Arab Woman 2. Photo: mouthonly.com
Die taz ist schon so verpraktikantet und auf die „Facebook-Generation“ abonniert, dass sie mit tödlicher Sicherheit in jedem Aufstand, wo immer er stattfindet, eine schöne Praktikantin als Anführerin und Lightfigur ausmacht: zuletzt – jetzt – in Chile die junge „Subcomandantin Camila“, wie die Auslandsredaktion sie zärtlich nennt. Wahr ist, jedenfalls für alle, die Aufstände für das wahre Lebenselixier halten, dass es in Chile schön abgeht. Vor drei Tagen passierte jedoch Unschönes: die Polizei erschoß einen 16jährigen Demonstranten.
Auch in Berlin erschoß die Polizei eine sich etwas ungewöhnlich verhaltende Frau namens „Andrea H.“. Deswegen findet übermorgen eine Demo gegen Bullenterror statt: um 19:00 – d.h. eine Kundgebung vor dem Haus der Ermordeten. Ort: Senftenberger Ring 66, Märkisches Viertel, Berlin-Reinickendorf. Die Veranstalter schreiben: „Die Zeiten werden rauher. Sind Psychiatriebetroffene zukünftig nicht mehr sicher, ob sie vielleicht von der Polizei erschossen werden? So geschehen am 24.August 2011 in Berlin-Reinickendorf.“
In Berlin versuchten ferner die „Empörten“ – junge Spanier, Griechen und ein paar Deutsche – sich einige Tage lang auf dem Alexanderplatz zu halten. Erst genehmigte ihnen die Polizei nur ein „Zelt“ für ihre symbolische Solidarität mit der „global Tentifada“, dann gab es eine kleine Schlägerei mit besoffenen Touristen aus dem sieben Meter entfernten Neonbeach-Caipiclub-Bierpub auf dem Alex, und zuletzt wurden sie von Regen und Kälte vom Platz gescheucht. Nun versucht die taz ihre Leser zu motivieren, sich am Alex-Empör-Lager zu beteiligen.
Vorgestern fanden in Westberlin zwei Demos zum Al-Quds-Tag statt: die eine bestand aus Exil-Iranern und -Palästinensern und protestierte gegen Israel. Sie schlossen sich damit den Demonstrationszügen im Iran, in Saudi-Arabien und in Bahrain an, wo die Leute quasi von ihrer Regierung auf die Straße geschickt wurden. Dagegen protestierte in Westberlin eine Demo für Israel, bestehend zumeist aus hier lebenden Juden. Zwischen den beiden Demos nahm die Polizei Aufstellung, so dass sich die Konfrontation auf skandierte Sprüche, die hinüber und herüber schallten („Tod Israel!“, „Lang lebe Israel!“), beschränkte. Bemerkenswert war auf der einen Seite die Orthodoxie, mit der die gegen Israel aufmarschierten Islamis an- und abtraten: in sauber nach Geschlechtern getrennten Blöcken, wobei die Frauen auch noch verhüllt waren. Die Männer trugen teilweise Chomeini-Bilder und -Bärte. Auf der anderen Seite marschierten Teile der „Antifa“ mit und „die rechtspopulistische Partei ‚Freiheit‘ verteilte islamfeindliche Flyer,“ wie die taz heute schreibt.
Abseits dieses Schauspiels saß ich draußen und las in der antiquarisch erworbenen Autobiographie einer anonym bleibenden saudischen Prinzessin, sie war eines von 16 Kindern ihrer Mutter.
Sie meint, der Koran sei längst nicht so schlimm wie das, was die Männer aus dem islamischen Glauben gemacht haben: „So war z.B. unserem Propheten Mohammed die Praxis der Kindstötung, mit der man zu seinen Lebzeiten den leidigen weiblichen Nachwuchs loswurde, ein Greuel.“ Und doch tun die islamischen Männer heute noch alles, „damit ihnen die Frauen möglichst viele Söhne und wenig Töchter gebären.“ Sie, die Ehefrauen, werden auch zu sonst nichts anderem gebraucht. Reden können die meisten Männer mit ihnen nicht. „Wird ein Mädchen geboren, löst das normalerweise nur Trauer oder Scham aus.“ Diese werden nicht einmal amtlich registriert. Im Ölland der Prinzessin aus dem Hause Al Saud hängt heute die ganze „Ehre eines Mannes von seinen Frauen ab, deshalb muß er sich Gehorsam verschaffen und die Sexualität der Frauen kontrollieren, sonst droht ihm öffentliche Schande. Die Autorität des Mannes in unserem Land ist grenzenlos. Und so kommt es, daß die Frauen in meiner Heimat von Vätern ignoriert, von ihren Brüder verachtet und von ihren Ehemännern mißbraucht werden. Die Männer machen sich dabei aber selbst unglücklich. Sie sorgen dafür, daß Liebe und Partnerschaft für Männer wie für Frauen unerreichbar sind….Aber das wird sich ändern, denn wir haben diese Zwänge satt,“ schreibt die Prinzessin hoffnungsfroh.
Die deutsche Intelligenzpresse rügt die neuesten Veröffentlichungen von Wikileaks, weil darin ihre „Whistleblower“ nicht genug vor Enttarnung geschützt wurden – so z.B. im Falle eines „Iraners“, der mitteilte: „Die Menschen im Iran versuchen ’stets den Anschein zu erwecken, dass sie diesen blöden verrückten Mullahs folgen‘.“
Ich hatte in der U-Bahn auf dem Weg von Charlottenburg zum Alexanderplatz noch ein weiteres Islam-Erlebnis: „Ein tunesischer Stricher erklärte überlaut seinen zwei Kumpeln, von denen einer anscheinend ein unwissender Deutscher war: „Der der fickt ist nie schwul, nur der, der gefickt wird. Und das ist meist der Jüngere – der noch keine Ehre hat!“ Der Alexanderplatz wird in vielen Sex-Stadtführern als „Babystrich“ angepriesen. Das ist glaube ich übertrieben, wahr ist jedoch, dass sich auf dem Platz heute die Kinder der „Kinder vom Bahnhof Zoo“ treffen. Im übrigen war der tunesische Stricher kein „Baby“ mehr, er hatte bereits vom vielen Schwänze blasen einen breiten hässlichen Mund bekommen – fast schon profimäßig.
Die islamische Welt hat nur ganz wenige Intellektuelle, die es mit denen im Westen aufnehmen können, deswegen gelten die leider auch im und vom Westen geschulten arabischen Schriftsteller wie Frantz Fanon und Edward Said auch immer noch als intellektuelle Leuchttürme im Nahen und Mittleren Osten. Aber das ändert sich gerade. Die CIA hatte bis zum 11.9. 2001 auch nur zwei islamische Intelligence-Verräter auf ihrer „Payroll“. (1)
Von den Aktivisten in den arabischen Aufständen werden die Schriften des iranischen Soziologen Asef Bayat, der an der Universität Leiden lehrt, sehr geschätzt. Er ist nicht wirklich ein guter Denker, aber seine Untersuchungen zu den „passiven Netzwerken“ der „Nonmovements“ (von Jugendlichen, Frauen und Arbeitslosen in den diktatorisch regierten arabischen Ländern) sind nicht uninteressant – auch wenn Michel de Certeau sie in seinem Buch über „Die Kunst des Handelns“ bereits besser thematisiert hat. Wenn auch nicht wie Bayat unter dem Aspekt einer „Modernisierung“ der arabischen Länder. In dem 2010 erschienenen Buch „Life as Politics. How Ordinary People Change the Middle East“ hat Asef Bayat sich den vom Westen mit 700.000 Dollar finanzierten und sehr elitären „Arab Human Development Report“ („produced by over a hundred Arabs for the Arab World“) vorgenommen. Dieser Report spiegelt ungefähr das Weltbild der taz wieder: Es geht den Autoren um einen weichen, freundlichen Öko-Kapitalismus mit islamisch-lächelndem Antlitz. Bayat stößt sich insbesondere daran, dass darin die arabische Frauenunterdrückung besonders betont und mit Gegenprogrammen bedacht wird. „Aber die [Unterdrückung] gibt es doch überall, in unterschiedlicher Ausprägung,“ meint er – und stellt dann die rhetorische Frage: „What makes women in particular, as an analytical category, important for human development?“ Kinder, Alter, Behinderte usw. werden doch genauso diskriminiert…. Bayat vermutet – dumpf männerislamistisch: „the ‚trendy‘ notion of ‚women’s empowerment‘ serves primarily so satify the sensibilities of a ‚western audience‘.“
Der „Französischen Revolution“ – jawohl: Bis dahin wollte sich auch die „western audience“ lieber nicht vorstellen, dass Neger und Frauen Menschen sind. Und die nächste Revolution wird uns daran gewöhnen, dass auch Tiere und Pflanzen die selben Rechte wie weiße Männer haben – Lebewesen wie du und ich dann. Wie Lévy-Strauss rekapitulierte: „Geschichte beginnt mit einem Frauenraub und Kultur mit Frauentausch,“ soll heißen: Die Frauen sind jetzt – mit Beendigung dieser Scheißkultur – das Subjekt (in den arabischen Aufständen). Das macht sie zur wichtigsten „analytical category“, denn noch die letzten unterdrückten Kinder, Alten und Behinderten, ebenso wie die Arbeitslosen dort, halten sich an den Frauen/Mädchen schadlos. Auch die arabischen Schriftsteller haben diesbezüglich nicht alle Tassen im Schrank: Ihre Romane sind immer noch eher an den idiotischen „Märchen aus 1001 Nacht“ orientiert (entstanden zur arabischen Hochzeit unter Harun Al-Raschid) als an der Wirklichkeit, die Romane der arabischen Schriftstellerinnen sind dagegen durchweg „moderner“, radikaler und vor allem psychologischer, kurz: weniger märchenhaft.
„Feind““ – so nennen die algerischen Frauen ihren Ehemann, wenn sie unter sich sind, wie die Schriftstellerin Assia Djebar (in: „Weit ist mein Gefängnis“) berichtet. Auch ihre Brüder, die sich als ihre „Beschützer“ aufspielen, sind ihre „Feinde“. Darüberhinaus alle politisch argumentierenden Männer von links bis rechts: So wird z.B. in Marokko „das staatliche Programm der Familienplanung, nach Maßgabe der internationalen Geldgeber (u.a. der IWF), rundweg als ‚imperialistische Machenschaft‘ abgelehnt – von der Linken als ‚konterrevolutionär‘, von der Rechten als ‚Angriff auf den Islam‘,“ wie die marokkanische Soziologin Fatima Mernissi in ihrem Buch „Der Harem ist nicht die Welt“ schreibt, in dem sie Interviews mit Frauen aus allen Schichten der Gesellschaft veröffentlichte. Ungeachtet der Ablehnung der „Familienplanung“ (mittels Verhütungsmittel) durch die männerdominierte Geselschaft „wird die Geburtenkontrolle von den marokkanischen Frauen tagtäglich praktiziert, zumeist in der Form scheußlicher Abtreibungspraktiken,“ schreibt Mernissi. Auch zu anderen wichtigen Frauenfragen – „wie Polygamie, Verstoßung von Ehefrauen und ihrer Diskriminierung im Erbrecht – schweigt die fortschrittliche Linke, um nicht der Gottlosigkeit bezichtigt zu werden.“
Fatima Mernissi schreibt weiter: „Glaubt man einer beliebten männlichen Argumentation, die in den marokkanischen Medien immer wieder lautstark zu Gehör gebracht wird, dann dreht sich im Leben der Frauen alles darum, geliebt und begehrt zu werden – von einem Mann natürlich, und zwar von einem, der auch bezahlen kann, der den weiblichen Körper in Gold aufwiegt. Schönheit und Sinnlichkeit – als Mittel der Verführungskunst – gelten als die wichtigsten Ideale im Leben einer Frau. Aber in der Welt der marokkanischen Frauen sind in Wahrheit ganz andere Kämpfe und Probleme entscheidend. Die Mehrheit der Frauen hat um den Arbeitslohn, um das tägliche Brot, um das nackte Überleben zu kämpfen. In ihrer Welt dreht sich alles darum, wie man mit Armut, Arbeitslosigkeit und den Wechselfällen des Lebens fertig wird. Die Frauen begreifen sich deshalb auch selbst vor allem als ‚Wirtschaftsfaktoren‘: als Arbeitskräfte und Einkommensquellen.(…) In den Berichten der Frauen treten die Männer ganz und gar nicht in der Rolle eines Beschützers gegen die Härten und Wechselfälle im Leben der Frauen auf. Sie erscheinen eher als ‚Anti-Helden‘.“ Als zusätzliche Belastung, die ihnen das Leben schwer macht.“Die Schilderungen der Frauen lassen keinen Zweifel, daß sie sich im Rahmen der Ehegemeinschaft in einer Situation völliger Unterdrückung befinden – von daher erscheint ihnen wirtschaftliche und persönliche Gleichberechtigung, eine ‚partnerschaftliche Ehe‘, als die einzig richtige Lösung. Für die Verwirklichung dieser Idealvorstellung kämpfen sie mit aller Macht.“
Gestern wurde schon wieder ein vermeintlicher „Al Quaida“-Kader in Pakistan von einer Drohne der Amischweine getötet. Amischweine, weil sie mit ihrem primitiven „War against Terrorism“ auch noch den friedlichsten Islami gegen sich aufbringen. Sie kennen nur schweinös verhandeln oder mit chirurgischen Waffen Krieg führen – anstatt sich einfach auf ihre heruntergekommene US-Insel zurückzuziehen. Wie bei den Deutschen im Zweiten Weltkrieg ist natürlich jeder von ihnen getötete Islami ein mindestens hochrangiger „Al Quaida“-Kader – und bald ist auch wirklich jede Frau und jedes Kind im Nahen und Mittleren Orient mindestens ein „Al Quaida“-Mitglied. Selbst in meinen christlich-anarchistischen Stammkneipen ist Obama inzwischen schon verhasster als Osama. Das kommt davon!
In Libyen wurde unterdes einer der Rebellenführer als hochrangiger „Al Quaida“-Kader entlarvt – allerdings ohne US-Drohne. „Eigentlich ist ja jeder Ami eine Drohne“, meinte der iranische Sanitätsgehilfe Mostaffa gestern – und wollte uns damit besänftigen.
Das Info „Iran-Arbeiterbewegung“ erinnert daran:
Die drei Arbeiter Shahrokh Zamani, Seyed Buick Seyedlaar, Mohammad Jarahi und die Studenten Nima Jaghub Pur und Sassan Wahabi wurden vor das Revolutionsgericht der Stadt Tabrz in der Provinz Azarbayjan gestellt. Sie wurden zwischen dem 7.6. und dem 10.06 verhaftet und wurden etwa einen Monat in Tabrz in Einzelhaft festgehalten. Der Prozess für alle fünf Angeklagten dauerte nur 1,5 Stunden und nur zwei von Ihnen wurden anwaltlich vertreten. Berichten zu Folge hat das Gericht für die Freilassung von Seyedlaar eine Kaution in Höhe von 30 Millionen Toman angesetzt. Nun bemüht sich seine Familie um die Bereitstellung der Kaution. Die absurden Anklagepunkte gegen Shahrokh Zamani lauten: Beteiligung am Organisieren einer illegalen Gruppe und gegen das System unter dem Namen Demokratische Arbeiterbewegung. Teilnahme an und Organisieren von Versammlungen und Verschwörungen gegen die nationale Sicherheit mit illegalen Aktivitäten und Programmen. Teilnahme an Aktivitäten, wie die Verbreitung von Veröffentlichungen gegen die Islamische Republik und zu Gunsten der Demokratischen Arbeiterbewegung und illegaler Gruppen, wie die VolksModschahedin und die Volksfedayin Guerilla. Der Staatsanwalt verdeutlichte in der Tat seine Ahnungslo-sigkeit von Studenten- und Arbeiterbewegungen durch Auflisten von Begriffen und Namen, wie bewaffneter Auf-stand und Guerilla. In diesem Prozess wurden die Angeklagten wie immer nach ihren Überzeugungen und Ideen wie in einem Inquisitionsgericht befragt. Der gewalttätige Umgang der Wächter mit den Kindern von Seyedlaar, die ihren Vater begrüßen wollten, war ein hässliches Bild. Drei der Angeklagten hatten keine Möglichkeit, sich einen Anwalt zu nehmen. Die Aktenansicht wur-de den Anwälten einige Tage vor dem Gerichtstermin der zwei Angeklagten erlaubt.
Trotz all dem Druck und Einzelhaft zeigten die Angeklagten starken Kampfgeist. Vor dem Gerichtsgebäude standen die Familien, Freunde und Kommilitonen der Angeklagten. Die Familien der Verhafteten haben viel gelitten, täglich beim Gericht und dem Gefängnis nachzufragen und keine Antwort zu bekommen, keine Einkommensquelle zu haben, Drohungen und Einschüchterungen ausgesetzt zu sein.“ Aus der Türkei, die sich für ein Ende des Tötens in Syrien stark macht, meldet AP:
„Bei den türkischen Luftangriffen auf mutmaßliche Stellungen von kurdischen Rebellen im Nordirak vor rund eineinhalb Wochen sind nach Militärangaben bis zu 160 Kämpfer getötet worden. Schätzungen zufolge habe es zwischen 145 und 160 Tote gegeben, teilten die Streitkräfte am Montag unter Berufung auf Geheimdienstberichte mit. Mehr als 100 weitere Rebellen seien verletzt worden.
Anmerkung:
(1) Seit Ausbruch der arabischen Aufstände bekommen arabische Intellektual-Verräter ständig deutsche Literaturpreise: Tahar Ben Jelloun den „E.M.R.-Friedenspreis“, Boualem Sansal den Friedenspreis des dtsch. Buchhandels, Mohammed Hashim den H.-Kesten-Preis und nun auch noch der syrische Schriftsteller Adonis den Goethe-Preis. In seiner Dankesrede in der Paulskirche (sic!) beklagte er die zwischen der Verfallenheit an Gott und der Verfallenheit an die Technik gefangene Mentalität der Araber. Das hätte er genauso gut auch über die Amis sagen können.
Sein Übersetzer Stefan Weidner schrieb heute in der Süddeutschen Zeitung, dass seine Haltung zu den arabischen Aufständen, speziell auch zu denen in seinem Land, dessen nun stürzendes Regime von Adonis auf altarabische Art stets gute Ratschläge bekommen hatte, von „herablassender Skepsis“ geprägt sei. Sogleich meldete Deutschlandradio Kultur:
„Der Goethe-Preisträger Adonis wird von seinem deutschen Übersetzer kritisiert, weil er die Proteste in seinem Land nicht eindeutig unterstützt. Der syrische Dichter begegne der Revolution in seinem Land mit einer „herablassenden Skepsis“, schreibt der Publizist und Islamforscher Stefan Weidner in der „Süddeutschen Zeitung“. Dabei verhalte er sich wie andere abgehobene Intellektuelle. Eine solche Einstellung sei auch in Europa weit verbreitet, sie sei sogar lange Grundlage der westlichen Politik gewesen, bedauert Weidner. Der 81-Jährige hat wiederholt die Unterdrückung in seiner Heimat kritisiert, andererseits aber auch die Hoffnung geäußert, Syrien könne von oben reformiert werden.“
Ansonsten veröffentlichte das SZ-Feuilleton heute ein langes Interview mit John Le Carré, der darin behauptet: Geheimdienstler und Journalisten verbinde ein und das selbe: „Die Suche nach Wahrheit“. Das hat der rechte Berliner Innensenator Lummer schon vor 25 Jahren besser und vor allem zynischer gesagt.
Des weiteren wird dazu passend Axel Honneths „Theorieprofil von Hegel“ – im SZ-Feuilleton gelobt, der Autor habe sich bei seiner hegelschen Werte-Rekonstruktion insbesondere auf den Begriff der „Sittlichkeit“ gestürzt, wobei es ihm in seinem neuen Werk um die „Freiheit“ geht. (*)
Sodann wird eine Studie von zwei hochrangigen Ami-Politikern vorgestellt, die versucht haben, „die aktuelle Lage an der Datenfront“ einzuschätzen – ihre Erkenntnis: „Es gibt keine Front. Im Netz kann die Gefahr von überallher kommen.“ Gemeint sind damit wohl die virtuellen Aufstände – in Form von „Viren“, „Hackern“, „Päderasten“, nigerianischen Abzockern – und, was mich vor allem betrifft: idiotische US-Uhrenverkäufer und noch gemeinere US-Businesser mit blöden „I like it!“-Kommentaren. Ich rätsel immer noch, warum diese Arschlöcher mir täglich mehrmals so einen Scheiß schicken – was sie damit bezwecken.
Das SZ-Feuilleton hat heute aber auch noch eine Rezension der Autobiographie des iranischen Oppositionellen und langjährigen taz-Autors Bahman Nirumand zu bieten. Leider von jemandem aus der „Facebook-Generation“, der sich nicht entblödet zu schreiben: Nirumand bleibt der „kapitalismuskritischen Weltsicht treu: So nennt er die Leute [die Rudi Dutschke während des Weihnachtsgottesdienstes in der Westberliner Gedächtniskirche verprügelten] ‚Frömmler‘.“ Eine vollkommen unsinnige Schlußfolgerung – des einen Satzes aus dem anderen, die nur davon zeugt, dass der Rezensent von der hier herrschenden Religion genauso verblödet wurde, wie die prügelnden Westberliner Rentner 1968, für deren Amiunterwürfigkeit er noch heute vollstes Verständnis hat. Gleichzeitig waren diese – hoffentlich anders als der SZ-Rezensent – beinharte Nazis – und von daher verbiesterte Amihasser, schon allein aus Rassismus. Ja, den Antiamerikanismus kann man nur dialektisch betreiben – nicht süddeutsch-naiv.
Der Steglitzer Tagesspiegel will wieder einmal in den Osten – bis tief in den Prenzlauer Berg – expandieren und verstärkt seine diesbezügliche Berichterstattung:
„Zugereiste aus dem Ländle gelten als Mietpreistreiber und Speerspitze der Gentrifizierung. Sie werden veralbert und angepöbelt, zuweilen schlägt ihnen sogar Hass entgegen. Ein Schwabe schlägt jetzt zurück, mit Pinsel und Farbe. Doch woher kommt dieser Hass? Und wo führt er hin?“ fragt sich der tsp-Autor – und merkt gar nicht, dass es dort gar nicht um die sparsamen und bodenständigen Schwaben geht, sondern um bloß all die dort eingewurmten Schaummilch-Amis, die von Haus aus schwäbisch sprechen.
Die Neue Zürcher Zeitung macht sich dagegen eher Sorgen um die „Islamisten in Nigeria“:
„Nach dem Selbstmordanschlag auf den Uno-Sitz in Abuja mit fast 20 Todesopfern herrscht in der nigerianischen Hauptstadt Alarmzustand. Die radikalislamische Sekte Boko Haram drohte am Wochenende mit weiterer Gewalt.“
Dazu sollte man wissen, was „Boko Haram“ heißt: „Westliche Bildung ist Sünde“. Im Umkehrschluß: Orientalische Verblödung ist gottgefällig! Geahnt hat man das schon lange, aber es mußten erst die tapferen Selbstmordkandidaten der Gruppe „Boko Haram“ kommen, um es auf den Punkt zu bringen. Schon melden die ersten Lehrer in Berlin, dass sich mehr und mehr Schüler zu „Boko Haram“-Gruppen zusammenfinden. Deren Name „Bücher lesen, d.h. westliche Bildung ist Sünde“ leuchtet insbesondere den islamischen Schülern unmittelbar ein. Auch wenn sie als Beckstrinker nicht unbedingt damit einverstanden waren, dass die nigerianische Gruppe am 26. Juni drei Bierlokale in Maiduguri mit Schusswaffen und Sprengkörpern angriff und mindestens 25 Personen tötete. Einige der Berliner Boko-Schüler müssen da allerdings was mißverstanden haben: Sie nennen sich „Boko Harem“ – und versprechen sich natürlich auch davon Einiges (an Mädchen). Sie sind vor allem in den SM-Foren unterwegs, wo sie sich wirklich brutale und absolut frauenverachtende Gangbang-„Treffen“ erhoffen, der Arschfick zählt dabei noch zu ihren harmlosesten Wünschen. Das Problem sind dabei jedoch nicht deren „Wünsche“, sondern ihre Gehirnkrankheit: die Frauen, die sich auf sie einlassen, werden von ihnen durchweg als „Schlampen“, „Abschaum“ und „Huren“ angesehen. Übrigens steht in dieser „Scene“ S für Submissive und M für Master. Und die M-Arabs arbeiten am Liebsten mit Psychodrogen, die die S-Frauen vollständig lähmen, aber nicht bewußtlos machen.
Der Spiegel meldet heute: „Deutsche Industrie hofft auf gute Geschäfte mit Libyen“ – und demnächst, wenn auch Assad weg vom Fenster ist, mit Syrien. Das gibt der Jungen Welt wieder jede Menge Stoff für ihre westdeutsch-kritische Berichterstattung. Daneben ist sie auch noch immer ausgesprochen Rebellenkritisch eingestellt, heute titelte sie:
„Schwere Versorgungsengpässe in der libyschen Hauptstadt Tripolis. Bevölkerung in Sirte droht Sturmangriff. Aufständische lehnen Verhandlungen mit Ghaddafi ab.“ Das wäre alles nicht passiert, wenn diese verdammten Rebellen in ihren Hütten geblieben wären – statt die Paläste des Gaddafi-Clans zu verwüsten.
Des weiteren befaßt sich die JW mit dem „ersten Opfer des Krieges – das ist auch in Libyen die Wahrheit. Propaganda und Manipulationen sollen die Realität zurechtbiegen“:
„Die staatliche marokkanische Nachrichtenagentur MAP verbreitete am vergangenen Donnerstag, »nicht weniger als 556 Polisario-Söldner, die für Ghaddafi gekämpft haben«, seien von den Rebellen inhaftiert worden. Die Befreiungsbewegung der Westsahara wies dies umgehend als »systematische Lügen- und Verleumdungskampagne« der Regierung in Rabat zurück. »Die Kämpfer der Sahrauischen Volksbefreiungsarmee waren niemals an einem Konflikt außerhalb der Grenzen der Sahrauischen Republik beteiligt und werden dies auch niemals sein«, erklärte deren Informationsministerium am Wochenende. Zudem habe Ghaddafi seine Unterstützung für den Freiheitskampf in dem von Marokko annektierten Land bereits im Juli 1982 aufgegeben und seither gemeinsam mit Rabat am Aufbau einer »arabisch-afrikanischen Union« gearbeitet. Dazu habe über Jahrzehnte hinweg auch eine direkte finanzielle und militärische Unterstützung für Marokko aus Libyen gehört.“
Dass aber gerade die Libyer den Aufstand (Krieg) wagten, hat auch damit zu tun, dass sie damit die Wahrheit (über das verlogene Gaddafiregime) ans Licht bringen wollten – die JW sieht das jedoch im (Antiimp-)Verein mit den Chavez-, Castro- und Russian-Today- sowie China-Tomorrow-Medien genau umgekehrt. Ähnlich sieht es mit Karin Leukefelds eingebetteter Syrien-Berichterstattung in der JW aus – auch da geht das Ringen um die Wahrheit weiter: „Westliche Medien verschweigen Morde an Sicherheitskräften“. Mensch Karin, jede Sicherheitskraft auf der Welt gehört ermordet – dafür sind sie doch schließlich da: um auf diese Weise den „Youth-Bulg“ wieder zu verschlanken, d.h. den Jungmänner-Überschuß, der entstand, weil die Mädchen alle nach der Geburt getötet wurden. In einer befriedeten Gesellschaft ist das Töten der männlichen „Sicherheitskräfte“ natürlich nicht nötig, dafür müßte jedoch gleichzeitig dafür gesorgt werden, dass die nächsten 1000 Jahre alle Männer nur in Begleitung ihrer Mutter/Ehefrau oder Tochter auf die Straße gehen dürfen – und nach Einbruch der Dunkelheit überhaupt nicht mehr. Was wäre das für eine friedliche und vor allem lärmlose und unverpisste Gesellschaft!
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(*) Nichts gegen Axel Honneth – aber Slavoj Zizek ist als Hegelianer witziger. In der London Review of Books schreibt er über den plündernden Jugendmob, dessen kürzliche „Riots-Session“ die „konkret“ als „Last Night of the Prolls“ bezeichnete. Zizek ruft ihnen in dem Londoner Intelligenzblatt nun zu:
„Shoplifters of the World Unite! Repetition, according to Hegel, plays a crucial role in history: when something happens just once, it may be dismissed as an accident, something that might have been avoided if the situation had been handled differently; but when the same event repeats itself, it is a sign that a deeper historical process is unfolding. When Napoleon lost at Leipzig in 1813, it looked like bad luck; when he lost again at Waterloo, it was clear that his time was over. The same holds for the continuing financial crisis. In September 2008, it was presented by some as an anomaly that could be corrected through better regulations etc; now that signs of a repeated financial meltdown are gathering it is clear that we are dealing with a structural phenomenon. We are told again and again that we are living through a debt crisis, and that we all have to share the burden and tighten our belts. All, that is, except the (very) rich. The idea of taxing them more is taboo: if we did, the argument runs, the rich would have no incentive to invest, fewer jobs would be created and we would all suffer. The only way to save ourselves from hard times is for the poor to get poorer and the rich to get richer. What should the poor do? What can they do? Although the riots in the UK were triggered by the suspicious shooting of Mark Duggan, everyone agrees that they express a deeper unease – but of what kind? As with the car burnings in the Paris banlieues in 2005, the UK rioters had no message to deliver. (There is a clear contrast with the massive student demonstrations in November 2010, which also turned to violence. The students were making clear that they rejected the proposed reforms to higher education.) This is why it is difficult to conceive of the UK rioters in Marxist terms, as an instance of the emergence of the revolutionary subject; they fit much better the Hegelian notion of the ‚rabble‘, those outside organised social space, who can express their discontent only through ‚irrational‘ outbursts of destructive violence – what Hegel called ‚abstract negativity‘. There is an old story about a worker suspected of stealing: every evening, as he leaves the factory, the wheelbarrow he pushes in front of him is carefully inspected. The guards find nothing; it is always empty. Finally, the penny drops: what the worker is stealing are the wheelbarrows themselves. The guards were missing the obvious truth, just as the commentators on the riots have done. We are told that the disintegration of the Communist regimes in the early 1990s signalled the end of ideology: the time of large-scale ideological projects culminating in totalitarian catastrophe was over; we had entered a new era of rational, pragmatic politics. If the commonplace that we live in a post-ideological era is true in any sense, it can be seen in this recent outburst of violence. This was zero-degree protest, a violent action demanding nothing. In their desperate attempt to find meaning in the riots, the sociologists and editorial-writers obfuscated the enigma the riots presented. The protesters, though underprivileged and de facto socially excluded, weren’t living on the edge of starvation. People in much worse material straits, let alone conditions of physical and ideological oppression, have been able to organise themselves into political forces with clear agendas. The fact that the rioters have no programme is therefore itself a fact to be interpreted: it tells us a great deal about our ideological-political predicament and about the kind of society we inhabit, a society which celebrates choice but in which the only available alternative to enforced democratic consensus is a blind acting out. Opposition to the system can no longer articulate itself in the form of a realistic alternative, or even as a utopian project, but can only take the shape of a meaningless outburst. What is the point of our celebrated freedom of choice when the only choice is between playing by the rules and (self-)destructive violence? Alain Badiou has argued that we live in a social space which is increasingly experienced as ‚worldless‘: in such a space, the only form protest can take is meaningless violence. Perhaps this is one of the main dangers of capitalism: although by virtue of being global it encompasses the whole world, it sustains a ‚worldless‘ ideological constellation in which people are deprived of their ways of locating meaning. The fundamental lesson of globalisation is that capitalism can accommodate itself to all civilisations, from Christian to Hindu or Buddhist, from West to East: there is no global ‚capitalist worldview‘, no ‚capitalist civilisation‘ proper. The global dimension of capitalism represents truth without meaning. The first conclusion to be drawn from the riots, therefore, is that both conservative and liberal reactions to the unrest are inadequate. The conservative reaction was predictable: there is no justification for such vandalism; one should use all necessary means to restore order; to prevent further explosions of this kind we need not more tolerance and social help but more discipline, hard work and a sense of responsibility. What’s wrong with this account is not only that it ignores the desperate social situation pushing young people towards violent outbursts but, perhaps more important, that it ignores the way these outbursts echo the hidden premises of conservative ideology itself. When, in the 1990s, the Conservatives launched their ‚back to basics‘ campaign, its obscene complement was revealed by Norman Tebbitt: ‚Man is not just a social but also a territorial animal; it must be part of our agenda to satisfy those basic instincts of tribalism and territoriality.‘ This is what ‚back to basics‘ was really about: the unleashing of the barbarian who lurked beneath our apparently civilised, bourgeois society, through the satisfying of the barbarian’s ‚basic instincts‘. In the 1960s, Herbert Marcuse introduced the concept of ‚repressive desublimation‘ to explain the ’sexual revolution‘: human drives could be desublimated, allowed free rein, and still be subject to capitalist control – viz, the porn industry. On British streets during the unrest, what we saw was not men reduced to ‚beasts‘, but the stripped-down form of the ‚beast‘ produced by capitalist ideology. Meanwhile leftist liberals, no less predictably, stuck to their mantra about social programmes and integration initiatives, the neglect of which has deprived second and third-generation immigrants of their economic and social prospects: violent outbursts are the only means they have to articulate their dissatisfaction. Instead of indulging ourselves in revenge fantasies, we should make the effort to understand the deeper causes of the outbursts. Can we even imagine what it means to be a young man in a poor, racially mixed area, a priori suspected and harassed by the police, not only unemployed but often unemployable, with no hope of a future? The implication is that the conditions these people find themselves in make it inevitable that they will take to the streets. The problem with this account, though, is that it lists only the objective conditions for the riots. To riot is to make a subjective statement, implicitly to declare how one relates to one’s objective conditions. We live in cynical times, and it’s easy to imagine a protester who, caught looting and burning a store and pressed for his reasons, would answer in the language used by social workers and sociologists, citing diminished social mobility, rising insecurity, the disintegration of paternal authority, the lack of maternal love in his early childhood. He knows what he is doing, then, but is doing it nonetheless. It is meaningless to ponder which of these two reactions, conservative or liberal, is the worse: as Stalin would have put it, they are both worse, and that includes the warning given by both sides that the real danger of these outbursts resides in the predictable racist reaction of the ’silent majority‘. One of the forms this reaction took was the ‚tribal‘ activity of the local (Turkish, Caribbean, Sikh) communities which quickly organised their own vigilante units to protect their property. Are the shopkeepers a small bourgeoisie defending their property against a genuine, if violent, protest against the system; or are they representatives of the working class, fighting the forces of social disintegration? Here too one should reject the demand to take sides. The truth is that the conflict was between two poles of the underprivileged: those who have succeeded in functioning within the system versus those who are too frustrated to go on trying. The rioters‘ violence was almost exclusively directed against their own. The cars burned and the shops looted were not in rich neighbourhoods, but in the rioters‘ own. The conflict is not between different parts of society; it is, at its most radical, the conflict between society and society, between those with everything, and those with nothing, to lose; between those with no stake in their community and those whose stakes are the highest. Zygmunt Bauman characterised the riots as acts of ‚defective and disqualified consumers‘: more than anything else, they were a manifestation of a consumerist desire violently enacted when unable to realise itself in the ‚proper‘ way – by shopping. As such, they also contain a moment of genuine protest, in the form of an ironic response to consumerist ideology: ‚You call on us to consume while simultaneously depriving us of the means to do it properly – so here we are doing it the only way we can!‘ The riots are a demonstration of the material force of ideology – so much, perhaps, for the ‚post-ideological society‘. From a revolutionary point of view, the problem with the riots is not the violence as such, but the fact that the violence is not truly self-assertive. It is impotent rage and despair masked as a display of force; it is envy masked as triumphant carnival. The riots should be situated in relation to another type of violence that the liberal majority today perceives as a threat to our way of life: terrorist attacks and suicide bombings. In both instances, violence and counter-violence are caught up in a vicious circle, each generating the forces it tries to combat. In both cases, we are dealing with blind passages à l’acte, in which violence is an implicit admission of impotence. The difference is that, in contrast to the riots in the UK or in Paris, terrorist attacks are carried out in service of the absolute Meaning provided by religion. But weren’t the Arab uprisings a collective act of resistance that avoided the false alternative of self-destructive violence and religious fundamentalism? Unfortunately, the Egyptian summer of 2011 will be remembered as marking the end of revolution, a time when its emancipatory potential was suffocated. Its gravediggers are the army and the Islamists. The contours of the pact between the army (which is Mubarak’s army) and the Islamists (who were marginalised in the early months of the upheaval but are now gaining ground) are increasingly clear: the Islamists will tolerate the army’s material privileges and in exchange will secure ideological hegemony. The losers will be the pro-Western liberals, too weak – in spite of the CIA funding they are getting – to ‚promote democracy‘, as well as the true agents of the spring events, the emerging secular left that has been trying to set up a network of civil society organisations, from trade unions to feminists. The rapidly worsening economic situation will sooner or later bring the poor, who were largely absent from the spring protests, onto the streets. There is likely to be a new explosion, and the difficult question for Egypt’s political subjects is who will succeed in directing the rage of the poor? Who will translate it into a political programme: the new secular left or the Islamists? The predominant reaction of Western public opinion to the pact between Islamists and the army will no doubt be a triumphant display of cynical wisdom: we will be told that, as the case of (non-Arab) Iran made clear, popular upheavals in Arab countries always end in militant Islamism. Mubarak will appear as having been a much lesser evil – better to stick with the devil you know than to play around with emancipation. Against such cynicism, one should remain unconditionally faithful to the radical-emancipatory core of the Egypt uprising. But one should also avoid the temptation of the narcissism of the lost cause: it’s too easy to admire the sublime beauty of uprisings doomed to fail. Today’s left faces the problem of ‚determinate negation‘: what new order should replace the old one after the uprising, when the sublime enthusiasm of the first moment is over? In this context, the manifesto of the Spanish indignados, issued after their demonstrations in May, is revealing. The first thing that meets the eye is the pointedly apolitical tone: ‚Some of us consider ourselves progressive, others conservative. Some of us are believers, some not. Some of us have clearly defined ideologies, others are apolitical, but we are all concerned and angry about the political, economic and social outlook that we see around us: corruption among politicians, businessmen, bankers, leaving us helpless, without a voice.‘ They make their protest on behalf of the ‚inalienable truths that we should abide by in our society: the right to housing, employment, culture, health, education, political participation, free personal development and consumer rights for a healthy and happy life.‘ Rejecting violence, they call for an ‚ethical revolution. Instead of placing money above human beings, we shall put it back to our service. We are people, not products. I am not a product of what I buy, why I buy and who I buy from.‘ Who will be the agents of this revolution? The indignados dismiss the entire political class, right and left, as corrupt and controlled by a lust for power, yet the manifesto nevertheless consists of a series of demands addressed at – whom? Not the people themselves: the indignados do not (yet) claim that no one else will do it for them, that they themselves have to be the change they want to see. And this is the fatal weakness of recent protests: they express an authentic rage which is not able to transform itself into a positive programme of sociopolitical change. They express a spirit of revolt without revolution. The situation in Greece looks more promising, probably owing to the recent tradition of progressive self-organisation (which disappeared in Spain after the fall of the Franco regime). But even in Greece, the protest movement displays the limits of self-organisation: protesters sustain a space of egalitarian freedom with no central authority to regulate it, a public space where all are allotted the same amount of time to speak and so on. When the protesters started to debate what to do next, how to move beyond mere protest, the majority consensus was that what was needed was not a new party or a direct attempt to take state power, but a movement whose aim is to exert pressure on political parties. This is clearly not enough to impose a reorganisation of social life. To do that, one needs a strong body able to reach quick decisions and to implement them with all necessary harshness. We hope you enjoyed reading this free essay from the London Review of Books. Subscribe now to access every article from every fortnightly issue of the London Review of Books, including the entire archive of over 12,500 essays and reviews.
Arab Style Painting. Photo: iofler.com
Der Kairo-Korrespondent der taz Karim El-Gawhary ist nach Tripolis gefahren und hat sich dort umgesehen:
1. Am Ende liegen sie doch zusammen, die Soldaten der Gaddafi-Truppen und die Rebellen. Nicht nur auf einem der Friedhöfe von Tripolis, sondern auch im Matiga-Krankenhaus, das ebenso wie der Rest von Tripolis inzwischen von den Rebellen kontrolliert wird. Allerdings liegen die Kombattanten nicht in den gleichen Zimmern, erläutert der Chefarzt des Krankenhauses, Selim al-Saqr, bei einer Tour durch die Klinik.
Gleich hinter dem Eingang liegen die Rebellen. Jemand hat auf die Eingangstür zu einem der Zimmer das Wort „Freiheit“ gekritzelt. Auch Adel Karim Aschuri liegt hier. Von seiner neu gewonnenen Freiheit wird er wohl nicht mehr viel haben. Aschuri war von Gaddafis Milizen dabei ertappt worden, wie er der Nato per Satellitentelefon Positionen feindlicher Truppen durchgegeben hatte. Heute kann er kaum mehr sprechen, eher bellt er. Seine Füße hängen schlaff und leblos auf dem Krankenbett.
Die Folterer des Diktators haben so viel Strom durch den Körper des 24-jährigen gejagt, dass er am Ende zwar noch lebte, aber einen Großteil seiner Nervenstränge verloren hatte. Ob er von der Nato kontaktiert worden sei, seit er hier liege? Aschuri schüttelt mit dem Kopf. Er hat es für sein Land getan, sagt einer der Ärzte und erzählt, dass der junge Mann erst so richtig gefoltert worden sei, nachdem er sich geweigert hatte, mit den Gaddafi-Truppen zusammenzuarbeiten und der Nato falsche Ziele durchzugeben. Danach gefragt, ob der zerstörte Rebellenheld Aussicht auf eine Verbesserung seiner gesundheitlichen Lage habe, blickt einer der Ärzte zu Boden und schüttelt den Kopf.
In einer Handvoll Zimmer liegen Dutzende Männer aus den Reihen der Rebellen, keiner von ihnen ist älter als 30 Jahre. Die meisten wurden bei den Kämpfen um Gaddafis Festung Bab al-Asasija verletzt, manche auch in den Tagen danach, bei den Kämpfen um das Viertel Abu Selim, in das sich Gaddafis Getreue zur letzten großen Schlacht in der libyschen Hauptstadt verschanzt hatten. „Gott ist groß!“, rufen sie, als der Krankenhausdirektor in die Zimmer tritt und „Nieder mit Gaddafi!“.
Am Ende des Korridors ist eine Glastür. Dort steht ein Posten. Ein junger Mann mit dem schwarz-rot-grünen Stirnband der Rebellen. Durch diese Tür darf nur das Krankenpersonal, denn dahinter liegen die Zimmer mit den verwundeten Gaddafi-Kämpfern. Der Wachposten steht hier aus zweierlei Gründen: die Gaddafi-Leute sollen nicht fliehen. Und sie sollen nicht von der anderen Seite gelyncht werden. „Irgendwie tun sie mir leid, das sind Menschen und Muslime wie wir“, sagt der Wachposten.
Chefarzt al-Saqr betont an dieser Stelle, dass die Rebellen gut mit diesen Patienten umgingen. Im ersten Zimmer bestätigen mehrere Patienten, dass sie zu essen bekommen und medizinisch gut behandelt würden. „Viele fühlen sich vollkommen verloren und von Gaddafi ausgenutzt. Sie bereuen, was sie getan haben. Andere blieben uneinsichtig“, erzählt Saqr.
Die Uneinsichtigen erkennt man daran, dass sie sich die Decken über die Köpfe gezogen haben. Vielleicht schämen sie sich auch. Auch viele Söldner aus benachbarten afrikanischen Ländern sind unter den Patienten, sie kommen aus Nigeria, dem Sudan und dem Senegal, erzählen sie, ansonsten bleiben sie schweigsam.
„Es tut mir leid, was wir getan hat, ich bereue es heute, dass wir auf unsere eigenen Brüder geschossen haben“, sagt der Libyer Walid Hassan, ein regulärer Soldat der libyschen Armee, der aufrecht in seinem Bett sitzt. Auf die Frage, warum er nicht wie viele andere Soldaten desertiert oder übergelaufen sei, hat er eine einfach Antwort: „Ich hatte zu viel Angst.“ Fahnenflüchtige, die erwischt worden seien, seien erschossen worden. „Sie haben uns gedroht, auch unsere Familien umzubringen“, erzählt Hassan.
Aber in den Betten liegen auch Menschen, die weiterhin von Gaddafi überzeugt sind. Der Mann etwa, der im letzten Bett in der Reihe liegt. Er habe vor ein paar Tagen zu fliehen versucht, in dem er sich eine weiße Schürze eines Krankenpflegers organisiert hätte, erzählt einer der Krankenhausmitarbeiter.
„Nieder mit Gaddafi!“, ruft der Pfleger. Ein paar der Patienten heben den Arm zum Siegeszeichen und wiederholen den Slogan. Andere schweigen. Der Pfleger geht auf einen der schweigenden Männer zu. „Nieder mit Gaddafi!“, wiederholt er. Als der verwundete Soldat immer noch nichts sagt, haut er Pfleger ihm auf den Fuß. Dann greift der Krankenhausdirektor ein und schickt alle aus dem Raum. Die Anspannung zwischen beiden Seiten liegt genauso in der Luft wie der Geruch des Desinfektionsmittels.
Ein paar Gänge weiter liegt der Frauentrakt. Vor einem der wenigen Einzelzimmer sitzt ebenfalls ein Posten. Im Zimmer drinnen liegt Sareen Mansour. Die erst 19-Jährige wurde zwei Tage zuvor eingeliefert. Sie war eine Scharfschützin der Gaddafi-Truppen, die sich in Abu Selim verschanzt hatten. Mit ihrem kleinen Körper füllt sie nicht einmal das halbe Krankenbett aus. Die Decke hat sie sich bis unter das Kinn gezogen, ihr Kopftuch bedeckt die Haare. Nur ihr Gesicht und zwei verschreckte Augen sind zu sehen. Am Ende ihres letzten Gefechts sprang sie bei dem Versuch, den vorrückenden Rebellen zu entkommen, vom zweiten Stock eines Gebäudes.
Mansour spricht nur langsam und sehr leise, offensichtlich unter dem Einfluss der schweren Schmerzmittel. Was sie darüber denkt, dass sie im schwer verletzten Zustand in einem von Gaddafi-Gegnern kontrollierten Krankenhaus liegt? Keine Antwort. Stattdessen fängt sie kaum hörbar zu schluchzen an. Wie viele Menschen diese junge Frau von den Dächern der Stadt aus erschossen hat, wird wohl ihr Geheimnis bleiben.
2. Stolz hat jemand „Libyen ist frei“ auf den Stromverteilerkasten im Zentrum von Tripolis geschrieben. Das war wohl kurz nach der Eroberung der Stadt durch die Rebellen, da wussten sie noch nicht, dass das mit der Elektrizität eine ihrer ersten großen Herausforderungen werden wird. Oder besser gesagt – die eigentliche Herausforderung ist der Nachschub mit Dieseltreibstoff, denn ohne den geht in Tripolis so ziemlich gar nichts. Die E-Werke versorgen die Stadt nur sporadisch mit Strom, die Dieselpumpen der Wasserwerke stehen still.
Überall in der Innenstadt kann man kleine Bulldozer sehen, die versuchen, den Müll, der seit Tagen nicht abgeholt wurde, wenigstens an einigen wenigen Stellen zusammenzuschieben. Es ist ein großes Problem für die Einwohner der Stadt, an Geld zu kommen. Die Löhne wurden zum Teil seit zwei Monaten nicht ausgezahlt. Vor einigen Bankfilialen haben sich Beamte und Angestellte in den Schatten gesetzt, in der Hoffnung, am Monatsende doch noch irgendwie einen Teil des ihnen zustehenden Lohns zu bekommen. Doch die Türen der Banken bleiben geschlossen. Die Geldautomaten spucken die Karten unverrichteter Dinge wieder aus.
Auch vor den Bäckereien stehen sie Schlange. Es gibt nicht genug Gas, um den Backofen zu befeuern. Das ist für die 1,5 Millionen Menschen von Tripolis besonders tragisch, denn am Dienstag beginnt das kleine Beiramfest, an dem das Ende des Fastenmonats Ramadan gefeiert wird. Nun werden die ersten Tage nach dem Ende des Fastens eher karg ausfallen.
Ein Kleinlaster, beladen mit Obst und Gemüse, hält an einer Straßenecke. Er ist aus einem der ländlichen Bezirke in der Nachbarschaft nach Tripolis gekommen. Innerhalb weniger Minuten bildet sich um ihn eine Menschentraube. „Unser Hauptproblem ist Wasser und Strom, Gemüse und Obst können wir kaufen, wenngleich zu oft sehr hohen Preisen“, sagt einer der Käufer. Seine Frau ruft nur eine kurzes „Alles wird gut – so Gott will!“
Auffällig ist, wie gelassen die Einwohner der Stadt die Versorgungskrise nehmen. Nicht weit vom Grünen Platz entfernt, den die Rebellen nun in Platz der Märtyrer umbenannt haben, schiebt Rentner Abdel Hazif al-Jabali eine Schubkarre mit unterschiedlichen Behältern vor einer geschlossenen Ladenzeile entlang, vor der die für Tripolis so typischen weiß angestrichenen Arkaden Schatten spenden. Die Behälter sind voller Wasser. Er hat das Wasser zum Waschen von einem der Brunnen der Stadt geholt.
„Der Strom kommt und geht und das Wasser ist abgestellt“, beschreibt der 70-jährige einstige Militäroffizier das Grundproblem. Schnell fügt er hinzu, dass der Strom immer gerade rechtzeitig wiederkomme, wenn die Dinge im Gefrierfach aufzutauen beginnen. „Das ist die schönste Krise meines Lebens. Wir sind Gaddafi los, bekommen eine Demokratie und können alle vier Jahren jemand neuen wählen“, sagt er.
Ein paar hundert Meter weiter in der Nähe des Kleidermarkts haben sich die Menschen bei einem Tanklastwagen angestellt. Gebracht haben ihn die Rebellen aus Tajouru, einem ländlichen Bezirk außerhalb der Stadt. „Das ist schon die dritte Lieferung“, sagt der Kämpfer Ajoub Salim, der das Wasser ausgibt und eine Kalaschnikow auf den Rücken geschnallt hat. „Vor ein paar Tagen haben wir noch mit unseren Waffen gegen die Gaddafi-Truppen gekämpft, jetzt kämpfen wir darum, die Bevölkerung von Tripolis mit Trinkwasser zu versorgen“, beschreibt er seine neue Mission. „Wir Libyer haben Geduld, halten viel aus und haben unseren Glauben an Gott“, sagt Mamdouh Amir, der hier um Wasser ansteht. „Ihr im Westen berichtet immer nur darüber, wie wir Libyer uns gegenseitig die Köpfe einschlagen“, tadelt sein Nachbar Moez Osman. „Jetzt könnt ihr sehen, wie wir uns gegenseitig helfen“.