So sieht ein versenkbarer Poller quasi von unten aus. Photo: nauticexpo
„Von hier aus ins Imgaginäre und wieder zurück“ (ein Projekt der NGBK)
„Die Werbung überzieht das Land flächendeckend – wie früher die Stasi,“ titelten einige Ostjournalisten nach der Wende in einem „Zeit-Magazin“, das daraufhin Ärger mit dem Zentralrat der deutschen Werbewirtschaft bekam.
Auf dem U2-Bahnsteig des Berliner U-Bahnhofs Alexanderplatz errang die „friedliche Revolution 89“ jedoch eine werbefreie Zone. Der Kreuzberger Kunstverein NGBK durfte diese Freiflächen dann mit Lottogeldern und Kunst „bespielen“. Aber kürzlich war damit Schluß. Gerade diesen hochfrequentierten Ort (3000 Menschen pro Stunde) wollte die BVG bei rückläufigen Werbeeinnahmen als IA-Standort für Firmenreklame nutzen. Die Kunst wurde auf ein totes Gleis – der U10 – abgeschoben. Dabei handelt es sich um eine z.T. noch fiktive Linie einschließlich Bahnhöfe zwischen Rathaus Steglitz und Innsbrucker Platz, die einmal bis Weißensee geführt werden soll. Auf dem U-Bahnhof Schloßstraße verläuft sie parallel zur U9. Über den Bahnhof baute der BVG-Architekt 1974 noch einen Aussichtsturm mit Restaurant – „Bierpinsel“ genannt. Auch er ist schon lange fiktiv, das heißt geschlossen. Nur manchmal mietet ihn jemand für eine clubähnliche Discoveranstaltung.
Man hat da oben einen guten Überblick auf die Einkaufszentren der Schloßstraße – bis hin zum Schöneberger „Gasometer“, aus dem man inzwischen eine riesige Werbefläche gemacht hat, die nachts weithin leuchtet. Laut ihres „Betreibers“ – Ströer Megaposter GmbH – hat sie „pro Nacht einen Werbewert von 165.000 Bruttokontakten“. Ein Bürgerinitiative in unmittelbarer Nähe bekämpft diese aufdringliche Nutzung des Industriedenkmals. Sie beruft sich in ihrer Kritik auf den Urbanisten Giuseppe Pitronaci: „Die Bürger haben ein Recht auf werbefreie öffentliche Räume. Und wirklich öffentlich ist ein Raum nur in dem Maß, in dem er nicht von privatwirtschaftlichen Interessen vereinnahmt wird – in einer auf Gemeinschaft orientierten Bürgergesellschaft ist ein solches Gegengewicht zu kommerziellen Einzelinteressen unverzichtbar“. Pitronaci warnt, das „der Druck, Flächen für Werbung zur Verfügung zu stellen, immer größer wird, je weiter sich der Staat aus der Finanzierung öffentlicher Dienstleistungen zurückzieht.“
Für den Philosophen Michel Serres bedeutet die Werbung „das eigentliche Übel“ , der Sozialwissenschaftler Ulrich Sonnemann sieht sie im Kontext einer uns umgebenden und durchdringenden „Okulartyrannis“. die es zurückzudrängen gilt. Die BVG würde desungeachtet am Liebsten alle ihre Züge und Bahnhöfe mit Werbung zukleistern. Zum Glück gibt das die Konjunktur nicht her. Für die Kunst im öffentlichen U-Bahnhofs-Raum bedeutet dies, da nicht mehr mit einer schnellen Fertigstellung der Linie U10 zu rechnen ist (am Innsbrucker Platz liegen noch nicht einmal Schienen), dass ihr in diesem werblichen Abseits u.U. ein langes Leben beschieden ist.
Die NGBK-„Projektgruppe“ hat sich denn auch zum Auftakt, am 15.Oktober, nicht lumpen lassen: Oben im „Bierpinsel“ gab es Suppe und Sekt und unten auf den U10-Bahnsteigen Musik, Reden und die Vorstellung der extra aus Texas und aus Cornwall eingeflogenen Künstler Sperandio & Grennan. Sie sind Vertreter einer Form von „Community Art“, deren „partizipatorischer Kunstbegriff“ sich in diesem Fall darin äußerte, dass sie zehn BVG-Nachtarbeiter porträtierten und daraus große Comicposter machten – mit Statements der Porträtierten jeweils. Die Poster werden in verschiedenen U-Bahnhöfen hängen und im U-Bahn-TV „plus“ (eine weitere Werbefläche) zu sehen sein. Es geht ihnen darum, diese „invisible workers“ gewissermaßen ans Licht zu zerren.
Die Künstler konnten nicht wissen, dass im öffentlichen Nahverkehr auch die Tagarbeiter inzwischen komplett „invisible“ sind. Hier – bei BVG und S-Bahn – hat die Sarrazinsche „Sanierung“ verbunden mit Massenentlassungen bereits derart gegriffen, dass es überhaupt keine Subjektstrategien mehr in den zwei riesigen Stadtbetrieben gibt. So dass in dieser Not die Objekte selbst sich quasi zu Wort melden mußten – in Form von Havarien durch Materialübermüdung. Bereits kurz nach der Wende, als der Paradigmenwechsel – vom Produktionsarbeiter zum Medien-Fuzzy – einsetzte, nahmen die Künstler schon die „Objektstrategien“ ins Visier: Alle ihre damals entstandenen „Baustellenbilder“ und „-Projekte“ sind menschenentleert. Nun, nach Finanzkrise und Materialschwäche, tauchen die ersten Nachtarbeiter wieder auf – buchstäblich aus dem Untergrund. Soll man sich darüber nun freuen? Sie machen einen geschwächten Eindruck.
Auch Michel Serres Argumentation leuchtet mir noch nicht ein: Für ihn ist die Markierung eines Territoriums durch einen Löwen – mit Urin, oder durch eine Nachtigall – mit Gesang, identisch mit dem Ziehen eines Zaunes, um einen territorialen Besitz zu markieren, aber auch mit den überall an den Straßen und in der Landschaft aufgepflanzten Werbebotschaften, die immer größer und aufdringlicher werden. Er spricht in diesem Zusammenhang von einem Inbesitznehmen durch Verschmutzen – und dies sei „Das eigen(tliche) Übel“, welches er, wenn ich richtig erinnere, in „harte“ und „weiche“ unterteilt, wobei letzteres durch seine Begrenztheit in der Zeit charakterisiert wird. Weiche Markierungen sind nicht auf Dauer. Die harten, materiellen, gilt es hinter sich zu lassen. Dazu zählt Serres auch die Verschmutzung der Welt durch Werbung. Während der Sozialphilosoph Ulrich Sonnemann eher eine Vernutzung der Welt im Blick hat, indem wir alle Sinneswahrnehmungen auf das Optische hin hierarchisieren. Er spricht dabei wie erwähnt von einer „Okulartyrannis“, die es abzuschütteln gelte, indem wir immer wieder auch die anderen Sinne zur Geltung bringen – bei der Aneignung von Welt. Leider hat sich dies auch die Werbeindustrie zu Herzen genommen. Sie geht immer multimedialer vor – in ihren Maßnahmen zur „gezielten und bewussten Beeinflussung von Menschen zu meist kommerziellen Zwecken“, wie Wikipedia es ausdrückt. Und versucht dabei fast alle unsere Sinne anzusprechen. Dennoch bleiben ihre „Images“ jedoch zumeist noch im Optischen, wo sie sich mit einer wahren „Bilderflut“ vereinigen. Dieser widmete di e Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften kürzlich die 20. Ausgabe ihrer Zeitschrift „Gegenworte“.
Den Anfang macht darin die Kulturwissenschaftlerin Doris Bachmann-Medick: Sie fragt, ausgehend von den „Urhebern“ der mit den elektronischen Medien aufgekommene „ikonischen Wende“, ob der „Iconic/Visual Turn“ sich sogar gegen die Worte richtet. Und spricht in diesem Zusammenhang von Bildforschung, Bildanthropologie, Bild-Akte, Welt-Bilder und Bilderfragen. Der Molekularbiologe Frank Rösl macht sich Gedanken zur visuellen Evidenz in der Biomedizin. Klaus Töpfer äußert sich zur Macht des Bildes in der Politik. Der Kunsthistoriker Pablo Schneider berichtet über einen wissenschaftlichen Bilderkrieg. Der Medienwissenschaftler Thomas Hensel nennt seinen Text über den Maler und Erfinder Samuel Moe „Das Bild im Spannrahmen“. Und der berühmte Berliner Bilderklärer Horst Bredekamp geht der amerikanischen „Picture-Manie“ in der noch berühmteren Zeitschrift „Nature“ nach: In den naturwissenschaftlichen US-Journalen stieg zwischen 1989 und 2001 der Prozentsatz manipulierter Bilder von 2,5% auf über 25 das „Journal for Cell Biology“ beschäftigt seitdem sogar einen „Bild-Detektiv“. Der Emeritus und Mitbegründer der Akademie Conrad Wiedemann lästert am Schluß über dies „ganzen „Imagologen“ – ob ihrer Bemühungen um saubere Bilder und der Etablierung eine eigenen „Bildwissenschaft“. Ihm ist der „Turn“-Begriff zutiefst verdächtig: Als man noch von „Protest“ sprach und damit „starke Bewegungen“ lostrat, war ihm wohler. Damals wie heute ging es um die „Deutungshoheit“, aber 68 gab man das wenigstens noch zu. „Ich habe das Gefühl, dass eine Emanzipation in diesem Fall gar nicht gelingen kann, auch und erst recht nicht, wenn „Bachmann-Medick mehr als 30 mal von einem“ (Iconic) „Turn“ spricht. Wobei es wahrscheinlich um das Einwerben von Forschungsgeldern gehe.
Die Werbung hat sich längst in alle Lebensäußerungen eingeworben, noch forciert durch die Online-Partnersuchdienste weltweit. Die israelische Kulturwissenschaftlerin Eva Illouz hat einige Benutzer dieser Partnersuchdienste befragt. Indem sie ein „Profil“ von sich erstellen und es ins Internet stellen, wird ihr „privates Selbst in einen öffentlichen Auftritt verwandelt“. Dadurch erfährt die „Ordnung, in der romantische Interaktionen traditionellerweise stattfinden, eine Umkehrung. Die virtuelle Begegnung wird so buchstäblich innerhalb der Marktstrukturen organisiert. Das Internet setzt jeden, der nach anderen sucht, auf einem offenen Markt der Konkurrenz mit anderen aus. Meldet man sich auf einer Seite an, ist man sofort in einer Position, in der man mit anderen konkurriert, die man sogar sehen kann“. Dadurch macht das Internet „aus dem Selbst eine öffentlich ausgestellte Ware“.
„Durch die Präsentation (mit Photo und Text) finden sich die Individuen buchstäblich in der Position von Leuten wieder, die für die Schönheitsindustrie als Models oder Schauspieler arbeiten, d.h. sie finden sich in einer Position wieder, a) die ihnen ein Höchstmaß an Bewußtsein für ihre physische Erscheinung abverlangt; b) in der ihr Körper die Hauptquelle sozialer und ökonomischer Werte ist; c) wo sie über ihren Körper in Konkurrenz zu anderen treten; d) wo ihr Körper und ihre Erscheinung insgesamt öffentlich ausgestellt werden“.
Eva Illouz kommt bei der Sichtung der „photographischen Profile“ in den Internet-Partnersuchdiensten zu dem Resultat, daß sie „mit den etablierten Richtlinien für Schönheit und Fitness“ übereinstimmen, während die Texte zur „Präsentation des Selbst sich durch Uniformität, Standardisierung und Verdinglichung“ auszeichnen. Die an diesen „Verfahren Interessierten“ stehen damit laut Eva Illouz vor dem Problem, wie sie mit der immer „größer werdenden Zahl und Geschwindigkeit romantischen Konsums und romantischer Tauschgeschäfte umgehen sollen“. Mit diesem Oxymoron bezeichnet die Kulturwissenschaftlerin einen „Prozeß“, der sich dem des „Tele-Marketings“ angleicht: „Das Selbst muß hier wählen und seine Optionen maximieren, es ist gezwungen, Kosten-Nutzen-Analysen und Effizienzberechnungen durchzuführen“. Auf diese Weise „radikalisiert das Internet die Forderung, für sich selbst das beste (ökonomische und psychologische) Geschäft zu machen“, d.h. nach Wegen zur „Verbesserung der eigenen Marktposition zu suchen.
Ich bin abgeschweift. Es ging um U-Bahn-Kunst statt -Werbung und konkret um outgesourcte BVG-Nachtarbeiter statt Karstadt- oder Vodafone-Models.
Hier kommt aber erst einmal noch eine Presseerklärung der Grünen zur Umfunktionierung des o.e. denkmalgeschützten Schöneberger Gasometers zu einer der größten Berliner Werbeflächen:
PRESSEMITTEILUNG der Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus Berlin
NR. 391
Datum: 29. Oktober 2009
Mogelpackung Energie-Universität
Claudia Hämmerling, MdA, erklärt zu den Planungen für den Schöneberger Gasometer:
Noch 2007 sollte das geplante Europäische Energieforum am Gasometer ein Impuls zur Aufwertung des Areals auf der Schöneberger Linse sein (Drucksache 16/11504). Jetzt erklärt der Senat in seiner Antwort auf eine kleine Anfrage das Gegenteil: Vorrangiges Ziel des betreffenden Bebauungsplans sei nicht die Schaffung eines Standorts für eine Europäische Energie-Universität, sondern die Ausweisung als Kerngebiet (Drucksache 16/13751).
Das Wissenschaftszentrum hat als politisches Argument für die Ausweisung als Kerngebiet ausgedient, denn inzwischen ist der Bebauungsplan festgesetzt. Obwohl in den Sternen steht, dass es je eine Europäische Energieuniversität geben wird, lässt das Planungsrecht jetzt zu, dass die Investoren auf der Schöneberger Linse vergleichbare Baumassen wie am Potsdamer Platz schaffen. Wieder einmal hat Berlin einen teuren Planungsvorteil für eine Bemühenszusage verschenkt, die nicht eingehalten werden muss.
Aber nicht nur das. Berlin erzielt keine Einnahmen dafür, dass Großflächenwerbung für einen Zeitraum von fünf Jahren das Denkmal Gasometer verschandeln darf. Dass Berlin mit der Änderung der Bauordnung 2006 auf Millioneneinnahmen für derartige Werbeprojekte verzichtet und die Sanierungskosten für den Gasometer nicht der Gasag auferlegt hat, ist bundesweit einzigartig und symptomatisch für das politische Desinteresse.
Es gibt keine Hoffnung, dass der Rechnungshof das Gasometer-Projekt einer unabhängigen Bewertung unterzieht, wie z.B. die Großflächenwerbung am Charlottenburger Tor durch die Stiftung Denkmalschutz, bei der es personelle
Überschneidungen mit den Akteuren am Gasometer gibt. Dem schiebt der Senat mit der parteiischen Neubesetzung der Stelle der Rechnungshofpräsidentin durch Staatssekretärin Dunger-Löper aus der Stadtentwicklungsverwaltung
einen Riegel vor.
Ein Senat, der unabhängige Kontrollgremien durch Parteisoldaten besetzt, ist politisch am Ende. Wir fordern, die Planungen für die Energie-Universität durch einen unabhängigen Rechnungshof zu prüfen.
Detlef Kuhlbrodt schickte sich gerade diesen Poller für mich, den er kürzlich in Leipzig photographierte (http://blogs.taz.de/tagesbriefe/2009/10/30/dem_pollerforscher_helmut_hoege/). Dieser gehört zum Innenstadt-System von automatisch versenkbaren Pollern dort, ist aber selbst nicht versenkbar, dafür jedoch mit einer Ampel ausgestattet – und einem neuen Wort: „Pollersignal“
Auch die Kunst bekommt in Berlin – der einstigen Frontstadt (Stadt des Friedens – im Osten genannt) – neuerdings etwas Metastasenhaftes (so wie die Straßenmöblierung insgesamt, die Poller und „Drop Sculptures“ im öffentlichen Raum). Gleichzeitig gemahnt dieses Ausufernde des Kunst- und Galeriewesens aber auch sympathisch an einen Potlatsch, der zudem etwas Widersinniges und Widerständiges hat, denn gleich nach der Wiedervereinigung prophezeite der Senat den Künstlern in Ost und West, die wegen der steigenden Mieten befürchteten, ihre Ateliers und Galerien zu verlieren, dass man dies nicht verhindern könne – sie müßten sich damit abfinden, über kurz oder lang an den Stadtrand zu ziehen. Nicht nur dieser „Trend“ hat sich umgedreht – statt der armen Künstler ziehen eher reiche Ökos, aber auch Dienstleistungsbetriebe (wie z.B. Ebay) aus der Stadt raus, sondern auch der, dass der Westen im Gegensatz zum Osten glitzert und glämmert:
Zwar gibt es ebenso wie in Mitte und Prenzlauer Berg auch immer mehr Galerien in Kreuzberg und Neukölln, aber wenn man abends durch beide Gegenden strolcht, wirkt der Westen im Gegensatz zu früher nun dunkler, roher und schmuddeliger – als z.B. die Gegend zwischen Brunnenstraße und Schönhauser Allee, wo überall Gruppen junger gebildeter Leute mit Bierflaschen in der Hand vor den Galerien stehen, in denen gerade eine Ausstellung stattfindet. Einige Trupps wandern von Galerie zu Galerie, unterwegs verständigen sie sich telefonisch mit anderen darüber, wo sie gerade sind, manchmal halten sie an und machen ein Photo von sich. Folgt man ihnen auf dem Ausstellungseröffnungspfad bis in die August- und Gipsstraße, hat man das Gefühl, hier geht es um Potlatsch! In der einen Galerie werden standardisierte finnische Vogelnistkästen ausgestellt, in der anderen riesige Farbdias hinter Licht, bei der dritten ist der ganze Raum von einer Japanerin mit stabilen Bindfäden verspannt, die vierte hat eine rostige Schweißarbeit in ihrem „White Cube“ platziert, die fünfte zeigt zarte Vogelzeichnungen, die sechste stellt ihre Arbeiten nur im Internet aus, und die siebte – die Berlinische Großgalerie – hat jede Menge DDR-Schrott aufbereitet und so quasi für die Kunst gerettet. „Das ist mir insgesamt etwas zu narrativ,“ mäkelt ein anerkannter Kunstkritiker, ein anderer: „Da steckt über eine Million drinne!“ Der Potlatsch besteht bekanntlich darin, dass ein Stamm einen anderen derart großzügig beschenkt, dass er sich dabei völlig ruiniert. Und in der Tat wird die eine Fluxus-Galerie in Mitte von ihrem Freundeskreis unterhalten und die andere von einem wohlhabenden Liebhaber dieser oft gänzlich unverkäuflichen Kunst so lange betrieben wie sein Geld reicht, eine dritte wird von einem Förderverein finanziert.
Bereits zu Punkzeiten, in den Achtzigern, bildeten sich im Prenzlauer Berg und in Kreuzberg Karawanen zu den Galerien, die sich oft in Kellern befanden. Aber damals hat man sich hüben wie drüben, ziemlich unabhängig voneinander und symmetrisch zueinander noch keine Gedanken darüber gemacht, was das nun wieder alles kostet. Miete, Strom, Einladungen, Materialkosten für den Künstler usw.. Irgendwie gab es diese Kosten gar nicht, deswegen kann dabei von Potlatsch auch keine Rede sein. Nur bei den Punkkonzerten fiel manchmal das Wort. Wenn man sich jetzt nur die renovierten und manchmal bunt angestrahlten Häuser ankuckt, in denen unten die Galerien hauptstädtische Kultur vermitteln, hat man schon den Eindruck eines Potlatschs. Und tatsächlich wurden die meisten Häuser über den Wiedervereinigungspotlatsch „Sonderabschreibung Ost“ (auch AFA genannt) erworben und quasi mit dem Kamelhaarpinsel von qualifizierten Polen restauriert. Die neuen Besitzer haben zwar nichts dagegen, damit jetzt wie verrückt Geld zu verdienen, aber notfalls lassen sie sich ihren stolzen Neuerwerb im Osten auch gehörig was kosten. Da nimmt die Immobilie dann vollends Potlatsch-Charakter an. Und bei den Künstlern bzw. Galeristen im Erdgeschoß ist es nicht viel anders. Symbolisches Kapital springt dabei – Pierre Bourdieu sei es gedankt – auf alle Fälle bei raus. Die FAZ spricht deswegen auch von einer „Win-Win-Situation“ – bei der keiner verliert. Aber Geld kostet es trotzdem – und ich möchte bezweifeln, dass das bei der Mehrzahl der über 300 Galerien in der Stadt irgendwie wieder reinkommt, wie man so sagt, zumal die Medien sie alle unmöglich zur Kenntnis nehmen, d.h. ihre Ausstellungen rezensieren können.
Die Tages-Kunstkritik beschränkt sich dann auch dummerweise mehr und mehr auf (künstlerische) Großereignisse. Zuletzt z.B. darauf, dass ein Bild des frühverstorbenen „S.O.-36“-Gründers Martin Kippenberger von seiner Stammkneipe „Paris-Bar“, wo er seine Kunst gegen Essen und vor allem Trinken tauschte, jetzt auf einer Auktion in London 2,5 Millionen Pfund einbrachte. Gemalt hatte es einst für Kippenberger nach Vorlage der letzte Berliner Kinoplakatmaler Götz Valien aus Reinickendorf – für 1000 DM. Auch ein Fall von Potlatsch, im Nachhinein. Kippenberger ließ damals malen, er signierte sein Bild auch nicht. Für Josef Beuys war noch „alles was signiert ist, Kunst“, für den noch moderneren Kippenberger wurde es dann die bloße Verfügungsgewalt über eine Idee.
Das geht heute (am 30.10.09) bis hin zu der riesigen blogger-aufregung um eine von der New-York-Korrespondentin und taz-bloggerin Eva Schweitzer bestellte „Schleppnetzfahndung“ nach Raubkopien von ihren Texten. Siehe dazu: http://blogs.taz.de/blogwart/
Kirsten Siedow (Lüneburg):
Was du als bloßes blogger-geblubber darstellst ist in Wahrheit eine ernsthafte Auseinandersetzung über „open source“ in einem konkreten Fall, wobei dieser wahrscheinlich so konkret ist, dass er die generelle Auseinandersetzung darüber gar nicht beeinflussen kann.
Trotzdem kommt dem Streit eine gewisse Bedeutung zu, weil die New-Yorker Autorin eine taz-bloggerin ist, und die taz ansonsten ständig die „open source“-Fahne und das „copyleft“ hoch hält.
Aber du müßtest doch eigentlich die Gegenposition zu ihr vertreten, da du dich doch sogar freust, wenn andere was von dir übernehmen – sei es ein kleiner Gedanke, sei es ein größerer Text, also nicht auf (Eigen-) Nutzen, sondern auf (Allgemein-)Wirkung bedacht bist…
Oder seh ich das falsch? Bist du jetzt auch zur kaufmännischen Fraktion der taz übergewechselt?