vonImma Luise Harms 14.05.2021

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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In der Gemeinschaftsküche meiner Lieblingskommune habe ich am Morgen noch ein altes Brötchen gefunden. Es ist noch nicht hart, sondern eher schwammig, so wie halt ein Brötchen, das zwei Tage unbeachtet im Brotfach liegt. Das geht noch, denke ich, wenn ich es toaste. Ein Toaster steht da, wenn auch ohne Aufsatz. Also schneide ich das Brötchen auf und schiebe die beiden Hälften in die zwei Schlitze, drücke den Hebel nach unten, wo er sich aber nicht verhakt, wie das sein muss, sondern sich mit der trägen Resilienz eines teilnahmslosen Elektrogerätes ohne weitere Aktivitäten nach oben bewegt. „Ja, der geht irgendwie nicht mehr“, heißt es vom Küchentisch, wo die anderen ihr Müsli löffeln oder am ungetoasteten Roggenbrot kauen.

Der geht nicht – warum? Die Frage stellt sich hier keineR. Ich kann mir vorstellen, dass der kaputte Toaster noch ein Vierteljahr hier steht und immer wieder neue Gäste immer wieder neu am Hebel zerren.

Ein Gemeinwesen funktioniert nur, wenn alle ihren Teil an Verantwortung übernehmen und sich nicht mit einem „Davon hab ich keine Ahnung!“ oder „Also ich brauch den gar nicht!“ aus der Affäre ziehen. Ich bin auch nicht gerade Toaster-Spezialistin, obwohl ich einen Diplomgrad in ungefähr der Richtung habe. Aber ich habe jedenfalls Schraubenzieher und eine Werkstatt mit anderen Hilfsmitteln. „Ich nehm den mal mit“, sage ich. Kann ja sein, dass ich irgendeinen Defekt erkennen kann. Nächste Woche bin ich wieder da. Und dann ist der Toaster entweder wieder heile oder eben nicht mehr da, und ein neuer muss her.

Vor der Abreise gehe ich in die Werkstatt im Kommune-Keller. Vielleicht gibt es noch einen anderen kaputten Toaster − sowas sammelt sich da manchmal – und ich kann den als Ersatzteilspender benutzen. Tatsächlich finde ich eine Kiste, in der drei weitere kaputte Toaster stehen, zum Teil beschriftet „Achtung, Kurzschluss“ oder schlicht „defekt“. Das ist wenig ermutigend, denn es deutet darauf hin, dass die KommunardInnen mit ihren Elektrogeräten doch nicht so wurschtig sind, wie ich angenommen habe und den Fehlern schon auf den Grund zu gehen versuchen. Ich packe trotzdem die ganze Kiste ein, mit nunmehr vier defekten Toastern.

Zuhause warte ich eine ruhige Stunde ab, wo die Blumen gegossen, die Wäsche gewaschen und aktuell kein Besuch zu erwarten ist. In der Werkstatt stelle ich zuerst das Radio an. Das beruhigt mich, stellt einen Zustand von Dauer her, der nicht auf das Ende orientiert ist. Im Deutschlandfunk wird über die Anstrengungen der einheimischen Tourismus-Branche getalkt, deutsche UrlauberInnen trotz Corona wieder an den Strand zu kriegen. Ich höre nur halb zu; das liebe ich besonders, wenn Hörerfragen und Expertenschlauheiten wie Nebelschwaden durch den Raum wallen und die sattsam bekannten Begrifflichkeiten darin ein Eigenleben entfalten.

Zuerst schaue ich mir den aktuell kaputt gegangenen Toaster an. Ich betätige den Hebel, achte darauf, ob es Widerstände gibt. Ich weiß, dass die Geräte erst anfangen zu toasten, wenn im Innern der Kontakt geschlossen ist. Durch die Schlitze sehe ich einen dunklen Klumpen, der ganz unten im Gitter festhängt. Aha! Dieses hoffnungsfrohe „Aha“ ist immer der Wendepunkt bei Reparaturarbeiten; von nun an habe ich eine Hypothese und ein klares Ziel. Ich muss den Boden abnehmen, damit ich an den Klumpen im Innern komme, denn wahrscheinlich verhindert er, dass sich der Kontakt schließen lässt.

Jetzt kommen die Hindernisse. Erstes Hindernis: der seitliche Hebel lässt sich nicht abziehen, der verhindert, dass ich das Gehäuse ganz abnehmen kann. Erste Bosheit: er ist festgeklebt! Erster Umweg: ich könnte den Boden trotzdem abschrauben und schräg aufstellen, dann käme ich vielleicht an das untere Gitter ran. Die Schrauben also lösen. Zweites Hindernis: die Schrauben haben eine unterschiedliche Schraubendreher-Aufnahme. Aber dafür bin ich ausgerüstet, Kreuzschlitz in allen Größen, Stern-förmige ebenfalls. Zweite Bosheit: neben die Schräubchen an alle vier Ecken, die anscheinend schon mal jemand rausgedreht, wahrscheinlich eine dabei verloren und dann durch eine andere ersetzt hat, neben denen also ist eine fünfte Schraube ins Gehäuse gedreht, die eine völlig andere Form hat, nur durch eine Art winziger Zange zu lösen ist, wenn überhaupt. Dieses Schräubchen hat einzig und allein die Funktion, Selbst-RepariererInnen zur Kapitulation zu zwingen! Frechheit! Mein Blick fällt auf das Typenschild. Guck an! „Ideen-Welt“ von der Firma Dirk Rossmann GmbH. Das ist doch der Rossmann, von dem ich gerade das Buch „Der neunte Arm des Oktopus“ auf dem Schreibtisch habe, in dem sich der philanthropische Großunternehmer als Warner vor der Klimakatastrophe zu profilieren versucht. Umweltfreund sein wollen, aber Wegwerftoaster produzieren – einmal Kapitalist, immer Kapitalist! Aber ich habe schon Umweg Nr. 2 im Kopf: eine stabile große Pinzette, die ich mit einer Schnabelzange in die beiden Nuten reindrücke und langsam umdrehe. Hah, sie bewegt sich! So sieht antikapitalistischer Kampf aus!

Die Bodenplatte ist freigelegt, trotz widerborstig angeklebtem Seitenhebel. Da ist eine schwarz-graue Masse, die einen kleinen Hügel bildet und richtig schwer abzuspachteln ist. Was haben die da bloß in den Toaster geschmissen? Also Brotreste sind das nicht! Als ich alles abgepult habe, baue ich den Toaster wieder zusammen, mit einem Gefühl von Triumpf und Häme für Dirk Rossmann, der mich nicht daran hindern konnte, seinen Toaster wiederverwendbar zu machen.

Aufstellen, Einschalten, Geht nicht! – So hieß es früher von den AEG-Geräten. Nachdem ich mich von dem Tiefschlag erholt habe, denke ich: Ich hab ja noch drei weitere Chancen! Und greife mir den nächsten Toaster. Er ist mit einem beschrifteten Klebeband umwickelt: „Achtung, Kurzschluss beim Einschalten“ Da habe ich doch ein bisschen Respekt und hole mein Messgerät, ein ganz altmodisches mit einem wippenden Zeiger über der analogen Skala. Da reißt erstmal ein Kabel der Prüfanschlüsse ab, das ich wieder anlöten muss, was auch nicht ohne Widrigkeiten geht; das übergehe ich hier mal. Mit dem reparierten Messgerät messe ich den Widerstand zwischen den beiden Steckerpolen: Da ist nichts. Alles in Ordnung. Ich drücke mit den Messstiften am Stecker den Seitenhebel am Toaster runter: Der Zeiger schnellt hoch und schlägt wie wild gegen die Skalenbegrenzung. Das ist kein normaler Betriebswiderstand, das sieht definitiv nach einem Kurzschluss aus. Außerdem ist hier der Boden mit dreieckigen Schrauben festgemacht. Ich kann zwar meine Sternförmigen-Minischraubendreher reinwürgen, aber ich bin ratlos, weil ich nicht weiß, wo ich den Fehler suchen soll. Mein Diplom geht zwar in Richtung Strom, aber in Wirklichkeit kann ich nur eher mechanische Probleme in Geräten beheben, weil ich die besser erkennen kann.

Man muss seine Grenzen kennen. Ich gebe auf und hole das dritte Gerät hervor. Sieh da: das Konkurrenz-Unternehmen EDEKA! Toaster scheint man überall kaufen zu können. Am Gerät ist die Strom-Zuleitung durchgescheuert, das sieht man von außen. Das auszuwechseln traue ich mir zu. Aber dazu muss man auch das Gehäuse abkriegen. EDEKA hat seinen Toasterboden mit Dreierstern-förmigen Schrauben festgezurrt, wie das Innere von einem Mercedes-Stern. Solche Schraubendreher gibt es doch gar nicht! Da weiß ich nun auch nicht weiter.

Ich merke, dass meine Hoffnung schwindet der Lieblingskommune eine funktionierenden Toaster zurückbringen zu können. Noch habe ich einen Versuch. Dem unscheinbaren, blauen, abgegrabbelten Ding traue ich aus irgendwelchen Gründen nicht viel zu, stochere auch nur noch halbherzig auf der Unterseite herum. Es sieht erst so aus, als sei hier der Boden nur durch kleine Plastik-Widerhaken festgeklemmt; das kann man lösen, wenn man vorsichtig mit dem Schraubendreher drunter fährt und das Gehäuse ein wenig spreizt. Als sich nicht rührt, sehe ich, dass auch hier noch zusätzlich diese störrischen Dreieck-Schrauben eingeschraubt sind, noch eine Nummer kleiner und zusätzlich mit einer Plastikmasse überzogen. Die kriege ich nun gar nicht auf, alle meine kleinen Schraubendreher rutschen ab, ich will auch gar nicht mehr, hab schon mit der Überlegung angefangen, was für eine Art von Müll oder Schrott das denn ist, wo ich die Dinger loswerden kann.

Einen funktionierenden Toaster hab ich der Kommune zugesagt; die Schrottproduktion will ich aber nicht weiter anregen: ebay-Kleinanziegen! Toaster gibt es 5.000, welche mit Langschlitz immerhin noch 500. Davon suche ich die mit doppeltem Langschlitz raus, Kommune-tauglich. Ich vergleiche die Modelle, die Preise. 15 Euro plus Portokosten scheint mir moderat. Zur Sicherheit schaue ich im Internet nach dem Neupreis: 19,50! Das erschreckt und ärgert mich in doppelter Weise. Unverschämt, dann für ein gebrauchtes Gerät noch 15 Euro haben zu wollen! Plus Porto! Und andererseits: warum sind die Toaster so billig? Wenn ich an all das komplizierte Zeug denke, das ich darin vorgefunden habe… Ist halt ein Wegwerf-Artikel, und ich bin von gestern, dass ich das nicht einsehen will.

Kapitulation, zweiter Teil. Ich werde also einen neuen Toaster kaufen. Doppel-Langschlitz, aber nicht von Rossmanns Ideen-Welt und auch nicht bei Amazon, obwohl 90 Prozent der Toaster-Anbieter dahin verlinken. Nein, ich werde den Lentz “Cool-Touch” Langschlitz-Toaster ganz ordentlich im Geschäft kaufen, bei Kaufland für 25,99 Euro.

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