Aus dem Alltag entspringen die Probleme und Themen, die uns auf die eine oder andere Weise beschäftigen. Sie dienen zum Plaudern, zum Tratschen, zum Klagen über sich und andere, zum rechthaberischen Auftrumpfen oder zur Gelegenheit für groß angelegte Belehrungen.
Wenn ich mich allein damit konfrontiert sehe, fallen diese auf Lust-, Erkenntnis- oder Reputationsgewinn zielenden Formen der Kommunikation weg. Dann geht es allein darum, eine Handhabung für das Problem zu finden, es irgendwie anzugehen.
Ich unterscheide dabei
den künstlerisch-phänomenologischen Ansatz: Schau an, was für ein interessantes Problem, was es für seltsame Blüten treibt! Wie es mich in Bedrängnis bringt! Und auf welche Veränderung in meinem Alltag es mich wohl zutreibt?
den ingenieursmäßig-analytischen Ansatz: Ursachenforschung – wie kommt es zu dem Problem, wie, wann, unter welchen Umständen tritt es auf, wie ist sein Ablauf zu beeinflussen? Welche Hilfsmittel stehen für eine Lösung bzw. Verbesserung zur Verfügung oder können ersonnen werden?
den philosophisch-erweiternden Ansatz: Unter welchen Umständen ist das Problem ein Problem? Welche normativen Vorstellungen liegen dem zugrunde? Was impliziert die Zuweisung der Bezeichnung „Problem“ und erfordert es damit zwangsläufig eine Bearbeitung, eine Lösung? Was ist überhaupt eine Lösung?
Die drei Wege der Handhabung streben einem unterschiedlichen Ziel zu: das der Duldung, das der Lösung und das der Transformation.
Nach dieser Vorrede werde ich praktisch. Wie die meisten Menschen verwahre ich meine Kleidung in geschlossenen Möbelstücken, einem Schrank, einer Kommode und einer kleinen Kleiderkammer für das Hängbare. Gestern war es heiß; ich hatte eine dünne Hose und ein ärmelloses T-Shirt an. Vorgestern war ich in einer dienstlichen Angelegenheit unterwegs; dazu hatte ich mir eine Bluse und weiße Jeans angezogen. Heute ist es kälter und ich will in den Garten; dazu taugt weder die dünne noch die weiße Hose. Die blaue Arbeitshose ist dafür gedacht und geeignet, dazu ein schon etwas ausgefranstes langärmeliges T-Shirt. Die getragenen Kleidungstücke häufen sich auf dem Stuhl und dem Sessel. Auch auf dem Tisch liegt schon was, die einmal getragenen Sportsachen. Wohin damit?
Für Kleidung, umgangssprachlich Klamotten, gibt es zwei Orte. Sind sie sauber, liegen sie im Schrank. Sind sie schmutzig, kommen sie in die Wäschebox. Tertium non datur. Allenfalls über Nacht, dann liegen sie überm Stuhl oder hängen irgendwo, um am nächsten Morgen inspiziert und entweder angezogen zu werden oder in die Wäsche zu wandern. Meinem Sohn J., der als Kind auch schon vor den Bergen aus angetragenen Hosen, Hemden und T-Shirts stand, habe ich Inaugenscheinnahme und Geruchskontrolle als Methode der Selektion vorgeschlagen: Wenn man keine Flecken sieht und nichts riecht, kann die Wäsche als sauber gelten und wieder einsortiert werden.
Das sagt sich so leicht und klingt irgendwie logisch; ich merke aber in meinem eigenen Alltag, dass zwischen den Kategorien „sauber“ und „schmutzig“ noch die Kategorie „getragen“ liegt. Also doch: Tertium datur. Es widerstrebt mir, den duftenden und ordentlich zusammengelegten Pullovern einen angetragenen unterzujubeln. Er ist nicht von ihrer Art! Vielleicht riecht er auch doch nicht mehr ganz frisch und diese Unfrische überträgt sich auf seine Nachbarn. Außerdem, wenn ich ihn als scheinbar frisch gewaschen herausnehme, trage ich ihn vielleicht länger, als ich sollte; er hat ja trotz seiner neutralen Erscheinungsweise schon sein Quantum am Schweiß oder Staub in sich.
Aber alle getragenen und gerade nicht passenden Kleidungsstücke aus dieser Kategoriennot heraus direkt wieder in die Wäsche zu werfen, gefällt mir auch nicht. Da ist man ja ständig am Waschen, Aufhängen, Zusammenfalten, eventuell Bügen − vom Ressourcen-Verbrauch an Wasser, Waschmittel und Strom mal ganz abgesehen.
Bis hierher hatte ich die Problemlage entfaltet. Dann habe ich den Fehler gemacht, mal zu schauen, was das WWW zu dem Problem zu sagen hat. Das sollte man nicht tun, wenn man meint, einem originellen Gedanken auf der Spur zu sein! Es gibt jede Menge Ratgeberinnen mit jeder Menge Tipps für und gegen alles, auch gegen die Berge von Angetragenem! Sicher, das Problem ist ja ein ganz Alltägliches, Banales! Auch wenn die Vorschläge nicht besonders ausgefallen sind – Extra-Garderobe dafür installieren, von Stangen und Leinen baumeln lassen, in einen Extra-Korb, einen besonders hübschen, versteht sich – etwas anderes würde mir wohl auch nicht einfallen. Ich bin düpiert; der Gedankenschwung ist weg. Lassen wir das! Gibt’s kein anderes Thema?
Ist dieser blog-Eintrag noch zu retten? Worum geht es mir eigentlich? Was will ich erzählen? Was will ich mir erörternd klarmachen? Wenn jemand Aufklärung, also Erleichterung durch Aussprechen sucht, ist das Letzte, was sie und er wünschen und erwarten, gute Ratschläge zu bekommen. „Je vous écoute“, versichert der Therapeut in der französischen Serie „In Therapie“ seinen PatientInnen, und das ist schon eine Menge. Seine sparsam eingesetzten Kommentare dienen vor allem dazu, seine ungeteilte Aufmerksamkeit wie einen einladenden Teppich vor dem Gegenüber auszubreiten.
Ratschläge haben etwas Frustrierendes. Sie sind weniger wohlmeinend, als es scheint, und haben eher eine gesprächsdynamische Rolle. Die Zuhörende kann das Lamento der Klagenden nicht mehr ertragen; sie braucht ein Ventil, sie will den Gesprächsverlauf abkürzen oder sich wenigstens gestaltend mit einbringen. Also macht sie Vorschläge: „Mach das doch so und so… Ich hab immer das genommen… Versuchs doch mal mit dem und dem…!“ Zum Schluss läuft es oft auf den Vorschlag hinaus, vielleicht eine Laktose- oder Gluten-Unverträglichkeit ins Auge zu fassen, mal Weizen bzw. Milchprodukte wegzulassen, auch wenn ich mir dies als Maßnahme gegen die Wäscheberge schwer vorstellen kann.
In den meisten Fällen will man keine Ratschläge, man will das Problem ausbreiten, sich darauf ergehen, es irgendwie aus der Bedrängung in die Genießbarkeit überführen, sich dabei entspannen − und es so vergessen, jedenfalls für eine Weile.
Wenn man keine Lösungsvorschläge von anderen will, ist es möglicherweise auch gar nicht so sehr die schnelle Lösung, die man sucht. Vielleicht ist der blog-Beitrag doch zu retten. Denn ich sehe, dass der dargestellte Weg Nr.2, der Maßnahmen-orientierte, ingenieursmäßige Ansatz das Problem auf direktem Wege zu beseitigen sucht, ohne ihm vorher gerecht zu werden. Vielleicht macht es Sinn, den ersten und den dritten Weg auch zu betrachten und auf eine Metamorphose der Ausgangsfrage zu setzen.
Weg Nr. 1: Wer sagt, dass Wäsche, Klamotten in den Schrank gehören, wegsortiert werden müssen? Sie schichten sich; sie sind eine Erinnerung an meine Tätigkeiten und Erlebnisse der letzten Tage. Ja, ich könnte mir vorstellen, dass sie von diesen Erinnerungen geradewegs vollgesogen sind, sie ausdünsten und mich darin einhüllen. Außerdem sind sie Farbflecken im Ambiente, auch in der zufällig entstehenden Konstellation aus Farben und Materialien. Sicher, der Stuhl ist voll, also nicht benutzbar, aber erstens findet sich vielleicht noch Platz für eine weiteres Sitzmöbel, wenn es sein muss, zweitens ist der Tisch auch noch da. Der Fairness halber muss ich zugeben, dass dieser Aspekt in den WWW-Ratschlägen implizit enthalten ist, wenn sie die Ästhetik geltend machen: Ist doch gar nicht so hässlich; kann man ruhig hängen lassen!
Allerdings hängen lassen bis wann? Wie lange? Wieviel Zwischenlagerungsmöglichkeiten brauche ich? Die Sportsachen, ok, die ziehe ich übermorgen nochmal an, dann Wäsche. Die Gartenklamotten können ruhig schmutzig sein, brauchen aber Abstand zu den anderen. Die kommen in eine Extra-Schublade. Die einmal getragene weiße Bluse, die weiße Hose, keine Ahnung, wann ich die wieder anziehe. Könnte sein, dass sie ewig als Zimmer-Deko herumhängen. Die Kleidung für warm, die für kalt, es ist schwer abzusehen, wann ich da was wieder brauche; soll ich die Kleider-Wegräum-Entscheidung von der Wettervorhersage abhängig machen? Oder andersrum: ziehe ich nur noch an, was sich, unabhängig von Wetter und Anlass, weitertragen lässt, bis es reif für die Wäsche ist? Wie ich es auch betrachte: die Ästhetisierung des Kleiderberges, seine adrette Anordnung, die Duldung seines Anwachsens stellt das Prinzip des Kleiderschrankes infrage. Oder man bräuchte einen zweiten, nicht nur ein paar Haken.
Weder der Versuch einer Lösung noch die Duldung des Problems können wirklich befriedigen. Versuche ich es mit dem Weg Nr. 3, dem philosophischen Nachbohren. Da gibt es verschiedene Ansatzpunkte: den Unterschied zwischen „getragen“ und „schmutzig“ infrage stellen; das Außen und Innen als mögliche Aufbewahrungsorte ineinander gleiten zu lassen (ist z.B. ein Regal eine Art Schrank?); untersuchen, worin genau das „Problem“ besteht. Es ist ja ein ganz praktisches, wie ich schon dargestellt habe: Ich stehe da, mit der weißen Bluse in der Hand und weiß nicht, wohin damit. Es ist also ein Entscheidungsproblem, ein Dilemma. Eine von beiden Seiten: schmutzig oder sauber, meine ich wählen zu müssen; der Schlund zwischen diesen Kategorien erscheint mir zu groß.
Da haben wir die Transformation, die vielleicht einen neuen Weg öffnet: Die Frage, was überhaupt eine Entscheidung ist? Wenn ich etwas unterlasse, also die Bluse weder in die Wäsche noch in den Schrank räume, sondern sie mit dem Gedanken „ich kann mich nicht entscheiden“ einfach liegen lasse, habe ich mich dann auch entschieden? Ich würde sagen: ja. Ich habe mich für die Nicht-Entscheidbarkeit entschieden und ihr den Platz einer echten Möglichkeit eingeräumt.
Es gibt jetzt also drei Möglichkeiten für mich: Wegräumen, in die Wäsche, (erstmal) liegenlassen. Alle drei Wege haben Mängel: nicht sinnlos waschen, nicht das Saubere und das Getragene vermengen, nicht den Kleiderberg immer größer und unübersichtlicher werden lassen. Die Mängel sind nicht gegeneinander abzuwägen; es gibt keine überzeugenden intersubjektiven Kriterien, die mir dabei helfen würden. Meine Entscheidung ist reine Willkür!
Und das ist doch ein Ergebnis: ich mach‘s mal so und mal so, je nach Stimmung und äußeren Randbedingungen (Wird eh grad‘ gewaschen und die Maschine ist noch nicht voll; es kommt Besuch, ich will ein bisschen Ordnung schaffen; ich überseh‘ nicht mehr, was da liegt). Aus dem Dilemma der Entscheidung habe ich in dialektischer Verschiebung die Entscheidungsstruktur selbst infrage gestellt und ihr so das Problemhafte, das eine eindeutige Lösung verlangt, genommen. Ich kann also heiter mal den einen, mal den anderen Weg wählen. Oder eben auch nicht. Dann ist das der dritte.
Und im Übrigen: Andere haben ganz andere Probleme!