Man kennt diese Melodie, zu oft wurde sie gespielt, bei Abi-Partys und Straßenfesten. Es ist eines der Lieder, die garantiert irgendjemand auf die Tanzfläche zwingen und obwohl es ein melancholisches, niedergeschlagenes Lied ist, endet es – mittlerweile – einem großen Chor eines „Lalala“. Man liegt sich betrunken und verschwitzt in den Armen, denn wenn auch nichts gewiss ist, das Lied verspricht, dass man überleben wird – welchen Konflikt auch immer. Es ist, um es kurz zu fassen, ein abgegriffenes Lied, das nur noch die ganz Unsensiblen an irgendetwas erinnert. Und doch, in einem anderen Zusammenhang, sind da plötzlich starke Gefühle, Verwirrung, Freude – und Wut.
Das Lied, es ist das 1978 zu allererst von Gloria Gaynor veröffentliche „I will survive„, jene ewige Disco-Schmonzette, die von einer „Hermes House Band“ Fußballstadion-tauglich gemacht wurde und wenn man es hier hört und sieht, dann läuft einem der kalte Schauer über den Rücken. Denn der „andere Zusammenhang“, von dem die Rede war, das ist der Holocaust, das sind diese Orte: Auschwitz, Dachau, Theresienstadt und Lodz.
Denn genau dort hat die australisch-jüdische Künstlerin Jane Korman ihre Familie, ihre drei Kinder, sich selbst sowie ihren 89 Jahre alten Vater, einen Holocuats-Überlebenden, tanzen lassen, zur Melodie von eben „I will survive“ und all dies als Kunstwerk unter dem Titel „I Will Survive: Dancing Auschwitz“ auf Video gebannt. Die Kontroverse war, darf man vermuten, Teil des Werks und auch wenn die Tanzschritte manchmal etwas unbeholfen sind, die Provokation, die saß.
Wie die israelische Tageszeitung Haaretz schreibt, waren viele Holocaust-Überlebende von Kormans Video geschockt und empfanden es als respektlos. In einem Interview mit „The Australian Jewish News“, bei der viele verärgerte Leserbriefe eingegangen waren, hatte Korman dies in keiner Weise abgestritten und stattdessen auf ihren Vater und dessen Sicht als Überlebender verwiesen: „Wir tanzen, wir sollten tanzen, wir feiern unser Überleben und die Generationen, die nach mir kommen, die Generation die mein Vater aufgezogen hat. Wir versichern uns unseres Daseins.“
Nichtsdestotrotz bleiben sowohl diese Sichtweise als auch die künstlerische Umsetzung delikat – immerhin sind Auschwitz und Theresienstadt nicht primär und ausschließlich Orte des Überlebens, sondern vor allen Dinge Orte des Verbrechens, des Mordes und Völkermordes und insoweit für eine Mehrheit der Angehörigen Orte der Trauer. Und auch wenn man aus Kormanns Werk unter anderem auch das Marius Müller-Westernhagen’sche Zitat „sollen tanzen auch auf Gräbern“ als Erinnerung an das trotz allem Bösen Hoffnungsvolle heraushören kann, steht Kormanns „I Will Survive: Dancing Auschwitz“ der deutsch-jüdisch-israelischen Erinnerungskultur doch diamentral entgegen. Wo sonst Trauer ist, ist Freude. Wo sonst Wut ist, ist Tanz.
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Ob man dies richtig oder falsch findet, geschmacklos oder schlau, das soll jedem selbst überlassen bleiben. Möglicherweise gibt „I Will Survive: Dancing Auschwitz“ nicht die richtigen Antworten auf die Frage des Wie der Erinnerungskultur, vor allem in der Zeit nach den Zeitzeugen – dennoch aber wirft „I Will Survive: Dancing Auschwitz“ einige schwierigen, starken Fragen auf. Und all das, wer hätte es gedacht, zur Melodie dieses sonst so abgenudelten Hits aus den 70ern.