vonImma Luise Harms 30.08.2019

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Donnerstag, 22.8.:
O. kommt in unsere Küche gewirbelt. „Habt ihr das schon mitgekriegt? Am Montag ist im Schloss Großer Zapfenstreich, also vorm Schloss. Hat J. mir gerade erzählt. Er findets auch ätzend, aber sie können nichts machen“. Wir können auch nichts machen. Wir sind geduldete NutzerInnen von einem Schlossparkzwickel. Und da müssten schon ganz andere Sache passieren, ehe wir das Wohlwollen der Schlosspächter riskieren. Trotzdem geht es uns durch den Kopf, wie wir von zwanzig Jahren beim Gelöbnis laut darauf hingewiesen haben, dass Soldaten Mörder sind. Gilt das heute nicht mehr? Im Grunde schlimmer: Soldaten sind oft Nazis. Wir überlegen, ob wir am Montag nicht einfach weg sein sollten. Konfliktscheu! Feiglinge!

Sonntag, 25.8.:

G. ist zu Besuch, ein ganz radikaler Bürger. Ich kann nicht an mich halten und erzähle von dem Ereignis, das uns bevor steht. Er guckt mich seltsam und schweigend an, als erwarte er von mir eine Ansage, was wir denn zu unternehmen  vorhaben. Ich sage: Zu alt dafür (das benutze ich jetzt gern als Ausrede, und stimmt ja auch!), und ganz ehrlich: Zu korrumpiert durch die Grundstücksverhältnisse. Und dann noch still für mich die Frage, ob die Bundeswehr denn tatsächlich mein Hauptfeind ist. Staatliches Gewaltmonopol, was würde an die Stelle davon treten? Aber davon sage ich G. nichts. Sollen sie doch demonstrieren oder stören, hab nichts dagegen und würde mich auch nicht dazwischenwerfen.

Montag, 26.8., 10 Uhr

Auf dem Schlossturm weht noch die Brandenburg-Fahne, keine Krähe auf schwarzrotgoldenem Grund. Auch nicht die Fahne von Burg Falkenstein wie vorletzte Woche, als Detlef Buch hier seine „Bibi und Tina“- Staffel gedreht hat. Auch nicht die Herzchen- Fahne von ganz früher, obwohl das ja für die Bundeswehr wiederum ganz lustig wäre.

Was haben die da überhaupt vor? Großen Zapfenstreich gibt es nur für Verteidigungsminister und Bundespräsidenten. Was ist denn ein kleiner Zapfenstreich? Und für was für Anlässe? Wir googlen ein bisschen herum, nichts im Netz zu finden unter Zapfenstreich/Reichenow oder so. „Das ist ganz geheim“, vermutet Thomas. Feldjäger haben wir schon ein paarmal in den letzten Tagen gesehen. Ob die jetzt alle aus der Nachbarschaft überprüfen? Thomas hatten sie bei den Gelöbnis-Protesten mal festgenommen.

12 Uhr

Thomas berichtet, dass verdächtig große Wagen auf dem Schlossparkplatz stehen. „Einer sieht aus wie die, in denen die immer die Absperrgitter transportieren. Ob die hier mit ner Demo oder sowas rechnen?“ Den anderen Wagen hält Thomas für einen Tiertransporter für Spür- oder Kampfhunde. „Die Klappe ist schon runter, damit die Hunde Luft kriegen.“ Das klingt ja schon massiv.

13.30 Uhr

ich drehe eine Observierungsrunde mit dem Fahrrad; ich komme überall mühelos durch. Alle Anwohner gehen ihren Beschäftigungen nach. H. sägt im Hof seine Bretter. R. gießt Blumen im Vorgarten. T. jätet zwischen den Kartoffeln. Auf dem Parkplatz keine geheimnisvollen Fahrzeugen. Auch auf der Seeseite vom Schloss nichts Auffälliges. Auf der Schlossterrasse fröhliches Gelächter, in der Auffahrt ein fettes Auto mit Kennzeichen aus Warendorf, im höchsten Maße unverdächtig. Einzig auf dem Platz vor unseren Gelände ein neutral-weißer Bus mit Bundeswehr-Kennzeichen.

Es ist sehr heiß. Ob sie das Spektakel abgesagt haben? Weil die Bürger in Uniform, noch dazu, wenn sie schwere Musikgeräte halten müssen, ja öfter mal umfallen.

16 Uhr

Ich fahre nach Strausberg, ich komme zurück. Nichts hat sich getan. Auf dem Balkon über dem Schlosseingang stehen ein paar Herren mit hellblauen, kurzärmeligen Hemden, gucken sich heiter um. Doch wohl Bundeswehr, in Halbzivil. Na, dann feiern die da irgendwas.

19.30 Uhr

Wir haben das Interesse verloren und essen Bratwurst mit Grünkohl. Und ich setze mich aufs Fahrrad, um eine Runde über die Dörfer zu fahren, die Wurst verdauen.

Es sieht nach Gewitter aus. „Kann sein, dass du nass wirst“, sagt Thomas fürsorglich. „Hoffentlich“, sage ich. Es ist überall staubtrocken und ich leide sowohl mit dem Weltklima als auch mit den Blumen vorm Haus.

20.00 Uhr

Über Möglin und Schulzendorf radele ich auf die Apfelsinen-farbene Sonne zu, die von dunklen Wolkenhaufen in den Horizont hineingedrückt wird. Auf der Höhe kann ich sehen, wo es schon regnet. Kleine graue Regenschleier, die sich schräg zumBoden ziehen. Ab und zu auch ein Blitz, aber alles weit weg, mehr ein Wetterleuchten. In Lüdersdorf mache ich das Licht an. Nach Frankenfelde brauche ich es auch. Die Dämmerung geht in Dunkelheit über. Als ich zurück in Reichenow bin, ist es Nacht.

21.00 Uhr

Halb erleichtert, halb enttäuscht denke ich, dass sowohl das Gewitter als auch das Zapfenstreichspektakel an uns vorbeigezogen ist. Ich fahre über den Schlossparkplatz. Die Beleuchtung ist aus. Im. Dunklen erkenne ich zwei große Reisebusse. Ein paar Personen stehen dabei und rauchen. In dem geöffnete Gepäckraum des einen Busses sehe ich Behälter von Musikinstrumenten. Oha! Also doch! Einem Impuls folgend biege ich vom Parkplatz in den Weg zum Schlossvorplatz ein, immer noch in der sportlichen Geschwindigkeit meiner Verdauungstour.

Im Gebüsch neben mir knackt und raschelt es. Zwei Männer im Kampfanzug springen heraus; ich bin schon halb an ihnen vorbei. „Tschuldigung! Tschuldigung!“ brüllen sie mir hinterher. Ich bleibe stehen, man will ja keine Erschießung riskieren. „Hier können Sie jetzt nicht durch!“ Ja klar, das wollte ich ja bloß wissen. Aber ein bisschen Widerstand ist nie verkehrt. „Und warum nicht?“ frage ich lauernd. „Hier ist jetzt ne Veranstaltung.“ „Aber ich wohne doch hier“, gebe ich zu bedenken und zeige schräg nach vorn. „Können Sie bitte einen anderen Weg nehmen?“ Also trolle ich mich zurück in Richtung des von uns bewohnten Hauses, nachdem ich noch in Erfahrung gebracht habe, dass die“Veranstaltung“ gleich losgeht und eine halbe Stunde dauert.

Das will ich sehen. Unser Grundstück, oder vielmehr das von uns genutzte, aber eigentlich zum Schlossgelände gehörende Grundstück ist durch eine hohe und dichte Hecke von Schlossvorplatz-Ensemble abgetrennt. Ich klettere aufs Dach und setze mich neben dem Schornstein auf den Dachfirst.

Fackeln werden auf dem Rasenrondell hin und hergetragen und in Position gebracht. Dazwischen weiße Glühwürmchenlichter, die Notenpult-Beleuchtungen, mehr kann ich nicht erkennen. „Die Musiker sitzen schon da“, sagt Thomas, der mir gefolgt ist und neben mir auf dem First hockt.

Unten ist alles still und dunkel. Zwei Personen patrouillieren auf dem Weg hinter der Hecke, einer in Zivil und mit Glatze, der andere in Camourflage mit so einer abgeklappten Mütze. Jetzt drehen sie sich in unsere Richtung. Wir zeichnen uns wahrscheinlich gut gegen den verblassenden Abendhimmel ab. Die werden uns doch hier nicht runterholen wollen, denke ich und sammle schonmal Empörung und Argumente an. Aber am Schlosspark-Eingang machen sie kehrt und patrouillieren zurück.

21.30 Uhr

Die Lichter im Schloss gehen aus, Menschen strömen heraus, die wie dunkle Schemen auf unsere Seite des Rondells strömen. Ich erkenne Hosenbeine und einzelne lange Kleider. Das Raunen verstummt, absolute Stille. Und dann setzt die Musik ein; mit einer überraschenden Fülle und Präzision legt sie sich in den Raum zwischen Schloss und Gutshof und weit darüber hinaus, streift die Gipfel der dunklen Bäume, steigt auf in den Nachthimmel. Und was steigt da auf in dieser klirrend-dröhnenden Tonumfänglichkeit? Eine Humpta-humpta-Musik von der Qualität des Kaiser Willems, den wir doch wiederhaben wollen!

Thomas reicht es, er geht weiter Fernsehen. Ich bleibe; mich interessiert das Ganze, auch wenn ich noch nicht weiß, warum. Vielleicht will ich wissen, ob mich Schauer erfassen oder Rührung in mir aufsteigt. Ein Selbstversuch also.

Am Horizont blitzt es immer mal wieder auf. Ein Gewitter mit Platzregen auf das Platzkonzert, das wäre doch fein, denke ich mir maleziös. Es kommt aber nichts bis hierher. Das nächste Stück endet in einer Sirene, die sich aus der Ferne einmischt? Feuer irgendwo? Nein, sie verstummt nach einem lang gezogenen Heulton.

Aus dem Dunkel unter mir, irgendwo zwischen den wabernden Fackeln höre ich eine Stimme. Satzfetzen wehen hoch zu mir. Ich glaube, es werden Erklärungen zur Musik gegeben. Das Ganze richtet sich an einen „sehr verehrten Herrn General“. Um den wird es wohl gehen. Das interessiert ich doch. Jetzt geht es mehr ums Hören als ums Sehen. Ich verlasse meinen Ausguck auf dem Dachfirst, schleiche mich in unseren schloss-eigenen Vorgarten und setze mich direkt hinter die Hecke.

Die Musik setzt wieder ein. Ein langsames Stück, dann eine Art Polka. Zwischen den einzelnen Stücken herrscht absolute Stille. Ich halte den Atem an und lausche in das Nichts hinein. Mir scheint, als ob die beiden Sicherungsbeamten auf der anderen Seite der Hecke auch mich belauschen.

Während die Polka ihrem Ende entgegenhüpft – in einer gewaltigen Klangfülle und mit beängstigender Präzision – wenden sich meine Gedanken vom  Gespannten ins Bittere. Dieses gestochen Scharfe, Abgezirkelte der Musik erinnert daran, dass die Armee eine gigantische Maschine ist, ein tödlicher Apparat. Und auf die Macht des Apparates  können sich die einzelnen Soldaten jederzeit stützen, auch wenn sie noch so zivil daherkommen. Ich sehe den schneidigen SS-Offizier vor mir – Waffen-SS selbstverständlich – wie er sich zackig und doch galant vor der blonden Dame verbeugt, „Darf ich bitten, gnä‘ Frau?“. Wie er in tadelloser Uniform die blonde Dame zu den Klängen einer Polka gerade so wie dieser über das Parkett manövriert. Und ebenso exakt und schneidig den Befehl zum Erschießen der Partisanen gibt.  Ich sehe Soldaten auf Panzern mit den Schädeln ihrer Opfer posieren oder in Hütten über Frauen  herfallen. Und ich höre Generäle wie vielleicht diesen hier ins Telefon brüllen „Verdammte Schweinerei, das!“

Aber halt, das waren andere Zeiten, andere Orte, andere Armeen. Dieses hier ist doch nur eine Abendgesellschaft mit Musikkorps und, ja gut, ein paar Fackeln. Wieder Pause. Nichts rührt sich, klatschen sie nicht? Die Stimme des Zeremonienmeisters kann ich auch von hier nicht verstehen, bleibt alles in der Hecke hängen. Das nächste ist die Nationalhymne, das „Deutschlandlied“; ich kämpfe die feierliche Bewegtheit in mir zurück. So weit kommts noch! Obwohl gegen die dritte Strophe, außer dem „brüderlich“, nicht wirklich was einzuwenden ist.

Das wird wohl das Ende gewesen sein. Weiter Stille. Gehen sie jetzt genauso stumm ins Schloss zurück? Da erklingt eine kräftige Bariton-Stimme, der die lieben Kameraden anredet. Das wird wohl der verehrte Herr General sein. Ich verstehe wieder nur einzelne Satzteile. Er bedankt sich, na klar, und meint dann, diese ausgezeichnete Darbietung wäre wohl einen Applaus wert. Erst jetzt wird höflich applaudiert. Der General fährt fort, macht ein paar launige Bemerkungen. Ich schnappe auf, wie er Kaiser Wilhelm, den Zweiten, zitiert. „Der meinte, die einzige Musik, die er gelten ließe, wäre Kirchenmusik und Militärmusik“ Und so könnte er auch heute hier sagen… Und dann kommt er irgendwie nicht richtig weiter, der Herr General. Also will er wohl auch eigentlich seinen alten Kaiser Willem wiederhaben, aber das sollte man hier vielleicht nicht so deutlich sagen.

Es fällt ihm dann noch ein, oder vielmehr wird er sich das zurechtgelegt haben, dass Fallersleben das „Lied der Deutschen“ genau heute vor 178 Jahren komponiert hat. Und den Rest versteh ich nicht mehr. Der General bittet nochmal um einen Applaus, bzw. er ordnet einen an. Und dann löst sich das Spektakel auf. Das Geräusch von Schritten auf dem Kies, später Türenschlagen vom Parkplatz. In Schloss geht das Licht wieder an.

22.30 Uhr

Ich sitze in der Stille, die vom geleerten Schlossplatz durch die Hecke dringt. War war das nun? Eine Machtdemonstration? Eine Traditionshuberei von Kommissköppen? Folklore? Marschmusik formt das Battallion, in das das Individuum hineingezwängt wird; es wird mitgerissen.

Musik ist ein wichtiger Bestandteil der Truppenführung. Und wenn es keinen Tambourmajor und keinen Musikkorps gibt, dann singen die Soldaten auch ganz alleine, wie hier bei ihrem Einsatz beim Oderhochwasser 1997. Achtung Triggerwarnung! Der Text des folgenden Liedes kännte Ihre Gefühle verletzen!

[youtube]https://youtu.be/-HIN5wHSTLo[/youtube]

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https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2019/08/30/knallharte-musik/

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