebte seinen Erfolg nicht mehr; er starb in den 80er-Jahren. Nach dem Zerfall der Sowjetunion mußte sein Institut Mitarbeiter entlassen und die Fuchszucht verkleinern. Dann entdeckte es der Harvard-Wissenschaftler Brian Hare: „Er hat sich mit den übrig gebliebenen Kollegen aus Nowosibirsk zusammengetan und getestet, ob die Füchse auch können, was die Hunde können: den Hinweisen des Menschen folgen. Sie können es, obwohl sie nie darauf trainiert wurden (näheres siehe ‚Current Biology‘, 15, S. 226).
Die Kieler Züchtungsexperimente
Die Kieler Biologin und Verhaltensforscherin Dr. Dorit Feddersen-Petersen kreuzte im Tiergarten des Kieler Institut für Haustierkunde Pudel mit Wölfen, Schakalen und Kojoten. Was dabei rauskommt nennt sie Puwos (bzw. Wopus), Puschas und Pukos. Sie sehen aus wie die sympathischen Mischungen aus Boxer, Pudel, Schäferhund und noch ein paar Rassen, die in den Tierheimen auf Liebhaber warten.Viele dieser Geschöpfe bellen auch – aber Hunde sind sie nur zur Hälfte. Von alleine würden diese Arten niemals auf die Idee kommen, ein Revier zu teilen, geschweige denn sich zu paaren. Die 60 halbwilden Vierbeiner, manche so groß wie Schäferhunde, tollen durch die Gehege; dabei werden sie ständig beobachtet, fotografiert und gefilmt. Gezeugt wurden sie so, wie es in der Natur auch passiert – allerdings dauerte es manchmal ziemlich lange, bis zwei Vertreter verschiedener Arten sich paarten.
Während zum Beispiel Schakale nur ein kleines Repertoire eindeutiger Gesten und Laute besitzen, die je nach Intensität des Gefühls mehr oder weniger heftig vorgebracht werden, benutzen Pudel jedes Signal in verschiedenen Variationen, und das ohne erkennbares System. Besonders artfremde Tiere verstehen deshalb oft nicht gleich, was sie eigentlich wollen – Kontakte knüpfen, Distanz wahren oder drohen. Die Pudel nähern sich sofort den Schakalen, weil es für sie selbstverständlich ist, dass jetzt alle ein Rudel bilden und eine Rangordnung festgelegt werden muss. Die Schakale reagieren darauf jedoch sowohl mit Drohungs- als auch mit Unterwerfungsgesten – und schließlich zeigen sie durch ihr ganzes Verhalten, dass sie lieber unter sich bleiben möchten. Deswegen kam es erst zu einer Kreuzung – und damit zur Existenz von Puschas, als Frau Feddersen-Petersen einen Zwergpudelrüden und eine Schakalin in ein Gehege sperrte. Während der Pudel sich danach auch immer mal wieder gerne mit seinen Artgenossinnen paarte, hatte die Schakalin für Rüden ihrer eigenen Art nichts mehr übrig. Und als „ihr“ Pudel starb, suchte und fand auch sie den Tod.
Die Puschas sind oftmals scheuer als Schakale, wahrscheinlich, so vermutet die Biologin, weil sich ihre Sozialorientierung verwischt hat: Sie wissen nicht, ob sie wie Hunde Rudel bilden oder sich wie Schakale einen festen Partner suchen sollen. Pudel und Kojoten paaren sich auch dann, wenn sie Partner der eigenen Art zur Verfügung haben; es kommt aber auffällig oft vor, daß sie einander auf den ersten Blick „nicht riechen können“: Genau wie Puwos und Puschas sind die „Pudelkojoten“ (Pukos) in der ersten Generation glatthaarig und schwarz. Von der Größe her liegen sie zwischen den beiden, und ihr Verhalten hat mehr Ähnlichkeit mit dem der Puwos.
Bei den Kreuzungen zwischen Pudelweibchen und Wolfsrüden gibt es weniger Probleme, es gilt dabei jedoch zu beachten, dass Wölfe sich nur einmal im Jahr paaren und auch die Rüden außerhalb dieser Zeit keinen Geschlechtstrieb haben, das heißt, sie kommen nur dann zusammen, wenn ihre Paarungsbereitschaft zufällig zur selben Zeit eintritt. Die – seltenen – Nachkommen nennt die Forscherin „Wopus“. Die Zucht von „Puwos“ ist unkomplizierter, allerdings stellt sich in der zweiten Generation das merkwürdige Phänomen ein, dass die wie Hunde aussehenden Welpen sich wie Wölfe benehmen und die wie Wölfe aussehenden in ihrem Verhalten Haushunden ähneln.
Das alles passiert in einem Zwinger in einem Tiergarten, den nur Menschen betreten dürfen, die dort etwas zu tun haben, weil die Biologen nicht wollen, daß es vor den Gehegen unruhiger ist als unbedingt nötig. D.h. man hält dort die Tiere in Gefangenschaft in unnatürlichen Artverbindungen – ohne sie zu zivilisieren. Also nicht im Hinblick auf ein Zusammenleben mit dem Menschen, sondern im Gegenteil im Hinblick auf ihr – quasi natürliches Verhalten, dessen Interpretation dann allein das genetische Erbe ihrer Eltern zugrundeliegt – in seinen je individuellen Mischformen.
Die schwedische Hundeforschung:
Diese kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass die ersten Hunde vor 16.000 Jahren in China südlich des Jangtse-Flusses gezüchtet wurden – aus Wölfen. Jedoch erst einmal nicht, um sie als Hirten- oder Wachhunde einzusetzen, sondern um sie zu essen.
Prüfungsanforderungen für Schäferhunde im Ost-West-Streit:
Im Tagesspiegel vom 7.November 09 hat Ariane Bemmer eine aufwendige Recherche über den „Triebwechsel“ nach der Wende bei der Dressur von Schäferhunden aus dem Osten veröffentlicht. Es geht dabei zu wie in den privatisierten Betrieben, in denen die DDR-Bürger sich erst einwesten ließen, um langsam wieder zu ihren Umgangsformen zurück zu finden. Experten halten das für Zeitverschwendung, denn die neuen kämen nun aus China auf uns alle zu. Das gilt auch für die zukünftigen Standards bei der Zucht und dem Abrichten von deutschen Schäferhunden.
Neue und alte Anforderungen an russische Straßenhunde
In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 15.November 09 hat Christiane Hoffmann einen langen Artikel über „streunende“ (in Moskau sagt man „unbeaufsichtigte“) Hunde veröffentlicht, die von dequalifizierten Pachttoiletten-Frauen betreut werden.
Populärwissenschaftliche Hundeforschung:
In der FAZ vom 17.November 09 rezensiert Ernst Horst euphorisch ein neues Buch zur Geschichte des Hundes: „Auf Hundepfoten durch die Jahrhunderte“ von Nicole Hoefs und Petra Führmann, Gründerinnen der „Aschaffenburger Hundeschule“. „Lesen, Staunen, Weiterlesen,“ meint der Rezensent.
Während dem tschechischen Bürgerrechtler Pavel Kohout ein Dackel von Staats wegen vergiftet wurde, geschah dies in der DDR einmal von unten. Es geht dabei um den Ausbildungsleiter des ehemaligen Filmschul-Internats im Erzgebirge, Arco. Als der ehemalige Schüler Christoph Dieckmann ihn besuchte und erzählte, dass er von 1972-74 im Internat war, mit „Gäbler und Weiße“ zusammen, sagte sein Ausbildungsleiter nur: „Hundertfuffzigprozentige. Der Weiße hat meinen Lieblingsdackel vergiftet, aus Rache für‘ ne fünf.“
Erwähnt sei ferner ein Flugblatt der Westberliner „Kommune 1“, indem sie, um gegen den Vietnamkrieg zu protestieren, zu einer öffentlichen Dackelverbrennung an der Gedächtniskirche aufriefen.
In einer Auseinandersetzung mit der Soziologie von Niklas Luhmann schreibt Peter Fuchs:
„Wenn ich also – um erst ein Beispiel zu nehmen – auf dem Platz vor dem Freiburger Münster einen Dackel verbrenne, dann ist dies scheinbar ein Ereignis. Wenn sie dann in den nächsten Tagen die Massenmedien konsultieren, würden sie feststellen, dass diese Dackelverbrennung natürlich für das Recht etwas anderes – eine
Verbrennung einer Sache – ist, als beispielsweise für das Kunstsystem. Dort ist es ein ultimates Ereignis…“