Seit neuestem darf man nun auch nicht mehr im taz-café rauchen, es bleiben die eiskalten Etagenflure im Lieferanten-Treppenhaus mit ihren großen Stehaschenbechern. Viele Wirte in Berlin halten sich gottlob erst mal noch nicht an das staatlich verfügte Rauchverbot in ihren Kneipen. Erstaunlicherweise leisten jedoch fast alle türkischen Wirte vorauseilenden Gehorsam – haben die Scheißdeutschen sie schon so weit klein gekriegt. In Berlin, so hofft man dennoch, wird sich der Widerstand gegen das Rauchverbot konzentrieren, denn hier wurde während und mit der Revolution 1848 das Rauchen in der Öffentlichkeit erkämpft – es war das einzige Zugeständnis der Obrigkeit an die revoltierenden Bürger. Und nun soll auch das wieder wie so viele andere Errungenschaften rückgängig gemacht werden. Später hat Willy Brandt sich als Kanzler gegen eine Besteuerung des Tabaks zum Selbstdrehen ausgesprochen – mit dem Argument: Der Tabak sei für die Zigaretten des kleinen Mannes und dessen wenige Freuden dürfe man ihm nicht nehmen. Sein Nachfolger Helmut Schmidt profitiert immer noch von der Brandtschen Raucherunterstützung: Er ist nun der einzige, der überall rauchen darf, auch in den Nichtraucherzonen der Zeitredaktion, der Fernsehanstalten usw.. In der taz galt Ähnliches eine zeitlang für den kettenrauchenden Altmaoisten Christian Semler – mit dem Argument, dass man jemanden in seinem Alter nicht mehr mit solch albernen Verboten kommen dürfe. Der Rest der taz-Belegschaft sei dagegen noch so jung und dumm, d.h. antimaoistisch, dass er sich jedem Scheißverbot sofort und fast ohne zu murren fügt.
„Das Leben, das legen die sich so aus: Die Eierstöcke sind die größten Philosophen“ (Gottfried Benn)
In der Französischen Revolution rang man um „Egalité“, um Gleichheit. Vom Direktorium enttäuscht gründete Gracchus Babeuf gar eine „Verschwörung der Gleichen“. Zwar entwickelte sich dann mit der ökonomischen Herrschaft der Bourgeoisie eher die Ungleichheit. Aber mit den zwei russischen Revolutionen geriet die Gleichheit erneut aufs Programm. Dieses wurde im Westen mit dem Sozialstaat sukzessive zu einer „Gesellschaft der Ähnlichen“ fortentwickelt.
Auch davon hat man sich nun in Europa verabschiedet. Wenn deutsche Eltern ihre Kinder aus ausländerdominierten Schulen nehmen, weil sie in den „guten Schulen“ mehr für ihre spätere Karriere mitbekommen; wenn Eltern aus „Problembezirken“ in „bessere Wohngegenden“ ziehen, wenn mit Hartz IV zigtausende Sozialhilfeempfänger in billige Plattenbauwohnungen umgesetzt werden (die übrigens inzwischen großenteils US-Immobilienfonds gehören), dadurch ganze Arbeitslosenviertel als „soziale Brennpunkte“ entstehen – und auf der anderen Seite immer mehr „gated communities“ für Reiche … Wenn also diese „Entmischung“ der Bevölkerung anhält und sich sogar noch weiter ausfächert – bis hin zu „Gehaltsspreizungen“, die selbst Belegschaften in tarifentlohnte Festangestellte und unterbezahlte Zeitarbeiter spaltet – dann entsteht eine „Gesellschaft der Ungleichheit“, deren Schichten der Staat mit seinen Sicherheitsleistungen nur noch separatistisch fixiert.
Betriebs- und familienegoistisch gedacht macht eine solche Apartheid Sinn, sozial gesehen wird jedoch im (statistischen) Endeffekt der Bürgerkrieg programmiert. Zumal es für die ganzen „Überflüssigen“ (Z. Baumann) heute kein „Neuland“ in Übersee mehr gibt, das im vorigen Jahrhundert immer wieder den Druck aus den (nationalen) Kesseln nahm – durch Auswanderung. Bereits im Jahr 1992 gab BMW-Chef Eberhard von Kuenheim zu bedenken: „Wir sind gezwungen, unsere betriebswirtschaftlichen Probleme zulasten der Volkswirtschaft zu lösen.“
Dies trifft auch auf viele Intellektuelle zu, die sich einmal kommunistisch als „Tote auf Urlaub“ begriffen. Nun aber, indem sie heiraten, Kinder kriegen, ein Landhaus ausbauen, sich gesund ernähren, in Urlaub fahren und mit dem Rauchen aufhören, selber ihren „Wanst ständig in Schusshöhe tragen“, wie es im Zweiten Surrealistischen Manifest hieß. Sie halten itzo die globalisierte Warenproduktion für der Weisheit letzten Schluss.
Die slowenische Philosophin Alenka Zupancic, die kürzlich in Berlin referierte, hat diese Verelendung infolge von Etablierung im Zusammenhang mit Kants „Ethik“, die immer mehr zur Legitimation dieser ganzen „Scheiße“ (Karl Marx) herhalten muss, herausgearbeitet: Die Ethik wird dabei etwas „im Kern Restriktives, eine Funktion“.
Möglich wird dies, indem man „jeder Erfindung oder Schöpfung des Guten entsagt und ganz im Gegenteil als höchstes Gut ein bereits fest Etabliertes oder Gegebenes annimmt (das Leben etwa) und Ethik als Erhaltung dieses Gutes definiert“.
Das Leben mag die Voraussetzung jeder Ausübung von Ethik sein. Aber wenn man aus dieser Voraussetzung das letzte Ziel der Ethik macht, ist Schluss mit der Ethik. Sie basiert nunmehr auf einer regelrechten Ideologie des Lebens.
Das Leben, sagt man uns, ist zu kurz und zu „kostbar“, um sich in die Verfolgung dieser oder jener „illusorischen“ Projekte verstricken zu lassen. Die Individuen müssen sich immer häufiger fragen lassen: Was hast du aus deinem Leben gemacht? Du hast zehn Jahre mit einer Sache verloren, die zu keinem greifbaren Ergebnis geführt hat? Du hast keine Nachkommen? Du bist nicht einmal berühmt? Wo sind denn die Ergebnisse deines Lebens? Bist du wenigstens glücklich? Nicht einmal das! Du rauchst?
Man wird nicht nur für sein Unglück verantwortlich gemacht, die Lage ist noch viel perverser: „Das Unglück wird zur Hauptquelle der Schuldigkeit, zum Zeichen dafür, dass wir nicht auf der Höhe dieses wunderbaren Lebens waren, das uns ,geschenkt‘ worden ist. Man ist nicht etwa elend, weil man sich schuldig fühlt. Man ist schuldig, weil man sich elend fühlt. Das Unglück ist Folge eines moralischen Fehlers.“ Wenn du also moralisch sein willst, dann sei glücklich! Nein!!!
Für die taz von heute interviewte Detlef Kuhlbrodt den kettenrauchenden Professor Friedrich Kittler, in dessen Seminaren an der Humboldt-Universität überall Aschenbecher aus Porzellan und Glas stehen:
Wir treffen uns gegen Mittag. Herr Kittler ist ein bisschen müde. In den letzten Wochen war er viel verreist und hat später am Tag auch noch drei Termine. Bei einem dieser Termine wird er mit Norbert Bolz noch einmal über sein berühmtes Buch „Grammophon, Film, Typewriter“ (1986) sprechen, das ganze Studentengenerationen beeinflusst hat. (Norbert Bolz hatte Ende der 80er Jahre zusammen mit dem großen Judaisten und Hermeneuten Jacob Taubes tolle Nietzscheseminare gegeben. In diesem Umfeld hatte ich Cord Riechelmann kennengelernt, der nun bei Kittler Assistent ist und mich an den berühmten Medientheoretiker vermittelt hatte. Wenn man von Kittler und Bolz spricht, ist Klaus Theweleit nicht fern. Man nennt sie auch die „Freiburger drei“.)
Friedrich Kittler hat eine schöne wohltuende Stimme, die an den Enden der Sätze manchmal kleine Melodien andeutet. Vielleicht hat das mit seinem letzten Buch zu tun, das von „Musik und Mathematik“ handelt.
Seit fast 50 Jahren raucht der berühmte Medientheoretiker schon die Marke Benson & Hedges. Ich rauche seit fast 30 Jahren Camel ohne. Wir sprechen mehr als zwei Stunden über Zigaretten. Die ungekürzte Version des Gesprächs hätte etwa fünf taz-Seiten gefüllt.
Friedrich Kittler: Da war ich wohl zehn. Wir hatten so eine Höhle im Wald gebaut und hatten dort angefangen mit Eiche und haben da sofort Durchfall von bekommen. Birke war ganz gut zu rauchen, aber schmeckte auch nicht. Und dann haben wir den jüngeren Bruder von Richard genommen und der hat uns dann fünf Zigaretten beschafft. Der war acht und konnte so tun, als wenn er für seinen Vater kaufen würde. Wir wären ja schon verdächtigt worden, wenn wir in den Laden gegangen wären.
Auf dem letzten Klassentreffen hat jemand erzählt, dass wir hinter dem Schulgebäude in Sachsen geraucht haben. Da waren wir zwölf.
Er erzählte das laut und deutlich und das Mädchen, um das ich damals geworben hab und von dem ich bis heute nicht wusste, ob sie nun Gegenliebe empfunden hatte oder nicht, sagte, als wir das erzählt hatten: „Auch du?!“ – und dann kam mein Kinderspitznamen und dann wusste ich, dass sie mich damals geliebt hat. Das weiß ich seit vier Wochen.
Die Jungen hatten damals nur zwei Rollenbilder als Gymnasiast – entweder gehörte man zu den Nichtrauchern oder zu den Rauchern. Die einen galten als erotisch aktiv; die anderen als erotisch passiv oder als schwul, als impotent, als desinteressiert, als zurückgeblieben, zu katholisch, ihren Eltern zu sehr unterworfen.
Angeblich haben sich die Zigaretten ja über den Krimkrieg in Europa durchgesetzt. Die Engländer und Franzosen, die auf der Krim gelandet sind, kamen eher aus der Kultur der Zigarre und Zigarillos, während die armen russischen Muschiks schon damals ihre Papyrossi rauchten. Das hat sich dann wie immer vom Feind übertragen.
Und dann gibt es noch diese Regel, dass man nicht zwei Leuten außer sich selbst Feuer gibt.
Die Erklärung dafür kommt auch aus dem Krieg: Wenn man das im Schützengraben gemacht hätte, wäre beim ersten Feuergeben erkannt worden, dass überhaupt Feuer benutzt wurde; beim zweiten Feuergeben hätte der Gegner angelegt und beim dritten geschossen. Der Dritte, dem man Feuer gegeben hätte, wäre also totgeschossen worden. Ein schönes Märchen eigentlich.
Als junger Mann hab ich wahnsinnig gerne „Dorian Gray“ gelesen von Oscar Wilde und da steht dieser Satz: „Die Zigarette ist der vollkommene Genuss, weil sie unbefriedigt lässt.“ Das stimmt aber gar nicht, sondern ist aus der Sicht eines Kettenrauchers formuliert. Wenn man viel raucht, lässt die Zigarette unbefriedigt; raucht man aber nur eine, erschlägt sie einen wie jede andere Droge eigentlich auch. Aber im Unterschied zu den anderen Drogen, die verboten sind oder verpönt, war das Zigarettenrauchen eben bis jetzt in der Öffentlichkeit erlaubt und es hing kein Tabu darüber.
Vielleicht wird das sehr witzig ab dem 1. Januar, weil die Zigaretten dann so verboten sind, dass sie weniger geraucht werden und wieder mehr als Drogen erfahren werden. Das wäre das einzige Positive, was ich diesem schrecklichen Rauchverbot abgewinnen könnte. Ansonsten sehe ich da überhaupt nichts Positives.
Der Staat hat kein Recht, sich in solche Dinge einzumengen. Am Sonntag sagte mir eine kluge Frau: „Die Welt ist eigentlich immer in Balance und wenn weniger Zigarettentodesarten auftreten, dann fressen die Leute mehr und kriegen häufiger Diabetes.“ Die Summe der Todesarten bleibt jedenfalls strukturell auch für die Krankenkassen gleich, also auch die Kosten des Todes. Der Tod ist sowieso unvermeidlich. Insofern besteht in thanatologischer Hinsicht überhaupt kein Grund, das so zu machen; aber ich finde auch in moralischer und ethischer Hinsicht. Seit wann sind denn demokratisch freie Staaten, legitimiert, solche Eingriffen in das Privatleben und Verhalten der Menschen zu machen?
Wenn man Carlos Castaneda und solchen Helden glaubt, war das Rauchen ja ein heiliges Ritual und wurde von einem Lehrer/Guru überwacht, damit kein Horrortrip auftritt. Es wurde vierzig Tage prämeditiert und vierzig Tage nachmeditiert und es war ein hohes indianisches Heiligtum.
Und die Weißen, die jetzt das Feuerwasser bringen, übernehmen von den Indianern den Tabak und bringen es wie immer fertig, aus dem Heiligen ein profanes Ding zu machen. Es wird also zum profanen Laster, wird nach Europa importiert von Piraten und Gangstern und der Tabak wird unter Staatsaufsicht gestellt. Und dann im 17. Jahrhundert werden wahnsinnig viele das Rauchen betreffende Gesetze erlassen. In Berlin und London durfte man etwa auf der Straße gar nicht rauchen, weil das als extremer Verfall an indianische, barbarische Sitten galt, und dann – Ende des 17., Anfang des 18. Jahrhunderts – entdecken die Staaten, dass jedes Laster zwar ein Laster ist, aber andererseits auch eine staatliche Geldquelle sein kann. Und das Rauchen wird wieder erlaubt und es gibt eine Tabaksteuer.
Die Leute sollen jetzt also rauchen, damit der Staat Geld verdient. Und von dem Geld – und von dem Postmonopol des preußischen Staats – wird dann der Siebenjährige Krieg finanziert.
Aus solchen merkwürdigen Steuereinkommen, die ja bis heute die Förderseite des Staats an den Zigaretten sind. Man freut sich also, dass wir rauchen, obwohl wir es eigentlich gar nicht sollen, und deshalb werden die Tabaksteuern immer weiter erhöht.
Ein Pfennig hatte glaube ich eine Zigarette gekostet, als ich anfing, die ersten heimlichen Zigaretten mit zehn oder elf bei meinen Freunden zu kaufen und jetzt kostet eine so viel, wie früher eine ganze Schachtel kostete.
Und die Abschaffung der drei Stück – jetzt haben wir ja nur noch 17 Zigaretten in der Packung – finanziert das Anti-Terror-Zentrum von Herrn Schily in der ehemaligen Treptower Telegrafenbataillonskaserne, ist mir zugeflüstert worden.
Das Anti-Terror-Zentrum schlägt sich ja mit den Rändern der Zivilisation herum, mit den Wüsten und Steppen und ölreichen Feldern usw. – das ist schon eine Art Pynchon-Geschichte.
Als die einen bekennenden Raucher suchten, haben sie natürlich zuallererst an Helmut Schmidt gedacht. Sie haben ihn also angerufen und Schmidt hat gesagt: „Ich mache gerne einen Auftritt kurz vor Mitternacht, aber ,Morgenmagazin‘ ist mir einfach zu popelig.“
Dann haben sie weiter überlegt, wen sie als bekennenden Raucher in ihre Sendung kriegen können. Dann haben sie Herrn Steinbrück gefragt und dann haben sie Herrn Müntefering gefragt und dann haben sie Herrn Steinmeier gefragt. Alle drei haben abgelehnt, weil sie sich nicht outen wollten. Und dann blieb quasi nur noch ich in Berlin.
Derjenige Freiburger Dozent, dem ich am meisten verdanke, der kürzlich verstorbene Horst Ochse, hatte sich hier in Berlin, als er Professor geworden war, vollkommen zurückgezogen, auch aus privaten Gründen. Er lebte völlig allein, wie alle seine Bücherhelden, nach der Devise: „Gäste empfange ich frühestens nachts um drei. Am Tag will ich keinen Menschen sehen.“ Und dann kam ich dann, nachts um drei, und musste irgendein Signal pfeifen auf der Straße, mich also quasi akustisch ausweisen. Dann kam er runter und hat die Tür aufgeschlossen und dann kam ich hoch – vier Treppen – und da lag – schon aufgemacht – eine volle Schachtel Benson & Hedges vor dem Sessel, in den er mich hineinbat.
Er hatte also genau überlegt, wie er Kittler empfängt und wusste noch ganz genau, was ich rauche, obgleich wir uns zwanzig Jahre nicht mehr gesehen hatten. Das war eine Form der Höflichkeit, die man mit solchen Gesten herstellt und diese Form der Höflichkeit wird uns jetzt sozusagen – zumindest in der Öffentlichkeit – entwendet.
Ich muss ja immer meinen Assoziationen hinterherjagen wie andere Leute ihren Rauchwolken: Gottfried Benn schreibt irgendwo, dass 1913, mit der Camel – Ihrer Zigarettenmarke – die erste Blended-Zigarette auf den Markt gekommen ist. Dass also zum ersten Mal Orient und Okzident in einer einzigen Zigarette zusammengemischt waren. Davor hatte man immer nur entweder Virginia oder Orientzigaretten gehabt.
Ist die Zigarette danach! Wenn zwei langsam aus den Glückszuständen der Orgasmen wieder erwachen und sich eine Zigarette im Bett erlauben, ausnahmsweise. Das ist so eine schöne Geste und wenn’s die Frau ist, die sagt, „lass uns eine rauchen“, ist das doch einer der schönsten Momente. Das habe ich gerade erleben dürfen, deshalb musste ich das erzählen. (Pause)
Und jetzt die einsamen Zigaretten … Das einsame Haschisch ist ja auch was ganz anderes, als das Haschisch in der Gruppe, oder der Joint, der, wie der Name schon sagt, verbindet, indem er wandert im Kreis.
Detlef Kuhlbrodt: Mir ist unter cannabisrauchenden Bekannten aufgefallen, dass viele das Tabakrauchen aufgehört haben und nun nur noch pur Gras oder Hasch rauchen.
Friedrich Kittler: Das sollte man festhalten. Wenn man mit dem späten Foucault darangeht, gibt es eine Ethik und Ästhetik der Existenz und dazu würde dann auch gehören, dass ein vernünftiger Haschischraucher oder -esser nicht gleichzeitig Nikotin oder Alkohol dazu nehmen soll. Alle Welt weiß ja, wie ruinös die Vermengung von Drogen sein kann. Die Horrortrips – zumindest in meiner Erfahrung und in meinem Bekanntenkreis – entstehen ja durch wahllose Promiskuität des Einnehmens diverser Drogen gleichzeitig. Man muss sich dem Laster aber auch aufschließen und dieser einen Droge ihr Monopol oder ihre Ehre lassen.
Detlef Kuhlbrodt: Ich war vor fast zwei Jahren im Winter in Helsinki gewesen und hatte dort eine Freundin besucht. In dem Haus, in dem sie wohnte, war das Rauchen verboten. Deshalb bin ich dort immer morgens in einen kleinen verschneiten, schön aussehenden Park gegangen, um allein eine Zigarette zu rauchen. Und diese Zigaretten hatten mir unglaublich gut geschmeckt.
Friedrich Kittler: Wegen des Verbots?
Detlef Kuhlbrodt: Nein. Vielleicht, weil alles so kompliziert war; wir hatten uns in Berlin nur kurz gesehen und uns ineinander verliebt. Und hier haben wir gleich gemerkt, dass es nicht ging, mussten aber noch vier Tage miteinander verbringen. Die Zigaretten hatten mir so gut geschmeckt, weil die Situation so existenzialistisch war. Und dieser verschneite Park hatte bei minus 20 Grad Celsius in der Vormittagssonne unglaublich schön ausgesehen. Diese morgendlichen Zigaretten hatten auch noch so leichte Drogenwirkungen, wie die Zigaretten, die man als Teenager geraucht hatte. Einem wird ein bisschen schwindlig und dieser Schwindel verbindet einen wieder mit dem Traum oder der Nacht, aus der man grade kommt.
Friedrich Kittler: Ich hab auch einmal, um eine Frau wieder zu gewinnen, drei Monate nicht geraucht und musste dann nach Kalifornien fliegen. Die Vorstellung, drei Monate lang weg zu sein, war so aufregend, dass ich gleich wieder eine angesteckt hatte. Und bin dann auf diesem halbgepackten Koffer gesunken mit Schwindelanfällen und hab gedacht: Würde denn nicht auch eine Zigarette pro Tag reichen? Wenn man sich enthalten könnte, würde man jeden Tag diesen wahnsinnigen Schwindel erleben, den man gar nicht mitbekommt, wenn man so viele am Tag raucht.
Am Sonntag war ich auf einem großen Geburtstagsfest von einer 60-Jährigen. Der extra angemietete Saal stand unter totalem Rauchverbot. Man hätte nur in dem verregneten Hof nach einer dreistöckigen Fahrstuhlfahrt rauchen dürfen. Da hab ich mich beschwert bei der Chefmieterin dieses Saals. Und dann kam heraus, dass sie selber raucht, das Rauchverbot aber strikt aufrechterhalten müsse, sonst würde der Vermieter – irgendeine Immobilienfirma – sie rausschmeißen.
Dann hat sie sich aber doch erbarmen lassen und draußen am Ende des kalten Flurs ein paar Aschenbecher aufgebaut. Und dann hat eine Frau – aus der besten Hamburger Gesellschaft – so wütend reagiert mit der vollkommen berechtigen Begründung: „Ich möchte rauchen, aber nicht bei minus 3 Grad und irgendwo am Ende des Flurs, sondern ich möchte sitzen, ich möchte ein Glas Wein haben, ich möchte meine Zigarette in Ruhe ausrauchen, ich möchte es warm haben. Ich möchte in Anstand sterben und rauchen.“
Und das hat die Gastgeberin dann überzeugt; wir durften ab zehn Uhr rauchen. Und eine andere, ebenfalls großbürgerliche Frau, sagte dann: „Ach die Welt … Schauen Sie sich einmal die Kleider an, die die Leute auf den Flughäfen tragen; all diese amerikanischen Jeans und Turnschuhe und nun das Rauchverbot. Wissen Sie: Ich möchte eigentlich gar nicht mehr so lange leben in dieser Welt. Die Welt wird so widerlich und gegen meine Ansprüche an Eleganz und Luxus, dass ich gar nicht mehr einsehe, warum ich 70 werden soll.“
Ich hab einen Freund, der trinkt keinen Schnaps, sondern nur Wein, und raucht nicht. Weil er sich sagt, die Griechen hatten Wein, aber keinen destillierten Schnaps; die Griechen hatten keinen Tabak, aber verwendeten Opium. Also kann ich durchaus Opium zu mir nehmen, aber keine Zigaretten. Er lehnt die Drogen der Neuzeit ab. Die Neuzeit beruht auf Feuerwaffen, Feuerwasser und Tabak und kandiertem Zucker statt Honig.
Und ich hab mir dann auch überlegt, was ich an meinem Lebensstil ändern müsste, um griechischer zu leben und nicht nur griechisch zu schreiben und griechischen Geist zu zeigen. Und da fiel mir ein, ich könnte doch, Virginiazigaretten und Blended-Zigaretten – also dies Gemisch aus Orient und Okzident – sein lassen und nur noch Orientzigaretten rauchen. Das wäre doch griechischer, als wenn ich Virginia rauchen würde.
Wir mussten mal nach Buenos Aires fliegen. Wir fanden den Flug furchtbar lang. Dann haben wir gehört, dass die Air France immer noch kleine Raucherecken hatte, in der Business Class. Wir hatten also unser ganzes Geld zusammengerafft und haben einen Economy- und einen Business-Class-Sitz gekauft und wollten uns dann so abwechseln. Und als wir einstiegen, hieß es, gerade dieser Jumbo-Jet sei noch nicht mit der neuen, von der Air France konstruierten Raucherecke ausgerüstet.
Auf dem Rückweg war wieder alles okay; da konnte ich dann rauchen mit den Stewardessen, die alle qualmten in dieser Raucherecke. Und dann hatte ich mich beschwert und gesagt, dass ich extra diesen Business-Class-Sitz gekauft hätte, um rauchen zu dürfen. Die Chefstewardess wurde dann so hochnäsig und arrogant, dass sich ein älterer Steward – mit so einem reizenden Schnurrbart – geärgert hat. Und er fing in einem eleganten Französisch an: „Ich entschuldige mich im Namen der Air France, ich entschuldige mich im Namen der République française, und es tut mir wahnsinnig leid und hoffentlich kriegen Sie auf dem Rückflug die Ihnen versprochene Raucherecke.“ (Die ich dann ja auch bekommen hab.)
Von der Air France hatte ich dann auch noch erfahren, dass die Amerikaner allen Fluggesellschaften die Landerechte innerhalb von Amerika abgesprochen haben, die überhaupt noch Rauchersitze an Bord haben. Und dann haben das alle übernommen und die Lufthansa auch und Mehdorn und seine idiotische Deutsche Bahn.
Ich bin am 3. September von Heidelberg zurückgefahren von einem sehr schönen Kongress. Ich hatte mich noch gar nicht darauf eingestellt, dass man in der Bahn nicht mehr rauchen darf. Und es war grässlich. Und als ich dann feststellte, kurz vor Wolfsburg, dass ich in dem Waggon der 1. Klasse restlos allein war – nachts um elf oder zwölf – da hab ich zwei Zigaretten heimlich geraucht und war richtig glücklich. Und kam mir wieder wie fünfzehn vor. Und die Klimaanlage wirkte so gut, dass man diese Zigarette nach zehn Minuten nicht mehr riechen konnte.
1. Bis vor einigen Jahren war Taxifahren juristisch gesehen ein Akt, in dem der Taxifahrergast sich für zehn Minuten dies Gehäuse mietet und deshalb gehörte dies Taxi mietweise ihm für die Dauer der Fahrt. Deshalb konnte er rauchen, wann immer es ihm beliebte. Und das ist so geändert worden, dass das Taxi jetzt quasi dem Staat gehört und als öffentliches Verkehrsmittel per Taxifahrer vom Staat quasi zur Verfügung gestellt wird, aber alle Rechte bleiben beim Staat, der dieses als öffentliche Verkehrsmittel wie alle anderen ausgibt.
2. Mein Lieblingstaxifahrer erzählte, er mache sich wahnsinnig viele Sorgen um seinen Bruder. Sein Bruder habe in Adlershof eine Kneipe. Und diese Kneipe werde er wohl nach dem Rauchverbot zumachen müssen. Denn – und jetzt kam so eine brillante soziologische Analyse – diese Kneipe hat die Funktion, dass alle, die ab zwölf Bier trinken, weil sie arbeitslos oder verzweifelt oder Hartz-4-Empfänger sind, und dazu eine Zigarette brauchen, weil andernfalls das Bier nicht schmeckt, dass die diese Kneipe und die Intimität der vier Wände brauchen, um vor sich selbst in Anstand ihren Lastern nachzugehen. Und auf dem Dorf Adlershof kein schlechtes Bild von sich abzuliefern.
Er wollte mir also erzählen, die werden sich ab dem 1. Januar als Clochard fühlen, weil sie in der Kneipe nicht mehr rauchen können und damit geht ihnen der letzte Rest von Ehre verloren. Darum geht’s eigentlich in dem ganzen Ding und das hat er als Einziger richtig auf den Begriff gebracht.
„Die verlorene Ehre der Raucher“ könnten wir ja Ihren Text nennen.
Detlef Kuhlbrodt: Nichtraucherorganisationen haben ja inzwischen Denunziationsvordrucke ins Netz gestellt.
Friedrich Kittler: Typisch Nichtraucher! Typisch Moralapostel! Dass Nichtraucher ohne Kopfschmerzen aufwachen wollen, kann ich ja sehr gut verstehen, aber dieses Petzer- und Denunziergehabe, das die Moralseite dieser Welt so mit sich bringt, regt mich wahnsinnig auf.
Eigentlich peinlich, dass ich die offene Schachtel vor mir habe. Wir haben nämlich alle an dem Tag, als der Schrecken mit der Anti-Raucher-Reklame auf jeder Schachtel begann, silberne Zigarettenetuis gekauft.
Da hab ich dann versucht – auch mit diesem teuren Feuerzeug, dass ich geschenkt bekommen habe und dem dazu passenden Silberetui – ein bisschen mehr Kultur reinzubringen. Das hat auch ganz gut gewirkt.
Die offene Schachtel ist sehr ungesund vor den eigenen Augen. Wenn man das Etui erst aufmachen muss und das Feuerzeug mühsam öffnen – im Unterschied zu den Billigfeuerzeugen – raucht man aufmerksamer. Ich glaube, wir Raucher müssen uns wirklich ernsthaft bemühen, die Unkultur des Rauchens, wo man ständig raucht, ohne es zu merken, wieder in eine etwas bewusstere Kultur zu überführen.
All diese Anekdoten ranken um das Faktum, dass selbst Laster und ungesunde Tätigkeiten eine Kultur zwischen Menschen ausbilden.
In der Jungen Welt von heute wird der Kittler-Interviewer Detlef Kuhlbrodt selbst interviewt von Frank Schäfer:
Detlef Kuhlbrodt ist ein klassischer Feuilletonist. Ein genuiner Zeitungsschreiber, der mit dem Medium Buch bisher nicht so recht zu Rande gekommen ist. Er hat Ende der achtziger Jahre, »kurz vor der tollen Kapielski-Diskussion, angefangen, für die taz zu schreiben«, und wäre damals gern Redakteur für Alltag geworden, »aber das Ressort gab’s leider nicht«. Für eine kurze Zeit war er beim Spiegel, kündigte jedoch bald wieder. »Eigentlich, um einen Roman zu schreiben. Ich probierte eine Weile so herum, hatte aber keine richtige Idee, oder mir fiel es zu schwer, mir Leute auszudenken. Es hätte ja schon was Erzählerisches, Spannendes werden sollen.« Statt dessen erschienen dann ab und an »die längeren Texte, die mir eigentlich am meisten Spaß gemacht haben und die dann kleine Hits waren, ein Aufsatz übers Möbelumräumen, oder Sachen wie ›Der Hund in Philosophie und Literatur‹, Supermarkt-Forschungen oder lange Texte über die Schwierigkeit, ein Sofa zu kaufen. Ein spielerisches Post-Barthes-Alltagsfeuilleton sozusagen, das im echten Berlin spielte mit mir selbst als Versuchsperson.«
Detlef Kuhlbrodt denkt sich nichts aus. Er hält die Augen offen, erlebt einfach und schreibt auf, was die anderen sofort wieder vergessen. Weil es keine Pointe hat, weil es meistens keine große Sache ist. Weil es oft überhaupt keine Sache ist, sondern ein bestimmtes Gefühl, ein Geruch, eine Gemütslage, ein Eindruck oder eine Reflexion, die sich an die Sinneswahrnehmung dranhängt. Die Wehmut vor dem Besuch der Eltern, die sentimentalische Gestimmtheit beim Abschied, diese Euphorie nach dem Zahnarztbesuch – man kennt das alles und liest sich selbst mit hinein. Darum geht es ihm offenbar, um die größtmögliche Teilhabe des Lesers. »Ja. Das ist auch sowas Dialogisches – der Versuch zu den Lesern als Einzelnen sprechen. Ich versuche oft auch, als Repräsentant des Lesers zu schreiben. Die Vorstellung, daß es nicht nur meine Sachen sind, über die ich schreibe, sondern auch die des Lesers; das Ich im Text soll auch das des Lesers sein, also nicht privatistisch. Oder man maßt sich an ›Ich‹ zu sagen, weil man weiß, daß das eigene Ich auch andere repräsentiert.«
Damit hat er sich einen gewissen Ruf erschrieben, vornehmlich in Kollegenkreisen, aber nicht nur da. »Es gab ein paar richtige Fans, denen ich mich dann auch verpflichtet fühlte. Nette Kreuzberger Punks, die sich die Texte ausschnitten und dann in die Schachtel mit dem Bloodballspiel taten und so. Ich war ziemlich geschmeichelt, als ich das mitkriegte, und fühlte mich meinen außenseiterischen Fans (die unter den taz-Lesern in der Minderheit waren) immer verbunden, auch später dann in der Techno-Zeit.«
In »Morgens leicht, später laut«, der längst fälligen ersten Sammlung kürzerer Skizzen, die vornehmlich in der taz-Kolumne »Berliner Szenen« erschienen sind, erzählt Kuhlbrodt vom letzten Freibadbesuch der Saison, von einem ruralen Outdoor-Rave, vom Flippern in seiner Kreuzberger Stammkneipe, mehrmals vom Abschied geliebter Menschen und auch von dem, was ein Schriftsteller nun mal am häufigsten macht: vom Schreiben. Und dabei fallen dann immer wieder Sätze, die den Augenblick haikuhaft aufheben. Im Haus gegenüber wohnt ein kleines Mädchen, das offenbar keinen Kindergartenplatz bekommen hat und deshalb auch immer da ist – wie er selbst. »Nach dem Aufstehen macht die Mutter den Fernseher an, damit auch noch andere Erwachsene sind in der Wohnung dort drüben.«
Dazwischen drängen sich dann aber auch Erinnerungen an die norddeutsche Provinzjugend in den siebziger Jahren: an das Musikhören am offenen Fenster in den ersten warmen Tagen des Frühlings – und zwar meistens die älteren Sachen wie Deep Purple oder Jefferson Airplane –, oder an seine frühkindliche Manie, morgens und abends das Thermometer abzulesen und die Ergebnisse akribisch zu notieren. Hier äußert sich bereits der gleiche Gestus wie in seinen Texten. Es ist der Versuch einer Archivierung des Alltags. Auch in seinem schönen Blog bei der online-taz (»November 07«) macht er etwas Ähnliches, nur meistens mit Fotos. Woher kommt diese Passion?
»Von meinem Vater. Er hatte alles gesammelt, wie viele aus dieser Kriegskindergeneration. Als ich zwölf war, hatte er mir beigebracht, wie man Filme und Fotos entwickelt. Seitdem fotografiere ich. Anfangs habe ich eigentlich zur Deutschen Film- und Fernsehakademie gewollt. Bei Fotos ist seltsam, daß man sie irgendwie aufladen kann, durch Zusammenstellung oder wie sie im Blog aufeinander folgen oder durch knappe Bildunterschriften. Eine Intensität, die sich als Privates mitteilt, obgleich ganz selten Leute auf den Bildern sind und auch Bilder aus privaten Räumen eher selten sind. Weil die Privatheit diffus ist, kann sie auch zu der des Lesers werden. Dazu trägt das Provisorische bei. Ich ›schreibe‹ die Blogs direkt ins Netz, hab selbst keine Dateien davon. Daß die Blogs meist nicht überarbeitet sind, hat, glaube ich, einen kommunikativen Effekt. Eigentlich fände ich es am besten, wenn die Blogs mit der Zeit verblassen würden.«
Seine Skizzen sind im Grunde nichts anderes als Fotos. Das Reflexive wird hier zunächst zurückgestellt und erstmal genau auf die Dinge geschaut. Aber so ganz ist er damit nicht einverstanden. »Ich stelle das Reflexive, glaube ich, gar nicht zurück, ich seh die Dinge erstmal so. Wenn man die ›Mythen des Alltags‹ von Barthes jetzt noch mal liest, wirken sie affektiert und altmodisch. Auch sonst hab ich ziemlich oft das Gefühl, daß Leute, die die sogenannte intellektuelle Durchdringung anstreben, nicht richtig auf die Dinge gucken, ihnen Gewalt antun sozusagen, weil sie sie im Text ständig als Beleg für etwas anderes mißbrauchen.« Und meiner Vermutung, daß ihn diese nachgerade zenmäßige Zurückhaltung vom gemeinen Flaneur unterscheidet, will er ebenfalls nicht zustimmen. »Das ist ja erstmal diese klassische literarische Figur des neunzehnten Jahrhunderts; der Typ, der seine Schildkröte spazieren führt. Benjamin hatte anhand von Baudelaire und Poe über den Flaneur geschrieben und dann eben noch die kleinen Texte über die Berliner Kindheit, wenn ich’s richtig im Kopf habe, und seitdem bezieht sich jeder ständig drauf, obwohl die städtische Erfahrung eine ganz andere ist. Wenn ich in meiner Kreuzberger Gegend rausgehe, sehe ich ja eher einzelne Leute, paar Geschäfte usw., aber keine Menschenmassen. Im Gegensatz zu der Zeit Benjamins (oder verglichen mit Paris oder London) ist Berlin ja leer. Und außerdem fahre ich auch mehr Fahrrad als daß ich zu Fuß gehe.«
Immer wieder fällt in diesen Erzählfragmenten auf geradezu verstörende Weise das ganz Private ein. Etwa wenn Kuhlbrodt plötzlich und anlaßlos an seinen Vater denken muß, »der weniger geworden war, nachdem sie ihn aufgeschnitten hatten«. Später wird er dann von der Mutter »gefunden«. Er empfindet solche Selbstoffenbarungen schon als heikel, hat sie aber dennoch stehen lassen. »Man überlegt sich lange, darf man das schreiben, ist das nicht zu privat oder verletzt Gefühle von anderen. Aber es werden dauernd Leute aufgeschnitten und operiert. Sie liegen dann in dieser seltsam privaten Öffentlichkeit der Krankenhäuser … In Betten nebeneinander; Leute, die sich zuvor nicht kannten und die gerade aufgeschnitten worden sind.«
Sein Vater habe sich vor anderthalb Jahren das Leben genommen. »Das ist einerseits sehr intim, andererseits ist Selbstmord einer der häufigsten Todesursachen bei alten Menschen. Wer als Autor über den Tod sprechen will, spricht im Allgemeinen nicht in der ersten Person – außer der Tote war berühmt –, sondern macht ein Interview mit jemand anders oder sagt mehr als einen Halbsatz, um zu rationalisieren.« Aber es berührt einen vermutlich, gerade weil er es nur so kurz und unvermittelt antippt.
Die Heimsuchung, die ja immer unangekündigt und urplötzlich passiert, läßt sich hier gewissermaßen lesend nachvollziehen. Und das ist es auch, was seine Texte insgesamt auszeichnet. Kuhlbrodt versucht, Leben lesbar zu machen. Und manchmal zeigt er einem dabei auch, wie man das Leben liest.
Detlef Kuhlbrodt: Morgens leicht, später laut. Singles. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2007, 126 Seiten, 7,50 Euro
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Dann sollen die es auch ganz richtig machen, indem man auch einen Alkoholverbot einführt. Es gibt mehr alkoholkranke wie Raucher und unsere Kinder sind durch Alkohol mehr gefährdet als beim Rauchen.