vonHelmut Höge 28.01.2011

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Plakat für den Godard-Film „La Chinoise“

In allen Zeitungen wurde Karen Duves Buch über das Essen besprochen. Und jedesmal wurde dazu ein Photo der Autorin mit einem Huhn auf dem Arm abgedruckt. Die Hamburgerin wohnt in Brandenburg auf dem Land. Sie ist Veganerin und als Tierschützerin mit der Kamera unterwegs, ihr Buch heißt „Anständig essen“ und folgt auf das Buch „Tiere essen“ von Jonathan Foer, mit dem Karen Duve nun einige Lesungen bestreitet. „Anständig essen“ ist quasi das Buch zum Film  „Dioxin-Skandal“ – und das auch noch rechtzeitig zur „bisher größten“ Lebensmittel-Demo anläßlich der Grünen Woche. Die Autorin berichtet über die Schandtaten der Agrarindustrie und ihre eigenen Essensexperimente: Sie ernährte sich biologisch, vegetarisch, vegan und frutarisch (für die Frutarier ist das Ausreißen einer noch lebenden Mohrrübe Mord).

Das  Huhn auf dem Arm der Autorin hat einen Namen: Rudi. Der Berliner Zeitung verriet sie, dass es einer „Befreiungsaktion“ aus der überbelegten Halle eines Biohofs entstammt. Und das ihr, indem sie das Essen mit Moral verband, jeder „Hackbraten zu Quälfleisch“ wurde. Ihr zweites  Huhn, Betty, aß sie zwar vor einiger Zeit – mit Genuß, aber nur, weil es zuvor bereits von einem Fuchs getötet worden war.

Auch der ebenfalls auf dem Land lebenden taz-Autorin und Tierschutzaktivistin Hilal Sezgin sind ihre Schlachttiere eher Haustiere, die sie höchstens symbolisch vernutzt (indem sie darüber schreibt). Anders der Ost-taz-Gründer André Meier, ebenfalls ein Stadtflüchtling, der in seiner „Aussteigerfibel“ sauber zwischen benamten und unbenamten Tieren unterscheidet: Nur die ersteren werden nicht gegessen, so halte man es jedenfalls in Vorpommern. Aber den Erfolg, den der Autor mit seinem „Landleben für Anfänger von A-Z“ erzielte und auch vielgesehene Filme wie „Fleisch ist mein Gemüse“, konnten nicht verhindern, „dass  der Vegetarismus heute in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist,“ wie die Vegetarierin Irisch Radisch kürzlich in der „Zeit“ jubelte.

Wenn Karen Duve die Rolle des  Food-, Wut- und Gutmenschen in dem aktuellen  Dioxin-Drama spielt, dann durfte ihr Gegenspieler, der Schurke, natürlich kein Leichtgewicht sein: Erst war es nur die fast anonyme kleine Futtermittelherstellerfirma „Harles und Jentsch“, die dann auch noch sogleich in Insolvenz verschwand und ihre Webpage löschte. Übrig blieb der „Geschäftsführer Siegfried Sievert (58)“. Ein verschwiegener Ostler. Wie konnte man dem auf die Sprünge helfen? Da half das noch für jede postfaschistische Gemeinheit gute Innenministerium nach: Es setzte seine „Birthlerbehörde“ in Trab. Und diese trieb augenblicklich 200 Spitzelberichte von Siegfried Sievert alias „IM Pluto“ auf, die er auch noch per Hand geschrieben hatte. Besser gings nicht! Dazu Tonbänder und Quittungen für Stasi-Honorare im Wert von über 1000 Mark (Ost). Die Kapitalpresse, das Landwirtschaftsministerium, der Bauernverband, die Bauern – alles lachte über „Pluto“ und freute sich riesig. Auf der Grünen Woche floß der Sekt in Strömen! Die Süddeutsche Zeitung schrieb: Sievert, „der bis zur Wende der Stasi zuarbeitete, war schon damals in fettverarbeitenden Betrieben wie dem VEB Märkische Ölwerke in Wittenberge beschäftigt. ‚Der IM hat keinerlei Vorbehalte bei der Belastung von Personen aus seinem Umgangskreis‘, heißt es in seiner Akte.“ Allein eine solche „Einschätzung“ seines Führungsoffiziers, die damals – unter den Kommunistenschweinen – natürlich positiv gemeint war, zeugte bereits von der ganzen  Niederträchtigkeit dieses (Ost-) Individuums. Aber es kam noch dicker:  Der Mann arbeite nicht aus Überzeugung für die Aufklärung, heißt es in einer  anderen Stasi-Evaluierung, er berichte nur, was ihm selbst nützlich sei und indem er „persönliche Vorteile/Nachteile in Erwägung“ ziehe. „Futter-Panscher war Stasi-IM“ titelte die Berliner Morgenpost.

Das war es doch: Nicht einmal die ihm im Westen großzügig ermöglichte Karriere – der Neuanfang – hat dieses Subjekt von seiner egoistischen Lebensgier abbringen können. Gewiß, es gab einige kritische Stimmen: „Wenn der Sozialismus das nicht geschafft habe, dann doch der Neoliberalismus erst recht nicht.“ (Köstritzer Post). Ihm einst Nahestehende gaben zu bedenken: Mit dem selbstgewählten Decknamen „Pluto“  habe er nicht den römischen Gott der Unterwelt und des Reichtums gemeint, sondern den amerikanischen Hund von Donald Duck. Aber im großen Ganzen war an den Umrissen der beiden Protagonisten „Karen Duve – Huhn Rudi“ „Futterfette Sievert – Dioxin Stasi“ nicht mehr zu rütteln, zudem waren sich bei der „Problemlösung“ alle einig: „Die Lebensmittel müssen teurer werden,“ wie es der Präsident der Ernährungsindustrie Jürgen Abraham auf der Grünen Woche sagte, „der Fehler liegt nicht im System!“

MY SELF-DEFENSE

I am eating a delicious borsht

to protect against the wolfish capitalism

I enjoy the fattest solyanka

to fight the dominance of big corporations

I torture myself with Cutlets à la Kiev

In the memory of victims of the Communist Gulag

I devour Freedom Fries for the bombed-out Afghanistan.

Oven-baked hens with parsley –

to stop the war in Iraq

A whole roasted piglet on a skewer –

to prevent Palestinian kamikazes

from bombing Israeli discos

Withdraw your armies from Chechnya,

or I will finish this apple strudel

Allow gays to get married

or I am ordering a cappuccino with cream.


Von Alex Galper, geboren in Kiew, seit 1990 in New York lebend, Anarcho-Dichter zwischen Beat und Punk, schreibt auf Russisch, studierte u.a. bei Allen Ginsberg und lernt derzeit Tango. Sein Poem „My Self-Defense“ wurde vom Autor zusammen mit Marina Rubin ins Englische übersetzt und im GAF – Galaktische Futuristen, Heft 2010/8, von Ilya Kitup veröffentlicht (Berlin, Propeller Publishers).


Bremer Vietnamesen – im ersten norddeutschen Vietnamfilm auf DVD: „Deadly Nam“. Warum – zur grünen Hölle – kommen Wehrdienstverweigerer, Pädagogen und Kindergärtner, die dazu noch pazifistisch, alkoholfrei und vegan leben, auf die Idee sich monatelang mit schwerem Kriegsgerät in den Wäldern Bremens zu verschanzen? Diesen Fragen geht das Bonusmaterial auf den Grund. Neben Making of, Teamfilm, Slideshow und Originaltrailer gibt es auch das Musikvideo zum Filmsong „America“ der Gruppe „Minion“ auf der DVD.


Zur Erinnerung: In Tiqquns “Einführung zum Bürgerkrieg”” heißt es:

“Ich spreche vom Bürgerkrieg, um ihn auf mich zu nehmen, um ihn in Richtung seiner erhabensten Erscheinungsweisen auf mich zu nehmen. Das heisst: meinem Geschmack entsprechend.

Und Kommunismus nenne ich die reale Bewegung, die überall und jederzeit den Bürgerkrieg zu zunehmend elaborierter Beschaffenheit vorantreibt.” An anderer Stelle ist in diesem Zusammenhang auch von “einer gewissen Ethik des Bürgerkriegs” die Rede.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2011/01/28/buergerkriegsgewinnler_und_-verlierer/

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kommentare

  • Ähnlich wie Karen Duve auf dem Cover ihres Buches „Anständig essen“ mit einem Kaninchen posierte, aber so wie sie dann mit ihrem Huhn auf dem Arm für die Rezensionen photographiert wurde, hat jetzt auch Martin Reichert sich für das Cover seines neuen Buches „Landlust“ mit einem Kaninchen auf dem Arm porträtieren lassen.

    Sein „Selbstversuch“ in der deutschen Provinz“ ist, dem Land-Thema angemessen, nach Art eines gärtnerischen Jahreszyklus gegliedert.

    So etwas hat auch Wladimir Kaminer vor einigen Jahren in seinem Buch „Mein Leben im Schrebergarten“ – ebenfalls als ein „Selbstversuch“ – unternommen. Nur dass es sich bei ihm um einen Kleingarten in einer städtischen Kolonie handelte.

    Diesen Garten hat er jetzt aufgegeben zugunsten einer Landhauses am See hinter Oranienburg, und dort geht es nun nicht um gärtnern oder gar ackern, sondern um angeln. Zum Haus gehört ein Boot – und der leidenschaftiche Fischesser Kaminer arbeitet auch schon an einem Buch mit dem Arbeitstitel „Mein Leben als Angler“.

  • Noch etwas zum Huhn befreien und zubereiten:

    Die Künstlerin Irina Kaschina-Rahn erzählte mir einmal eine Huhn-Geschichte: Sie studierte einst Literatur am Moskauer Gorki-Institut. In der DDR wechselte sie zur Theaterplastik. Ihr Ausbilder war Eddy Fischer vom Berliner Ensemble, der für Brechts „Mutter Courage“ ein Huhn baute, das die Weigel jeden Abend aufs Neue rupfen konnte.

  • Gerd Sellner (Tübingen):

    Du schreibst doch gelegentlich in der „Jungen Welt“. Warum – zum Teufel – ignorieren die den Bürgerkrieg in Caracas, sind aber im Nahen Osten und bei den Euro-Undercover-Agents auf Zack?

    Ist es aus dem selben Grund, warum auch die Attack-Postille „Le Monde Diplomatique“ in bezug auf Venezuela völlig versagt? – um „Chavez“ die Stange zu halten?

    Was für elende Staatsdenker!

    Sag/Schreib mal was dazu…

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