vonHelmut Höge 22.10.2009

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Ein utopisches Projekt – abgewickelt

800 Jahre lang wurde im Mansfelder Land zwischen Eisleben und Aschersleben Bergbau betrieben. Über 3000 Schächte gruben die Bergarbeiter dort in die Erde und zweieinhalb Millionen Tonnen Kupfer förderten sie dabei zu Tage. Bis zum Ende der DDR waren im VEB Mansfeld Kombinat und in den umliegenden Betrieben  13.000 Menschen beschäftigt.

2000 heißt es in einer Reportage des „Freitag“ über die Region:  „Noch nie in der 800-jährigen Bergbaugeschichte war das Gebiet so tot wie heute. Junge Leute verlassen die Stadt, gehen über den Harz in den anderen Teil Deutschlands. In manchen Monaten beträgt die Arbeitslosigkeit bis zu 50 Prozent.“

2005 schickte dagegen die ARD ihren Altreporter Fritzt Pleitgen ins Mansfelder Land, um dort doch wenigstens einige „Erfolgsgeschichten“ aufzuspüren: „So baut ein Winzer auf einer Braunkohlenhalde ertragreich Wein an. Das Werk MKM mit 1000 Mitarbeitern hat sich die modernste Kupferfertigung der Welt zugelegt. Die Firma gehört nun einer Aktiengesellschaft aus Kasachstan. Mit viel Mut haben ehemalige Kombinatsmitarbeiter eine europaweit einzigartige Reparaturwerkstatt für Dampflokomotiven aufgebaut. Und schließlich die Nonnen des Zisterzienser-Ordens im Kloster Helfta! Sie haben in Luthers Eisleben für ein Comeback der Katholischen Kirche gesorgt, das bei meinem ersten Besuch 1981 niemand auf der Rechung hatte.“

Nach Ende des Ersten Weltkriegs und der Revolution von 1918 fanden hier die heftigsten Klassenkämpfe statt. 1921 schickte die SPD-Regierung Einheiten der gerade neu organisierten preußischen Polizei nach Hettstedt und Eisleben, um den Unternehmern die dortigen Betriebe zu erhalten. Teile der Arbeiterschaft in der Region reagierten darauf mit Streiks und Betriebsbesetzungen. Einen Mittelpunkt bildete das Chemiewerk in Leuna. Die kommunistischen Parteien waren sich nicht sicher, wie sie auf diese Situation reagieren sollten. Unter Druck der Kommunistischen Internationale wurde halbherzig zu einem deutschlandweiten Generalstreik aufgerufen, der nur wenig Resonanz fand. Außerdem wurden einige Funktionäre in die Region entsandt. Auf der anderen Seite schickte die SPD-Regierung Freikorps, in einem kämpfte der spätere SS-Massenmörder Dr. Dirlewanger – insbesondere gegen die Arbeiterwehren, die der herbeigeeilte KAPD-Kämpfer Max Hoelz organisiert und bewaffnet hatte. Diese überzogen laut Wikipedia „die Region um Mansfeld, Eisleben und Hettstedt mit Brandstiftungen, Plünderungen, Bankraub und Sprengstoffattentaten sowie Zugentgleisungen und Sprengungen von Eisenbahnstrecken.“ In den Leunawerken verbarrikadierten sich die Arbeiter gegen die Reaktion. Der Aufruf zum Generalstreik durch die KPD-Bezirksleitung wurde nach und nach im gesamten Bergbaugebiet Mansfeld-Eisleben befolgt. Nach weiteren Bombenanschlägen gegen Justizgebäude in Dresden, Leipzig und Freiberg sowie blutigen Zusammenstößen zwischen Arbeitern und Polizei in Hamburg verhängte Reichspräsident Friedrich Ebert den Ausnahmezustand. Im mitteldeutschen Industriegebiet verschärften sich daraufhin die Kämpfe, die nun auch auf Halle, Merseburg und Bitterfeld übergriffen. Polizei,  Regierungstruppen und Freikorps setzten sich jedoch durch und schlugen die Aufstände blutig nieder. Die Besetzung der Leuna-Werke wurde mit Artilleriebeschuss und der Erstürmung des Werksgeländes beendet. Am 1. April 1921 wurde die letzte, von Max Hoelz geführte Gruppe von Aufständischen bei Beesenstedt zersprengt – und Hoelz wenig später zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt, auf Druck der Öffentlichkeit amnestierte man ihn 1928, ein Jahr später emigrierte er in die UDSSR, wo er 1933 starb.

Gegen Ende der Zwanzigerjahre waren die Menschen im Mansfeldischen fast in zwei Lager gespalten: Kommunisten und Nationalsozialisten. Die einen wie die anderen wurden von Inflation und Arbeitslosigkeit bedrückt. Unterdes hatte sich die Sowjetunion zum Haupteinwanderungsland entwickelt: Sie zog Arbeitskräfte aus allen Industrieländern an. Überall entstanden neue Fabriken. In dieser Situation schrieb Otto Brosowski, der Sekretär der KPD-Betriebszelle des Paul- und Vitzthum -Schachtes bei Gerbstedt, der  Parteizentrale des Dzierdzynski-Schachtes im ukrainischen Kriwoi Rog einen Brief, in dem er an die Solidarität der Bergarbeiter apellierte. In der Folgezeit entwickelte sich daraus eine gewisse Verbundenheit zwischen den Belegschaften der zwei Schächte. 1929 schickten die Kommunisten des ukrainischen Bergwerkes eine reich bestickte rote Fahne nach Gerbstedt. Sie wurde vom kommunistischen Landtagsabgeordneten Karl Schulz aus Neukölln feierlich – mit Reden, Musikzügen und Fackelumzug – an Otto Brosowski übergeben. In den darauffolgenden Jahren wurde die „Rote Fahne von Kriwoi Rog“ bei allen Arbeiterdemonstrationen im Mansfelder Land mitgeführt.

Die Nationalsozialisten waren ebenso scharf auf Symbole wie die Kommunisten. Sie versuchten die rote Fahne aus Kriwoi Rog zu „besiegen“. „Am 12. Februar 1933 überfielen SA- und SS-Angehörige eine Arbeiterturnhalle in Eisleben. In dieser Turnhalle fand gerade eine Jugendweiheveranstaltung – von der Kommunistischen Partei Deutschlands organisiert – statt. Die Männer der SA und der SS gingen mit äußerster Brutalität – teils mit Spaten – gegen die Anwesenden vor. Walter Schneider und Otto Helm wurden erschlagen. Sie verstarben noch in der Turnhalle. Der Bergarbeiter Hans Seidel wurde schwer verletzt. Er verstarb am folgenden Tag im Knappschaftskrankenhaus in Eisleben. Der in der DDR bekannte KPD-Funktionär Bernhard Koenen verlor ein Auge. Dieser als ‚Eislebener Blutsonntag‘ in die Geschichte eingegangene Überfall forderte 3 Tote und 26 Schwerverletzte. Es war das erklärte Ziel der Mansfelder Nationalsozialisten, die Fahne von Kriwoi Rog in ihren Besitz zu bringen und auf dem historischen Marktplatz von Gerbstedt zu verbrennen. Die Familie Otto Brosowskis wurde von nun an mit Hausdurchsuchungen terrorisiert. Die Fahne aber blieb unauffindbar,“ heißt es auf der Internetseite „www.harz-saale-de“.

1945 eroberten zunächst die Amerikaner das Mansfelder Land. Als dann die Rote Armee einmarschierte, ging ihnen die Familie Brosowski mit der unversehrten „Fahne von Kriwoi Rog“ entgegen. Der Maler Karl Kothe hat diesen historischen Augenblick 1953 im Auftrag des Mansfeldkombinats in einem Gemälde festgehalten. Eine in Keramik gefasste Kopie des Bildes hing bis zur Wende in der Halle des Dessauer Hauptbahnhofs.

Zu Ehren von  Otto Brosowski wurde dann der „Paulschacht“ und im Jahre 1971 die Oberschule in Gerbstedt benannt. Der Schacht mußte  1961 stillgelegt werden, die Otto-Brosowski-Oberschule existiert heute noch als Sekundarschule, sie wurde nach der Wende jedoch – ausgerechnet – auf den Namen des Grafen Schenck von Stauffenberg umbenannt. (1) Die „Fahne von Kriwoi Rog“ kam in das „Deutsche Historische Kohl-Museum“ Berlin. Das „Kombinat Mansfeld“ wurde in der Wende von der Treuhandanstalt erst in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und dann 1993 aufgelöst. (2)

Bereits 1960 hatte der Arbeiterschriftsteller Otto Gotsche die Fahnen-Geschichte zu einem Roman verarbeitet: „Die Fahne von Kriwoj Rog“. Im selben Jahr machten Inge und Heiner Müller daraus ein „Szenarium“ für das DDR-Fernsehen: „Müller und seine Frau Inge saugten aus dem Gotsche-Dickleiber alles ideologische Geröll heraus und bauten ein durchsichtig-klares Kammerspiel,“ schreibt „Die Welt“….Inszeniert wurde es dann auch von einem Theaterregisseur: von B.K.Tragelehn. Sieben Jahre später wurde der Roman für das Kino verfilmt – von Kurt Maetzig, mit Erwin Geschonnek als Otto Brosowski. Der Roman beginnt 1927, der Film 1945 – als die Brosowskis die Fahne auch noch für kurze Zeit vor den amerikanischen Besatzungstruppen verstecken mußten.

1952 war in der DDR bereits ein sowjetischer Roman – von Alexej Gurejew – erschienen, der „Rote Sterne über Kriwoirog“ hieß. Im Mittelpunkt dieses Aufbauwerks steht die Entwicklung eines südukrainischen Bergarbeiters, der noch zu quasi vorrevolutionären Arbeitsbedingungen – zu Beginn des ersten Fünfjahresplans 1928/29 – in einem Schacht als Pferdeführer anfing – und sich dann durch Selbstschulung und -disziplinierung stetig hocharbeitete. Während des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion kämpfte er als Soldat an der Front, ab 1944 beteiligte er sich am Wiederaufbau der zerstörten Anlagen des „Bergbau-Trusts Kriwoj Rog“. Der Romantitel bezieht sich auf den dortigen Brauch, auf jeden Förderturm einen roten Stern anzubringen, der aufflammt, wenn die Schicht ihre Tagesnorm erfüllt hat.

Die Erzschächte von Krivoj Rog gehörten vor der Revolution zumeist ausländischen Investoren, aus Frankreich z.B.. Im Bürgerkrieg nach 1917 wurde die Region mehrmals von den Weißen eingenommen – und anschließend von den Grünen – den anarchistischen Partisanen von Nestor Machno zurückerobert. Dessen Hauptquartier Guljajpole befand sich ebenfalls in der Südukraine, 280 Kilometer entfernt von Kriwoi Rog. Gegen Ende des Bürgerkrieges nachdem sie auch noch den von der deutschen Heeresleitung als Führer der Ukraine eingesetzten Ataman Skoropadsky vertrieben hatten, wurden auch die Machno-Truppen besiegt – von den zunächst mit ihnen verbündeten Roten. Machno selbst gelang die Flucht nach Paris, wo er 1934 starb. Im Zweiten Weltkrieg zerstörten die Sowjets die Schächte, damit sie nicht von den erneut in die Ukraine eingefallenen Deutschen ausgebeutet werden konnten. Diese versuchten einige wieder in Betrieb zu nehmen. Als sie sich jedoch 1944 wieder von dort zurückziehen mußten, sprengten sie diese  Schächte und noch so manches andere. Im Jahr darauf mußten deutsche Kriegsgefangene einiges wieder aufbauen.

Seit Maxim Gorki den Schiftstellern in  den Zwanzigerjahren vorschlug, Biographien von Fabriken zu verfassen, entstanden in der Sowjetunion eine ganze Reihe von Betriebsgeschichten. Erwähnt sei der während des ersten Fünfjahresplans veröffentlichte und 1952 auf Deutsch erschienene Aufbau-Roman von Mariette Schaginjan: „Das Wasserkraftwerk“. Ferner Anton Semjonowitsch Makarenkos verfilmter Bestseller über den Aufbau einer „Kolonie“ für verwaiste Kinder und Jugendliche: „Der Weg ins Leben“, das sich wesentlich von seinem darauffolgenden Roman „Flaggen auf den Türmen“ unterscheidet, in dem es um die Realisierung seines zweiten Projekts – einem Industrieobjekt für Jugendliche – geht, und das bis in die Sprache bereits ganz von „Planerfüllung“ durchdrungen ist. Dann das Buch „Die Baugrube“ vom sowjetischsten aller sowjetischen Schriftsteller Andrej Platonow, der darin wie auch in seinen anderen Werken schon sehr genau zwischen einem Emanzipations- Projekt und einer -Bewegung unterschied. „Scheißkerl!“ schrieb Stalin an den Rand eines seiner Manuskripte. Außerdem Wassili Ashajews Bestseller über eine sibirische Großbaustelle: „Fern von Moskau“, zu dem Alexander Solschenizyn in seinem Buch „Der Erste Kreis der Hölle“ anmerkte, dass es ein verlogenes Machwerk sei, denn ohne dass es erwähnt wird, ginge es darin um ein Zwangsarbeitslager in Sibirien – „vielleicht sogar von einem Sicherheitsoffizier geschrieben“. Schließlich Fjodor Gladkows Bestseller „Zement“, aus dem Heiner Müller 1972 ein Theaterstück machte. Gladkow hatte sein Werk bei jeder Neuauflage überarbeitet – und dabei aus den Alltags-Dialogen sukzessive Sonntags-Reden, d.h. eine trockene Funktionärssprache, gemacht. Walter Benjamin, der das Buch in den Zwanzigerjahren las, hatte den Autor gerade deswegen gelobt, weil er ihm als der Erfinder des bolschewistischen Argot galt. Für seine Bühnenfassung gab Heiner Müller daraufhin zusammen mit Fritz Mierau die erste Übersetzung von 1927 noch einmal – quasi heimlich – heraus. Schließlich sei noch der Aufbauroman „Das Sägewerk“ von Anna Karawajewa aus dem Jahr 1927 erwähnt. Kürzlich erschien auf Deutsch ein polnischer Roman von Daniel Odija, der ebenfalls „Das Sägewerk“ heißt. Es geht darin um die Bewohner eines Kolchosdorfes mit einer Kolchosensiedlung, aber seit der Wende ohne Kolchose, dafür jedoch mit einem neuen Sägewerk, das ein Projektemacher (Businessman) aufbaut und womit er einige neue Arbeitsplätze schafft. Er wird mächtig und kann sogar Politikern die Stirn bieten, aber nach einer Reihe von Fehlschlägen geht es bergab. Am Ende zündet er sein Werk an, damit es nicht seinen Gläubigern in die Hände fällt.

Zu dem Genre Fabrik-Biographien gehört auch noch der Roman „Rote Sterne über Kriwoirog“. Als er 1952 auf Deutsch erschien, begann man in der DDR ebenfalls an die  Veröffentlichung von Fabrikbiographien zu denken. Dazu sollten sich die Künstler ab 1959 gemäß des „Bitterfelder Weges“ in die Produktion begeben. Heiner und Inge Müller recherchierten in diesem Zusammenhang ein Jahr lang im Braunkohleveredlungsbetrieb „Schwarze Pumpe“. Das aus dem Berliner Glühlampenwerk hervorgegangene Kombinat Narva veröffentlichte seine Betriebsbiographie, immer wieder erweitert, unter dem Titel „Arbeiter machen Geschichte“, Ähnliches unternahm auch das Bischofferöder Kaliwerk „Thomas Müntzer“. Die Wolfener Filmfabrik ORWO gab eine ganze Schriftenreihe in eigener Sache heraus. Nach der Wende erschien noch ein üppiges Geschichtswerk  über das „Eko-Stahlwerk“ in Eisenhüttenstadt und über den in der Zwischenzeit abgewickelten Westkonzern  „AEG“ sowie über dessen einstigen Moskauer „Milchbruder“: „Elektrosawod“ – u.a. von Wladislaw Hedeler. Im Westen bestand dieses Genre zumeist aus Unternehmerbiographien bzw. Firmenwerbung. Erwähnt seien die Geschichten von Siemens, der Deutschen Bank, Hapag-Lloyd und BBC/ABB – von Werner Catrina. Zumeist ließen die Konzerne sie von dafür bezahlten Historikern verfassen. Daneben gab es jedoch auch einige kritische Betriebsgeschichten: u.a. das „Daimler-Benz-Buch“, „Das Glühbirnenbuch“, „Die Aldi-Welt“ und ein von Michael Gromm im Selbstverlag herausgegebenes Buch über die Braunkohleförderung in der Lausitz und den Konzern „Vattenfall“: „Horno – ein Dorf leistet Widerstand“. Zuletzt erschien noch ein ähnliches Geschichtsbuch über „Heuersdorf“, hierbei hatte jedoch schon der Energiekonzern Vattenfall die Redaktionsführung.

1986 schrieb der Haushistoriker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „überall, auch an den Leitungen, aus denen die Bundesrepublik sowjetisches Erdgas bezieht, kleben das Blut, der Schweiß und die Tränen von Heeren sowjetischer Arbeitssklaven“. Das war zur Begründung des von den USA verhängten „Röhrenembargos“ behauptet. Um die Gas-Pipeline zwischen dem sibirischen Gasfeld auf der Halbinsel Jamal und der Ukraine, der Tschechoslowakei sowie der DDR dennoch bauen zu können, verpflichteten sich die sozialistischen Bruderländer, bestimmte Bauabschnitte zu übernehmen. Die DDR übernahm einen Abschnitt in der Ukraine und im Ural. Die Arbeitsplätze dort in den Luxuslagern waren „Kampfplätze gegen den Imperialismus“: Statt Blut, Schweiß und Tränen gab es ein fröhliches Lagerleben, mit jede Menge Sondervergütungen und Privilegien daheim. „Einmal Trasse – nie mehr arm!“ So wurde ein Arbeitseinsatz in der Sowjetunion gesehen. „Wenn am Flughafen Schöneberg einer zu mir ins Auto stieg und sagte ‚Einmal Leibzig‘, dann wußte ich: der kommt von der Erdgastrasse.“ So ein Taxifahrer über die „Trassenbauer“. Sie errichteten im Ural ganze Siedlungen, Heizwerke, riesige Fabriken und Verdichterstationen für das Gas. Diese erfolgreiche Zusammenarbeit sollte sich dann beim Bau des größten „Bergbau- und Aufbereitungskombinats Kriwoi Rog“ in der Ukraine fortsetzen…

Über dieses riesige Projekt gibt es nun ein wunderbares, dickes Buch „Das eiserne Problem des Sozialismus, Ukrainisches Erz zum hohen Preis“ (Schibri-Verlag 2009). In ihm erzählen die am Bau des BAK  Kriwoi Rog Beteiligten – vom Kind bis zum Direktor und Minister – die Geschichte ihrer Zusammenarbeit vom Anfang bis zum bitteren Ende – d.h. bis heute. Auf deutscher Seite war das „Mansfeld Kombinat“ in Sachsen-Anhalt für die Durchführung des Projekts zuständig.

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(1) Über den klügsten aller deutschen Juden- und Kommunistenvernichter Stauffenberg, der den deutschen Krieg in einen sowjetischen Bürgerkrieg verwandeln wollte,  schrieb Bertolt Brecht am Tag nach dem Hitler-Attentat in sein Arbeitsjournal: „als etwas über die blutigen vorgänge zwischen hitler und den junkergenerälen durchsickerte, hielt ich für den augenblick hitler den daumen; denn wer, wenn nicht er, wird uns schon diese verbrecherbande austilgen? zuerst hat er dem herrnklub seine SA geopfert, jetzt opfert er den herrnklub, und was ist mit der ‚plutokratie‘? die deutsche bourgeoisie mit ihrem junkergehirn erleidet einen gehirnschlag (die russen marschieren auf ostpreußen.)“

(2)  Das „Mansfeld Kombinat Wilhelm Pieck“ bestand aus 19 Werken:

1. Aluminiumfolie Merseburg,

2. Aluminiumwerk Lauta,

3. August-Bebel-Hütte Helbra,

4. Berliner Metallhütten- und Halbzeugwerke,

5. Blechpackung Meissen,

6. Blech- und Packungswerke Stassfurt,

7. Eisen- und Hüttenwerke Thale,

8. Erzprojekt Leipzig,

9. Forschungsinstitut für Metalle Freiberg,

10. Industrieanlagen Dresden,

11. Kupferbergbau Niederböblingen,

12. Kupferhütte Ilsenburg,

13. Kupfer-Silber-Hütte Hettstedt,

14. Leichtmetallwerk Nachterstedt,

15. Leichtmetallwerk Rackwitz,

16. Schachtbau Nordhausen,

17. Schweißtechnik Finsterwalde,

18. Walzwerk Hettstedt,

19. Werk für Anlagen- und Gerätebau Eisleben / Hettstedt

Der Betriebsratsvorsitzende des Mansfeld Kombinats erzählte mir nach der Wende, dass sie sich als Vertreter der 13.000 Mitarbeiter noch vor den ersten Massenentlassungen – von der Treuhand  „Großflugtage“ genannt – eine Alternative zu den von oben nach unten durchgestellten und dann dort zusammen mit den Betriebsräten exekutierten Entlassungsquoten ausdachten: „Wir entlassen alle Bereichsleiter und die sollen sich mit ihrer jeweiligen Produktion und den dort Arbeitenden selbständig machen.“ Der Betriebsrat fand dafür Unterstützung bei einem der von der Treuhand eingestellten Westgeschäftsführer der nunmehrigen Mansfeld AG. Als sie zusammen die Landesregierung zwecks finanzieller Förderung angingen, stießen sie auf den entschiedenen Widerstand des damaligen FDP-Wirtschaftsministers: „Das ist Marktwirtschaft von oben – und kann so nicht funktionieren!“ Die „Mansfeld-Idee“ konnte sich jedoch trotzdem durchsetzen – und das Aluminium-Werk mit über 200 Mitarbeitern wurde ebenso ausgegründet wie die Kombinats-Schusterei mit 2 Mitarbeitern. Als diese Betriebe nach einem halben Jahr noch immer existierten, veröffentlichte der Wirtschaftsminister unter seinem Namen ein Buch mit dem Titel „Das Mansfelder Modell“. Der Betriebsratsvorsitzende meinte zu dieser Sauerei bloß: „Der Erfolg hat eben viele Väter.“

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Die Bergbaubetriebe der Region wurden nach 1945 als erstes zum Kombinat Mansfeld zusammengefaßt. In Kriwoi Rog entstand derweil im dortigen Hüttenkombinat der größte Hochofen der Welt. Ringsum wuchsen die Abraumhalden im Laufe der Zeit auf einige Milliarden Tonnen an. 1969 beschloß man, ein Aufbereitungskombinat dafür zu bauen. Mehrere RGW-Länder sollten sich daran beteiligen, ihre Bauleistungen sollten mit Eisenerz bezahlt werden. 1983 unterzeichneten vier Länder die Verträge. Obwohl bis dahin nie mit einem solchen Exportprojekt befaßt, wurde das Kombinat Mansfeld – wegen Brosowski und der roten Fahne – verpflichtet, den DDR-Teil des RGW-Vorhabens „BAK Kriwoi Rog“ zu steuern. Es gründete dazu in Berlin den „VEB Mansfeld Generallieferant Metallurgie“ (MGM).

Im Prinzip war dies ein ähnliches Gemeinschaftsprojekt wie die  Gastrasse von Sibirien in die DDR, nur dass um die  „Druschba“-Abschnitte, die zu bauen die DDR übernommen hatte, jede Menge Propaganda gemacht wurde, während das „BAK“  großenteils geheim war, zudem liegt Kriwoi Rog im Oblast Dnjepropetrowsk, der für Ausländer gesperrt war. Es arbeiteten dann auch viele Leute von der Gastrasse auf der BAK-Baustelle. Zunächst wurde jedoch erst einmal ein Bauarbeiterdorf in Dolinskaja 50 Kilometer entfernt von Kriwoi Rog errichtet. Zusammen mit dem „Definitivbau“ ergab das dann ab Mitte der Achtzigerjahre die größte Baustelle der Welt.

Das BAK ist jedoch heute noch nicht fertig. Erst verschwanden die Vertragspartner Sowjetunion und DDR, an ihre Stelle traten Ukraine und BRD. Dann galten plötzlich Weltmarktpreise, an denen gemessen das aufbereitete Eisenerz zu teuer wurde, so dass sich die BRD nach Abwicklung des Mansfeld Kombinats 1992 aus Kriwoi Rog zurückzog. Die ukrainische Notverwaltung des halbfertigen BAK schöpfte zwar Hoffnung, dass weiter gebaut werden würde, als die Stahlpreise ab 2002 stiegen.  Die Kiewer Regierung verhandelte bereits mit dem größenwahnsinnigen Inder Lakshmi Mittal, der bereits EKO-Stahl und Nova Huta erworben hatte. Aber mit der Wirtschaftskrise sanken nun die Chancen zum Weiterbau wieder gegen Null. Dafür hat jetzt einer der DDR-Baustellen-Dolmetscher, Rolf Junghanns, u.a. mit Geldern der Rosa-Luxemburg-Stiftung eine der wunderbarsten Industrieprojekt-Geschichten über das „BAK Kriwoi Rog“ veröffentlicht: Über 80 ehemalige Kollegen, russische Partner, westdeutsche Abwickler, Frauen und Kinder aus Dolinskaja kommen darin zu Wort. Seitdem Maxim Gorki die Idee verbreitete, Biographien von Fabriken zu schreiben, hat es so ein interessantes (und dickes) Buch noch nicht gegeben – und das, obwohl die Fabrik noch nicht einmal fertig ist.

Eigentlich wollte ich hier noch die interessantesten Gedanken daraus zitieren. Vielleicht läßt sich das aber auch nachholen.

In der Jungen Welt hat heute Hannes Hofbauer einen längeren Text über die IWF-Verschuldung der Ukraine veröffentlicht, u.a. geht es darin auch um das Eisenerz von Kriwoi Rog:

Der Osten des Landes lebt von Kohle und Stahl. Seit der walisische Unternehmer John Hughes 1869 mit seiner New Russia Coal, Iron and Railmaking Company für den Zaren eine Industrie aus dem Boden stampfen ließ, gehört der Osten der Ukraine zu den größten Industriegebieten der Welt. Mit dem Eisenerz aus Kriwoj Rog, das mit einer eigens dafür gebauten Bahn über den Dnjepr in die Kohlengebiete transportiert wurde und wird, war die Region Donbass geboren, wie der Rußlandspezialist und Historiker Hans-Heinrich Nolte in einem Beitrag in der Fachzeitschrift Technikgeschichte (Bd. 51, 1984) schreibt. »Hughes-Stadt« bzw. auf russisch »Jusovka« hieß der später in Donezk umbenannte Ort.

Der im Herbst 2008 auf dem Weltmarkt rasant sinkende Preis für Stahl war die Initialzündung für die wirtschaftliche Talfahrt der Ukraine. Die Stahlbarone sind ihrer Macht dennoch nicht verlustig gegangen. Nach der »orangen Revolution« war es die »Gasprinzessin« und spätere Ministerpräsidentin Timoschenko persönlich, die sich für eine Neuordnung der Eigentumsverhältnisse in der ukrainischen Leitindustrie eingesetzt hatte. Per Gesetz wurde die zuvor durchgeführte Privatisierung des größten Stahlwerks Kriworoschstal in Kriwoj Rog annulliert, die Hochöfen erneut in Staatshand gelegt, um sie dem Einflußbereich des politischen Gegners zu entziehen. So konnte das Unternehmen dem indisch-US-amerikanischen Stahlriesen »Mittal« verkauft werden. Erst damit war westlichem Auslandskapital in größerem Umfang das Tor geöffnet worden.

Im Osten des Landes konnte sich hingegen der Oligarch tatarischer Abstammung Rinat Achmetow behaupten. Seine Familie hatte bereits zu Sowjet­zeiten mit Glücksspiel Kapital angehäuft und war nach der politischen Wende in der Lage, dieses auch zu investieren. Heute gilt Achmetow als »Vater von Donezk«, wobei er sich der Liebe seiner Landsleute nicht sicher sein kann. Da helfen auch der pompöse Bau einer neuen Donbass-Arena und die Investitionen in den Fußballklub Schachtjor Donezk nicht. Allzu protzig zeigen er und seine Entourage die Fratze des Neureichen, für den die Gesetze des Staates nur dann Gültigkeit haben, wenn sie im eigenen Interesse sind. Wir reiben uns die Augen: Vereinzelt brausen schnelle Sportwagen oder abgedunkelte Luxuslimousinen mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit über den Artjom-Boulevard, die Hauptverkehrsachse der Stadt – nicht so sehr, weil die Fahrer sich an keine Verkehrsregeln halten, sondern weil sie ihre Autos ohne Nummernschild fahren. »An einem Auto ohne Nummernschild erkennt man die wirklich wichtigen Leute in der Stadt«, meint dazu unsere Begleiterin, für die das Spektakel selbstverständlich ist.

Keine drei Kilometer vom Donezker Stadtzentrum entfernt fahren die Kumpel in die Kohlengrube. Der Marschrutka-Bus Nr. 10 führt uns direkt zum Revier. »Sasjatko« heißt die Mine, aus der seit Jahrzehnten das schwarze Gold geholt wird. Im Jahr 2007 hat dieser Schacht traurige Berühmtheit erlangt, als während eines Gruben­unglücks 105 Kumpel bei einer Explosion den Tod fanden. Wie sehr Donezk auf einem Minenfeld steht, wird einem bei der Fahrt zum Bergwerkskomplex bewußt.

Vor dem Werkstor treffen wir einen Ingenieur. Er hat 35 Jahre hier auf Sasjatko gearbeitet, als Grubenmann begonnen, bis er sich mit staatlicher Hilfe weitergebildet und zuletzt Planungsarbeiten durchgeführt hat, bevor er Anfang dieses Jahres in Rente gegangen ist. »Früher haben hier 6000 Leute gearbeitet, heute sind es noch etwa 3000«, klagt er über den zunehmenden Mangel an Arbeitsplätzen. Mehr als 3000 Hrywna sind es nicht, die ein Kumpel im Monat verdient, wenn er in die bis zu 500 Meter tiefen Schächte einfährt, um die Kohlenflöze abzubauen. [100 Euro = 1230 Hrywna]

Bis auf wenige Ausnahmen sind alle ukrainischen Kohlengruben in Staatsbesitz. Von den 100 noch in Betrieb befindlichen Bergwerken gehören lediglich zwei privaten Eignern. Der Staat kann damit in dieser nicht unwichtigen Branche Preispolitik machen, indem er die Kohle billig hält und damit günstige Vorleistungen für die privatisierte Stahlproduktion garantiert.

Daß auf ganz anderer Ebene privat Kohle abgebaut wird, erfahren wir von einer Begleiterin, die sich allerdings hütet, ihren Namen zu nennen. Mehrmals schon war sie mit ausländischer Kundschaft unterwegs, um billige und qualitativ beste Kohle einzukaufen. »Überall im Revier«, meint sie, »wird danach gegraben«. Es sind illegale Trupps, meist aus zwölf bis 15 Mann bestehend, die sich stillgelegte Flöze aussuchen, um mit primitiven pneumatischen Hämmern ohne jede bergmännische oder gesundheitliche Vorsorge unter die Erde zu gehen. Die von Hand gebrochene Kohle ist qualitativ gut und zur Zeit für etwa 55 US-Dollar je Tonne zu haben. Die Arbeitsbedingungen sind indes unvorstellbar. Denn die Mannschaften werken ohne jeden Schutz; es gibt keine Be- und Entlüftungen, kein Ventila­tionssystem. Über Unfälle wird in der Regel nichts bekannt, sind doch die Diebe nicht daran interessiert, Ärger zu bekommen. Hunderte solcher Löcher soll es allein in der Umgebung von Donezk geben: Privatisierung auf archaische Art.

Auf höherer Ebene kriminell geht es bei der wichtigsten energetischen Einrichtung des Landes zu, der Gasversorgung. Jedes noch so kleine Dorf im Osten der Ukraine wird mit russischem Gas beliefert. Überall im Lande laufen dünne gelbe oder blaue Leitungen, meist oberirdisch geführt, zu kleinen Verteilerstellen, die dann jedes Haus versorgen. Ohne sibirisches Erdgas würde nicht nur die Industrie stillstehen, auch die Menschen in den Städten und Dörfern könnten nicht kochen und würden im Winter frieren.

Seit Januar 2009 gilt ein neuer Liefervertrag mit Rußland, der den Gaspreis an den Ölpreis auf den Weltmärkten koppelt. Zahlen kann Kiew die Lieferungen indes auch seither nicht, weshalb die Europäische Union spezielle Hilfskredite an das Land vergibt, um offene Rechnungen begleichen zu können. Ob dieser Vertrag den kommenden Winter überlebt, ist fraglich, zumal sich die innenpolitische Lage in der Ukraine wegen der für Januar 2010 angesetzten Präsidentenwahlen noch zuspitzen dürfte.

Wie rauh das innenpolitische Klima schon jetzt ist, zeigt eine Episode um den staatlichen Gaskonzern Naftogas. Am 3. März 2009 stürmte eine Sondereinheit des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU die Büroräume der Naftogas-Zentrale, beschlagnahmte so viel Material, wie sie zusammenpacken konnte, und nahm den für Verzollungen zuständigen Chefbeamten Taras Schepitko mit. Dieser hatte auf Anordnung der Ministerpräsidentin Brennstoffverzollungen durchgeführt und die dafür üblichen Überweisungsvorbereitungen getätigt. Gleichzeitig drohte Moskau wieder einmal wegen säumigen Zahlens mit Lieferstopp. Die Sondergruppe des Geheimdienstes SBU, die direkt Präsident Juschtschenko unterstellt ist, hatte es mutmaßlich auf den Originalliefervertrag zwischen Rußland und der Ukraine abgesehen, ohne den die Überweisung nicht getätigt hätte werden können. Ein möglicher weiterer Lieferstopp Anfang März – im Januar 2009 war der Gasstreit soweit eskaliert, daß auch die Transitleitungen in Richtung Westeuropa erstmals seit über 40 Jahren leer blieben – hätte der Regierung Timoschenko schwer geschadet, was ihrem Erzfeind Juschtschenko nur recht sein konnte. Vor dem Hintergrund dieser politischen Blockaden und gegenseitiger auch physischer Angriffe spielt sich Politik in der heutigen Ukraine ab. Naftogas-Mann Schepitko war nur ein kleines Bauernopfer im Spiel der Könige.

Absolute Zahlungsunfähigkeit. Staatsbankrott. So standen die Zeichen an der Wand, als sich im Herbst 2008 herausgestellt hatte, daß der ukrainische Wirtschaftsboom des ersten Jahrfünfts des 21.Jahrhunderts auf Sand gebaut war. Bereits seit der »orangen Revolution« vom Dezember 2004 zeigen die makroökonomischen Daten nach unten. Damals durften sich neben der alten Politgarde nun auch die sogenannten Reformer an den besten Stücken der Volkswirtschaft bedienen. Die Folge: Die Privatisierung – oder weniger lateinisch: der Raub von öffentlichen Gütern – nahm kein Ende. Die westliche Immobilien- und Finanzkrise, die im Kern Ausdruck einer Krise der materiellen Produktion unter kapitalistischen Verwertungsbedingungen ist, schlug 2008 auch auf die Ukraine voll durch. Der sinkende Stahlpreis minimierte die wichtigsten Exporteinnahmen beträchtlich.

Um die neue politische Klasse zu retten, die aus der »orangen Revolution« hervorgegangen war, zimmerte der Internationale Währungsfonds aus Wa­shington wie üblich mit Unterstützung der USA ein sogenanntes Hilfspaket für die Ukraine. 16,5 Milliarden US-Dollar wurden versprochen, die in fünf Tranchen kreditiert werden sollten. Bis September 2009 waren davon zehn Milliarden US-Dollar ausbezahlt. Als Bedingung dafür nennt der IWF nicht weniger als das vollständige Umkrempeln der ukrainischen Wirtschafts- und Sozialpolitik. Da diese im Angesicht der Pleite ohnedies machtlos, sprich: geldlos, ist, könnte das Unterfangen gelingen.

Im Visier des IWF befinden sich die Reste der früheren Sozialpolitik. Nach der längst erfolgten Privatisierung von Wohnraum, fordert Washington nun die Erhöhung von Massensteuern sowie die Streichung sämtlicher Subventionen im Sozialbereich. Tabak- und Alkoholsteuer wurden von der Regierung bereits in vorauseilendem Gehorsam angehoben. Jetzt geht es darum, den billigen, staatlich unterstützten öffentlichen Transport zu verteuern und, vor allem, um die Anhebung des Erdgaspreises für die Haushalte. Nicht weniger als die Verdreifachung des Gaspreises fordern die Ökonomen des Weltwährungsfonds. Sie haben in Präsident Juschtschenko einen willigen Mitstreiter. Im Interview mit der österreichischen Tageszeitung Die Presse vom 5. Juli 2009 erklärt der ehemalige Nationalbankchef und bekennende Neoliberale: »Ja, wir müssen unsere Gasbinnenpreise reformieren, modernisieren und die Preise liberalisieren.« Und weiter, sich direkt als IWF-Mann outend: »Ich rate, bei der Debatte über IWF-Kredite von einem Kriterium auszugehen: einer tiefgehenden Reform des Gasbinnenpreises.« Die innenpolitischen Differenzen in Sachen Wirtschafts- und Sozialpolitik bringt er im selben Interview folgendermaßen auf den Punkt: »Zwei Konzeptionen kollidieren: einerseits die Marktwirtschaft, andererseits Timoschenkos Politik des Populismus, der ausbleibenden Reformen und der administrativen Steuerung.« Juschtschenko steht selbstredend auf der Seite der Marktwirtschaft »ohne Attribute«, wie es einst der tschechische Ökonom und spätere Präsident Vaclav Klaus ausgedrückt hatte.

Ab September 2009 sollen die Gaspreise für die ukrainischen Haushalte jedes Quartal um 20 Prozent angehoben werden, ansonsten stoppt der IWF die weitere Auszahlung des Kredits. Der gleichzeitig sich fortsetzende Währungsverfall, Exporteinbrüche und Importstopps im Gefolge steigender Arbeitslosigkeit bieten einen idealen Nährboden für eine autoritäre Lösung, um der gesellschaftlichen Unruhe Herr werden zu können. Juschtschenko eignet sich für einen solchen Gewaltakt indes nicht mehr, zu sehr hat er sich mit Pro-NATO-Getöse und Antisubventionspolitik bei der Bevölkerungsmehrheit diskreditiert. Als kommender Mann westlicher Interessen gilt sein Nachfolger, der Multimillionär Arseni Jazenjuk. Überall in der Ukraine hat er im Herbst 2009 kleine Militärzelte aufstellen lassen, von denen aus mutmaßlich bezahlte Zettelverteiler eine ganz im Militarylook gehaltene Zeitschrift verteilen. Nasch Lider – Unser Führer steht darauf zu lesen. Im deutschsprachigen Raum klingt das nach einer antidemokratischen Drohung.

* Von Hannes Hofbauer ist in zweiter Auflage im Wiener Promedia Verlag erschienen: »EU-Osterweiterung. Historische Basis – ökonomische Triebkräfte – soziale Folgen«, 320 Seiten, 19,90

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2009/10/22/das_bergbau_und_aufbereitungskombinat_kriwoi_rog/

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  • Letzte Meldung von den BAK-Kriwoi-Rog-Veteranen und ihren derzeitigen Aktivitäten:

    Nachrichten zum 25. Jahrestag des BAK Kriwoi Rog

    Liebe Freunde und BAK-Kollegen, liebe BAK-Interessenten,

    Es wird nun höchste Zeit wieder mal eine BAK-Rundmail zu den neuesten Ereignissen um das BAK Kriwoi Rog zu versenden. Zunächst einmal allen BAK-Veteranen einen herzlichen Glückwunsch zum 25. Jahrestag der Baustelleneröffnung, der vor kurzem – am 10. Oktober – war.

    (Ich hoffe, es fühlt sich keiner durch die Bezeichnung „Veteran“ als zu alt dargestellt – die inzwischen vergangenen 25 Jahre seit BAK-Baustelle sind halt schon ein Vierteljahrhundert, auch wenn wohl die meisten von uns sich noch energiegeladen fühlen.)

    Zur Erinnerung an die ersten Wochen der RGW-Großbaustelle in Dolinskaja lade ich Euch ein, folgende Webseite anschauen mit einigen Fotos vom Baustart:

    http://www.bakbuch.de/Fotos_BAK-Start.htm

    Sicher wird da einigen wehmütig ums Herz, zumal die Anstrengungen von damals bis heute keinen vernünftigen Abschluss erfahren haben.

    Sollte jemand von den Mailempfängern aus irgendeinem Grund noch nichts vom BAK Kriwoi Rog, dem Bergbau- und Aufbereitungskombinat Kriwoi Rog, dieser riesigen Sozialismus-Integrations- und Desintegrationsbaustelle gehört haben, dann schaue er zuerst auf die Webseite

    http://www.bakbuch.de/bak.htm

    Wenn das Kombinat nun immer noch so still wie ein Kurort in der ukrainischen Steppe liegt, so wird doch um diese Integrations-Investruine immer wieder einiger Wind gemacht. In diesem Jahr haben auch wir, das heißt eine Reihe der Veteranen der BAK-Baustelle, die sich im April in Benneckenstein getroffen hatten, versucht etwas Wind zu machen. In unserer letzten Mail vom 1. Mai 2010 hatten wir berichtet, dass wir an den Präsidenten und den Ministerpräsidenten der Ukraine ein Schreiben gerichtet hatten, in dem wir dazu aufriefen, dafür zu sorgen, dass die Arbeit, die wir und unsere Kollegen aus den anderen beteiligten Ländern über viele Jahre geleistet haben, nicht entwertet werden darf und dass das Kombinat fertiggestellt werden muss. Soweit das für die meisten bereits Bekannte.

    Nachdem es lange so schien, als hätte unser Brief in Kiew keinen Eindruck hinterlassen, bekamen wir im August dann von der Botschafterin der Ukraine in Deutschland eine Antwort, die auf der Webseite

    http://www.bakbuch.de/zusammenk.htm

    nachgelesen werden kann. Ein Antwortschreiben, unterzeichnet von der Frau Botschafterin Zarudna persönlich – das ist schon was! Ob der Inhalt dieser Antwort befriedigend ist, darf jeder für sich selbst entscheiden.

    Als ob dieser Wind von uns nun sogar etwas bewirkt hätte, gab es vor knapp zwei Wochen neue Beschlüsse der ukrainischen Regierung in Richtung einer Privatisierung des Kombinats. Dazu mehr auf der Webseite

    http://www.bakbuch.de/chronik3.htm#aktuell

    (die aktuellsten Ereignisse stehen auf der Webseite ganz unten). Es ist sehr erfreulich, dass nun etwas in Bewegung zu kommen scheint. Allerdings konnte man in den letzten Jahren schon ähnliche Aktivitäten erleben, die dann aber wieder von kommerziellen oder politischen Gegenspielern ausgebremst wurden. Und ob man Rumänien und die Slowakei nun auf einmal so einfach davon überzeugen kann, ihre Anteile am Kombinat an die Ukraine zu übertragen, ist sehr fraglich – bisher waren die Verhandlungen mit beiden Ländern daran gescheitert, dass diese sich ihre Leistungen besser bezahlen lassen wollten, als das der Ukraine recht ist. Angesichts dessen erscheint fast als zweitrangig, in welche Hände das Kombinat für die Fertigstellung kommt – wenn es denn nur überhaupt in solche Hände kommt, die den toten Anlagen endlich Leben einhauchen, ehe alles vom Wind und Wetter und vom Rost zernagt und zerbröselt ist. Sicher wäre es die beste Variante, wenn der ukrainische Staat seine strategischen Ressourcen, wie es das Eisenerz eine ist, selbst in die Hand nimmt und verantwortungsvoll steuert, was sich am besten für das Wohl des Staats und seiner Menschen daraus machen lässt. Aber von einem solchen Denken hat man sich in der Ukraine wohl für die nächste Zeit erst einmal verabschiedet.

    Der Oktober als der Jubiläumsmonat des BAK hat den BAK-Interessenten wieder zwei Pressebeiträge beschert. Am 15./16.Oktober erschien in der Wochenendbeilage der „Thüringer Allgemeinen“ ein Beitrag über die Geschichte des BAK bis zum Sommer dieses Jahres, der demnächst auf der Webseite http://www.bakbuch.de eingestellt wird. Durch diesen Artikel ist es gelungen, der Öffentlichkeit im Erscheinungsgebiet der TA und mit ihnen auch den ehemaligem Kollegen aus dem Thüringer Raum Kunde vom weiteren Schicksal des Kombinats zu geben. Einige hatten sich daraufhin bei unserer Postadresse gemeldet. Für ihre Bereitschaft, über das BAK zu berichten, sei der Redaktion der „Thüringer Allgemeinen“ Dank gesagt.

    Einer der WBK-Kollegen, der sich bei uns gemeldet hat, hat Fotos von der Errichtung der Wohnhäuser des 6. Mikrorayons eingescannt, von denen wir demnächst einige auf die Webseite http://www.bakbuch.de/Fotos_BAK-Kollegen.htm einstellen werden.

    Am 5. Oktober 2010 erschien in der „jungen Welt“ eine Rezension eines Buches über die 100-jährige Geschichte des Agfa/Orwo-Werkes Wolfen. Der Rezensent Helmut Höge stellt dort unser Buch über das BAK Kriwoi Rog als nachahmenswertes Beispiel einer Betriebsgerichte heraus – sehr viel Ehre wurde uns da angetan. Nachgelesen werden kann das unter:

    http://www.bakbuch.de/meinungen.htm#JW2

    Zum BAK-Jubiläum geplant waren Veröffentlichungen in zwei weiteren Zeitungen, die aber wegen Überlastung der Redakteure bisher nicht zustande gekommen sind. Wir hoffen, dass es auch hier bald zum Druck kommt.

    Für Hinweise und Unterstützung, die uns zu weiteren Veröffentlichungen über das BAK Kriwoi Rog und unser Buch „Das eiserne Problem des Sozialismus“ verhelfen, wären wir dankbar.

    Abschließend noch ein Hinweis ganz in eigener Herausgeber-Sache. Obwohl unser Buch „Das eiserne Problem des Sozialismus“ immer wieder nachgefragt wird, stehen noch genügend Exemplare für Interessenten bereit, desgleichen weitere BAK-Erinnerungsstücke wie Fotos, CDs mit Musik aus Dolinskaja und Pressedokumenten zum BAK, die Eigenproduktion einer Ansichtskarte von Dolinskaja heute, ein Jubiläumsabzeichen 25 Jahre BAK, BAK-T-Shirts, ein Fotogedichtband mit Liedtexten aus Dolinskaja. Das alles kann über post@bakbuch.de bestellt werden. Was genau bestellt werden kann und wie genau dazu vorzugehen ist, steht unter

    http://www.bakbuch.de/Buchbestellung.pdf

    Wir hoffen, dass unsere Nachrichten interessant waren für Euch und Euch auch ein kleines bisschen Zuversicht über die Zukunft unseres Bauwerks vermittelt haben.

    Mit besten Grüße und einem herzlichen Glückauf

    Das Herausgeberteam des BAK-Buchs

    Friedrich Boers Rolf Junghanns Gerhard Kasten

    P.S.: Diese Nachrichten dürfen an frühere Kollegen und Interessenten für das BAK Kriwoi Rog weitergegeben werden. Gerne nehmen wir auch E-Mail-Adressen entgegen, um weitere Interessenten zu erreichen.

  • Sehr geehrter Herr Höge, vielen Dank für die Erwähnung meines Vater, des Kunstmalers Karl Kothe (1913-1965) aus Coswig/Anhalt über sein Werk „Die Fahne von Kriwoi Rog“.
    Hochachtungsvoll Julia Kothe de Carapeto.

  • Zum Problem, warum die „Betriebsbiographien“ (M.Gorkij) in Ost und West so unterschiedlich ausfielen und man überhaupt die deutschen Historiker vergessen kann (verglichen mit den französischen und englischen), hat Christian Semler am 14.12. Erhellendes beigetragen – mit einem Bericht über eine Konferenz von „Unternehmenshistorikern“ in Jena:

    Bollwerke der Ablehnung

    Auf der Titelseite der AIZ, der Illustrierten aus dem roten Münzenberg-Pressekonzern, sehen wir in der Ausgabe vom Oktober 1932 einen kleinen Adolf Hitler rechts unten im Bild, wie er den Arm zum Hitlergruß anwinkelt. Hinter ihm steht – in vielfacher Größe – ein Mann in feinem Tuch, dessen Gesicht nicht zu sehen ist. Er steckt ein Bündel Geldscheine in die geöffnete Grußhand des Führers. Der Titel der Fotomontage lautet: „Der Sinn des Hitlergrußes“. Am unteren Bildrand, in Hitlers Rücken ist zu lesen: „Millionen stehen hinter mir!“, und die Unterzeile lautet: „Kleiner Mann bittet um große Gaben“. Die Montage stammt von John Heartfield. Noch drei Monate, und Hindenburg wird Hitler zum Reichskanzler ernennen.

    Dass eine Reihe deutscher Unternehmer Hitler vor 1933 unterstützte, ist ebenso klar, wie dass das Gros der deutschen Kapitalisten in den Dreißigerjahren von der Naziherrschaft profitierte. Aber wie genau sich das Verhältnis der Unternehmer zu „ihrem“ Führer entwickelte und wie es sich charakterisieren lässt, ist seit Jahrzehnten umstritten. Am Wochenende machte es sich nun der zeitgeschichtliche Lehrstuhl an der Uni Jena zur Aufgabe, diese Kontroverse in zwei Schritten nachzuzeichnen. Zuerst sollte der Forschungsverlauf untersucht, dann der Ertrag diverser Forschung dargestellt werden.

    Nahezu alle renommierten Unternehmenshistoriker waren mit von der Partie. Wer glaubte, dass Unternehmensgeschichte eine dröge, hauptsächlich mit Geschäftsberichten und unverständlichen Grafiken befasste Angelegenheit wäre, sah sich auf angenehme Weise enttäuscht.

    In seinem Einleitungsbeitrag plädierte der Zeitgeschichtler Norbert Frei dafür, die Dichotomie Politik versus Wirtschaft hinter sich zu lassen. Es sei falsch, Unternehmern und Managern während des NS-Regimes stets ein rational-kalkulierendes Vorgehen zu unterstellen, stets bei Entscheidungen von einer unternehmerischen Eigenlogik auszugehen. Die Ökonomie war, so Frei, nicht Wirtschaft im, sondern Wirtschaft des NS-Regimes, weshalb man nicht von „Partnern“ im Sinne eines Gegenübers sprechen könne. Auch die Wirtschaft sei für die Volksgemeinschaftsideologie samt deren Verrücktheit gewesen. Als Beispiel führte er Friedrich Flick an und dessen irrationale Fixierung auf eine künftige Flick-Dynastie.

    Die Unternehmenshistorikerin Carola Sachse ließ den Streit der 1960er- und 1970er-Jahre, ob im Nationalsozialismus die Politik, also der NS-Staat, oder die Ökonomie, also die Unternehmer und ihre Verbände, das „Primat“ gehabt habe, nochmals Revue passieren. Die These vom Primat der Ökonomie wurde früher starr von den DDR-Historikern und ihren westdeutschen Adepten vorgetragen. Sie folgten der Definition, die 1935 auf dem VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale beschlossen wurde. Sie lautete: „Der Faschismus ist die offen terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.“ Die Schwächen dieser Definition liegen offen zutage. Sie konnte den mörderischen Antisemitismus genauso wenig erklären wie die nazistische Autarkie- und Expansionspolitik. Die undogmatische Linke bezeichnete sie als unbrauchbar angesichts der politischen Dynamik des NS-Staates, der den kapitalistischen Charakter der Produktion zwar erhalten, aber seinen Zielen untergeordnet habe. Eine richtige Einsicht, die allerdings, so Sachse, von einer dicken Patina bedeckt sei.

    In den 1960er- und 1970er-Jahren war diese Diskussion Ausdruck der Systemkonkurrenz zwischen beiden deutschen Staaten. Die DDR wollte die Kontinuität der faschistischen Unternehmenseliten in der Bundesrepublik beweisen. In der Bundesrepublik aber wurde dies als schiere Propaganda zurückgewiesen. Die Unternehmen sahen sich als Opfer der NS-Politik, der nazistischen Gewaltherrschaft ausgeliefert, zum Mitmachen verdammt. Dies änderte sich erst in den 1980er-Jahren, einer „lebhaften Kampfsituation“, wie Tim Schanetzky in seinem Vortrag ausführte. Bis zu dieser Zeit verstanden sich Unternehmensarchive als Bollwerke der Ablehnung jeder Forschung. Geöffnet wurden sie nur anlässlich der Selbstbeweihräucherung mittels Festschriften und im Dienste der Public Relations. In den 1980er-Jahre nun erlebte man die Gründung und rasche Verbreitung von Geschichtswerkstätten, von lokalen Initiativen fast immer außeruniversitärer Herkunft. Nicht umsonst konzentrierte sich deren Arbeit auf die Geschichte der Zwangsarbeit, gab es doch hier einen moralischen Einsatz. Die Täter (nahezu alle deutsche Unternehmen) standen ebenso fest wie die Opfer und wie die Forderung: Entschädigung.

    Im Fall der Festschrift des Daimler-Konzerns anlässlich seines hundertjährigen Bestehens griff die oppositionelle Daimler-Betriebsgruppe „Plakat“ solche Forderungen auf. Daimler sah sich mit einer konkurrierenden Gegenstudie aus dem Hamburger Institut für Sozialforschung konfrontiert. Da begann der Damm zu brechen. Heute werden zumeist unabhängige wissenschaftliche Institutionen mit der Erstellung von Firmengeschichten betraut.

    Die Gründe für diesen Positionswechsel liegen auf der Hand: Die dritte Generation von Managern nach dem Nazismus, durch keinerlei Loyalität mit den Altvordern verbunden, wollte endlich „die Kuh vom Eis haben“. Bei seiner Untersuchung über die Behandlung des Zwangsarbeiterkomplexes kam Constantin Goschler zu vergleichbaren Ergebnissen. Bei den Nürnberger Prozessen wurde die Anordnung von Zwangsarbeit noch als eines der schrecklichsten Verbrechen angesehen. Doch in der Bundesrepublik wurde sie als Normalfall der Kriegswirtschaft bagatellisiert. Dies wurde unter internationalen Druck sowie durch örtliche Initiativen ein zweites Mal „skandalisiert“.

    Heute geht es, wie Carola Sachse ausführte, um möglichst präzise Beschreibungen der Akteure und um detaillierte Untersuchungen von Institutionen. Die Opfer stehen jetzt im Mittelpunkt. Betriebliche Untersuchungen zum Einsatz von Zwangsarbeit und örtliche Studien zum Prozess der Arisierung bezeugen diese Tendenz in den letzten 10 Jahren.

    Im zweiten Teil des Symposions, das dem Ertrag der Unternehmensforschung abhandelte. flackerte immer wieder ein Streit auf, der tatsächlich die zentrale Frage im Verhältnis von NS-Staat und Unternehmen berührt. Wie autonom waren die Unternehmer gegenüber den staatlichen Instanzen, hatten sie Handlungsspielräume, oder waren sie durch das Netz der Kontrollen und Auflagen so gefesselt, dass man sie nicht mehr als Marktakteure bezeichnen konnte? Für die These einer weitgehenden Autonomie der Unternehmer treten die Mannheimer Wissenschaftler Christoph Buchheim und Jonas Scherner ein, Letzterer als Referent in Jena. Die Gegenposition, die Annahme übermächtigen Staatszwangs, vertritt der US-amerikanische Historiker Peter Hayes. Scherner untersuchte die Investitionstätigkeit einer Reihe von Großbetrieben und deren Verträge mit dem Reichswirtschaftsministerium. Dabei stellte sich heraus, dass sich fast immer die Betriebspolitik durchsetzte und die Betriebe den Vertrag bekamen, den sie für den günstigsten hielten. Aus der ablehnenden Haltung von Betrieben zu Kartellisierungen oder zu Fusionen folgten keine Sanktionen gegen sie. Nach Scherner scheint klar zu sein, dass das NS-Regime unabhängige, miteinander konkurrierende Betriebe, denen Auflagen erteilt werden konnten, den Staatsbetrieben vorzog. Man schätzte deren überlegenes Know-how. Die privaten Betriebe aber konnten die Brauchbarkeit ihrer Investitionen für spätere, „normale“ Zeiten in ihr Kalkül einbeziehen.

    Scherners Argumentation konnte in Jena nicht erschüttert werden. Für den Charakter der Betriebe erwies es sich als irrelevant, dass, wie eingewandt wurde, für ihre Produkte kein Markt existierte. Und auch der Versuch der Hannoveraner Historikerin Cornelia Rauh, Beweise für die Anwendung von Zwang bei den „Wirtschaftbürgern“ beizubringen, erwies sich als zu schmal für Verallgemeinerungen.

    Folgt aus diesen Jenaer Ergebnissen die Notwendigkeit, das Verhältnis von Zwang und Freiwilligkeit für die gesamte Bevölkerung unter dem NS-Regime neu zu bestimmen?

    Kaum. Denn schließlich gehörte die Großwirtschaft zusammen mit der Wehrmacht und dem Naziblock auf die Seite der Herrschenden.

  • Oben wurde aus Fritz Pleitkens staatliche TV-Reportage über das Mansfelder Land nach der Wende zitiert:

    „Und schließlich die Nonnen des Zisterzienser-Ordens im Kloster Helfta! Sie haben in Luthers Eisleben für ein Comeback der Katholischen Kirche gesorgt, das bei meinem ersten Besuch 1981 niemand auf der Rechung hatte.”

    Ich hatte zuvor mit der evangelischen Pastorin Christine Haas ein Interview geführt. Sie war aktiv am Kampf der Kalikumpel von Bischofferode im katholischen Eichsfeld beteiligt gewesen, die sich u.a. mit einem Hungerstreik gegen die Abwicklung ihrer Kaligrube durch die Treuhand beteiligt gewesen. Nun meinte sie,

    „daß jetzt nach der Niederlage so viel rückwärtsgewandtes Zeug im Eichsfeld passiert: Schützenvereinsgründungen, Traditionsumzüge und sogar Fahnenweihen“.

  • Der Herausgeber des ebenso wunderbaren wie umfangreichen Werks “Das eiserne Problem des Sozialismus, Ukrainisches Erz zum hohen Preis” (Schibri-Verlag 2009) schrieb mir heute zu der obigen etwas ausschweifenden Rezension seines Text-Bild-Bandes noch einige Korrekturen und ergänzende Hinweise:

    1. „WELT“ – „ideologisches Geröll“

    Eine Anmerkung zur WELT. Ich habe mich bei diesem Zitat gefragt, was von dem Thema „Fahne von Kriwoi Rog“ übrig geblieben wäre, wenn Heiner Müller sämtliche Ideologie aus dem Szenarium herausgekippt hätte? Diese Verbindung zwischen den sowjetischen und deutschen Kumpeln zu dieser Zeit unter dem Vorzeichen der Klassensolidarität – wie kann die denn frei von Ideologie sein? Ich bin kein WELT-Leser, aber ich denke mal (ideologisch), bei denen ergeben sich solche Äußerungen einfach aus dem Denkinstrumentarium.

    2. Betriebsgeschichten

    Zum Thema Betriebsgeschichten lässt sich sicher noch viel ergänzen. Ich kann zwei Ergänzungen liefern:

    – Der DDR-Rundfunk hatte regelmäßig Broschüren („Schriftenreihe“) zu seiner Geschichte herausgegeben. Ich kenne davon ein Heft, in dem es um die Errichtung des Rundfunkgebäudes in der Berlin-Oberschöneweider Nalepastraße ging (Architekt Franz Ehrlich).

    – Schachtbau Nordhausen: Die zum Bauer-Konzern (Bau- und Vortriebsmaschinen für den Bergbau) gehörende Firma Schachtbau Nordhausen (früher im Mansfeld Kombinat) hat vor zwei-drei Jahren (zum Firmenjubiläum?) ihre Betriebsgeschichte herausgebracht. Ich weiß das deswegen, weil einer der Hauptautoren unser Mitautor Heinz Hildebrandt war, der dafür in verschiedenen Archiven den früheren Ereignissen nachgegraben hatte.

    3. Flughafen Schöneberg

    Schreibfehler, muss Berlin-Schönefeld heißen. In Schöneberg kommt der Geräuschpegel nicht von Flugzeugen, sondern vom Straßenverkehr und von einer Glocke.

    4. Leibzig

    So spricht ein Sachse, wenn er sich bemüht, Hochdeutsch zu sprechen. Daheim unter seinen Landsleuten sagt er dann „Leipzsch“. Ich musste als Kind einige Lacher hinnehmen, als ich auf einer Bühne den Namen meiner Heimatstadt so unangepasst aussprach.

    5. Bauarbeiterdorf zusammen mit dem Definitivbau

    Hier stellen Sie eine Erbse neben eine Kanonenkugel. Da Sie nicht dort waren, fällt es Ihnen freilich schwer, die Relationen zu erkennen. Ich weiß nicht, ob Sie unser Buch noch zum Nachschauen haben? Unser DDR-Bauarbeiterdorf war relativ klein, gemessen an unseren definiten Bauobjekten. Sie können auf S. 282 des Buches einen Ausschnitt des Lagers sehen. Auf S. 286 werden die drei Wohnlager der CSSR, Rumäniens und der DDR gezeigt, da wirkt es schon etwas gewaltiger. Insgesamt beliefen sich die Ausgaben für die Errichtung dieses Camps auf einige wenige Prozent der Gesamtbaukosten. Die Errichtung des Bauarbeiterdorfes war für die Bauarbeiter nur eine „leichte“ Vorübung für die weiteren Arbeiten, die Errichtung der Zentralen Baustelleneinrichtung verlangte dann schon etwas mehr von ihnen, was aber im Vergleich zu den Definitivobjekten auch wieder nur ein Warmmachen war.

    6. Über 80 ehemalige …

    An unserem Buch haben „nur“ 60 Mitautoren, Interviewpartner und (ein) Künstler mitgewirkt. Es war auch so aufwändig genug.

    Soweit meine kleinen Anmerkungen, die Ihnen vielleicht etwas hilfreich sind. Alles in allem bleibt mir nur, Ihnen für Ihre Rezensionsmühe ein herzliches Dankeschön zu sagen!

    Herzlicher Gruß und Glückauf

    (der Bergmannsgruß ist von den Mansfeldern auf unsere Baustelle gebracht worden)

    Rolf Junghanns

  • „Bis zum Ende der DDR waren im VEB Mansfeld Kombinat und in den umliegenden Betrieben 13.000 Menschen beschäftigt.“

    Das ist richtig, aber nur die halbe Wahrheit. Bereits zehn Jahre vor der Wende wurde der letzte Schacht im Kupferrevier Mansfelder Land geschlossen: Vorkommen erschöpft. Bereits seit 25 Jagren vor der Wende war der Bergbaubetrieb hier sagenhaft unrentabel, die Kosten pro Tonne Fertigmetall betrugen minimal das zehnfache des Weltmarktdurchschnitts. Die Anlagen waren unzumutbar veraltet, überwiegend Material von vor dem ersten Weltkrieg. Die angestellen Bergleute verrichteten Pseudoarbeiten wie Schlackeaufarbeitung und -siebung, meist zur Herstellung von unfassbar teurem, rutschigen, schwarz-hässlichem und leicht radioaktivem Kopfsteinpflaster. Andere versuchten sich an Konsumgütern (besonders notorisch: elektrische Lockenwickler, 200 Angestellte, Jahresproduktion 1995 etwa 6000 Stück!!) Viele waren natürlich auch mit der sinnvollen Arbeit der Schachtsicherung und -rückbauung betraut. Die Walzwerke (Hettstedt) arbeiteten nur noch mit importiertem Material, die Aluwerke sowieso. Nur der Anlagenbau war (und ist) gut.

  • Es wäre doch ganz schön, wenn Herr Höge sich die – wie ich wohl weiß, beträchtliche, aber dennoch zumut- und m. E. unabdingbare – Zeit nähme, ordentlich zu recherchieren und Aussagen nicht durch Verweise auf wikipedia und irgendwelche Websites zu „belegen“. Journalismus kommt auf die Dauer völlig auf den Hund, wenn Journalisten – wie man allerorten feststellen kann – sich wie Pennäler verhalten, bei denen es beklagenswerterweise zum Usus geworden ist, sich überhaupt nicht mehr vom Schreibtisch und dem ins Internet eingeloggten Computer zu entfernen, sondern ohne viel kritisches Bewußtsein in die eigene Schreibe einfließen zu lassen, was sie als vermeintliche Weisheit aus dem Internet gesogen haben.
    Ein seriöser Journalist würde doch eigentlich nicht auf die Idee kommen, Informationen aus einem Artikel in einem lokalen Käseblatt ungeprüft zu übernehmen; viel schlimmer ist es aber doch, sich auf wikipedia und ähnliche „Quellen“ zu verlassen, wenn in jedem einzelnen Fall es völlig unklar ist, ob der Urheber auch nur irgendein Vertrauen verdient und ob nicht schon am nächsten Tag an betreffender Stelle etwas ganz anderes steht. Begreifen eigentlich Journalisten wie Herr Höge nicht, daß sie mit solcher Vorgehensweise sich selbst auf die Dauer überflüssig machen? Denn per Google im Internet „recherchieren“ können inzwischen Kinder – wozu sollte man da noch Journalisten brauchen außer dafür, die zweifelhaften Resultate in einem zusammenhängenden Text darzustellen?
    Es ist doch noch nie üblich gewesen, sich auf Behauptungen in der Proseminararbeit irgendeines Studenten im Grundstudium zu beziehen (wenngleich natürlich auch in einer solchen Arbeit durchaus etwas Zutreffendes und Vernünftiges stehen kann); nun aber finden Journalisten aus purer Bequemlichkeit offenbar nichts Anstößiges daran, sich auf Texte zu verlassen, die womöglich ein Vierzehnjähriger ins Internet gestellt hat. Wer sein wichtiges journalistisches Handwerk so unreflektiert und kritiklos betreibt, disqualifiziert sich in meinen Augen selbst.

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