vonImma Luise Harms 29.09.2017

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

Mehr über diesen Blog

Der kleine Garten wird abgegeben. Wir nennen das Stück Land, das sich auf dem hinteren Gutshofgelände an einer Seite des ehemaligen Tiefsilos entlang zieht, und das wir terrassiert haben, den kleinen Garten. Seit einigen Jahren bewirtschaften wir auch ein Stück Acker jenseits des Schlosses, den wir nicht etwa den großen Garten, sondern das Morgenland nennen, weil es ungefähr ein Morgen Land ist. Das Morgenland besteht aus einer Schafweide, aus Gemüsebeeten, zwei Tomatenhäusern, Ackerfläche. Und es ist immer noch Platz für zusätzliche Anbaupläne.

Den Garten am Tiefsilo habe ich weiter bestellt, einmal, weil er hinterm Haus liegt, was schön ist, wenn man nur schnell einen Salatkopf oder ein paar Stängel Petersilie holen will. Auch, weil er mitten im Schrebergartenmilieu des Gutshofes liegt und ich den Kontakt zu den NachbargärtnerInnen mag. Aber auch, weil wir dieses Stückchen Erde über einen langen Zeitraum kultiviert haben; man wächst an die Scholle. Ein paar alte Johannisbeerbüsche sind inzwischen im ertragreichsten Alter, auch eine Himbeerhecke ist nach Jahren endlich fruchtbar.

Trotzdem: das Doppelengagement in zwei Richtungen stresst. “Im kleinen Garten muss ich auch noch hacken”, habe ich oft resigniert gedacht, wenn ich müde vom Morgenland zurückkam. Und dann im trockenen Sommer letztes Jahr: “Im kleinen Garten auch noch gießen!”

Gießen war nicht so das Problem in diesem Sommer; alles ist prächtig gewachsen, aber eben auch das Unkraut. Es wird von der elaborierten Gärtnerin beschönigend “Beikraut” genannt, denn raus muss es trotzdem, und zwar beizeiten, bevor es sich ausgesamt hat.  Als wir Ende August von einer dreiwöchigen Reise zurückkamen, waren beide Gärten dermaßen überwuchert, dass mir klar wurde, hier ist eine Entscheidung fällig. Den kleinen Garten soll jetzt jemand anderes kriegen. Ich gebe ihn ab. Ich habe ihn einer befreundeten Nachbarin angeboten, die eine hingebungsvolle Gärtnerin ist, aber selber wenig Erde zur Verfügung hat.

Dann wurde allerdings ein Anspruch der unmittelbaren Anwohnerinnen geltend gemacht, hier zu gärtnern oder auch einfach wachsen zu lassen, was eben wachsen will. Die Aussicht, dass das langsam und mühsam kultivierte Land wieder der Quecken- und Brennnessel-Invasion anheim fällt, tut mir ein bisschen weh. Aber nun ja, die Vorstellungen, wozu Land gut ist, sind eben verschieden, und mir gibt es Anlass, über den Unterschied zwischen “abgeben”, “weggeben” und “aufgeben” nachzudenken.

Das Abgeben versucht, den Einfluss auf das, was mit dem Abgegebenen geschieht, aufrecht zu erhalten, also die eigene Zwecksetzung fortzuschreiben, Prototyp: Erbschaft. Die mit vererbte Erwartung hängt wir ein zähes Gummiband an dem weitergereichten Gut. Mein Bruder hat vor seinem Tod sogar seine berufliche Nachfolge innerhalb einer Institution regeln wollen; die monarchistischen Anwandlungen wurden trotz aller Hochachtung allerdings zurück gewiesen.

Das Weggeben unterstellt das Weggegebene dem neuen fremden Willen, so wie Vercingetorix (laut Asterix) Cäsar seine Waffen auf die Füße warf. Das Weggeben ist das Eingeständnis, dass die Zukunft des Weggebenen dem eigenen Willen entzogen sein wird. Das Eingeständnis selbst bleibt aber ein souveräner Akt, im Gegensatz dazu, dass einem etwas weggenommen wird; das ist dann nur noch eine Schmach. Unter Umständen will das Weggeben dem unterwerfenden Akt des Wegnehmens nur zuvor kommen.

Das Aufgeben benennt nicht in erster Linie das Verhältnis zur neuen Besitzerin, sondern zu der Sache (oder auch Person), um die es geht. Um den Garten weggeben zu können, muss ich ihn aufgeben. Ich muss in einem schmerzhaften Schnitt mein Fürsorgeverhältnis zu ihm kappen. Ich kann ihm nicht mehr helfen, er muss jetzt alleine zurecht kommen. Der Begriff “aufgeben” enthält allerdings eine Ambivalenz: Ich gebe irgendwann auch meine Erwartungen an etwas oder jemanden auf, wenn ich zum Beispiel dauerhaft enttäuscht werde: Das wird doch nichts mehr, hier wird nie was Vernünftiges wachsen! Also Aufgeben als janusköpfige Entscheidung – entweder mit Trauer loslassen oder mit Enttäuschung sich abwenden – oder vielleicht doch auch beides.

Den kleinen Garten lass ich mit Trauer los: wachse in Zukunft dort, was will! Aber ich leugne nicht die Erleichterung, die ich dabei empfinde.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2017/09/29/let-it-go-43/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert