vonHelmut Höge 21.01.2013

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

Mehr über diesen Blog

„Die Idee des Menschen in der europäischen Geschichte drückt sich in der Unterscheidung vom Tier aus. Mit seiner Unvernunft beweisen sie die Menschenwürde. Mit solcher Beharrlichkeit und Einstimmigkeit ist der Gegensatz von allen Vorvorderen des bürgerlichen Denkens, den alten Juden, Stoikern und Kirchenvätern, dann durchs Mittelalter und die Neuzeit hergebetet worden, dass er wie wenige Ideen zum Grundbestand der westlichen Anthropologie gehört.“ (Adorno/Horkheimer)

 

Das war eine seltsame Protest-Demonstration, für mich die erste Öko-Demo, wenn man mal von einer kleinen Anti-AKW-Demo bei Bremerhaven und den Protesten der LPG-Bauern auf dem Alexanderplatz während der Wende absieht, die noch primär ökonomisch motiviert waren. Immerhin war die LPG Saarmund, in der wir damals arbeiteten, schon im Januar 1990 mit einem Stand in der Öko-Halle der Grünen Woche vertreten gewesen, aber das war mehr ein Witz bzw. einer pragmatischen Entscheidung der Grünen-Woche-Leitung geschuldet. Motiviert hat mich, dass mir der Biobauer Matthias Stührwoldt aus Schleswig-Holstein, aus Stolpe bei Bad Segeberg, in Hamburg auf einer taz-Veranstaltung sagte, dass er mit seinem ältesten Traktor zu der Demo nach Berlin fahren würde. Dazu schrieb er dann auch eine Kolumne in der „unabhängigen Bauernstimme“.

Mit der Rosa-Luxemburg-Demo in Erinnerung glaubte ich dann fast Bruno Latours Behaptung, dass es keine ökonomische Utopie mehr gäbe, höchstens noch eine ökologische. Ein Meer von grünen Fahnen und z.T. ebenfalls grünen Traktoren. Dazu jede Menge Menschen – als Kühe, Schweine, Hühner, Bienen, Imker, Bauern, Landfrauen, junge FöJlerinnen, schwarzer Block, BUND, NABU etc. – verkleidet, mit vielen guten und witzigen Sprüchen auf ihren Transparenten. Von überall her waren die Leute angereist, einige auch aus dem Ausland. Es war saukalt. Die Demonstranten und man selbst konnten einem leid tun.  Warum es den endlosen Demozug allerdings in das menschenfeindliche Regierungsviertel und dann sogar vor das KanzlerInnenamt zog – war mir ein Rätsel. So staatsgläubig kann man doch nicht mehr sein…

Hier ein paar Dutzend Photos von Katrin Eissing:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Rächer der Tiere

Als Rächer der Pflanzen, speziell der Palmen, Gummibäume, Oleander und Philodendron im Konferenzsaal der taz, möchte ich manchmal die dort konferierenden „Ökos“ attackieren, wenn und weil sie mit ihren Stühlen ständig den Pflanzen zu nahe kommen und diese bisweilen auch noch einfach beiseite schieben. Dabei ist dort Platz genug. Aber es geht hier um die Rächer der Tiere…

Kürzlich „attackierte“ die Animal Liberation Front (ALF) Berlin ein Pelz- und Ledergeschäft im Zentrum der Stadt. Und italienische ALF-Aktivisten steckten eine Fabrik für Milchprodukte in Montelupo Fiorentino in Brand. Die ALF widmete diese Aktion ihren Mitstreitern für die Befreiung der Tiere, die im Jahr 2009 den Bauplatz des Tierversuchslabors der Firma Boehringer in Hannover besetzt hatten und von denen eine deswegen ins Gefängnis mußte: Isabell Jahnke. Sie wurde von mehreren Unterstützern in die JVA Hildesheim begleitet. Dort muß sie 20 Tagessätze absitzen.

Glimpflicher kamen 13 Tierschützer vom Wiener „Verein gegen Tierfabriken“ (VGT) davon, die  wegen Beteiligung an einer kriminellen Organisation vor Gericht standen. Sie hatten das Konrad-Lorenz-Institut in Grünau besetzt, wo ein „absurdes Experiment“ an Graugänsen stattfand, denen man „Sender und Elektroden einpflanzte, um ihren Herzschlag aufzuzeichnen“. Bei der juristischen Klärung, ob die Gänseforscher oder die Gänseschützer ein Verbrechen begangen hatten, ergab die Abwägung des Tatbestands Tierquälerei versus Hausfriedensbruch, dass das Verfahren eingestellt wurde.

In den USA, in Holland, Frankreich Spanien und England geht die Polizei inzwischen rigoros gegen „Igualdad Animal-“  und „Animal Equality-„Aktivisten vor, indem sie diese mit Razzien einschüchtert und ihre Gruppen mit Spitzeln zu durchdringen versucht, weil sich in dieser Scene ihrer Meinung nach die nächsten „Öko-Terroristen“  herausbilden.

In Deutschland erläuterte der Verein „tierbefreier“ sein Verhältnis zu den Militanten der ALF in einem Online-Forum: „Da die internationale ALF keine organisierte Vereinigung ist, gibt es in vielen Ländern unterschiedliche Unterstützervereine. ‚die tierbefreier e.V.‘ beispielsweise distanziert sich ausdrücklich von illegalen Aktionen, erklärt sich mit den Aktivisten jedoch solidarisch.“ Eine anderes Tierschützer-Forum warnt jedoch davor, sich allzu schnell, quasi in vorauseilendem Staatsgehorsam.  von militanten Tierbefreiern und ihren Aktionen zu distanzieren.

Die FAZ schrieb über die  Tierschutzorganisation Peta („People for the Ethical Treatment of Animals“): „Wenn sich die Massentierhaltung nicht ändere, werde sich bald eine Al Qaida für Tierrechte bilden. Das sagt der mediale Frontmann von Peta, Edmund Haferbeck, und es klingt wie eine Drohung. Haferbeck, Protestant und Agrarwissenschaftler, sagt: ‚Wir kämpfen gegen ein mächtiges System von Industrie, Landwirtschaftsverbänden, Veterinären.‘ Aber aus Sicht des einzelnen Landwirts ist auch Peta übermächtig. Die Organisation hat in Deutschland ein Jahresbudget von rund zwei Millionen Euro Spendengeld, beschäftigt 25 Mitarbeiter, davon vier sogenannte Ermittler, die professionell Skandale aufdecken. Peta selbst, sagt Edmund Haferbeck, werde nicht zu Al Qaida werden, denn sie lehne Gewalt ab. Trotzdem: ‚Wir sind für die Bauernlobby das Hassobjekt für alles, was in der Szene läuft, weil wir effektiv sind, weil wir das System ins Mark treffen‘.“

Daneben gehen aber auch weniger rabiate Naturschützer wie der BUND und die Heinrich-Böll-Stiftung immer öfter gegen die industrielle Landwirtschaft vor. Kurz vor der „Grünen Woche“, da Bio-Bauern, Vegetarier und Öko-Aktivisten wie die Feldbefreier eine Protestemonstration in Berlin durchführten, forderten sie eine „Abkehr von der massenhaften Fleischproduktion. 1094 Tiere isst jeder Deutsche durchschnittlich während seines Lebens“ – das sei viel zu viel.

 

 

In der Schweiz wurden 2011 „drei Ökoterroristen“ verknackt, die sich zur „Earth Liberation Front“ zählen. Die ELF sei „eine Bewegung,“ schreibt der Tagesanzeiger, die „sehr aktiv“ ist – und „die ‚Ausbeutung‘ der Erde anprangert. Man sucht den Weg zurück in eine Gesellschaft, die keinen technologischen Fortschritt kennt. Verbindungen bestehen auch zur Animal Liberation Front. Deren Credo: kein Fleisch essen, keine Tiere für Kleider verwenden und keine Tiere im Zirkus.“ Die ALF bezeichnet denn auch die drei Aktivisten aus Bellinzona als „ihre Gefangenen“.

Ein Terrorismusforscher an der Universität Freiburg, Jean-Marc Flükiger, hat sich bereits auf die ELF/ALF spezialisiert. Er wird immer dann interviewt, wenn die Tierschützer oder -befreier mal wieder irgendwo zugeschlagen haben. Sie sind seiner Meinung nach „sehr aktiv: Es gab in letzter Zeit Aktionen gegen die Pelzindustrie. Das ging von Spanien über Österreich bis nach Russland. Eine aktive Bewegung gibt es [ferner] in Italien. Zentren sind Rom, Mailand, Bologna und allgemein urbane Zentren. Aktivität haben wir in letzter Zeit aber auch viel in Grossbritannien gesehen. Dort gerät die Firma Huntington Life Sciences unter Beschuss, die im Auftrag von Pharmakonzernen Tierversuche durchführt…In der Schweiz ist eher die Animal Liberation Front aktiv, auch wenn es in der Vergangenheit vereinzelt Aktionen der Earth Liberation Front gegeben hat. Die Zellen sind – wie in anderen Ländern auch – nach dem Prinzip des ‚führerlosen Widerstandes‘ organisiert. In der Vergangenheit haben wir einen ‚Tourismus der Ökogewalt‘ festgestellt, wo aktive Zellen und Individuen aus dem Ausland in der Schweiz Aktionen durchführen. Zwei der drei Angeklagten in Bellinzona stammen aus Italien.“

Der Schweizer Inlandgeheimdienst ergänzt: Solche militanten Gegner von Tierversuchen aus dem Ausland können in der Schweiz auf tatkräftige Unterstützung zählen. Im Jahresbericht des Schweizer Bundesamts für Polizei ist seit 2006 speziell von der militanten Tierschutzbewegung ALF die Rede, weil sie die „innere Sicherheit“ des Landes gefährden könnte. Dennoch gibt es dort auch einen Professor (für Philosophie), Klaus Petrus, der sie verteidigt. Die Neue Zürcher Zeitung kritisierte kürzlich seine Thesen: „Im Aufsatz mit dem Titel ‚ALF und die Sache mit dem Terrorismus‘ stellt Petrus die Frage, ob man die ALF als terroristische Organisation bezeichnen könne, wie es die USA tut. Er verneint dies und schliesst mit der Feststellung: ‚Alles in allem denke ich, dass eine klare Stellungnahme zur ALF und der Sache mit dem Terrorismus den Raum öffnen sollte für eine Diskussion darüber, was sich letztlich hinter dem Kürzel ALF verbirgt: Eine denkbar konsequente Methode, jedwelche Form der Instrumentalisierung von Tieren durch die Tiernutzungsindustrie von Grund auf in Frage zu stellen.‘

Am 4. Juni hat Petrus zudem auf offiziellem Briefpapier der Uni Bern eine Stellungnahme zugunsten von Martin Balluch verfasst. Balluch, Obmann des österreichischen Vereins gegen Tierfabriken, wird unterstellt, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben, die unter anderem unter dem Kürzel ALF agiere; er sitzt in Untersuchungshaft.“ Die Leitung der Berner Universität, an der Petrus lehrt, war nicht erfreut über diesen NZZ-Artikel.

Am 24.12. 2012 meldete sich die ALF aus Thailand mit einem Bekennerschreiben: „Unsere Aktivisten haben acht Meeresschildkröten befreit und diese zurück ins Meer gebracht, wo sie nun frei leben können. Zudem zerstörten sie das Aquarium, in dem die Tiere gefangen gehalten wurden.“

 

 

 

In den USA kam und kommt es zu derartig vielen ALF-Aktivitäten, dass Wikipedia eigens eine „Timeline“ für ihre Attacken führt. In ihr findet man deren Aktionen von 1976-1999, von 2000-2004 und von 2005 bis heute aufgelistet. Alleine in den letzten zehn Jahren gab es dort über 60 Pelztierbefreiungen, bei denen um die 100.000 Tiere befreit wurden. In Deutschland gab es die ersten Tierbefreiungen 1981 und 1982. In Österreich trat  die Tierbefreiungsfront 1988 erstmals mit Attacken auf Pelzgeschäfte in Erscheinung. Ihr bisher größter Anschlag fand 1996 auf eine Ei-Verpackungsfirma statt. 1997 gab es die letzte und größte Pelztierbefreiung Österreichs, bei der 600 Tiere gerettet wurden. Mit über 300 Anschlägen war die österreichische A.L.F. 1998 am aktivsten.

Die fast weltweite Bewegung entstand Mitte der Sechzigerjahre in England angestoßen von einigen Tierschützern, die Jagden sabotierten. Daraus bildete sich eine Gruppe, die sich  gegen die gewalttätige Jägerschaft wehrte, indem sie deren Fahrzeuge zerstörte. Ab 1973 nannte sie sich „Band of Mercy“ und begann, ihre Aktionen gegen alle Teile der Tiermordindustrie zu richten. Es kam zu  Brandanschlägen und – 1974 – zur ersten Tierbefreiung. Aus der „Band of Mercy“ ging 1976 die Animal Liberation Front hervor. 1977 befreite sie bereits über 200 Tiere aus Tierversuchsanstalten.

Als die Zahl ihrer Gefangenen stieg, wurde Anfang der 80er die erste A.L.F. Supporters Group (ALFSG) in England gegründet. Die ALFSG gibt es heute schon in zahlreichen Ländern und dient der legalen Unterstützung der Gefangenen. 1984 erreichte die A.L.F. ihren vorläufigen Höhepunkt – gemessen an der Zahl ihrer  Aktionen und den dadurch erzielten Schaden. Im selben Jahr bildete die britische Polizei eine Anti-Tierbefreiungs-Spezialabteilung zur gezielten Bekämpfung der A.L.F. Bis Ende 1995 hatte die „Bewegung“ immerhin 6.000 Tiere befreit. Die  Polizei schätzt, dass es alleine in Großbritannien 3.000 – 5.000 Aktivisten gibt. Im Schnitt fänden pro Tag 6 Direkte Aktionen statt. Im gleichen Maß wie diese zunehmen, werden aber auch die Gefängnisstrafen für Tierbefreier immer länger. Barry Horne, der wohl bekannteste Tierbefreiungsgefangene, ist auch derjenige, der mit 18 Jahren die bisher höchste Strafe absitzen muss.

 

 

 

Der kanadische ALF-Sprecher David Barbarash erklärte in einem Interview auf die Frage, welche Position die ALF zu nicht-gewaltätigen‘ direkten Aktionen einnehme: „Die ALF hat einen Verhaltenskodex, nach dem ausgeschlossen werden muss, dass Leben, menschliches wie nicht-menschliches, gefährdet oder getötet wird. Dies sind die Richtlinien der „non-violence guideline“, die in der Geschichte der ALF noch nie gebrochen wurden. Die Definition von Gewalt, welche die ALF vertritt, besagt, dass einem leblosen Gegenstand, der weder Schmerzen empfinden noch leiden kann, keine Gewalt angetan werden kann. Einen Ziegelstein oder eine Fensterscheibe kann man nicht verletzen. Daher ist die Zerstörung von Dingen nicht als Gewaltausübung anzusehen, auch dann nicht, wenn aggressivere Taktiken wie Feuer angewendet werden. Die ALF ist weiter der Ansicht, dass es gerechtfertigt ist, Gebäude, Werkzeuge und Dinge, mit denen anderen Gewalt zugefügt wird, zu zerstören.“

Die Berliner-Tierbefreiungs-Aktion (BerTa) schrieb auf ihrer Internetseite über die Tierschutz-Bewegung: „In allen größeren Städten in Deutschland gibt es mittlerweile Gruppen, die kontinuierlich Aktionen gegen die Ausbeutung der Tiere durchführen. Sie beschränken sich dabei nicht nur auf die illegalisierten Direkten Aktionen, sondern organisieren Kundgebungen und Demonstrationen, machen Öffentlichkeitsarbeit und arbeiten nicht zuletzt auch an theoretischen Fragen zur Befreiung der Tiere…Um die Unterdrückung der Tiere und die zugrunde liegenden Mechanismen zu untersuchen und zu benennen, entwickelte Richard Ryder 1970 den Begriff des Speziesismus. Analog zu Rassismus und Sexismus als Unterdrückungsformen, werden Tiere aufgrund ihrer Spezieszugehörigkeit als minderwertig in Abgrenzung zu den Menschen erachtet. Die Tierbefreiungsbewegung hat diesen Begriff bzw. diesen Ansatz aufgegriffen und weiterentwickelt. Speziesismus wird heute im Zusammenhang mit der Beschreibung von Einstellungen und Handlungen verwandt, welche darauf zurückzuführen sind, dass Tiere als minderwertig erachtet werden.“

Den Grundlagentext dazu schrieb – beizeiten schon – Peter Singer: „Animal Liberation. The Definitive Classic of the Animal Movement“. In der Schweiz fanden kürzlich eine Reihe von Vorträgen in verschiedenen Städten statt – zur  „Theorie um Tierbefreiung“. Ziel war es, Einblicke in die theoretischen Auseinandersetzungen über Tierausbeutung zu vermitteln, die in der Tierbefreiungsbewegung geführt werden. Die Vorträge sind kürzlich als Buch erschienen.

Davor gab es bereits einen ähnlichen Reader: „Beiträge zu einer kritischen Theorie für die Befreiung der Tiere“, herausgegeben von Susann Witt-Stahl – unter dem Titel „Das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen“.  So hieß zuvor auch eine Tagung der Tierrechts-Aktion-Nord (TAN).  Die Vorträge zum „Mensch-Tier-Verhältnis“, die dort gehalten wurden, fanden Eingang in den Reader.  Für diesen fand die Herausgeberin das Motto:

„Die Philosophie ist eigentlich dazu da, das einzulösen, was im Blick eines Tieres liegt.“ (Theodor W. Adorno). Hinzuzufügen wäre, das dabei die Waffe der Kritik „allerdings nicht“ die Kritik der Waffen ersetzen kann. Einige Tagungsbeiträge beschäftigten sich mit „Marxismus und Tierbefreiung“.

 

 

An dieser theoretischen Auseinandersetzung beteiligen sich immer mehr  Philosophen und Publizisten  – mit moralischen bzw. tierethischen Theorien – und bereits einer eigenen Zeitschrift „Tierethik“. Ihre erste Ausgabe  befaßt sich mit dem „Mitleid“, die zweite mit „Tierversuchen“ . Die philosophischen  Positionen balancieren sich meist zwischen Descartes, Kant, Schopenhauer und der sogenannten analytischen  US-Philosophie aus, wobei neueste Ergebnisse der Verhaltenforschung pragmatisch mitberücksichtigt werden. Genannt seien:

– Ursula Wolf: „Texte zur Tierethik“ und „Das Tier in der Moral“;

– Cora Diamond: „Menschen, Tiere und Begriffe“; eine etwas öde, weil wittgensteinsche Durchdeklinierung des Problems – von einer US-Moralphilosophin, die aber voller Empathie für unsere „Mitgeschöpfe“ ist. Ähnlich der US-Philosoph Daniel Heller-Roazen über Mensch-Tier-Bewußtsein: „Der innsere Sinn“.

-„Grundfragen der Tierethik. Haben Tiere eine Würde?“ von Norbert Hoerster;

„Am Beispiel des Hummers“ von David Foster Wallace; interessant, weil für das US-Feinschmeckerjournal „Gourmet“ geschrieben, deren Redaktion den Text auch abdruckte.

– „Naturethik. Grundtexte der gegenwärtigen tier- und ökoethischen Diskussion“ herausgegeben von Angelika Krebs.

– „Der Geist der Tiere: Philosophische Texte zu einer aktuellen Diskussion“ herausgegeben von Dominik Perler und Markus Wild;

– „Gerechtigkeit für Igel“ von Ronald Dworkin. „Der Fuchs weiß viele Dinge, aber der Igel weiß ein großes Ding.“ Auf dieses Versfragment von Archilochos bezog sich Isaiah Berlin in seinem Essay „Der Igel und der Fuchs“, in dem er eine Unterscheidung traf – zwischen Leuten (Füchsen), die sich von einer unendlichen Vielfalt von Dingen angezogen fühlen, und anderen (Igeln), die alles auf ein einziges, umfassendes System beziehen. Der New Yorker Philosoph Ronald Dworkin hat diese Unterscheidung nun aufgegriffen in einem umfangreichen ethischen Entwurf.  In seiner Theorie der gelungenen Lebensführung geht es jedoch nur mittelbar um dieses Tier. Kommt noch hinzu, wie ein Rezensent in „Die Welt“ bemängelte, dass das Buch 1. doch über weite Strecken eine Gerechtigkeit für Füchse enthält und 2. dass es das von den Klassikern sowie von den zeitgenössischen Autoren erreichte „Problembewusstsein“ leider unterbietet.

– Ursula Wolf: „Ethik der Mensch-Tier-Beziehung“. Der Autorin geht es darin nicht um das Wohlbefinden aller „Mitlebewesen“, sondern um die  „bescheidene Vorstellung, man könnte wenigstens dasjenige Leiden vermeiden, das durch moralische Akteure in die Welt kommt.“ Die FAZ fand, sie wäre in dem Buch „ein brisantes Thema mit der nötigen skeptischen Umsicht, mit moralphilosophischer Kenntnis, aber ohne ideologische und metaphysische Voraussetzungen“ angegangen.

– Der US-„Anthrozoologe“ Hal Herzog. Er spricht in seinem zuletzt auf Deutsch erschienenen Buch „Wir streicheln und wir essen sie“ von „unserem paradoxen  Verhältnis zu Tieren“, das er für sich amerikanisch-praktisch mit  „folgender „Regel“ gelöst hat: „Wenn ich draußen bin und von einer Bremse gestochen werde, darf ich sie totschlagen. Aber wenn die Bremse zu mir ins Haus fliegt, muß ich sie retten und nach draußen bringen.“

– Auch die vegetarische Schriftstellerin Hilal Sezgin, die in der Lüneburger Schafe züchtet, vertritt in ihrem Buch „Landleben: Von einer, die raus zog“ eine praktisch orientierte Position.  – Ähnlich der von Karen Duve, einer ebenfalls aufs Land gezogenen Schriftstellerin, in ihrem Buch „Anständig essen“, in dem sie ihre Beteiligung an Tierbefreiungsaktionen beschreibt sowie  ihre Selbstversuche mit vegetarischer, veganer und frutarischer Ernährung  (für die Frutarier ist sogar das Ausreißen einer noch lebenden Mohrrübe Mord). Indem sie dergestalt das Essen mit Moral verband, wurde ihr „jeder Hackbraten zu Quälfleisch“, wie sie schreibt. Zusammen mit dem US-Bestsellerautor Jonathan Safran Foer, der ein Jahr zuvor das Buch „Tiere essen“ veröffentlicht hatte, ging sie 2012 auf Lesetournee.

– Weniger radikal als die hier erwähnten  „Tierbefreierinnen“ (taz) ist der „Tierrechtsexperte“ Antoine F. Goetschel. Der Schweizer Autor des Buches „Tiere klagen an“ meinte auf einem taz-Kongreß gegenüber Hilal Sezgin, er sähe das alles nicht so eng, so würde er z.B. nach wie vor Lederschuhe tragen, jedoch nur gute – solche, die mindestens 15 Jahre halten. Auf dieses reduktionistische Qualitätsargument verfallen derzeit viele Autoren.

– Erwähnt seien die Journalisten Iris Radisch und Eberhard Rathgeb: „Wir haben es satt! Warum Tiere keine Lebensmittel sind“, der „Naturbursche“ Marcel Robischon: „Vom Verstummen der Welt. Wie uns der Verlust der Artenvielfalt kulturell verarmen lässt“ und die Kompromißlerin Theresa Bäuerlein: „Fleisch essen, Tiere lieben. Wo Vegetarier sich irren und was Fleischesser besser machen können“.

Die konkreten Tiere bleiben in all diesen tierethisch motivierten bzw. argumentierenden Arbeiten merkwürdig blaß. Dabei ist die Empathie, mit der z.B. Konrad Lorenz „seine“ Tiere beobachtete und mit der er dann über sie berichtete, ein viel stärkeres „Argument“ als eine logische Darstellung des Problems „Tier und Wir“. Der amerikanische Philosophieprofessor Rowland hat beides zugleich versucht, indem er sich einen Wolf anschaffte, auf dessen Leben er sich dann quasi für immer einstellte. Sein schönes Buch darüber heißt: „Der Philosoph und der Wolf“. Seine Exkurse in analytische Philosophie hätte er sich darin jedoch sparen können. Anders die französische Wissenssoziologie von Bruno Latour, der den Tieren das Wort – wenn schon nicht gibt, dann wenigstens laufend verspricht.

 

 

Ganz gewitzte Wissenschaftler drehen den Spieß einfach um – und testen die Tiere auf ihre „Empathiefähigkeit“, das Leipziger Max-Planck-Institut z.B. (1) Aber die meisten ihrer Ergebnisse sind ebenso langweilig wie ihre Darstellung in immer neuen  Publikationen. Und ihre Affen belohnen sie stets mit Bananen. Andere Wissenschaftler – wie Frans de Waal – durchforsten alle Affenforschungsergebnisse nach „Empathie“-Belegen. Eine ebensolche Methode findet man in dem Buch „Wie Tiere fühlen“ des Biologen Donald R.Griffin, der durch seine  Fledermausforschung in den Fünfzigerjahren bekannt wurde (sein Buch darüber heißt „Vom Echo zum Radar. Mit Schallwellen sehen“). Griffin geht es in seinem neuen Buch um einen „Vorstoß ins Bewußtsein der Tiere“. Um deren Gefühlsleben einschließlich des Einfühlungsvermögens geht es auch dem  Pschoanalytiker Jeffrey M. Masson und der Journalistin Susan McCarthy in ihrem der Griffinschen Sammlung von Tierverhaltensbeobachtungen ganz ähnlichen Buch: „Wie Tiere fühlen“.

– In diese Reihe gehört auch ein Buch des Ökologen Marc Bekoff: „Das Gefühlsleben der Tiere: Ein führender Wissenschaftler untersucht Freude, Kummer und Empathie bei Tieren. Mit einem Vorwort von Jane Goodall“.

Sowie das Buch des US-Journalisten Eugene Linden: „Tierisch klug“, wobei in seiner Anekdotensammlung vor allem Tierpfleger und Zooveterinäre statt Biologen zitiert werden.

Solche Fleißarbeiten richten sich vor allem gegen die in Amerika dominanten „Behavioristen“, die Tiere als wesentlich instinktgesteuert begreifen, wobei  gentechnische, biochemische und neurologische Techniken ihnen helfen, die letzten  Detailfragen zu klären. Den behavioristischen  Forschern geht es genaugenommen nicht mehr um „das Tier“ – wie die Konstanzer Wissenssoziologin Karin Knorr Cetina herausfand, die sich in biologischen  Forschungslaboren umsah. Dort „werden [z.B.]  Mäuse als Umwelt ihrer Reproduktionsorgane betrachtet, deren Funktion benötigt wird – zur Herstellung von transgenen Mäusen, mit Hilfe derer die Funktion bestimmter Gene kontrolliert werden kann.“ Die individuelle Maus wird dabei „zur apparativen Komponente“. Dennoch sieht der individuelle Wissenschaftler darin angeblich auch noch „das Tier Maus“: Wenn er es verletzt oder fehlbehandelt fühlt er sich „moralisch schuldig“. Aber wahrscheinlich eher gegenüber seinen Kollegen, denen er kostbare „Apparatestunden“ wegnahm und seinem Institut bzw. seiner Firma, die ihn bezahlt.

 

 

„Ohne Tierversuche gibt es keine Schönheit,“ behauptet die Kosmetikindustrie, die ebenso wie die Pharmaindustrie besonders viele Tiere vernutzt. Während die (Tier-)Filmwissenschaftlerin  Christine Noll meint: „Ohne Tiere gibt es keine Schönheit,“ denn „alles leiblich Schöne erlebt man erst an Tieren. Wenn es keine Tiere gäbe, wäre niemand mehr schön.“ Der britische Kunstkritiker John Berger war 1980 der erste, der diese Debatte mit seinem Essay „Why Look at Animals?“ systematisierte, wie der Biologe Cord Riechelmann schrieb.

Jenseits der nicht sonderlich erhebenden Moraldebatten der Philosophen setzt sich an vielen Universitäten bei den Kultur- und Sozialwissenschaften ein neuer Forschungsbereich durch: „Animal-Studies“. In „Ich, das Tier“, herausgegeben  von Jessica Ullrich, Friedrich Weltzien und Heike Fuhlbrügge geht es um das Tier als Subjekt – u.a Laika, den Weltraumhund, Bobby, den Gorilla aus dem Berliner Zoo und Bauschan, den Hund von Thomas Mann, daneben aber auch um namenlose Laborratten.

Erwähnt sei ferner der Sammelband „Human-Animal-Studies“ der Berliner Arbeitsgruppe „Chimaira“, deren Interesse an den „menschlichen“ und „nicht-menschlichen Wesen“ zum Einen aus dem Tierschutz und zum anderen – ähnlich wie bei der Kuratorin der diesjährigen Kassler „documenta“ – aus dem Feminismus resultiert. Umgekehrt thematisiert  die erste Ausgabe der in Berlin erscheinenden Zeitschrift „Tierstudien“ die Tiere in der aktuellen ästhetischen Wahrnehmung, z.B. als Akteure auf Theaterbühnen, in der zweiten Ausgabe ging es um „Tiertransporte“.

Die Anzahl all dieser theoretischen und praktischen Bemühungen ist beeindruckend. Macht sich da vielleicht bereits eine neue  artenübergreifende Verständigungsbereitschaft bemerkbar? Ein Wunsch nach „interspecies communication“ – wie sie von der feministischen US-Biologin Donna Haraway umrissen wird, die sich u.a. mit der zunehmenden Zahl der  „Haus“ – bzw. „Familientiere“ beschäftigte. In der modernen Industrie- bzw. Informationsgesellschaft und mit dem Zerfall der Familie werden zunehmend Haustiere in die selbe mit aufgenommen, um sie gleichsam wieder mit neuem Leben zu füllen. Den Tieren werden  dabei immer mehr Menschenrechte zugeschanzt, aber auch andere Annehmlichkeiten, wie Haraway schreibt: Inzwischen werden weltweit für Haustierfutter und -versorgung 46 Milliarden Dollar ausgegeben, Tendenz steigend, vor allem im Marktsegment „Premiumfutter“. Darüberhinaus gibt es immer mehr  psychologische Therapieeinrichtungen für Hunde und „Krankenversicherungen für Haustiere werden zur Normalität.“

Auch die Versupermarktung des  Tierfutters gibt es inzwischen. In den riesigen neuen Selbstbedienungsläden, die „Wuff“ oder „Freßnapf“ heißen, kann man nicht nur Futter für alle Haustiere finden, bis hin zu Fliegenlarven für Geckos, sondern auch das absurdeste Spielzeug für sie. Und daneben auch noch lebende Zierfische, Schlangen und kleine Nagetiere. Die Zunahme an Haustieren –  zuletzt legten die japanischen Designerkarpfen zu  (es gibt heute 4,5 Mio Aquarien und 3 Mio Gartenteiche in der BRD) – deutet auf eine weitere Atomisierung der Gesellschaft hin. Zuerst zerfiel die Groß- und dann auch die Kleinfamilie: „Familie – das ist wie eine gute noch intakte Maschine, die von der Welt abgenutzt wird, schade sie aufzugeben, aber sinnlos sie neu aufzuziehen. Es gelingt nicht, Mann und Frau müssen jeden Tag das Defizit decken,“ meinte Viktor Schklowski bereits 1925. Seit der Auflösung der Sowjetunion blüht auch dort der Haustierhandel wie blöd. Der Psychiater Erich Wulff bemerkte 1966 in Vietnam: „Ein Gefühl wie Tierliebe war den meisten Vietnamesen fremd. In ihrem Seelenhaushalt gab es keinen offenen Posten dafür…Das Heer der Ammen, Boys und Boyessen okkupierte bei der mandarinalen Oberschicht die Haustierstelle.“

 

 

Anders in Russland: Scholochow z.B. berichtet in seinen Werken über den Bürgerkrieg und die Kollektivierung immer wieder, wie viele Sorgen und Gedanken sich die Kosaken um ihre Pferde machten. Und Sergej Tretjakow erwähnt in seinem 1968 veröffentlichten Roman „Das Ableben“, der die  Geschichte des Kirchdorfes Poshary von 1917 bis in die Chruschtschow-Zeit erzählt, ausführlich ein Erlebnis des an der Kollektivierung „gescheiterten Bauernführers“ Iwan: Er will einem Kutscherjungen, der gerade mit Pferd und Wagen von der Molkerei gekommen ist, beim Abladen helfen. „Das Pferd war groß, schmutzig, unter dem enthaarten Fell stachen die Rippen hervor, traurig ließ es den Kopf hängen. Als Iwan hinzutrat hob es plötzlich den Kopf, sah ihn mit feuchtem Blick an und begann leise und wehmütig zu wiehern. Er hatte es nicht erkannt, aber das Pferd hatte ihn erkannt…Einer seiner beiden ‚grauen Schwäne‘ – die Hufe beschädigt, die Fesseln geschwollen, der Bauch schmutzverkrustet, und der feuchte Blick, voller Wehmut und Trauer um das frühere Leben, um die warme Box und die liebevolle Hand des Herrn, die ihm Zuckerstückchen zwischen die samtigen Lippen gesteckt hatte.

Er hatte seine Pferde geliebt, war stolz auf sie gewesen…Nie warf er einen Blick in den Pferdestall der Kolchose; wenn er seine Grauen irgendwo unterwegs sah, wandte er sich ab, zu schmerzlich war ihm der Anblick. Und nun stand er einem seiner Pferde Auge in Auge gegenüber, und das Tier hatte ihn zuerst erkannt.“ .

 

 

Tolstoi erklärte einmal in einer seiner Geschichten das ganze Elend mit dem Privateigentum aus der Sicht eines Pferdes. Und Isaac Babel schreibt in der „Reiterarmee“ erstaunt, dass und wie die Roten Kosaken Dreiviertel des Tages sich auf dem Polenfeldzug mit ihrem Gaul beschäftigten. Es ist ihnen das Wichtigste. Bis dahin mußten sie sich immer zusammen mit einem Pferd den Wehrdienst stellen – und es wurde ebenso wie sie gemustert. Über ihr  Pferd machten sie sich mehr Gedanken als über Menschen. Ähnliches läßt sich auch von den Mongolen und anderen nomadischen Völkern sagen, bei denen Pferd und Reiter eine Einheit bilden (eine „Kriegsmaschine“, wie Deleuze und Guattari sie nennen), die den Männern draußen mindestens ebenso wichtig ist wie die im Inneren der Jurte – mit ihrer Familie. Zwar ist das wohl auch heute noch so, aber im Gegensatz zu früher werde jetzt z.B. die mongolischen Pferde vielfach als Hundefutter in Dosen nach Japan verkauft.  Das ist jetzt der Markt für sie. Die seßhaften Bauern bilden mit ihren Nutztieren eine „Einheit“, die im Osten bei ihrer Kollektivierung zu LPGen und ihrer Umwandlung zu Landarbeitern zerrissen wurde, aber mit der Rationalisierung und Industrialisierung verschwindet diese auch im Westen langsam. In Österreich konnten die Knechte, Mägde und Dienstboten zu Lichtmess ihren Arbeitgeber wechseln, dazu sahen sie sich genau um: „Schau, wo Hund und Katze ihren Platz haben; geht es den Tieren gut, so wird es dem Gesinde auch nicht schlecht gehen,“ hieß es.

 

 

Anmerkungen:

(1) Um Empathie ging es Anfang 2013 auch im Berliner Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, allerdings primär um die in der ästhetischen Theorie, wo sie „Einfühlung“ genannt wird. „Am weitesten ging in dieser Richtung der New Yorker Kunsthistoriker David Freedberg mit seinem nachdrücklichen Plädoyer für die Aufwertung der körperlichen Einfühlung beim ästhetischen Urteil. Bei der ästhetischen Betrachtung setze sich der Blick unbewusst in Bewegung um,“ schreibt die FAZ in einer Tagungskritik. Eingangs heißt es darin: „Das Empathieprinzip hat in den vergangenen Jahren eine erstaunliche Karriere verzeichnet. Im Angesicht der freigelegten Marktkräfte wuchs das Verlangen nach mehr Miteinander; es fehlte nicht an Autoren, die mit wissenschaftlichen Belegen die Wende zum Guten einläuteten. Der amerikanische Stichwortsoziologe Jeremy Rifkin rief das Zeitalter der Empathie aus, ein Paradies auf Erden, in dem sich alle Menschen in den Armen liegen und das, wenn man Mobbing, Mord und Totschlag einmal vergisst, in greifbarer Nähe liegt. Die Empathie betrat als weltrettende Macht die Bühne, die von der Vernunft die Weltregie übernimmt und den drohenden Zivilisationskollaps noch einmal abwendet. Die Naturwissenschaften hatten in dem niederländischen Primatenforscher Frans de Waal ihren Evangelisten des universellen Mitgefühls. De Waal empfahl den neu entdeckten (allerdings schon von Kropotkin behaupteten) Altruismus im Tierreich als Korrektiv des Sozialdarwinismus und als Leitbild einer besseren Menschengesellschaft. Ein Wohlfühldialog zwischen Kultur und Natur.“
Trotz aller Zyne: Es handelt sich dabei um einen Dialog zwischen (den) Kulturen. Abgesehen davon gibt es, mit Donna Haraway zu sprechen, „weder die Natur noch die Kultur“, höchstens „viel Verkehr zwischen den beiden.“

 

 

 

 

 

 

 

  Planet ohne Affen

Das spanische Parlament hat den Menschenaffen bestimmte  Menschenrechte zuerkannt. „Gorillas, Orang-Utans und Schimpansen werden aufgrund ihrer ‚Verwandtschaft‘ mit dem Menschen das Recht auf Leben, Freiheit und körperliche Unversehrtheit eingeräumt,“ schäumt die katholische Presse. Dabei könnte dieser „Gnadenakt“ für die Affen schon zu spät kommen: Der Primatenforscher Craig Stanford vom Jane Goodall Research Center der Universität von Südkalifornien gibt in seinem neuen Buch „Planet Without Apes“ bereits der Befürchtung Ausdruck, dass wir auf eine Welt ohne unsere „nächsten Verwandten“ zusteuern. Dies dürfe man jedoch auf keinen Fall zulassen. Der Primatenforscher ist ehrlich besorgt. Er nennt Roß und Reiter. Konkret werden von ihm insbesondere „Deutschland und Frankreich“ beschuldigt, mit ihrer Unterstützung der  Holzeinschlagskonzessionäre im Kongo der Aussterben der Menschenaffen sogar noch zu beschleunigen. „Können Sie sich eine Welt ganz ohne Affen vorstellten?“ fragte die FAZ in ihrer Rezension seines aufrüttelnden Buches. Gleich darunter findet sich auf der Seite die Besprechung eines anderen  Buches, das sich mit der „Verwissenschaftlichung“ und damit Vernichtung „von Lebenswelten“ befaßt: „Eating the Enlightment“ von Emma Spary handelt von den französischen Debatten um Esskultur und Ernährung im 18.Jahrhundert. Sie fanden in den Pariser Café-Häusern statt. Und der Kaffee wurde  dabei zum „exemplarischen Gut“ in der aufklärerischen Deutung, die dabei schnell  ins Globale vorstieß. In den Cafés wurde die „Konsumgesellschaft“ geboren – und diskutiert. Das ging bis hin zu Ratgebern für die Verdauung. Erst 2012 gelang es allerdings den Wissenschaftlern an der Universität von Südkalifornien, herauszufinden, warum der Kaffee so leicht überschwappt – beim Gehen.

In der NZZ wird der neueste Roman des Leningrader Schriftstellers Andrej Bitow rezensiert: „Der Symmetrielehrer“. Daraus wird ein „wehmütiges Lied“ zitiert, das so geht: „The more we live -/The more we leave./The more we choose -/The more we loose./The more we try -/The more we cry./The more we win -/The greater is the sin…“

Die klassische Loose-Loose-Situation, auf die alle vermeintlichen Win-Win-Optionen  hinauslaufen. Fast hört man schon die Totenglocken der „Konsumgesellschaft“ läuten. Es gibt keine ökonomische Utopie mehr, meint der Pariser  Wissenssoziologe Bruno Latour, nur noch eine ökologische. Dazu muß die moderne Dichotomie von Natur und Kultur, sowie von Objekt und Subjekt und Fakt und Fetisch  überwunden werden. Dies geschieht,  indem man Menschen und nicht-menschliche Wesen sowie auch sämtliche Artefakte (Dinge) miteinbezieht – sie gewissermaßen an einem Runden Tisch versammelt: zu einem „Parlament der Dinge,“ wie Latour das nennt. Irgendwann wird man es dann genauso seltsam finden, verspricht er, dass die Tiere und Pflanzen kein Stimmrecht haben – wie nach der Französischen Revolution, dass bis dahin die Menschenrechte nicht auch für Frauen und Schwarze galten.

 

 

In der DDR-Zeitschrift „Sinn und Form“ äußerte sich Daniel Kehlmann, Autor des Bestsellers „Die Vermessung der Welt“, ähnlich: „Natürlich, der Hund steht uns traditionell näher als das Rind. Aber trotzdem ist es Willkür, daß man mit dem Hündchen kuschelnd ins Bett geht, und dem Kälbchen den Hals durchschneidet. Man weigert sich, über gewisse Dinge nachzudenken, so wie man sich Jahrhunderte lang geweigert hat, über die Sklaverei nachzudenken.“

Dennoch gibt es für Kehlmann, dessen Hund „Nuschki“ 2008 starb, eine unüberwindliche Grenze zwischen Menschen und Hunden, obwohl diese, im Gegensatz zu den Affen, schon lange „auf den Menschen gesetzt“ haben. Man kommt ihnen gegenüber unweigerlich auf den Gedanken, ein „höheres Wesen“ zu sein, „und zwar einfach dadurch, daß einem klar wird, wie viel es gibt, was man dem Tier nicht erklären kann, was es nicht begreift… Man kann im stummen Zwiegespräch mit seinem Hund eben keine metaphysischen Fragen behandeln.“

Aber anstoßen kann er sie – wie der  marxistische Erkenntnistheoretiker Alfred Sohn-Rethel meinte: Gesetzt den Fall, wir gehen mit unserem Hund in einen Fleischerladen, schrieb er, alles, was dort geschieht, versteht auch der Hund. Das Deuten auf dieses oder jenes Fleischstück, dass und wie der Schlachter die Portionen einpackt, uns  rüberreicht usw.. Aber wenn wir dann das Geld aus dem Portemonnaie nehmen, es abzählen und wie Ware bezahlen – das versteht der Hund nicht. Da beginnt die „Realabstraktion“ in unserer Gesellschaft, in der der Warenverkehr den nexus rerum bildet, der ein rein abstrakter Zusammenhang ist, bei dem alles Konkrete sich in privaten Händen befindet.

Ende der Konsumgesellschaft, das bedeutet vor diesem Hintergrund: das zu Privatisierende wird auf der Welt knapp. Die darüber hinausgehenden Anstrengungen – zu den Rohstoffen anderer Planeten – stimmen nicht (mehr) optimistisch. Überhaupt fragt man sich beim Übergang vom ökonomischen zum ökologischen Denken (nicht mehr nur in den Pariser Kaffehäusern), ob all die mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Lösungen vielleicht nicht  eher das Problem sind.

Kehlmann, dessen e.e. Buch vom Landvermesser und Mathematiker Gauß sowie vom Naturforscher und Weltreisenden Humboldt handelt, spricht vom „Mangelhaften der imaginären Welt gegenüber der realen.“ Diese wird von der Wissenschaft überformt – zum Verschwinden gebracht. „Eine Landschaft, die man vermessen hat, ist nicht mehr die selbe.“ Bereits beim Kauf einer Dose Ravioli, läßt sich anhand der „Zutaten“-Angaben (1) auf dem Etikett ablesen, wieviel Wissenschaft in ihr steckt. Und zwar eine mathematisch-naturwissenschaftlich-technische, deren Anfänge wir den griechischen Philosophen verdanken. Mit ihnen begann das, was Schiller die „Entfremdung“ nannte – und worüber der Philosophiestudent  Kehlmann dann seine Abschlußarbeit  schrieb. In seiner „Vermessung der Welt“ im frühen 19. Jahrhundert „zeigt sich [ihm] noch das volle Bild der Vielfalt“. Es fächert sich sogar noch aus: In der Ferne tauchen noch immer neue Menschen und Tiere auf. Und von Nahem  nehmen sich die Unterschiede zwischen Soldaten, Advokaten, Kaufleuten, Seemännern, Dichtern usw. laut Balzacs „Comédie Humaine“ so gravierend aus wie die zwischen Wolf, Löwe, Esel, Rabe und Lamm…

Im noch ganz frühen 21. Jahrhundert ist sich Kehlmann indes nicht ganz sicher: Einerseits attestiert er dem Tier wiederholt, „ganz bei sich zu sein“, nicht entfremdet, obwohl gerade im Falle des Hundes Philosophen wie Theodor Lessing, Konrad Lorenz, Gilles Deleuze und Cord Riechelmann darauf bestanden, dass er  durch seine lange „Verhaustierung“ völlig „degeneriert und mithin  „verblödet“ sei. Andererseits ist Kehlmann gerade von „Genies“ – von der Gaußschen „Abstraktionskraft“ vor allem – fasziniert, in die kein Gramm Naturstoff eingeht. Da hinein folgt er diesem „Akteur“ aber auch sowieso nicht. Man kann daraus nämlich keinen Roman machen. Es gibt keinen Weg, der „vom Zählen zum Erzählen“ führt. „Man kann vom Zählen nicht erzählen.“ Kommt noch hinzu: Die Mathematiker wissen, dass sie mit 28 etwas „Wichtiges“ entdeckt haben müssen – danach kommt nichts mehr. Während die Romanschriftsteller im Alter immer mehr an „Welt- und Lebenserfahrung“ gewinnen. Humboldts Schriften z.B. hat man  jetzt einfach ohne seine ganzen Meßtabellen herausgegeben. Das Erzählen, aber auch die Philosophie, ist für Kehlmann eine der „Gegenmächte der Vermessung“, dazu gehört auch die „Zauberei“ und der „Animismus“.

 

 

Im Alter litt Gauß – ebenso wie später auch Gödel – an Geistererscheinungen. Kehlmann wäre dennoch froh, wenn in einem solchen Falle ein Wissenschaftler käme, um ihn zu beschützen, es reicht aber wohl auch eine technische Erfindung: Soe hielt z.B. Ernst Bloch 1935 dafür, daß die Glühbirne  aufklärungskräftiger als etwa Voltaire sei, „denn sie hat das Grauen aus den Schlupfwinkeln der äußeren Dunkelheit selbst vertrieben und nicht nur aus der des Kopfes.“ Die Wissenschaft vertreibt jedoch nicht nur „die Gespenster“, mit der „Quantifizierung“ wird auch „die qualitative Differenz der Dinge methodisch eingeebnet.“ wie der Chefredakteur von „Sinn und Form“, Sebastian Kleinschmidt, hinzufügt.

Das Amazonasvolk der Pirahas z.B. kann nicht, wie viele andere kleine Völker ebenso, bis vier zählen, obwohl sie es gerne können würden. Für sie gibt es jedoch keine zwei, drei oder gar vier Dinge auf der Welt, die identisch sind (nicht einmal sie selber sind es auf Dauer), was sie nicht zuletzt zu leidenschaftlichen Erzählern gemacht hat.  Ein anderes Amazonasvolk lernte das Zählen erst, nachdem es Portugiesisch gelernt hatte. Dieser Mangel an Abstraktionsvermögen – aus einem Überfluß an Qualitäten heraus, führt bei den Pirahas dazu, dass sie beim Warentausch mit den Flußhändlern jedesmal übervorteilt werden. Das bemerken sie zwar, können es aber nicht beziffern. Ähnliches berichtete nebenbeibemerkt auch die Schweizer Geschäftsfrau Corinne Hofmann bei einem Massai-Krieger, nachdem sie mit ihm zusammen einen Laden eröffnet hatte.

Für Kehlmann war Humboldt der letzte „nicht quantifizierende Naturwissenschaftler“. Sein „intuitives Naturerfassen“ stand in scharfem Gegensatz zu dem von Gauß. Es ähnelte dem von Goethe, der selbst „Experimente, bei denen man das Licht durch ein Prisma bricht, als obszön“ empfand. „Er sagte, es sei unanständig, das Licht so zu behandeln.“ Quäle nie ein Lichtquant zum Scherz, denn es fühlt wie du den Schmerz. Neben dem Tier, das ganz bei sich ist, weswegen z.B. seine Freude so ansteckend auf Kehlmann wirkt (er spricht von einem „Resonanzphänomen“), ist  Kleinschmidt, so ergänzt er, auch noch von der „Weltwahrnehmung“ der Naturvölker  beeindruckt. Er zitiert dazu aus Martin Mosebachs „Häresie der Formlosigkeit“ einen Schamanen, der behauptete, dass ein Stein, der aus dem Boden gegraben wurde, sich darüber jahrelang nicht beruhigen könne. „Mehr Empathie in der Weltwahrnehmung ist kaum möglich. Extremer Animismus.“

Kehlmann läßt Gauß in seinem Buch Kant in Königsberg besuchen. Man müßte dazu vielleicht einmal Thomas Pynchons Roman über die zwei berühmten amerikanischen Vermesser „Mason & Dixon“ lesen, deren Ziel es war, eine geometrisch völlig gerade Linie zwischen zwei Kolonien zu ziehen, die sich über geografische Gegebenheiten hinwegsetzt – in Wälder, die auf ihrem Weg liegen, werden Schneisen geschlagen, in einem Fall wird sogar ein Wohnhaus durch die Linie zerteilt, wobei  Mason immer wieder vom Geist seiner verstorbenen ersten Frau Rebekah heimgesucht wird, die über seine Taten spricht. Zunehmend hinterfragen Mason und Dixon selbst ihre eigene Tätigkeit…

Gauß hat sich laut Kehlmann viel mit Kant beschäftigt, „vor allem hat er Kants Theorie des Raums als etwas Falsches, und für die Durchsetzung der Wahrheit Hinderliches erlebt.“ Kant sah das Räumliche als Grundlage für die Geometrie und das Zeitliche als Grundlage für die Arithmetik. Seine  transzendentale Ästhetik (im ersten Teil der transzendentalen Elementarlehre seiner Kritik der reinen Vernunft) ist damit zugleich eine Theorie darüber, wie reine Mathematik möglich ist. Dazu heißt es  im Wikipedia-Eintrag: „Reine Mathematik ist nach Kant möglich, weil Raum und Zeit als apriorische Formen in uns liegen.“

Der späte Nachfolger von Kant auf dessen Königsberger Lehrstuhl, der Verhaltensforscher Konrad Lorenz, hat daraus ab 1938 eine „evolutionäre Erkenntnistheorie“ gemacht: Demnach sind dem Menschen die Vernunftbegriffe – das Abstraktionsvermögen – angeboren. Nun, da wir uns angeblich dem Ende der Konsumgesellschaft nähern, sagte aber jüngst ausgerechnet eine Physikerin – auf einer Tagung der Akademien der Wissenschaften und der Künste in Potsdam auf dem Alten Markt: Es gehe doch im Kern um den Satz der Identität in der Logik – A gleich A: „Da raus zu kommen, darauf käme es doch wohl an.“ Dabei dachte sie vor allem an die Künstler.

Der Künstler Kehlmann wendet dagegen ein: „Dieses Quantifizieren der Welt Komma hat auch etwas Beeindruckendes, es hat die größte Erfolgsgeschichte eingeleitet, die es im Verstehen der Welt und im Meistern des menschlichen Lebens gibt.“

Der „Sinn und Form“-Chefredakteur Kleinschmidt fragte ihn daraufhin:

„Halten Sie eine Rückkehr in die Farbigkeit für möglich?“ Kehlmann antwortete ihm – sinngemäß: Nein, da müssen wir durch – durch die zunehmende Farblosigkeit…

 

 

 

Hier Auszüge aus zwei wirklichen  Farbromanen – for the time being:

Der zur Schulpflichtlektüre gehörende Roman von Siegfried Lenz „Deutschstunde“ aus dem Jahr 1968  handelt vom „Malverbot“ Emil Noldes während der Nazizeit. Dieser hat sich mit dem besonderen Licht an der nordfriesischen Küste, seiner Heimat, auseinandergesetzt – mit Farben also. In dem Roman von Lenz wird das in gewisser Weise nachvollzogen. Es beginnt auf Seite acht mit einer „messingblitzenden Barkasse“ und einem „blauen Direktionsgebäude“. Auf der darauffolgenden Seite geht es um einen Klassenkameraden des Ich-Erzählers, der seine Gesichtsfarbe willentlich ändern und „nach Belieben blaß, grünlich“ aussehen konnte. Es folgen „maulwurfsgraue Gräben“, das „schwarze winterliche Meer“, der „grauäugige“ Maler Nansen (alias Nolde), „schweres, beleidigtes Gelb“, „von dunklem Blau durchzuckt“, „dramatisches Orange“.

Dann das „Zinngrau des Horizonts“, das zu „schneegrau“ wird, „violett bleibt nicht violett, rot verzichtet auf sein Komplement“, „bläulich schimmerndes Treibeis“, „wütendes lila und kaltes Weiß“, „schlohweiße Kraftlinien“, „weiße Staubtücher“, ein „grau getünchtes Gasthaus“, ein „Tor aus weißen Planken“, ein „rostroter Stall“, „Schwarzschlachtung“, ein „graublauer Mantel“ mit „schwarzem Wildledereinsatz“, ein „violett gesträubter Fuchspelz“ und „ein Bart aus brodelndem Orange“. Ferner „erdgrüne Hügel“, „braune, rot unterfeuerte Finger“, „sterbendes Grau“, „Dunkelgrün fehlt noch“, „braun und begabt“, „gelbe Propheten“, „grüne, verschlagene Marktleute“, „das ganze phosphoreszierende Volk“, „grüne langstielige Gläser“, „aufblickend in olivgrünem Licht“, „rot-weißes Leuchtfeuer“, „ein ockerfarbenes Transparent“, „weiß und rostrot getünchte Anwesen“, „mit Schlemmkreide geweißte Schuhe“, eine „rote Ameise“, die „sandhelle  Spitze der Halbinsel“, „weißgewaschenes Wurzelwerk“, „aus schwarzer Weite“, „rotäugig, gelbschnäbelig“, „Schnee aus Daunen“, „blaugrüne, graue und schwarzbraune Eier“, „Addis blaurot verfärbtes Gesicht“, ihr „aufgesperrter, korallenroter Schlund“, „gelbe Hoheitszeichen“, ein „weißlicher Vorhang“, „alles wächst sich schwarz und knollenhaft aus“, „graue geduldige Augen“, „das Grau der Sanddünen“, „die blaue Meereskarte aus Leinwand“, „Stücke blaßgelben Streuselkuchen“, „altersgraues Meergetier“, „Juttas rot-weiß kariertes Kleid“, „ebenmäßig silbriger Bartkranz“, „da überredete ein weiches Zitronengelb ein lichtes Blau zur Selbstaufgabe“, „schwebende Segel büßten ihr Weiß ein“, „das Weiß, das will noch zu viel sagen“, „sein brauner knorriger Stock“, „auf dem gewellten schwarze Erdboden“, „die schwarzen Gartenwege“, „am rostroten Stall“, „die blauen Tümpel und das flockige Weiß“, „ein altes weißes Entenpaar“, „ein rot durchkreuzter Eilbrief“, „rötlich behaarte Hände“, „mit flatternder blauer Fahne“, „Braun löste Weiß ab“, „in dem Rot und Geld sich pathetisch unterhalten“, „das gelbliche Gebiß“, „am rotbemützten automatischen Feuer“, „rotblonde Wimpern“, „ihr strenges rötliches Gesicht“, „eine langsame Morgendämmerung, in der sich ein unaufhaltsames Geld mit Grau und Braun auseinandersetzt“, „plumper weißer Verband“, „harte, graue, selbstgewebte Laken“, „torfbraunes Wasser“, „in weiße Rahmen gefaßte Fenster“, „schwarz und untauglich im Blickfeld“, ein „dunkelgrünes Auto“, „eine geflochtene Troddel von einem Polizeisäbel, die matt silbrig schimmerte“, „ihre Vorliebe für weiße Kleider und weiße Strümpfe“, „grauweißer Pamps“, „sowohl ins Grüne als auch ins Rote spielender Rhabarbermus“, „weiße, mit Sommersprossen und Leberflecken besäte Arme“, „meine blaue, selbstgemachte Fahne“, „torfbrauen Erde“, „schwarze,  lauwarme Gräben“, ein „alter blauer Mantel“, der „violette Fuchspelz“, „in schreckhaftem Orange beispielsweise, in weißem, wie mit Deckfarbe aufgesetzten Tupfen“, „ins Schwarzgrau einen scharfen Ruf: Gelb, Braun und Weiß,“ „und Erdgrün“, „sein graues Auge“, „helläugig, mit blauem Gesicht“, „schwere, graugrün gestrichene Türen“, „ein grauweißes, oben links leicht geflecktes Rechteck“, „das rote, längliche, sauertöpfische Gesicht“, „weiße Ringe“, „eine milchige Sonne“, „das wirft gelbe und grüne Blitze übers Meer“, „ein schwärzliches Licht von der Morgensonne“, „Rotalgen, Braunalgen, Grünalgen“, „sein riesiges blauweißes Taschentuch“, „die Planken weiß schrubben“, „blaue Schatten über der See, die von grauen Bändern geteilt wurden“, „die Frau mit dem zusammengesteckten braunen Haarkranz“, eine „niedrige, dunkelgrün gestrichene Decke“, der „Sonnenuntergang Rot und Grün“, „statt Orange – Violett“, „die gewohnten Farben: weißgrau und ziegelrot“, „aschblondes Haar“, ein „brauner, abgeplatteter Daumen, „schwarzes Brett“, „braune und sandfarbene Staubmäntel“, „Flaschengrün und Schwarzblau“, „seine blaue Fahne“, „rot eingekastelt“, ein „silbergrauer Kajak“, „Gesichter auf zerlaufenem Silber“, „wäßriges Blau“, „dunkle Naturgeister“, „gelbe Verderbnis“, „Farballergie stop Braun“, „Mann im roten Mantel“, „grünweiß geflammte Furcht“, „die blaue Grundierung, um das Rot des Mantels daran zu brechen“, eine „schwarze, winterliche Nordsee“, „Dittes grauer Bubikopf“, „weißes öliges Zeug“, „graue Augen, klein und kalt“, „ein braunes Ungetüm von Kommode“, „bläuliche Metallflecken“, „Rot auf Weiß und Grün auf Weiß“, „mehlweiße Heringe“, „gelb und braun glänzend vor Fett“, eine „braune Schüssel“, ein „rotleuchgtendes Papierstück“, „grüne Gesichter“, „schiefe und schwarze Münder“, „grüne Gesichter“, „eine Schale mit bräunlichem Apfelmus“, „einige rote und grünweiße Schnipsel“, „rote, grünew, weiße und blaue Flocke ließ er niederregnen“, „blaue Meereskarten“, „graue Modellflotten“, „Rot bestätigte Blau. Weiß brachte Grün in Aufruhr, Braun behauptete sich gegen Grau. Ein brauner gekrümmter Zeh“, „eine schwarze Jacht“, ein „roter Kugelbaum“, „eine rote Glocke“, „unter der grauen Last“, „mit einem schweren grünweißen Körper“, sandgrauer Strand“, „die schwarze, winterliche Nordsee“, „eine ins Blaugrün spielende Welle“, „ein düsteres Braun“, „braune Augen“, „torfbraunes Wasser“, „meine schlammbedeckten Schokoladenbeine“, „ins Bläuliche spilenmder Schlamm“, „schwarz geteerte Bordwände, mit gebleichtem Ducht, die von Mövendreck bespritzt war“, eine „schwarze Schubkarre“, „schwarzweiß gefleckt, grau, verzottelt“, der „grünbraune Wulst“, „braune Torftürme“, eine „ins Schwarze übergehende Wand“.

 

 

„Das rote Ziegelhaus“, „auf der grauen Couch“, „Das braune gutmütige Büfett“, „weiße Tage“, „rothaarig“, „ein schwarzer Rock und ein schwarzer Lackgürtel“, „ein großes beleidigteKüken aus gelbem Stoff“, „mit dem schäbigen blauen Mantel“, „sein Gesicht war grau“, „der rostrot getünchte, lange unbenutzte Stall“, „die gekalkte Stallwand“, „das schwarzweiß gefleckte Fell“, „mit grauem Haarnetz“, „mit eisgrauem Haar“, „schwarzweiße Kreisel über die Stirn“, „schwarze, übereinanderliegende Baumstämme“, „das dunkelgrüne Auto“, „der kleine braune Koffer“, „die mausgraue tanduhr“, „in grünem Licht“, „ein unaufhaltsames Braun“, „ein Braun mit schwarze Streifen und grauem Rand“, „seine grauen Augen“, „mein grün gestopfter Pullover“, „die schlammgraue oder tonfarbene Einöde“, „graue Tümpel“, „gelbliche Schaumhügel“, „der rotblaue Ring“, „Blau vor Grün, Blau vor Sandbraun“, „ein tongraues Gebiet“, „bis zum roten Leuchtfeuer“, „weiße Stifelkuppen“, „eine grüne Bohne“, „schon braun“, „noch als grün, hatten jedoch schon gelbbraunen Schimmer“, „Bleifarbe“, „Ziegelrot im Blickfeld“, „diese Ebene, grün, geld und mit braunen Streifen, „mit schwarzen Früchten“, „gebräunt“, „weißblaues Gewölk“, „braungrünes, fettig schimmerndes Ölpapier“, „schwarzer Strom“, „unterschiedliche Brauntöne“, „Spuren im Schnee, schwarz und ohne Herkunft“, „blaue Zaunlatten“, „“bißchen olivfarbener Hintergrund“, „ein kleines, rotes Leuchten“, „die graue, harte, nächtliche Juckreize hervorrufende Decke“, „das violette Kleid“, „in Grün“, „sondern in Gelb“, „Widerstand des schwarze, gestauten Wassers“, Schwarz glänzend die krummen Bäume“, „Die Tünche – weinrot und weißgrau“, „von grauem Haar eingeschlossen“, „die grauen Augen“, „mit dem silbernen Bartkranz“, „schwarzes Seidenkleid“, „schwarze Strümpfe, schwarze Überschuhe und der schwarze Tuchmantel“, „weißlicher Schleier“, „Rotziegel“, „Schwarz stand ihr gut“, „in schwarze Gruppen“, „ein dunkler, hoffentlich kratzender Strickanzug, „keine Rotdrosseln“, „rostrot getünchte Tür“, „braungelacktes Holz“, „weißes Kleid, weißer Spangenschuh“, „graue Kleider“, „mit schwarze Rissen im Nacken“.

 

 

„Dünnes weißliches Wurzelwerk“, „“die Erde schwarzbraun“, „die gelben Türme“, „der so rot angelaufene Mann“, „seine safrangelbe Joppe“, „seine mit schwarzem Isolierband geflickte Pfeife“, „die sattgrüne Erhebung“, „das schwere Grün, das glühende Rot der Gehöfte“, „in Streifen roten, gelben und schwefligen Lichts“, „Ocker- und Zinnobertöne am Himmel“, „schwarzweißgefleckte Tiere“, „unter weißlichen Atomstößen“, „das rotblonde Haar“, „einer der aschgelben Heringe“, „Eiszapfen zeigten im Zerspringen, daß sie gefärbt waren,  rot und gelb vor allem“, „grüne Hügel“, „grau im Gesicht“, „ein grüner, olivgrüner Panzerspähwagen“, „eine schwarze Baskenmütze“, „rötliches Kraushaar und zwei rötliche Sterne auf den Schulterklappen“, „olivgrün“, „in dem braunen, kurzärmeligen Kittel“, „die olivgrüne Masse“, „unter der grünschwarz gestreiften Decke“, „“mit brandrotem Fuchspelz“, „Die linke Gesichtshälfte in kraftlosem Rotgrau, die rechte Grüngelb, der Grund rötlich fleckig“, „durch bläuliche Schleier“, „die weißlich schimmernde Stirn“, „das schattige Blau über dem Nasenrücken“, „Rotgrau und Gründgelb“, „Dies innenlichtige Blau“, „in diesem Blau“, „hier rotgrau, dort grüngelb“, „das Blau“, „blau bewimpelt“, „grauweiße Stulpen“, „weiße Fahnenstange“, „weiße Schürze“, „Rotziegel“, „mit dem weißen Vogelbauer“, „auf dem torfbraunen Weg“, „schwarz vor eingefallenen Staren“, „bläulicher Schlamm“, „weißlicher Dunst“, „die beiden olivgrünen Autos“, „“etwas Blaues“, „bei schwarzem Himmel“, „aus grünblauer Tinte“, „verloren unter Grau“, „wenn milchiges Weiß auf sie fiel“, „ihre gespreizten braunen Beine“, „im blauen Kittel“, „der blaßgrüne Unterrock“, „von dem sämigen, honigfarbenen Shampoo“, „eine dunkle Brühe“, „Das rötliche Licht“, „ein Strauß von gelben und roten Leuchtkugeln“, „Torkelnder Aschenregen vor weißgrauem Himmel“, „mit dem braunen, rot unterfeuerten Finger“, „die gelben Propheten“, „die grüne, verschlagenen Marktleute“, „das ganze phosphoreszierende Volk“, „“mit ihren leicht grüngoldenen Händen“, „ihren eisgrauen Augen“, „mit seinen gelblichen, starken Zähnen“, „die braune, grobe Decke“, „der Mann im roten Mantel“, „ein brauner Umschlag“, „unter einem roten Himmel“, „auf die blaue Musterung“, „unter dem roten Himmel, mit offenem Haar“, „zwei gelbliche Tabletten“, „diese dünne goldene Kette“, „das dünne, aschblonde Haar“, „in dem schwarzen, lackglänzenden Regenmantel“, „“wachsgelbe Haut“, „die Frau in Schwarz mit dem breitkrampigen schwarzen Hut“, „lila Schimmer im Haar“, „das Mädchen im Lederrock mit dem seegrünen Pullover“, „die flache Rothaarige, deren Beine mit roten Pickeln besetzt waren“, „an grünen Schnüren“, „Ihre Sehschlitze waren erdbraun“, „gelbe Baumaschinen“, „bis zur Verkehrsampel, die zeigte noch Grün“, „Rotweinflaschen“, „die grünen Schriftzüge“, „hellblau gestrichene Seekisten“, „auf weißgraue Papper gezogen“, „goldene zuckende Ränder“, „Schwarz und Weiß, ein schwarzer Winkel“, „ein verwinkelter, schwarz gekleideter Mann“, „ließ Blau durch Gelb zucken, ließ Weiß in schimmerndem Grün explodieren“, „das grüne Gesicht“, „ein untersetztes schwarzhaariges Mädchen“, „Die roten Flecken“, „tanzten rote Flecken auf mich zu“, „die Schnipsel des roten Fahrradschlauchs“, „die vergilbte Tapete“, „rotweißgewürfelte Bauerngardinen“, „schwarzes Haar, trägt ein schwarzes Hemd“, „der Stoff seiner schwarzen Hose“, „die silbernen Knöpfe“, „die schwarzgrauen Hefte“, „Grünkohl, Rotkohl, Weißkohl“, „die grauen und gifgrünen Rauchschwaden“.

 

 

 

„Viel Farbe, Atmosphäre, Detailversessenheit“ – Thomas Pynchons  „Hippiephanien“:

Ähnlich wie in seinem berühmten Werk  „Die Enden der Parabel“ schwelgt Thomas Pynchon auch in seinem vorletzten Roman „Natürliche Mängel“ (2010) in allen möglichen und unmöglichen Farben. Das beginnt auf Seite elf  „mit der dunkelroten psychedelischen Birne“. Es folgen:“Chinesischrot, Chartreusegrün und Indigoblau“, „Ultraviolet“, „Aquamarin“, „Grün und Magenta“, „fuchsienrote Plastikpolster“, „tropisches Grün“, eine „Asiatin in türkisfarbenem Cheongsam“, eine „Blondine in türkisblauem und orangenem Leuchtfarbenbikini“, „Schwarzlichtsuiten mit fluoreszierendem Rock’n Roll-Postern“, „indigofarbenes Licht“, „eine Vielzahl von Farbtönen, darunter Rotbraun und Blaugrün“, „Orange County“, „Luz in voller Farbenpracht“, „schwarze Extremistengruppen“, eine „flaschengrüne, phosphoreszierende Brandung“, „eine knallgelbe Mondsichel“, ein „kastanienbrauner Auburn mit Innenausstattung in Walnußholz“, „Schwarzweißfernseher“, mit „grell aquamarinblauen Plastikhalmen“ als Dekoration, eine „Lagunenlandschaft in psychedelischen Farben“, eine „Farbe“ -wechselnd „zwischen Orange und einem intensiven Pink“, sich „mehr ins Ultraviolette veränderndes Licht“, ein „Goldener Fang“, eine „Strandbude mit lachsroten Wänden und aquamarinblauem Dach“, ein „Kimono in Grün und Magenta“, ein „verschwommener weißer Fleck“, „ein kastanienbrauner 289er Mustang“, ein „seltsam leuchtendes bräunliches Gold“, eine „in Ektrachrome Commercial gefilmte sonnige Szenerie“, ein „roter SS 369“, eine „Kluft im Narzissenton“, „Rote Haare“, eine „grüne und fuchsienfarbene Lunchroom-Nische“, ein „pinkes“ und ein „giftgrünes“ Telefon, „eine scheckige Lackierung aus stumpfem Olivgrün und Grundierungsgrau“, „lila Scheiß“, „White Rabbit“, ein „so weißer Anzug, dass der Rolls daneben schmuddelig aussah“, ein „Kleines Schwarzes aus den Fünfzigern“, eine „braune, helle Ferne“, „farbige Perlen in Erkältungskapseln“, „jede Farbe stand für ein anderes Belladonnaalkaloid“, „päckchenweise Purpurwindensamen“, „schwarze Wolken“, „nicht einfach dunkelgraue, sondern mitternachtschwarze, teergrubenschwarze, noch nie dagewesene Kreis-der-Hölle-schwarze“ Wolken, „blaugrünes Licht“, ein Anzug in „ultravioletter Samtfarbe“, eine  „himbeerfarbene Krawatte“, ein „hoher brauner Glaszylinder“, „mit hellroten Plastikstopfen verschlossen“, „ein in vielen verschiedenen, ‚psychedelischen‘ Farben gestreiftes Minikleid“, eine „weiße Braut“, „eine sinistre indigofarbene Flüssigkeit“, „das weiße Gleißen von Hollywood“, „rote Ampeln“, „Dafür sind die ganzen Farben da, Mann?“, ein „Mercedes – nur in einer Farbe lackiert, Beige“, „jede Farbe, die wir am Lager haben, einschließlich Metallic“, „Purpur mit dunklerem Goldton“, „aus der Mode gekommene Brauntöne“, „ein kalifornischer Weißwein – weißer als der mit diesem kränklichen Geldton“, „ein interessanter blauer Fleck auf Petunias Bein“, „eine weitere Kurzhaarperücke, ein kastanienbraunes Ding mit Seitenscheitel“, eine „Hornbrille von blasser Farbe“, „aus der indianischen Überdecke ausgelaufene rote und organge Farbe“, „unansehnliche Papierstapel in unterschiedlichen Größen und Farben“, „beinahe die Farbe von Rauch aus einer defekten Zylinderkopfdichtung“, „Schwarzarbeit“, „Schwarzmarkt“, ein „hellroter 69er Camaro“, „Bettwäsche in Leopardenfellmuster“, eine „japanische Dose aus schwarzlackiertem Holz“, ein „grellgrüner Saguarokaktus“, „eine Krawatte mit Tausenden oder Hunderten magentafarbener und grüner Pailletten bestickt“, „schwarze Revolutionäre“, „mit braunen Anzügen bekleidete Organe der Rechtspflege“, ein „schwarzer Cowboyhut“, „schwarze Assen und Achten in der Pokerhand“, „rote Vinyl-Minikleider“, „schwarze Fischnetzstrümpfe“, „weiße Bräute“, ein „Minikleid aus weinrotem Samt“, „Teppiche von sattem Königspurpur“, „schwarzweiß Gekleidete“, eine „Cocktail-Lounge, möbliert in purpurfarbenen, von Glimmerpünktchen akzentuierten Resopaltönen“, ein „schwarzer Chip“, „90% Silber“, „winzige bernsteinfarbene Lichtkegel“, „großer Ärger in braunen Schuhen“, „in einem weißen Anzug“, „Glasspiralen, die in einem unirdischen purpurnen Schimmer pulsieren“, „Toilettenpapier in verschiedenen Modefarben und psychedelischen Mustern“, „Spektralstreifen, die sich nach vorne hin zu Blau veränderten“, „Lichtpunkte, die sich in der vom Rückspiegel gerahmten schwarzen Ferne rötlich verfärbten“, „fast kugelförmige hellrote Felsen“, eine „schimmernde schwarze Handfeuerwaffe“, noch ein „Schwarzweißfernseher“, ein „schwarze Liste“, „die Psychedelischen Sechziger, diese kleine Parenthese aus Licht“, „Screaming Ultraviolett Brain“, die „Buntheit der Pizza-Zutaten“, „gefängnisrosa gestrichene Wände, ein Farbton, von dem man damals annahm, er wirke auf Anstaltsinsassen beruhigend“, „sein Gesicht erblasste trotz des rosa Widerscheins hier drin zu einem alarmierenden Weiß“, „lebensgroße Plastikfiguren gemeingefährlicher Schwarzer“, „Buntglas“, „knallgrüne Kohlblätter“, noch ein „weißer Anzug“, „schwarze Fedoras“, „Der Zauberer von Oz (1939) im Farbfernseher“, „der Film fängt Schwarzweiß an, oder vielmehr braunweiß, wird dann aber farbig“, „Ihre ’normale‘ Kansasfarbe wird zu einer sonderbaren Hyperfarbe, die unsere Alltagsfarbe so weit hinter sich läßt, wie Technicolor Schwarzweiß“, „was hat das mit ihrer Farbwahrnehmung zu tun?“ „das Foto war in so komischen Farben abgezogen“, sie trug eine „veilchenblaue Kluft“, „ein weißer Detektiv“, eine „Weißbacke“, „die schwarzen und weissen Insassen“, das „grüne Zimmer von San Quentin“, „ein schwarzer bewaffneter Aufstand“, „ein Haufen von weißen Zahnärzten“, „silberne Plastikreproduktionen“, „ein sehr grüne künstliche Hecke“, „modulare Grüner-Zweig-Imitate“, eine „Freakmähne von sattem Rot“, „dieses Gerede von schwarzer Apokalypse“, „ein roter Faden“, „ihre Gesichtsfarbe“, „China White“, „ein mexikanisches Hemd, blassrot mit einer orangen Stickerei“…

 

 

„Dunkler als früher“, „Schmutzigblond“, „platinblond“, „knallrot im Gesicht“, „ein himmelblauer Anzug“, „tückisch spitze, goldene Eckzähne“, „blaue Flecken“, „wasserstoffblonde Mösen“, „diverse rotangehauchte Drecksäcke“, „rote Brüder“, „stark gesättigte grüne und magentafarbene Staubwolken“, „ein „blauer Stahlvorhang“, „gleißendes Quecksilberdampflicht“, „auf den Plastikschichten traten winzige Farb- und Lichtmodulationen auf“, „dunkle Reste von Blut und Verrat“, „ein Streifen, klar und leuchtend“, „das letzte aprikosenfarbene Licht flutete landwärts“, „gebräunte Titten in Übergröße“, „viel düsteres Holz“, „farbige Lampen“, „sich in kleine Farbklümpchen auflösende Bilder“, „eine Palette wettergebleichter Farben, wie eingetrocknete Kleckse in einer wenig frequentierten Eisenwarenhandlung“, „ein Paar grünliche Punkte“, „Petunia, heute in blassem Fuchsienrot“, „der gelbe Schulbus-Fuhrpark in Palms“, „die stille Weiße vor ihm“, „eine ruhelose Blondine in einem Stingray“… Das sind die Farben in Thomas Pynchons „psychedelischen Krimi“. Er  spielt in Südkalifornien im Surfer- und Hippie-Milieu während des Vietnamkriegs 1969 – und ist zwar bunt, aber seine Farben sind noch blaß im Vergleich zu seinem „Jahrhundertroman“ aus den Achtzigerjahren: „Die Enden der Parabel“, der im Zweiten Weltkrieg spielte.

 

 

 

Anmerkungen:

(1)  In dem taz-blog „Tischgespräch“ findet sich folgender Eintrag (am 14.9.2012): „Ich studiere immer alle Zutatenlisten ganz genau auf tierische Inhaltsstoffe und habe wahrscheinlich trotzdem in der letzten Zeit Gelatine und Schweineborsten gegessen. Denn leider finden sich in vielen Produkten versteckte Tiere, ohne dass dies auf der Verpackung angegeben werden muss…“

 

Hier noch eine kleine Rezension:

Einige Gorilla- und Schimpansenschutzgebiete in Mittelafrika liegen inzwischen in Bürgerkriegszonen. Das macht dem „Wild Life“-Tourismus und der Feldforschung gleichermaßen zu schaffen, wie die Naturschutzverbände melden. Der Roman „Brazzaville Beach“ des in Ghana und Nigeria aufgewachsenen Autors William Boyd spielt zu einem großen Teil auf einer solchen Schimpansenforschungsstation. Dorthin hat es eine englische Ökologin verschlagen, nachdem ihr Mann, ein Mathematiker bei der Suche nach einem Algorithmus für Turbulenzen gescheitert – d.h. irre geworden war und Selbstmord begangen hatte.

Hier – in London – die abstrakteste Mathematik, dort in Afrika die konkreteste Wissenschaft – die Beobachtung. Dabei wird sie Zeuge dessen, was der Primatenforscher Boesch neulich wieder der Süddeutschen Zeitung steckte: „Die Zwischengruppen-Aggression bei Schimpansen und die primitive Kriegsführung beim Menschen weisen verblüffende Ähnlichkeiten auf.“ D.h. bei jeder kriegsführenden Partei, bei der es sich nicht um bloße Befehlsempfänger eines Staates handelt. Insofern ist der 1990 veröffentlichte Bestseller von Boyd aktuell. Die Menschenaffenforschung ist unterdes jedoch schon weiter: Hier geht es jetzt vorwiegend um Empathie, Altruismus – Nächstenliebe etc..

 

 

 

Und hier zwei aktuelle Leserbriefe:
Liebe Tazler!

Am Samstag haben in Berlin 25.000 Menschen unter dem Motto „Wir haben Agrarindustrie satt“ für eine Agrarwende demonstriert! Und darüber ist heute nichts in den Medien zu lesen, auch in der Taz nicht! Das darf nicht wahr sein, dass so ein Hampelmann wie Phillip Rösler oder solche blödquatschenden Politiker mit einem zu Symbolwert verkommenen Akt namens Wahl wichtiger sind, als eine ebenso demokratische Äußerung wie eine Wahl, nämlich eine Demonstration. Der Ausverkauf unseres Planeten, hungernde Menschen zeitgleich zu überquellenden Supermarkt-Mülltonnen und mit Agrosprit aus Getreide angetriebenen Autos müssen uns vor Augen geführt werden! Keine zentrale Demonstration erreicht ohne die Berichterstattung unabhängiger Medien Öffentlichkeit! Und dass Ilse Aigner gerade wieder ungestört mit der Agrarlobby auf der Grünen Woche ihre Menschen- und Naturverachtenden Deals aushandeln kann, darf nicht unter den Tisch fallen! Wir brauchen eine Agrarwende zu klimafreundlicher kleinbäuerlicher ökologischer Landwirtschaft, zu fairer Subventionsvergabe gebunden an ökologische, soziale und Tierschutzkriterien, zu Ernährungssouveränität und zu globaler Solidarität anstatt Armutsschaffender Exportsubventionen und Lebensmittelspekulation. Ich jedenfalls werde dieses Jahr wieder mein eigenes Gemüse anbauen und mit jeder Möglichkeit versuchen, das bestehende System zu untergraben, bis es überflüssig geworden ist.
Vielen Dank!
Mit empörten Grüßen,
Laurin Berger, aus Königswinter
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Liebe Tazler,
Es gibt über die Jahrhunderte viele Stimmen kluger, einfühlsamer Menschen, die den Vegetarismus als eine neue, erforderliche  Zivilisationsstufe der Menschheitsentwicklung betrachten. So meint schon Leonardo da Vinci: „Es wird ein Tag kommen, an dem die Menschen über die Tötung eines Tieres genauso urteilen werden, wie sie heute die eines Menschen beurteilen. Es wird die Zeit kommen, in welcher wir das Essen von Tieren ebenso verurteilen, wie wir heute das Essen von unseresgleichen, die Menschenfresserei, verurteilen.“ 
Oder Wilhelm Busch: „Wahre menschliche Kultur gibt es erst, wenn nicht nur Menschenfresserei sondern jede Art des Fleischgenusses als Kannibalismus gilt.“
Auf der anderen Seite gibt es Leute, die in der Entfaltung ihres zivilisatorischen Menschseins zurückgeblieben sind. Ihr Mitgefühl ist verkümmert oder gar nicht vorhanden. Zur Befriedigung ihrer Lust sehen sie kein Problem darin, anderen Lebewesen den Hals umzudrehen. Auch ihr Verstand ist nicht in der Lage, die Tragweite ihres egoistisch-rücksichtslosen Verhaltens zu durchschauen.
Die Frage ist, warum die taz diesen Geschmacksnerven gesteuerten Egomanen ein Forum bietet. Um dieses redaktionelle Fehlverhalten zu korrigieren, sind nun mehrere Beiträge von Hilal Sezgin fällig, die erklärt, warum es kein „gutes Fleisch“ gibt, genau so wenig wie einen „guten Mord“, und erzählt, wie wir angemessen mit unseren tierischen Verwandten umgehen. 

Otto Ullrich
Berlin
Farbenfroh. Photo: jbn (jugendorganisation bund naturschutz)

Aus der  taz vom 12. Januar 2013:

Die Rosa-Luxemburg-Demonstration soll so etwas wie eine linke Herrschau sein. Aber die eher staatsmarxistisch orientierten Ostler und die basisdemokratisch inspirierten Westler sind noch nicht unter einen Hut zu kriegen. Die taz ist – zusammen mit der von Sartre gegründeten „Libération – ein Projekt der „Spontiscene“, die heute nicht mehr so heißt und auch keine „Scene“ mehr ist. Das gilt grob auch für  die anderen damaligen linken Gruppen, ob leninistisch, trotzkistisch oder maoistisch ausgerichtet. 1978 hatten sie noch ihre eigenen „Theorieorgane“ und Zeitungen. Eine – der „Arbeiterkampf“ (ak) heißt heute „Anlyse % Kritik“. Bis heute erhalten haben sich auch die anarchistischen Periodika – „graswurzel“ und „Direkte Aktion“ (DA) z.B. sowie das immer noch „illegale“ Autonomenblatt „interim“. Während die einst staatstragenden Blätter „Junge Welt“ und „N.D“ nun legal autonom geworden sind, ihre Orientierung auf die Arbeiterklasse jedoch beibehalten haben.

Das „projekt tageszeitung“ setzte von Anfang an auf eine Art antikoloniales „Patchwork der Minderheiten“ (J.-F. Lyotard). Die Stoßrichtung aller sozialen Bewegungen, deren Teil man war, zielte auf eine grundumstürzende  Veränderung der warenproduzierenden Gesellschaft – theoretisch bis zur Kritik an der Zeitlosigkeit des naturwissenschaftlichen und mathematischen Wahrheitsbegriffs, und praktisch bis zur Aufhebung der Trennung von Hand- und Kopfarbeit. Wolfgang Müller, Autor des gerade erschienenen Readers „Subkultur Westberlin 1979-1989“,  sprach zu Haus- und Instandbesetzerzeiten von den „Genialen Dilletanten“. Im „Fischbüro“, aus dessen Keller 1989 die Love-Parade kroch, wurde der Forschungsbegriff entsprechend ausgedehnt. Ein typischer Dialog am Tresen dort ging so: „Machen wir noch eine Bierforschung oder eine Nachhausegehforschung?“ „Ich muß erst mal eine Dönerforschung machen.“  Zwar konnte nach den neoliberalen „Reaganomics“ kaum noch von „Gesellschaft“ die Rede sein, wohl aber von einer Warenproduktion, die immer endzeitlichere Formen annimmt.

Die aus der „Spontibewegung“ hervorgegangenen „Realogrünen“ stimmen inzwischen in so ziemlich allen Parlamenten mit, aber dies ist zugleich mit einer Abkehr von radikaler  Gesellschaftskritik und allem, wofür sie früher standen, verbunden. Erfolg versprechen fürderhin vor allem Single-Point-Movements. Inzwischen spricht  man wie selbstverständlich von „NGOs“. Jean Baudrillard beobachtete bei der Linken nach 1989, da aus Gegnern plötzlich „Partner“ wurden, einen allgemeinen shift – weg von den „harten Ideologien“ (Klassenkampf, Diktatur des Proletariats)  hin zu den „weichen“ (Menschenrechte, Ökologie): „Sie  finden gleichzeitig den Weg zur poetischen Pose des Herzens und zum Geschäft.“

Daniel Cohn-Bendit erklärte auf dem  taz-Kongreß 2012: „Soziale Bewegungen sind notwendig, aber sie kommen und gehen,  wie Ebbe und Flut, deswegen braucht es eine Partei, wie die Grünen, um deren Forderungen durchzubringen – bis in die europäische Gesetzgebung.“

Die Partei „Die Linke“ und die „Piratenpartei“ interpretieren ihren „Wählerauftrag“ ähnlich. So verhandelte die Kreuzberger PDS einmal mit der der autonomen Spaßpartei „KPD/RZ und die dissidentische Bohème des Prenzlauer Bergs übernahm gleich die dortige PDS – und das eigentlich schon Jahre vor 89. Die Berliner „Piraten“ beauftragten jüngst einen Mitarbeiter sozusagen vollamtlich, sich der Mieterbewegung – „Kotti & Co“, „Anti-GSW“ etc., – anzunehmen.  Während die vielen Kneipen- und Buchladenkollektive und nicht wenige Galerien sowie Veranstaltungszentren nur sporadisch linke Themen, wenn sie ein gewisses Erregungspotential offenbaren, zu einem „Diskussionsabend“ machen. Umgekehrt haben die Kapitalmedien US-Initiativen wie „Attack“ und „Occupy“ sofort zu globalen Bewegungen/Ereignissen erklärt. Zwar wollte eine Aktivistin aus dem Occupycamp dann auch mir ein Interview gewähren – „aber nicht für die taz“.

In einer „Medien- und Informationsgesellschaft“, in der die Softwareentwicklung eine immer größere Wertschöpfungstiefe erreicht und die Überwachungsdienste mit Nerds wie den Chaos Computer Club um die besseren Algorythmen wetteifern, sollte man die Öffentlichkeit aber vielleicht sowieso nicht mehr suchen, sondern sie eher meiden, um erst einmal etwas „Soziales“ zu entwickeln. Das scheinen z.B. die Neuköllner „Lunte“-Truppe, aber auch die „Berliner Jour Fixe Initiative“, die Antipsychiatieaktivisten und die „Freunde der klassenlosen Gesellschaft“ so zu halten, die höchstens einmal im Jahr eine öffentliche Diskussion anzetteln. Diese werden aber in gewisser Weise ergänzt durch die „Event“-Maschinen der staatlichen Kunst- und Kultureinrichtungen – die inzwischen auch fast alle den e.e. „weichen Ideologien“ anheim gefallen sind. Erst recht gilt das für die wissenschaftlichen Institutionen, in denen manchmal sogar noch Theorie und Praxis verbunden wird: Bei den Biologen an der Humboldt-Universität z.B., indem diese sich der landesweiten Protestdemonstration gegen die industrielle Landwirtschaft anschließen.

Auch am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung verficht man einen gewissen „Anti-Darwinismus“. Aus fast allen staatlichen Lehrinstituten kommt gelegentlich  politisch Interessantes. Der Leipziger Philosoph Peer Pasternak, der kurzzeitig Berater des Berliner Kultursenators war, ist der Meinung, der Staat habe auch eine  marxistisch-leninistische Forschung zu dulden – und damit zu finanzieren. Der philosophische Theoriestar Zizek und die  Berliner Textmaschine Dath kreierten  schon mal außeruniversitär so etwas wie einen „Pop-Leninismus“.

Im übrigen enthusiasmierten 2011 die Aufstände der gebildeten Jugend und der Frauen in den arabischen Ländern natürlich auch die hiesigen  Arabistik-Studenten und -Dozenten. Was bis schon bald eine ganze Reihe von Diskussionen und „Soli-Initiativen“  „generierte“, wie man heute gerne sagt.

Gleichzeitig ergriff – jedenfalls in Berlin – ein gesunder Hang zum „Reduktionismus“ in der Lebensführung, ein Kümmern um sich Selbst, die kritischen „Massen“, wie man sie zu nennen pflegte. Einhergehend damit waren immer mehr Linke sich nicht mehr sicher, ob die warenproduzierende Gesellschaft und ihre „Realabstraktionen“ überhaupt umgestülpt gehören. An die Stelle einer politökonomischen trat eine ökologische Utopie. Sie personifiziert sich u.a. in den 7 Millionen deutschen Vegetariern – mehrheitlich Frauen. Das geht so weit, dass sich im Bewegungs-„Haus der Demokratie“ in der Greifswalder Straße „Nichtraucherverbände“ einquartierten. Als aber auch noch die Spandauer „Glühbirnen-Verbots-Befürworter angewackelt kamen, war der basisdemokratische Bogen doch überspannt.

In Summa: Es wimmelt weltweit von kleinen und größeren Protest- und Reformbewegungen. Im Osten geht es dabei jedoch eher um die Essenz – im Westen um die Existenz. Ähnliches gilt für die anschwellende Theorieproduktion, die hierzulande nicht selten nur dem Autor weiter hilft. Aber sie hilft! Da drunter breitet sich jedoch ein diffuses Gefühl aus, dass es nicht mehr lange so weiter gehen kann. Man erkundigt sich schon mal, wie Kartoffeln angebaut werden. Eine Gruppe junger Linker aus Indonesien gelangte bei ihrer teilnehmenden Beobachtung der „1.Mai Krawalle in Kreuzberg“, die sie bis dahin bloß aus CNN-Berichten kannte, zu der Einschätzung: „Das ist ja alles nur Spiel. Selbst die Hubschrauber…“

Photo: facebook.com

 

Die Reduzierung der Arten betrifft auch die menschlichen Kulturen, auch die Diversität den Denkens gilt es zu erhalten…

In einer Diskussion der Akademie der Wissenschaften in Potsdam über Gemeinsamkeiten zwischen Kunst und Wissenschaft, ich wiederhole es hier noch einmal,  intervenierte eine Physikerin mit dem „Satz der Identität in der Logik – A gleich A: „Da raus zu kommen“, das sei doch  „die wirkliche Aufgabe der Kunst.“ Sie wollte damit sagen, dass  Kunst und Wissenschaft ihre Erkenntnisse auf verschiedenen Wegen erreichen – einem der der sinnlichen Intuition nahekommt, und einem, der ihr ferner liegt. Diese Unterscheidung traf bereits Claude Lévi-Strauss in seinem Buch „Das wilde Denken“ – in bezug auf eine indianische „Wissenschaft des Konkreten“ und „unserer Wissenschaft des Abstrakten“.

Für letztere gilt inzwischen als gesichert, dass die Entstehung und Entwicklung der modernen Naturwissenschaft historisch der Entstehung und Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise zuzuordnen ist. Die moderne Naturwissenschaft bildet die intellektuelle Vorbedingung zur Schaffung der modernen Technik, vornehmlich der Produktionsapparatur. Für den Erkenntnistheoretiker Alfred Sohn-Rethel finden sich die „Vorstadien“ des Frühkapitalismus (im 16. und 17.) schon in der Renaissance: „Gestalten wie Leonardo da Vinci und Albrecht Dürer scheinen geradezu auf der Schwelle beider Zeitalter zu stehAuf der einen Seite sind sie noch Handwerker und Künstler, die die Natur sinnlich studieren und sinnlich darstellen durch das Geschick ihrer Hände in der Handhabung ihrer Werkzeuge und Materialien; auf der anderen Seite sind die selben Männer konstruktive Ingenieure, die für ihre Aufgaben Lösungen in abstrakten Begriffen und im unsinnlichen Medium der Mathematik suchen. Die Verbindung von Mathematik und Experiment ist hier jedoch noch tastend und wenig wirksam…“

Lévi-Strauss sieht den Gegensatz zwischen einer neolithischen (konkreten) und einer modernen (abstrakten) „Wissenschaft“ personifiziert im Bastler (Bricolleur) und im Ingenieur. Albrecht  Dürer verkörperte noch beides, wollte jedoch die absolute Trennung von Hand- und Kopfarbeitern nicht mitmachen, deswegen verfaßte er für seine Handwerks-Lehrlinge zwei Lehrbücher, in denen er das praktische Wissen und die Mathematik zusammenführte. Sie machen sein eigentliches Genie aus. Aber Dürer  scheiterte damit nach zwei Seiten hin: 1. waren seinen Lehrlingen und Gesellen die Berechnungen zu kompliziert, und 2. lobten zwar die italienischen Kollegen von Dürer, Festungsbauer vielfach, seine zwei „Vermessungslehren“ über alle Maßen, mitnichten verrieten sie aber deren Inhalt an die Arbeiter und Handwerker, denn sie wurden fortan für dieses Wissen bezahlt.

In der Renaissance-Kunst selbst bahnte sich damals die Verbindung bzw. der Übergang zur Mathematik an – mit der Zentralperspektive. Dürer hat sie in seinem Holzstich „Der Zeichner der Perspektive/Der Zeichner des liegenden Weibes“ mitsamt den dazugehörigen Arbeitsgeräten zur perspektivischen Aufrasterung (Verpixelung) des Frauenkörpers thematisiert – und in seinem Buch „Underweysung der Messung mit dem Zirckel und Richtscheyt“ (1525) als Illustration veröffentlicht.

300 Jahre später wird die künstlerische  Zentralperspektive zur Herrschaftsabsicherung in die Stadtplanung überführt – in Form von „Sichtachsen“, die man durch die Pariser Innenstadt schlägt, was dann nach ihrem Planer „Haussmannisierung“ genannt wird, man nennt diese Erleichterung für reguläre Truppen beim Niederschlagen von städtischen Aufständen auch die „Artillerieperspektive“ – ein Begriff aus den Vierzigerjahren, der von  Straßenplanungsbehörden noch heute verwendet wird, wenn auch immer öfter  kritisch. Schon bei der Entdeckung der  Zentralperspektive durch die  Renaissancemaler ging es um die Artillerie: um Ballistik und Festungsbauten, die wegen der sich  verbessernden Durchschlagskraft der Waffen ständig ausgebaut und verstärkt werden (mußten), was den italienischen Künstlern/Architekten/Ingenieuren/Mathematikern Ruhm und Reichtum  einbrachte. Der venezianische Mathematiker Nicolo Tartaglia (1499 -1557) wird als „Vater“ der Ballistik bezeichnet.

In den Zwanzigerjahren dieses Jahrhunderts kritisierte der russisch-orthodoxe Priester Pawel Florenski die Zentralperspektive, die er zugunsten der Ikonenmalerei verwarf, weil jene „eine Maschine zur Vernichtung der Wirklichkeit“ sei.

Das könnte auch auf die Politik des Zentralkommittes (der Bolschewiki) gemünzt sein. Dafür spricht, dass Florenski, der als Häftling auf den Solowski-Inseln Algen erforschte – bis er 1937 erschossen wurde, gegen deren (post)monarchistische Zentralperspektive ein „synarchisches Feld“ setzte. Grund für seine „Liquidierung“ war sein 1922 veröffentlichtes Hauptwerk „Imaginäre Größen in der Geometrie“, in dem insbesondere das Schlußkapitel beanstandet wurde, weil er darin Dantes „Göttliche Komödie“ mit Hilfe der Relativitätstheorie interpretiert hatte.

Der Ästhetikprofessor Bazon Brock führte kürzlich auf einer Veranstaltung in der Kreuzberger „Denkerei“  Evolution und Mathematik bis hin zur Quantenphysik zusammen: „Der Urknall war physikalisch-chemisch – naturgesetzlich. Erst die Bakterien gehen raus aus Physik und Mathematik – sie emanzipieren sich quasi von den Naturgesetzen. Der Mensch geht dann aber wieder rein – und weitet sie aus: auf eine künstliche Natur. Das beginnt mit Pythagoras…Und endet mit 1 Punkt 1 Pixel. Aber mit der Quantenphysik ändert sich wieder alles.“

Wassili Grossman schrieb 1944 in seinem Kriegstagebuch: „Viele Panzersoldaten kommen aus der Kavallerie. Aber zweitens sind sie auch Artilleristen und drittens müssen sie etwas von Fahrzeugen verstehen. Von der Kavallerie haben sie die Tapferkeit, von der Artillerie die technische Kultur.“

Der Schriftsteller Isaac Babel wunderte sich in seinen 1926 veröffentlichten Erzählungen über die kosakische Reiterarmee von Budjonny, die er auf ihrem Polenfeldzug begleitet hatte, dass deren Angehörige die meiste Zeit des Tages mit der Pflege ihrer Pferdebeziehung beschäftigt waren. Dabei rettet sich der nomadische Krieger in die „revolutionäre Kavallerie“. Die Kosaken waren kein Volksstamm und auch keine Kaste, sondern freie Kriegergemeinschaften in der Funktion von  Grenztruppen des russischen Reiches.  Die selbe Pferd-Krieger-Beziehung finden wir in den Ethnographien der amerikanischen Indianer. Nur dass diese zur selben Zeit ausgerottet wurden. Tolstoi, der 1851 als Offizier bei den Kosaken an der Grenze zu Tschetschenien einquartiert war, hat über ihren Kriegerstolz in „Hadschi Murat“ berichtet. Weil er ihre Kämpfe als zivilisierter russischer Adliger zutiefst ablehnte, verließ ihn seine kosakische Geliebte. Bei den partisanischen Kosaken des Bürgerkriegs verändert sich nach ihrer Eingliederung und Einreihung in die Rote Armee noch einmal ihr „ganzer Eros des Krieges“, wie Deleuze/Guattari das nennen: „Der auf das Tier orientierte Eros des Reiters (über den Isaak Babel sich nicht genug verwundern konnte) wird dabei durch einen „homosexuellen Gruppeneros“ ersetzt. Durch die „Kameradschaft“, die unter Unterworfenen stattfindet – durch Staat, Militärthierarchie und Gehorsam vollständig der Selbstbestimmung beraubt. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben insbesondere sie weißrussischen Schriftsteller Ales Adamowicz und Wassil Bykau sich jahrzehntelang nur mit dem Partisanenkampf und seiner Moral beschäftigt, weil, so sagte Bykau, die Soldaten nur Rädchen in einer Maschine sind, wohingegen die Partisanen noch eigene Entscheidungen treffen können. Kürzlich hatte im Kino der Hackeschen Höfe ein Film Premiere, der auf Bykaus Partisanenstudie „Im Nebel“ basierte. Der Regisseur Sergej Loznitsa meinte anschließend: Es geht um einen weissrussischen Bauern, der von den Deutschen verhaftet und wieder freigelassen in die Ausweglosigkeit des Krieges gerät, aber er bleibt unbeirrt. „Solche Menschen gibt es heute nicht mehr. Sie sind ausgestorben.“

Ebenso wie inzwischen auch viele der „primitiven“ Kriegergesellschaften, wie in Amazonien z.B., die jede Hierarchisierung und Klassenteilung der Gesellschaft ablehnen und auf einen „ursprünglichen Individualismus“ bestehen.

 

Amazonasindianer protestieren gegen den Bau einer Straße durch einen Nationalpark. Photo: derstandard.at

 

 

 

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