vonImma Luise Harms 26.11.2021

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Am Montagmorgen wache ich von einem ungewohnten Geräusch auf. Ein Motorbrummen, Rumpeln und Schaben in unserem Vorgarten. Wenn ich „unser Vorgarten“ sage, meine ich den von uns genutzten Schlosszwickel diesseits vom Weg, der die beiden Enden der Neuen Dorfstraße über das Schlossgelände hinweg verbindet.

Vor vielen Jahren hatten wir mit der vorletzten Schlosspächterin vereinbart, zwischen diesem Weg und dem Geländezwickel eine Hecke zu pflanzen, weil das von uns bewohnte Haus, die ehemalige „Gemeindebaracke“, das schöne Bild für etwaige Hochzeitsfotos und für die Aussicht aus den Punkzimmern störte. Die Ligusterhecke ist inzwischen ziemlich groß und ziemlich dicht; wir versuchen nach Kräften, sie in Form zu halten, zur allseitigen Zufriedenheit. Am nördlichen Ende der Hecke sind einige aus der Reihe getanzte Büsche inzwischen ziemlich groß geworden und haben Baum-ähnliche Ausmaße angenommen. „Die müssten wir auch mal einkürzen“, haben wir uns neulich bei einer Begehung vorgenommen.

An eben dieser Ligusterhecke, und zwar mittendrin, etwa auf der Höhe zum ehemaligen Arztpraxis-Eingang, bohrt und gräbt ein kleiner Schaufelbagger herum. Ein zweiter Arbeiter stochert und sucht in dem aufgerissenen Graben nach etwas. Die Elektrofirma „Blitz“, so wird uns, den erschrockenen AnwohnerInnen, erklärt, sucht nach dem Erdkabel, das die Zuleitung zur neuen Straßenbeleuchtung sein soll.

Die Leitung müsse von dem Strommast ausgehen, der mitten in unserem Vorgarten steht und der als Verteiler für die bisherige Straßenbeleuchtung in der Neuen Dorfstraße dient. Auf der einen Seite, also Neue Dorfstraße 1 – 7, geht es durch die Luft zu dem Mast, der direkt vor Schlosseinfahrt und Gutshof steht und der eine der alten Straßenlampen mit Strom versorgt – direkt an unserer Hausecke. Aber was für eine! Ihr orangefarbenes Licht erinnert an Grenzregimes; und wir sind davon überflutet, wenn wir abends mal vor dem Haus sitzen. Wir waren, muss ich sagen, denn hier wurde die große, alte Lampe schon abgeklemmt und eine der neuen schicken Lichtgondeln aufgestellt.

Auf der anderen Seite, Neue Dorfstraße 8 bis 26, hat sich das rötliche Licht der alten Natriumdampf-Lampen bis zum Horizont gezogen, und zwar mitten auf dem Weg, der nicht ohne Grund im Dorfjargon „Stalinallee“ heißt. So breit, wie die Straße angelegt ist, schien sie von vorn herein zu Höheren, Größeren berufen. Die alten Laternen hätten den Mittelstreifen eines zukünftigen Prachtboulevards markieren können. Bisher beleuchteten sie eine unscheinbare Schotterstraße, die rechts und links von sich viel Raum für Fantasie lässt, was mit diesem gemeindeeigenen Grund noch alles anzufangen wäre.

Ich liebe den Anblick dieser unbestimmten Weite. Mit den freistehenden Masten und den sie verbindenden Strom- und Telefonleitungen, auf denen sich gerne die Schwalben sammeln, erinnert sie an den Anblick weit gestreckter, osteuropäischer Dörfer. Man erwartet, dass gleich eine Gänseherde den Weg kreuzt. Etwas hinterwäldlerisch vielleicht, aber das ist ja gerade das Kostbare − ein Kulturgut, das zu verschwinden droht.

Inzwischen sind auch diese Laternen ausgeschaltet und durch eine Lichtreihe ersetzt, die sich eng an die linken Grundstücksgrenzen schmiegt. Die Weite des Geländes und die ganze rechte Seite liegen jetzt im Dunklen. Ob das für kommende Pläne so entschieden ist? Ob die AnwohnerInnen auf der rechten, der östlichen Seite sich benachteiligt fühlen oder eher froh darüber sind, dass sie nicht behelligt werden?

Der verbindende Weg über das Schlossgelände war bisher unbeleuchtet, was uns in den Abendstunden auf der langen Ostseite des Hauses das Geschenk der Dunkelheit bescherte, von den erleuchteten Schlossfenstern und gelegentlichen Hochzeits-Feuerwerken, militärischen Zapfenstreichen, Ernte- oder Weihnachtsfesten einmal abgesehen. Nun wird hier also gebuddelt, um auch diesen Verbindungsteil illuminieren zu können. Eine Stromschleife, vor Jahrzehnten mit Vorbedacht für kommende Baumaßnahmen schon in den Boden gelegt, solle genau hier, genau unter unserer mühsam hochgezogenen Ligusterhecke liegen, wird uns erklärt. Und genau hier soll auch eine zusätzliche Lampe hin.

Ich schaue den Erdarbeiten mit zweierlei Befürchtungen zu: Einmal die anscheinend nicht zu umgehenden Zerstörungen in der Hecke und dann aber auch, was viel schwerer wiegt, die Aussicht, in Zukunft eine Laterne direkt vor meinem Schlafzimmer zu haben, die mir unerbittlich in den Schlaf heimleuchtet.

Wir kochen den beiden Arbeitern Kaffee für die Pause und legen auch selbstgebackene Plätzchen dazu, aus Freundlichkeit, aber auch ein bisschen, um im Gespräch zu gucken, ob wir Wünsche anmelden können. „Kann man die Lampe nicht ein Stück weiter nach links setzen?“, frage ich. Die beiden Arbeiter haben durchaus Verständnis. Aber die Sachlage! „Das kommt drauf an, wo die Kabelschleife liegt und wie lang sie ist“, wenden sie ein. Das leuchtet mir ein und ich hoffe inständig, dass sie sie weiter links finden, irgendwo Richtung Müllplatz vom Schloss. Wäre das nicht sowieso viel sinnvoller, wenn die Laterne auch Licht für das Müll-Wegbringen spendet? Aber wie gesagt, erstmal die Kabelschleife finden.

Mich schmerzt es dabei weniger, wenn zwischen unseren Büschen herumgestochert und das eine oder andere Gewächs sogar ganz entwurzelt wird. Das kommt ja wieder hoch und wächst zu. Nach der Kaffeepause ist die Schleife gefunden. Sie liegt tatsächlich ein Stück weiter nördlich als im Plan eingetragen, nämlich genau dort, wo unsere Hecke in die kleine Gruppe zu hoch hinauf geschossener Büsche mündet. Gottseidank, denke ich, haben wir sie noch nicht gekappt!

Dann geht alles sehr schnell. Noch am gleichen Tag wird der Mast eingegraben, am nächsten Tag hängt die Lichtgondel daran und schon am Abend sind Straße, Weg und Platz lückenlos neu beleuchtet.

Wir schauen vom Hauseingang: erträglich! Der Lichtkegel dringt zwar in den Garten, aber nicht bis ins Haus vor. Und im Frühling werden blühende, im Sommer belaubte Forsythienzweige davor schaukeln! Abends im Bett der prüfende Blick auf den Lichtpunkt, der auch durch den Vorhang zu sehen ist. Noch ein bisschen lesen, dann Nachttischlampe aus. Auch draußen ist jetzt, um kurz nach elf, das Licht aus. Danke für die Dunkelheit!

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