Die von der sozialdemokratischen Mehrheit im Wiener Rathaus im Frühjahr gegen alle Bedenken durchgeboxte Bettlerverordnung zeigt Wirkung. Allerdings ganz anders als sich das die Menschenfreunde im Gemeinderat der Millionenstadt wohl vorgestellt haben. Statt organisierte Bettler aus armen Nachbarstaaten aus dem Wiener Stadtbild zu verdrängen, hat das Team um Bürgermeister Dr. Michael Häupl die offene Hetze und Verachtung von Straßenbettelei salonfähig gemacht.
Ausgerechnet die Wiener Wirtschaftskammer, die Standesvertreung der heimischen Unternehmen, startete dieser Tage eine Desinformationskampagne, um die kleine Spende an Bedürftige bei Wiener Einkäufern madig zu machen. Wir geben im Folgenden die öffentliche Stellungnahme der Wiener Bettlerlobby zu diesem Skandal wieder. Die Bettlerloby ist ein Netzwerk von AktivistInnen aus dem Sozial- und Kulturbereich, das seit 2008 mit Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungen Aufklärung und sachlich fundierte Information in die öffentliche Debatte rund um das Betteln bringt.
Sehr geehrte Damen und Herren der Wiener Wirtschaftskammer!
Sie wenden sich neuerdings in einer Plakat-Aktion mit dem Motto „Helfen ist wichtig – Aber tun Sie‘s richtig“ an die Kundinnen und Kunden der Wiener Geschäfte. Leider erwecken die Ratschläge auf diesem Plakat den Eindruck, es würde sich um eine Hetzkampagne gegen die Ärmsten in unserer Gesellschaft handeln.
„Gut gemeinte Spenden vor Supermärkten und in Einkaufsstraßen können ungewollt das gewerbsmäßige Betteln fördern“, heißt es da zum Beispiel. Keine Sorge: Es gibt kein „gewerbsmäßiges“ Betteln, somit kann ein solches nicht gefördert werden. Betteln ist ein Menschenrecht, ein Grundrecht. Der richtige Text müsste lauten: „Wenn Sie Bettlerinnen und Bettlern vor Supermärkten und in Einkaufsstraßen etwas spenden, unterstützen Sie diese Menschen und ihre Familienmitglieder.“
Am Plakat heißt es: „Wenn Sie Menschen in Not helfen wollen, dann unterstützen Sie bitte anerkannte Hilfsorganisationen“. Das stimmt für Bettlerinnen und Bettler nur sehr eingeschränkt, denn Menschen aus Rumänien, Bulgarien oder aus der Slowakei, die aus Not zum Betteln kommen, haben bei in Österreich keinen Anspruch auf soziale Unterstützung.
Die Aktion soll verhindern, „dass wehrlose Menschen von Kriminellen zum Betteln gezwungen werden“. Laut Polizei und wissenschaftlichen Studien gibt es aber keine Beweise für kriminelle Hintermänner. Die Hintermänner-Theorie wird vielmehr dazu verwendet, die Akzeptanz von Bettelverboten zu erhöhen, damit Armut aus dem öffentlichen Raum zu verbannen und gesellschaftliche Probleme zu negieren.
Ihr Aufruf sollte besser lauten: „Treten Sie gegen Bettelverbote ein, denn Bettelverbote verletzen Grundrechte“ – das Grundrecht auf Leben etwa, wenn jemand auf Spenden mildtätiger Menschen angewiesen ist, um sein Überleben zu sichern. Armut kann nicht bekämpft werden, indem man Arme bekämpft.
So gesehen ist Ihre Plakataktion zur Unterstützung für Hilfsbereite und Hilfsbedürftige leider irreführend und kontraproduktiv. Oder geht es Ihnen gar nicht um einen Beitrag in Sachen „Richtig Helfen“? Ihr Begleitbrief an die Unternehmerinnen und Unternehmer gibt einen möglichen Aufschluss: Hier ist von „Bettlerbanden“ die Rede, deren Aktivitäten auf den Wirtschaftsstandort einen negativen Einfluss hätten und in Einkaufsstraßen, vor Einkaufszentren und Filialen großer Handelsunternehmen störend seien, ja sogar die Lebensqualität in Wien beeinträchtigen. Sie kriminalisieren Menschen, indem Sie diese mit dem Begriff „Banden“ versehen.
Die Wiener Wirtschaftskammer betrachtet Menschen als geschäftsschädigend und will sie deswegen aus dem öffentlichen Raum verbannen. Wo führt das hin? Vielleicht wollen demnächst Gastwirte keine Übergewichtigen in der Nähe ihres Lokals dulden, weil sie meinen, dass diese der potentiellen Kundschaft den Appetit verderben würden? Oder es lassen etwa die Schuhverkäufer alle Barfüßigen verhaften?!
Wir hoffen, dass die „Stabsstelle Marketing“ der Wirtschaftskammer Wien diesen ethischen Fehltritt umgehend und bedauernd zurücknimmt. Und dass hier nicht eine Diktatur der Wiener Geschäftsleute angestrebt wird, die dann vorschreibt, wer sich im öffentlichen Raum aufhalten darf und wer nicht, wer wem helfen darf und wem nicht, und wie sich Kundinnen und Kunden beim Verlassen eines Geschäfts zu verhalten haben.
Falls Wirtschaftskammer, Wiener Einkaufsstraßen, Polizei und Stadt Wien nicht so viel Rückgrat haben, ihre falsche Hilfsaktion zurück zu ziehen oder richtig zu stellen, bitten wir hiermit die Unternehmerinnen und Unternehmer, sich nicht daran zu beteiligen und die Plakate im Altpapiercontainer zu entsorgen. Wir werden jene Geschäfte meiden, die dieser menschenverachtenden Hetzkampagne dennoch Folge leisten.