vonHelmut Höge 10.05.2010

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Poller mit Aufruf zur Stadtteilversammlung im Neuköllner „Schillerkiez“: „Zu viel Ärger – zu wenig Wut“.

Photo: Antonia Herrscher

Wut ist eine Art affektive Störung, meinte der Referent Aaron Ben-Ze’ev auf der Tagung über Wut im Haus der Kulturen am Arsch der Welt. Dem wollte der Historiker Paolo Santangelo nicht widersprechen, aber er legte Wert auf die Feststellung, dass sie in unterschiedlichen Kulturen auch auf unterschiedliched Arten geäußert werden.  In Joseph Vogls Vortrag wurde es dann politisch: „Komplexe Gesellschaften seien Gefahrenkulturen und in diesem Sinne betrachtete der Kulturwissenschaftler Vogel die Phänomene der Wut als Verständigungen über die eigene Gefährdung. Zorn ist ein auflösender Affekt, so Vogl. Er ist außerdem ein kriegerischer Affekt, der mit markanten Souveränitätsattributen ausgestattet ist. Durch seine Unberechenbarkeit trägt Zorn dazu bei, Macht zu sichern. Aber Zorn ist sowohl eine Eskalation ins Göttliche als auch in Tierische,“ so faßte heute  FR-Redakteur Harry Nutt den Vortrag von Vogl auf der HKW-Tagung zusammen.

Anknüpfend an diesen Begriff einer „politischen Wut“ sprach der nächste Referent, Gutierrez Rodriguez, von der Wut als Kraftquelle und der Möglichkeit, „sie für eine dekoloniale Ethik zu gewinnen“. Harry Nutt folgerte daraus: „Es muß sie doch geben, diese Art von ehrbare Wut, die man für die politisch gute Sache toben lassen kann.

Dem spürten dann die nächsten Referenten – Sheila Mysorekar und Robert Misik – nach: am Beispiel der Reaktionen auf die Finanz- und Eurokrise. Erstere fragte sich: Warum gehen nur die Griechen wütend auf die Straße – und nicht sehr viel mehr Leute? Das fragte sich auch das Publikum im Saal: „Bisweilen brandete eine Art Sehnsucht nach Volkszorn auf,“ schreibt der  Tagungsbeobachter  Harry Nutt.

Ich war auf einer anderen Tagung – ebenfalls im Haus der Kulturen der Welt – gewesen, zwei Wochen zuvor:

Nicht nur ich dachte, das die Organisatoren des taz-Bildungskongresses diesen deswegen im „Haus der Kulturen der Welt“  veranstalteten, weil dort gerade eine Ausstellung „Über Wut“ stattfindet. Hießen nicht schon die bundesweiten  Studentenproteste gegen  „Studiengebühren“ und demütigende „Ami-Bachelor-Hüte“, die man ihnen seit „Bologna“ aufzwingt – „Uniwut“? Stattdessen redeten  auf dem Kongreß linksliberale „Experten“ über „Forschungsgelder“,  „Excellence-Initiativen“ etc., wo es doch eigentlich gerade darum geht – nicht zuletzt in der fortgeschrittensten  Wissenschaftssoziologie und -politik: der „Akteur-Netzwerk-Theorie“ (ANT) – den „Experten“ mit einer gehörigen Portion Wut demokratisch zu delegitimieren.

Da blieb dann allen am taz-Kongreß Interessierten nur wenig mehr übrig, als in den „Büchern zur Ausstellung“ zu blättern: u.a. in der „Geographie des Zorns“ von Arjun Appadurai und in Senecas „Über die Wut“. Draußen im „Café Global“-Garten saß derweil Peter Grottian, der linke FU-Politologe, der jahrzehntelang versuchte, die studentische „Uniwut“, aber auch den „berechtigten Zorn“ der Icke-Berliner wegen des „Bankenskandals“ und den „massiven Ärger“ der geringverdienenden BVG-Benutzer wegen der Abschaffung des Sozialtickets in produktive Richtungen zu kanalisieren. Er war nicht als Redner eingeladen worden und hielt im Garten quasi ein „Privatissimum“ ab. Ähnlich der Schriftsteller Peter-Paul Zahl, der nur kurz reinschaute. Er hatte 2009 auf einem Literaturfestival in Jamaika, wo er seit 25 Jahren lebt, mit großem Erfolg sein Dub-Gedicht „Wut ist der Schlüssel“ vorgetragen.

Poller auf der „Wut“-Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt

Zwei weitere Poller auf der „Wut“-Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt. Photos: Antonia Herrscher

Auf dem taz-Kongreß wurde die Wut jedoch wie gesagt weitgehend ignoriert. Wenn „Wut“ wirklich der Schlüssel ist – zur Veränderung der Verhältnisse, dann betrifft das nicht nur die bolognaverarschten Studenten, sondern auch und ebenso die auf  Stipendienentzug gesetzten Künstler, die ganzen mit „Hartz IV“ belogenen und betrogenen Arbeitslosen, die in Beschäftigungsgesellschaften geparkten  Beamte,  die von den EU-Subventionsvergebern benachteiligten Einzelbauern, alle perspektivlosen Jugendlichen, die unterbezahlten Kindergärtnerinnen, Hebammen  und Krankenschwestern, geprellten Rentner und mit haltlosen Versprechungen ins Abseits manövrierten Ostler, um nur einige wütende „Minderheiten“ zu nennen, die numerisch bereits eine Mehrheit bilden.

Im Gegensatz zu den festangestellten und tarifentlohnten Massen, die bald nur noch eine kleine radikale Minderheit sind. Pünktlich zu ihrem 1.Mai erschien jetzt ein Buch, das die aktuelle Gewerkschaftskrise thematisiert: „Die große Wut“ vom Historiker Peter Birke – aus der Hamburger „Gruppe Blauer Montag“. Bei Wikipedia heißt es dazu: „Die Wut (in gehobener Sprache auch lateinisch Furor) ist eine sehr heftige Emotion und häufig eine impulsive und aggressive Reaktion, ausgelöst durch eine als unangenehm empfundene Situation oder Bemerkung, z. B. eine Kränkung. Wut ist heftiger als  Ärger und schwerer zu beherrschen als Zorn.“ Zur Vertiefung dessen wird allerdings nicht die Kampfbibel  „Die Wut der Frauen“ von Mary Valentis oder die Erziehungsfibel „Wut tut gut“ von Jan-Uwe Rogge, auch nicht das Pamphlet „Wut im Bauch“ des Ostlers Lothar Bisky empfohlen, sondern der Integrations-Ratgeber „Ich bin so wütend! Nutzen Sie die positive Kraft Ihrer Wut!“ von Anita Timpe.

Diese „Heilpraktikerin“ hätte man vielleicht sogar zum Kongreß einladen können. Sie meint: „Alle unsere Gefühle sind wichtig, sie teilen uns etwas mit.“ Im Vorfeld des 1.Mai hatte ich den Eindruck, dass der „Kampftag der Arbeitsklasse“ diesmal noch friedlicher als 2009, jedenfalls in Kreuzberg,  verlaufen würde, aber alle Araber und Türken, mit denen ich darüber sprach, meinten im Gegenteil, dass sich bei „den Berlinern“ zu viel Wut angesammelt habe, als das sie heuer friedlich demonstrieren und feiern würden.

Tatsächlich blieb dann jedoch alles relativ friedlich – man aß in Massen verbrannte Würstchen, trank lauwarmes Bier und hörte sich wütende Scheißmusik an, als es noch vor Mitternacht anfing zu regnen, fuhren die meisten Randale-Touristen nach Hause bzw. in ihr Übernachtungsquartier. Die taz freute sich anderntags, dass es trotz aller Droh- und Drehkulissen im Vorfeld doch noch so ein schönes, friedliches Fest geworden war.

Ähnlich war es dann mit dem russisch-deutschen Siegesfest am 9.Mai im Treptower Park am Rosengarten, das heuer unter dem Motto „Wer nicht feiert – hat verloren“ stattfand.

Das Problem der o.e. Referenten auf der Wut-Tagung im Haus der Kulturen der Welt, warum nur die Griechen wütend auf die Straße gingen – bisher, war damit zwar nicht beantwortet, aber immerhin als allgemeines Problem erkannt worden.

1961 standen sich hier in der Friedrichstraße für kurze Zeit riesige provisorische Poller – quasi Rohr um Rohr – gegenüber.  Photo aus der Sammlung Peter Grosse

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2010/05/10/in_rage_geraten_on_rage/

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kommentare

  • Soeben erschienen:

    Ein Buch von Peter Birke zum Thema:

    „Die große Wut und die kleinen Schritte“,

    Verlag Assoziation A (c/o Buchladen Schwarze Risse, Berlin Mehringhof)

    Im selben Verlag erschien 2009 vom „Kollektiv Rage“:

    „Banlieues. Die Zeit der Forderungen ist vorbei“

  • Liebe MitstreiterInnen,

    wie heißt es so schön: „Der erste Mensch in meinem Leben war eine Hebamme.“ Dass dies so bleibt, dafür haben Hebammen am 5. Mai bundesweit demonstriert. Sollte es den Hebammen nicht gelingen, sich rasch politisches Gehör zu verschaffen, droht bereits zum 1.7.2010 der Zusammenbruch der flächendeckenden Geburtshilfe durch Hebammen.

    Ausführliche Infos gibt es hier:

    http://www.hebammenfuerdeutschland.de/)

    Die E-Petition des Deutschen Hebammen Verbandes kann ab sofort online gezeichnet werden. Sie finden sie hier:

    (https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=11400).

    Heilhilfsberufe – Sofortmaßnahmen zur wohnortnahen Versorgung mit Hebammenhilfe

    Der Bundestag möge Sofortmaßnahmen beschließen, um eine wohnortnahe Versorgung von Frauen mit Hebammenhilfe und die freie Wahl des Geburtsortes auch nach dem 1.7.2010 sicherzustellen. Gefordert wird auch die Aufnahme eines Sicherstellungsauftrages für Hebammenhilfe analog § 72 SGB V. Des Weiteren möge der BT eine Datenerhebung zum Bedarf an Hebammenhilfe und dessen Deckung beschließen.

    Eine ausführliche Begründung gibt es hier:

    (http://www.hebammenfuerdeutschland.de/epetition.html)

    Die nächsten drei Wochen entscheiden darüber, wie erfolgreich die Petition werden kann. Um die Petition zu zeichnen, ist zuvor eine Registrierung beim Petitionsausschuss des Bundestages erforderlich.

    Sie können die Petition hier aufrufen:

    https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=11400).

    Dort können Sie sich registrieren bzw. einloggen und die Petition mitzeichnen. Bitte leiten Sie diese Mail auch an möglichst viele möglichst interessierte Mitmenschen weiter.

    Wir danken allen UnterstützerInnen für ihre Mühen und Engagement.

    Herzlichst

    Hebammen für Deutschland – Eine Initiative zum Erhalt des Berufsstandes

    Nitya Runte, Ulla Cremer, Sonja Langner, Lisa von Reiche, Verena Zuszek, Ulrike Pauls, Jana Lagnensiepen und Linda Franke

    Buchheimer Str. 32-34

    51063 Köln

    http://www.hebammenfuerdeutschland.de

    mail@hebammenfuerdeutschland.de

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