vonXelK-Kollektiv 10.05.2022

Infrakulturen

Texte mit der Sprache von Kulturen unter der Schallfrequenz des Kanons.

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Im Kinken, also im sexuell devianten, gibt es zahlreiche Neologismen und etablierte Begriffe, die den Versuch unternehmen, die gigantische Vielfalt an menschlichem Sexualverhalten, an sexuellen Identitäten und Persönlichkeiten, an Wünschen, Sehnsüchten und Grenzen zu fassen. Immerhin ist klar: Das, für das wir keinen Begriff haben, tut sich schwer, im Denken der Menschen zu existieren. Das Bezeichnen ist absolut notwendig, um das Unausgesprochene fassbar zu machen. Und genau dieses im Alltag Unausgesprochene ist es, womit sich die kinke Sprache auseinandersetzt.

In der kinken Kultur ist es notwendig, einen sprachlichen Konsens zu schaffen. „Kink“ gerät als Begriff im Zuge der Queer-Awareness immer mehr in das Bewusstsein einer breiten Masse, ist aber noch ein vergleichsweise kleiner Teil der sichtbaren Queer-Community (was unter anderem damit zu tun hat, dass es hier nicht um die sexuelle Identität geht, sondern um eine sexuelle Persönlichkeit, etwas ungleich privateres und damit angreifbareres – Sein und Praktizieren sind besonders hier zwei unterschiedliche Kategorien).

Zunächst einmal ist unter einem modernen Kink-Begriff alles zu fassen, was von einem tradierten Sexualverhalten abweicht (also deviant ist). Darunter fallen körperbetonte Praktiken, wie z. B. Bondage (Fesseln), Lustschmerzen, Atem– oder auch auch Rollenspiel, etwa in dominant-submissiven Beziehungen, age play, pet play und so fort. Schließlich gibt es mit dem Fetisch die dritte große Säule des Kinken, also die sexuelle Erregung durch ein bestimmtes Material (bekannt: Lack, Leder, Latex) oder bestimmte Kleidung (zum Beispiel Masken).

Begriffe, die Halt geben

Die Begriffe, welche die bestehenden Spiel- und Wesensarten bezeichnen, sind mannigfaltig. Das hat auch seinen Sinn: Bezeichnen schafft Identität. Wenn ich das, was mich bewegt, benennen kann, wird es greifbar und real. Und dies ist besonders wichtig, wenn eben jenes von dem abweicht, wie es mir gesellschaftlich beigebracht wurde. Wir alle wissen, dass der Mensch nicht erst mit dem 18. Lebensjahr von „jetzt auf nachher“ ein sexuelles Wesen wird, sondern seine Entwicklung dazu bereits deutlich früher anfängt. Da darüber aber ein Tabu liegt (nicht zuletzt weil diese Themen an strafrelevante Sachverhalte grenzen), ist es für junge Menschen wichtig, Begriffe zu finden, die ihnen Halt geben, in dem, wie sie sind.

Was bezeichnet ist, ist real – was real ist, ermöglicht (Selbst)Identifikation. Es kann unglaublich befreiend, entlastend und „entschämend“ sein, zu wissen, dass es für das eigene Lustempfinden einen Begriff gibt – jemand anders hat dies also auch erlebt. Der Begriff sagt dir: Du bist nicht allein. Freilich sind die Grenzen vom tradierten Sexualverhalten – in der Szene liebevoll vanilla genannt – hin zum Kink fließend, und eine große Dunkelziffer an Menschen haben ihre „kleinen Kinks“ oder Fetische. Wir befinden uns aber trotzdem auch in einem Bereich, der hochgradig sensibel und privat ist: Nach wie vor müssen viele das ungewollte „Outing“ fürchten, bei dem Freund:innen, Kolleg:innen oder gar Arbeitgeber:innen von ihren von der gesellschaftlichen Norm abweichenden Sehnsüchten erfahren.

Da wird es komplex

Mitunter gibt es sogar Bereiche des Arbeitslebens, in denen das Outing zur Kündigung führen könnte, z. B. im Beamtentum kann das Bekanntwerden eines kinken Privatlebens – z. B. der Besuch einer Fetisch-Party – als „dem Amte nicht würdig“ und damit rechtlich als Entlassungsgrund betrachtet werden. Dies fasst von jahrzehntelangen Vorurteilen her, die sich sowohl in der christlichen Sexuallehre, der normierten Sexualität der preussischen Gesellschaft als auch Büchern wie Richard Krafft-Ebings „Psychopathia sexualis“ (1886), das bis heute widerhallt. „Pervers“ zu sein, gilt in weiten Teilen der Gesellschaft als minderwertig, abnorm und abartig. Ebenfalls Begriffe, die etwas ins Sein zu zerren versuchen. Und natürlich gibt es in der Szene Menschen, die diesem Begriff alle Ehre machen – wie in allen Bereichen zwischenmenschlicher Beziehungen ist von einzelnen ausgehende Toxizität ein leidiges Thema, das immer wieder Aufmerksamkeit und Gegenwirken durch Aufklärung erfordert.

Diese Aufklärung erfolgt durch Kommunikation, Sprache. Dies bringt uns zum Kern von dem, was Sprache im Kinken eigentlich ausmacht: Denn mehr noch als das Finden der eigenen Persönlichkeit durch Begriffe, ist es im Kinken wichtig, eine gemeinsame Sprache mit dem Gegenüber zu finden und zu definieren. Es gibt Spielarten, die autoerotisch alleine durchführbar sind, doch die meisten Kinks ergeben sich aus dem Miteinander mit anderen Menschen. Und da wird es komplex.

Wir lernen selten, offen über Wünsche und Gefühle zu sprechen, stattdessen wird uns häufig anerzogen, gerade bei abweichenden Gedanken, uns lieber nicht völlig zu öffnen und damit verletzbar zu machen. Was, wenn die Wünsche nicht erwidert werden? Was, wenn man als „unpassend“ empfunden wird? Was wenn man als „pervers“ bezeichnet wird?

In den letzten Jahren ergab sich eine riesige Welle an Angeboten aus der sex-positiven Szene, die das Konzept von „Konsens“ und die damit verbundenen kommunikativen Skills verbreiten wollen. Workshops, Seminare und Bücher sollen sowohl kinken als auch vanilla Beziehungen beibringen, was es heißt, über das eigene Empfinden zu sprechen – let’s talk about sex.

Dabei ist die kommunikative Aufgabe zunächst einmal einfach: Beschreibe deinem Gegenüber, was du möchtest und was nicht. Deine Wünsche und deine Grenzen. Das Gegenüber soll diese dann als Rezipient:in aufnehmen, verstehen und danach handeln. Dass aber genau das jede Menge Potenzial für Missverständnisse und Misskommunikation, scheinbare Zurückweisung, Peinlichkeit oder im schlimmsten Fall schlichte Ignoranz birgt, macht eine geschulte und geübte Kommunikation unabdingbar, um ein erfülltes und gesundes sexuelles Miteinander leben zu können.

Straßen und Grenzen

Nun fällt auf, dass das ja eigentlich nicht nur auf Kink zutreffen sollte, sondern auf alle Bereiche des sexuellen Miteinanders – und das ist völlig richtig. Wie bereits erwähnt, sind die Übergänge ohnehin fließend und letztlich nur eine Frage von Normabweichung. Jedoch ist es im Kink eben ungleich wichtiger, da es nicht „nur“ um emotionale Folgen geht (die bereits gravierend genug sind), sondern auch körperliche nach sich ziehen können – ein falsch kommunizierter Wunsch kann im Kink neben emotionalen auch körperliche Schäden zur Folge haben.

Auf der anderen Seite führt eine klare Kommunikation aber auch zu Befreiung von Scham und zur Öffnung und Stärkung des eigenen Selbst. Natürlich geht das eigene Verlangen dann nur soweit, wie es die Grenze des Gegenübers zulässt. Ja, es kann sein, dass die:der Partner:in nicht alles spiegelt und zulässt, was ich mir wünsche. Aber das wichtige ist, dass ich richtig kommuniziert habe. Und das wird von den meisten Menschen wahrgenommen und geschätzt, auch wenn sie selbst vielleicht noch nicht so weit in ihrer kommunikativen Entwicklung sind. Kinke Sprache ist die Sprache vom Zwischenmenschlichen. Von Straßen und Grenzen.
Von du und ich.

Die Autor:innen dieses Beitrags bilden XelK, ein 2020 gegründetes Kunst-Kollektiv, das
mit den Themen Kink und Queerness arbeitet und ein Magazin herausgibt. Mehr
Informationen sind unter www.xelk.de zu finden.

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