In der Münchner Siemens-Stiftung, ein reaktionärer Thinktank, wo der Siemens-Sprössling Peter von Siemens einst seine abstrusen Gedanken zur Atomenergie vortrug – „Ich bin davon überzeugt – und hiermit kann ich mich als Anthroposoph auch auf wohlgeprüfte Äußerungen Rudolf Steiners stützen – dass wir zu einer kosmisch orientierten, michaelischen Technik erst dann gelangen können, wenn wir die Anfechtungen einer ahnmanischen Technik mit ihren hilfreichen Abbau- und Zerstörungskräften gezähmt haben werden“… in dieser Siemens-Stiftung diskutierte der Philosoph Jürgen Habermas neulich über Religion. Die FAZ schrieb hernach – zwar liebedienerisch verquast, aber doch noch deutlich genug:
„Habermas redet in München kaltblütig. Und doch voller Behutsamkeit. Wie ein guter Chirurg, der nicht mehr weh tun möchte als nötig. Nein, sagte er zunächst noch ohne Chirurgenkittel an Heinrich Meier, den Stiftungs-Philosophen, gewandt – nein, es sei nicht so, wie Meier denke, dass er, Habermas, sich mit der Religion aus purem soziologischem Interesse befasse. Er prüfe sie vielmehr als Ressource für die Philosophie, für eine Philosophie, die nicht naturalistisch-szientistisch verengt sich selbst widerlege, sondern ihre semantischen Potentiale ausschöpfen möchte. Habermas signalisierte in diesem Zusammenhang mehr Sympathie für Dieter Henrich und Robert Spaemann als für den heideggerisierenden Giorgio Agamben, den er rundweg als Seher mit philosophischer Zipfelmütze betitelt. Tatsächlich scheint Habermas, zunächst paradox, aus Leidenschaft fürs Argument sich bei der Religion aufzuhalten.
Hätte er beispielsweise ein schöpfungstheologisches Argument wie die Gottesebenbildlichkeit des Menschen zur Verfügung, dann könne er bestimmte Intuitionen, die er habe, leichter verteidigen. Aber solche Argumente stünden ihm nun einmal nicht zu Gebote. In Bemerkungen wie dieser kommt freilich ein genuin theologisches Verständnis zum Ausdruck, ein Grad der Durchdringung religiöser Gehalte, die mit einer bloß funktionalen Sehweise von Religion, welche Habermas nicht nur von Meier vorgehalten wird, nichts zu tun hat. Es war diese meisterhaft durchgehaltene Performanz, in der Rolle des religiös Unmusikalischen die Sache der Theologie stark zu machen, die dem Abend in der Siemens-Stiftung seinen Zauber verlieh.“
Zauberei ist auch dies:
Kaum haben die EU-Salafisten zur Bildung von interreligiösen Brigaden aufgerufen, die sich am Kampf gegen das Assad-Regime beteiligen sollen, da tönt schon „Le Figaro“ – Figaro, Figaro, Figaro – der Opern-Friseur der Franzmänner:
„Je länger dieser Konflikt andauert, desto mehr zieht er Gotteskrieger aus anderen Ländern an, denen es nicht um den Aufbau eines neuen Syriens geht. Sie finden dort lediglich einen Nährboden, um ihre Konzepte eines radikalen Islams zu verbreiten, und profitieren von der zunehmenden Militarisierung des Aufstandes. Die Finanzhilfen und die Waffenlieferungen der Monarchien am Golf sind nicht uneigennützig und meistens von religiösen Interessen geleitet. Sie verstärken die islamistische Tendenz dieser Rebellion, die bereits unter dem Einfluss der Muslimbruderschaft steht, die zu den ersten Opfern des Assad-Regimes gehört. Es ist eine recht beschränkte Politik, den Aufstand moralisch zu unterstützen und die Bewaffnung der Rebellen anderen zu überlassen. Da keine politische Lösung in Sicht ist, gibt es allerdings keine Alternative zu dieser Politik.“
Der Mailänder Kurier am Abend – Corriere della Sera – ruft aus:
„Auch die USA und auch ihre europäischen und nahöstlichen Verbündeten wissen, was auf sie zukommt in einem geopolitischen Sturm, bei dem man Gefahr läuft, keine Lösungen zu finden. Auf der einen Seite ist es nicht hinnehmbar, dass der politische Terrorist Assad auf seinem Posten bleibt. Auf der anderen Seite sind die wahrscheinlichen negativen Folgen seines Sturzes unkalkulierbar. (…). Ein Krieg in Syrien könnte in diesem nahöstlichen Pulverfass drei oder vier andere entfachen, sollte der mit Recht gewünschte Fall des syrischen Präsidenten begleitet sein von der westlichen (und auch russischen) Unfähigkeit, geopolitische Konsequenzen und neue Protagonisten zu kontrollieren.“
Der UN-Generalsekretär Ban warnt: Ein religiös motivierter Bürgerkrieg würde auch die Nachbarn Syriens ernsthaft gefährden. Dabei ist in der nahezu globalen Abwesenheit des Bürgerkriegs – bloß ein anderes Wort für Klassenkampf, wie Rosa Luxemburg meinte – die ganze Welt gerade dabei, wieder religiös zu werden.
Gemeinhin stellen wir uns den Fortschritt als durch „Aufklärung“ induziert vor – und die „Religion“, den „Aberglauben“, als etwas, das auf diesem Wege überwunden wird, der uns aus allen „selbstverschuldeten Unmündigkeiten“ herausführt. Erinnert sei an die „Aufklärer“ Marx – „Religion ist Opium fürs Volk“ und Freud – für den Religion eine universelle Zwangsneurose und die Neurose eine individuelle Religiosität war. Und sind nicht sowieso alle Kollektive und Kommunismen bloß säkularisierte Glaubensgemeinschaften? Mit dem Proletariat als neuer Messias? „Ubi Lenin – ibi Jerusalem,“ wie Ernst Bloch es sagte?
Bis zum Ende der Gewißheit an die immerzu fortschreitende Moderne, das spätestens mit dem Zerfall der Sowjetunion deutlich wurde, konnte man vielleicht noch von einem mählichen Absterben der Religiosität ausgehen, aber seitdem ist das Gegenteil – eine wahre Renaissance des Glaubens – zu beobachten.
Allein die Pfingstbewegung hat weltweit mehrere Millionen neue Mitglieder und auch in den ehemaligen Sowjetrepubliken ebenso wie im arabischen und afrikanischen Raum haben Zigmillionen Menschen wieder zum „wahren Glauben“ (zurück-) gefunden. Der Prozeß der globalen Säkularisierung hat sich bereits umgedreht. Wobei die gläubig gewordenen Massen durchaus nicht mehr nur aus verelendeten bestehen, Träger dieses Prozesses ist jetzt – z.B. in der Türkei und in Indien – eher die Mittelschicht. Und auf dem Vormarsch sind auch nicht mehr die sogenannten Vernunftreligionen, sondern die ekstatischen. Die (tschechische) Brüdergemeine hat sich darüber bereits gespalten und die katholische Kirche bemüht sich um die Integration der Erweckungsbewegten. Damit es ihr nicht so ergehe wie z.B. der evangelischen Pastorin von Bischofferode, die nach dem verlorenen Kampf der dortigen Kalibergarbeiter um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze, meinte, „daß jetzt nach der Niederlage so viel rückwärtsgewandtes Zeug im Eichsfeld passiert: Schützenvereinsgründungen, Traditionsumzüge und sogar Fahnenweihen – zum Glück hat man so was noch nicht an mich herangetragen.“ Aus ihrer Sicht ist der Fortschritt mit dem Ende der DDR und den darauf folgenden Versuchen einer kollektiven Selbstbestimmung gescheitert, deswegen triumphiert jetzt die (globale) Reaktion, die eine (neoliberale) Restauration ist. Wie sagte es Warren Buffett, der reichste Mann der Welt – in seinem Investorenrundbrief? „Es ist Klassenkampf und meine Klasse gewinnt…“
Diese Rückwendung hat jedoch nicht verhindert, dass die Bürger gleichzeitig immer vehementer gegen „von oben“, von Staat und Konzernen, durchgedrückte Großprojekte kämpfen. Der Wissenssoziologe Bruno Latour hat das hellsichtig kommen sehen: Aus den – von Politik, Wissenschaft und Kapital geschaffenen – „Fakten wurden Belange“. Wir müssen uns also alle kümmern, kämpfen – und uns dazu kollektivieren oder umgekehrt. Seine „politische Ökologie“ ist das Gegenteil einer „Öko-Politik“. Dazu gehört die Verabschiedung von „Kritik, Natur, Fortschritt“: drei der „Zutaten des Modernismus, die kompostiert werden müssen.“ Denn die Experimente der „Naturalisten“ sind längst den Laboratorien entwachsen und betreffen uns mittlerweile alle. Wir sind damit zu „Mitforschern“ geworden, ob wir das wollen oder nicht – und müssen deswegen auch Mitentscheider werden.
Das geht nicht ohne Kampf. Schon warnt der Arbeitgeberverband, dass bei den sich derzeit auswachsenden Bürgerprotesten bald überhaupt keine „Großprojekte“ mehr realisiert werden können. Und ohne die geht es nun mal nicht, fügen die Großindustriellen, die Großpolitiker ebenso wie „Big Science“ hinzu – als souveräne Subjekte großer Objektivierungen. (1)
Gleichzeitig setzt sich jedoch langsam die Erkenntnis durch, dass wir die Biologie in Soziologie auflösen müssen – und nicht – wie von Malthus und den Eugenikern, von Huntington und Sarrazin versucht: umgekehrt. Das schwante schon dem Soziologen Gabriel Tarde: Für ihn besagte laut Latour „naturalisieren stets ent-objektivieren, um zu intersubjektivieren“. In diesem Sinne führte der Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme kürzlich in einer Vorlesung über das in Berlin derzeit umkämpfte „Wasser“ aus: „Wer mit der Erscheinungsvielfalt des Wassers vertraut ist, wird leichter einräumen, dass jene Trennung von Subjekt und Objekt, wie sie für die neuzeitliche Wissenschaft kennzeichnend wurde, ein Irrweg ist, oder zumindest nur zur halben Wahrheit führt.“ Böhme ebenso wie die neuen Gläubigen sind damit bereits (wieder) in der Vormoderne angekommen. Der Schweizer Schriftsteller Rolf Niederhäuser schrieb über die Rückwendung der Akteur-Netzwerk-Theoretiker:
„‚Das Menschliche lässt sich nicht erfassen und retten, wenn man ihm nicht jene andere Hälfte seiner selbst zurückgibt: den Anteil der Dinge‘, sagt Latour. Auch die Dinge spiegeln – repräsentieren die Menschen! Und nur eine ’symmetrische Anthropologie‘, die ’solchen Dingen‘ wie dem Ozonloch, den Kurden und den geklonten Schafen parlamentarische Rechte einräumt, kann dem gestrauchelten Souverän wieder auf die Beine helfen. ‚Wir haben kaum die Wahl. Wenn wir nicht in ein gemeinsames Haus ziehen, werden wir die anderen Kulturen, die wir nicht mehr beherrschen können, nicht darin unterbringen. Und es wird uns nie gelingen, die Umwelt, die wir nicht mehr meistern können, darin aufzunehmen. Weder die Natur noch die andern werden modern werden. An uns ist es, die Art und Weise unsrer Veränderungen zu verändern. Oder es war umsonst, dass die Berliner Mauer während des wundersamen Jahres der Zweihundertjahrfeier der Französischen Revolution 1989 fiel, um uns diese einzigartige Lektion der Dinge über das gemeinsame Scheitern von Sozialismus und Naturalismus zu erteilen‘.“
Diese „Lektion“ wurde von der Geschichte schon einmal erteilt, wenn man Walter Benjamin folgt, der Ende der Dreißigerjahre bereits den „Rückweg als Ausweg“ begriff – in seinen „Geschichtsphilosophischen Thesen“. Jüngst erinnerte der Trotzkist und Psychoanalytiker Helmut Dahmer noch einmal daran: „Benjamin markierte darin drei Grundfehler ‚unserer linken Führer‘: ihren Fortschrittsoptimismus, das Vertrauen auf ihre ‚Massenbasis‘ und ‚ihre servile Einordnung in einen unkontrollierten Apparat'“ Auf letzteres hatte ihn seine Trotzki-Lektüre gebracht. Dahmer hebt daneben hervor: „Benjamin war – wie Sigmund Freud – vor allem am ‚Problem der Erinnerung (und des Vergessens) interessiert.“ Über Marx hieß es in seinen „Thesen“: Er habe „in der Vorstellung der klassenlosen Gesellschaft die Vorstellung der messianischen Zeit säkularisiert.“ Aber während für ihn, Marx, die Revolutionen noch „Lokomotiven“ der Geschichte waren, „um den langsamen Zug der Geschichte zu beschleunigen“, gab Benjamin zu bedenken: „Vielleicht sind sie der Griff des in diesem Zug reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse?“ Seine „Thesen“ waren Vorarbeiten zu einem „theologisch-politischen Traktat“, schreibt Dahmer, „wo andere dem technischen Fortschritt huldigen, erblickt er dessen Nachtseite, den gesellschaftlichen Rückschritt.“ Einen Ausweg sah er im Rückzug.
Dahmers ebenfalls politisch engagierter Kollege, der Psychoanalytiker Tilmann Moser, Autor eines Buches mit dem Titel „Gottesvergiftung“ beteiligte sich gerade an einem vom Historiker Karsten Krampitz herausgegebenen Reader: „Leben mit und ohne Gott“: In seinem Beitrag aus der Praxis „zur inneren Sicherheit“ , warnt er seine Analytiker-Kollegen davor, „Religiosität und Spiritualität von vorneherein als ‚Schiefheilung‘ des Seelenlebens, als ‚Opium fürs Volk‘ oder als zweifelhafte Lösung für kindliches Elend und lebensbedrohende Angst [zu] denunzieren“. Er selbst half sogar einmal einer sich ihrer frühen religiösen Neigungen schämenden Patientin als „vorübergehender Glaubensbeförderer“ so ähnlich, wie es 1913 auch die Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé in ihrem Aufsatz „Vom frühen Gottesdienst“ vorschlug? Mit Klaus Harpprecht könnte man dies als eine „amerikanische Lösung“ bezeichnen. Der Willy-Brandt-Berater schrieb in der Oktoberausgabe der „Frankfurter Hefte“ über „Amerika“ – als „die letzte Bastion des Christentums in der westlichen Welt“, dass in den USA, anders als in Deutschland oder Frankreich, „Aufklärung und Religiosität niemals in einen grundsätzlichen Konflikt, der die Gesellschaft gesprengt hätte, gerieten“.
Auch Bruno Latour versuchte sich 2009 der bisher von ihm eher ausgeklammerten Religion zu nähern – in einem Vortrag am „British Museum“ mit dem Titel „Werden auch die nicht-menschlichen Lebewesen gerettet?“ Sein „ökotheologisches Argument“ gipfelte in dem Gedanken, dass die moralischen, spiritualistischen, psychologischen und wissenschaftlichen Definitionen der Religion dazu geführt haben, dass die Theologie, die Rituale und Gebete sich von der Welt, dem Kosmos, abgewandt haben: „Sie sehen nichts Anrüchiges in dem Satz des Matthäus ‚Was nützt es Dir, wenn Du die ganze Welt gewinnst, aber deine Seele verlierst?‘ Dabei ist heute angesichts der ökologischen Krise die gegenteilige Frage weitaus wahrer: ‚Was nützt es Dir, wenn Du Deine Seele gewinnst, aber die ganze Welt verlierst?'“
Auf dem letztjährigen Soziologentag in Frankfurt hielt der US-Religionssoziologe Peter L. Berger das Einleitungsreferat. Darin appellierte er an seine Kollegen, das Erstarken der Religionen – den bisher unsichtbaren Elefanten in der Mitte unserer guten Stube, der Gesellschaft – soziologisch ernster zu nehmen als bisher geschehen, zumal dieser „Elefant“ auch noch gerade auf unseren Teppich geschissen habe. Der Amerikaner trug in seinem Vortrag Eulen nach Athen, denn unter den deutschen Soziologen (und Kulturwissenschaftlern) wird schon – spätestens seit 2001, genauer gesagt: seit „Nine-Eleven“, als Jürgen Habermas den Zeitgeistbegriff „postsäkulare Gesellschaft“ prägte (dem sofort eine „Leuchtturmfunktion“ zukam) – die Macht der Religionen gegen die zunehmende Ohnmacht der „säkularen Moderne“ ins Interpretationsfeld geführt.
Bereits 2009 faßte der Aachener Politikforscher Thomas Philipp im „Berliner Journal für Soziologie“ ihre Debatte – ausgehend von Habermas‘ Treffen mit Kardinal Ratzinger 2004 – zusammen. Erst einmal problematisierte er darin die Begriffe „post“ und „säkular“. Jürgen Habermas hatte den „Geltungsbereich“ des Begriffs „postsäkular“ eingeschränkt, insofern in den demokratisch-rechtsstaatlichen Institutionen die „säkulare Amtssprache“ weiterhin tonangebend sein sollte. Unterhalb dessen durfte jedoch – in der Bevölkerung quasi – um die Wahrheit gerungen werden: Die „säkularisierten Gesellschaften West- und Nordeuropas“ würden sogar laut Habermas belebt von der „Begegnung mit der Vitalität fremder Religionen“. Sie verschaffe auch den „einheimischen Konfessionen eine neue Resonanz. Die eingewanderten Andersgläubigen sind ein Stimulus für die Gläubigen nicht weniger als für die Nichtgläubigen.“
Der Politologe Philipp gibt hierbei zu bedenken: „Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass nicht einfach eine Revitalisierung von Religion stattfindet. Die Religion selbst ist massiven Veränderungen unterworfen.“ Er möchte deswegen in der Debatte den Begriff „postreligiös“ neben den Terminus „postsäkular“ stellen. Nicht zuletzt deswegen, weil es sich bei dieser Renaissance der Religiosität oft genug um selbstgebastelte Glauben handelt bzw. (wie im Falle der Patientin von Moser) um einen dekonstruierten Glauben. Schon der große Aufklärer Georg Christoph Lichtenberg gab zu bedenken: „Es ist ein großer Unterschied zwischen etwas noch glauben und es wieder glauben. Noch glauben, daß der Mond auf die Pflanze wirke, verrät Dummheit und Aberglaube, aber es wieder glauben, zeugt von Philosophie und Nachdenken“.
Der Aachener Politologe Philipp würde am Liebsten den Begriff „postsäkulare Gesellschaft“ ganz verabschieden, weil es grundsätzlich fragwürdig ist, gesellschaftliche Entwicklungstendenzen auf einen (griffigen) Begriff zu bringen. Er sieht jedoch ein, dass der „Deutungshunger…einer aufgewühlten Öffentlichkeit – wie er z.B. nach den Anschlägen im September 2001 vorhanden war“ – befriedigt werden will. Deswegen ist die Soziologie auch immer wieder gefragt, „zeitdiagnostische Orientierung“ zu geben. Im Chor der Leuchtturmfunktionäre?
„Das Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen an staatlichen Schulen, die Konflikte um die Bauweise von Synagogen und Moscheen, die Auseinandersetzungen um die sogenannten Mohammedkarikaturen, die Ermordung des Künstlers Theo van Gogh in den Niederlanden, der Empfang des Dalai-Lama im Bundeskanzleramt, die Machenschaften von Scientology, [die Vorhaut-Debatte] – nahezu täglich wird über Religionen in den Medien berichtet. Diese ’neue Sichtbarkeit‘ von Religion ist eingebunden in eine ‚globale Medienöffentlichkeit‘ und damit auch ein Teilmoment des Globalisierungsprozesses.“
Verzeichnen die „Weltbildgemeinschaften“ etwa nur Zulauf, weil die Gläubigen in die Medien kommen wollen? Doch wohl nicht, Philipps Debatten-Résümee legt zudem nahe, dass die massenhafte Hinwendung zur Religion paradoxerweise mit einem „Rückzug des Religiösen“ einhergeht: In den westlichen Industriestaaten hat der „wissenschaftlich-technische Fortschritt unaufhaltsam den Bereich des Säkularen erweitert.“ Sonst wären „Diskussionen z.B. über gentechnisch veränderte Lebensmittel und Lebewesen, Stammzellenforschung oder Sterbehilfe überhaupt nicht plausibel [zu] machen.“
Das „Wunder des Lebendigen“ (Hannah Arendt) gerät zusehends in den Sog naturwissenschaftlicher Forschung. Angesichts ihres Erkenntnissfortschritts kamen bereits Hegel und Nietzsche zu dem Schluß: Gott ist tot! Das war noch halbwegs nostalgisch gemeint, während der Philosoph Vilem Flusser 1984 jubelte: „Mit der Gentechnik beginnt die wahre Kunst. Erst mit ihr sind selbstreproduktionsfähige Kunstwerke möglich“. Jürgen Habermas warnte dagegen 2001 vor den „fatalen Folgen“. Denn „Gott bleibt nur so lange ein ‚Gott freier Menschen‘, wie wir die absolute Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf nicht einebnen.“ Da die „Amtssprache“ laut Habermas säkular bleiben soll, geht dieses Gottes-Problem den Staat und seinen Institutionen nichts an, wohl aber den religiös werdenden oder gewordenen Massen, den Gottsuchern. Und ist ihre Religiosität damit bereits ein Widerstand gegen den „wissenschaftlich-technischen Fortschritt“, dem sich die „Modernisierer“ weiterhin verpflichtet fühlen?
Man muß dabei jedoch sehen, so der Leiter des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung Wolfgang Streeck in der Zeitschrift „Max Planck Forschung“ (3/2010) über „Die Macht der Unschärfe“, dass sich Wissenschaft und Politik gar nicht groß von den (religiösen) Massen unterscheiden – insofern sie ihre Argumente – Optimismus verbreitend und Panikmache („Alarmismus“) vermeidend – dämpfen und schönen. Daraus folgt für Wolfgang Streeck: 1. Die „Gesundbeterei kann die soziale Welt tatsächlich heilen“. 2. Durch ihre Verschönerungs- bzw. Beschwichtigungstendenz „können sich Politik und Wissenschaft – und gerade dessen positivistische Spielart – in Magie verwandeln“. 3. „Politiker neigen ohnehin zu einem magischen Weltbild“. Und 4. „Der Abstand zwischen Theorie und Intuition dürfte jedenfalls geringer sein als viele Sozialwissenschaftler glauben möchten.“
Wenn mit der „Intuition“ ein mit Lebenserfahrung angereicherter Glaube gemeint ist, dann kommt diesem „Befund“ ein Vorschlag des Wissenssoziologen Latour entgegen: Da im Fakt mindestens ebensoviel Glaube steckt wie Fakten im Fetisch, möchte er die beiden Begriffe ersetzen durch das Wort „Faitiche“, um dahin zu kommen, die einst zerschlagenene Einheit von Fakten und Fetische (wieder-) herzustellen bzw. neu zu bestimmen.
Um diese „Faitiche“ geht es z.B. in einer empirischen Studie der Universität Hildesheim – nicht von der Soziologie, sondern vom „Glauben“ her. Ich selbst habe in den Achtzigerjahren angefangen, Hausaltäre – vor allem in Asien und dann auch in Europa – zu photographieren. Irgendwann gab ich auf: Fast jeder hat einen „Hausaltar“, eine „Heilige Ecke“ mit Erinnerungsstücken oder wenigstens einen kleinen „Fetisch“ in der Tasche bzw. am Körper. Und alles kann zum Fetisch werden, wie die Recherchen der Hildesheimer Studenten und ihrer Dozentin Annett Gröschner zeigen:
Anmerkungen:
(1) Der Medienforscher Georg Seeßlen hat kürzlich in der „Jungle World“ am Beispiel des Widerstands gegen das Großprojekt „Stuttgart 21“ nachgezeichnet, wie sich das „deutsche Bürgertum“ daran spaltet:
„Mal mir ein Bild vom Bürgerkrieg“
Die »Schere zwischen Arm und Reich« öffnet sich in der ganzen Euro-Zone, das ist das Wesen des Systems selber, doch hierzulande, sagt man, öffne sie sich schneller und stärker als anderswo. Unglücklich genug sind schon jene, die nahe genug am Gelenk der Schere sitzen, um nicht genau zu wissen, in welche Richtung das eigene Leben geht. Hier findet derzeit eine Spaltung des Restbürgertums statt, die am Ende jeden einzelnen Kopf schmerzen muss. Der perfekte Ausdruck dafür ist der demoskopische Aufstieg der Grünen, die offensichtlich die an den Protesten beteiligten Bürger erreichen. Sie tun das nicht durch eine eindeutige und kämpferische Politik, sondern durch Selbstwidersprüchlichkeit. Um nur ein Beispiel zu erwähnen: In Bayern stimmen die Grünen in den politischen Institutionen für die Olympia-Bewerbung, zugleich profitieren sie von der Stimmung gegen das Projekt. Der Widerspruch ist nicht nur einer zwischen Führung und Basis, er entspricht dem Wesen des Projekts des »grünen Ökonomismus«. Man mag das Taktieren durchschauen und das Stimmungshoch für eine Seifenblase halten, die bei den Revolten der guten Bürger entsteht und später platzen wird, und dennoch drückt gerade die Widersprüchlichkeit der Grünen wie das Verschwimmen der Konfrontationen in den Medien das Wesen der prekären bürgerlichen Klasse aus, die selber nicht minder unentschlossen und verstört auf die eigene Lage reagiert.
In dieser Konstellation ist nur weniges so weit ausgehandelt, dass es in der Mehrheitskultur als einigermaßen geklärt erscheint. Dazu gehört der Polizeieinsatz in Stuttgart: Das geht gar nicht. Oder die Politiker: lügen, was das Zeug hält. Und schließlich scheint auch die Position der Demonstranten einigermaßen geklärt: Es sind die Guten. Auch wenn sie vielleicht nicht Recht haben, sind sie ikonografisch und dramaturgisch als die Guten kenntlich. Dieser Konsens wurde, wenn auch vorläufig und eher emotional als diskursiv vermittelt, in den bürgerlichen Medien hergestellt, in Zeitungen, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mit seiner Sowohl-als-auch-Dramaturgie, im »gepflegten« Bilderraum. Die Trash-Medien, deren Einfluss am Ende überwiegt, hielten sich zunächst zurück. Was in der breiten Mehrheit ankommen wird, ist noch unklar. Denn ob der Aufstand der guten Bürger gegen destruktive Kapital- und Bagger-Bewegungen zu einem gesellschaftlichen Projekt wird, entscheidet sich womöglich am Verhalten der Bild-Zeitung, die wiederum eine Leserschaft repräsentiert, unter der sich wenige Demonstranten gegen Stuttgart 21, die Olympischen Spiele oder Atomkraftwerke befinden dürften. Wo der Weg auch hin gehen könnte, verrät eine Überschrift der Bild, der erster Häme-Ausfall: »Protest-Opa gerät ins Zwielicht«. Da es immerhin um einen älteren Mitbürger geht, der in Gefahr ist, sein Augenlicht zu verlieren, testet man bereits die Bereitschaft der Leser zur Erbarmungslosigkeit aus. Vielleicht mag ja diese Mehrheit genau so gern »Protest-Opas« hassen wie langhaarige Chaoten? Warum aber die bürgerlichen Medien die Protagonisten des bürgerlichen Aufstands schätzen, versteht man nur zu gut: Man spricht die gleiche Sprache, man teilt »Werte«, von denen man ahnt, dass sie im Begriffe sind, verloren zu gehen, und zwar durch eine neuerliche Allianz der ansonsten so trefflich getrennten Kulturen von Geldbewegern und Bild-Lesern. Die bürgerlichen Medien können sich nun zugute halten, die Produktion eines neuen Feindbildes verhindert zu haben (sei es der »Protest-Opa« oder die traumatisierten Gymnasiasten, die Demokratie-Unterricht am eigenen Körper erlebten) und damit auch die offenkundig beabsichtigte Spaltung der bürgerlichen Demonstranten.
Vielleicht könnte man, lässt man die FAZ einmal außen vor, sogar ein kleines Projekt erkennen, auf vorsichtige, abwägende Distanz zu den jüngsten brachialen Manifestationen der beschleunigten Kapitalakkumulation zu gehen, und das wäre auch nicht ganz uneigennützig, geht es dabei doch auch um die eigene Existenzberechtigung. Der Allianz der Guten kommt zudem entgegen, dass auf der anderen Seite offensichtlich eine geballte Ladung von Dummheit und Ignoranz steht, deren Charisma und Unterhaltungswert gegen Null tendiert. Es sind die Technokraten und Egomanen, die selbstherrlichen Entscheider und Betonköpfe, denen Demokratie nichts als lästige Verzögerung ist. Die baden-württembergische Regierung, die Polizeiführung oder Bahnchef Rüdiger Grube, der den Kontrahenten schlicht das Widerstandsrecht absprach, wirken, als hätte man sie regelrecht erfunden, um die Bürger zu empören. Es scheint, als habe man es geradezu darauf angelegt, nicht nur in den Demonstranten den alten Feind (die Kommunisten, die ungewaschenen Chaoten, die Rowdies) zu rekonstruieren, sondern dies auch durch die eigene Präsentation als Feindbild zu beschleunigen. Wenn Innenminister Heribert Rech formuliert, die Demonstranten würden von einer »grundsätzlichen Antipathie gegen den Staat« geleitet, dann beleidigt er genau jene, die sich als den harten Kern des demokratischen Staatsvolks verstehen. Dass es bei den bürgerlichen Aufständen nicht mehr um punktuelle Widerstände, längst nicht mehr allein um das Ärgernis vor der eigenen Haustür, sondern um die Konfrontation einer wachsenden Gruppe von Menschen mit der Regierung geht, dafür hat diese selbst gesorgt. Die Citoyens, die im Zentrum des Protests gegen Stuttgart 21 stehen, inszenieren sich betont bourgeois, etwa sitzen bei »Beckmann« einem Bahn-Manager und der baden-württembergischen Verkehrsministerin Tanja Gönner der Schauspieler Walter Sittler und die Stuttgarter Bürgerin Christine Oberpaur gegenüber, und schon durch deren äußere Erscheinung wird klar, dass hier Vertreter eines alten, von Besitz, Kultur, Bildung und bürgerlicher Liberalität geprägten Bürgertums Vertretern eines neuen Bürgertums gegenübertreten, das für Effizienz, Populismus und Technologie steht.
Sittlers Attacke gilt denn auch jener Politik, die die Menschen »allein lässt«. Diese Rhetorik wird von den Medien nur zu gerne aufgenommen: Es geht offensichtlich um Menschen, die gerade eben erst »enttäuscht« wurden, die bis gerade eben an die harmonische Verbindung von Demokratie und Kapitalismus glaubten. Und tatsächlich erhebt sich daraus die Forderung nach der Volksabstimmung als klammheimlicher Bankrotterklärung der repräsentativen Demokratie. Zum indirekten Verhandlungsgegenstand der Talkshows mit ihren offensichtlichen Image-Inszenierungen ist der Tod des Thomas-Hobbes-Staats geworden, der für das faire gegenseitige Vertragsverhältnis seiner Bürger zu sorgen hat. Seine Vertreter, die immer wieder nur auf die Vertraglichkeit, die demokratische Rechtsstaatlichkeit, auf die formale Regelung des Verhältnisses von Staat, Wirtschaft und Volk pochen, erscheinen als Vertreter einer untergehenden Ordnung. Doch ihre Gegenüber machen den Eindruck, als wären sie sich des Ausmaßes dieses Zusammenbruchs gar nicht bewusst, ja mehr noch, als wollten sie nichts lieber, als sich von der ungeliebten Straße wieder zurückzuziehen in bürgerliche Innen- und Kulturwelten. Auf diese Krise der repräsentativen Demokratie antwortet Ministerpräsident Stefan Mappus mit einem dieser Blubberworte, die die Wandlung von Demokratie in Postdemokratie begleitet haben: »Dialogagenda«. Und in einem offenen Brief, den die Stuttgarter Zeitung abdruckt, bleibt er der progressistischen Linie, trotz aller Zusicherung, »bei Vorschlägen genau hinzuhören«, treu: »Wir in Baden-Württemberg haben uns stets dadurch ausgezeichnet, dass wir die Zukunft schon aktiv gestaltet haben, während andere noch verharrten. Daimler und Bosch sind nur zwei Namen unter vielen, die rund um den Globus einen guten Klang haben.« Die handlungsmächtige Wirtschaft, das klassische Vorbild der Progressisten. Doch Daimler-Chef Dieter Zetsche hat sich schnell davon distanziert, auf die Seite der Befürworter festgelegt zu werden, weil auch die guten Bürger des Aufstandes Mercedes-Fahrer bleiben oder werden sollen.
»Der Riss geht quer durch die Gesellschaft, durch Unternehmen, durch Familien«, schreibt die FAZ und belegt dies mit Zetsche, »der selbst ein Verfechter von Stuttgart 21« sei, aber »Schwierigkeiten« habe, »seine Frau vom Demonstrieren abzuhalten«. »Ich müsste sie anbinden«, sagt Zetsche der FAZ. Da lacht er, der FAZ-Leser. Dem gleichen Artikel zufolge warnt der Unternehmensberater Matthias Filbinger, der übrigens Sohn des einstigen Ministerpräsidenten ist: »Man muss sensibel sein. Jeder Gewerbetreibende muss prüfen, wie förderlich oder schädlich sich eine Äußerung aufs Geschäft auswirkt.« Bei der politischen und medialen Spaltung des deutschen Bürgertums also ist die Wirtschaft aus nahe liegenden Gründen nicht bereit, offen für den progressistischen und gegen den konservativen Werte-Flügel Stellung zu nehmen. Gewitzt, wie sie nun einmal sind, versuchen sich die Markenhersteller beide Kundenstämme zu erhalten, so wie sich die Grünen gewitzt in beiden Diskursen bewegen wollen. Und gewitzt, wie sie nun einmal sind, könnten die Medien bis in die bürgerliche Mitte hinein notfalls das Narrativ wechseln und sich der Allianz gegen die »Feinde des Fortschritts« anschließen. Und dann wäre der Aufstand der Bürger an der Gewitztheit ihrer Instrumente gescheitert. Oder es käme anders. Stellen wir uns vor, alle diese Konflikte um Stuttgart 21 und Atommüll-Endlager seien nur Vorgeplänkel für einen fundamentaleren Konflikt, und die beiden Fraktionen des deutschen Bürgertums ließen sich durch alle Gewitztheit nicht mehr zusammenhalten, es käme zur Spaltung des Bürgertums in den progressistisch-ökonomischen und den humanistischen Werte-Flügel, die staatstragende Klasse wäre entzweit. Und käme der deutsche Staat ohne diese staatstragende Klasse aus? Stellvertretend wird also in den Medien einem Staat der Prozess gemacht, der die Beziehung zu seinem Bürgertum verloren hat. Nicht zufällig wird immer wieder betont, dass es nicht so sehr um die Bevölkerung gehe als um »die Bürger«. Wahlweise könnten wir nun behaupten, das sei ein verdammt guter Trick, die Ausbreitung der Proteste zu verhindern.
Hartz IV- und Niedriglohnempfängern kann es egal sein, ob ein Bahnhof über oder unter der Erde liegt, wie viele Milliarden dafür verballert werden und in wie vielen Minuten man schneller in Paris wäre. Tatsächlich gibt es ganz einfach niemanden, der von Stuttgart 21 wie von der Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerk wirklich profitiert, außer eben den üblichen Profiteuren. Nur ein vages Versprechen von »Fortschritt« bleibt, von Urbanität und Dynamik, das nur leider keinen Inhalt mehr hat. Der progressistische und der konservative Flügel des Bürgertums, die sich im klassischen kapitalistisch-demokratischen Staat ergänzten, literarische und moralische Reibereien inbegriffen, müssen sich immer mehr entzweien, wenn der Fortschritt nichts mehr verspricht außer der weiteren Produktion von Armut auf der einen und Profit auf der anderen Seite. Angesichts dessen, dass dem Fortschrittsglauben sein soziales Beiwerk verlustig ging, wandeln sich seine Vertreter in Karikaturen des einstigen progressistischen Flügels. Wie weit das gehen kann, zeigt der baden-württembergische Tunnelbau-Unternehmer Martin Herrenknecht, der in der Talkshow »May-Britt Illner« eine sehr merkwürdige Satzkonstruktion wählt: »Eine Demo ist heute, in einer Demokratie, eben in.« Wir wagen es nicht, diesen Satz textkritisch zu behandeln, jedenfalls nicht ohne Rücksprache mit einem Rechtsanwalt, aber Herr Herrenknecht (für den Namen kann er ja nichts, es gibt nur seltsame Zufälle in dieser Welt), offenbart sich selbst genug: »Wenn die CDU die Landtagswahlen verliert, würde ich in die Schweiz gehen.« Es sind mediale Schauspiele wie diese, die die Spaltung des Bürgertums vorantreiben. Denn vor lauter »positivem Denken« haben die Vertreter der Progressisten etwas vergessen, was für das Bürgertum nicht nur äußerlich legitimierend war: Bildung. Auch insofern sind Talk Shows ein ideales Mittel für diese Auseinandersetzung, weil hier gebildete Sprache auf technokratische, humanistische auf Verkaufssprache trifft. Es ist ein Kampf zwischen den Moralisten und den »Leistungsträgern« in dieser Klasse entbrannt, jenen, die »es schaffen« wollen, koste es, was es wolle, und die alle verachten, die es nicht »schaffen« können oder wollen. Die Hysterisierung entsteht, weil den Machern plötzlich etwas im Weg liegt, was sie nicht begreifen, und umgekehrt begreifen die »guten Bürger des Aufstands« gar nicht, mit wem oder was sie da so lange liiert waren.
Es geht nicht um die sogenannten Heuschrecken, sondern um die dynamischen Ärmelaufkrempler, vielleicht gar nicht mal um die Profiteure, sondern um die Maschinisten, deren Bilder im Fernsehen, wie das von Mappus, zunehmend zur Karikatur der Machtübernahme der Techno- und Mediokraten werden. Nun könnte man wohl sagen, dieser Kampf innerhalb des Bürgertums sei auch als Ablenkungsmanöver gegenüber den »eigentlichen« sozialen Bruchlinien zu verstehen. Weder Cindy aus Marzahn noch Hansi Hinterseer sind von diesem Kampf um die Vorherrschaft im idealen Bürgertum betroffen, und auch in den oberen Etagen der Bürotürme ändert sich nicht viel. Das Kapital sucht sich eben etwas anderes, wenn ein unterirdischer Bahnhof gerade nicht geht. Aber bürgerliche Revolten haben nicht unbedingt den Wandel des Systems als Ziel, nicht einmal prinzipielle Kritik, sondern, und immerhin: Begrenzung der Macht der Regierenden. Im Zweifelsfall: Austausch der Regierenden. Der Angriff des moralischen Flügels, der durch die Auswahl der Talkshowgäste als Allianz der Großmütter und Enkel erscheint, die gegen die Politikergeneration des Neoliberalismus ankämpft, erfolgt in dem Moment, wo diese ihre Ideologie in einer Mischung aus wirrem Biologismus, Sozialdarwinismus, Pop-Hedonismus und Max Weberschem Leistungskapitalismus findet, eine Ideologie, die bürgerlich ist und zugleich etliche bürgerliche Tugenden radikal entsorgt hat. Angesichts dessen sucht die Öffentlichkeit ein neues Bild vom Bürger, sowohl vom Bourgeois wie auch vom Citoyen. Für diese Suche eignet sich der Stuttgarter Bahnhof bestens als symbolisches Werk, hier werden drei der bürgerlichen Heiligtümer zerstört: ein Stück befriedete und »gerettete« Natur, ein wahres Denkmal der einstigen produktionskapitalistischen Progression und schließlich eine Form des öffentlichen Raums, in dem sich schon immer Profitinteresse und staatliche Fürsorge getroffen haben. So geht es um das neue Gesicht der bürgerlichen Klasse, und auch um neuen Raum jenseits von Effizienz und Unterhaltung.
(2) Aufklärung und Religion waren in den USA nie groß in Widerspruch geraten – aber das jetzt ausgerechnet ein Mormonenmultimillionär es wagen kann, Präsident werden zu wollen, deutet doch daraufhin, dass die Amis wirklich. Aber auch der Wissenssoziologe Bruno Latour hat sich nicht gescheut, ein Religionsbuch zu veröffentlichen: „Jubilieren“ betitelt. Der Suhrkamp-Verlag klappentextete:
„Warum haben wir die religiöse Sprache verloren? Was ist das Spezifikum religiöser Rede im Vergleich zur wissenschaftlichen Sprache? Das sind die tiefen Fragen, denen Bruno Latour in seinem wohl persönlichsten Buch nachgeht. Ausgehend von seiner eigenen religiösen Erfahrung, setzt er zu einer kritischen Reflexion an. Während in den Natur- und Sozialwissenschaften der Forscher die Aufgabe hat, seinen Beitrag zum großen Bau des Wissens zu leisten, zu entdecken und zu erfinden, geht es dem religiös Suchenden laut Latour um die Treue zum Wort, die Genauigkeit der Wiederholung. Er will nicht entdecken, sondern wiederentdecken, nicht erfinden, sondern wiederfinden; er strebt nicht nach dem Neuen, sondern will erneuern. Das ist das Besondere religiöser Rede. Sie ist hierin der Sprache der Liebe verwandt, die mit jedem „Ich liebe dich“ den Bund zu erneuern sucht. Bei dieser Verwandtschaft muss ansetzen, wer die Möglichkeit oder Unmöglichkeit religiöser Rede heute verstehen möchte. In einer faszinierenden Mischung aus Analyse und Andacht spürt Latour ihr nach.“
In der FAZ rezensierte Ende 2011 der evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf, der kürzlich mit Habermas in der Siemens-Stiftung über Religion stritt, „Jubilieren“ – was perlentaucher.de wie folgt zusammenfaßte:
„Kann gut sein, dass diese Kritik des ausgebufften alten Theologen Friedrich Wilhelm Graf um einiges amüsanter zu lesen ist als die wahrscheinlich nur unfreiwillig komischen Erörterungen Bruno Latours, der zu Grafs Befremden trotz eingestandener Unfrömmigkeit an der Großartigkeit religiöser Gefühle festhalten will und sich darum fragt, wie man, unabhängig von lästigen Glaubensinhalten, „Ergriffenheit erneut hervorbringen“ kann. Nun, ergriffen scheint vor allem Latour, und zwar vor allem von seiner eigenen Sprachgewalt, so ergriffen, dass er von sich nur in dritter Person redet. Aber Graf ist ungnädig: Das alles ist für ihn nur „Schnellgeschwätz“. Am Ende seiner Kritik unterstellt er, dass Latour aus der Familie des berühmten Bordeaux-Gewächses gleichen Namens stammt und sehnt sich nach einem Glas dieses Ergriffenheit zuverlässiger erzeugenden Weins.“
SAUDI-ARABIEN
Rund 16 Monate saß der saudische Blogger Nasir al-Madschid ohne Anklage in Haft. Der Schiit hatte sich mit Texten zu Religion und Freiheit beim sunnitischen Königshaus unbeliebt gemacht. Am Samstag teilte Madschids Familie mit, der 35-Jährige sei am Donnerstag frei gekommen. Er war im März 2011 in einer Schule in der mehrheitlich von Schiiten bewohnten Ostprovinz Katif verhaftet worden. Zuvor war es dort zu ungenehmigten Protesten von Schiiten für Religionsfreiheit und Liberalisierung gekommen. (dpa)
BRD: Millî Görüs begrüßt Mediengesetz
Die Aufnahme von Muslimen in den Medienrat stößt auf Zustimmung. Rot-Grün setze „Maßstäbe in Sachen Partizipation, sagt Ouz Üçüncü von der islamischen Gemeinschaft Millî Görüs.
Üçüncü erhofft sich eine Signalwirkung sowohl auf andere Bundesländer als auch auf das Radio Bremen-Gesetz, in dem Muslime bislang nicht institutionell berücksichtigt würden. Der Medienrat ist im Gegensatz zum Rundfunkrat von Radio Bremen für den Bürgerfunk und die Privatsender zuständig. Jetzt müssen die drei großen islamischen Religionsgemeinschaften Schura, DITIB und VIKZ ein Mitglied benennen. Keine andere Religion, sagt Üçüncü, stehe „so häufig und so verzerrt“ im Fokus der Medien wie der Islam. (taz-nord)
Wir sind Papst – der taz-Redakteur für Fernwirkung Philipp Gessler:
„Okay, jetzt mal was für uns alten Lateiner: Der mittelalterliche Philosoph und Theologe Anselm von Canterbury (1033-1109) hat geschrieben: „Fides quaerens intellectum“. Übersetzt heißt das: „Der Glaube sucht die Vernunft.“ Das bedeutet einerseits, dass ein Glaube, der nur Herz ist und den Kopf nicht mehr nutzt, fehlgeht. Wo der Glaube andererseits kein Herz, kein Gefühl zeigt, zündet er nicht. Und das war beim Papst bei dieser nun zu Ende gegangenen Reise nach Deutschland zu beobachten.
Man musste nicht im Papstflieger sitzen, um zu erleben, wann der Papst gut ankam und wann nicht: Immer dann, wenn er neben seinem theologisch beachtlichen Wissen auch etwas Gefühl zeigte. Das war etwa bei dem Abendgebet, der Vigil, des Papstes am Samstagabend auf dem Messegelände nahe Freiburg zu beobachten. Da war der deutsche Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte tatsächlich mal der Pontifex Maximus, der oberste Brückenbauer: Seine Sprache klar und schlicht, seine Botschaft hoffnungsfroh und herzlich. Man rieb sich da im VAMP-Tross, der journalistischen Entourage des Vatikans für diese Reise, verwundert die Augen: Er kann es ja.
Was Benedikt XVI. dagegen nicht kann, ist eindeutig: witzig sein. In vier Tagen nur ein kleines Witzchen im Bundestag, dass er ja wohl den Grünen nicht so nahestehe – das war so ungefähr der einzige Ausbruch an Humor. Und seien wir ehrlich: Ein richtiger Schenkelklopfer ist das auch nicht. Singen kann der 84-jährige Mann aus Rom ebenfalls nicht (mehr). Mit Letzterem kann man leben, aber der offenbar so gering entwickelte Humor? Sind wir einfach zu doof, um seinen Humor zu verstehen? Oder zeigt der Papst seinen Witz nur im privaten Raum vor seinem Privatsekretär Georg Gänswein?
Wir wissen es nicht, auch als VAMP war das nicht zu recherchieren. Am Ende ist Benedikt XVI. wohl eher ein Mann der kleinen Runde, was etwas tragisch oder absurd ist für eine Person, die so stark im Brennglas der Öffentlichkeit steht wie kein anderer Mensch auf Erden. Beim im Vorfeld geheim gehaltenen und nicht öffentlichen Treffen des Papstes mit Missbrauchsopfern „wurde auch geweint, natürlich“, sagte der Sekretär der deutschen Bischofskonferenz, Hans Langendörfer, nach dem Treffen. Der Papst hat offenbar nicht geweint. Aber er hat Gefühl gezeigt. Nur so geht es.“
Kairo: Die erste Phase der Revolution hat die Religiösen nach oben gespült
Seit Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan gibt es in Ägypteneinen neuen Fernsehsender: Bei Maria TV arbeiten vor und hinter der Kamera ausschließlich Frauen, die bis auf einen Sehschlitz für die Augen voll verschleiert sind. Bis zum Sturz des langjährigen Machthabers Husni Mubarak vor anderthalb Jahren und dem darauf folgenden Aufstieg der Islamisten wäre das im größten Land der arabischen Welt undenkbar gewesen.
Im Studio von Maria TV, das nach einer der Ehefrauen des Propheten Mohammed benannt ist, sitzen zwei Moderatorinnen, die einen schwarzen Ganzkörperschleier tragen. Er lässt nur einen schmalen Spalt für die Augen offen. Sogar ihre Hände haben sie mit Handschuhen verhüllt. Bislang waren im ägyptischen Fernsehen praktisch nie Frauen zu sehen, die den sogenannten Nikab tragen – in den beliebten TV-Serien treten die Schauspielerinnen sogar oft betont sexy auf.
Maria TV verkauft sich selbst nicht als rein religiöses Programm, sondern vor allem als Sender für Frauen. Es gibt Berichte über Politik, Kindersendungen, Näh-Tipps und Sendungen über Beziehungsprobleme. „Wir bieten alles, was eine Frau braucht“, sagte Chef-Moderatorin Abeer Schaheer. Das wichtigste Ziel des Senders sei, „der Gesellschaft zu beweisen, dass es Frauen mit Nikab gibt, die eine aktive Rolle in der Gesellschaft spielen und erfolgreich sein wollen, die Ärtzin, Ingeneurin oder eben eine anerkannte Journalistin werden“.
In Ägyptentragen die meisten Frauen ein Kopftuch. Gesichtsschleier waren bislang eher die Ausnahme. Doch mittlerweile gehören sie sogar in der liberalen Hauptstadt Kairo zum Straßenbild. In Medien und Gesellschaft haben verschleierte Frauen bislang jedoch gar keine Rolle gespielt. „Wir wurden jahrzehntelang unterdrückt“, sagt Schaheer. Verschleierte Frauen hätten bestimmte Orte gar nicht betreten dürfen und seien etwa an der Universität oder bei Behörden diskriminiert worden. „Nur weil wir uns aus freiem Willen dafür entschieden haben, etwas zu tragen, das wir für islamisch halten“, klagt die Moderatorin.
Manche Fernsehzuschauer haben nach dem Start von Maria TV kritisiert, dass ihnen etwas fehlt, wenn sie weder das Gesicht noch die Körpersprache der Moderatorinnen sehen können, wie Schaheer einräumt. „Wir antworten ihnen: ‚Wenn man sich etwas im Fernsehen ansieht, kommt es auf den Inhalt an, nicht auf das Aussehen der Moderatorin'“.
„Die menschliche Kommunikation funktioniert über die Augen“, fügt Iman Fahmy hinzu. Die diplomierte Betriebswirtin arbeitet ebenfalls bei Maria TV. Ihr schwarzer Schleier ist mit zarter Spitze verziert. „Unter dem Nikab spielt das Aussehen einer Frau keine Rolle“, sagt die 28-Jährige. Viel wichtiger seien die übermittelten Botschaften und Gefühle. Der neue Sender solle den Zuschauerinnenn dabei helfen, „auf dem rechten Weg zu bleiben“ – und muslimische Frauen und Mädchen dazu bringen, sich zu verschleiern.
Viele Ägypter fürchten, dass der Sender eine weitere Etappe bei der schleichenden Islamisierung von Staat und Gesellschaft in ihrem Land ist: Die Muslimbrüder, die unter Mubarak jahrzehntelang verboten waren, stellen mittlerweile die Mehrheit im Parlament und mit Mohammed Mursi auch den Präsidenten. Andere verteidigen Maria TV als Musterbeispiel für das Recht auf freie Meinungsäußerung, für das im Arabischen Frühling auch die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz gekämpft haben.
„In den amtlichen Medien waren verschleierte Frauen jahrelang vom Bildschirm verbannt und duften nur hinter der Kamera arbeiten“, sagt Mosn Hassan, die das Frauenforschungszentrum Nasra leitet und selbst keinen Schleier trägt. Trotzdem findet sie es wichtig, dass es die Menschen in Ägyptendas Recht haben, Sender wie Maria TV zu gründen, „und zu sagen, was sie wollen“. (afp)
Blasphemie-Prozeß gegen russische Feministinnen hat begonnen
Ganz Russland vernahm die spontane Punkandacht der feministischen Frauenpunkband Pussy Riot.
Zur Erinnerung: Die Frauen waren im Februar – kurz vor den Präsidentschaftswahlen – in die Christi-Erlöser-Kathedrale, das wiedererrichtete Heiligtum der russisch-orthodoxen Kirche eingedrungen. Wenige Minuten dauerte der Auftritt. Die Musikerinnen trugen schrillfarbene Netzstrümpfe und gehäkelte Wollmasken, die die Engländer im Krimkrieg vor 150 Jahren erstmals gegen die Kälte übergezogen hatten.
Der Auftritt von Pussy Riot war – kaum hatte der Spuk begonnen – auch schon wieder vorbei. Wächter säuberten im Handumdrehen den Altarraum von den wild gestikulierenden Frontfrauen. „Schwarzer Priesterrock und goldene Schulterstücke, der Chef des KGB ist ihr wichtigster Heiliger“, konnten sie gerade noch ausrufen. Mit dem Chef des Geheimdienstes KGB war Wladimir Putin gemeint. Aber auch der Patriarch der Orthodoxen Kirche, Kyrill, hatte der Sowjetherrschaft als Agent gedient. Die geheimdienstlichen Codenamen der Kirchenväter sind im Internet einzusehen. „Wir wollten zeigen, dass das hier eine Heuchlerkathedrale ist.“ (taz-moskau)
Berlin: Protest gegen Schniepel-Beschneidungsurteil
„Sie sind zwischen 20 und 40 Jahre alt, sie sind jüdisch und kommen aus aller Welt nach Berlin, um hier frei und beschnitten leben zu können – frei von staatlichen Repressionen und frei von religiöser Bevormundung. Eines aber scheint für viele festzustehen, egal, ob sie religiös sind oder säkular, aus Israel, den USA oder Russland stammen oder hier aufgewachsen sind: Beschneidung muss sein.
„Die Beschneidung war und ist ein zentrales Element unserer Religion und ein Bund zu Gott, welcher schon seit tausenden von Jahren reibungslos geschlossen wurde“, heißt es in der Onlinepetition’Wir gegen Rechtsbeschneidung.“ (tagesspiegel)
Der Bundeswehrprofessor „Michael Wolffsohn hält die Diskussion über Beschneidung für richtig. Der emeritierte Historiker sagte im Deutschlandfunk, wenn Beschneidung das einzige Zeichen der Verbundenheit zu Gott sei, dann stehe es sehr schlecht um die Religion. Es müsse erlaubt sein, über Rituale nachzudenken.“ (deutschlandradio kultur)
USA: Glaube macht prüde
„Die in Hollywood lebende französische Schauspielerin und Regisseurin Julie Delpy hat Gemeinsamkeiten zwischen den USA und dem Iran ausgemacht. Die wachsende Prüderie in den USA habe ‚mit der Macht der Religion zu tun, die immer stärker geworden ist‘.
‚In Teilen ist Amerika ja ein Gottesstaat, fast wie der Iran. Komischerweise bekriegen sich beide, aber auch in den USA gibt es diese religiösen Kräfte, die alles kontrollieren wollen‘.“
In ihrem neuen Film „2 Tage New York“ habe eine Szene einen US-Kritiker bereits auf die Palme gebracht: „Wenn die Mutter nach dem Penis des kleinen Sohns schaut“, sagte die 42-Jährige. „So was haben die Amis gar nicht gern, obwohl alle meine Freundinnen immer die Penisse ihrer Babys gecheckt haben, ob sie okay sind oder gross genug.“ (sda)
Iran: Westliche Wissenschaft ist schädlich
„Was haben Studiengänge wie Menschenrechte, Jura, Philosophie, Management, Frauenstudien und Politikwissenschaft gemeinsam? Sie sind nach Ansicht der iranischen Führung „westlich“ geprägt und stehen deshalb nun auf dem Index im Gottesstaat. Ein Vertreter des Bildungsministeriums erläuterte am Sonntag im Rundfunk, warum insgesamt zwölf Studiengänge beschränkt werden: Die Staatsführung hält sie für unvereinbar mit islamischen Lehren.“ (spiegel)
„In Teilen der USA ist die Evolutionstheorie von Darwin quasi verboten, offiziell ist sie im Iran verboten – d.h. die dortigen Wissenschaftler können höchstens einige unverfängliche Sätze von Darwin in ihre Texte schmuggeln.“ (taz)
Schweden: Filesharing als offizielle Religion
„Kopimismus-Kirche“ verzeichnet bereits 8.000 Mitglieder und die offizielle Anerkennung
In Schweden gibt es eine Religionsgemeinschaft, in dessen Zentrum Filesharing steht. Die Gemeinschaft wurde von schwedischen Behörden bereits offiziell anerkannt. 2010 gegründet, setzt sich die „Kirche des Kopimismus“ mit den Werten rund ums Filesharing auseinander. Bereits 8.000 Mitglieder soll die Kirche eigenen Angaben zufolge haben. Anmelden kann man sich, wie erwartet, auf der Website der Kirche. Durch die offizielle Anerkennung durch den schwedischen Staat darf die Kirchengemeinschaft Trauungen durchführen, erhält Fördergelder und kann theoretisch auch religiöse Bauten aufstellen.
Diese Bauten wird die Kirche aber vermutlich gar nicht brauchen, denn die Aktivitäten laufen zum überwiegenden Teil online ab. Die „Priester“ der Religion werden „Ops“ bzw. „Operators“ genannt und sollen lediglich die Vermittlerrolle für Meetings übernehmen. Religiöse Rituale in dem Sinn gibt es kaum. Die Bewerbung von illegalem Download ist nicht das zentrale Thema der jungen Religion, sondern „um den Wert des Austausches von Informationen“. Die schwedischen Behörden sehen darin kein Problem, solange Gesetze nicht verletzt werden. Die Anerkennung wurde allerdings auch erst bei der dritten Einreichung offiziell. In der zuständigen Behörde zeigt man sich verständnisvoll. „Es ist [in Schweden] mittlerweile wahrscheinlicher vom Blitz getroffen zu werden, als wegen Filesharing ins Gefängnis zu kommen.“
Schweden war eines der ersten Länder, in denen sich die Piratenpartei etabliert hat. Von dort aus wurden deren politischen Vorstellungen in den Rest von Europa verbreitet. Mit Politik hat die Kirche allerdings nichts zu tun. Unter den Mitgliedern findet man dennoch auch Mitglieder der Piratenpartei. Im selben Land wurde auch die berühmte Filesharing-Seite „The Pirate Bay“ gegründet. Deren Gründer wurden teilweise bereits verurteilt. Nicht alle Schweden können allerdings mit dem neuen Dogma leben und zeigen sich skeptisch. „Falls die Kopimisten einen Weg finden, in dem Künstler und Kreative fair von ihrem Werk profitieren können, verdienen sie einen Nobelpreis“, so eine Kritikerin. (derStandard.at)
Postjugoslawische Religiositäten und Animositäten
„In Mazedonien sickert die Religion zunehmend in die interethnischen Konflikte ein. Sie wird dadurch politischer, die Politik wird stärker religiös gefärbt. Die Gräben in der Gesellschaft haben sich vertieft.“ Die einen wollen eine Kirche auf dem zentralen Platz in Skopje errichten, die anderen eine Moschee, die von den Kommunisten einst abgerissen wurde.
„Der Streit um die Sakralbauten mutet wie der Beginn eines Konflikts um die Stellung der Religion in Politik und Gesellschaft an. Die Presse spricht von einem «Wettrüsten» der beiden grossen Religionsgemeinschaften, der christlich-orthodoxen und der muslimischen. Es soll mittlerweile eine Kirche oder eine Moschee auf 800 Einwohner kommen, und der Bauboom geht weiter. Während die Regierung der orthodoxen Kirche unter die Arme greift, erhält die islamische Gemeinschaft Unterstützung aus arabischen Staaten und immer mehr auch aus der Türkei. Für die Renovation und Wiedererrichtung osmanischer Bauten hält Ankara ein grosszügiges Budget bereit. Die traditionelle Frontstellung zwischen der mazedonischen und der albanischen Volksgruppe in Mazedonien (65 Prozent beziehungsweise 25 Prozent der Bevölkerung) hat dadurch eine neue Dimension erhalten.
Es gibt Anzeichen dafür, dass die Religion für junge Menschen wichtiger geworden ist. Eine Soziologieprofessorin berichtet, dass sich ihre Studenten vor den Examen regelmässig bekreuzigten, und danach gefragt, bezeichneten sich etwa 90 Prozent als gläubige Christen. In manchen Ministerien, so erzählt ein Bekannter, ist es üblich geworden, dass vor allem junge albanische Mitarbeiter aufs Wochenende hin frühzeitig ihre Arbeit beenden, um das Freitagsgebet in der Moschee nicht zu verpassen. Dies alles sind eher neue Phänomene, wobei unklar ist, inwiefern diese Religiosität weltlich motiviert ist oder ob sie eher als ein modisches Attribut der Identität zu gelten hat.“ (nzz)
Israel: Soziologe Zuckermann warnt vor Wehrpflicht für Gläubige
„Die von Israel geplante Wehrpflicht für orthodoxe Juden und israelische Araber hält Moshe Zuckermann für problematisch. Im Deutschlandradio Kultur warnte der israelische Soziologe und Professor für Geschichte und Philosophie vor der allgemeinen Wehrpflicht. Damit träfe das bisher in Israel ungelöste Verhältnis von Staat und Religion aufeinander, so Zuckermann. Auch ändere eine allgemeine Wehrpflicht nichts daran, dass Araber seit mehr als 60 Jahren als Bürger zweiter Klasse behandelt würden. Zuckermann schlug einen Zivildienst für Orthodoxe und israelische Araber vor.“ (deutschlandradio kultur)
Genf: Physiker haben Gott nicht widerlegt
Die mögliche Entdeckung des seit 40 Jahren gesuchten Higgs-Teilchens ist ein großer Schritt für die Forschung. Eine weitere Frage zum Verständnis des Universums wäre gelöst. Einen Konflikt mit der Religion sieht CERN-Forscher Prof. Dr. Achim Stahl dadurch allerdings nicht. „Auch ein Urknall ist kein Beweis dafür, dass es einen Gott gibt oder nicht gibt“, sagt der Wissenschaftler im Interview. (Deutsch Türkische Nachrichten)
Türkei: Regierung übernimmt Grabstätten-Restaurierung bei frühen Gefährten Mohammeds
„Die Türkei wird die Grabstätten von zwölf frühen Gefährten Mohammeds in Äthiopien restaurieren. Das meldet die Katholische Nachrichtenagentur. Demnach befinden sich die Grabstätten bei der Stadt Mekelle an der nördlichen Grenze Äthopiens. Sie sollen am Mausoleum des früheren Königs Abjar von Axum liegen. Er hatte die ersten Muslime aufgenommen, als sie verfolgt worden waren.“
China: Zukunftsforscher sind vollkommen uneins, wie es mit dem Land weitergehen wird
Die einen sagen, das politische System werde in den kommenden zehn bis zwanzig Jahren implodieren, zu stark seien die sozialen Spannungen, zu diktatorisch seine Herrscher. Die anderen prognostizieren, immer mehr Menschen werde es gut gehen unter einer straffen Führung. Tatsächlich ist China auf der Suche nach seiner Identität: Ist es noch kommunistisch oder schon wieder konfuzianisch? Ist es noch ein Dritte-Welt-Land oder schon eine moderne Nation? Wie lässt sich die enorme wirtschaftliche Dynamik politisch und intellektuell einholen?
Mali: Religiöse greifen durch
„In Mali ist ein Paar wegen Ehebruchs gesteinigt worden. Die drakonische Strafmaßnahme wurde in der nördlichen Hälfte des Landes vollstreckt, die von radikalen Islamisten kontrolliert wird.
Ein Sprecher der Gruppe Ansar Dine sagte der Nachrichtenagentur AP, die Hinrichtung sei gemäß dem islamischen Recht, der Scharia, erfolgt. Augenzeugen berichteten, der Mann und die Frau seien bis zum Hals eingegraben und dann mit Steinen beworfen worden.
Die nördliche Hälfte des westafrikanischen Staates wurde im April nach einem Putsch in der Hauptstadt Bamako von Rebellen, darunter auch die Gruppe Ansar Dine, erobert.“ (süddeutsche zeitung)
Vor der Eroberung hieß es bei Wikipedia: „Ansar Dine, „Verteidiger des Glaubens“ ist eine islamistische Gruppe, die von Iyad Ag Ghaly angeführt wird. Ag Ghaly ist eine der prominentesten Figuren der 2. Tuareg-Rebellion in den 1990er Jahren. 1990 befahl er als Chef der damaligen Volksbewegung von Azawad (MPA) den Angriff auf eine Militärgarnison im östlichen Ménaka. Dies gilt bis heute als Beginn der Revolte.
Ansar Dine will die Scharia (islamisches Recht) im westafrikanischen Staat Mali einführen. Ag Ghaly, der Anführer von Ansar Dine, der laut Angaben seiner Anhänger nach einem Aufenthalt in Pakistan seinen „wahren Glauben“ fand, sagte zu den politischen Ereignissen im Frühjahr 2012: „Ich will keine Unabhängigkeit, ich will die Scharia für mein Volk.“ und weiter: „Wir sind gegen Revolutionen, die nicht im Namen des Islam sind“. Die einseitige Unabhängigkeitserklärung der MNLA lehnt er ab. Ferner wird Ag Ghaly angelastet, Verbindungen zur Al-Qaida im Maghreb sowie zu einer islamistischen Splittergruppe, die von seinem Cousin Hamada Ag Hama angeführt wird, zu unterhalten. Die islamistische Rebellengruppe Ansar Dine kontrolliert alle wichtigen Städte im Norden, z.B. Timbuktu.“
Die vernichtende Diagnose der Soziologen lautet, es gebe jetzt, in einer Übergangsgesellschaft, die aus dem politisch verordneten Atheismus kommt und sich erst vorsichtig ihrer großen Traditionen erinnert, ein geistiges Vakuum. Gu Xuewu, Direktor des Zentrums für globale Studien an der Universität Bonn, sagt: »China braucht eine Erneuerung, um dieses Vakuum zu füllen.« Vakuum heißt hier Geist-Leere und Sinn-Leere. Die entscheidende Frage lautet, ob die Religion als traditionelle Sinnstifterin künftig eine Rolle spielen wird. Wie religiös ist China noch? Und wie tief muss man schürfen, um auf die verschütteten Fundamente des alten Glaubens zu stoßen?
Nigeria: Religionskämpfe eskalieren
„Die Gewalt zwischen Muslimen und Christen im Norden Nigerias ebbt nicht ab: Seit Montag sind mindestens 80 Menschen bei religiösen Auseinandersetzungen ums Leben gekommen, mehr als 60 weitere wurden verletzt. Auslöser waren Anschläge der radikalislamischen Sekte Boko Haram.“ (spiegel)
Dazu Wikipedia: „Boko Haram (Hausa für Bücher in Lateinschrift sind Sünde, Westliche Bildung verboten,Die moderne Erziehung ist eine Sünde bis hin zu Vorspiegelung falscher Tatsachen ist Schande – ist eine islamistische terroristische Gruppierung im Norden Nigerias. Seit Ende 2010 trägt sie den Namen: Verband der Sunniten für die Einladung zum Islam und für den Dschihad. Sie setzt sich für die Einführung der Scharia in ganz Nigeria und das Verbot von westlicher Bildung ein.“
Osnabrück: Die dortige Uni im Trend der Zeit
„Die Universität Osnabrück bietet zum Wintersemester erstmals in Deutschland den Studiengang «Islamische Religion» als reguläres zweites Lehramtsfach an. «Das ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einem bekenntnisorientierten Unterricht für muslimische Kinder», sagte am Dienstag der Direktor des Zentrums für Interkulturelle Islamstudien, Prof. Bülent Ucar, in einer Mitteilung. Angesichts der steigenden Nachfrage nach Lehrern für islamischen Religionsunterricht an Schulen hatte die Universität Osnabrück zuerst einen Modellstudiengang und dann einen Masterstudiengang als Erweiterungsfach angeboten. Jetzt gaben das niedersächsische Kultus- und das Wissenschaftsministerium Grünes Licht für den grundständigen Studiengang «Islamische Religion».“
Bayreuth: Noch droht jedoch keine Gefahr von den immer noch und schon wieder religiös Gewordenen
„Parallel zur religiösen Pluralisierung und gegenläufig zur Verweltlichung haben sich religionspolitische Auseinandersetzungen belebt. Ein Forschungsprogramm hat die Entwicklungen untersucht. Das Programm habe ein breites, differenziertes Bild ergeben, wie es für kaum ein anderes westeuropäisches Land vorliege, sagte der Präsident der Leitungsgruppe, Christoph Bochinger, Professor für Religionswissenschaft in Bayreuth.
Die vor allem sozialwissenschaftlichen Untersuchungen bestätigen, dass von einer «Rückkehr der Religion» nicht die Rede sein kann – oder eben nur im öffentlichen Diskurs. Die Landeskirchen verlieren laufend Mitglieder, und von den verbleibenden «Stand-by»-Mitgliedern hat die Mehrheit ein distanziertes Verhältnis zur Institution. Die übergreifende Betrachtung zeigt nun nach Jörg Stolz (Lausanne), dass die «De-Institutionalisierung» als gesamtgesellschaftlicher Trend alle Religionsgemeinschaften (wie auch etwa Gewerkschaften und Parteien) erfasst. Bei den Juden manifestieren sich unterschiedliche Haltungen zu religiös gemischten Familien. Tibetische Buddhisten der zweiten Generation üben die Religion auf eher individuelle und reflektierte Weise aus. Hindus aus Südasien tendieren zur Liebesheirat statt zur arrangierten Ehe. Auch bei Muslimen in westlichen Ländern belegen internationale Studien eine Lockerung der Bindungen. Mit dieser Differenzierung können wiederum Geistesverwandtschaften (etwa von «Liberalen») über die Grenzen von Traditionen entstehen.“(nzz)
Bayreuth: Wagner-Topevents als tumbe Neureichen-Religion
25. Juli 2012
Richard-Wagner-Festspiele Bayreuth erwartet viel Prominenz
Der Rote Teppich wird schon mal für die Prominenz zurechtgerollt. Foto: dapd
„In Bayreuth wird der rote Teppich ausgerollt: Zum Auftakt der Richard-Wagner-Festspiele am Mittwochabend hat sich Prominenz aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft angesagt – allen voran auch in diesem Jahr Bundeskanzlerin Angela Merkel.“ (frankfurter rundschau)
Polen: Priester als Frauenschwarm
„Dass die Frauen unserer Journalistenreisegruppe die polnischen Priester unterwegs besonders attraktiv fanden, hat laut dem Polenreisenden Karl-Markus Gauß (“Im Wald der Metropolen”) den Grund, dass sich in diesem Land “nur jene Männer für die Frauen entscheiden, die für den geistlichen Stand zu hässlich sind”.
In anderen Worten: die attraktivsten polnischen Männer werden Priester. In anderen Ländern bekommt man eher den Eindruck, dass es dort genau anders herum ist.
Wenn in Polen Gruppen junger Geistlicher durch die Gegend ziehen, senden “die Mädchen ihnen Blicke eines ganz anderen Bedauerns hinterher als bei uns,” will der Salzburger Autor Karl-Markus Gauß beobachtet haben.
Die Ethnologin und Geschlechterforscherin Cordula Bachmann, die sich speziell in dieser Hinsicht in Polen umgetan hat, meint, um eine Kritik der obigen Zeilen gebeten:
“Dass Gauß doch sehr schnell von der flüchtigen Beobachtung von Beobachtenden zu faktischen Schlüssen schreitet, die freilich männliche Entscheidungsprozesse betreffen. Und das ist nun typisch männlich, sämtliche Phänomene möglichst schnell auf die Ebenen zu ziehen, auf denen sie sich zu Hause fühlen, die sie selbst kontrollieren.”
“Davon ausgehend, dass es sich bei den sehnsüchtig blickenden Frauen um Wessi-Frauen handelt, schlage ich folgende Interpretation vor: Der Anblick junger, katholischer! – also zölibatär – lebender Männer ist im Westen sehr selten (die katholische Kirche hat große Nachwuchsprobleme). Ein junger Priester ist also in den Augen einer westlichen Frau zunächst Mal ungewohnt. Dann ist wahrscheinlich die nächste Nachricht im Gehirn der blickenden Frau: Dieser Mann ist nicht zu haben. Nun entdeckt schon Tom Sawyers im 2. Kapitel, ein wichtiges Gesetz menschlichen Handelns, ” dass nämlich, um das Begehren eines Mannes oder Jungen nach etwas zu wecken, weiter nichts nötig ist, als die Sache schwer erreichbar zu machen.” (Auch wenn man es kaum für möglich hält, dieses Gesetz menschlichen Handelns gilt auch für uns Mädels.) Das relativiert die “Attraktivität” der jungen Priester, bzw. legt es nahe, sie nicht nur in objektiven Kriterien zu sehen, sondern auch in subjektiven. Auch die Beobachtung, dass “die Mädchen Blicke des
Bedauerns senden” würde ich lieber im Kontext der Geschlechterordnung deuten, denn als Attraktivitätsindikator. Wie erlaubt ist es Frauen, offen ihr sexuelles Interesse an Männer zu zeigen? Das etablierte Spiel zwischen Mann und Frau geht wohl eher andersherum: Mann jagt, Frau ziert sich. Für Frauen bietet ein junger, sexuell abstinenter Mann eine der raren Gelegenheiten sich gefahrlos in die Rolle der sexuell Blickenden zu begeben, den Mann als Sexualobjekt zu
betrachten. Eine schöne Ausnahme – aber gleich Attraktivitätsausweis? Übrigens ist die Wahrscheinlichkeit, dass wenn sich zehn junge Männer in den Stand des Priesters begeben, auch ein paar ganz hübsche dabei
sind doch relativ wahrscheinlich. Und sollte ich mit allem falsch liegen, könnte ich noch als Interpretation anbieten, dass sich im streng katholischen Polen, vielleicht mehr homosexuelle Männer für das Priesteramt entscheiden und ihre gut gebauten Körper verführerisch und den langen Roben schaukeln – doppelt unerreichbar – für uns Damen.” (blog aushilfshausmeister)
Schweiz gibt Entwarnung: Es wird nicht so heiß geglaubt wie man vermutet
„Glaubens-Experte Christoph Bochinger weiss, warum Debatten über Religion hitzig sind, obwohl immer weniger Leute glauben – und wie aus «Albanern» «Muslime» wurden.
Ich wage die Prognose, dass es die Religion in hundert Jahren noch geben wird. Aber als selbstverständlicher Faktor in Staat und Gesellschaft verschwindet sie immer mehr. Es gibt stark wachsende Freikirchen, doch das ist nur eine kleine Nische von zirka 2 Prozent der Schweizer Bevölkerung. Anderseits gibt es westliche Länder, wo die Religiosität ungebrochen stark ist oder sogar noch wächst, wie die USA oder Polen. Das könnte einen Einfluss auf die Religiösen in der Schweiz haben.
Dann wäre sogar eine «Rückkehr der Religion» möglich, wie sie manche Religionswissenschaftler propagieren – etwa in Zeiten grösserer Krisen?
Nein, das dann doch nicht. Diese These kommt aus den USA, doch bei uns ist keinerlei Trendumkehr zu beobachten. Bei den Mitgliederzahlen der Kirchen gibt es derzeit nur eine Richtung: nach unten.“
Sie warnen davor, dass Religion immer mehr als ein Mittel der Ausgrenzung dient…
Ja. Das lässt sich schon auf dem Schulhof beobachten. Die albanischen Kinder sind nicht mehr Albaner – sondern eben Muslime. Das ist eine bedenkliche Entwicklung. Denn wenn sich die Mehrheitsgesellschaft als exklusiv christlich definiert, kann sich ein muslimischer Immigrant nicht mit seiner neuen Heimat identifizieren, auch wenn er es gerne will. Er kann ja nicht gleichzeitig Muslim und Christ sein. Egal, ob ein Bosnier religiös ist oder nicht – er kommt in die Schublade «Muslim».“(20min.ch)