Reste einer steinzeitlichen Bildungsstätte: Poller in anderen Worten
In den Großstädten sprießen die privaten Eliteuniversitäten wie Unkraut aus dem Boden. Ulaan Bataar hat 61, in Seoul, Istanbul und Manila gibt es über 200, in Moskau inzwischen fast 300 und auch in der Bondeshauptstadt Berlin gründen sich immer mehr solcher Einrichtungen, sie annoncieren ihre Ausbildungsgänge und Abschlüsse gerne in U-Bahnhöfen und auf Bussen. Man hat fast den Eindruck, alle Rädelsführer der Studentenbewegung, die nicht in die Planungsausschüsse der Reformuniversitäten 1972/73 berufen oder von den Uni-Gründern später nachgeholt wurden, gründen seit der Wende Privatuniversitäten. Sogar Dimitri – der „Tresor“- und „Loveparade“-Betreiber: Er projektiert eine Techno-Uni. In Potsdam wurde eine andere Uni, die zwar wenig für die Lehre zahlte, dafür jedoch Professorentitel quasi verlieh, von Staats wegen verwarnt – ihr 68er-Gründer und -Präsident mußte gehen.
Die meisten dieser Privateinrichtungen sind das Abschlußdiplom, das sie ihren Studenten am Ende ausstellen, nicht wert. Deswegen wird das Ranking immer wichtiger: Wenn sich die Wirtschaft auf besonders viele Studenten aus einer bestimmten Uni stürzt (Die Wallstreet ist z.B. ganz erpicht auf solche, die von der Harvard Business School kommen), dann rangiert die im Ranking ganz oben – und wird von Studenten mit reichem Elternhaus geradezu massenhaft belegt, kann also bedenkenlos die Studiengebühren erhöhen. Stipendiaten, die weniger zahlen, müssen dafür putzen, in der Küche arbeiten oder die Rasenflächen mähen. Für alle gilt vor allem anderen: Wichtig ist allein das Abschlußzeugnis, wie man da rankommt, ist egal.
Darin unterscheiden sich bald private und staatliche Universitäten nicht mehr:
“Bewohnerinnen und Bewohner eines westlichen Industrielandes, das sich als »Wirtschaftsstandort«, »Exportweltmeister« und »Wissensgesellschaft« versteht, begreifen (Weiter-)Bildung in aller Regel nicht mehr als Möglichkeit zur Welterkenntnis oder zur Persönlichkeitsentwicklung, sondern bloß noch als Mittel ihrer beruflichen Qualifikation, das ökonomischen Verwertungsinteressen bzw. dem Ziel dient, sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten oder zu verbessern,“ zitierte ich gestern einen JW-Artikel des Politologen Christoph Butterwegge über die “Beruhigungspille Bildung”.
Dies ist sozusagen der Trend von oben – d.h. vom Kapital und seinem geschäftsführenden Ausschuß, dem Staat. Wie zu erwarten war, gibt es – dagegen quasi – auch Uni-Gründungen von unten und für die da unten.
Rein geistiger (Zen-)Poller
Der inzwischen verstorbene Exilpalästinenser Edward Said (dessen Hauptwerk „Orientalismus“ nebenbeibemerkt seit kurzem wieder lieferbar ist) versicherte uns beizeiten bereits: „die Fackel der Befreiung“ ist von den seßhaften Kulturen an „unbehauste, dezentrierte, exilische Energien“ weitergereicht worden, „deren Inkarnation der Migrant“ ist. Die Plätze, Märkte, Parks und Bahnhofshallen der großen Städte werden durch sie zu neuen „Agoren“ (Versammlungsplätze in der griechischen Polis). Für den jesuitischen Kulturwissenschaftler Michel de Certeau greifen sie bei ihren Unternehmungen, um hier zu überleben, auf die uralten Finten und Tricks zurück, die von den Griechen „metis“ genannt wurden. Es sind für ihn Partisanen des Alltags.
Für den Heiner Müller-Schüler Thomas Martin ist inzwischen sogar schon jeder „Berliner“ ein (klammheimlicher) Partisan. Da liegt die Gründung einer „Partisanen-Universität Berlin“ (abgekürzt PUB) nahe, die dann auch schon 2007 gegründet wurde – natürlich im Untergrund. Eher im Obergrund, also streng legal, aber dennoch von unten finanziert, agiert die „taz-akademie“ seit einem Jahr, für 2010 plant die taz einen HKW-Kongreß über die Uni von Morgen. Kürzlich wurde eine andere Unigründung bereits mit einem kapitalen Kapitalpreis geehrt:
Berlins erste Straßenuniversität im Excellence-Cluster
Im Gegensatz zu solchen „Clustern“ stehen die „Straßenuniversitäten“ für sozial Benachteiligte, die jedoch ebenfalls gefordert und gefördert werden. Hier bildet man die „streetwisen“ Künste (Graffiti, Rap usw.) zur Bühnenreife fort, dort werden die Herrschaftsfächer Jura und BWL gelehrt. So berichtete z.B. Jana, BWL-Studentin an der Eliteuniversität „Viadrina“ in Frankfurt/Oder: „Neulich sagte der Professor zu uns: ,Wenn ich andern Gutes tue, tu ich mir selbst nichts Gutes…‘ Und das haben alle brav mitgeschrieben.“
In der privaten Berliner „Hertie-School of Governance“, die im „Quartier 110“ der Deutschen Bank domiziliert ist und wo die Studenten auf den Tischen sitzen, um das „Regieren“ (Governance) zu lernen, kamen mir letzte Woche zwei junge Rapper im Foyer entgegen. „Das dauert ja noch mit den Reden, ich geh erst mal einen Döner essen…“ sagte der eine, woraufhin der andere ihm zu bedenken gab: „Hungrig rapt es sich am Besten!“
Im „Auditforum“ der Hertie-Uni wurde an diesem Tag dem Präsidenten der „StreetUniversity“ Berlin, Gio di Sera, der „Freiherr-vom-Stein-Preis für gesellschaftliche Innovation 2009“ verliehen. Den Scheck über 25.000 Euro händigte ihm der Vize-Präsident der Humboldt-Universität aus. Gestiftet wurde dieser Preis bereits 1930 – von einem der reichsten Getreide- und Futtermittelhändler Deutschlands: Alfred Töpfer. Zunächst bezog sich seine Stiftung auf die europäische Landwirtschaft, ab den Siebzigerjahren konzentrierte man sich jedoch zunehmend auf „soziale und kulturelle Projekte“. Der Preis für „gesellschaftliche Innovation“ trägt nicht zu Unrecht den Namen Freiherr vom Stein: Dessen im Moskauer Exil verfaßten Gesellschaftsentwürfe bezogen bereits den „Straßenkampf“ in Guerillamanier mit ein.
An der Preis-Verleihung sind neben der Alfred Töpfer Stiftung auch noch die Humboldt-Universität beteiligt, sowie die durch ihre „Bürgergesellschafts“-Plakate bekannt gewordene „Stiftung Mitarbeit“. In deren leitenden Gremien sitzen „Personal- und Organisationsentwicklerinnen“ sowie „Kommunikations- und Rhetorik“-Dozenten, daneben auch die Alfred-Töpfer-Stiftung. Ist das so etwas wie eine schleichende feindliche Übernahme – nur umgekehrt: Um Geld los zu werden, nicht, um damit welches zu hecken? Egal, es ging bei dem ganzen zweistündigen Event um Bargeld für Gio di Sera. Der Galerist Michael Wewerka, das Kunstamt Kreuzberg und die taz haben den neapolitanischen Künstler seit 1990 „gefeatschert“, fast ebenso lange der in Kreuzberg lebende Grünen-Abgeordnete Cem Özdemir sowie die Bundeszentrale für politische Bildung bzw. deren Leiter, Thomas Krüger, schon als Schulsenator mit dem Kreuzberger „Streetworker“ di Sera zu tun hatte. Neueren Datums ist dessen Kontakt zu Daimler-Chrysler. Der Konzern finanzierte die Renovierung des Gebäudes der StreetUniversity Berlin (SUB) – die „Naunynritze“ in S.O.36″ – wo sich nun auch ein SUB-Club befindet, und bot den SUB-Studenten zudem Kommunikationskurse bei sich am Potsdamer Platz an. In ihrer Laudatio führten zwei SUB-Mitarbeiter aus, wie der „Autodidakt“ die Sera sich vom Heimkind und „unruhigen Straßenjungen“ in Neapel zum Künstler, Performer, Streetworker und schließlich zum Unipräsidenten selbstentwickelt hat. Für sein Projekt entscheidend war „die Wende“, die „für viele kein freudiges Ereignis war – besonders in Kreuzberg“, wo bald immer mehr „gescheiterte junge Menschen“ lebten, die das auch selbst so empfanden – und deswegen erst einmal den „Respekt sich selbst gegenüber“ wiederfinden mußten. Darum ging es schon 1991 in di Seras „To stay here is my right-Posse“ und darum geht es nun in der StreetUniversity. Mit dem Selbstbewußtsein ist es im Kapitalismus wie mit dem Geld: Was die einen – an den Eliteuniversitäten – zu viel haben, haben die anderen zu wenig. „Was will Nyazin“ in der Naunynstraße?“ Das erklärte der kommunistische Dichter und spätere SFB-Redakteur Aras Ören in einem Langpoem bereits 1973. Cem Özdemir sprach jetzt von „Sozialer Ungleichheit“ – der di Seras Initiative in der Naunynritze aufs Schönste entgegenwirke. Noch schöner wäre es freilich, wenn dessen „Straßen-Universität“ Juristen und Manager ausbilden und die Hertie-Herrsch-Schule ihre Studenten zum Rappen, Tanzen und Malen auf die Straße schicken würde. So ähnlich geschah es bereits während der Kulturrevolution in China. Im derzeitigen nahezu globalen Restaurationsklima dürfte diese Idee jedoch zu weit hergeholt sein.
Mit Kunst pollern (im Esbjerg-Hjerting-Strandpark)
Es folgen noch einige weitere „Straßenuniversitäten“
Die Lebensmittelkette „Lidl“ stiftete einen Lehrstuhl für Wirtschaftsethik!
Die „Welt“ schreibt über den Stiftungs-Gründer, Dieter Schwarz, einer der reichsten Deutschen,
„er wurde am 24. September 1939 in Heilbronn als Sohn des Kaufmanns Josef Schwarz geboren. Er machte Abitur und dann eine Ausbildung im väterlichen Betrieb. 1962 erhielt er die Prokura und wurde ein Jahr später persönlich haftender Gesellschafter der Lidl & Schwarz KG. Er soll sich für den Namen eines früheren Partners Lidl auch deshalb entschieden haben, weil ihm der Namen „Schwarz-Markt“ nicht ideal erschien.“
„billigdrucker.de“ fragte sich hingegen:
„Was das alles mit Wirtschaftsethik zu tun hat? Nun, wirtschaftsethische Fragen „resultieren aus der Kluft zwischen moralischen Ansprüchen und wahrgenommener Wirklichkeit“.
Sagte Professor Gunter Steinmann von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Jahr 2001. Da hat die Dieter Schwarz Stiftung mit dem Geld der LIDL-Unternehmensgruppe die Einrichtung der Stiftungsprofessur für Wirtschaftsethik * für fünf Jahre mit insgesamt 1,5 Mio DM finanziert.
Vielleicht sollte Lidl einfach mal bei der Universität nachfragen, welche Erkenntnisse die wirtschaftsethischen Forschungen des Lehrstuhls in den vergangenen fünf Jahren geliefert haben? Vielleicht reicht aber auch ein Blick in den entsprechenden Eintrag bei Wikipedia. Oder den eigenen Eintrag.
* Die Stiftungsprofessur wurde am 01.10.2002 besetzt. Der Inhaber der Professur ist (zumindest: war) gleichzeitig Leiter des Wittenberg-Zentrums für Globale Ethik e. V.. „