Der Heizer
Meinungsbildung auf dem Weg in die Mittagspause vor dem Verwaltungsgebäude, in dem sich die Kantine befindet.
Pausenecke in der „Stanze“.
„Die DDR-Bürger sind noch naiv, die meinen, wenn sie in die Medien kommen, dann ändert sich schon was“. (Treuhandmanager Dr. Wolf)
Der Betriebsratsvorsitzende verläßt geschlagen den Betrieb – und dann springt auch noch sein Auto nicht an.
Zu Hause sortiert er erst einmal seine „Briefmarkensamlung“.
Im mit dem „Begrünungsgeld“ vom Senat üppig ausgestalteten Hinterhof wird unter der skobalitüberdachten Laube weiter politisiert, Hartmann bereitet sich dort auf seine PDS-Kandidatur vor.
Die letzte öffentliche Versammlung auf dem besetzten Betriebsgelände interessiert kaum noch jemanden.
Einige gemalte Arbeiter-Porträts:
„Letzter Arbeitstag“
Was danach geschah:
Hanns-Peter Hartmann brachte uns den Unterschied zwischen Rat und Solidarität bei. Der Betriebsratsvorsitzende des Batteriewerks Belfa, war als Arbeitsloser auf einer PDS-Liste in den Bundestag gekommen. Als MdB Hartmann wurde er jedoch nach einer Legislaturperiode nicht mehr wiedergewählt. Daraufhin begab er sich zum Sozialamt, wo man ihm sagte, da er Geld gespart habe, müsse er erst einmal davon leben, erst danach gäbe es Unterstützung.
Hartmann lief von Amt zu Amt – und wurde immer empörter. Er war in eine Versorgungsfalle gefallen.Wir gaben ihm daraufhin den Rat, das Geld von seinem Konto auf das seiner Freundin zu transferieren – und damit mittellos dazustehen. Von überall her bekam er bald gute Ratschläge, wirklich gute, aber er wollte keine Besserwisser um sich scharren, sondern Leute, die ihn in seinem gerechten Kampf unterstützten. Dabei kam heraus, daß seine Mittelschicht- und Intellektuellenfreunde viele Ratschläge wußten, wie er individuell – mit List und Tücke – die Situation für sich verbessern könnte, während seine Arbeiterkumpel eher zur Solidarität neigten, d.h. ihm bei seinen ehrlichen Durchsetzungsversuchen „den Rücken zu stärken versuchten“.
Weil die Ämter genau letzteres anscheinend fürchteten, entschieden sie sich dann ebenfalls für die intellektuelle Individualstrategie der List (des Privilegs, der Bestechung fast): der Leiter des Arbeitsamtes lud Hartmann auf eine Tasse Kaffee zu sich und bot ihm eine ABM-Stelle an. Hartmanns Freundin schimpfte hinterher: „Unsereiner hätte brav in der Schlange stehen und warten müssen, ohne eine Tasse Kaffee, da ist sie wieder, die Ungerechtigkeit!“
Dem pfiffigen, klugen Rat bzw. unkonventionellen Angebot haftet stets etwas Unrechtes an. Auf jeden Gewinner im Licht kommen immer neun Loser, die im Dunkeln bleiben. Der Arbeiterführer Hartmann ist übrigens Diplomagraringenieur von Beruf und nebenbei ein ausgebildeter Laienregisseur.
Der Hauptregisseur Carsten Eckard hat jetzt das Solidaritäts-Problem auf die Bühne gebracht – zuerst in Brüllin, dann in Kreuzberg und demnächst im Podewil sowie – ab Februar – im Tacheles. Sein Dreipersonenstück heißt „Meltingpot oder Schwierigkeiten beim Turmbau zu Babel“ und trifft auf eine aktuelle „Befindlichkeit“: „Nach BSE und Sebnitz ist nichts mehr so, wie es war,“ orakelte dumpf die Bild am Sonntag. Der Spiegel erklärte daraufhin die allgemeine Verunsicherung flugs zur Trendwende – und interviewte dazu den Ethnologen Hans-Peter Duerr, der den bedrohlich gewordenen Solidaritäts-Verlust beklagte. Andere sehen – seit dem Zerfall der Sowjetunion – die Mittelschicht zerbröseln: zur Pauperisierung verdammt. Wenn dem so ist, gehen uns jedoch eher die Ratschläge aus als die Solidarität, die mit der postproletarischen Verelendung wieder zunimmt. Die drei Schauspieler sind Ausländer: Einer kommt aus Nigeria, einer aus Österreich und Katja Shulman kommt aus der Sowjetunion. Ihr Trialog entwickelt sich im Zusammenspiel, das den gemeinsamen Wiederaufbau des Turms zum Gegenstand hat. Dabei werden alte Rechnungen präsentiert: die Frauenunterdrückung, die Kolonialisation des Afrikaners, die Revolution nicht als mehr Motor des Fortschritts, sondern als Notbremse – die seit Auschwitz skeptisch gewordene Aufklärung. Katja Shulman, die „verdiente Künstlerin Rußlands“, bleibt der Utopie am Treuesten.