So wie wir erst in den späten Neunzigerjahren gemerkt haben, dass Westberlin eine Insel der Seligen war und der angeloamerikanisch globalisierte Neoliberalismus ein pain in the ass, wird diese Punk-Parole auch langsam nur allzu wahr (Klimakatastrophen, Ukrainekrieg, Palästinakrieg, in immer mehr Ländern Rechtstendenzen, Trumpismus, Zunahme ziviler Gewaltakte, Drogenwracks, unregierbare Bereiche, Erosion des Sozialen, Vereinsamungsfurcht, Artensterben – Zukunftsängste):
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
Es hat nicht lange gedauert, bis dieser Wandspruch von Wien nach Passau wanderte, aber man hat sich doch gewundert…
.
.
.
„Deutsche Dunkelheit“
1943 erschien in den USA ein Buch mit dem Titel „Ist Deutschland unheilbar?“, zuvor hatte der Autor, ein Psychiater namens Richard M. Brickner, bereits einen Aufsatz über die deutsche „Paranoia“ veröffentlicht (die später auch als „German Angst“ bezeichnet wurde). Deutschland war für Brickner „ein Kind, das sein Gefühl des Versagens, das mittelalterliche ‚Reich‘ durch Reform oder Revolution in die Gegenwart zu transformieren und damit zu eigener Identität zu kommen und Staat zu werden, durch Aggressivität gegen sich und andere zu kompensieren versuchte,“ schreibt der Leipziger Künstler Lutz Dammbeck in seinem Buch „Seek“, das der Entstehung und Ausweitung der militärischen Elektronik in das zivile und künstlerische Leben der USA bis zur „Pax Americana“ nachgeht.
In seiner Ferndiagnose für Deutschland stellte Brickner den „friedlichen und auf Kooperation bedachten Balinesen“ (die 1935 von der mit Brickner zusammenarbeitenden Anthropologin Margaret Mead studiert worden waren), ferner den „Indianern und anderen ‚Naturvölkern‘ den preußischen Junker gegenüber: das Schreckgespenst einer Kaste, die mit ihrer Aggressivität, Arroganz und Militanz die deutsche Kultur dominierte und von klein auf erzogen und trainiert wurde, Krieg zu führen.“
Schon seit langem hatte man das von den Junkern beherrschte Ostelbien mit der Plantagensklaven-Ökonomie der Südstaaten verglichen. Und bis heute hat sich der Süden der USA nach dem Sieg des Nordens und seiner „Reconstruction“ nicht wieder ökonomisch erholt.
Ähnlich in Ostelbien: Nach Auflösung der DDR wurde ihr deindustrialiertes Territorium mit einem gigantischen „Umschulungsprogramm“ überzogen: „Sie müssen lernen, sich besser zu verkaufen,“ hieß das Erziehungsziel in ihrem zu einem „Marktstaat“ umgebauten Sozialismus. Gleichzeitig erhielten die Junker bzw. ihre Erben preisgünstig ihre Ländereien und Gebäude im Osten zurück, einschließlich vieler volkseigener Wälder.
1944 diskutierte eine Konferenz in New York die Bricknersche „These von einer kollektiven Paranoia der Deutschen“, dabei wurde ein großes Programm zu ihrer Umerziehung („Reeducation“) entworfen. Die meisten Teilnehmer (Psychiater, Psychoanalytiker, Soziologen und Pädagogen) „waren dem psychoanalytischen Konzept Freuds verpflichtet, vor allem seiner im englischsprachigen Raum dominierenden Definition von Paranoia,“ schreibt Lutz Dammbeck, der an anderer Stelle seines „Seek“-Buches nachweist, dass Freuds Paranoia-Definition „schlicht falsch“ war. Obwohl die Brickner-Konferenz „mit einem in der Sache falschen Begriff arbeitete, den sie den Reeducation-Rezepten zugrunde legte, hatten die Konzepte der USA für eine Reeducation der Deutschen nach 1945 langfristig gesehen einen scheinbar großen Erfolg“. Scheinbar.
„Der Geist des Rationalismus“ sollte nach dem Sieg der Alliierten „die deutsche ‚Dunkelheit‘ ersetzen, der Geist des Kalküls die deutsche ‚Unberechenbarkeit‘, der Geist der Toleranz den deutschen ‚Radikalismus‘, der Geist des Liberalismus die deutsche ‚Despotie‘ und der Geist einer humanitären Brüderlichkeit den deutschen ‚Rassenwahn‘.“ Dabei wollte man die Demütigung der Deutschen, wie nach dem Ersten Weltkrieg geschehen, vermeiden. Nach ihrer „Genesung“ sollten sie „Partner Amerikas in einer neuen Weltordnung“ sein, dazu musste das Land ein „Marktstaat“ werden. „Die Eigenkräfte der Wirtschaft und deren normative Kraft des Faktischen würden dann zum Anschluss Deutschlands an das westliche System einer liberalen Marktwirtschaft und eines unteilbaren freien Weltmarktes führen.“
Heraus kam dabei jedoch, dass die Westdeutschen servile Nachäffer der Amis wurden und ihre Paranoia sich im Kollektiv erneut bei „Corona“ und „Putin“ zeigte und zeigt. Schon in den Siebzigerjahren, hatte der nach Amerika ausgewichene und 1955 zurückgekehrte deutsch-jüdische Sozialphilosoph Ulrich Sonnemann dafür plädiert, Westdeutschland auf einer 870-Kilometer-Couch zu therapieren. Ich habe vorweg gegriffen.
Um für das nicht billige Projekt der Umerziehung aller Deutschen zu werben, kam Ende 1944 ein Film in die amerikanischen Kinos: „Morgen, die ganze Welt!“ Darin reist ein Hitlerjunge als Waisenkind in die USA, wo er gegen Juden, Frauen und Schulkinder von Einwanderern agiert. An ihm wird mit Hilfe einer Mischung aus Psychoanalyse und Reflextheorie/Behaviorismus „das Experiment der deutschen Umerziehung erprobt“. Er bekommt auch Prügel – von einem polnisch-stämmigen Klassenkamerad. Aber am Ende erhält er „durch den Akt eines ‚Reinforcement‘ [einer Verstärkung] die Uhr, die er sich zu Beginn des Films so sehnlich gewünscht hat. Danach bricht er zusammen. Er weint. Nun kann er neu aufgebaut werden. Der deutsche Hitlerjunge wird in die amerikanische Familie aufgenommen und amerikanisiert. Schaut her, so werden wir das machen. ‚Auch ihr könnt so wie wir sein!‘“ Ihr Deutsche!
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
Bezahlkarte für Asylbewerber
.
.
.
Jammerossis
„Zum ersten Mal fiel mir auf, dass es in der Leipziger Innenstadt keine öffentlichen Plätze mehr gab. Dass all die Orte, an denen man sich einst versammeln konnte, verschwunden waren…Der Osten ist überschrieben worden, schreibt Jana Hensel in „Achtung Zone“ (2009). Ähnliches geschah auch in Berlin mit dem Alexanderplatz.
2004 wurde im Osten gegen die Einführung von Hartz IV demonstriert. Diese Montags-Demonstrationen waren laut Hensel „ein jämmerliches Bild, das sich bot. Es war kein Platz mehr für sie da.“ Immerhin kamen in Leipzig noch 10.000 Demonstranten zusammen (in Hamburg waren es 30). Der Spiegel schrieb über die demonstrierenden Ostler: „Sie klagen, sie jammern. Viele hängen der Bequemlichkeit der DDR nach und haben sich an das Prinzip der Eigeninitiative nicht gewöhnt.“ Für die Schnullijournalisten der Westpresse waren die einzigen positiven Momente in der Geschichte der DDR zwei Aufstände gegen die SED-Diktatur: die der Bauarbeiter 1953 (mit Westunterstützung) und des Wir-Volkes 1989, der schon 1990 von der Kohlschen „Allianz für Deutschland“ (AfD) nachhaltig beeinflußt wurde.
Für Jana Hensel sind die Straßenproteste nach 1989 (wo es 220 gab) bis heute viel wichtiger: 1990 wurden sie zunächst weniger, aber 1991 waren es bereits 291, 1992 waren es 268 und 1993 noch mehr, nämlich 283. Die Studie, auf die sich die Autorin beruft, endet in jenem Jahr, das auch durch eine zunehmende Härte in der Auseinandersetzung mit den Unverschämtheiten der BRD charakterisiert war. In Bischofferode und u.a. in der Berliner Batteriefabrik Belfa fanden Hungerstreiks statt, bei Demonstrationen gegen die Treuhand-Politik wurden Spitzel und Provokateure vom Westen eingesetzt.
Es war eine reine „Spiegelfechterei“ meinte die Narva-Justitiarin über den langen erfolglosen „Kampf“ des Berliner Glühlampenwerks gegen dessen Abwicklung durch die Treuhand. Ähnlich gingen auch die meisten anderen Widerstandsaktivitäten der anderen Ostbelegschaften aus. Die am Streik der Kalibergarbeiter in Bischofferode beteiligte Pastorin Christine Haas meinte anschließend über ihre resignierten Mitkämpfer: „Während der Auseinandersetzungen, so anstrengend sie waren, ging es fast allen gut. Danach fiel alles auseinander. Viele wurden krank, vier starben sogar. Nach der Niederlage passierte fast nur noch rückwärtsgewandtes Zeug im Eichsfeld: Schützenvereinsgründungen, Traditionsumzüge und sogar Fahnenweihen.“ Neben dem Eingang zum Kalibergwerk stand noch 1996 die Büste Thomas Müntzers mit dem eingemeißelten Spruch „Die Gewalt soll gegeben werden dem gemeinen Mann”. Dies sei leider zu wörtlich genommen worden, erklärte mir der letzte Betriebsratsvorsitzende Walter Ertmer: “Die allergemeinsten haben jetzt die Macht!”
Zwischen 1991 und 1993 gab es die „Ostdeutsche Betriebsräteinitiative in die so ziemlich alle zu dem Zeitpunkt noch halbwegs existierenden, aber von gänzlicher Abwicklung bedrohten DDR-Großbetriebe ihre Betriebsratsvorsitzenden entsandten. Die Initiative war branchenübergreifend und wurde deswegen von den Branchengewerkschaften IG Metall und IG Chemie bekämpft, gleichzeitig jedoch vom DGB ein wenig materiell unterstützt: Eine typische infantilisierende „Double-Bind“-Strategie der Westgewerkschaftsorganisationen.
Aus dem „rückwärtsgewandten Zeug“ mendelten sich an vielen Orten im Osten dann die „Pegida-Montagsdemonstrationen“ heraus (20.000 Teilnehmer allein in Dresden), und diese Bewegung ging dann in der „Alternative für Deutschland“ (AfD) auf, deren Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit sich mit ähnlichen Rechtsentwicklungen in vielen anderen, nicht nur europäischen Ländern verbindet. Didier Eribon hat in seinem Buch „Rückkehr nach Reims“ (2016) nachgezeichnet, wie aus den Linken Rechte wurden. Bei der Bundestagswahl 2017 verlor die Linke laut Jana Hensel 400.000 Wähler bundesweit an die AfD.
2018 veröffentlichte sie zusammen mit Wolfgang Engler eine Diskussion über die bisherigen Erfahrungen von Ostdeutschen: „Wer wir sind“. Engler meint darin, „dass diese Bundestagswahl vielleicht das Ende der Nachwendezeit markiert – so wie das Jahr 1968 das Ende der Nackriegszeit markiert“ (die 68er-Bewegung hatte damals ebenfalls viele Länder erfaßt). Der Erfolg der AfD stellt für Engler, „erst einmal gänzlich wertfrei gesagt, die bisher größte Emanzipationsleistung der Ostdeutschen dar“. Eine „Emanzipation“ vom Denken der verfluchten „Besserwessis“. Bei der Europawahl 2024 war das Ergebnis noch einschneidender: Die Linke kam auf 2,7% der abgegebenen Stimmen, die AfD dagegen auf 15,9%.
.
.
.
.
.
.
Eine “Toolbox” für jeden Bürger: Endlich tut die Regierung etwas gegen die Klimaerwärmung!
.
.
.
.
.
Mongolische Wüstenrennmäuse
Sie werden nicht nur gerne in Kinderzimmern vernutzt, sondern auch als Versuchstiere in Laboren gehalten. Die Forschung an Mäusen ist Menschenforschung. Weil die Forscher meist Englisch sprechen, werden diese Mäuse Gerbils genannt.
Die Wissenschaftssoziologin KarinKnorr Cetina erwähnt in ihrem Buch „Die Fabrikation von Erkenntnis“ (2023) ein Forschungsprojekt, in dem die Gerbils rot eingefärbtes Chitin zu fressen bekamen, das man unter ihr Futter mischte. „Das Polymer Chitin gehört zu den Zellulosen, die vom menschlichen Körper nicht verdaut werden. Die Frage war, ob und bis zu welchem Grad es sich als Trägersubstanz für andere Substanzen eignet.“
Mit Farbmeßmethoden wurde die Kacke der Gerbils untersucht, inwieweit das Chitin eine „entsprechende Substanz“ bindet und deren Absorption verhindert. Schon bald verloren die Gerbils jedoch Haar und Gewicht. Daraufhin wurde das Experiment nach 13 Tagen abgebrochen. „Abbruch hieß, dass die Mäuse getötet und für spätere pathologische Untersuchungen eingefroren wurden“.
Die Forscher rätselten, was die „Food and Drug Administration“ bewogen hatte, die rote Farbe für den menschlichen Genuß frei zu geben (die Behörde „veröffentlichte ihre Informationsbasis nicht“). Der Leiter der Forschung wandte sich an den Hersteller der roten Farbe, er wurde dort jedoch „vollständig abgeblockt“. Vielleicht war die Farbe an Ratten getestet worden und diese waren weniger empfindlich als die Mäuse für das möglicherweise leicht toxische Rot, vermutete man.
Das nächste Experiment mit Gerbils wurde 1970 in einer Ausstellung des Jüdischen Museums New York durchgeführt. Sie hieß „Software – Information technology: its new meaning for art“. Daran beteiligt waren viele Künstler, im Zentrum stand jedoch eine computergesteuerte Versuchsanordnung namens „Seek“, die vom „Urban Systems Laboratory“ des Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickelt wurde. „‚Seek’ war eine Maschine, die sowohl ein kybernetisches Weltmodell wie ein behavioristisches Experimentallabor sein konnte und von einem Allzweckrechner gesteuert wurde,“ schreibt der Leipziger Künstler Lutz Dammbeck in seinem Buch „Seek – Der Golem geht um: Affären zwischen Kunst, Wissenschaft und Technologie“ (2023), in dem er die amerikanische Entwicklung und Ausweitung der militärischen Elektronik in den zivilen und künstlerischen Bereich nachzeichnete, wobei die „Software“-Show im Museum eine Erweiterung ihrer Judaica-Sammlung auf Techno-Kunst darstellte.
Statt Menschen standen auch hier Mäuse im Mittelpunkt. Sie lebten hinter Glas in einer kleinen Stadt aus Metallwürfeln. „Herr“ ihrer Stadt war ein „computergesteuerter Roboterarm“ mit einem elektromagnetischen Greifer, „diversen Mikroschaltern und Druckfühlern“. Die Gerbils hatten „die Funktion des Zufalls und des Chaos“ – indem sie die Würfel umstießen und verschoben. Der Roboterarm sollte dagegen „Ordnung“ schaffen und „die Würfel an den richtigen Standort zurücksetzen“, gleichzeitig auch die Differenz „statistisch erfassen, um ein Muster für das ‚Chaos‘ und den ‚Zufall‘ [zu] erstellen“. Hinzu kam ein „psychoakustischer Aspekt“: Die Würfel waren nach einem vorprogrammierten Muster angeordnet, so dass der Rechner „auf den von Mäusen produzierten Lärm, zum Beispiel das Trippeln ihrer Füßchen auf den Bausteinen oder die Klopfzeichen mit ihrem Schwanz, reagieren konnte“.
Die MIT-Arbeitsgruppe konzentrierte sich derweil täglich auf die Weiterentwicklung des Computers und des Programms von „Seek“. Die Mäuse „waren eher Material für eine Vernutzung im Ablauf des Experiments und dienten nebenher zur Unterhaltung des Publikums,“ schreibt Dammbeck.
Für den Leiter der MIT-Arbeitsgruppe, Nicholas Negroponte, sollte das Mäuseexperiment „die Möglichkeiten erahnen lassen, die sich ergäben, wenn ein Großrechner in einer Stadt mit vielen Sensoren oder Kameras an öffentlichen Orten nicht nur Muster des Verkehrs, sondern auch das Verhalten der Bewohner oder ganz allgemeine demografische Muster erstellen konnte – von Tag zu Tag, von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr.“ Das würde den Computer „wirklich zu einer Maschine des Verhaltens machen“ und die damit ausgerüstete Stadt zu einer „Smart City“.
Die Ausstellung im Jüdischen Museum erwies sich jedoch laut Dammbeck als ein technisches Desaster. Durch ein Versehen des Hausmeisters wurde der Hauptcomputer PDP-8 „außer Gefecht gesetzt und mußte mehrmals umprogrammiert werden“. In den Ausstellungsräumen herrschte „teilweise Chaos“. Einige beteiligte Künstler zog sich wegen der „kritischen, zum Teil hämischen Berichterstattung“ zurück, anderen wurde es „ungemütlich angesichts der Proteste gegen den Vietnamkrieg und den an der Ausstellung beteiligten Institutionen, die für die Rüstungsindustrie arbeiteten“.
Das größte Problem aber waren Dammbeck zufolge die Mäuse: Da sie „soziale Wesen“ waren, die in Familienverbänden lebten, versuchten sie, ihr „Seek“-Gehege so zu strukturieren, „wie sie es an jedem anderen Lebensort getan hätten“. Nur gab es in dem neuen „Heim für ihren Gestaltungswillen kein brauchbares Material: keine Einstreu, kein Heu oder Gras, keine Zweige oder Mulch“. Da „Seek“ wie der „Ablauf einer Gameshow streng strukturiert“ war, konnten die Mäuse auch ihren Biorhythmus nicht aufrecht erhalten. Sie waren ununterbrochen in dem „riesigen verglasten Kubus eingesperrt und bald vom Stress durch den Roboterarm und den neugierigen Besuchern erschöpft“. Es kam zu Machtkämpfen und Kannibalismus.
„War ‚Seek‘ der Vorbote eines digitalen Faschismus?“ fragt sich Dammbeck. Die Gerbils wurden am Ende „entsorgt“. Der Betreiber des Museums, das Theologische Seminar, zog aus dem Fiasko den Schluß, fortan nur noch jüdische Ausstellungen zu finanzieren.
Dammbeck aber blieb dran: Er besorgte sich bei Halle 25 Gerbils und inszenierte mit neuer Hightech „Seek II“ – 2007 in einer Berliner Galerie, 2009 in der Hamburger Kunsthalle, 2010 im Kunstraum des Deutschen Bundestags und 2023 im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM). Das für den Tierschutz zuständige Veterinäramt bestand dabei allerdings auf „einen Rückzugsort für die Mäuse“. Durfte dort kein Greifarm mehr für „Ordnung“ sorgen?
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
Tötungsgebote laut der Bibel und laut den Opernkomponisten
.
.
Auch das noch!
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
Lachen
Auf allen Werbeplakaten lachen die Menschen, meist junge Frauen, die sich z.B. über eine neue Online-Bank, eine neue Versicherungsgesellschaft oder einen neuen Schokoriegel herrlich freuen. Das macht mir schlechte Laune. Es ist so dumm und eigentlich sogar hundsgemein, weil es Glück mit Konsum verquickt. Was ja leider nicht einmal ganz falsch ist: Wenn ich z.B. eine Arbeit gut erledigt habe, belohne ich mich gerne mit dem Kauf eines Buches oder mit etwas anderem. Aber deswegen lache ich doch nicht gleich los.
Das Lachen soll ein Vertrauensbeweis im Sozialen sein. Es stimmt, wie oft lächelt mich eine Passantin an und ich lächel zurück. Und damit sind wir beide mit uns im Reinen – für die Dauer einer U-Bahnfahrt oder einer Kaffeepause an getrennten Tischen. Wolfgang Neuss riet dem Radiomoderator Lord Knuth einmal, er solle seine Morgensendung mit dem Satz beginnen „Ab 5 Uhr 45 wird zurückgelächelt!“ Lord Knuth vergeigte den Spruch jedoch, indem er unwillkürlich lostrompetete „Ab 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen!“ Wir haben noch lange darüber gelacht.
Den Verkäuferinnen und Kellnerinnen wurde im Zuge der Amerikanisierung aller Lebensäußerungen ein verkaufsförderndes Dauerlächeln aufgezwungen. In Moskau wurden sogar nach der Privatisierung vieler Geschäfte Verkäuferinnen entlassen, weil sie sich weigerten, selbst dem gemeinsten Kunden lächelnd entgegenzutreten. Ähnliches geschah bei den Berliner Verkehrsbetrieben als den U-Bahnabfertigern, die es nach ’89 noch eine Weile gab, beigebracht wurde, dass sie fürderhin gefälligst „Zurückbleiben bitte!“ zu sagen hätten. Einer weigerte sich, „bitte“ zu sagen. „Det ham wa noch nie jesagt.“ Er wurde entlassen. „Wir mußten ein Exempel statuieren,“ erklärte ein BVG-Sprecher der Presse.
Der DDR-Dramatiker Heiner Müller meinte einmal: „Auch die schlechte Laune der Kellnerinnen ist eine echte sozialistische Errrungenschaft“. Wie wahr das war, merkt man jetzt an den ganzen mit dem aufgesetzten Lachen junger Frauen gespickten schrecklichen Werbeplakaten und dem zur dauerhaft guten Laune verpflichteten Servicepersonal (von griechisch servus: Sklave). Zum Glück gibt es darunter immer noch genug, die ihren Scheißjob mit einer ehrlichen miesen Laune erledigen. Eine japanische Ethnologin, die nach Berlin gezogen war, verriet mir, dass ihr die ewig sich ein Lächeln abringenden Japaner auf den Geist gegangen seien. Im Internet fand ich später, dass es dafür dort einen Begriff gibt: „Tatemae“ – Maskerade auf Deutsch. Dazu erklärte der japanische Psychologe Makoto Natsume: „Wer krampfhaft dauerlächle und eine positive Stimmung vortäusche, um eine Fassade zu wahren, riskiere körperliche und seelische Schäden bis hin zur Depression.“ Also besser so einem vorgeblich reichen Fatzke, der einen als Kunde von oben herab behandelt und an allem herummäkelt einfach das z.B. von ihm georderte Getränk wütend ins Gesicht schütten – und sich dann zu Hause über seine dumme Fresse noch tagelang schief lachen.
Der Philosoph Henri Bergson veröffentlichte 1914 (!) einen Essay über „Das Lachen“. Es ging ihm darin um eine Theorie des Komischen, die für ihn aus dem Widerspruch zwischen Lebendigem und Mechanischem resultiert. Das Lachen der jungen Frauen auf fast allen Werbeplakaten ist jedoch nicht komisch, im Gegenteil: Es ist ein kapitalistische Sauerei sondergleichen, denn da die kapitalistische Produktion von Anfang an eine Überproduktion ist und die Konkurrenz infolge der Globalisierung immer mehr zunimmt, muß immer mehr in Werbung investiert werden (das gilt sogar für Kirchen, staatliche Kampagnen, NGOs etc., was besonders schändlich erst, wenn man sieht, wie deren moralische Botschaften von Wurst- und VW-Reklame flankiert werden), und all diese Werbemaßnahmen dabei auf lachende junge Frauen zurückgreifen, die, wenn sie besonders geil aussehen, als „echte Hingucker“ bezeichnet werden.
Wenn das Lachen laut Bergson „ein kollektives Phänomen ist, das Gemeinsamkeit stiftet“, wie Wolfgang Martynkewicz schreibt (in: „Das Café der trunkenen Philosophen“ 2022), dann sind diese lachenden jungen Models sowie auch die zum Dauerlächeln gezwungenen Verkäufer und Kellner echte Betrüger, die sich scheinbar frohsinnig ins Zeug legen, nur um einem irgendeinen Scheiß anzudrehen. Sie stabilisieren damit das „Schweinesystem“. Adorno meinte, die Frau sei „in gewissem Maße mehr vom Warencharakter beherrscht als der Mann“. Die Frauen und ihr „spezifisches Konsumentenbewußtsein“ seien „als Kitt zu betrachten als z.B. die Familienautorität mit ihrer asketischen Sexualmoral,“ brüchig wurde, „ohne dass dadurch Entscheidendes am bürgerlichen Charakter geändert wäre“.
Das wird mir besonders deutlich an den vielen TV-Programmzeitschriften. Warum gibt es überhaupt so viele, in allen steht das selbe drin: eben die Fernsehprogramme? Aber was noch irrer und rätselhafter ist: Alle zeigen in jeder Ausgabe auf ihren Covern lachende Blondinen! Wo kriegen die bloß diese ganzen blöden Weiber alle her? Die Vermutung meines Biologen-Freundes geht dahin, dass sie alle geklont sind und auf Halde produziert werden. Das wäre dann wirklich „komisch“: eine Synthese aus Lebendigem und Mechanischem – Cyborgs.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
Gefühlsmenschen
Die „Autonomen“ sprachen in den Achtzigerjahren von „Gefühl und Härte“. Dies war dann auch der Titel einer Punk-LP. Seit 2000 etwa heißt es, das Zeitalter der großen „Ideologien/Narrative“ sei überwunden. Jetzt, im solipsistischen Neoliberalismus, geht es vor allem um „Gefühle“. So wollen z.B. eine linke und eine rechte Initiative, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, „Gefühle schützen“ – und fordern deswegen ein „Gesetz gegen Hassreden“. Die Initiative „Ministerium für Glück und Wohlbefinden“ rät: „Gefühle spüren, annehmen und loslassen“.
Das ging schon los mit Worten und Sätzen wie „Es sind gefühlte 2 Grad“, „gefühlte 2 Stunden Verspätung“ oder „gefühlte 200 Kilometer“. Es war und ist von „Schuldgefühlen“, „Gefühlskälte“, „gefühlsmäßig“ und „ich fühle es eben“ die Rede. In der U-Bahn hört man auf Englisch: „I feel good“, „My feelings say ‚No‘ to him“, „He doesn’t feel anything“. Die englische Psychoanalytikerin Maxine Mei Fung Chung, und nicht nur sie, will in ihren Fallgeschichten „What Women Want“ (2023) an die Gefühle ihrer Klientinnen heran; sie will „offen sein für die Unterströmung unter den Dingen, die sie zur Sprache bringen“. Bei einer Patientin mutmaßt sie: „Vielleicht fällt es Ihnen leichter, ein negatives Gefühl gegen sich selbst zu richten“ – als auf andere, die sie schlecht behandeln.
Die Nietzscheaner raten dagegen: „Werdet oberflächlich, denn dorthin kommen die Wesen der Tiefe, um zu atmen!“ Ich will hier nicht darauf hinaus, dass die Freudsche Psychoanalyse zu einer Ich-Psychologie verkommen ist, zur Lebenshilfe von Leuten, die sich diese leisten können, wie es in der „Frankfurter Schule“ von Adorno/Horkheimer hieß, in der die Psychoanalyse mit Marxismus verbunden wurde, um die Gesellschaft im Hinblick auf ihre Veränderung zu analysieren – und nicht, um Mittelschichtler mit „Gefühlsstörungen“ in jahrelangen „Talking-Cures“ zu therapieren (fit zu machen).
Es ist noch schlimmer: Immer öfter fragen irgendwelche idiotischen TV-Moderatoren ihre Gäste – z.B. eine Frau, die überfallen wurde: „Und was haben Sie da gefühlt?“ Eine Umweltaktivistin wird gefragt: „Und was tun Sie persönlich gegen die Klimaerwärmung?“ Oder einen Kanadier, der auf ukrainischer Seite gegen die Russen kämpft: „How did you feel?“
Völlig grotesk ist die Lektüre des berühmten Bergsteigers Reinhold Messner, der ein Buch über seine Durchquerung der Wüste Gobi veröffentlichte – schon im Titel „Gobi – die Wüste in mir“. Es geht darin auf 265 Seiten um seine „Gefühle“. Ich war zwei Mal in der Gobi – und nie wäre mir eingefallen, mir gerade dort Gedanken über meine Gefühle zu machen. Ein anderes Buch von Messner heißt „Mein Leben am Limit“. Dies ist inzwischen ein geflügeltes Wort geworden von Millennials, die das Wochenende im Berliner Club „Berghain“ durchtanzen.
Es könnte aber z.B. auch von Geertje Marquardt stammen, die anderthalb Jahre trainierte, um Grönland zu durchqueren. Oder Birgit Lutz, die in ihrem Buch „Unterwegs mit wilden Kerlen: Eine Frau erobert die Arktis“ berichtet, dass und wie sie fünf Mal von einer russischen Driftstation zum Nordpol wanderte. Beiden Frauen ging es um die enorme Leistung, d.h. um Erfahrung und ihre „Gefühle“ bei diesem Extremsport im ewigen Eis, wo es sonst nichts gibt, und wenn doch, dann heißt es, schnell weiterstolpern, weil sonst die Vorräte nicht reichen. Solche Anstrengungen dienen dem „Austesten der Ich-Grenzen“, es sind „Ich-Unternehmen“, die massenhaft auch für viel Geld von Managern gebucht werden, wie das „Manager-Magazin“ 2018 berichtete, das dabei von „Limit Skills“ und „Erfolgsstrategien“ spricht.
Gegenüber diesen ganzen amerikanisch-profitabilisierten Ichigkeiten postulierte der französische Dichter Antonin Artaud bereits: „Das Ich ist eine Sauerei!“ Und „Alles Schreiben ist eine Schweinerei!“ (1925) Der französische Ethnologe Claude Lévi-Strauss erklärte: „Das Ich hat nicht einmal Platz zwischen Uns und dem Nichts“. In der Psychotherapie soll es zwischen dem eigenen Begehren und den Anforderungen der Anderen (der Gesellschaft) vermitteln. Da ist ein starkes Ich nur nützlich, und es läßt sich auch stärken, so dass der Patient hernach glücklicher ist, bewusster lebt, seelisch ausgeglichener ist usw.. So jedenfalls das Versprechen der „Seelenklempner“.
Aber nicht nur die Psychotherapie, in Kalifornien geriet selbst der Buddhismus, der eigentlich zur Überwindung der Ichigkeit (aller Selbstbezogenheiten) entstand, zu einer „Ich-Technik“ – einer Ich-Anreicherung oder zu einem „Ich + Ich“, wie ein Popsong 2010 beim Bundesvision Song Contest hieß, der auf Platz 3 kam.: Eine Millennial-Antwort auf das Hauptwerk „Ich und Du“ des Religionsphilosophen Martin Buber 1923?
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
Die Anziehungskraft von Katzen
Mein Interesse an Tieren und besonders meine Hinwendung zu unserer Katze Lottie, bewirkte über die Jahre eine gewisse Entpolitisierung, eine regelrechte Anthropause, bei mir. In ironischer Absicht entschuldigte ich das dann damit, dass ich mich mit einem Neuroparasiten infiziert hätte – mithin für meine Zuneigung zu Katzen quasi nichts könne – und somit unschuldig sei. Dazu berief ich mich auf einen Bericht des Magazins der Max-Planck-Gesellschaft „Forschung“ (vom Mai 2018), der nahelegte, dass mir meine närrische Katzenliebe quasi aufgezwungen werde, und zwar von dem Einzeller „Toxoplasma gondii“, denn der „tue alles dafür, dass der Mensch und die Katze zusammenfinden“. Er braucht die Katzenhalter, um weiter zu kommen. „Nur im Darm von Raub- und Hauskatzen kann der Parasit neue Eier legen…Das würde erklären, warum sich infizierte Menschen von Katzen besonders angezogen fühlen.“
Damit wollte ich es bewenden lassen, aber da ging der Forschungswahnsinn mit diesem parasitären Protozoon erst richtig los.
So meinten z.B. einige mit mir befreundete Journalisten: Wenn die berühmte Schriftstellerin Doris Lessing, die viele Katzen in ihrem Leben besaß und mehrere wunderbare Bücher über sie veröffentlichte, zuletzt behauptet hatte, dass sie inzwischen mehr über eine gestorbene Katze trauere als über einen gestorbenen Bekannten oder Verwandten – dann sei das eindeutig ein Beweis dafür, dass die sich mit dem Einzeller „Toxoplasma gondii“ infiziert hätte. Das fand ich ja noch ganz witzig. Und warum sollte nicht auch die Prototierwelt lustig sein. Mir fielen daraufhin noch ganz andere Infizierte ein, die daraufhin von dem Neuroparasiten zum Teil sogar gegen ihren Willen zu Katzen hin gesteuert wurden: Franz Kafka z.B., der Katzen eigentlich „im Geheimen seit jeher gehasst“ hatte, aber sich dann – wegen der Mäuse in seinem Zimmer – doch eine anschaffte, in die er sich dann prompt verliebte, so dass er sogar seiner „kleinen schlafenden Katze ein Gedicht deklamierte“.
Oder E.T.A. Hoffmann, der eines Tages einen ausgesetzten kleinen Kater fand, den er adoptierte – und von dem er schon nach kurzer Zeit infiziert wurde, indem er fand, dass das kleine Tier sich zum „gescheitesten, artigsten, ja witzigsten Tier“ entwickelt hatte. Als es starb, veröffentlichte Hoffmann erst einen sentimentalen „Nachruf“ auf ihn und dann ein ganzes Buch, dass mit einer Kritik an der menschlichen Gesellschaft einherging: Die „Lebens-Ansichten des Katers Murr“.
Fast das Gleiche passierte dann dem japanischem Schriftsteller Natsume Soseki: Er schaffte sich einen Kater an und „verliebte“ sich in ihn. Was wahrscheinlich nichts anderes heißt, als dass das Tier ihn mit dem Parasiten „Toxoplasma gondii“ infiziert hatte. Als sein Kater starb, verfaßte er erst einen liebevollen Nachruf auf ihn und schrieb dann ein dickes Buch „Ich, der Kater“. Es findet sich darin ebenfalls eine engagierte Gesellschaftskritik.
Am Schlimmsten hat es neuerdings den Westberliner Schriftsteller und Katzenhalter Detlef Bluhm erwischt: Als sein Kater Paul 2011 im Alter von zehn Jahren starb, konnte er sich lange nicht beruhigen und veröffentliche „Das Facebook-Tagebuch Kater Paul“, das er auf der Leipziger Buchmesse vorstellte. Und dann auch noch einen blog „Kater Paul“, den er der Katzenwelt und ihrer literarischen bzw. wissenschaftlichen Erforschung widmete. Aber das reichte ihm oder seinem Toxoplasma gondii“ noch nicht: Inzwischen hat er mehr Katzenbücher veröffentlicht als alle die eben erwähnten Schriftsteller zusammen. Überdies rief er auch noch ein „Katzenliteraturfestival“ ins Leben, das in der Berliner Passionskirche stattfand. Es wurde von einer Firma „gesponsert“, die u.a. Bio-Katzenfutter herstellt: Gimborn. Die Firma war der erste Anbieter von laktosefreier Katzenmilch, heute gehört sie zum Mischkonzern „Penta Investment Prag“. Auf dem Literaturfestival, das mehrmals stattfand, wurde 2014 ein Katzenliteratur-Preis vergeben, der vom Katzenstreu-Hersteller „Cats Best“ und der Königlich-Preußischen Porzellanmanufaktur gesponsert worden war.
Nicht nur wimmelte es in der Passionskirche von Frauen, die in Katzen vernarrt (infiziert) waren, es lasen auch mehrere Schriftstellerinnen Auszüge aus ihren Katzenbüchern, u.a. die ganz sicher von dem Neuroparasiten heimgesuchte Russin Olga Kaminer, denn sie hatte ein „Katzenbuch“ veröffentlicht, das genaugenommen ihre Lebensgeschichte war, die von ihrer Geburt an bis heute von Katzen quasi getaktet wurde und einst auf der Insel Sachalin begann. In Berlin lebte sie nun mit zwei Stadtkatzen zusammen und kümmerte sich überdies in ihrem märkischen Landhaus um vier streunende Katzen. Ihr wahrscheinlich ebenfalls infizierter EhemannWladimir Kaminer las anschließend eine Geschichte über den Kater einer Freundin vor, der sehr alt ist, Diabetes hat und regelmäßig zur Notaufnahme in die Tierklinik gebracht werden muß, was jedesmal ein Heidengeld kostet.
Erwähnen muß man in diesem parasitologischen Zusammenhang auch die diversen Katzenforen im Internet, in denen Frauen z.B. diskutieren, ob man seinen Freund verlassen soll, weil der ihre Katze nicht mag – oder diese ihn nicht. Die meisten sind dafür. Eine Teilnehmerin schrieb: „Wenn ich daran denke, wie viele Jahre ich mit einem ausgemachten Volldeppen zusammen war, den mein Kater Sky von Anfang an nicht mochte, und wie deutlich ich nun gerade an Sky jeden Tag merke, dass ich jetzt den richtigen gefunden habe…“ Sie überläßt also sogar ihre Partnerwahl einer Katze.
Eine andere Frau meinte: „Mein damaliger ‚Traummann‘, mit dem ich über fünf Jahre eine Wochenendbeziehung geführt hatte, entpuppte sich nach dem Zusammenziehen als ‚Alptraummann‘. Er kam mit den Katzen absolut nicht klar. Sie durften weder ins Schlafzimmer, noch auf die „gute“ Couch (die übrigens 15 Jahre alt war). Ausserdem stank ihm das Katzenfutter und am Ende hat er von mir verlangt: entweder ich oder die Katzen. Die Katzen haben natürlich gemerkt, dass er sie nicht leiden konnte und haben protestgepinkelt und die Tapeten und Teppiche zerstört, was sie vorher noch NIE gemacht hatten… Hab dann meine Katzen geschnappt und bin ausgezogen. In meiner neuen Wohnung – ohne diesen Mann – waren dann die Katzen wieder ganz die alten und sichtlich glücklicher.“
Eine dritte Frau schrieb: „Ich hab meinen Traumtypen in den Wind geschossen, als ich gemerkt habe, dass ALLE unglücklich waren. Ich – weil ich es ihm nicht recht machen konnte und meine Katzen immer unglücklicher gesehen habe. Er – weil er es mit den Katzen nicht konnte. Und meine Katzen – weil sie gemerkt haben, dass sie bei ihm nicht willkommen waren. Natürlich durfte ich mir danach noch wochenlang anhören, dass ich meine Katzen mehr lieben würde als ihn. Aber für mich war es einfach die richtige Entscheidung und nie und nimmer hätte ich meine Katzen ins Tierheim geben können, wie er es am Ende von mir verlangte.“
Von der anderen Betroffenenseite gibt es nebenbeibemerkt einen eher launigen als traurigen Bericht – vom Schriftsteller Stefan Schwarz – mit dem Titel: „Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut“. Ich weiß jedoch, dass daran durchaus etwas Wahres ist.
Ähnliche Liebeserklärungen an Katzen wie die von den Katzenbesitzerinnen finden sich auch in den diversen Katzen-Zeitschriften. Doris Lessing schreibt in einem ihrer Katzenbücher: „Jeder aufmerksame, sorgsame Katzenbesitzer weiß mehr über Katzen als die Leute, die sie beruflich studieren. Ernsthafte Informationen über das Verhalten von Katzen findet man oft in Zeitschriften, die ‚Geliebte Katze‘ oder ‚Katze und Du‘ heißen, und kein Wissenschaftler würde im Traum daran denken, sie zu lesen.“
Was sagt aber nun die Wissenschaft über „Toxoplasma gondii“, der all diese Leute von ihrer närrischen Katzenliebe und Depolitisierung freispricht, weil er ihr Verhalten seinen eigenen Neigungen folgend steuert? Wenn man die diesbezügliche Forschung verfolgt, könnte man glatt meinen, dass dieser Neuroparasit auch die Wissenschaftler steuert – und zwar in immer dünnere Luft. Man spricht dabei von einem „Richthofen-Syndrom“, weil diesem Kampfflieger, je weiter er, ohne Sauerstoffmaske, seine Maschine nach oben zog desto mehr das Bewußtsein verdämmerte.
Eine tschechische Studie kam z.B. zu dem kühnen Schluß, dass mit Toxoplasma infizierte Männer attraktiver auf Frauen wirken als nicht infizierte.
Eine dänische Untersuchung an 45.000 Frauen erbrachte das Ergebnis, dass mit dem Neuroparasiten infizierte Frauen mit einer um 50 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit einen Suizidversuch unternehmen.
Ende Juli 2018 erschien auch noch im Magazin für Naturwissenschaft „Spektrum“ die Zusammenfassung einer sozialwissenschaftlichen US-Forschung über die Wirkung des „neurologischen Manipulators ‚Toxoplasma gondii‘“ die über die Ökologie hinaus ins Ökonomische griff – schon in der Überschrift: „Macht Katzenparasit Berufsanfänger mutiger?“
Das Forschungsergebnis wurde zunächst in den „Proceedings of the Royal Society B“ veröffentlicht: „Wohl mehr als 2 Milliarden Menschen sind weltweit mit ‚Toxoplasma gondii‘ infiziert“ und schon „seit Langem berichten Forscher über Indizien für mögliche psychische Veränderungen bei Infizierten“. Die neue Studie zeige nun, „dass toxoplasmainfizierte Menschen weltweit häufiger beruflich selbständig sind – und somit Risiken vielleicht anders bewerten als andere.“ (ich bin auch selbständig – Zufall?)
Die Autoren der ersten im MPI-Magazin referierten Studie wollten mit dem „Toxoplasma“ darauf hinaus, dass einst, als die Raubkatzen noch viele waren und gefährlicher, die Menschen aber weniger und hilfloser als heute, dieser üble Parasit sie geradewegs in ihre tödlichen Pranken trieb. Er manipulierte sie also derart, dass sie das Risiko, sich einer oder mehreren großen Raubkatzen zu nähern, anders einschätzten als Nichtinfizierte, die hübsch auf Distanz zu ihnen blieben.
Die Autoren der zweiten in „Spektrum“ referierten Toxoplasma-Studie testeten ihre steile These erst einmal an Mäusen, indem sie sie mit dem Einzeller infizierten. Und siehe da: Er „macht die Nager zum Teil selbstmörderisch mutig“. Zudem wurden sie geradezu magisch von Katzenurin angezogen (was ich von mir nicht sagen kann).
Bei infizierten Ratten wird im limbischen System ihres Gehirns die sexuelle Erregung gesteigert, wenn die Tiere dem Geruch von Katzenurin ausgesetzt werden.
Dann untersuchten sie 1495 Studenten: Die mit dem Erreger infizierten „wählen knapp eineinhalb mal so häufig wie Gesunde Wirtschaftswissenschaften im Hauptfach.“ Und schließlich stellten sie noch „bei Teilnehmern an Berufsbörsen, die auf eine selbständige Tätigkeit vorbereiten sollen,“ fest, dass sie „1,8mal häufiger infiziert sind als der Durchschnitt der Bevölkerung“.
Zuletzt durchforsteten die Forscher auch noch demografische Statistiken aus 42 Ländern – dann stand für sie fest:„Offenbar korreliert die Durchseuchungsrate mit ‚Toxoplasma‘ in einem Land und dem Prozentsatz der Selbständigen.“ Also je mehr Infizierte desto mehr Ich-AGs. Da jedoch viele Selbständige scheitern, könne man allerdings nicht sagen, „dass der Einfluß des Parasiten Menschen grundsätzlich erfolgreicher“ mache.
Er bleibt aber auch im Anthropozän quasi raubtierorientiert. Dies hatte bereits die Genetikerin und Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard geahnt – „dass die Natur in gewisser Weise kapitalistisch funktioniert“, wobei sie jedoch bloß die Marxsche Kritik an der Evolutionstheorie (mit ihren Mechanismen Mutation und Selektion) umdrehte: Darwin habe darin, so Marx, bloß die schlechten Angewohnheiten der englischen Bourgeoisie auf die Natur übertragen.
Genug dieses ganzen Schwachsinns, man muß hierbei wirklich langsam die Notbremse ziehen. Es gibt inzwischen im Internet ebenso unfassbare wie undurchlesbare 2,6 Millionen Einträge zum Begriff „Toxoplasma gondii“. Und die durch den Neuroparasiten übertragene Krankheit „Toxoplasmose“ ist weitaus verbreiteter als die Infizierung mit dem Corona-Virus.
Die Deutschen wollen natürlich als erstes (wenn man den Begriff aufruft) wissen, „Wie gefährlich ist Toxoplasmose wirklich?“ und „Ist Toxoplasmose heilbar?“ Anwort zu 1: „Obwohl sich Menschen häufig anstecken, bleiben die meisten Toxoplasmose-Infektionen unbemerkt.“ Antwort zu 2: „Meistens ist eine Therapie nicht nötig, wenn die Toxoplasmose ohne Anzeichen verläuft und die Heilung spontan eintritt.“
Da sich natürlich aufgrund des „Toxoplasma gondii“-Hypes immer mehr Ärzte berufen fühlen, bei irgendwelchen Schmerzen oder vermeintlichen Leiden sofort „Toxoplasmose“ zu argwöhnen und dann auch zu diagnostizieren (was nicht weiter schwierig ist, da ja wie oben erwähnt über zwei Milliarden Menschen mit dem Neuroparasiten infiziert sein sollen, was bei ca. 900 Millionen Hauskatzen in der Welt nicht ganz unrealistisch ist) – deswegen verschreiben sie natürlich wahlweise Antibiotika oder Cortison, bei Gelenk- und Gliederschmerzen zur Not auch Sportlersalbe. Nun tragen aber nicht alle Katzen quasi automatisch den Erreger in sich, „problematisch“ ist jedoch laut einem Internet-Tierarzt, „dass infizierte Katzen nicht zwingend Erkrankungszeichen zeigen“. Sie sind (bloß) der Endwirt, wir sind dagegen die (leidenden) Zwischenwirte.
Wie kam der Einzeller nun in die Menschenwelt – bzw. in die Schlagzeilen? Laut Wikipedia wurde Toxoplasma gondii „erstmals 1907 in Tunesien als Parasit eines mit den Stachelschweinen verwandten Nagetiers namens Gundi entdeckt. Aufgrund der Halbmondform wurde er von den Entdeckern Charles Nicolle und Louis Manceaux als Toxoplasma (griechisch toxon, Bogen; plasma, Gebilde) und aufgrund des Wirtstieres als Toxoplasma gondii benannt. Erst viel später konnte er auch beim Menschen als Krankheitserreger gefunden werden. 1948 entwickelten Sabin und Feldman einen serologischen Test auf der Basis von Antikörpern. Mit Hilfe dieser Methode konnte festgestellt werden, dass Toxoplasma gondii weltweit verbreitet ist und beim Menschen sehr häufig vorkommt.“ In uns „vermehren sie sich rapide“. Das Robert-Koch-Institut nimmt an, „dass ungefähr 30 Prozent der Weltbevölkerung infiziert sind“. Andere Quellen gehen von 50 Prozent aus. Die Mediziner raten Schwangeren, nicht mit Katzenkot in Berührung zu kommen, kein Katzenklo sauber zu machen oder nur mit einem Mund-Nasenschutz, sich vor dem Essen die Hände zu waschen, nicht im Garten zu arbeiten und außerdem soll man Kinder-Sandkästen abdecken.
Ich möchte abschließend noch zwei Verhaltensforscher erwähnen, zunächst den Katzenexperten Dennis C. Turner: Katzen, so sagt er, seien womöglich noch größere Anpassungstalente als Hunde, „die einfach nur ihren Rudelbegriff umdefinieren mußten. Katzen aber mußten ihr naturgegebenes raubtierhaftes Einzelgängertum in menschenkompatibles Sozialverhalten abändern. Erfolgreich paßten die Nachfahren der nordafrikanischen Wildkatze (Felis libyca) zum Beispiel ihre Nachtaktivität menschlichen Schlafgewohnheiten an und schlafen nun ebenfalls durch, gerne auch mit ihren Besitzern in einem Bett,“ wo sie sich sogar häufig an sein Gesicht anschmiegen. Diesem schweizerisch-amerikanischen Wissenschaftler ist nicht aufgefallen, dass dies keine Anpassungsleistung von Katzen ist, sondern umgekehrt: eine Infizierung des (schlafenden) Menschen mit dem Neuroparasiten, damit er sich der Katze anpaßt.
Auch in der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle im österreichischen Grünau steht die Katze im Mittelpunkt einiger Projekte. Eine Studie zielt auf die Persönlichkeit des Katzenhalters und das daraus resultierende Verhalten der Katze: „Je emotional instabiler der Mensch, desto mehr beansprucht er die Katze als Unterstützer“, berichtete der Forschungsleiter Kurt Kotrschal. Diese Abhängigkeit wisse die Katze raffiniert für sich zu nutzen: „Die Katzen labiler Menschen waren bei den Untersuchungen die wählerischsten, was das Futter angeht. Durch theatralisches Verhalten und jammervolles Miauen versuchen sie ihre Bezugsperson dazu zu bewegen, ihnen etwas Besseres zu geben. Katzen machen soziale Spielchen, um den Menschen zu kontrollieren, damit er ihnen quasi gehorcht.“
Dieser der Humanpsychologie anscheinend unkundige Biologe spricht leichtfertig von „labilen Menschen“ statt erst einmal davon auszugehen, dass die Katzen diese Menschen mit Hilfe von Toxoplasma gondii (im Bett oder beim Katzenklosäubern) gefügig gemacht haben. Genaugenommen können aber weder die Katzen noch ihre (labilisierten) Besitzer etwas für diese Umdrehung des Herrschaftsverhältnisses. Der Betreiber eines „Winter Garden Animal Hospitals“ in Florida hat gleich vorne an der Einfahrt ein Schild angebracht, auf dem ganz groß steht: „Sagen Sie mir nicht, was ich zu tun habe, Sie sind nicht meine Katze!“
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
Neosexuell werden?
Die Prostitution war einmal der verfemte Teil der gezähmten weiblichen Sexualität in Ehe und Familie. Mit der Auflösung der selben und der Ausbeutung auch noch der mütterlichsten Fähigkeiten, wie “emotionale, kommunikative und soziale Kompetenzen”, wird inzwischen jedem angeraten: “Sie müssen sich besser verkaufen!” Für viele Frauen (aber auch Männer) bedeutet dies, buchstäblich ihre Haut zu Markte zu tragen, zur Not sogar das eine oder andere Organ.
Indem so die Prostitution sich ebenfalls globalisiert und auch räumlich mobilisiert, wird sie nahezu ununterscheidbar von anderen prekären Beschäftigungen – und umgekehrt. Dazu trägt nicht zuletzt auch die ungeheure Medienproliferation bei, mit der selbst die Mitwirkung in einem Pornofilm glamourös geworden ist: Der erste Pornoweltstar Linda Lovelace (Deep Throat) mußte noch von seinem Zuhälter/Regisseur gezwungen werden, öffentlich zu behaupten, es habe ihr Spaß gemacht, aber schon Debbie Harry (Blondie) nahm man es ab, dass es “Fun” sei, fürs Ficken auch noch bezahlt zu werden, ebenso später Paris Hilton.
„Die Pornographie seit den Neunzigerjahren hat dagegen ihre eigene politische Ökonomie zum Inhalt. Der pornographische Diskurs verwirft den weiblichen Körper nicht mehr (um ihn in einem seltsamen Jenseits, dem Pornotopia der Literatur wie des ‘Rotlichtmilieus’ und allen ihren Romantisierungen, zu restaurieren), er fügt ihn vielmehr in den Mainstream ein…Pornographie ist die letzte große Illusion der Teilhabe der unnützen Menschen am System,” meint Georg Seeßlen, der die “alte ‘Elendsprostitution’ – vorwiegend in der Form der sexuellen Ausbeutung der proletarischen Frau durch den bürgerlichen Mann oder der kolonialisierten Frau durch den kolonialistischen Mann” – nur noch für einen “Störfaktor” hält in der Entwicklung der globalen Prostitution, “die den Wert des ‘fuckable’ Menschen nicht durch institutionellen Zwang, sondern durch Marktkonkurrenz bestimmt“.
Seeßlen vermutet, dass die neue pornographische Sexualität, die auch den Krieg und die Folter “genußvoll” mit einschließt, auf folgende Kernaussage hinausläuft: „Dein Körper gehört dir, nicht wie ein geistiges oder historisches Eigentum, sondern wie ein Auto oder ein Bankkonto. Er gehört dir wie Waren im Kreislauf, du kannst ihn verkaufen, vermieten, drauf sitzenbleiben, ihm Mehrwert abtrotzen oder ihn verspekulieren. Je neosexueller du bist, desto weniger kannst du Heimat in ihm haben, aber desto mehr Profit kannst du ihm entnehmen.” Im Grunde ist bereits die gesamte (US-)Kulturindustrie ein einziges „Body-Shaping“, wie die New York Times anläßlich der Oscar-Verleihung vermutete: Mit chemischen, pharmazeutischen und chirurgischen Mitteln sozusagen „jung und attraktiv bleiben“, um sich den eigenen Warenwert zu erhalten bzw. zu steigern.
Auf sich selbst bezogen hat das die Bestsellerautorin Sophie Passmann in ihrem Buch „Pick Me Girls“ (2023) beschrieben: „Girls“, die alles tun, um begehrenswert zu sein und zu bleiben: „Der männliche Blick ist die höchste Währung“, meint die Autorin. Sie ließ sich tätowieren, dann die Augenringe mit Hyaluron unterspritzen und anschließend die Lippen aufspritzen sowie einige Fettpolster absaugen. Auf eine Brustvergrößerung mit Silikon-Implantaten, wie sie von Hollywood-Schauspielerinnen verlangt wird, verzichtete die Radiomoderatorin, die 320.000 „Follower:innen“ hat.
Silikon war ursprünglich ein Werkstoff, der vom US-Militär zu elektrischen Isolierung verwendet wurde. „In der Geschichte der Schönheitschirurgie wird Silikon direkt mit Sex verbunden. Das Material sei zunächst an japanischen Prostituierten verwendet worden, die es sich injizieren ließen, um damit dem Wunsch US-amerikanischer Soldaten nach großen Brüsten entgegenzukommen. In der Literatur dazu ist etwas verklausuliert die Rede davon, dass die Silikoninjektionen später als Schwarzmarktangebot an US-amerikanische Frauen ‚in der Unterhaltungsindustrie‘ vermarktet worden seien. Artikel aus dezidiert feministischer Perspektive sprechen von ‚sex slavery‘, schreibt Anja Zimmermann, Mitherausgeberin der „Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur (FKW), in ihrem Buch „Brust – Geschichte eines politischen Körperteils“ (2023).
Im selben Jahr veröffentlichte die marxistische Philosophin Theodora Becker ihre Dissertation unter dem Titel „Dialektik der Hure – Von der ‚Prostitution‘ zur ‚Sex-Arbeit‘“. Sie argumentiert weitgehend historisch und geht davon aus, dass die Prostitution in der bürgerlichen Gesellschaft ein unlösbarer Widerspruch ist: Die Männer brauchen sie einerseits, aber andererseits gelten die sie ausübenden Frauen verächtlich, tendenziell betrügerisch. Dass es in der Frauenbewegung schon seit langem Bestrebungen gibt, die Prostituierten als „Sex-Arbeiterinnen“ (Sozialhygienikerinnen) quasi zu rehabilitieren, findet sie ihrerseits verachtenswert. Ihr neoromantisches Ideal läuft eher auf das Gegenteil hinaus: auf die „Hure“ als Künstlerin.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
Battlefield Engagement
“It’s the economy, stupid!”. Mit diesem Wahlkampf-Slogan gewann Bill Clinton 1992 die US-Präsidentschaftswahlen. Er gewann zwar, aber wie er richtig gesagt hatte, die Wirtschaftspolitik wird von der Wirtschaft, d.h. vom Kapital bestimmt. 2002 übersetzte mir jemand ein Interview, das die damalige US-Botschafterin in der Mongolei einer mongolischen Zeitung gegeben hatte. Darin legte sie der mongolischen Regierung eine entschiedenere Deregulierung nahe. Auf die Frage, welche Partei sie dies denn am ehesten zutrauen würde, sagte sie: „Es ist egal, welche Partei die Regierung hier stellt, sie hat keinen Spielraum.”
2007 wurde der maßgebliche Deregulierer der USA, der Vorsitzende der US-Notenbank Alan Greenspan gebeten, eine Empfehlung für die bevorstehende Präsidentenwahl zu geben. Er meinte: „Wir haben das Glück, dass die politischen Beschlüsse in den USA dank der Globalisierung größtenteils durch die weltweite Marktwirtschaft ersetzt werden. Mit Ausnahme des Themas der nationalen Sicherheit spielt es kaum eine Rolle, wer der nächste Präsident wird.“
Und selbst die „nationale Sicherheit „ wird nicht unwesentlich von den Waffenherstellern zum „Thema“ gemacht. Notfalls über solche Transmissionsriemen wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Sie sitzt u.a. im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik und im Förderkreis Deutsches Heer, wo auch die Wehrindustrie mitredet. „Beides sind von der Rüstungsindustrie stark beeinflusste Organisationen,“ schreibt „Lobbycontrol“. Als FDP-Politikerin ist sie Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der NATO, ferner Vorsitzende im Verteidigungsausschuss des Bundestages und fungiert im Parlament als scharfe Kritikerin des Zögerns der Bundesregierung beim Waffengang der NATO-Staaten in die Ukraine, um Russland zurück zu schlagen. Ihr Wahlkreis ist der „Rheinmetall“-Standort Düsseldorf. Der Westdeutschen Zeitung sagte sie: „Wir waren immer der Auffassung, dass wir unter keinen Umständen zulassen dürfen, dass Russland mit seinem Angriff Erfolg hat. Wenn das einträfe, dann werden weitere Angriffe in Europa folgen. Die Nachbarn Russlands sind stark gefährdet. Und irgendwann kratzt die russische Kriegsmaschinerie auch an unserm Nato-Territorium. Zurecht würden uns die Bürger vorwerfen, nicht weitsichtig genug reagiert zu haben, als noch Zeit dazu war.“
Auch der bayrische CSU-Ministerpräsident Markus Söder legt sich für „seine“ Waffenindustrie ins Zeug: „Die TAURUS-Marschflugkörper müssen zum Einsatz kommen,“ meinte er in der „Tagesschau“. Die Herstellerfirma „TAURUS Systems“ befindet sich nämlich in Bayern und sucht derzeit wegen der zu erwartenden großen Nachfrage schon mal 170 weitere Mitarbeiter für ihr „Battlefield-Engagement“, wie die Firma ihr Massenmordwaffengeschäft nennt.
Als hohe deutsche Luftwaffenoffiziere kürzlich zusammen kamen, um die Möglichkeit zu besprechen, wie die Bundeswehr die Ukraine mit TAURUS-Marschflugkörpern beliefern und „praktische Hilfe für die ukrainischen Streitkräfte gegen Ziele in Russland“ leisten könne, wurde ihr Gespräch von russischer Seite abgehört und der deutsche Botschafter in Moskau, Alexander Graf Lambsdorff, daraufhin im russischen Außenministerium aufgefordert, eine „Erklärung“ dazu abzugeben. Auch dieser FDP-Mann ist dafür, die Ukraine mit Waffen aus dem Westen derart aufzurüsten, dass sie Russland Paroli bieten kann – und wenn die ganze Welt dabei in Scherben fällt. Über die zaghafte Friedensbewegung hierzulande äußerte er 2023: „Die Ostermarschierer sind die fünfte Kolonne Wladimir Putins, politisch und militärisch“.
Aus allen Rohren wird uns nahegelegt: Es diesmal dem Iwan aber wirklich zu zeigen. Auch die Kinder werden indoktriniert: Am 27. Februar sendete z.B. die ZDF-Kindernachrichtensendung Logo ein kleines Video, in dem TAURUS-Marschflugkörper und andere Waffen als Personen, die sprechen können, für Waffenlieferungen in die Ukraine plädierten. Ebenfalls im ZDF äußerte sich die stellvertretende Leiterin des EU-Instituts für Sicherheitsstudien, Florence Gaub, über die Gegner: „Wir dürfen nicht vergessen, dass auch wenn Russen europäisch aussehen, dass es keine Europäer sind, jetzt im kulturellen Sinne, dass sie einen anderen Bezug zur Gewalt haben, einen anderen Bezug zum Tod haben.“
Das sahen die NATO-Strategen und -Analysten 2001 noch anders: Damals erklärte uns ein Major des Verteidigungsministeriums die neue NATO-Verteidigungsdoktrin: „Sie ist nicht mehr nach Russland hin angelegt, die russischen Soldaten haben inzwischen dieselbe Einstellung zum Krieg wie wir auch – sie wollen nicht sterben! Außerdem ist die Stationierung von Raketen in Ungarn und Polen so gut wie gesichert, es geht nur noch darum, wie viel wir dafür zahlen müssen. Ganz anders sieht es jedoch bei den Arabern aus, mit dem Islam. Deswegen verläuft die neue Verteidigungslinie jetzt auch“ – rasch zog er hinter sich eine neue Landkarte auf – „etwa hier: zwischen Marokko und Afghanistan“.
Aber jetzt geht es wieder andersherum: So wie es einst der Oberst Graf Stauffenberg gehofft und geplant hatte: Noch einmal, diesmal mit den westlichen Alliierten zusammen, gegen die Russen.
Die von den Amis gehirngewaschene neue Außenministerin Baerbock sagte es so: „Wir müssen der Ukraine helfen, auch wenn wir einen Atomkrieg riskieren“. Der ehemalige Leiter der Heinrich Böll Stiftung, nunmehr Geschäftsführer des finsteren European Resilience Initiative Center, Sergej Sumlenny findet: „Der sicherste Weg zu einem nachhaltigen Frieden ist es, das nukleare Russland zu zerstören. Einige Atombomben könnten dabei explodieren, aber sie werden ohnehin explodieren.“
Die Liste der Kriegslüsternen, die so reden, wächst täglich. Vor allem angloamerikanische Kapitalfraktionen scheinen die Eskalation zu forcieren. Wohl weil einige kalkulieren: „Wir überleben das“. Wenn ein paar Milliarden Menschen oder wie viele auch immer dabei draufgehen, dem Planeten tut das nur gut. Das ist auch eine Art von Öko-Politik. Sie bereiten sich auf einen Atomkrieg vor und erwerben gleichzeitig bombensichere Villen auf Neuseeland. Eine andere Kapital-Fraktion, nennen wir sie die Silicon-Valley-Highflyer, will anscheinend auf den Mars ausweichen.
Neben immer mehr Hightechwaffen schicken die NATO-Staaten auch immer mehr Bodentruppen an die russische Grenze, getarnt als Sicherheitspersonal für die Botschaften: Im Februar 2023 waren bereits 97 Spezialtruppen aus den Nato-Ländern in der Ukraine stationiert, davon 14 aus den USA. Für diese wurde am 13.Juli 2023 verfügt, dass „das Landgebiet und der Luftraum über der Ukraine mit Wirkung vom 24. April 2022 als Gebiet für unmittelbare Gefahrenzulage“ ausgewiesen sei. Die Zulage besteht aus 225 Dollar pro Monat, zusätzlich kommen weitere 100 Dollar Erschwerniszulage pro Aufenthaltsmonat in der Ukraine hinzu.“
Einem Bericht der „New York Times“ zufolge soll die US-Regierung mit einem russischen Einsatz von Atomwaffen im Herbst 2022 gerechnet haben. Auch Olaf Scholz wusste von der Bedrohung. Die Amerikaner hatten ihn anscheinend informiert.
Egal. Seit der Antike gilt, dass sich mit dem Tod bessere Geschäfte als mit dem Leben machen lassen. „Nichts steigert Nachfragen und Umsätze schneller als Kriege, und nirgends werden mehr Gewinne gemacht als beim Wiederaufbau,“ schreibt der Regisseur Holger Teschke.
.
.
.
.
.
.
.
Die Pravda-Brauerei mit Sitz in Lviv wechselt von der Herstellung von Bier auf Molotow-Cocktail. Auf dem Etikett steht “Putin ist ein Idiot”.
Die Finnen setzten Molotowcocktails erfolgreich gegen sowjetische Panzer ein. Auf Turm oder Motor der damaligen Panzer geworfen, setzten sie diese häufig in Brand. Finnland ging dazu über, die Cocktails industriell von der staatseigenen Firma Oy Alkoholiliike Ab (heute Alko) herstellen zu lassen und mit den benötigten Streichhölzern paketweise an die Front zu schicken. Insgesamt wurden 450.000 Stück produziert.
Etwa gleichzeitig wurde 1940 für die englische Home Guard ein Northover Projector genannter Werfer entwickelt, der Brandflaschen mit Phosphorzündung rund 180 m weit verschießen konnte. Allerdings war diese Waffe für den Schützen nicht ganz ungefährlich, da die Glasflaschen schon im oder kurz nach Verlassen des Rohres zerbrechen konnten.
Im Zweiten Weltkrieg schließlich setzten auch die Rote Armee und die Wehrmacht Molotowcocktails ein. Massenhaft zum Einsatz kamen sie auch 1943 beim Aufstand im Warschauer Ghetto, 1944 beim Warschauer Aufstand und 1956 während des sowjetischen Einmarschs in Ungarn, der den Ungarnaufstand beendete.
Im Februar 1968 veröffentlichte der Vorsitzende des Liberalen Studentenbundes Deutschlands (LSD) einen Artikel mit dem Titel “So baut man einen Molotow-Cocktail”. Die Brandflasche war mittlerweile zum Symbol für den Kampf gegen die Staatsmacht geworden. Der LSD-Mann musste sich vor Gericht verantworten
In Deutschland wird der Molotowcocktail in der Waffenliste als verbotene Waffe aufgeführt. Somit sind gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 1 WaffG der Erwerb, der Besitz, das Überlassen, das Führen, das Verbringen, das Mitnehmen, das Herstellen, das Instandsetzen sowie der Handel damit verboten. Ebenso ist es nicht erlaubt, zum Herstellen von Molotowcocktails anzuleiten oder aufzufordern. Verstöße gegen das Verbot werden mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
Wikipedia: Molotowcocktail, auch Brandflasche oder Benzinbombe, abgekürzt häufig auch Molli genannt, ist eine Sammelbezeichnung für eine Vielzahl einfacher Wurfbrandsätze, wie sie bei Aufständen, Krawallen, Straßenschlachten, in Guerillakriegen oder zur Verübung von Brandanschlägen verwendet werden.
Das Griechische Feuer, Feuertöpfe und Brandkugeln sind frühere Formen eines Wurfbrandsatzes. Durch die zunehmende Verarbeitung von Erdöl zu petrochemischen Produkten wie Petroleum oder Benzin und deren Verbreitung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren entsprechend gut brennbare Flüssigkeiten praktisch für jedermann leicht erhältlich, so dass die Verwendung dieser Art von Waffen auch in irregulären Konflikten möglich wurde. Erstmals mit eindeutigem Beleg kam die Waffe im russischen Bürgerkrieg (1918–1922) zum Einsatz.
Der Name selbst wurde 1939/40 von finnischen Soldaten und Zivilisten in Anlehnung an Wjatscheslaw Molotow, den damaligen sowjetischen Regierungschef und Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten Stalins, geprägt, der für die sowjetische Invasion in Finnland beziehungsweise deren Verharmlosung und den folgenden „Winterkrieg“ verantwortlich gemacht wurde.[1] Molotow hatte beim Versuch der Annexion behauptet, russische Bomber würden Brot für die Zivilbevölkerung bringen – eine Lüge, die in Finnland für Empörung sorgte. Die Finnen nannten daraufhin die Bomben “Molotows Brotkörbe” und wollten den Sowjetsoldaten dazu mit ihren Brandsätzen das passende Getränk servieren, in finnisch: “Molotovin koktaili” (“Molotows Coktail”). Die Verschiebung zu Molotowcocktail entstand erst später.
“Die Angriffe der russischen Panzer wurden mit großer Kühnheit und einem neuen Typ von Handgranaten, der bald den Spitznamen ‘Molotow-Cocktail’ erhielt, abgeschlagen.”(Winston Churchill)
.
.
.
.
Durchcomputerisierte Welt
Die dritte Industrielle Revolution bereitete sich zur selben Zeit wie die Gründung von IWF und Weltbank am Ende des letzten imperialistischen “Zweiten Weltkriegs” vor. Dazu fanden zwischen 1946 und 1953 die so genannten “Macy-Konferenzen” statt, auf denen sich die “technokratische Wissenschaftselite der USA”, darunter viele Emigranten aus Europa, versammelt hatte – um ausgehend von der Waffenlenk-Systemforschung, der Kryptologie, der Experimentalpsychologie und der Informationswissenschaft sowie von Erwin Schrödingers 1943 erschienenem Buch “What is Life?” Theorie und Praxis der “Circular Causal and Feedback Mechanisms in Biological and Social Systems” zu diskutieren. Hierzu gehörten u.a. John von Neumann, Norbert Wiener, Claude Shannon, Gregory Bateson und Margret Mead, als Konferenzsekretär fungierte zweitweilig Heinz von Foerster. Im Endeffekt entstand daraus die inzwischen nahezu weltweit durchgesetzte und empirisch fruchtbar gewordene Überzeugung, dass die Gesetze komplexer Systeme unabhängig von dem Stoff, aus dem sie gemacht sind – also auf Tiere, Computer und Volkswirtschaften gleichermaßen zutreffen.
Als einer der ersten Gegner dieses bald immer mehr Wissenschaftsbereiche erfassenden Paradigmenwechsels trat 1953 der Schriftsteller Kurt Vonnegut mit seinem Buch “Das höllische System” auf, in dem er die Massenarbeitslosigkeit produzierenden Folgen des kybernetischen Denkens bei seiner umfassender Anwendung beschrieb, die Herbert Marcuse dann als “Herrschaft eines technologischen Apriori” bezeichnete, was der Wiener Philosoph Günters Anders wiederum zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen und Recherchen zur “Antiquiertheit des Menschen” machte. Diese besteht nach ihm darin, dass spätestens mit dem Koreakrieg (1950-53) die rechnerischen Kalküle alle moralischen Urteile ersetzt haben. Selbst die antifaschistischen Charakteranalysen von Adorno im amerikanischen Exil fanden noch Eingang in die Macy-Konferenzen, indem man auch den “‘Antiautoritären Menschen nach Maß’ noch zum Ziel der Kybernetik erklärte.
In dem Aufruhr-Szenario, das Vonnegut entwarf – indem er die Militärforschung des “Fathers of Cyborg” Norbert Wiener und des Mathematikers John von Neumann weiter dachte – geht es um die Folgen der “Maschinisierung von Hand- und Kopfarbeit”, d.h. um die vom Produktionsprozeß freigesetzten Menschenmassen, die überflüssig sind und nur noch die Wahl haben zwischen 1-Dollarjobs in Kommunen und Militärdienst im Ausland, wobei sich beides nicht groß unterscheidet. Theoretisch könnten sie sich auch selbständig machen – “Ich-AGs” gründen, wie das 1997 in Wisconsin entwickelte “Trial Job”-Modell nach Übernahme durch die rotgrüne Regierung hierzulande heißt, oder „Start-Ups“. „Reparaturwerkstätten, klar! Ich wollte eine aufmachen, als ich arbeitslos geworden bin. Joe, Sam und Alf auch. Wir haben alle geschickte Hände. Für jedes defekte Gerät in der Stadt ein eigener Mechaniker. Gleichzeitig sahnen unsere Frauen als Schneiderinnen ab – für jede Einwohnerin eine eigene Schneiderin.”
Da das nicht geht, bleibt es also dabei: Die Massen werden scheinbeschäftigt und sozial mehr schlecht als recht endversorgt, während eine kleine Elite mit hohem I.Q., vor allem “Ingenieure und Manager”, die Gesellschaft bzw. das, was davon übrig geblieben ist – „Das höllische System” – weiter perfektioniert. An vorderster Front steht dabei Norbert Wiener. Schon bald sind alle Sicherheitseinrichtungen und -gesetze gegen Sabotage und Terror gerichtet. Trotzdem organisieren sich die unzufriedenen Deklassierten im Untergrund, sie werden von immer mehr “Aussteigern” unterstützt. Der Autor erwähnt namentlich John von Neumann. Nach Erscheinen des Romans beschwerte sich Norbert Wiener brieflich beim Autor über seine Rolle darin. Die Biologiehistorikerin Lily E. Kay bemerkt dazu in ihrem 2002 auf Deutsch erschienenen “Buch des Lebens” – über die Entschlüsselung des genetischen Codes: „Wiener scheint den Kern von Vonneguts Roman völlig übersehen zu haben. Er betrachtete ihn als gewöhnliche Science Fiction und kritisierte bloß die Verwendung seines und der von Neumanns Namen darin.” Vonnegut antwortete Wiener damals: „Das Buch stellt eine Anklage gegen die Wissenschaft dar, so wie sie heute betrieben wird.”
Im Roman geht es dann so weiter, dass die von der fortschreitenden Automatisierung auf die Straße Geworfenen sich organisieren, wobei sie sich an den letzten verzweifelten Revivalaktionen der Sioux im 19. Jahrhundert orientieren: an den Ghost-Dancers, die gefranste westliche Secondhand-Klamotten trugen. Im Roman heißen sie “Geisterhemd-Gesellschaften” – und irgendwann schlagen sie los, d.h. sie sprengen alle möglichen Regierungsgebäude und Fabriken in die Luft, wobei es ihnen vor allem um den EPICAC-Zentralcomputer in Los Alamos geht. Ihr Aufstand scheitert jedoch. Nicht zuletzt, weil die Massen nur daran interessiert sind, wieder an „ihren“ Maschinen zu arbeiten. Bevor die Rädelsführer hingerichtet werden, sagt einer, von Neumann: “Dies ist nicht das Ende, wissen Sie.” Leider ging es jedoch erst einmal so weiter, dass heute jeder mindestens einen Handcomputer hat, der ihn trotz Vereinsamung mit der Welt „verbindet“.
.
.
.
.
.
Der „Animal Turn“
In der Germanistik wurde erst ein „Cultural Turn“, dann ein „Visual Turn“ und nun in der Geschichtswissenschaft ein „Animal Turn“ ausgerufen. Letzteres war eine Zuspitzung in den „Animal Studies“, wobei inzwischen ganze Buchreihen, u.a. in der Michigan State University Press, diesem „Turn“ gewidmet sind. Gemeint ist damit eine Geschichte von unten, d.h eine Darstellung aus der Sicht von Tieren, die dabei als Subjekte wahrgenommen werden.
Derlei ist vor allem in den USA verbreitet – und mit einer ganzen Reihe von Zeitschriften, Dokumentarfilmen und Videoclips verbunden, wobei die Anarchisten wohl die ersten waren, die, inspiriert von Kropotkins Werk „Die gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt“ (1900), Nutz- und Wildtiere in ihren Fokus auf Widerstand nahmen. Auch der Anarchist Jaroslav Hasek zählt dazu. Er meinte 1910 „Ich habe mich politisch umgestellt. Ich bin jetzt bei den Tieren“ – als er Chefredakteur der Zeitschrift „Welt der Tiere“ wurde.
Auch in Deutschland gibt es „Animal Studies“, die darin entstandenen Publikationen sind jedoch noch reichlich akademisch gequält, während die Amis natürlich stark empirisch ausgerichtet sind. So veröffentlichte der Historiker Jason Hribal 2003 einen Text mit dem Titel: „Die Tiere sind Teil der Arbeiterklasse: Eine Herausforderung für die Geschichte der Arbeit“. 2007: „Tiere, Widerstandsformen und Klasse: Die Geschichte der Tiere von unten schreiben“ und 2010: „Angst vor einem Planet der Tiere: Die verborgene Geschichte der Rebellion von Tieren“.
Ich lese gerade von der „Animal Studies“-Autorin Sarat Colling das Buch „Der Widerstand von Tieren in der Äre des globalisierten Kapitalismus“ (2021). Es handelt zur Hauptsache von Tieren, die aus Farmen, Zoos und Schlachthöfen flüchteten. Viele wurden wieder eingefangen, manchmal erst nach Monaten, nur wenige blieben für immer verschwunden (frei), aber etliche landeten, nachdem man sie betäubt und eingefangen hatte, in Tierasylen (Sanctuaries), wo sie bis zu ihrem natürlichen Tod leben dürfen. Schon während ihrer Flucht bekamen sie Namen (die Kuh „Emily“ später sogar ein Denkmal neben Ghandi auf einem Pazifistenfriedhof) – und zwar von Reportern, die eine „Story“ witterten und im Übrigen der Meinung waren, dieses oder jenes Tier, dass so viel unternommen hat, um frei zu sein, hat es verdient, am Leben zu bleiben. Rinder, Schafe, Ziegen, Affen, Kamele, Papageien, Hühner und Truthähne, die ihre Freiheit erkämpften, sich dann oft in Wäldern versteckten und benamt wurden, erlangten durch die Medien den Status von Subjekten/Individuen, während all jene Tiere – Milliarden jährlich, die ihr Schicksal nicht herausforderten, sondern halbwegs friedlich in den Schlachthof gingen oder in ihrem Käfig blieben, Statistik/Objekte sind.
Auch in Deutschland sind die Medien im Falle von entflohenen Tieren meist auf deren Seite und nicht auf der ihrer Besitzer, die sie wieder haben wollen, um sie weiter auszubeuten, zu schlachten oder zu zwingen, erneut gegen Geld ein Publikum zu unterhalten. In München hatte z.B. ein Polizeitrupp eine „wild gewordene Kuh“ erschossen, die sich auf dem Schlachthof losgerissen und eine Joggergruppe auf dem Bavariaring über den Haufen gerannt hatte. Die Beamten hatten das Tier zuerst mit ihren Pistolen bewegungsunfähig geschossen – und anschließend mit zwei Gewehrschüssen getötet. Der „Spiegel“ sprach von einem „Kugelhagel“, in dem die Kuh starb. Schon am nächsten Tag wurden am Tatort Blumen hinterlegt, sowie Grablichter in Milchflaschen angezündet und mit einem Zettel „an das Kuh-Drama erinnert“, wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete. „Sie wollte leben und floh vor dem Schlachthof“, stand auf dem Zettel.
Noch parteiischer wirkte die Tierrechtsorganisation „Animal Peace“, als sie auf ihrer Internetseite „viva-vegan.info“ frohlockte: „Ein dreijähriger Bulle hat nahe Köln seinen Sklavenhalter angegriffen und tödlich verletzt. Der 61-jährige Landwirt wollte eine Schiebetür im Stall reparieren. Als am Abend der Sohn den Stall betrat, um die Kühe zu melken, entdeckte er die Leiche seines Vaters. Wir verneigen uns vor dem Held der Freiheit. Mögen ihm viele weitere Rinder in den Aufstand der Geknechteten folgen.“ Es folgten erst einmal heftige Kritik von allen Seiten und sogar eine Strafanzeige, so dass die radikalen Veganer sich gezwungen sahen, ihre Äußerung zu verteidigen: „Wir haben mit keinem einzigen Wort den getöteten Bauern verhöhnt.“ Man habe sich nur über den „Aufstand eines Geknechteten“ gefreut. „Es ist eine politische und keine persönliche Botschaft.“ Rinder seien Subjekte, „die fühlen und denken können und mit diesen Gefühlen und Gedanken ein freies und unversehrtes Leben führen wollen. Wie wir.“ Die Vegetarier/Veganer sind nicht nur gegen die Bio-Bauern, weil auch sie ihre Tiere töten, daneben bemühen sie sich auch um den Nachweis, dass Milch nicht gut für uns ist, sie ist für das Kalb da. Zudem sei auch die Milch „Produkt eines Gewaltverhältnisses“.
Die Amis im „Animal Turn“ sind natürlich durchweg Veganer, während hierzulande die Bauern und Spitzköche den Verzicht auf tierische Produkte schlicht für Schwachsinn halten. Leider nicht deswegen, weil Pflanzen und Tiere sich nicht groß unterscheiden. Es gibt nur zwei nicht-parasitär lebende Säugetiere: Flughunde und Wickelbären. Sie essen nur das, was die Pflanzen ihnen freiwillig anbieten.
.
.
Ralf Sotschek
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
Schwarze Löcher
Die Ukraine-Kriegsbegeisterung der Millenials ist erklärungsbedürftig. Ist es die Techno-Marschmusik? Der Religionswissenschaftler der FU Klaus Heinrich hielt dafür eher „Sucht und Sog“, über das er 1993 in einem Vortrag in der Psychiatrischen Klinik des Universitätsklinikums der FU Berlin sprach: Die ungerührte Hinnahme der realen Katastrophen scheint zu bekunden: „Sie sind immer noch nicht katastrophisch genug, jede Möglichkeit der visuellen Steigerung wird ausgeschlachtet, die Phantasmagorien laufen der Realität, und zwar mit dem Anspruch, selbst real zu sein oder doch wenigstens so potent, dass sie die Wirklichkeit hinter sich herzuziehen vermögen, lustvoll davon.“
Die Katastrophenfaszination und, „ihr entsprechend, das süchtige Hinarbeiten auf die Katastrophe scheint im großen das zu sein, was unser ‚normales‘ alltägliches Suchtverhalten im kleinen ist…Und es sind ja auch die gleichen Subjekte, die hier von den Suchtmitteln des Konsums und dort von der medialen Exaltation der Verarbeitung realer und imaginärer Katastrophen angezogen und mit schöner Regelmäßigkeit enttäuscht werden (und die Enttäuschung immer auch herbeizuführen trachten, d.h. süchtig nach Enttäuschung, sind, die allein sie weiterbringt auf dem Vertilgungsweg).“
Die „sexuell aufgeladene Realerfahrung und Metaphernwelt des Sogs“ – mit seiner „Maelströmfaszination“, also „diese Schoßmetapher für Vereinigung durch Ausgelöschtwerden“, erscheint Klaus Heinrich als ein sehr realistisches Bild „historischer Ambivalenz und Schuldgefühle, und zwar auf dem Hintergrund der Geschlechterspannung – die ja das Movens aller Faszination“ ist.
Der „Sog als Schoßmetapher, sozusagen der Schoß in actu, der uns in Totalregression in sich hineinzuziehen verspricht, überschreitet freilich die Imagines von Geschlecht und Mund, ist daher Grund der Faszination von all jenen gefahrvollen Situationen, die uns immer wieder in die Nähe des Ausgelöschtwerdens mit selbstzerstörerischer Lockung vor Augen führen und die wir darum mit lustvollem Schauder teils herbeiführen teils aufsuchen.“
Laut Heinrich kann „die überspitzte Formulierung: ‚die Welt selbst aus der Welt zu schaffen, und ihr nach!‘ nur so lange als abstrakte Konstruktion gelten, wie wir sie bildlos dem Maelström gegenüberstellen…Wir bewegen uns in katastrophisch eingefärbten Untergangs- und Auferstehungs-Visionen, damit immer noch in einem großen, kosmisch geweiteten Initiationsraum. Und damit nicht genug: Chaostheorien beschwören die Selbstordnungskräfte der Materie und lassen uns als Nutznießer davon profitieren. Wirklich populär geworden aber ist das Bild – die große Phantasie vom ‚Schwarzen Loch‘. Dies ist die erstaunlichste Schoßmetapher, die wir zur Zeit haben: spur- und zeichenlos saugt es ein und läßt verschwinden, auch die Reizüberbietung der Katastrophenmetapher ist stillgestellt, denn keine Information dringt hier heraus, geschweige, dass ein Geschichtenerzähler, ein kosmischer Aussteiger sozusagen, ihm entkäme.“
Dazu die Bild-Zeitung: „Weltallmonster bedroht Erde. Vor zwei Stunden Schwarzes Loch in Erdnähe entdeckt! Verschlingt alles erbarmungslos! Unser Reporter interviewt den Entdecker exklusiv!“
Laut Süddeutsche Zeitung gelang der US-Informatikerin Katie Bouman 2019 das erste Foto von einem Schwarzen Loch.
Die Zeitschrift „Nature“ berichtete: „Ein Schwarzes Loch in 12 Lichtjahren Entfernung – die Strecke, die Licht in zwölf Jahren zurücklegt. (Licht breitet sich mit knapp 300000 Kilometern pro Sekunde, d.h. mit etwa einer Milliarde Stundenkilometern aus). Das neu entdeckte Schwarze Loch ist nur dreimal so weit vom Sonnensystem entfernt wie unser nächster Nachbar, der Stern Alpha Centauri, und gehört damit zu unserer unmittelbaren kosmischen Nachbarschaft. Die Europäische Raumfahrtagentur ESA hat sofort die Entsendung einer unbemannten Raumsonde angekündigt, die fundamentale neue Erkenntnisse liefern wird. Diese Mission ist ein Generationenprojekt: Bis die Sonde das Schwarze Loch erreicht, werden Jahrzehnte vergehen und wenn dann die ersten Daten zur Erde gefunkt werden, brauchen sie weitere 12 Jahre für den Rückweg.“
2020 schreibt das Wissenschaftsforum „spektrum.de“: Wenn „die Masse des Universums in seinem Hubble-Radius so groß ist wie die Masse eines Schwarzen Lochs im gleichen Radius“, dann läßt sich unser ganzes „Universum als das Innere eines Schwarzen Lochs annehmen“, was bedeute, „wir leben in einem Schwarzen Loch“, sind also schon drin.
Das konnte Klaus Heinrich 1993 noch nicht wissen. Bei ihm heißt es weiter über das begehrt-gefürchtete Schwarze Loch: „Der sexuelle Phantasiehorizont in dem die Forschung metaphorisch eingebunden bleibt, wird aufdringlich deutlich im sogenannten ‚Keine-Haare-Theorem‘: ‚Ein Schwarzes Loch hat keine Haare‘ (das bezeichnet den Umstand, dass die Beschaffenheit des Körpers, aus dessen Zusammensturz es resultiert, keinen Einfluß hat auf die Größe und die Gestalt des Lochs.)“. Das Schwarze Loch ist ein schamhaarloser Genderwitz.
Heinrich zufolge ist „die Macht der mit Geschlechterspannung verfahrenden Phantasie so stark, dass dieses letzte katastrophische Sucht-und Sogprodukt“ – so nennt er es angesichts seiner Popularität – „doch wieder als Schoß und Schlund erscheint, freilich als einer, der nur noch in der einen, der zerstörerischen Richtung tätig ist.“
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.