Photographiert der uns jetzt doch?!
16. November
Die ganze Nacht geträumt, ich fliege. Immer wenn es brenzlig wurde, hob ich ab und flog davon. Es war ein bißchen schwierig, aber es ging noch – fast wie früher. Gestern Abend saß ich noch in der Kneipe, redete mit dem und dem (einige blickten mich mißtrauisch an, andere wagten die Flucht nach vorne aus Neugier), dann kam der junge Polizist Heinz wieder und sagte sofort: laß uns gehen! Wir fahren den Berg hoch in eine Blockhütte. Eine Fete findet dort statt. Die Hütte gehört Udos Eltern. Seinen Vater habe ich schon im Wald bei den Waldarbeitern getroffen. Udo ist Forstwirt, bzw. Waldfacharbeiter. Ich habe ihn unterwegs schon mal gesehen: mit seinem Auto hätte er mich und das Pferd in einer Kurve fast überfahren. Wir trinken Cola-Whisky, Rum, Bier etc.. Langsam wird mir war, neben dem Bollerofen sitzend mich unterhaltend. Es sind ca. zehn Typen da und eine Frau. Alle so zwischen siebzehn und zweiundzwanzig. Eine Clique aus dem Dorf – die Clique. Es ist eine ganz gemütliche Atmosphäre. Udo sagt zu mir: „Du kannst heute Nacht unten bei mir schlafen, du kannst auch hier oben in der Hütte schlafen, solange wie du willst. Du kannst bei uns frühstücken und ich kann versuchen, dir einen Job im Wald zu besorgen. Du kannst alles von uns haben. Aber wehe du drehst ein krummes Ding. Wir kriegen dich, und wenn es in Südfrankreich ist.“ Er sagt diesen Spruch im Laufe des Abends mindestens zehn Mal – mit geringen Abweichungen. Dieses ewige Mißtrauen – diesmal anders.
Einige von den Typen aus der Clique sind bei der Bundeswehr, einige arbeiten im Wald, einige machen eine Handwerkslehre. Heinz ist Polizist, das Mädchen Verkäuferin. Um Vier gehen alle nach Hause. Die Frau hat mich für den nächsten Tag zu sich zum Mittag eingeladen. Unten in Udos Zimmer erzählt Udo mir noch einmal vor dem Einschlafen seine Mißtrauensstory. Ich kenne sie mittlerweile auswendig. In seinem Zimmer hängen überall Auto- und Motorrad-Poster. Um neun Uhr stehe ich auf, geh runter ins Dorf in den Pferdestall und schaue nach dem Pferd, dann frühstücke ich in der Dorfkneipe. Sie heißt „Unter den Linden“ und unter einer Linde ist auch die Toilette. Es ist ein altes, schönes, vergammeltes Plumpsklo, aber die Wirtin schämt sich deswegen und will es so schnell wie möglich abreißen lassen. Danach gehe ich zum Bauern Hermann. Zuerst helfe ich ihm eine Weile, dann gehen wir ins Haus Mittagessen. Wir einigen uns schnell über die Bezahlung (wie gehabt überlasse ich es ihm, was er mir am Ende geben will), dann will er Papiere sehen. Ich zeige ihm ein „Zeugnis“ von Dirk, das mich als qualifizierten „Landwirtschaftlichen Mitarbeiter“ ausweist und ein Zeugnis von seinem Schwiegervater, das mich als qualifizierten „Betriebshelfer“ bezeichnet – als er in Kur war, habe ich seinen Hof fünf Wochen lang mitversorgt. Besonders die Frau von Hans ist pingelig und mißtrauisch: Sie will sogar die Adresse von Tichys in Gebhardshain haben. Ich gebe sie ihr.
Trotz alledem ist die Atmosphäre ganz locker: Hans macht ab und zu faule Witze, die ihr beider Mißtrauen mir gegenüber etwas verlächerlichen sollen. Er erinnert mich ein wenig an Dirk, in mancherlei Hinsicht ist sein Hof auch ähnlich, und die Art und Weise wie er die Sachen anpackt: Nicht schlecht. Danach gehe ich wieder ins Dorf zurück, trinke mit dem Bauern, der Webers Pferde versorgt, einige Bier und hole Leinchen aus dem Stall, lege ihr das Gepäck wieder auf und wir gehen zum Bauern zurück. Leinchen kommt in den ehemaligen leerstehenden Schweinestall, den ich zuvor fertiggemacht habe. Ich bekomme ein komfortables Zimmer mit Schreibtisch und Waschecke. Der Bauer besteht auf dem „Du“, weil: „sonst hat das gar keinen Zweck“, sagt er. Ich schaue mich um, diskutiere ein wenig mit ihm – Vor- und Nachteile von Spaltenböden, etc.. Ich merke dabei, dass mir langsam meine Erfahrungen in den verschiedendsten Landwirtschaften zugute kommen, bzw. dass die Bauern davon profitieren können, sie sind jedenfalls immer ganz begierig zu erfahren, wie es in anderen Gegenden Deutschlands mit der Landwirtschaft aussieht, wie man da und dort dieses und jenes anpackt und diese und jene Probleme löst. Es sind gerade diese ganz praktischen Erfahrungen, die sie zu schätzen wissen.
Auf dem Hof arbeitet noch ab und zu der Bruder von der Frau von gestern Abend und ein alter Knecht – Philip, er ist 73 Jahre alt und er arbeitet nur für Essen und Trinken. Hans meint, er sei ein bißchen schwachsinnig. Auf jeden Fall redet er ein so seltsames genuscheltes Platt, dass ich ihn kaum verstehen kann. Er muß hier auf dem Hof arbeiten, weil er zu Hause bei seinem Bruder nichts zu essen bekommt. Zu den Mahlzeiten hier wird jedesmal gebetet. Nach dem Abendessen gehe ich wieder runter ins Dorf. Vorher habe ich noch mitgeholfen, die Kühe reinzubringen. Danach war ich wieder bis auf die Knochen durchnäßt. Dann habe ich noch Leinchen ausreichend mit gutem Heu und Hafer versorgt. Der Bauer musste noch mit seinem alten Mercedes Diesel zum Schmied fahren und die Bäuerin hat die Buchführung gemacht. In der Kneipe setze ich mich bei einem Glas Bier wieder den verstohlenen Blicken der anderen Gäste aus. Ich unterhalte mich mit der jungen Wirtin eine Weile.
Von hier sieht man jetzt auch die neue Seilbahn, die bis auf den Gipfel führt.
18. November
Zwei Tage lang gearbeitet. Die Arbeit mit dem Bauern – er ist fünfunddreißig – läßt sich gut an. Und sie ist lehrreicher als ich gedacht habe. Morgens stehen wir um halb acht auf und heute ist es mir sogar passiert, dass ich vor ihnen schon in der Küche war. Nach dem Frühstück geht es sinnig los bis dreizehn Uhr, dann Mittag. Um 17 Uhr Kaffee, danach füttern und melken. Vorher hole ich noch die Kühe rein (sie kennen den Weg sowieso im Schlaf und würden auch von alleine kommen) und bringe Leinchen in den Stall – sie war auf einer großen Weide mit einem kleinen Berg und einem kleinen Wäldchen. Um 20 Uhr rum warmes Abendessen. Danach wird noch eine Stunde „geschafft“ und dann bin ich müde. Ich gehe dann noch einmal kurz in die Kneipe, Kaffee trinken und ein bißchen mit den Leuten reden.
Morgen Abend will ich zusehen, dass ich irgendwie in die Diskothek komme, die ein paar Dörfer weiter ist. Was habe ich bis jetzt hier auf dem Hof so alles getan? In Gebhardshain gab mir der Bauer die 200 Mark mit der Bemerkung, „Sie haben ja doch noch was geschafft“. Mit der Betonung auf „doch“. Was habe ich hier aber in den letzten zwei Tagen so gemacht? Links und rechts in der Ecke des neuen Laufstalls ein Stück eingeschalt und mit Beton vollgegossen, ein Stück der Güllegrube mit Bitumenfarbe gestrichen (ich war nachher wie besoffen, weil ich unten angefangen hatte und die Dämpfe zu mir dann hochstiegen. Als ich Mittags in die Kneipe ging, hinterließ ich auf Tisch, Stuhl, Fußboden und Gläsern überall schwarze Spuren – die Wirtin und ich krochen mit Ata und Lappen auf dem Boden rum und versuchten, es wieder wegzuwischen. Es war mir furchtbar peinlich, aber sie lachte nur, dann das Vieh gefüttert – hier muß man die Getreidemischung in der Mühle auf dem Kornboden selber zusammenmischen, anschließend da und dort ein wenig aufgeräumt (meine Lieblingsbeschäftigung, außerdem ein guter Einstieg in einen neuen Betrieb: rumgucken, dies und das wegräumen, etc.), auf der Weise einen Elektrozaun gezogen, oben auf der Weide beim Pferd noch einen Draht angebracht, Silage reingeholt (Grassilage – bei der man riechen kann, ob sie gut schmeckt oder nicht), dem Schmied bei der Montage des Selbstfanggitters geholfen, mit der Kuh zum Bullen gefahren (der Bauer hat mit einem Nachbarn zusammen einen Deckbullen), die Kühe morgens zur Weise getrieben und abends wieder abgeholt (mich begleitete dabei der Hund. Er macht die meiste Arbeit selber, nur wenn er manchmal zu scharf rangeht, muß er zurückgepfiffen werden), mit dem Wasserbesen die Kotrosten gesäubert, auf denen die Milchkühe stehen, einen Haufen Schalbretter entnagelt.
An mehr kann ich mich nicht erinnern. Aber diese Aufzählung zeigt schon, dass es ganz abwechslungsreich war. Nicht zu vergessen, die vielen Gespräche mit dem Bauern darüber, dass man dies und das noch machen müßte und das so und so machen könnte. (Meine Phantasie rattert, das beeindruckt ihn. „Du denkst mit“, sagt er.) Eine Grenze allerdings besteht darin, dass der Bauer so gut wie gar kein Handwerkszeug hat, nicht einmal einen Bohrer, nur Schraubenschlüssel, Hammer, Kneifzangen, etc.. Für alle komplizierten Arbeiten muß er den Schmied holen. Die Zusammenarbeit mit ihm ist prima – kumpelhaft. Ihn duze ich, die Bäuerin sieze ich – Maria, ebenso die Mutter vom Bauern; den Philip (mein Kollege, der Altknecht) duze ich. Aber da er schlecht hört und ich seinen Dialekt nicht verstehe, reden wir kaum miteinander. Der Tag endet mit einem Glas warmer Milch und Honig im Bett. Heute werde ich allerdings wach bleiben – eine Kuh soll kalben, aber sie läßt sich Zeit. In der Kneipe treffe ich ab und zu noch mal einen aus der „Clique“ wieder. Aber mehr als ein kurzes „Hallo“ kommt nicht mehr zustande. Meistens sind sie sowieso nur auf einen Sprung drinne, um danach sofort wieder mit ihren Autos in die Nachbardörfer zu fahren, auszuschwärmen. Die ganze Nacht gehe ich alle halbe Stunde über den Hof in den Kuhstall um nachzusehen, ob es mit dem Kalben schon so weit ist. Der Bauer hat sich hingelegt.
20. November. Sonntag
Euphorie (gute Gespräche, warme, gemütliche Atmosphäre, frohes Schaffen, gute Ideen), Niedergeschlagenheit (sich deplaziert fühlen, sich nur immer scheibchenweise einbringen zu können, sich ausgenutzt vorkommen). Abwechselnd. In der Nacht von Freitag bis Samstag bis drei Uhr aufgeblieben, weil die Kuh kalben sollte. Sie tat es aber erst am Samstag Morgen während des Melkens. Die Kuh stöhnte, dann kamen die Füße des Kälbchens raus, sie wurden an einen Strick gebunden, der Strick führte in eine selbstkonstruierte Seilwinde, die man an der Wand befestigt hatte, der Bauer zog und langsam rutschte das Kälbchen raus. Die Kuh lag dabei ein wenig auf der Seite. Das Kalb rutschte dann über die kalten, nassen Kotrosten auf den dreckigen Gang. Dort blieb es liegen, wurde mit mehreren Eimern Wasser übergossen, mit dem Kehrbesen geschrubbt und dann in eine leerstehende Kälberbox auf die Holzrosten dort gelegt. Klappe zu. Den Tag über schrie es manchmal, versuchte aufzustehen, lag aber meistens da und zitterte, suchte am Eisengitter und an der Holzwand das Euter der Mutter, nuckelte daran herum. Abends bekam es zum ersten Mal was zu trinken: die Biestmilch aus einer Schüssel.
Den ganzen Tag friere ich – mit dem Kälbchen zusammen, das naß und wacklig auf den Holzrosten jetzt steht und unter ihr fließt die Jauche. Und rechts und links und gegenüber, für das Kalb unsichtbar, stehen noch andere – schon etwas ältere – Kälber und wissen auch nicht, wie ihnen geschieht und warum. Aber die Hand, die ihnen doch täglich Milch und später dann Heu gibt (ihnen also quasi die Mutter, die Herde, die halbe Welt ersetzt), sie haben vor dieser Hand Angst, schrecken davor zurück. Wissen sie vielleicht doch noch (schon?), dass diese selbe Hand sie ohne Zögern in das ökonomische Kalkül preßt? Ich verliere den Tag über die Lust an der Arbeit (Aufräumen, wieder Betonieren, Anhängerklappe reparieren). Es stößt mir unangenehm auf, dass es in diesem strohlosen Stall nicht schön riecht. Es riecht wie in einem Neubau. In solchen Ställen ist es auch nicht gemütlich war, man wird nicht zum Verweilen eingeladen. Und dabei möchte ich das so gerne.
Bei Bauer Tichy in Gebhardshain sah der Hof ziemlich schlimm aus, aber sein Kuhstall war ein Gedicht – die Wärme, der Geruch. Das fehlt hier, das fehlt mir. In solchen Ställen mit Stroheinstreu wird man motiviert, was zu tun: saubermachen, Wände kalken, Fenster putzen, Anbindungen reparieren, Geräteecken einrichten, Stallapotheke auffüllen, aussortieren, etc.. Hier in diesem Stall nichts. Keine Einfälle. Vor allem fehlt mir das Ausmisten und das Stroh einstreuen (der Kuh fehlt da noch ein bißchen und bei der könnte auch noch ein wenig mehr hin …). Abends bin ich froh, Feierabend zu haben. Schade. Ich zieh mich um, esse und fahre mit Carlo (ein netter interessierter Typ aus der Nachbarschaft, Bruder von Beate, der Dachdecker lernt und abends hier auf dem Hof noch mitarbeitet) auf seinem Trecker mit. Carlos Vater ist Waldarbeiter und hat nebenbei noch eine kleine Landwirtschaft (vier Kühe und einige Schweine). Carlo fährt mich nach Bengel. Dort vor einem Café setzt er mich ab und er fährt zurück nach Hause. In dem Café sitzen nur Jugendliche. Ich stehe etwas verloren an der Theke. Da kommt Beate rein (die Frau von der Fete von vor einigen Tagen). Sie will mich mit zu einer anderen Fete nehmen. Es ist gleich um die Ecke. Es gibt ein Rollbratenessen. Beates Vater hat gestern ein Schwein geschlachtet. Wir sind auf der Fete beide „zusammen“. Es sind ungefähr zwanzig Leute dort. Alle schwatzen sie in diesem gemütlichen Dialekt. Es gibt aber zig Abstufungen davon: vom für mich fast unverständlichen bis zum nahe an das Hochdeutsch heranreichenden. Anschließend nimmt mich Beate mit zu sich nach Hause, wo sie mir das Bett im Gästezimmer macht. Es riecht nach Äpfeln.
Am nächsten Morgen bleibe ich nach dem Frühstück noch ein paar Stunden bei ihrer Familie und trinke mit ihnen zusammen Wein. Zurück auf dem Hof füttere ich erst einmal das Pferd mit einer irren Menge Hafer und Gerste, dann bringe ich es auf die Weise und arbeite noch eine Weile da und dort bis zum Kaffeetrinken. Maria hat vier Torten für den Sonntag gebacken. Nach dem abendlichen Füttern kommt Carlo mit einem Freund auf den Hof gefahren – mit ihren Mopeds. Sie wollen mich abholen – zum Weintrinken auf den Hof von Carlos Vater. Ich fahre wohl oder übel mit. Dort – wieder in der Küche – sitzen wir am Tisch, trinken den wirklich guten Wein, essen belegte Brote mit selbstgemachter Butter und selbstgemachter Wurst von dem frischgeschlachteten Schwein. Irgendwann kommt Beate und setzt sich zu uns. Die Drei erzählen sich bis weit nach Mitternacht Witze. Immer diese blöden Witze. Dann geht Beate ins Bett. Davor hatte sie sich die ganze Zeit mit den anderen beiden unterhalten oder sie irgendwie geärgert. Mich nur ab und zu aus den Augenwinkeln gemustert.
Vorne am Hochstand ist unser Sammelpunkt, da wartet erst mal.
21. November
Morgens verschlafen, alleine gefrühstückt. Im Stall sagt der Bauer: „Jetzt habe ich schon zwei Knechte und wenn Arbeit da ist, ist keiner da.“ (Philip ist heute auch nicht gekommen.) Der Bauer sagt das ohne Bitterkeit, als Witz. Nach dem Frühstück fährt er nach Wittlich, Besorgungen machen. Ich spiele erst einmal eine Weile mit dem Pferd auf der Weide, dann mache ich mich allein an die Arbeit: mit Betonfarbe streichen, Silo abstechen, faule Silage wegfahren, den Weg, den die Kühe jeden Tag rein- und rausgehen, vom Schlamm freischaufeln. Ich bin guter Laune und die Arbeit geht gut los an diesem Tag. Als der Bauer gegen Mittag wiederkommt, freut er sich über das, was alles getan ist. Nach dem Mittagessen fahren wir beide nach Wittlich. Er muß einiges Werkzeug und Schrauben usw. einkaufen, er hat am Vormittag nicht dran gedacht. Außerdem will er mir die Stadt zeigen. Auf der Landstraße geraten wir in eine Polizeikontrolle. „Das ist bestimmt wegen der Terroristen“, sagt der Bauer und guckt mich komisch an. Aber der Polizist mit der roten Kelle winkt ihm, durchzufahren. Der Bauer und ich kaufen in einem Lager für Baubedarf ein. Werkzeug und Ähnlichen kaufen ist für mich immer ein Vergnügen. Zum Kaffee sind wir wieder auf dem Hof zurück.
Als wenig später auch Carlo kommt, stapeln wir zu dritt Heu- und Strohballen vom Unterstand auf den Heuboden über den neuen Laufställen. Es macht Spaß, so zu dritt zu arbeiten – mit vielen Anpflaumereien und kurzen Gesprächen. Nach dem Abendessen muß der Bauer nach Bengel zum Bürgermeister. Ich will erst mit, um vielleicht Beate zu treffen, verkneife es mir aber. Statt dessen gehe ich noch einmal kurz in die Dorfkneipe. Während ich noch in der Kneipe saß, kam der Bauer rein und wir haben zusammen was getrunken: dem habe ich einen ausgegeben und dem, und dem Leichenbestatter aus Kinderbeuren auch, und dabei viel Geld ausgegeben. Aber ich fühl mich gut.
22. November
Heute war wieder ein toller Tag. Vormittags füttern, Saubermachen, Fegen (ich fege so gerne), dann einen Spaziergang nach Bengel. Vorher habe ich Leinchen noch auf eine neue Weide gebracht – zu den Kühen. Eine riesige Weide mit Wald und sehr vielen Hügeln. Von dem höchsten konnte man bis auf die Moselberge sehen und dahinter irgendwo Frankreich vermuten. Das Pferd sprang rum, sprang vorne hoch, schlug hinten aus – in die Luft, lief sofort den höchsten Berg hoch, schaute lange in die Sonne, galoppierte wieder runter, den Kopf nach links und rechts zur Seite werfend. Die ganze Weide war nur mit einem Elektrodraht eingezäunt, der Draht an vielen Stellen zerrissen, außerdem sowieso ohne Weidegerät. Ich wollte ihn nicht anschließen, wollte das Pferd provozieren auszubrechen. Die Kühe brachen natürlich alle aus und gingen über einen Weg auf eine andere Weide. Leinchen blieb da. So wichtig waren ihr die Kühe nicht und so war sie näher am Haus.
In Bengel ging ich in das Geschäft, in dem Beate arbeitete. Sie wollte gerade Mittagspause machen und ich fuhr mit ihr auf dem Moped nach Hause. Von dort ging ich dann zu Fuß zum Hof zurück. Hans hatte am Vormittag gepflügt. Ich hatte ihm noch geholfen, den Pflug an den Trecker anzubringen. Er war sehr genau, stellte den Pflug mit Wasserwaage und Meterband genau ein. Am Nachmittag fuhr er Kunstdünger aufs Land und ich grubberte mit dem großen Deutz das zuvor Gepflügte.
Zuerst wollte er mich gar nicht an diese Arbeit ranlassen, dann erklärte er mir alles ganz genau und immer wieder, schaute mir dann eine ganze Weile mißtrauisch zu, als ich anfing. Ich hatte schon öfter gegrubbert, aber so wie ich es dann machte, war es ihm nicht ordentlich genug. Anschließend drillte er gleich den Winterweizen ein. Ich fuhr mit dem großen Trecker zurück zum Hof und holte die Kühe und das Pferd rein. Bei den Kühen half mir Rex, der Schäferhund. Er kennt seinen Job genau. Man braucht bloß auf eine Kuh zu zeigen, die sich von den anderen entfernt und schon saust er los und bringt sie wieder zu den anderen zurück. Der Knecht Philip wohnt ein Dorf weiter auf einem kleinen Hof zusammen mit seinem Bruder und seiner Schwester. Sie sind alle drei über Siebzig. Der Nachbar dort erzählte mir: „Die sind sehr nett, man kann alles von denen haben, wenn man mit ihnen redet und mit ihnen zusammen ißt, oder wenn man dies und das lobt und gut findet. Aber wehe, man bietet ihnen Geld an für irgendetwas, was man von ihnen bekommen hat, dann kriegt man nichts mehr.“ Das also ist ihr Schwachsinn, von dem alle reden.
23. November
Beim Abladen des Schalholzes auf dem Platz des Bauunternehmers wurde mir eine Flasche Ürziger Würzgarten (Federweiße) angeboten, die ich dann mit dem Bauern und dem Sohn des Chefs austrank. Das machte mich wieder betrunken. Der Bauer wollte mir die Mosel von oben, von den Moselbergen, zeigen und wir gingen zu Fuß den Berg hoch. Oben war ich wieder nüchtern, aber auch so fand ich den Ausblick sehr schön. Wenn es mich auch ein wenig störte, dass der Bauer neben mir so tat, als hätte er alles selbst gebaut: diese vielen Windungen des Flusses und die Berge zu beiden Seiten. Und dabei hat er noch nicht einmal davon gelernt: bei ihm ist alles gerade und eckig. Am liebsten hätte er Kühe in Würfelform.
Zwar habe ich mit Weinbau hier nichts zu tun, aber mit jeder Flasche, die ich hier trinke, die man mir anbietet, lerne ich was über Weinbau dazu. Selbst die Vierzehnjährigen haben hier mehr Ahnung vom Weinbau als bei uns die „Weinkenner“. Die kleinen Bauern und Winzer, die nur Wein für ihren eigenen Verbrauch anbauen, die haben den besten Wein, sagt man hier. Oder „Müller-Thurgau“, der hat nie eine Weintraube gesehen, desgleichen „Kellergeister“.
Heute Nachmittag werde ich wieder auf dem Feld ackern. Leinchen ist aus der Weide ausgebrochen. Als ich mit dem Ackern fertig war und den Berg runterkam, stand sie schon auf dem Hof und sah sich alles genau an. Als ich näherkam, kam sie mir entgegen und begrüßte mich freundlich. Ich nahm sie mit in die Scheune und in den Kuhstall und zeigte ihr alles, erklärte ihr alles, wiederholte noch einmal meine ganzen Kritikpunkte, die ich an diesem landwirtschaftlichen Betrieb, an kapitalistischer Landwirtschaft überhaupt, gesammelt hatte. Sie hörte zu, beschnupperte die Selbstfanggitter, unterhielt sich kurz mit den Rindern, wollte dann aber doch wieder rausgehen, ins Freie. Ich brachte sie in ihren Stall. Danach stapelte ich wieder Heu- und Strohballen um. Abends war ich dann todmüde. Dies vor allem deswegen, weil ich einen 50-Pfund-Sack mit Weizen-Saatgut den Berg hoch zum Bauern aufs Feld getragen hatte und weil die Heu- und Strohballen alle so verdammt schwer gewesen waren.
In dem Haus an der Ecke hat mein Mann sein erstes Weinlokal eröffnet.
24. November
Beim Melken, besonders abends (morgens geht es immer hektisch zu, weil wir immer „zu spät“ aufstehen), sind Maria und der Bauer gerne alleine. Ich füttere dann die Kühe in der Zeit und die Rinder (und nicht zu vergessen: das Pferd). Die Mühle läuft, die Viecher kauen friedlich vor sich hin, die Melkanlage summt, Philip wurschtelt auch irgendwo noch vor sich hin. In solchen Momenten abends ist es dann doch wieder fast gemütlich. Maria und Hans gehen in aller Ruhe mit den Kühen um – keine Hektik, keine Rumschimpfereien. Und während die Anlage die Milch absaugt, stehen die beiden an der Wand und unterhalten sich, machen Witze über mich oder mit mir, umarmen sich und küssen sich manchmal auch sanft. Sie verstehen sich wirklich gut. Später stapeln wir wieder Strohballen um. Als ich eine Weile mal alleine arbeiten muß, setze ich mich still auf einen Balken und träume vor mich hin. (Heimlich sozusagen mache ich eine Pause.)
In dem neuen Rinderlaufstall – in dem auch eine Hälfte der Kühe untergebracht ist, treten sich diese gegenseitig die Zitzen am Euter kaputt. Auf meinen Vorschlag, an der gegenüberliegenden Seite der Scheune für die elf Kühe Anbindeboxen zu bauen, geht der Bauer nicht ein. Er will statt dessen für tausend Mark Euterschutzbeutel kaufen und hofft, damit das Problem zu beseitigen. Von dem „Kampf“, in den er mit seinen Kühen verwickelt ist, will er nichts wissen, aber kämpfen tut er trotzdem. Wenn die Kühe sich am Euter verletzen, ist das eine sehr effektive Art des Kampfes, denn damit können sie die Bauern wirklich kriegen. In der Kneipe sitzend und einen Kaffee trinkend. Plötzlich kam jemand reingestürmt und sagte wütend, irgendjemand aus dem Dorf hätte ihn und seine Putzkolonne wegen Schwarzarbeit angezeigt. Jetzt stehen sie an der Theke und gehen alle im Dorf durch, wer wohl dafür in Frage käme. So etwas zermürbt die Dorfgemeinschaft: wenn Einzelne sich mit denen da oben verbünden.
Als ich auf den Hof zurückkomme, sind bereits zwei Schlachter da, die die beiden Schweine schlachten sollen. Es geht wie der Blitz. Sie arbeiten auch in Schwarzarbeit. Eines der beiden Schweine war ein Zwitter, dazu noch mit einem Hodenbruch und einer kaputten Leber. Armes Schwein. Zum Wurstmachen sollte man es nicht mehr verwenden, sagte der Fleischbeschauer und kassierte 25,50 DM. Morgen wollen wir den Frontlader wieder an den Deutz-Traktor anbauen, dann brauche ich nicht mehr jeden Tag die Silage mit der Schubkarre reinholen. Irgendwann in den nächsten Tagen muß ich Hans um Geld anhauen – ich habe nur noch drei Mark. Nach dem Abendessen noch eine Weile über die Kühe diskutiert, die sich auf dem Betonspaltenboden die Zitzen verletzen. Was soll man machen?
Die Oma meint, es sind zu viele Kühe da und Anbindung auf Stroh ist am Besten. Ich gebe ihr recht. Sie hat wie dieselben Vorstellungen von einem landwirtschaftlichen Betrieb wie ich. Aber sie hat ja keine Ahnung, sagt ihr Sohn dann immer. Mir gibt er in dieser oder jener Sache schon eher Recht. Hans zeichnet mir auf, wie nächstes Jahr nach dem Anbau der Kuhstall für fünfzig Kühe in Boxenlaufställen aussehen soll. Die Oma hört davon zum ersten Mal und gerät völlig aus dem Häuschen: „Immer mehr vergrößern, immer mehr anbauen, immer noch mehr Kühe! Bist du denn verrückt!“ Meint sie – zu mir gewendet, denn bei ihm stößt sie auf taube Ohren, er lacht bloß über sie: „so wie früher war das alles besser. Heute pachtet er immer mehr Land dazu und nimmt den Kleinen alles weg und dann schuftet er noch fürs Finanzamt und für die Industrie. Und er soll bloß nicht noch mal stöhnen, es wäre zu viel zu tun.“ Ich bin begeistert über ihren Wutausbruch. Sie ist so klar im Kopf mit ihren siebzig oder achtzig Jahren.
Müde, schon sehr müde, schleppe ich mich noch in die Kneipe. Selbst das Bier schmeckt mir nicht mehr vor lauter Müdigkeit. In der Kneipe saß die „Clique“ an einem Tisch, an der Theke hockten die ganzen 30Jährigen. Ich stelle verwundert fest, dass ich mit diesen gar nichts zu tun habe. Sie, die doch alle so zwischen 26 und 35 Jahre alt sind, sind so viel älter als ich. Sie sind fertig. Da halte ich mich doch lieber an die Jüngeren, die ja stellenweise auch schon vergreist sind, aber immerhin haben sie noch dieses Leuchten in den Augen, wenn es darum geht, „Scheiße zu bauen“.
25. November
Heute Morgen habe ich das Pferd wieder mit den Kühen auf die Weide geschickt. Diese Gesellschaft gefiel Leinchen eigentlich ganz gut – sie jagt gerne Kühe. Aber als ich dann kurze Zeit später noch einmal zur Weide ging, um nachzuschauen, ob alles in Ordnung ist (es ist nämlich schon vorgekommen, dass sie Kühe oder Rinder durch den Zaun gejagt hat), lief sie hinter mir her und war kurze Zeit später wieder ausgebrochen, und kam zum Hof zurück. Gegen Mittag brachte ich sie dann wieder in den Stall – mit einem schlechten Gewissen. Ich werde eine andere Weide für sie fertigmachen und das Weidegerät dort anschließen. Dann reinigte ich die Anbindeboxen der Kühe. Heute Morgen mit der Oma alleine gefrühstückt. Sie machte mich wieder froh, indem sie sagte: „Wenn ich über seine großen Pläne schimpfe, dann lacht er bloß immer. Wenn seine Frau doch bloß mal was sagen täte. Aber sie ist mit allem einverstanden, was er macht oder sagt. Es ist ja schön, wenn sie sich so gut verstehen. Aber so stehe ich immer ganz alleine da. Und auf mich hört er ja nicht.“ Die Oma ging dann brummig raus, um ihre Hühner zu füttern. Ich ging, um die Kühe zu füttern.
Heute Abend will ich zusehen, dass ich etwas früher Schluß mache als sonst und dann in die Kneipe nach Bengel gehen. Den Tag über: Tränkebecken repariert, Anbindung für eine Kuh ausgewechselt, Scheunentor repariert, den Schweinestall ausgemistet, Frontlader angebaut, mitgeholfen, die Kälber mit einem Ätzstift zu enthornen. (Eine schreckliche Sache und so falsch: gerade an der Art und Weise wie die Hörner geformt sind und gebraucht werden, kann man erkennen – wenn man gewillt ist -, wie das Tier in seiner Welt steht. Hier achtet man nicht weiter darauf. Ja, man sieht zu, dass die Herde zu einer amorphen – unterworfenen – Gruppe verkommt.) In diesem Klassenkampf verbleiben den Kühen immer weniger Mittel und Möglichkeiten zum Zurückschlagen, genauer: zum Offenen sich Wehren. Es bleiben die subtilen Möglichkeiten: Krebs, Entzündung, Verletzung, Verstümmelung des Euters sowie Fehlgeburten, ausbleibende Bulligkeit. Auch mit der Enthornung wird also kein sozialer Friede geschaffen, es bleibt irgendwie alles wie es war. Alles bleibt in der Schwebe und kann jeden Augenblick umkippen – ein fragiler Friede. Warum also überhaupt enthornen?
Ich fühle mich elend, gehe in die Kneipe, trinke einen mit Carlo, Heiner und einigen anderen. Fühle mich aber plötzlich fremd in der Kneipe. Dann stellt der Wirt den Fernseher an – die US-Serie „Der Magier“. Später fahren Carlo und ich besoffen auf seinem Traktor zum Hof seines Vaters. In der Küche liegt Beate auf der Couch und schaut sich „Der Magier“ an. Wir kochen uns erst einmal einen Kaffee. Anschließend gehe ich über die Weide, den Berg hoch. Oben zünde ich mir erst einmal eine Zigarette an. Es hat aufgehört zu regnen. Vollmond, eine herrliche Nacht.
Wenn wir hier einmal übernachten, dann kommen wir am nächsten Tag noch im Hellen an.