vonHelmut Höge 03.05.2010

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Einem Erntehelfer wurde, so viel wir wissen, noch nie ein Denkmal gesetzt, wohl aber dem Pollererfinder (Wilhelm Wachsmuth) – in Weimar.

Erntehelfer – das hört sich so an, als wären es Freiwilligenbrigaden, die den überforderten Bauern helfen, im Herbst das Brot für die Völker einzuholen – bevor das Korn auf den Feldern vergammelt. In Wirklichkeit ist es genau umgekehrt: Die mit der Auflösung des Sozialismus arbeitslos gewordenen Massen östlich der Elbe bis nach Kirgistan machen im Westen den Anbau von immer mehr überflüssigen Nutzpflanzen (wie geschmacklose Erdbeeren, bittere Gurken, matschige Zucchinis und schlappe Nelken)  lukrativ.

Nun könnte man sagen, der von ihnen erwirtschaftete Profit wird z.T. als Steuern von den Staaten im Westen abgeschöpft – und in neue Poller investiert, die die Sicherheit ihrer Bevölkerung immer weiter erhöhen sollen – höher und höher. Aber das ist zu weit hergeholt…

Hier wurde gerade ein Poller frisch einbetoniert

Hier wird ein neuer Poller gesetzt


Und so sieht das anschließend aus

Hier wird es Kunst

Hier schützen sie eine Idylle

Und hier stehen sie wie Blödzinnsoldaten bloß rum

Auch diese Pollerreihe sieht Scheiße aus


So gehört sich das – laut Plan

Stolz posieren die Paten vor ihren Pollern, die genau den richtigen Abstand zwischen sich haben

Die 125.000  „Erntehelfer“-Einträge im Internet beginnen mit zig „Stellenangeboten“ – für („motivierte“) Bulgaren, Polen, Rumänen etc.. Gleich dahinter werden „Kranken-, Unfall- und Haftpflichtversicherungen für Erntehelfer“ angeboten. Dann kommen jede Menge Berichte über die skandalöse Unterbringung und Unterbezahlung von osteuropäischen Erntehelfern – in Italien, Griechenland, Deutschland… Es ist wieder alles so wie vor dem Krieg: Zigeunerinnen prostituieren sich in den Zwischenräumen der Kleinstaaten, Slowakinnen verdingen sich als Putzfrau oder Kindermächen in Tschechien, die Polen stechen Spargel am Niederrhein. In Kundus wird der Freihandel verteidigt. Und drüben in New York spielt derweil die Börse verrückt. Aber etwas ist doch anders: Wir leben nun in einer Dienstleistungsgesellschaft. Und da hängen sich gleich ein Dutzend Serviceunternehmen und clevere Gauner an jeden slawischen Erntehelfer. Sie versprechen ihm billige Flatrates, nahezu kostenlose Vermittlung in landwirtschaftliche Spitzenbetriebe, eine Verpflegung (Catering) und Ausbildung (Coaching) vom Feinsten, günstige Rundumversicherungen, Klassewetter (Kachelmann) und jede Menge sexuelle Freiheiten (Teresa Orlowski). Vorab kassiert ihr und unser beschissener neuer Staat aber erst einmal 170 Euro an Erlaubnisgenehmigungs-Gebühren von jedem zukünftigen Erntehelfer.

Vor einigen Jahren zogen die polnischen in Größenordnungen aus der BRD weiter nach England und Irland, weil dort die Saisonarbeit nicht auf 2-3 Monate begrenzt war. Mit der Finanzkrise wurden sie jedoch wieder in die BRD-Erntehilfe quasi zurückgeworfen. Und prompt kürzten die Jobcenter den deutschen Arbeitslosen nun die Schmutzzulage von 500 Euro auf 250 Euro zum Hartz-IV-Geld – bei Erntehilfe-Einsätzen. Gegen deren nun noch traurigeren Stoß-Mich-Brigaden  waren die sozialistischen Studenteneinsätze elitäre Vergnügungen. Sie bröckeln auch schon am 2. Tag auseinander, deswegen greifen die Bauern als Arbeitgeber lieber gleich zu Polen. „Es ist unmöglich, für ca. 3 Monate Arbeitskräfte zu finden, die bis zu 12 Stunden an Spitzentagen und bei jedem Wetter arbeiten,“ meint z.B. ein Zierpflanzenanbauer vom Niederrhein. Die Leute „müssen hart ran“. Ein Brandenburger Gemüseanbauer weiß aus Erfahrung: „Es gibt keine deutsche Arbeitskraft, die bereit ist, in der Landwirtschaft zu den Bedingungen zu arbeiten“. Rechtzeitig zu Beginn der Spargelsaison 2010 veröffentlichte der Sozialgeograph Jörg Becker eine gründliche Studie über „Polnische Saisonarbeiter in Deutschland – temporäre Arbeitsmigration im neuen Europa:  Erdbeerpflücker, Spargelstecher, Erntehelfer“. Die obigen Zitate stammen daraus. Seine Forschungsarbeit läßt keine Fragen offen, obwohl der Autor an einigen Stelle bescheiden meint, dass da und dort noch weiterer Forschungsbedarf bestehe.

Zusammen mit Diplomanden und Doktoranden erforschen bundesweit bereits rund 80 Deutsche das Phänomen polnische Erntehelfer, das hört sich nach wenig an – bei etwa 200.000 Polen, die hier in der Saison 2008 die Dreckarbeit auf den Feldern erledigten. Zählt man jedoch die 8000 durchschnittlich dreiköpfigen Bauernfamilien dazu, die Erntehelfer beschäftigen, sowie die mit dieser Materie befaßten 8,4 Vermittler in den 62 Jobcentern der BRD und die 4,2  Mitarbeiter in den ca. 100 Vermittlungagenturen für Erntehelfer (auch „Slavenhändler“ genannt), und ferner die ganzen Kommunal-, Kreis- und Bundesstaaten-Beamte, Staatsanwälte, Richter, Politiker, Profiler etc., die diese „Polenzüge“ kanalisieren/eindeichen, dann ernähren dies unterbezahlten Saisonarbeitskräfte alljährlich rund  15.120 deutsche Dauerbeschäftigte. Vor Ort kommen dann noch Lebensmittel- Elektronik- und Textilhändler dazu, sowie Kneipenwirte, Gewerkschafter, Polizisten und Landärzte inklusive  Krankenhauspersonal mit ihren Familien, für die Ähnliches gilt. Insgesamt sind das noch einmal etwa 72.300 Deutsche. Grob gerechnet ernähren also 200.000 Polen mit ihrer zu kurzen „Saisonarbeit“ fast 100.000 Deutsche das ganze Jahr über, oder anders ausgedrückt: 2 Polen tragen jeweils einen Deutschen durchs Leben.

„Verfügbarkeit, Flexibilität, Schlagkräftigkeit, Kontrollmöglichkeit und die Lohnhöhe sind die wesentlichen Argumente, die für die Anwerbung polnischer Saisonarbeiter sprechen,“ so sagt es der Erntehelferforscher Becker. Er erwähnt aber auch, dass die Polen sich für diese alljährlichen Saisonarbeiten  in der BRD bereits in den Achtzigerjahren – zu Zeiten von Solidarnosc – ein regelrechtes „Netzwerk“ von unten schufen. Dafür spricht, dass die Solidarnosc die erste Arbeiterbewegung im marxistischen Sinne war. Sie richtete sich jedoch paradoxerweise explizit gegen den Marxismus.

Zwei schützen einen

Japanischer Richtungs-Pilon mit Hinweisschild auf  Musterhausausstellung

Diskreter Poller vor Neu-Helgoland. Kaum zu sehen. Alle  Photos: Peter Grosse

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