vonImma Luise Harms 13.02.2015

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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„Ich habe dich doch mal gefragt, ob ihr eine Hunderampe gebrauchen könnt“, fängt C. das Gespräch an und rührt dabei seinen Kaffee um. Wieso Hunderampe? Was ist überhaupt eine Hunderampe? Und was sollten wir damit? Wir haben ja nicht mal einen Hund. „Thomas hatte ich auch gefragt. Das ist schon eine Weile her.“ Ich schaue konzentriert in den Schaum meines Milchkaffees. C. beobachtet mich. Er erzählt gerne und in großen Bögen, unterbrochen von Reflektionen über seine eigene Erzählweise. Ich lasse dann die Sätze über mich hinwegströmen, wie eilig fließendes Bachwasser die ausgestreckte Hand umspült; man versinkt, ohne es zu merken, in das Bild des Gleitens und das Glitzern der Sonne im Wasserbild. Das Erzählte – die Begriffe, Namen, Daten bleiben locker im Außenbereich der Erinnerung hängen, wie angespülte Zweiglein sich vorübergehend im Bewuchs der Uferböschung verfangen, bevor sie weiter mitgezogen werden. Hunderampe.
C. mag es nicht, wenn ich seine Mitteilungen nicht richtig beachte; er besteht darauf, dass ich das wissen muss. Ich lockere den Erwartungsdruck, indem ich nach dem Fortgang frage. „Was ist denn mit der Hunderampe?“ Die Vorgeschichte wird sich mir schon erschließen. Das tut sie auch, ich fasse zusammen.
C. arbeitet oder arbeitete in einem Tierbedarfsgeschäft. Er ist Seiteneinsteiger, von Haus aus Psychologe, aber das ist lange her. Er hat sich an die neue Existenzweise perfekt adaptiert. Er kennt das Sortiment und die Kundenwünsche. Er liefert und berät. Er sorgt sich um den Laden und bemuttert die Mitarbeiterinnen. Er kennt die Chefin von früher. Sie behandelt ihn schlecht und er grollt ihr stumm. Das geht jetzt schon seit vielen Jahren so.
Einmal, vor acht Jahren, hatte C. einen reichen Kunden in Dahlem beliefert. Der Kunde hatte einen schwerfälligen Hund und interessierte sich für eine Kofferraum-Einstiegshilfe, um in Auslaufgebiete fahren zu können, die nicht fußläufig zu erreichen sind. Das ist die Hunderampe. Man braucht sie also, wenn der Hund nicht mehr springen kann, von sich aus den Kofferraum nicht erreicht, und wenn er so schwer ist, dass der Halter, die Halterin ihn nicht hinein heben kann.
Der Laden hatte keine Hunderampe vorrätig. Sowas wird nicht so läufig verlangt. „Der Kunde war schwierig“, erzählt C. Daran erkennt man die Qualifikation des Fachverkäufers. Ich hätte wahrscheinlich gesagt, der Mann war einfach unverschämt. Er meinte, man könne die Rampe doch für ihn bestellen, und er würde sie ausprobieren, oder vielmehr sein Hund, und wenn das nichts ist, dann kann man sie ja zurückgeben. Natürlich wollte er die Rampe zum Ausprobieren ins Haus gebracht kriegen.
Auch der Großhandel hatte keine Rampen, jedenfalls gerade nicht. Der schwierige Kunde würde das nicht einsehen und bald kein Kunde mehr sein. C. entdeckt in einer Filiale der großen Tierbedarfsketten eine Hundrampe, genau die, die der Lieferant nicht mehr vorrätig hatte. Bei der Kette ist sie sogar herabgesetzt. Von 125 Euro auf 80 Euro – das ist der Großhandelspreis, erinnert sich C. Er kauft die Rampe – aus Eigenmächtigkeit, aus Beflissenheit, je nachdem, wie man es betrachten möchte.
Der schwierige Kunde mit dem schwerfälligen Hund aus Dahlem kriegt die Rampe angeboten. Sie gefällt nicht, oder sie erfüllt ihren Zweck nicht so wie erwartet. Ich weiß nicht, ob C. es mir erzählt hat und mir, während ich in der Betrachtung seiner Erzählung versunken war, deren Inhalt durchgeschlüpft ist. Vielleicht hat er es auch nicht erzählt. Es kann sein, dass der Hund die Rampe nicht betreten mochte, sie ihm nicht geheuer, nicht tragfähig schien. Es kann sein, dass sie dem Besitzer zu schwer, zu unhandlich war. Vielleicht hat ihm das Preis-Leistungsverhältnis nicht eingeleuchtet, aber das ist unwahrscheinlich, denn der Kunde war zwar schwierig, aber nicht zum Rechnen gezwungen. Obwohl – gerade Reiche fühlen sich ja schnell übervorteilt. Und der Tierbedarfsladen hat ihm die Rampe zum Endverkaufspreis angeboten, also für 125 Euro. Das war auch berechtigt, weil C. mit seinem vorsorglichen Einkauf ja die Arbeit des Lieferanten übernommen hatte.
Jedenfalls, der Zehlendorfer Kunde macht von seinem Rückgaberecht Gebrauch. Der Laden hat die Hunderampe wieder. Beziehungsweise: er hatte jetzt eine Hunderampe im Sortiment. Die Chefin zankt mit C., weil sie von seiner Beflissenheit genervt ist. C. ist gekränkt – er hat es doch nur gut gemeint! Er hat sich um die Rampe und um den schwierigen Kunden bemüht. Was hilft es. Die Rampe steht also jetzt im Laden. Sie wird etwas günstiger ausgepreist, erst auf 100, dann auf 90 Euro herabgesetzt, schließlich zurück auf den Einkaufspreis. Vielleicht hätte sie der schwierige Kunde zu diesem Preis auch behalten, denke ich. Aber hinterher ist man immer schlauer.
Kein Kunde interessiert sich für die Hunderampe, schon gar nicht für die heruntergesetzte. Da wird man doch argwöhnisch – vielleicht ist irgendwas nicht richtig an der Rampe! Zwischen den Döschen und Bällchen ist sie auch recht sperrig. Die Hunderampe kommt ins Lager. Da kann sie nun niemand mehr wahrnehmen und sich zu einem Spontankauf entscheiden. Wenn die Chefin einen Rappel kriegt, muss das Lager aufgeräumt werden, dann tritt sie bei der Inspektion gegen die zusammengeklappten Alu-Bleche, schnauzt C. an: „Das Ding, das du da angeschleppt hast, liegt auch schon seit Jahren hier rum!“ Und dann schließen sich weitere Vorwürfe und Kränkungen an. Und C. grollt und hält den Mund.
Nach so einem Ausbruch hat er dann endlich zum Befreiungsschlag ausgeholt und hat dem Laden die Hunderampe einfach abgekauft. Zum Einkaufspreis, der auch der Großhandelspreis und der letzte Ladenpreis war. Nun gehörte die Rampe C. Aber auch C. hat keinen Hund. Die Nachbarn haben zwar einen, der sogar fußlahm ist. Der könnte die Einstiegshilfe brauchen, aber er ist so klein, dass man ihn mit einer Hand am Geschirr anheben und wie ein Sixpack in den Wagen stellen kann. Die Nachbarn werden sich nicht mit der Hunderampe belasten.
Jetzt fällt mir alles wieder ein. Wir hatten bis vor zwei Jahren eine schwer gehbehinderte Katze, für die wir sogar eine kleine Treppe gebaut hatten, damit sie überhaupt noch aufs Sofa konnte. Das hatte C. sich gemerkt. Aber wir sind nicht mit der Katze ausgefahren, sie musste in keinen Kofferraum. Andererseits kann man eine Rampe ja nicht nur an einen Kofferraum anlehnen, sondern auch an ein Sofa, und außerdem können darüber auch andere Tiere gehen, zum Beispiel Katzen. Insofern hatte er völlig Recht, uns ein Angebot zu machen, er hatte mir aufmerksam zugehört, mitgedacht und sich bei Gelegenheit erinnert. Auch ich bin eine schwierige Kundin, glaube ich. Ich höre nicht zu, will angebotene Hilfe nicht annehmen, erkenne sie nicht mal.
Der Kaffee ist getrunken, C. bestellt noch einen, in dem er rühren kann. Es gibt andere Themen zu besprechen. Die Chefin liegt im Krankenhaus. Aber er geht sie nicht besuchen. Sie hat ihm vor ein paar Wochen den Stuhl vor die Tür gesetzt. Er ist ja schon lange Rentner, hat aber im Laden immer wieder ausgeholfen. Er schien nicht entbehrlich, auch wenn immer mal wieder von Aufhören die Rede war. Jetzt hat sie ohne weitere Ankündigung gesagt: „Brauchst nicht mehr kommen!“ Aber die neue Mitarbeiterin ist doch noch gar nicht richtig eingearbeitet. C. grollt jetzt von zu Hause aus, fährt aber noch manchmal zum Laden, um nach und nach seine Sachen zu holen. Da gibt es noch jede Menge Klarsichtboxen, die er, vorsorglich mitdenkend, für den Laden angeschafft hat. Die zieht er jetzt ab und schafft sie nach und nach in seine Wohnung, wo sie leer rumstehen – stumme Zeugen seines Grolls. Aber die Rampe, die Rampe. Eine der netten Kolleginnen hat C. angeboten, sie über den Kleinanzeigen-Markt zu verkaufen. Er fragt mich, was man wohl dafür verlangen kann. Mit 40 anfangen, dann runter auf 20, würde ich sagen.
Über die sinnlos dem Laden entzogenen und jetzt nutzlos herumstehenden Plastikboxen kommen wir auf andere Restbestände zu sprechen, mit denen unsere Lebenswege gepflastert sind. Bei C. sind sie meist von vorsorglichen Einkäufen zurückgeblieben. Auch von Einkäufen in der Absicht, eine Sammlung anzulegen, die später mal einen Wert hat. Zum Beispiel Telefonkarten. C. hat Alben mit Telefonkarten, Editionen aller Art, bunter und größer als Briefmarken. Und im Unterschied zu Briefmarken, die gestempelt sein müssen, haben Telefonkarten nur einen Sammlerwert, wenn sie unbenutzt sind, wenn also noch das volle Guthaben drauf ist, erklärt mir C. „Das sind ganz schöne Beträge”, sagt er, und ich weiß nicht, ob er stolz auf diesen eingefrorenen Reichtum ist oder ob er um Verständnis für seine Macken bittet.
Wir überlegen, ob es überhaupt noch Telefonzellen gibt. Wo zum Beispiel. Und wenn die endgültig abgeschafft werden, weil ja alle ein Telefon in der Tasche haben, gegen wen kann man dann Ansprüche aus den Telefonkarten-Guthaben geltend machen? Das sind ja Kredite, die man den Telefongesellschaften gegeben hat. Kann man die umtauschen? Bei der Telecom? Müssen sie so lange Telefonhäuschen betreiben, bis die ausgegebenen Kartenguthaben verbraucht sind? Oder historisch gedacht: Wenn die Telefonkarten-Editionen in fünfzig Jahren vielleicht einen Sammlerwert haben, dann ist es wahrscheinlich egal, ob da eigentlich noch ein Guthaben drauf war.

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https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2015/02/13/die-hunderampe/

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kommentare

  • dass der Kunde mit der angebotenen Hunderampe nicht zufrieden war, kann ich gut nachvollziehen. Mir ging es ebenfalls wie ihm. Daraufhin habe ich eine Hunderampe fuer unseren alten Labrador “Sam” entwickelt und patentieren lassen.
    DIE HUNDERAMPE wurde daraufhin bis heute 500 mal weltweit mit großem Erfolg verkauft!
    Wir liefern nur an Endverbraucher über unsere Webseite.
    Einfach mal reinschauen.
    Grüße aus Mainz
    Jürgen Jertz

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