Am letzten Maiwochenende wurde in Neustrelitz der alljährliche Start der Festivalsaison mit viel Musik, Lesungen und allerlei anderem gefeiert. Nur die Sonne lies noch ein wenig auf sich warten.
Freitag, 27.05.
Als erster musikalischer Beitrag eröffnete Gisbert zu Knyphausen mit seiner ganz persönlichen Mixtur aus Melancholie und Pop das diesjährige Immergut Festival. Ein spitzes Zeltdach streichelte über ihm die Haufenwolken und spendete dem Singer-Songwriter Schatten – der wiederum sorgte für strahlende Herzen vor dem gut besuchten Rund der kleinsten Bühne auf dem übersichtlichen Gelände. Die Ruhe vor dem Sturm könnte man meinen, auch im Hinblick auf den Wetterfrosch, der am Vorabend noch mies gelaunt war. Den zahlreichen Zuhörern war das aber sichtlich egal. Es zählte das Hier und Jetzt. Und dies bedeutete Sonne satt und alle lauschten artig den leisen Klängen. Niemand mochte es zu diesem Zeitpunkt laut und so startete das Festival auf ruhige und besinnliche Weise. Eine Stunde später war Schluss mit Ruhe. Vier raue und (un-)verbrauchte Anfang-Zwanziger namens Chuckamuck holperten und polterten über die Waldbühne. „The German Libertines“ werden sie bereits genannt und radeln mit rotzig-schiefem Gitarren-Matsch und wackligen Lalalala´s, zittrigen Ohoohoh´s und sinnentleerten, aber äußerst unterhaltsamen Texten, wie „Mein Fahrrad fährt schneller als deins“ ums Eck.
Genau der richtige Zeitpunkt um mit dem Trinken anzufangen – vor und vor allem auf der Bühne. Nach dem erfrischenden Auftritt der Jungspunde und einer kleinen Pause am leckeren Softeisstand bei Frank Spilker, der dort den ein oder anderen „ Die Sterne“-Song zum Besten gab, ging es direkt zur Station 17. Das Hamburger Bandprojekt aus Musikern mit und ohne Handicap krautete und groovte sich ab dem ersten Stück überzeugend ein und brachte die halbe Zeltbühne zum Tanzen. Toller Auftritt!
Das hätte Those Dancing Days auch gut zu Gesicht gestanden, aber sie erfüllten die durch ihren Namen gesetzten Erwartungen kaum. Der beliebige Indie-Pop entzückte leider nur hier und da durch Gitarrenspiel und das kraftvolle Schlagzeug. Bei den anderen drei Protagonistinnen stellte sich sichtbares Desinteresse ein und so war die Sängerin mehr mit dem Sitzen ihrer Frisur und dem Stöpsel im Ohr beschäftigt. Das Immergut ist eben nicht das Glastonbury Festival – zum Glück nicht.
Auf dem Weg zum ersehnten Headliner des Tages saugten uns noch kurz die US- Amerikaner von RaRaRiot mit ihren – Zitat Immergut-Heft – „ködernde(n) Melodien“ und ihrer „Landluft geschwängerten Atmosphäre“ auf, bevor wir uns mit den Postrockern von Mogwai auf die Reise begaben. Die Schotten zeigten sich wie erwartet mit Breitwandsound und dazu passender Leinwand, samt einlullender Visuals und dem tollen Videoclip zu ihrem Song „How to be a Werewolf“. Ihnen gelang es beeindruckend in laut/leise, energisch/verhaltenen Schemata eine dichte und sphärische Stimmung zu transportieren. Zu später Stunde wussten Brandt Brauer Frick mit ihrer tanzbaren Verbindung aus traditioneller, klassischer und elektronischer Musik zu überzeugen. Mit diesem Act zeigte das Immergut fast schon exemplarisch welch breites Spektrum aus unterschiedlichen Musikrichtungen es in der Zwischenzeit präsentiert.
Samstag, 28.05.
Den Nachmittag verbrachte man mit Lesungen von Nagel und Jürgen Kuttner, beim Immergutzocken-Fußballtunier oder an einem der zahlreichen Seen der Umgebung. Die geschätzten Herrenmagazin feuerten am frühen Abend dann ein energetisches Set ab und ballerten ihren Liedstoff aus Einsamkeit, Dreck, Verlust und vor allem Durst den Zeltbühnenbesuchern nur so um die Ohren. Die Nachwehen vernahmen sogar noch die Belgier von Balthazar, die bereits mit ihrem leider sehr nah an dEUS grenzenden Sound die Hauptbühne bespaßten, auf der ihre Vorbilder später selbst einen rockigeren Auftritt ablieferten. Dazwischen spielte jedoch noch die neue Kombo des Port O´ Brien-Sängers namens Waters. Was wohl? Unter anderem alte Port O´ Brien-Songs, welche leider auch zu den besten Beiträgen der Show gehörten. Spannender war zu diesem Zeitpunkt das heiß diskutierte Thema auf dem Gelände: Wer sich wohl hinter dem „Jane Fonda Trio“ verbarg. Das Gerücht, dass es sich bei dem ominösen Trio um die Ärzte oder die Sportfreunde Stiller handeln könnte, erfüllten sich nicht, dafür sorgten die Berliner Elektroband Bodi Bill unter diesem Decknamen für fantastische Atmosphäre. Ihre Melange aus technoiden und indieschmonzigen Elementen, verbunden mit visuell beeindruckender Show, bestätigte den sie umgebenden Hype.
Andernorts brachten die isländischen Wahlberliner von Retro Stefson am Nachmittag bereits den Zeltplatz zum Beben und später heimsten sie mit ihrem dancy-artrock-Style noch die Gute-Laune-Krone des Festivals ein.
Wem das zu bunt, zu laut, zu schrill war, freute sich sowieso höchstwahrscheinlich auf den heimlichen Höhepunkt des Abends. Der einsetzende Nieselregen, gepaart mit einer schleichenden Müdigkeit
rückte die Bühne des Birkenhains ein letztes Mal ins verschwommene Licht. Hinter einem halbdurchsichtigen Vorhang krabbelte ein bärtiges, zugleich zart wirkendes Geschöpf zum ersten Stück hervor, dahinter konnte man nur ansatzweise Silhouetten wahrnehmen. Allerdings vermischte sich der Sound nun auch – und dies ist wirklich zu bemängeln – mit den ersten Indie-Ballermann-Klassikern, da die Aftershowparty auf der Zeltbühne nebenan zu früh losgetreten wurde.
Zum Glück ließ sich Hans Unstern davon nicht verunsichern und eröffnete mit Videosequenzen von Perlen, gezeichneten Figuren, zerschnittenen Büchern verbunden mit seiner Mischung aus Kammerpop und zerstückelten Fabriksounds den besten Auftritt des Festivals.
Mit mal gesprochenen, mal gesungenen Texten und viel Poesie und Tiefgang schafft sich Unstern ein eigenes Genre und kratzt sich aus dem konventionellen Korsett des Songwritings raus. Dies ist manchmal irritierend, gar verstörend, doch findet sich seine Schönheit bei weiteren Tauchgängen.
Hans Unstern & Band
So bleibt das Immergut mit seiner vielfältigen Auswahl an Künstlern
weiterhin in Bewegung und ist dank liebevoller Atmosphäre und angenehmer Stimmung eine empfehlenswerte Alternative zu den Großevents des heimischen Festivalzirkus.
(Bericht und Fotos : Robert Krupar)