vonHelmut Höge 04.02.2010

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Die vorpommersche Universität Greifswald, 1456 gegründet, wurde 1933 von den Nazis in  Ernst-Moritz-Arndt-Universität umbenannt. Arndt war ein Publizist und Historiker, der in Greifswald eine zeitlang lehrte. Die „Zeit“ schreibt: „Die Nazis liebten Arndt über alles, denn er war ein fanatischer Nationalist und hatte eifrig gegen alles gehetzt, was nicht ‚deutsch‘ war. Auch gegen die Juden, dieses ‚Ungeziefer‘, dieses ‚entartete und verdorbene Volk‘, und das gefiel den Nazis noch besser. So wurden im ‚Dritten Reich‘ neben der Greifswalder Uni einige Traditionsgymnasien nach Arndt umbenannt, wie in Bonn, Krefeld oder Remscheid. In Berlin-Zehlendorf gibt es sogar heute noch eine evangelische Kirche, die in der Nazizeit nach Arndt benannt wurde.“

2009 gründete sich in Greifswald eine studentische Initiative, die sich „Uni ohne Arndt“ nannte. Sie wollte den Namen loswerden.

Kürzlich gaben 23 Prozent der rund 12.300 Köpfe zählenden Greifswalder Studentenschaft in der ersten Urabstimmung der Greifswalder Uni-Geschichte ihr Votum ab. 1216 Studierende antworteten mit ja, 1398 mit nein. Die „Zeit“ schreibt: „Damit ist die studentische Initiative gescheitert, die gegen das Patronat protestiert und die in den vergangenen Monaten intensiv für ein Ja zur Abschaffung des umstrittenen Namens geworben hatte. Vor allem nach der massiven Kritik, die von Wissenschaftlern in zahlreichen Diskussionen und Expertenrunden bisher schon an der Namensgebung geäußert wurde, darf man sicher sein, dass die Debatte munter weitergeht. Jetzt ist der Senat am Zug, denn sich so wegzuducken wie bisher – das geht nicht mehr.“

Ich möchte demgegenüber noch einmal einen anderen Ernst Moritz Arndt vorstellen:

In Deutschland hat sich über die Jahrhunderte eine eigene Dialektik von Nationalismus, Patriotismus und Befreiungsbewegung entwickelt. Als Preußen nach dem Sieg Napoleons und dem Frieden von Tilsit unterzugehen drohte, nahmen seine Reformer – Stein, Hardenberg, Scharnhorst, Gneisenau  und Clausewitz  – sich ein Beispiel an den antinapoleonischen Volksaufständen in Spanien und Tirol – und arbeiteten einen eigenen Guerilla- d.h. Kleinkriegs-Plan aus. Flankiert wurden ihre Überlegungen, die sie teilweise in russischen Diensten vollendeten, von patriotisch gesinnten Dichtern wie Kleist, Körner und Arndt. Aber auch von einer Reihe preussischer Offiziere, die zur Beförderung der teutschen Freiheitsbewegung Freiwillige um sich scharrten – und sozusagen autonom gegen den Feind im Inneren kämpften: u.a. das Schillsche Korps, Lützows Jäger und schließlich General York, der 1812 für seine den Franzosen unterstellten preußischen Truppen einen Separatfrieden mit Rußland abschloß – die Konvention von Tauroggen. Wenn auch erst nachdem Napoleon in Moskau sozusagen ins Leere gesiegt hatte und sich auf dem Rückzug befand.

Wiewohl all diese theoretischen und praktischen Anstrengungen auf die Organisierung eines Aufstands gegen die Fremdherrschaft hinausliefen, waren sie doch zugleich von einer merkwürdigen Volksangst oder Massenfeindlichkeit beseelt. Das gilt schon für das Schillsche Freikorps: Es nimmt zwar auf seinen rechtselbischen Streifzügen die Begeisterung und Unterstützung der Bevölkerung dankbar an – und ruft sogar zur allgemeinen Erhebung auf, sorgt aber in den von ihm eingenommen Städten zugleich für die Einhaltung der obrigkeitlichen Ordnung und peinlichste Ruhe. An diesem Paradox scheitern alle Freikorps-Expeditionen. Und noch die russischen Kosaken-Regimenter können sich bei ihrem Einzug in Berlin 1813 nicht genug darüber wundern, daß die Bürger ihnen zwar zujubeln und sie mit Branntwein traktieren, aber den verhaßten Franzosen nicht mehr als scheele Blicke zuwerfen. Der in russischen Diensten stehende Oberst Tettenborn schreibt an den ebenfalls für den Zaren tätigen Freiherrn von Stein: „Die Damen haben uns am Besten empfangen; denn als ich in die Stadt sprengte, flogen mir aus allen Fenstern Schnupftücher entgegen; aber die Männer wollten nicht zuschlagen, und das war das Wichtigste“. Auf die Rufe der Kosaken „Franzos kaputt!“ antwortete das Volk nur mit Hurra. Selbst die Bürgergarde hatte bloß die Aufgabe, „darüber zu wachen, daß die Einwohner sich nicht in das Gefecht mischen“.

Gut hundert Jahre später, als das preußische, nunmehr deutsche Heer erneut unterzugehen droht – nach dem Versailler Friedensvertrag und das Volk, namentlich die Soldaten- und Arbeitermassen wirklich einen Aufstand wagen – wieder beflügelt vom russischen Freiheitskampf, stehen die Freikorps, die diesmal wie Pilze aus dem demilitarisierten Boden schießen, sogar vollständig auf der anderen Seite. Das heißt sie kümmern sich in der Hauptsache um die Niederschlagung der sozialistischen Arbeiterrevolten – in München, im Vogtland, im Mansfeldischen, im Ruhrgebiet, in Berlin und in den Hafenstädten an der Küste. Wobei sie sich als die letzten deutschen Bollwerke gegen den internationalen Bolschewismus begreifen. Ihr Aktionsradius dehnt sich bis ins Baltikum. Ihre Sänger zählen bald zu hunderten; berühmt wurde Edwin Erich Dwinger, der erst auf Seiten der Weißen gegen die russische Revolution kämpfte, dann im Freikorps Mannsfeld und schließlich als Ideologe im Ostministerium. Aber auch der Marineoffizier Ehrhardt, der eine nach ihm benannte Brigade anführte, schrieb später die Guerilla-Konzepte der preußischen Reformer weiter und um – zu reinen Partisanenbekämpfungs-Abhandlungen. Schon 1920 beim Kapp-Putsch sangen seine Kämpfer das „Hakenkreuz am Stahlhelm“-Lied, in dem es heißt: „Arbeiter, Arbeiter, wie wird es dir ergehen…Die Brigade Ehrhardt schlägt alles kurz und klein/ Wehe dir, wehe dir, du Arbeiterschwein!“

Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem die Special Forces – die SS-Einheiten – übrigens genauso uniformiert waren wie einst Lützows freiwillige Jäger: „schwarz mit blinkendem Totenkopf am Tschako“, fanden einige ihrer Sänger zum partisanischen Widerstand zurück: Ernst Jünger, und Rolf Schroers z.B.. Jedoch wieder gegen die Massen, denen man diesmal keine Erhebung (gegen den American Way of Life) mehr zutraut, weswegen die deutsche Revolte nunmehr nur noch eine geistig-individuelle sein könne, bei der man totale Vereinsamung riskiere. Der vormals faschistische Staatstheoretiker Carl Schmitt, der mit dem Aufkommen der maoistischen Partisanen bereits das Ende der Nationalkriege ahnte, kritisierte an diesem neudeutschen Einzelkämpfertum das „Unpolitische“:  Dann könne sich ja jeder Partisan nennen! Tatsächlich bezeichnete neulich Alexander Kluge schon fast alle intellektuellen Tätigkeiten als partisanisch und der Heiner Müller-Schüler Thomas Martin entdeckte sogar in jedem „Berliner“ einen klammheimlichen Partisanen.

Für Carl Schmitt, dessen idealer Partisan kein Revolutionär, sondern eher ein Restaurateur ist,  war Johann Gottlieb Fichte der erste Philosoph des modernen Partisanentums, dem freilich auch schon ob seines antinapoleonistischen Furors eine gewisse völkische Borniertheit eigen war. Nicht nur in seinen „Reden an die deutsche Nation“ hat Fichte den Widerstand gepredigt, und in seinem Entwurf eines „geschlossenen Handelsstaates“ diesem ein gesamtgesellschaftliches Ziel vorangestellt, als einfacher Gemeiner reihte er sich 1813 auch in das entstehende Volksheer – den Landsturm – persönlich ein: Die Professoren der Universität Berlin, deren erster Rektor Fichte war, bildeten einen eigenen Trupp und exerzierten gemeinsam. Ein Zeitzeuge, Friedrich Köppen, berichtet: „der ideologisch tapfere Fichte erschien bis an die Zähne bewaffnet, zwei Pistolen im breiten Gürtel, einen Pallasch hinter sich herschleppend, in der Vorhalle seiner Wohnung lehnten Ritterlanze und Schild für sich und seinen Sohn“. Fichte war bereit, für die Freiheit zu sterben. Friedrich Köppen merkt dazu an: Mit dem Landsturmgesetz habe man zwar „die Höhe des Prinzips“ erreicht, aber vom Erhabenen zum Lächerlichen sei es mitunter nur ein kleiner Schritt.

Wirklich ernst machten mit dieser Utopie erst die kommunistischen Partisanen nach dem Zweiten Weltkrieg: Jene Führungsriege aus „Moskauern“, Spanienkämpfern und KZ-Häftlingen, die den neuen Staat DDR schufen. Wenn man dem Nürnberger Marxisten Robert Kurz folgt, dann haben sie dabei nahezu den gesamten Fichteschen Plan eines „geschlossenen Handelsstaats“ realisiert. Das reicht vom Recht und der Pflicht zur Arbeit in verstaatlichten Betrieben, über die Rohstoff-Substituierung und die Erziehung in Institutionen, angefangen mit der Kita, bis hin zur flächendeckenden Versorgung aller Bürger mit dem Lebensnotwendigsten. Wegen eines allgemeinen Ausreiseverbots darf lediglich die Wissenschaft dazu beitragen, den inneren Zusammenhang der Menschheit herzustellen. “ Die Sorge, daß jeder einzelne zur Entfaltung seiner Kräfte und zu einem menschenwürdigen Dasein gelange, überwiegt bei Fichte augenscheinlich die um die Freiheit seiner Bewegung,“ schreibt der Philosophiehistoriker Rudolf Eucken.

Während Franz-Josef Strauß zu Zeiten studentenbewegter Partisanenverherrlichungen noch zu bedenken gab:  „Was nützt uns der schönste Sozialstaat, wenn die Kosaken kommen?!“ verlächerlichte Robert Kurz nach der Wende rückblickend dieses ganze bolschewistische „Projekt“ einer preußisch-etatistisch „nachgeholten Modernisierung“, in Sonderheit den historischen Irrläufer „DDR“. Seine  objektivistischen Analysen lassen jedoch die individuelle Freiheit, die Fichte in seiner Revolutionslehre begründet und dann im „geschlossenen Handelsstaat“ aufgehoben hatte, unberücksichtigt, obwohl sie ihm mit seinem historisch-materialistischen und dialektisch geschulten Blick eigentlich vor Augen liegt. Die DDR ist nicht an zu viel „Kasernen“-Unfreiheit zugrunde gegangen, sondern an zu viel Freiheit – im Produktionsprozeß nämlich! In ihrem „geschlossenen Handelsstaat“ blieb das Konkurrenzprinzip außen vor – und mußte deswegen – ganz im Sinne der Fichteschen Volkspädagogik – in Form eines „sozialistischen Wettbewerbs“ immer wieder der Wirtschaft injiziert werden.

Zurück zu Ernst Moritz Arndt und dem deutschen Widerstand gegen Napoleon:

„…Wir waren in der Stimmung, einen guten Widerstand zu tun,“ schrieb Neidhardt von Gneisenau am 7.1.1811 an seine Freundin, die Ministerin von Trützschler – nach einer Belagerungs-Abwehrschlacht gegen Napoleon. Es gibt über diese „Stimmung“ ganz unterschiedliche Bilder in Ost und West – je nachdem, ob man sich Frankreich oder Russland zuneigt. Das geht bis hin zur Einschätzung der preußischen Reformer, u.a. Gneisenaus, und des von ihnen forcierten Volkskriegs. Besonders gilt dies für den Freiherr vom Stein, der in der BRD-Geschichtsschreibung als ein Gescheiterter gilt. Im Osten folgte man jedoch trotz Tolstois Geringschätzung der Rolle der „Deutschen“ und ihrer „Legion“ im vaterländischen Krieg eher Lenins Einschätzung, daß Stein und sein „Häuflein“ Geschichte machten, „während die Massen der Arbeiter und Bauern (in Preußen) einen tiefen Schlaf schliefen“ (Band II, Ausgew.W. S. 319f). Lenin konnte sich dabei auf Engels berufen, der 1841 unter Pseudonym im Hamburger „Telegraph“ geschrieben hatte: „…daß wir einen Augenblick als Quelle der Staatsmacht, als souveränes Volk auftraten, das war der höchste Gewinn jener Jahre“ (d.h. der Befreiungskriege).

Nach dem Großen Vaterländischen Krieg, d.h. nach 1945, bestand der ostdeutsche Gloire jener Jahre aus Tolstois „Krieg und Frieden“ projiziert auf preußisches Kernland, während man im Westen zunächst eher den Abklatsch davon – Fontanes fast ebenso langen Roman „Vor dem Sturm“ – durchblätterte – und gelangweilt beiseite legte. Die Rechte hatte bereits in den Zwanziger- und Dreißigerjahren das preußische Heldentum bis in die untersten Schichten durchpropagiert. Nun wurde es den deutschen Historikern quasi von den Kommunisten aufgezwungen. Höhepunkt dieser Auseinandersetzung, das waren die frühen Fünfzigerjahre bis nach Stalins Tod, d.h. bis der Wiedervereinigungswille im Osten langsam erlosch.

1952 ging es richtig los – Walter Ulbricht forderte auf der 2.Parteikonferenz: „daß solche geschichtlichen Persönlichkeiten, die große Verdienste im Kampf um die Einheit Deutschlands haben, wie Scharnhorst, Fichte, Gneisenau, Jahn, in ihrer historischen Bedeutung dargestellt werden müssen“. Alle Kulturschaffenden mußten ran: An den Unis wurde bald die zu geringe Zahl der Examensarbeiten, die sich mit dem Volkswiderstand gegen Napoleon befassten, kritisiert. Selbst Groschenheftschreiber mußten sich noch mit „Lützow’s wilde verwegene Jagd“ befassen – und z.B. für die „Heimabendreihe“ der FDJ geeignet aufbereiten. Für die Reihe „Geschichte in der Schule“ holte Jürgen Kuczynski seinen Vortrag „Scharnhorst – ein General des Fortschritts“, den er 1943 in London vor deutschen Emigranten, darunter Alfred Sohn-Rethel und Erich Fried, gehalten hatte, aus der Schublade. Schon nach wenigen Wochen konnte man geradezu von einer konzertierten Aktion sprechen: Im Neuen Deutschland und in der Täglichen Rundschau erschienen zeitgleich lange Aufsätze von Fritz Lange über den „Patrioten Gneisenau“, über die preußische Untergrundzeitung „Das Neue Deutschland (enthaltend größtentheils freimüthige Berichte zur Geschichte der Bedrückung)“ sowie über das „Russisch-Deutsche Volksblatt“. Als diese Artikel wenig später zu einem Buch zusammengestellt wurden, wußte der Autor darin bereits zu berichten, daß sie „unsere Feinde in ein wahres Wutgeheul ausbrechen“ ließen. Mit dem Feind waren „die Bonner“ gemeint, die damals gerade dem westlichen Verteidigungsbündnis beigetreten waren – und damit nach Meinung der Kommunisten „Landesverrat“ begangen hatten – fast genauso wie die deutschen Fürsten damals, die ein Bündnis mit Napoleon eingingen bzw. beibehielten – statt mit den Russen gegen den Feind der Völker zu kämpfen, wobei jetzt an die Stelle von Napoleon die Amis getreten waren.

Den westdeutschen Historikern war seit diesem Verratsvorwurf anscheinend daran gelegen, nicht nur die patriotisch-preußischen Reformer zu „relativieren“, sondern auch den russischen Befreiungsfeldzug so darzustellen, daß er einem Raubzug gegen die deutsche Zivilbevölkerung gleich kam, so daß diese es eher mit den gesitteteren Franzosen hielt – und deswegen ihre Fürsten bis hin zum preußischen König zu Recht zögerten, das Bündnis mit Napoleon aufzukündigen. Diese Position – der von Friedrich Engels diametral entgegengesetzt – kennzeichnet z.B. noch die Biographie „Freiherr vom Stein“ von Franz Herre 1973. Hier wie dort wurde die Preußen-Rezeption direkt auf das Heute – des Kalten Krieges – hin ausgerichtet. Im Wintersemester 1952 hielt das SED-Politbüro-Mitglied Albert Norden einen Vortrag vor Studenten der Universität Leipzig, er endete mit den Worten: „Die jungen Deutschen von heute können entweder zu Landsknechten herabsinken und Deutschland den Dolch ins Herz stoßen oder sich am Willen und Handeln…(der preußischen Reformer)…begeistern und Deutschlands Einheit und Frieden erstreiten. Die Wahl dürfte nicht schwer sein….Beschwören wir die Schatten der Stein und Gneisenau, der Arndt und Fichte, der Scharnhorst und Clausewitz herauf.“ Über letzteren hatte jedoch Stalin zuvor zu bedenken gegeben: „Man muß ihn heute natürlich einer kritischen Analyse unterziehen“. Dies galt z.B. auch für den Herausgeber des „Russisch-Deutschen Volksblattes“ – Kotzebue, der sich später zu einem Metternich-Knecht wandelte, den man sich wohl so ähnlich wie einen neudeutschen Wendehals vorstellen muß, denn Fritz Lange schreibt: „Auch in Westberlin und Westdeutschland gibt es heute nicht wenige solcher Intellektueller wie Kotzebue, die vergessen lassen wollen, was sie früher einmal, als sie sich noch als Antifaschisten bezeichneten, gesagt und geschrieben haben…und nun zu…niederträchtigen, bestochenen Amiagenten degenerierten“.

Das ist sogar noch schlimmer als der traditionsbewußte Napoleonismus, denn – wie bereits Walter Ulbricht auf der 2.Parteikonferenz mit seiner Forderung nach einem wissenschaftlichen Studium der deutschen Geschichte („für den Kampf um die nationale Einheit Deutschlands und für die Pflege aller großen Traditionen des deutschen Volkes“) angedeutet hatte: „die amerikanischen Okkupanten“ sind besonders bestrebt, „die großen Leistungen unseres Volkes vergessen zu machen“. Im Vergleich mit dem durch und durch Weimarischen Curicculum des Reeducation-Programms der sowjetischen Kulturoffiziere in der SBZ mochte das durchaus angehen. 1977 sah man diese Befreiungs-Tradition im Westen bereits derart cool, daß der Westberliner Bürgermeister Stobbe, aber auch der SPD-Kanzler Schmidt eine große Preußen-Ausstellung als „Event“ kurzerhand von der Festspiele GmbH durchführen lassen wollten. Eine Journalistin fragte daraufhin entsetzt, wie ein „Festspiel-Impressario“ überhaupt dazu käme, sich der sensibelsten Gegenstände der deutschen Geschichte zu bemächtigen?! Das Ausstellungs-Team, das dann zustande kam, verkündete erst einmal – antiautoritär: Nicht Preußens „Glanz und Gloria“, sondern „Land und Leute“ wolle man in den Mittelpunkt rücken.

Der Museologe Bodo-Michael Baumunk schrieb jüngst in der Berliner Zeitung über das Preußen-Event 1981: „Im Guten wie im Schlechten bestätigen die Ausstellungsautoren Goethes Diktum, produktiv könne mit einer Sache nur umgehen, wer nicht allzu viel von ihr verstehe“. Inzwischen hatte der Westberliner Nikolaus Sombart sich ausführlich über das Schwule als verbindendes Element im preußischen Militär ausgelassen, woraufhin die lokale Schwulenzeitung sich sofort in „Siegessäule“ umbenannt hatte. Und ein anderer Westberliner Flaneur, Wolf-Jobst Siedler, unsere vermeintliche Trauer über den gänzlichen Verlust von Mitte mit einer hübschen Schwärmerei über das westliche Seengebiet zwischen Potsdam und Charlottenburg, wie man es von den Wannsee-Terrassen aus sieht, mehr als kompensiert: „Preußenes Arkadien“. Im Westen ließen daraufhin die Grünen die Havelchaussee für den Durchgangsverkehr sperren. Und im Osten ließ der Direktor des DDR-Parks auf der anderen – Potsdamer – Seite gerührt eine Lennésche Sichtschneise nach Westen hin wieder freilegen. Da diese jedoch mittlerweile durch Grenzgebiet ging, bekam er dafür einen schweren Rüffel von der Staatssicherheit.

Man sollte jedoch nicht denken, daß die Preußen-Ausstellung als Topevent 1981 gar keine aktuellen politischen Ambitionen mehr hatte. So mußte z.B. das Beirats-Mitglied Golo Mann ausscheiden, nachdem er sich öffentlich für „Geiselrepressalien an inhaftierten RAF-Gefangenen“ ausgesprochen hatte – als angemessene Reaktion des westdeutschen Staates auf den Terrorismus. 1. Erinnerte das fatal an die Repressalien der Wehrmacht gegenüber der Zivilbevölkerung – wenn sie von Partisanen angegriffen wurde; 2. Erinnerte es an die Nazi-Sippenhaft bei den letzten (?) preußischen Terroristen, die am 20. Juli 1944 Adolf Hitler umbringen wollten und 3. War ja seinerzeit gerade der preußische Staat durch partisanischen Terrorismus, Freischärlertum und mutigen Volkswiderstand wiederauferstanden. Golo Mann hatte mit seinem Rache-Vorschlag also durchaus nicht das Thema aus dem Blick verloren. Die Ausstellungsmacher wollten jedoch eher das Gegenteil: „Als gelte es noch immer, die Gefahren des Militarismus zu bannen, verflüchtigte sich die preußische Armee, Rückrat des Staates bis 1918….im weiteren Fortgang der Ausstellung gleichsam zwischen den Zeilen,“ schreibt Baumunk. Ihr Publikumserfolg veranlaßte die Verlage, sofort hunderte von Preußen-Titel aufzulegen. Erst mit der Wiedervereinigung war es damit vorbei – fast so wie es seinerzeit bereits auf der 2.Parteikonferenz der SED angedacht worden war. Nun haben wir aber stattdessen einige neue um Identität verlegene Bundesländer – und das Preußen-Jahr 2001. Dazu ein neues Historisches Museum in Potsdam, zu dessen Beirats-Mitgliedern diesmal Julius Schoeps zählte. Während er darin „vor allem einen Gedächtnisort für den 1947 verschwundenen Staat in seiner gesamten Erstreckung von Neuchatel bis Insterburg“ sieht, drängte der Ministerpräsident des allerpreußischsten Kernlandes Stolpe darauf, aus dem Thema „eine pädagogische Aufgabe, ein Stärkungsmittel für sein identitätsschwaches Bundesland und daher eine brandenburgische Heimatkunde“ zu machen. Zuvor hatten sich eine Reihe jüngerer westdeutscher Wissenschaftler, mehrheitlich wohl Wehrdienstverweigerer, erneut mit dem antinapoleonischen Volkswiderstand in Preußen beschäftigt, und waren dabei in Anlehnung an die Zivilisationstheorie von Norbert Elias zu dem Schluß gekommen, daß bei der Enthegung des Krieges durch Elemente von Partisanentum ein Prozeß der Dezivilisierung eingeleitet wurde und werde. Besonders an der „Hermannschlacht“ des „Psychopathen“ Heinrich von Kleist ließ sich das wieder Barbarisch-Werden des Volkes im Widerstand klar herausarbeiten. Und 1999 noch einmal auf einer Konferenz über „Die Wiedergeburt des Krieges aus dem Geist der Revolution“, deren Ergebnisse dann Kunisch und Münkler veröffentlichten. Inzwischen war weltweit die Unterscheidung der nicht mehr von Osten bzw. vom Westen unterstützten Guerilla in progressive und reaktionäre fragwürdig geworden, während in Mitteleuropa neue nationalistische Bewegungen aufgekommen waren.  Hierzulande könnte man über sie auch mit den Worten Walter Ulbrichts auf der 2.Parteikonferenz urteilen: „Das patriotische Bewußtsein, der Stolz auf die großen Traditionen unseres Volkes beginnen sich zu entwickeln“. Der auch von der SED geschätzte Historiker Franz Mehring nannte die Befreiungskriege bereits 1891 „zwiespältig“. So war auch immer das Verhältnis zu Rußland – seit damals. Weswegen alle Preußen-Bearbeitungen – wenigstens im Osten – das von Otto Grotewohl 1952 gewiesene Ziel verfolgen sollten, das die KPD schon in den Dreißigerjahren anstrebte, wenn auch laut Alfred Sohn-Rethel nicht mit der genügenden Überzeugungskraft: „Deutschland muß mit der Sowjetunion in unverbrüchlicher Freundschaft leben, damit das Blutvergießen in Europa …unmöglich gemacht wird“. Während man im Osten diese Freundschaft durch Rückgriff auf die einstige antinapoleonische Allianz historisch zu festigen suchte, wurde im Westen der Iwan jedoch eher als ewig unberechenbar angesehen, und nach Auflösung der DDR aus der UDSSR blitzschnell die Russenmafia: Wladimir Kaminer berichtet, daß bis jetzt noch jeder deutsche Journalist ihn als erstes danach gefragt habe. Der Angstgegner der napoleonischen Truppen lebte noch zu Zeiten von Franz-Josef-Strauß derart, daß er einigen linken Kritikern einmal entgegnete: „Was nützt uns der schönste Sozialstaat, wenn die Kosaken kommen?!“ Dabei waren in Wahrheit stets die Deutschen in Rußland eingefallen. Der alte Erbe-Streit geht unterdes  munter weiter: in Potsdam sah sich nach Übernahme des Kulturministeriums durch den CDUler Hackel „der Kreis um Schoeps nach einer finalen Anhörungsfarce vor die Tür gesetzt,“  laut Baumunk. Und Preußen wurde doch „wieder chic“, wie Hans-Ulrich Wehler beizeiten bereits befürchtet hatte, d.h. nicht immer, aber immer öfter bezogen z.B. die nach Potsdam gezogenen Prominenten aus Mode und Moderation, aber auch die Bremer Hohenzollern selbst, bei ihren Party-Events die alten preußischen Arkaden und Teepavillons mit ein. Was für die klamme Stiftung Preußischer Kulturbesitz eine neue Art von Sponsoring bedeutet, signalisierte den drumherum wohnenden Ostlern jedoch bereits wieder alte Junker- und Adelsunverfrorenheit. Der ehemalige Potsdamer Pädagogik-Professor Kurt Finker zog gegen die Feiern am 20.Juli in Berlin zu Felde. Im Neuen Deutschland nannte er das Stauffenberg-Attentat einen „Widerstand nach Gutsherrenart“, der in seiner Borniertheit nichts mit dem „Aufstand des preußischen Geistes“ zu tun habe. Die westdeutschen Historiker hatten wie gesagt meist auf die Borniertheit des alten preußischen Widerstands abgehoben – und dafür auch viele gute Belege gefunden.

Der DDR-Dramatiker Heiner Müller hatte später sogar noch einen drauf gesetzt, als er meinte, daß es noch „typisch preußisch“ gewesen sei, ausgerechnet einen Einarmigen mit dem Attentat auf Hitler zu beauftragen. Die FAZ reagierte auf Finkers Stauffenberg-Herabsetzung nun jedoch noch fieser, indem sie 1. seine Stasi-Spitzeltätigkeit ausbreitete: Ausgerechnet unter dem Decknamen „Baron“ schlich sich der ehemalige Hitlerjunge und nunmehrige DDR-20.Juli-Forscher in der Bundesrepublik bei den „Hinterbliebenen des Kreises um Stauffenberg“ ein; 2. paßte er seine Stauffenberg-Thesen immer wieder „dem Wandel des politischen Zeitgeschehens“ an – bis dahin daß er die Widerständler ab 1981 als „eine Art Koalition der Vernunft“ bezeichnete; 3. Habe Finker 1985 in Passau die Verbrechen des Stalinismus „dreist verharmlost“; und 4. Müsse alles getan werden, damit die PDS nicht in das Berliner Rathaus einziehe – denn deren Politik würde das endgültige Aus für den preußischen Widerstandsgeist bedeuten – oder so ähnlich. Man merkt der FAZ an, daß sie in einem Anfall von postwiedervereinigter Euphorie ihren antikommunistischsten Historikern ein Schreibverbot verpaßt hatte: gegen Ende des Artikels wird alles unklar. Das war früher genau umgekehrt. Trotzdem noch einmal Gneisenau – am 17.10.1813 an seine Frau: „Gestern hatten wir ein sehr schönes Gefecht, mit unserer Kavallerie, wo wir dem Feinde Kanonen abnahmen und ihn in die Vorstädte von Leipzig zurückwarfen“. Der inzwischen verstorbene DDR-Dramatiker Heiner Müller war im Gegensatz zur FAZ, die auf ihren Berliner Seiten eher den Spaßjournalismus forcierte, davon überzeugt: „Erst mit der Vereinigung ist in Deutschland wieder Klassenkampf möglich“, einige preußische Reformer sahen das bereits ganz ähnlich, doch als es dann so weit war, machten sie ihren Frieden mit der Restauration. Und bekümmerten sich höchstens noch ein bißchen um „Beutekunst“ (in Paris).

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  • Die Süddeutsche Zeitung widmet sich heute in ihrem Feuilleton dem Briefwechsel zwischen Rolf Schroers und Paul Celan, die sich auf den Sitzungen der Gruppe 47 kennen und schätzen gelernt hatten. In einem der Briefe von Schroers an Celan heißt es:

    „Als Menschen, Paul, kommen doch immer nur wenige in Betracht, die, Jude oder nicht, von der Meute gehöhnt werden.“

    Im übrigen lobte Schroers gegenüber Celan immer wieder Heidegger, Ernst Jünger und Carl Schmitt. Wie die letzteren veröffentlichte er dann ebenfalls ein „Partisanen“-Buch, in dem er den heutigen Partisan wie zuvor auch Jünger vor allem als einen „individuellen Widerständler“ (gegen den US-Kulturimperialismus) begriff, dem schlimmstenfalls „Einsamkeit“ drohe. In der DDR wurde dies als „bürgerliche Verirrung“ abgetan, die Südddeutsche Zeitung schreibt heute, dass es darin von Wörtern wie „artfremd“ und „Mischpoke“ sowie „volksunmittelbar“ wimmeln würde und Celan darob so entsetzt war, dass er den Briefkontakt mit Schroers abbrach. Dieser war im Krieg als Oberstleutnant der Abwehr quasi beruflich mit der Vernichtung von Partisanen in Italien befaßt gewesen. Hans Werner Richter, Steuerungsmanager/-funktionär der Gruppe 47, versuchte Schroers eine konkrete Erschießung von Partisanen nachzuweisen. Zwar war er bei seinen Recherchen nicht erfolgreich, dennoch gelang es ihm, Schroers zu vertreiben. Dieser machte daraufhin eine kleine Karriere in der FDP – und war u.a. am Zustandekommen der Künstlersozialkasse (in Wilhelmshaven) verantwortlich. Schroers starb 1981. Sein Partisanenbuch (Köln-Mitte 1961) und seine Biographie über „T.E.Lawrence“ (Bremen-Horn 1949) ist immer noch brauchbarer als alles, was heutigen Staats- oder Bundeswehr- bzw. Nato-Schriftstellenr zu diesem Thema einfällt. Dem SZ-Rezensenten des Briefwechsels zwischen Celan und Schroers gefällt es, diesen – im Gegensatz zur Herausgeberin des Briefwechsels, Barbara Wiedemann – als schwer Verstrickten darzustellen, der Celan schließlich mit seinen philosemitischen Anbiederungen auf den Geist ging.

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