vonImma Luise Harms 25.03.2017

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Das texi, Industriename: M10 von Olivetti. Nach den Schreibmaschinen das erste Arbeitsgerät der taz-RedakteurInnen und KorrespondentInnen. Ab 1983 im Einsatz. Es passten anderthalb taz-Seiten rein. Man entlud den Inhalt dann in den Rechner der Korrektur- und Satzabteilung. Die KorrespondentInnen oder die Lokalredaktionen, speziell Bremen als Versuchskaninchen, schickten ihre Texte über einen Akustikkoppler, ein extrem anfälliger Weg, der aber trotzdem auf der technischen Höhe seiner Zeit war.

Meine Erinnerung in der Berliner Zentralredaktion: wenn kurz vor Redaktionsschluss der gesamte Inhalt des texis, zum Beispiel durch einen Wackelkontakt am Netzteil, “abstürzte”, der gesamte Artikel einfach weg war. Das erinnerte regelmäßig daran, wie flüchtig, wie irreal, wie ungreifbar die in Text gegossenen Gedanken eigentlich waren. Die Verzweiflung, mit der man auf den völlig entleerten Bildschirm starrte, es nicht glauben wollte. Der Mut eben dieser Verzweiflung, mit dem man versuchte, einzelne Gedanken, Beispiele, Argumgentationsstränge zu rekonstruieren, die Quellen und Zitate zu retten, den eleganten Einstieg und die Schlusspointe zu rekapitulieren, solange sie noch im Hirn verfügbar waren. Schon befand man sich wieder in fließendem Gewässer, die Finger hüpften hurtig über die Tasten. Und, oh Wunder, der Text erstand schöner, glatter und kompakter aus der entropischen Asche, als er zuvor war. So flüchtig und irreal, wie es dem kontrollierenden Erinnerungsbewusstsein manchmal vorkommt, sind die Gedanken eben doch nicht. Das anschließende Gefühl von produktiver Erschöpfung, von Stolz im Bewusstsein professioneller Souveränität über technische Heimtücke.

Ich brauche nicht zu betonen, wie lange das her ist. Das texi lag im Dämmerzustand in wechselnden Hinterfächern. Alle paar Jahre geriet es in meine Wahrnehmung; ich probierte aus, ob es noch ging. Es ging. Dann habe ich es wieder weggeräumt, ein Wahrzeichen meiner ersten Jahre in der taz. Eine Erinnerung an meine bleibende intensive Hassliebe zu dieser Zeitung, die leider nicht erwidert wurde.

Im letzten Jahr habe ich einen Versuch gemacht, mich davon zu befreien. Ich habe das texi zur Adoption freigegeben. Als erstes habe ich natürlich bei der taz nachgefragt. Ein freundlicher launiger Brief mit Foto an die hardware-Abteilung. Keine Antowort. Nochmal nachgefragt. Dann kam eine mail von Volker Schmittke:
“hi, wie das so ist mit mails, die an verteiler gehen, keiner antwortet. kurz und gut, kein interesse.
danke für die nachfrage und viele grüsse”

Als nächstes habe ich das Erinnerungsstück einem der damaligen EDV-Bastler in der taz, Diet Metk, angeboten. Er hat selber noch zwei davon, schrieb mir aber:
” Zum Texi noch die Info: Es ist ja mit einem Spezialprogramm ausgestattet, mit dem die Texterfassung mithilfe der beim Redaktionssystem zur Formatierung genutzten “Negativbuchstaben” möglich war. Und es verfügt über ein spezielles “Sendeprogramm”, mit dem per Akustikkoppler (oder auch per Kabel) Daten in das taz-System überspielt werden konnten.
Beide Programme – und das ist vielleicht spannend – wurden vom  damaligen Mitbegründer des ChaosComputerClubs, Wau Holland, in Zusammenarbeit mit einem Freund von ihm, dessen Namen ich nicht mehr weiß, entwickelt und der taz geschenkt.”

Wau Holland ist seit 16 Jahren tot. 1983 habe ich mit ihm zusammen eine taz-Seite zum Computer-Hacken gestaltet, wahrscheinlich auf diesem texi. Nach seinem Tod wurde ein Wau-Holland-Museum gegründet, das sein Vermächtnis zugänglich halten sollte. Das wäre doch die richtige Endstation für das Gerät, dachte ich und wandte mich an den Vorsitzenden.

Peter Frank antwortet: ” Ich bin jahrelang mit Wau und Texi herumgelaufen. Ich habe selbst mal eine Modifikation dafür entwickelt, mit der man im Netzbetrieb gleichzeitig die Akkus laden konnte. Das war in der Originalversion nämlich nicht möglich. Ich erinnere mich auch noch grob daran, was an dem ROM gepatcht wurde, um vom M10 (bzw. Tandy TRS80 Modell 100, weitgehend baugleich) zum Texi zu werden. Den Namen des zweiten Kollegen erinnere ich leider gerade auch nicht mehr, aber den könnte Wulf noch kennen. Die beiden hatten gemeinsam so eine Art Firma dafür gegründet und diese “NOR” genant, nach einem invertierenden Oder-Gatter, einem Baustein der Digitalelektronik, aus dem sich jede denkbare logische Schaltung bis hin zum Computer entwerfen läßt.
Meinen Texi hat am Ende nach meiner Erinnerung irgendwann Wau selbst zurückbekommen, da er ihn irgendwann mal brauchte, und ich da schon was moderneres hatte. Außerdem hatte ich das Gerät, das bei der TAZ-Aktion übrig geblieben war, ursprünglich als “Dauerleihgabe” von ihm bekommen.”

Klaus Schleisiek aus der Wau-Holland-Stiftung konnte mir dann den Namen sagen:
“Der “Mitentwickler” ist höchstwahrscheinlich Jürgen Orlok, der heute noch seine Firma Nor-Systems betreibt. Die ganze Texihistorie finde ich deshalb richtungweisend, weil wir nach Snowden in einer Situation sind, dass der CCC / die WHS den Journalisten wieder Hilfe leistet. Diesmal, um Informanten zu schützen und interne Kommunikation intern zu halten.”

Nächster Adressat für mich war also dieser Jürgen.
“Hallo, Herr Orlok, gibt es Sie unter der Adresse? Ich bitte um eine Reaktion. Können Sie mir etwas zu dem Texi-Gerät sagen, das angeblich Wau Holland zusammen mit Ihnen entwickelt hat und das wir in der taz in der 80er Jahren für die Texteingabe benutzt haben? Ich hab noch ein solches Gerät und möchte es sinnvoll loswerden.”

Aber Jürgen Orlok meldete sich nicht. Auch von der Stiftung habe ich dann nichts mehr gehört. Ich habe noch einen halbherzigen Versuch gemacht, das texi über ebay-Kleinanzeigen zu verkaufen. Als da keine Reaktionen kamen, fiel es in den Dämmerschlaf  zurück.

Jetzt hat es Mathias, der blogwart an sich genommen, für ein zukünftiges taz-Museum im Neubau. Danke Mathias, fare well texi!

 

 

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